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Nicht immer ist der Patientenwille entscheidend
Nicht immer ist der Patientenwille entscheidend
Oft wird nur die Transportverweigerung durch den Patienten thematisiert. Seltener
erörtert wird die Situation, dass der Patient transportiert werden will oder aufgrund
der Vorgabe Dritter befördert werden soll – der Rettungsdienst dies allerdings nicht
für notwendig erachtet oder sich den Transport nicht zutraut. Drei Fallbeispiele sollen
das verdeutlichen.
Fallbeispiel 1
Der Patient wartet bereits mit gepackten Koffern. Er ist für eine seit Langem geplante
plastische Operation einbestellt. Der Arzt habe am Telefon darauf verwiesen, dass
bei einem Notfalltransport kein Eigenanteil bei der Krankenkasse anfalle. Ein Taxi
wolle er sich nicht leisten. Eine Verordnung liegt nicht vor.
Fallbeispiel 2
Der Rettungsdienst soll einen intensivpflichtigen Patienten aus einem Klinikum der
Maximalversorgung verlegen. Der Transport ist nicht eilig. Dafür erweist sich der
Patient als übergewichtig und zu schwer für die Transportliege. Die Besatzung kann
die mitzuführenden Medizinprodukte der Klinik nicht sicher verlasten. Ein nicht qualifizierter
Assistenzarzt soll den Transport begleiten.
Fallbeispiel 3
Nach einer Schlägerei bittet die Polizei den Rettungsdienst, den sich noch immer heftig
wehrenden, aber gefesselten und mit Schnittwunden übersäten Patienten in eine Klinik
zu fahren. Beim Nähern an die Trage tritt der Patient den Sanitäter heftig mit den
verbundenen Füßen. Die Polizei ist vor Ort gebunden und kann den Transport nicht begleiten
[3].
Aufgaben des Rettungsdienstes
Aufgaben des Rettungsdienstes
Die Bundesländer regeln die Aufgaben ihrer Rettungsdienste aufgrund des Art. 70 Abs. 1
Grundgesetz in jeweils eigener Gesetzgebungskompetenz. Die Ausbildung der Notfallsanitäter
als Berufsausbildung ist dagegen durch ein Bundesgesetz geregelt. Eine Übersicht der
verschiedenen Landesrettungsdienstgesetze ist online verfügbar [1].
Allerdings definieren die Bundesländer die Aufgaben des Rettungsdienstes weitestgehend
gleichlautend.
Notfallrettung und Krankentransport
Die Notfallrettung umfasst die notfallmedizinische Versorgung von Notfallpatienten
am Notfallort und den Notfalltransport. Als Notfallpatienten werden meist Verletzte
oder Kranke definiert, die sich in Lebensgefahr befinden oder bei denen schwere gesundheitliche
Schäden zu befürchten sind, wenn sie nicht unverzüglich die erforderliche medizinische
Versorgung erhalten. Sie sind unter fachgerechter medizinischer Betreuung in eine
für die weitere Versorgung geeignete Einrichtung zu befördern.
Krankentransport ist der Transport von kranken, verletzten oder sonstigen hilfsbedürftigen
Personen, die – ohne Notfallpatienten zu sein – während der Fahrt einer fachlichen
medizinischen Betreuung durch nichtärztliches medizinisches Fachpersonal oder der
besonderen Einrichtungen des Krankenkraftwagens bedürfen. So die gesetzliche Definition
in § 2 Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 BayRDG.
Beförderungspflicht
Die mit der Notfallrettung und dem Krankentransport Beauftragten trifft meist eine
gesetzliche Beförderungspflicht. Keine Beförderungspflicht besteht allerdings bei
Transporten, die nicht der Notfallrettung oder dem Krankentransport zuzuordnen sind.
Nicht zum Krankentransport gehört die Beförderung kranker Personen, die während der
Beförderung keiner fachlichen medizinischen Betreuung oder der besonderen Einrichtungen
des Krankenkraftwagens bedürfen (Krankenfahrten). Gleiches gilt für Beförderungen,
die nicht in die nächste für die weitere Versorgung geeignete und aufnahmebereite
Einrichtung führen, die tatsächlich bzw. aus rechtlichen Gründen nicht durchgeführt
werden dürfen, die für die Besatzung aus anderen Gründen unzumutbar sind oder die
aus anderen Gründen von den Durchführenden nicht zu vertreten sind.
Bei Notfallpatienten darf die Beförderung nicht deshalb abgelehnt werden, weil ein
rechtswirksamer Beförderungsvertrag nicht vorliegt oder die Entrichtung des Entgelts
nicht gesichert ist.
Die Beförderungspflicht in der Notfallrettung ist also unabhängig von der Sicherstellung
des Beförderungsentgelts.
Welche Fahrten die für die gesetzliche Krankenversicherung zugelassenen Ärzte verordnen
dürfen, bestimmen das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sowie die vom Gemeinsamen
Bundesausschuss (G-BA) erlassene Krankentransport-Richtlinie [2]. Auch bei privat und anderweitig versicherten Patienten ist eine medizinische Notwendigkeit
der Fahrt meist Voraussetzung für die Kostenerstattung.
Bewertung der Fallbeispiele
Der Patient in Fallbeispiel 1 fällt mangels einer medizinischen Indikation nicht unter
die gesetzliche Beförderungspflicht.
In Fallbeispiel 2 ist die Beförderung aufgrund der fehlenden Qualifikation sowie der
fehlenden Ladungssicherheit nicht möglich; in diesem Fall würde die Durchführung der
Beförderung auch gegen das Medizinprodukterecht sowie die in § 22 der Straßenverkehrsordnung
normierte Ladungssicherheit verstoßen.
Im dritten Fallbeispiel ist die Besatzung berechtigt, die Beförderung aufgrund der
Selbstgefährdung abzulehnen.
Behandlungspflicht
Von der Beförderungspflicht zu unterscheiden ist die Pflicht zur Lageerkundung, zur
Beurteilung des Gesundheitszustands des Patienten und zur Durchführung medizinischer
Maßnahmen der Erstversorgung. Danach ist jedermann verpflichtet, anderen Menschen
in Not zu helfen. Wer das nicht für nötig erachtet, obwohl dies erforderlich und ihm
den Umständen nach zuzumuten ist, kann sich wegen unterlassener Hilfeleistung nach
§ 323c StGB strafbar machen.
Mitarbeiter im Rettungsdienst haben darüber hinausgehende Pflichten. Ihnen fällt gegenüber
den Patienten eine Garantenstellung mit besonderen Obhutspflichten zu. Kommt es infolge
des Unterlassens einer Maßnahme zu einer Schädigung des Patienten oder zu dessen Tod,
können die Straftatbestände der Körperverletzung oder des Totschlags erfüllt sein.
Lässt der Rettungsdienst beispielsweise bei Minusgraden einen alkoholisierten Patienten
ohne weitere Hilfe unbedacht im Kalten liegen und stirbt dieser, so kann nicht nur
der Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung erfüllt sein, sondern auch der
der fahrlässigen Tötung.
Selbst bei unangenehmen, querulatorischen oder besserwisserischen Patienten bleibt
daher im Rahmen des Vertretbaren und vom Patienten Geduldeten eine sorgfältige Beurteilung
unerlässlich. Diese ist so sorgfältig zu dokumentieren, dass sie noch nach mehreren
Jahren hinreichende Rückschlüsse auf den Vorgang und den Verlauf des Einsatzes erlaubt.
Eine Behandlungspflicht besteht allerdings nur, wenn eine Indikation dazu vorliegt
und der Rettungsdienst nicht aus anderen Gründen von dieser Pflicht entbunden ist
– etwa, weil er sich selbst in erhebliche Gefahr bringen würde.
Bewertung der Fallbeispiele
Im ersten Fallbeispiel ist keine Behandlungspflicht gegeben. Der Patient ist nicht
in Not. Ebenso fehlt es an der Erforderlichkeit einer medizinischen Behandlung.
Im zweiten Fallbeispiel ist die Betreuung des Patienten im Klinikum sichergestellt.
Zu einer Beförderung ist die Besatzung mangels Qualifikation und Ressourcen nicht
verpflichtet.
Im dritten Fallbeispiel kann die Besatzung aufgrund des Verhaltens des Patienten ihre
Behandlungspflicht nicht erfüllen. Weder zeigt der Patient durch sein Verhalten, dass
er eine Behandlung wünscht, noch ist angesichts des aggressiven Verhaltens des Patienten
dem Rettungsdienst die Behandlung zumutbar.
Maßnahmen bei Ablehnung eines Transports
Maßnahmen bei Ablehnung eines Transports
Bevor eine Besatzung des Rettungsdienstes den Transport eines Patienten ablehnt, ist
sie zu einer besonders sorgfältigen Feststellung und Erfassung der Lage und Beurteilung
des Gesundheitszustands des Patienten unter Abwägung der Situation und der Möglichkeiten
verpflichtet. Das gilt vor allem für augenscheinlich typische Fälle – wie den eines
alkoholisierten Patienten.
In zweifelhaften Fällen sollte die Besatzung den Patienten befördern oder einen Arzt
zu Rate ziehen. Das kann bei fehlender Indikation und Dringlichkeit einer Beförderung
auch ein ärztlicher Bereitschaftsdienst sein.
Dokumentation der Maßnahmen
Lehnt der Rettungsdienst die Beförderung ab, sollte er die getroffenen Feststellungen
und Maßnahmen ausführlich dokumentieren. Gegebenenfalls hat er auf alternativ in Betracht
kommende Leistungserbringer – wie Taxi und Mietwagen – hinzuweisen.
Bei hilflosen, aber nicht erkrankten oder verletzten Personen ist anderweitig adäquate
Hilfe sicherzustellen, beispielsweise die Überwachung durch Angehörige, die Hinzuziehung
anderer zuständiger Behörden wie des Jugendamts oder der Polizei. Das Gleiche gilt
entsprechend bei möglicher Selbstgefährdung.
Zweifel an einer ärztlichen Verordnung
Hat die Besatzung Zweifel an der Richtigkeit der ärztlichen Verordnung eines Krankentransports,
empfiehlt sich eine Rücksprache mit dem ausstellenden Arzt. Ansonsten sollte sie den
Transport durchführen und bestenfalls auch den Versuch der Rücksprache mit dem Arzt
dokumentieren.
Hinweis auf Kostentragung
Befördert man den Patienten einvernehmlich auf dessen ausdrücklichen Willen, ist der
einsichtsfähige Patient darauf hinzuweisen, dass er bei fehlender ärztlicher Verordnung
die Kosten möglicherweise selbst zu tragen hat. Die wirtschaftliche Aufklärung des
Patienten ist zu dokumentieren. Bestenfalls bestätigt der Patient die Aufklärung durch
seine Unterschrift auf einem von dem Durchführenden herausgegebenen und rechtlich
geprüften Formular. Übrigens kann auch bei vorsätzlich oder grob fahrlässig verursachten
Fehlfahrten der Veranlasser verpflichtet sein, die Kosten des Einsatzes zu übernehmen.
Fehlende Qualifikation und Ressourcen
Fehlt es an der notwendigen Qualifikation bzw. den erforderlichen Ressourcen für die
Fahrt, sind die bestehenden Bedenken gegenüber dem Auftraggeber deutlich zu kommunizieren
und zu begründen. Auf alternative Beförderungswege ist hinzuweisen. Gegebenenfalls
ist mit dem eigenen Dienstvorgesetzten oder der Leitstelle Rücksprache zu halten.
Keinesfalls sollte die Besatzung eine Aufgabe übernehmen, die sie erkennbar nicht
beherrscht – andernfalls droht ihr zivil- oder strafrechtliche Verfolgung.
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Der Rettungsdienst ist nicht verpflichtet, jeden Fahrgast zu befördern. Eine Beförderungspflicht
trifft ihn nur bei erforderlichen Leistungen der Notfallrettung und des Krankentransports.
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Maßnahmen sind sorgfältig zu dokumentieren. Im Zweifel ist der Patient zu transportieren.
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Soweit eine erhebliche Eigengefährdung vorliegt, besteht keine Verpflichtung zur Behandlung
oder Beförderung. Kann eine Besatzung den Patienten mangels Qualifikation oder Ressourcen
ersichtlich nicht befördern, muss sie den Transport ablehnen. Bedenken sind rechtzeitig
mitzuteilen. Alternative Möglichkeiten sind zu prüfen.
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Da jeder Einzelfall individuell zu beurteilen ist, empfiehlt sich für Arbeitgeber,
die Mitarbeiter durch eindeutige interne Vorgaben, Checklisten und Schulungen zu diesen
Themen zu unterstützen und zu sensibilisieren.