Schlüsselwörter
Biokompatibilität - Bisphenol A - Nanopartikel - Kalzium-Silikat-Zement - Bioaktivität,
Amalgam
Abkürzungsverzeichnis
ADA:
American Dental Association
AGS:
Ausschuss für Gefahrstoffe
BAuA:
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
bis-DMA:
Bisphenol-A-Dimethacrylat
bis-GMA:
Bisphenol-A-Glycidyl-Methacrylat
BPA:
Bisphenol A
CMR:
karzinogen/mutagen/reproduktionstoxisch
COPD:
Chronic Obstructive Pulmonary Disease
EFSA:
European Food Safety Authority
GMTA:
graues Mineral-Trioxid-Aggregat
HKSZ:
Hydraulischer Kalzium-Silikat-Zement
MIH:
Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation
MNS:
Mund-Nasen-Schutz
MTA:
Mineral-Trioxid-Aggregat
PC:
Polycarbonat-Kunststoffe
SCENIHR:
Scientific Committee on Emerging and Newly Identified Health Risks
UNEP:
United Nations Environmental Programme
UNO:
United Nations Organization
WMTA:
weißes Mineral-Trioxid-Aggregat
Einleitung
An gleicher Stelle wurde von Prof. Schmalz vor geraumer Zeit über die Biokompatibilität
zahnärztlicher Werkstoffe berichtet [1]. Zwischenzeitlich sind neue Materialien auf den Markt gekommen und neue gesetzliche
Regularien in Kraft getreten, z. B. für Amalgam. Bisphenol A, Nanopartikel, das Minamata-Übereinkommen
und seine Folgen sowie bioaktive hydraulische Kalzium-Silikat-Zemente sind in letzter
Zeit vermehrt diskutiert worden.
Neben den Konsequenzen für die praktische Arbeit am Patienten sind es auch durch das
Internet vorinformierte und verunsicherte Patienten, die sich immer häufiger über
die Verträglichkeit der Werkstoffe erkundigen. Dabei sind die Themen oft hoch emotional
besetzt – was früher das Amalgam war, sind heute Bisphenol A oder Nanopartikel. Aus
den Erfahrungen mit Amalgam oder anderen gesellschaftlichen Ängsten haben wir die
Bedeutung einer kompetenten Risikokommunikation gelernt.
BPA – das Quecksilber des 21. Jahrhunderts?
BPA – das Quecksilber des 21. Jahrhunderts?
Bisphenol A ([Abb. 1]) wird weltweit in großen Mengen industriell produziert (ca. 3,8 Mio. Tonnen im Jahr
2006) und ist ein wichtiger Baustein für z. B. Polycarbonat-Kunststoffe (PC) sowie
ein Ausgangsprodukt für die Herstellung von Monomeren für Epoxidkunststoffe. Aufgrund
seiner guten technischen Eigenschaften erfreut es sich großer Beliebtheit und befindet
sich in Lebensmittelverpackungen, Mehrweggetränkeflaschen, Geschirr und Vorratsbehältern
für Lebensmittel, Getränkeverpackungsmaterialien, Säuglingsflaschen, CDs und DVDs
sowie in elektrischen Geräten. Nicht zuletzt wird es in Medizinprodukten verwendet
(z. B. Implantate, Katheter, Schläuche). Auch in der Zahnmedizin kommt es häufig vor
und die Diskussion um eine mögliche Gefahr, die von dieser Substanz ausgeht, erinnert
an die Diskussion um das Quecksilber im Amalgam [2].
Abb. 1 Bisphenol A wird bei der Herstellung von bis-GMA verwendet und Rückstände davon können
aus zahnärztlichen Werkstoffen in geringen Mengen in die Mundhöhle übertreten. Ein
hydrolytischer Abbau von bis-DMA, das in Kunststoffen zur Fissurenversiegelung enthalten
sein kann, kann ebenfalls zur Freisetzung von BPA führen.
Grund zur Besorgnis?
BPA wird in geringen Mengen aus den o. g. Materialien freigesetzt und in den Körper
aufgenommen. Es bindet an die Östrogenrezeptoren von entsprechenden Zellen und kann
damit bei entsprechender Konzentration eine östrogenartige Wirkung im Organismus auslösen.
In der Literatur wird u. a. behauptet, dass BPA in klinisch beobachteten Konzentrationen
die Fruchtbarkeit reduziert (beide Geschlechter), einen Einfluss auf die Zeit der
Pubertät hat, neurotoxisch ist sowie Diabetes und Obesitas hervorruft [3], [4]. Aufgrund dieser Unsicherheiten wurde eine mögliche Exposition von Säuglingen durch
Polycarbonat-Säuglingsflaschen in der EU im Jahr 2011 verboten. Außerdem darf seit
Januar 2015 in Frankreich kein BPA mehr in Nahrungsmittelverpackungen verwendet werden
[5].
Im Bereich der Zahnmedizin konnte kürzlich in Tierversuchen (Nagetiere) gezeigt werden,
dass nach täglicher oraler Verabreichung von BPA Schmelzveränderungen im Sinne einer
Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) auftreten ([Abb. 2]), und zwar bei einer Konzentration von 5 µg/kg Körpergewicht, also im Bereich der
von der European Food Safety Authority (EFSA) angegebenen Grenzdosis von 4 µg/kg Körpergewicht
[6]. Auch ein additiver Effekt mit Fluoriden bei der Ausbildung von Dentalfluorosen
wurde bei Versuchstieren beobachtet [7], [8], [9].
Abb. 2 a – c In Tierstudien wurden Mineralisationsstörungen ähnlich der Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation
(s. Pfeilspitzen) mit BPA in Verbindung gebracht. Die klinische Relevanz ist jedoch
noch unklar.
BPA aus zahnärztlichen Werkstoffen
In der Zahnmedizin wird BPA als solches nicht eingesetzt [5]. Allerdings werden Materialien verwendet, die BPA als Baustein der Basismonomere
enthalten, wie z. B. bis-GMA, das in einer Vielzahl von Kompositkunststoffen enthalten
ist ([Abb. 1]). Dies gilt auch für das bis-DMA, welches gelegentlich in Werkstoffen zur Fissurenversiegelung
verwendet wird. BPA wird aus Kompositkunststoffen, die bis-GMA oder bis-DMA enthalten,
insbesondere nach dem Legen der Restauration in den Speichel abgegeben [2], [10], [11].
Merke
Die Menge an freigesetztem BPA ist von vielen Faktoren abhängig, z. B. wird in alkoholischen
Lösungsmitteln mehr abgegeben als in wässrigen [12].
In vitro wurde eine BPA-Freisetzung aus Kompositkunststoffen bis zu 180 Tage nach
dem Aushärten gemessen [12]. Bei 151 Patienten konnte bis zu 1 Stunde nach dem Legen von durchschnittlich 2,6
Restaurationen eine 50%ige Steigerung der BPA-Konzentration im Speichel gegenüber
der Situation ante gemessen werden (von 0,43 ng/ml auf 0,64 ng/ml). Nach 8 Stunden
wurde der Ausgangswert wieder erreicht. Eine Erhöhung der BPA-Konzentration im Urin
nach bis zu 30 Stunden (länger wurde nicht gemessen) von 1,67 ng/ml auf 2,38 ng/ml
war nachweisbar [11]. Die Verwendung von Kofferdam hatte dabei keinen Einfluss auf die BPA-Konzentration
im Urin [11]. Interessanterweise war die Menge von freigesetztem BPA bei Materialien, die bis-DMA
enthielten, weitaus größer als bei solchen mit bis-GMA [10]. Eine große Zahl weiterer Publikationen hat sich mit der Freisetzung von BPA aus
Kompositkunststoffen und Adhäsiven befasst [13]. Auch aus zahnfarbenen Polycarbonat-Brackets wird BPA freigesetzt [14].
Wie kann man sich die Freisetzung erklären, obwohl BPA selbst nicht in zahnmedizinischen
Materialien verwendet wird? Es konnte nachgewiesen werden, dass bis-GMA unter physiologischen
Bedingungen nicht zu BPA abgebaut wird [13], [15]. Allerdings wird BPA im Rahmen des Herstellungsprozesses sowohl von bis-GMA als
auch von Polycarbonat benötigt. Das freigesetzte BPA stammt in diesen Fällen augenscheinlich
von Rückständen aus dem Herstellungsprozess [2], [14]. Anders ist es beim bis-DMA, das BPA durch hydrolytische Spaltung in die Mundhöhle
abgibt [15]. Die Menge von freigesetztem BPA im Speichel ist unmittelbar nach dem Legen einer
Kompositrestauration am größten und beim bis-DMA wesentlich höher als beim bis-GMA.
Nicht nur die Freisetzung einer Substanz ist für deren biologische Wirkung verantwortlich,
sondern auch die Resorption. BPA wird dabei zum einen oral aufgenommen, zum anderen
konnte aber auch an Versuchstieren gezeigt werden, dass im sublingualen Bereich eine
stark erhöhte BPA-Resorption stattfindet [5].
Merke
BPA wird aus zahnärztlichen Werkstoffen freigesetzt und zwar einmal als Rückstand
wie bis-GMA oder Polycarbonat bzw. als Abbauprodukt wie bis-DMA. Die BPA-Menge im
Speichel ist unmittelbar nach dem Legen einer Kompositrestauration am größten und
beim bis-DMA wesentlich höher als beim bis-GMA.
Bewertung der Risiken
Bei der Risikobewertung muss man zunächst berücksichtigen, dass BPA eine lipophile
Substanz ist und im menschlichen Organismus in die konjugierte Form des BPA-Glukuronid
(wasserlöslich und nicht östrogen) umgewandelt wird ([Abb. 3]). Dieses wird schließlich über die Nieren im Urin ausgeschieden [16]. Bei Nagetieren hingegen wird das konjugierte BPA über die Galle in den Darm ausgeschieden,
jedoch dann über den enterohepatischen Kreislauf rückresorbiert. So wird letztlich
bei Nagern die BPA-Konzentration im Blut erhöht [17]. Beim Menschen hingegen ist die Bioverfügbarkeit von oral aufgenommenen BPA vergleichsweise
gering (1 – 10% der aufgenommenen Menge), was bei der Bewertung der Untersuchungen
an Nagetieren zur MIH zu berücksichtigen ist [13].
Abb. 3 Bisphenol A wird über den Gastrointestinaltrakt aufgenommen oder über die Mundschleimhaut
resorbiert. Nachdem das lipophile BPA-Molekül in der Leber mit Glukuronsäure konjugiert
und dadurch inaktiviert wurde, wird es über die Nieren als hydrophiles BPA-Glukuronid
wieder ausgeschieden.
Andererseits scheint die enzymatische Konjugation von BPA bei Neugeborenen reduziert
zu sein, was zu wesentlich höheren BPA-Konzentrationen bei Neugeborenen führt [7]. Insgesamt ist die klinische Bedeutung dieser tierexperimentellen Daten noch nicht
abschließend geklärt.
Die EFSA hat im Jahr 2015 die Verträglichkeit von BPA in einer umfangreichen Stellungnahme
analysiert. Dabei wurde der frühere Grenzwert für die BPA-Verträglichkeit von 50 µg/kg
Körpergewicht auf 4 µg/kg Körpergewicht herabgesetzt [6]. In einer ebenfalls kürzlich erschienenen Bewertung von BPA in Medizinprodukten
hat SCENIHR (Scientific Committee on Emerging and Newly Identified Health Risks) der
EU auch das gesundheitliche Risiko durch Exposition von BPA aus zahnärztlichen Werkstoffen
bewertet. Es wurde eine tägliche Exposition von 140 – 200 ng/kg Körpergewicht bei
Kindern bzw. Erwachsenen nach Kontakt mit zahnärztlichen Materialien (< 24 h) und
2 – 12 ng/kg Körpergewicht bei Langzeitkontakt errechnet. Dort heißt es, dass die
Freisetzung von BPA aus zahnärztlichen Materialien – auch bei bis-DMA – nur ein unerhebliches
Gesundheitsrisiko für den Patienten darstellt [13]. In einer Untersuchung mit Kompositkunststoffen aus den USA durch die American Dental
Association (ADA) konnte gezeigt werden, dass zwar BPA freigesetzt wurde, die gemessenen
Mengen jedoch weit unter dem von der EFSA angegebenen toxikologischen Grenzwert von
4 µg/kg Körpergewicht lagen. Dies gelte auch für Materialien, die bis-DMA enthalten
[18].
Schlussfolgerung
-
Mit Hinweis auf die EFSA, SCENIHR und ADA kann festgehalten werden, dass die Exposition
mit BPA (auch wenn bis-DMA verwendet wird) durch zahnärztliche Kompositkunststoffe
hinsichtlich einer Gesundheitsgefährdung unerheblich ist. Allerdings wird die EFSA
2018 neue Berechnungen zu Grenzwerten anstellen und die Literatur dazu sollte weiterverfolgt
werden.
-
Um die schon geringe Freisetzung von BPA direkt nach dem Legen zu reduzieren, sollte
die oberflächliche Kunststoffschicht von Füllungen und Fissurenversiegelungen, die
bei direktem Kontakt mit Sauerstoff wenig bis überhaupt nicht polymerisiert ist, durch
Politur entfernt werden.
-
Auch wenn die meisten Kompositkunststoffe kein bis-DMA enthalten, kann man bei ängstlichen
Patienten gezielt bis-DMA-freie oder auch bis-GMA-freie Kompositkunststoffe verwenden
([Tab. 1]). Der Zahnarzt sollte jederzeit die Möglichkeit haben, sich über die Zusammensetzung
problemlos informieren zu können.
-
Sicherheitsdatenblätter geben bislang leider nicht immer ausreichend Auskunft über
die Zusammensetzung zahnmedizinischer Werkstoffe. Allerdings wird nach neuesten Regularien
(z. B. ISO-4049, Medizinprodukteverordnung 2017) die Angabe der Zusammensetzung gefordert.
Bestandteile, die mehr als 1% im Material vorhanden sind oder 0,1%, wenn die Substanz
als karzinogen/mutagen/reproduktionstoxisch (CMR) gelistet ist, müssen angegeben werden.
-
In einem kürzlich erschienen Gutachten hat die SCENIHR darauf hingewiesen, dass bei
allen zahnärztlichen Werkstoffen wie auch bei vielen Medikamenten während der Schwangerschaft
besondere Zurückhaltung geboten sei [19]. Dies gelte sowohl für Amalgam (s. u.) als auch für Kompositkunststoffe. Es wird
daher empfohlen, umfangreiche zahnärztliche Restaurationen nach Beendigung der Schwangerschaft
durchzuführen. Für eine Versorgung in der Schwangerschaftsphase stehen konventionelle
Glasionomer-Zemente zur Verfügung.
Tab. 1 Kompositkunststoffe ohne bis-GMA/andere BPA-Verbindungen (bis-DMA, bis-EMA, bis-MPEPP,
PC-bis-GMA), mit UDMA, oder weder BPA-Verbindungen noch UDMA (mod. nach [5]).
Kompositkunststoff
|
Hersteller
|
Anmerkungen
|
Aelite Flo
|
Bisco
|
ohne bis-GMA
|
|
|
Aelite Flo LV
|
Bisco
|
Alert*
|
Jeneric Pentron
|
Quixfil TM
|
Dentsply
|
SDR
|
Dentsply
|
Venus Bulk Fill
|
Heraeus Kulzer
|
Venus Diamond flow
|
Heraeus Kulzer
|
Estelite Flow Quick
|
Tokuyama
|
G-Aenial Anterior
|
GC
|
G-Aenial Flow
|
GC
|
G-Aenial posterior
|
GC
|
G-Aenial Universal Flo
|
GC
|
Kalore
|
GC
|
Aelite LS Packable
|
Bisco
|
ohne bis-GMA oder BPA-Verbindungen mit UDMA
*mit TEGDMA
|
Clearfil Majesty ES Flow*
|
Kuraray
|
Clearfil Majesty Flow*
|
Kuraray
|
Fantasista*
|
Sun Medical
|
Fusio*
|
Jeneric Pentron
|
Gradia Direct (X)
|
GC
|
Gradia Direct Flo*
|
GC
|
Gradia Direct LoFlo*
|
GC
|
Metafil CX*
|
Sun Medical
|
Perfect Feel
|
Itena
|
Perfect Feel Flow*
|
Itena
|
Renamel Microfill (+ superBrite)
|
Cosmedent
|
Tetric*
|
Ivoclar Vivadent
|
Venus Diamond
|
Heraeus Kulzer
|
Venus Pearl
|
Heraeus Kulzer
|
Wave (3 viscosités)
|
Southern Dental
|
Xtrem nano
|
Apol
|
Filtek Silorane
|
3M
|
weder BPA-Verbindungen noch UDMA
|
Nanopartikel – ein Thema für die Zahnmedizin?
Nanopartikel – ein Thema für die Zahnmedizin?
Nanopartikel zeichnen sich durch eine Partikelgröße von 1 – 100 nm aus und kommen
in der Natur z. B. an Sandstränden vor, aber auch in Produkten des täglichen Lebens
wie Kosmetika (TiO2-Partikel in Sonnenschutzcremes), Zahnpasten und Nahrungsergänzungsmittel. Nanopartikel
haben sehr vielversprechende Eigenschaften und ermöglichen die Herstellung neuer,
verbesserter Werkstoffe. Allerdings wurden in der Presse vermehrt Bedenken hinsichtlich
einer möglichen Gesundheitsgefährdung durch solche Partikel („Feinststaub“) geäußert.
Merke
Nanopartikel haben im Verhältnis zum Volumen eine sehr große Oberfläche und sind daher
chemisch sehr reaktiv.
Grund zur Besorgnis?
Mögliche toxische Bestandteile in den Partikeln, z. B. Restmonomere, können wegen
der großen Oberfläche leicht und erhöht ausgelaugt werden. Nach dem Verschlucken können
Nanopartikel im Darm resorbiert werden und in das lymphatische System gelangen. Sie
können in Zellen eindringen und dort zu einer erhöhten Konzentration von Sauerstoff-Radikalen
mit der Konsequenz einer DNA-Schädigung führen.
Nanopartikel können außerdem wegen ihrer Reaktivität leicht mit anderen Stoffen wie
bakteriellen Endotoxinen kontaminiert werden. Vor allem nach Inhalation von Nanopartikeln
kann es zu chronischen Erkrankungen der Lunge kommen, insbesondere bei Patienten mit
Asthma oder chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) [20]. Zusammenhänge zwischen Feinstaubfraktionen und einem erhöhtem Risiko von Lungenkrebs,
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie allergischen Reaktionen (besonders bei Atopikern)
wurden beschrieben [21]. Die Frage ist, ob und inwieweit dies in der Zahnheilkunde eine Rolle spielt.
Nanopartikel in zahnärztlichen Werkstoffen
In der Tat sind Nanopartikel in Füllungswerkstoffen wie Kompositkunststoffen, Zementen
und Abdruckmaterialien enthalten. Sie werden den Werkstoffen z. T. bewusst zugesetzt,
um die Materialeigenschaften zu verbessern (z. B. Polierbarkeit von Kompositkunststoffen).
In vielen zahnärztlichen Materialien kommen Nanopartikel aber auch unbeabsichtigt
als Nebenprodukt vor. Beim Mahlen von Materialien mit dem Ziel, Partikel mit einer
Größe von mehr als 100 nm herzustellen, entstehen unvermeidlich auch Nanopartikel.
Dies macht zwar nur einen kleinen Anteil der Gesamtmasse aus, jedoch ist die Anzahl
der sehr kleinen Partikel wegen ihrer geringen Abmessung im Vergleich zu den größeren
Partikeln hoch. Bei der toxikologischen Beurteilung der Nanopartikel wird auch die
Partikelzahl bewertet [21]. Man geht davon aus, dass Nanopartikel in mehr als 3500 Dentalprodukten enthalten
sind. Außerdem werden die Oberflächen einiger Dentalimplantate mit Nanopartikeln beschichtet,
um ihre Osseointegration zu verbessern. Silber-Nanopartikel werden heute experimentell
in Kunststoffe eingebracht, um eine antimikrobielle Wirkung zu erzielen.
Im zahntechnischen Labor werden Nanopartikel z. B. beim Beschleifen und Polieren von
Metallen, Keramiken oder Kunststoffen sowie beim Abstrahlen oder bei Arbeiten mit
Gips und ähnlichen Produkten freigesetzt.
Merke
Das hauptsächliche Zielorgan von Stäuben und Nanopartikeln sind die Lungen.
In der zahnärztlichen Praxis werden viele Werkstoffe wie Kompositkunststoffe, Zemente
oder Abformmaterialien als Pasten in den Mund eingebracht und erhärten dort innerhalb
von Sekunden oder Minuten entweder chemisch (z. B. Zemente, Abdruckmaterialien) oder
durch Lichtzufuhr (z. B. Kompositkunststoffe). Aufgrund physikalischer Gesetzmäßigkeiten
werden aus den Pasten keine oder nur geringste Mengen an Nanopartikeln freigesetzt,
sodass keine toxikologische Relevanz besteht [21]. Allerdings werden bei der Bearbeitung von Materialien wie dem Einschleifen oder
Ausarbeiten von Restaurationen Stäube frei ([Abb. 4]), die Nanopartikel enthalten [22]. Dies geschieht interessanterweise auch bei Werkstoffen, die per se keine Nanopartikel
beinhalten [23]. Darüber hinaus werden durch Abrieb bzw. Verschleiß von Restaurationsmaterialien
über Jahre hinweg (Nano-)Partikel frei und verschluckt. Auch in der Nachbarschaft
von Titanimplantaten (und sogar in den regionalen Lymphknoten) werden Ti-Nanopartikel
beobachtet. Insgesamt ist deshalb die Frage nach der Gesundheitsgefährdung durch Nanopartikel
in der Zahnheilkunde klinisch und wissenschaftlich durchaus relevant.
Abb. 4 Beim trockenen Bearbeiten und Polieren von Kunststofffüllungen (hier am Modell mit
einem gefüllten Echtzahn gezeigt), wie es von manchen Herstellern empfohlen wird,
entstehen Schleifstäube (s. Pfeilspitzen), die Nanopartikel enthalten und von Patienten
sowie vom Behandlungsteam eingeatmet werden können. Von längerem trockenen Arbeiten
wird jedoch abgeraten (s. auch [Tab. 2]), um die Staubmenge gering zu halten.
Bewertung der Risiken
Im zahntechnischen Labor kann es bei Zahntechnikern ohne entsprechende Sicherheitsvorkehrungen
zu Pneumokoniosen (Staublunge) oder chronischen, fibrösen Lungenerkrankungen kommen
[21].
Merke
Einschlägige Verordnungen über Arbeitsplatz-Schutzmaßnahmen im zahntechnischen Labor
sind unbedingt einzuhalten [24].
In der zahnärztlichen Praxis ist die Lunge ebenfalls das primäre Zielorgan für entstehende
Stäube (< 5 µm und > 0,01 µm). Beim intraoralen Schleifen und Polieren freigesetzte
Nanopartikel können dabei tief in die Lungenalveolen des zahnärztlichen Personals
und der Patienten eindringen [21]. Trotz einer Clearance durch Makrophagen kann es bei einer sehr hohen Konzentration
durchaus zu einer chronischen Entzündung oder einer Lungenfibrose kommen. Neben der
Inhalation von Staub werden Partikel (wahrscheinlich auch im Nanobereich) durch Verschleiß
der Restauration über Jahre hinweg freigesetzt, verschluckt und möglicherweise im
Darm resorbiert.
Bewertung der Risiken
Für beide Szenarien (Inhalation und Verschlucken) wurden sog. Worst-Case-Berechnungen
durchgeführt, bei denen eine größtmögliche Exposition simuliert wurde [21]. Für die Exposition des zahnmedizinischen Personals wurden 10 Füllungen pro Zahnarzt
pro Tag angenommen, bei denen jeweils 1 mm der Oberfläche abgeschliffen wird. Dabei
ergab sich für den Zahnarzt und sein Personal am Behandlungsstuhl eine Exposition
von 20 µg/Person/Tag. Der Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) der Bundesanstalt für Arbeitsschutz
und Arbeitsmedizin (BAuA) geht von einer noch akzeptablen täglichen Einnahme von 1100 – 1900 µg
Nanopartikeln aus [21]. Die Hintergrundbelastung an einem „low pollution day“ beträgt 400 µg/Tag [25].
Merke
Für den Zahnarzt und sein Personal sind bei üblicher intraoraler Bearbeitung von Restaurationsmaterialien
keine gesundheitlichen Probleme durch Nanopartikelstäube zu erwarten.
Für die Exposition der Patienten durch Nanopartikel aus dem Staub wurden 5 gelegte
Füllungen pro Jahr angenommen und dabei betrug die Exposition lediglich 25 ng/Tag.
Hinsichtlich des Verschleißes wurde eine Worst-Case-Exposition des Patienten durch
Verschleiß von 0,2 – 0,4 µg/Tag berechnet, wenn alle Seitenzähne mit Kompositkunststoff
versorgt wären.
Merke
Auch für die Patienten geht keine Gefahr von Nanopartikeln durch zahnärztliche Werkstoffe
in der Mundhöhle aus.
Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, dass es hier nur um die Gefährdung durch die
Partikelform und -größe geht. Andere Faktoren, wie die Auslösung einer allergischen
Reaktion, sind unabhängig davon zu bewerten.
Implantate
Nanopartikel werden von Implantatoberflächen (z. B. bei der Insertion) freigesetzt
und gelangen in die regionären Lymphknoten. Auch hier wurden Berechnungen zur Exposition
angestellt und in Bezug zu Ergebnissen von Zelltoxizitätsstudien gesetzt. Bei Leichen
wurden in implantatangrenzenden Geweben maximale Ti-Konzentrationen von 37 700 µg/kg
gemessen [26]. Nimmt man an, dass alles in Form von Nanopartikeln vorläge (Worst Case), ergäbe
sich eine Konzentration von 37 µg/ml. Die Zelltoxizität (Halbmaximal-Wert/CD50) liegt für Ti-Nanopartikel in humanen Zellen bei 2800 µg/ml [21].
Merke
Nanopartikel von Implantatoberflächen rufen keine klassischen toxischen Reaktionen
in angrenzenden Geweben hervor.
Mögliche Negativeffekte, die auf anderen Mechanismen beruhen und bei Titan-Hüftgelenksprothesen
als Makrophagenreaktion beobachtet wurden, werden heute bei der Periimplantitis dentaler
Implantate diskutiert. Man geht davon aus, dass Ti-Nanopartikel von Makrophagen phagozytiert
werden, dann aber intrazellulär nicht weiter abgebaut werden können. Das führt zu
einer Sekretion von Entzündungsmediatoren durch die Makrophagen und damit zum weiteren
Einwandern von Immunzellen. Bei dentalen Implantaten sind die freigesetzten Mengen
an Ti-Partikeln jedoch wesentlich geringer als bei in sich beweglichen Hüftgelenksprothesen.
Zudem sind die Entzündungsprozesse in den periimplantären Geweben auch auf die bakterielle
Besiedelung der Windungen und Oberflächen zurückzuführen. Insofern wird die Rolle
von Ti-Nanopartikeln als Ko-Faktor der Periimplantitis weiterhin kontrovers diskutiert.
Ein möglicher erhöhter Abrieb durch Lockerung zwischen dentalem Implantat und Abutment
sollte auf jeden Fall vermieden werden.
Silber-Nanopartikel
Silber-Nanopartikel finden sich im Alltag bei Funktionstextilien oder Kosmetika, um
bakterielle Besiedelungen zu verhindern. Auch in zahnärztlichen Werkstoffen werden
sie wegen ihrer antimikrobiellen Wirkung eingesetzt: Wurzelkanal-Sealer, Prothesenbasismaterialien
sowie Restaurationswerkstoffe und verschiedene Adhäsive. Auch Implantate wurden mit
Silber-Nanopartikeln beschichtet [21]. In vielen Fällen handelt es sich allerdings um experimentelle Werkstoffe.
Es wurde zudem über weitere Nachteile von Silber-Nanopartikeln berichtet wie Farbveränderungen
oder die Störung der Polymerisation von Kompositkunststoffen. Letzteres führt zur
erhöhten Freisetzung von Monomeren, wodurch die Gefahr einer allergischen Reaktion
ansteigt [21]. Darüber hinaus sind die antimikrobiellen Eigenschaften von Silber-Nanopartikeln
wegen ihrer vergleichsweise unspezifischen Wirkungsweise mit einer hohen Zelltoxizität
vergesellschaftet. Aus diesen Gründen kann das Risiko von Silber-Nanopartikeln bzw.
von Werkstoffen, die solche Partikel enthalten und freisetzen, heute nicht abschließend
bewertet werden, die Verträglichkeit ist in jedem Einzelfall nachzuweisen [21].
Schlussfolgerungen
-
Nanopartikel kommen in der Umwelt sowie in der Zahnheilkunde vor. Aufgrund ihrer spezifischen
Partikeleigenschaften müssen sie biologisch bewertet werden.
-
In zahntechnischen Labors sind einschlägige gesetzliche Schutzmaßnahmen insbesondere
hinsichtlich der Staubexposition zu beachten.
-
Für die zahnärztliche Praxis haben Berechnungen zur Exposition ergeben, dass sowohl
für den Zahnarzt und das Personal als auch für den Patienten kein erhöhtes Risiko
durch Inhalation oder Verschlucken freigesetzter Nanopartikel besteht. Informationen
für besonders gefährdete Patienten, z. B. mit Asthma oder COPD, fehlen allerdings.
-
Die Exposition durch freigesetzte Nanopartikel aus Ti-Implantatoberflächen liegt weit
unterhalb zelltoxischer Bereiche. Inwieweit freigesetzte Ti-Nanopartikel im Rahmen
der Periimplantitis als Ko-Faktor anzusehen sind, wird derzeit noch diskutiert.
-
Antimikrobielle Silber-Nanopartikel sollten mit Vorsicht eingesetzt werden. Hier ist
in jedem Einzelfall eine eingehende Abwägung möglicher Probleme mit den erwarteten
Vorteilen erforderlich.
-
Um die bereits geringe Exposition noch weiter zu reduzieren, sollten eine Reihe von
Vorsichtsmaßnahmen beachtet werden, die in [Tab. 2] zusammengefasst sind.
Tab. 2 Maßnahmen zur Reduktion der Exposition mit Nanopartikeln in der zahnärztlichen Praxis
[21].
Maßnahme
|
Effekt
|
exaktes Modellieren
|
Reduktion der produzierten Staubmenge
|
ausreichende Wasserkühlung
|
Binden von (Nano-)Partikeln bei der Werkstoffbearbeitung
|
Vakuumabsaugung
|
Entfernung von (Nano-)Partikeln
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Mund-Nasen-Schutz (MNS)
|
Reduktion der Exposition
|
Kapselmaterialien
|
Reduktion der Staubentwicklung beim Anmischen
|
feste Verbindung von Implantat und Abutment
|
Vermeidung von Ti-Abrieb durch gelockerte Verbindung zwischen Implantat und Abutment
|
gute Lüftung der Behandlungsbereiche
|
Reduktion von Nanopartikeln in der Raumluft
|
Minamata-Übereinkommen und seine Folgen
Minamata-Übereinkommen und seine Folgen
Der Begriff „Minamata-Krankheit“ bezieht sich auf einen Vorfall in der japanischen
Hafenstadt Minamata aus den 1950er-Jahren [27]. Dabei wurden vermehrt Patienten mit Schädigungen des Zentralnervensystems beobachtet,
was mit der Ausleitung von toxischen Quecksilberverbindungen (Methylquecksilber) durch
die chemische Industrie in das Meerwasser in Verbindung gebracht werden konnte. Bislang
wurde von über 2000 betroffenen Patienten berichtet, wobei die Dunkelziffer noch weit
höher zu vermuten ist.
Aktivitäten der United Nations Organization (UNO)
Die UNO hat ausgehend von den Erfahrungen in Minamata und anderen Ereignissen mehrfach
internationale Konferenzen mit dem Ziel einberufen, die Quecksilber-Exposition in
der Umwelt zu reduzieren [27]. Federführend dabei war das United Nations Environmental Programme (UNEP). Schließlich
wurde 2013 das sog. Minamata-Übereinkommen verabschiedet. Mittlerweile wurde das Übereinkommen
von mehr als 50 Staaten (darunter auch die EU) ratifiziert und ist somit in Kraft
getreten.
Bedeutung für die Zahnheilkunde
Naturgemäß kam bei diesen Verhandlungen auch das zahnärztliche Amalgam zur Sprache.
Auch wenn der Anteil der durch Amalgam bewirkten Umweltbelastungen im Vergleich mit
anderen Quellen (z. B. Verbrennung fossiler Brennstoffe, Zementherstellung) nur einen
geringen Anteil der weltweiten Quecksilberemission ausmacht, so wurde Amalgam doch
eingehend und kontrovers diskutiert. Schließlich wurde ein eigener Passus (Artikel
4) in das Übereinkommen aufgenommen. Hier wurde eine Reduktion der Anwendung von Amalgam
ohne eine Zeitvorgabe beschlossen. Dieses Phase-down wurde mit einer Reihe von Vorgaben
verknüpft: Verbesserung der Prävention, mehr Forschung zur Entwicklung neuer Werkstoffe,
vermehrte Ausbildung zu Hg-freien Alternativen, Verwendung von Kapselamalgamen und
Installation von Amalgamabscheidern. Dabei ist zu beachten, dass das Minamata-Übereinkommen
für alle Länder gelten soll und damit auch für Gebiete mit geringer zahnmedizinischer
Versorgung.
Im Rahmen der Ratifizierung des Minamata-Übereinkommens durch die EU wurde am 17.05.2017
eine Verordnung erlassen, die die Bestimmungen in europäisches Recht umsetzt [28]. Die Vorgaben durch das Minamata-Übereinkommen hinsichtlich des Amalgams wurden
durch diese Verordnung konkretisiert. Die für die zahnärztliche Praxis wichtigsten
Bestimmungen sind in Artikel 10 der Verordnung enthalten [28]:
-
Ab dem 1. Juli 2018 darf Dentalamalgam nicht mehr für die zahnärztliche Behandlung
von Milchzähnen ([Abb. 5]), von Kindern unter 15 Jahren und von Schwangeren oder Stillenden verwendet werden,
es sei denn, der Zahnarzt erachtet eine solche Behandlung wegen der spezifischen medizinischen
Erfordernisse bei dem jeweiligen Patienten als zwingend notwendig.
-
Ab dem 1. Januar 2019 darf Dentalamalgam nur noch in vordosierter, verkapselter Form
verwendet werden ([Abb. 6]). Die Verwendung von Quecksilber in loser Form durch Zahnärzte ist verboten.
Abb. 5 Restaurationen bzw. Fissurenversiegelungen an Milchzähnen werden i. d. R. aus Kompositkunststoff,
kunststoffhaltigen Werkstoffen (a) oder Glasionomer-Zementen (einflächige Kavitäten) angefertigt. b Das Legen von Amalgamfüllungen an Milchzähnen ist gemäß der EU-Verordnung vom Mai
2017 nur in Ausnahmefällen erlaubt.
Abb. 6 a Während man Amalgatoren mit Quecksilber und einem Legierungspulver befüllen musste
und durch das Mischverhältnis die Konsistenz bzw. die Materialqualität beeinflusste,
werden heutzutage gebrauchsfertige Amalgamkapseln in handelsüblichen Kapselmischern
geschüttelt (b, c). Man erhält dabei stets ein optimales Mischverhältnis und das angemischte Amalgam
ist von gleichbleibender Qualität. Auch der Kontakt zu Quecksilber kann so minimiert
werden.
-
Ab dem 1. Januar 2019 müssen Betreiber zahnmedizinischer Einrichtungen, in denen Dentalamalgam
verwendet bzw. Dentalamalgamfüllungen oder amalgamgefüllte Zähne entfernt werden,
sicherstellen, dass sie mit Amalgamabscheidern zur Rückhaltung und Sammlung von Amalgampartikeln
(auch im Abwasser enthaltenen Partikel) ausgestattet sind. Diese Betreiber müssen
sicherstellen, dass
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Amalgamabscheider, die nach dem 1. Januar 2018 in Betrieb genommen werden, eine Rückhaltequote
von mindestens 95% der Amalgampartikel leisten,
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ab dem 1. Januar 2021 alle in Gebrauch befindlichen Amalgamabscheider die festgelegte
Rückhaltequote leisten. Amalgamabscheider müssen nach den Anweisungen des Herstellers
gewartet werden, damit die höchste praktikable Rückhaltequote erreicht wird.
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Zahnärzte müssen sicherstellen, dass ihr Amalgamabfall (Amalgamrückstände, -partikel,
-füllungen sowie mit Dentalamalgam verunreinigte Zähne oder Teile davon) von einer
zugelassenen Abfallbewirtschaftungsanlage oder einem zugelassenen Abfallbewirtschaftungsunternehmen
behandelt und gesammelt wird. Zahnärzte dürfen derartigen Amalgamabfall unter keinen
Umständen direkt oder indirekt in die Umwelt freisetzen.
Bewertung der neuen Regularien
Die Verwendung von Kapselamalgam wird seit Langem auch von wissenschaftlichen Gesellschaften
empfohlen. Dies ist im Sinne einer hohen, standardisierten Materialqualität auch angezeigt.
Die Einschränkung bei Milchzähnen spielt für die deutschen Zahnärzte und ihre Patienten
aus wissenschaftlicher Sicht wohl keine erhebliche Rolle. Da die Milchzähne in der
Mundhöhle nur zeitlich begrenzt verbleiben, kommt eine mögliche bessere Langlebigkeit
von Amalgam gegenüber quecksilberfreien Alternativen nicht wesentlich zum Tragen,
was auch durch das SCENIHR bestätigt wurde [19]. Als Alternative stehen hier Kompositkunststoffe, Kompomere, kunststoffmodifizierte
oder konventionelle Glasionomer-Zemente zur Verfügung. Letztere sind dabei für einflächige
Restaurationen durchaus geeignet.
Merke
Wichtig ist, dass mit Zustimmung der Erziehungsberechtigten Amalgam verwendet werden
darf, wenn der Zahnarzt dies aus zwingenden medizinischen Gründen für notwendig erachtet.
Die Einschränkung der Verwendung von Amalgam bei Kindern bis zum 15. Lebensjahr ist
sehr formal und wissenschaftlich nicht begründet. Allerdings kann man davon ausgehen,
dass es sich hier in den meisten Fällen um die Versorgung von Primärläsionen handelt,
die verhältnismäßig klein sind. Hier sind alternative Werkstoffe, wie z. B. Kompositkunststoffe
mit Adhäsivtechnik, heute durchaus geeignet (wenn auch techniksensitiver und verarbeitungsaufwendiger).
Auch hier darf der Zahnarzt aus zwingenden medizinischen Gründen Amalgam verwenden.
Bereits SCENIHR hat darauf hingewiesen, dass bei Schwangeren, ähnlich der Medikamentenverabreichung,
generell Zurückhaltung bei jeglicher umfangreichen zahnärztlichen Versorgung geübt
werden sollte [2], [19]. Die Schwangerschaft ist jedoch zeitlich begrenzt. Bei der Versorgung von Zahndefekten
kann beispielsweise ein konventioneller Glasionomer-Zement verwendet werden. Die Einschränkung
bei Stillenden wurde von SCENIHR nicht angegeben [19]. Nach Analyse der vorliegenden Daten wurde gefolgert, dass die vorhandene Evidenz
augenscheinlich keine ausgeprägte Beziehung zwischen Amalgamfüllungen und der Quecksilberkonzentration
in der Muttermilch darlegt. Andere Quellen für Methylquecksilber z. B. durch Fischverzehr
scheinen möglicherweise eine größere Bedeutung zu haben. Auch Autoren, die dem Amalgam
sehr kritisch gegenüberstehen, sahen bei Stillenden keine Gefährdung [19]. In jedem Fall ist aber auch die Stillphase zeitlich begrenzt.
Bestimmungen zu Amalgamseparatoren spielen für deutsche Zahnärzte keine wesentliche
Rolle, da entsprechende Einrichtungen bereits flächendeckend eingeführt sind. Gleiches
gilt für die Entsorgung von Amalgamabfall.
Schlussfolgerungen
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Bei der Umsetzung des Minamata-Übereinkommens in europäisches und damit deutsches
Recht wurden einige Bestimmungen aufgenommen, die ohne Probleme in Deutschland befolgt
werden können. Kapselamalgam und Amalgamseparatoren sind seit vielen Jahren obligat.
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Bei den Einschränkungen der Amalgamverwendung (Milchzähne, Kinder < 15 Jahre, Schwangere
und Stillende) stehen im Einzelfall zur definitiven oder provisorischen Versorgung
Alternativmaterialien zur Verfügung. Es besteht aber auch die Möglichkeit, in medizinisch
zwingenden Fällen Amalgam zu verwenden, wenn die Erziehungsberechtigten und die Patienten
zustimmen.
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Bedauerlicherweise wurde in der EU-Verordnung mit keinem Wort eine verbesserte Prävention
erwähnt oder vermehrte Forschungsaktivitäten zur Entwicklung verbesserter Werkstoffe
gefordert, wie dies im Minamata-Übereinkommen der Fall war.
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Die neuen Regelungen zur Verwendung von zahnärztlichen Restaurationsmaterialien bedeuten
eine Einschränkung der Therapiefreiheit und einen weiteren administrativen Mehraufwand.
Es wird Aufgabe der zahnärztlichen Standesorganisationen sein, geeignete praktische
Rahmenbedingungen mit den Kostenträgern und sonstigen politisch Verantwortlichen zu
vereinbaren.
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Das Minamata-Übereinkommen kann man aber auch als Chance begreifen. Wie oben erwähnt,
wurde zum 1. Mal weltweit gültig festgeschrieben, dass in der Zahnheilkunde ein erhöhter
Forschungsbedarf besteht, um Karies, die immerhin weltweit 2,3 Mrd. Erwachsene und
560 Mio. Kinder betrifft [29], erfolgreich zu vermeiden und falls erforderlich umweltverträglich behandeln zu
können.
Hydraulische Kalzium-Silikat-Zemente – bioaktive Werkstoffe
Hydraulische Kalzium-Silikat-Zemente – bioaktive Werkstoffe
Der Begriff „bioaktiv“ ist zwar nicht neu, wird aber in letzter Zeit vermehrt auch
in Zusammenhang mit zahnmedizinischen Werkstoffen verwendet. Bereits in den 1920er-Jahren
wurde Kalziumhydroxid zur direkten Überkappung der Pulpa von Herrmann beschrieben
und damit das Ziel, die Neubildung von Dentin zu initiieren. Hinzu kamen Werkstoffe
mit antimikrobiellen Eigenschaften, um eine Karies am Rande einer Restauration (Sekundärkaries)
oder eine Pulpaentzündung durch Bakterien am Kavitätenboden zu verhindern. Ähnliche
Ansätze wurden auch bei mikrobieller Infektion der Mundschleimhaut, z. B. durch Candida-Spezies,
verfolgt. Implantatoberflächen werden oftmals als bioaktiv bezeichnet, da sie die
Osseointegration unterstützen können. Zudem wurde versucht, den Implantatoberflächen
antimikrobielle Eigenschaften durch Beschichtung mit Nanopartikeln zu verleihen. Bioaktivität
beschreibt somit die Fähigkeit,
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die Bildung neuen Gewebes spezifisch und vorhersagbar zu stimulieren,
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eine mikrobielle Infektion zu vermeiden und
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die Kombination von beidem.
Hydraulische Kalzium-Silikat-Zemente
Das erste Produkt aus dieser Materialgruppe war MTA (Mineral-Trioxid-Aggregat) [30], das ursprünglich zur retrograden Wurzelkanalfülllung und zum Verschluss endodontischer
Perforationen vorgesehen war. Mittlerweile wurde die Indikation auf die direkte Überkappung,
Pulpotomie, Apexifikation und die Verwendung als Wurzelkanal-Sealer erweitert ([Abb. 7]). In letzter Zeit kamen neue Produkte hinzu, die ebenfalls wasserbasiert sind und
Kalzium-Silikate enthalten, z. B. das Produkt Biodentine (Septodont GmbH, Niederkassel).
Dessen Ausgangssubstanzen basieren jedoch nicht wie bei MTA auf dem Naturprodukt Portland-Zement,
sondern werden chemisch synthetisiert. Für die gesamte Materialklasse hat sich der
Name „Hydraulische Kalzium-Silikat-Zemente“ (HKSZ) eingebürgert.
Abb. 7 a Mineral-Trioxid-Aggregat (hier WMTA) wird homogen mit Wasser auf einem Anmischblock
vermengt und u. a. zur Überkappung der Pulpa, Perforationsdeckung oder Apexifikation
verwendet. b Mit einem MTA-Plug kann an Zähnen mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum eine apikale
Barriere erstellt werden oder c, d der Verschluss weit offener Foramina erfolgen.
MTA wird als graues (GMTA) und als weißes Material (WMTA) angeboten und enthält im
Wesentlichen Di- und Trikalzium-Silikate. WMTA enthält nur 0,5% Eisenverbindungen
im Vergleich zu GMTA, das 5% enthält. MTA wird mit Wasser angemischt und erhärtet
bei Kontakt mit Feuchtigkeit nach 2 – 3 Stunden aus. Biodentine basiert im Wesentlichen
auf Trikalzium-Silikaten. Sie werden ebenfalls mit Wasser angemischt, dem jedoch Zusätze
wie Kalziumchlorid bzw. ein wasserlösliches Polymer beigefügt sind ([Abb. 8]). Dadurch reduziert sich die Abbindezeit auf ca. 12 Minuten. Schließlich wurde auch
ein Material auf den Markt gebracht, das aus einem Gemisch von Portland-Zement und
Methacrylaten (< 50%) besteht (TheraCal, BISCO Dental Products, Schaumburg, IL, USA).
Abb. 8 a Das Pulver des Trikalzium-Silikat-Zements Biodentine (Septodont GmbH, Niederkassel)
wird in der Kapsel mit Anmischflüssigkeit versetzt und im Kapselmischer für 30 Sekunden
geschüttelt. b Dabei entsteht ein visköser Zement, der direkt verwendet oder in eine Applikationskapsel
(Composite-Gun Tubes and Plugs, Kerr GmbH, Biberach) gefüllt und c mithilfe einer Dosierpistole platziert werden kann.
MTA benötigt lange Zeit zum Abbinden (2 – 3 Stunden), wohingegen Biodentine innerhalb
von 12 Minuten erhärten. Bei beiden Werkstoffen wie auch bei ähnlich zusammengesetzten
Produkten wird während der Abbindereaktion Kalziumhydroxid freigesetzt. Im Gegensatz
dazu erhärtet das Methacrylat enthaltende Material in wenigen Sekunden mittels Lichtpolymerisation;
beim Abbindevorgang und danach werden Kalziumionen freigesetzt [31], jedoch kein Kalziumhydroxid [32].
Bioaktivität
Bioaktive Materialien sind nicht nur biokompatibel, sondern initiieren eine gezielte
Reaktion im Kontaktgewebe.
So ist Kalziumhydroxid in gewissem Maße zellschädigend und führt im direkten Kontakt
mit der Pulpa zu einer moderaten Nekrose.
Die Toxizität ist jedoch nur vorübergehend und die Nekrose auf einen definierten Kontaktbereich
mit der Pulpa begrenzt. Durch Umwandlung von Kalziumhydroxid in Kalziumkarbonat verliert
das Material seine kaustische Wirkung. Im Rahmen dieses Geschehens werden durch Kalziumhydroxid
Signalmoleküle freigesetzt (TGF-β1 etc.), die Entzündung löst sich auf und es bildet
sich neues Dentin (meist Osteodentin). Dieses Osteodentin zeigt meist keine tubuläre
Struktur ([Abb. 9]) und enthält Porositäten (Tunneldefekte), die als Zugang für Mikroorganismen dienen
und zum Misserfolg führen können [33].
Abb. 9 a Odontoblasten bilden während der Zahnentwicklung reizunabhängig Dentin mit tubulärer
Struktur. b Bei einer direkten Überkappung der Zahnpulpa mit Kalziumhydroxid-Präparaten bilden
odontoblastenähnliche Zellen Reparaturdentin. Dieses wird aufgrund der knochenähnlichen
Morphologie oft als Osteodentin bezeichnet und weist keine tubulären Elemente auf.
Häufig sind darin Fehlstellen vorhanden, die als Tunneldefekte (s. Pfeilspitzen) bezeichnet
werden und eine mögliche Eintrittspforte für Bakterien darstellen. Daher ist bei einer
direkten Überkappung mit einem Kalziumhydroxid-Präparat ein sofortiger bakteriendichter
Verschluss unabdingbar (Masson-Trichrom-Färbung).
Durch Modifikation der Menge an freigesetztem Kalziumhydroxid und der Kinetik wurde
versucht, diese Toxizität zu reduzieren und den bioaktiven Effekt beizubehalten. So
wurden erhärtende Kalziumhydroxid-Präparate auf Salicylat-Basis (Dycal, Dentsply DeTrey
GmbH, Konstanz; Life, Kerr GmbH, Rastatt) entwickelt. Vielversprechender sind die
Ergebnisse mit hydraulischen Kalzium-Silikat-Zementen. Ihre Biokompatibilität wurde
verschiedentlich in Zellkulturen, nach Implantation in subkutanes Bindegewebe oder
in Knochen von Versuchstieren sowie klinisch und histologisch am Patienten untersucht.
Merke
MTA wird im Allgemeinen als nicht toxisch und nicht mutagen beschrieben [34]. Es weist insbesondere nach dem Anmischen antimikrobielle Eigenschaften auf [35], während manche Studien eine reduzierte Wirksamkeit von Kalziumhydroxid gegenüber
Enterococcus faecalis beschrieben [36].
Die Freisetzung von Spuren von Chrom, Arsen und Blei wurde bei Portland-Zement, gefolgt
von GMTA, WMTA und am wenigsten bei den Trikalzium-Silikat-Materialien (z. B. Biodentine)
gefunden [37]. Nach subkutaner Implantation in Mäusen für 7 und 30 Tage riefen MTA und ein chemisch
synthetisiertes Material (BioAggregate, Innovative BioCeramix Inc., Vancouver, Canada)
Leber- und Nierenentzündungen hervor, jedoch ohne bleibende Schäden [38]. Die klinische Relevanz dieser Daten ist unklar, da die applizierte Dosis um ein
Vielfaches höher war als am Patienten üblich.
MTA und Biodentine bewirkten eine Hochregulation von Genen, die mit der Biomineralisation
oder Gefäßbildung assoziiert sind [39]. Dies ist auch in Zusammenhang mit dem erhöhtem pH-Wert und der Bildung von Kalziumhydroxid
während und nach dem Abbinden zu sehen [37]. Die Bildung von Wurzelzement auf der Oberfläche von MTA wurde in vitro und im Tierversuch
nachgewiesen [40].
Pulpaüberkappung
Im Vergleich von Kalziumhydroxid und MTA nach Applikation auf die eröffnete Pulpa
am Patienten und anschließender histologischer Aufarbeitung wurde bei MTA nach bis
zu 3 Monaten Liegezeit eine kompakte Dentinschicht an der Kontaktfläche gefunden.
Im Gegensatz dazu traten bei dem erhärtenden Kalziumhydroxid-Präparat (Dycal, Dentsply
DeTrey GmbH, Konstanz) wesentlich mehr Tunneldefekte auf [41]. Durch die Verringerung der Tunneldefekte wird die Gefahr einer Infektion der überkappten
Pulpa reduziert (s. o.). In einer weiteren klinischen Studie, die in 16 zahnärztlichen
Praxen durchgeführt wurde, sind ein Kalziumhydroxid-Material (Life, Kerr GmbH, Rastatt)
und MTA (ProRoot MTA, Dentsply DeTrey GmbH, Konstanz) miteinander verglichen worden.
Nach 2 Jahren zeigte sich, dass MTA zu deutlich besseren Ergebnissen (19,7% Misserfolge)
führte als Kalziumhydroxid (31,5% Misserfolge) [42].
Die Pulpareaktionen nach direkter Überkappung mit Biodentine wurden im Tierversuch
mit denjenigen auf MTA und eine Kalziumhydroxid-Suspension verglichen. Alle Materialien
induzierten Mineralisationsherde bereits nach 7 Tagen. Schon 30 Tage nach Applikation
von MTA oder Biodentine wurde eine homogene Dentinbrücke gebildet. Im Gegensatz dazu
wies das neu gebildete Dentin in Kontakt mit dem Kalziumhydroxid 3-mal so viele Poren
auf [43].
In einer klinischen Studie wurde zur direkten Überkappung von 86 asymptomatischen
Zähnen (Pulpaeröffnung im Kariösen) Biodentine verwendet. Nach 1 – 1,5 Jahren zeigte
sich eine Erfolgsrate von 82,6% [44]. Nur das Alter hatte einen signifikanten Einfluss: Bei Patienten unter 40 Jahren
lag die Erfolgsrate bei 90,9%, bei denen darüber nur bei 73,8% [44].
Beim MTA (auch WMTA) kann es zu einer grauen Verfärbung der Zahnkrone kommen ([Abb. 10]), beim geprüften Trikalzium-Silikat-Zement (Biodentine) hingegen nicht [45]. Ursache der Verfärbung der Zähne nach Verwendung von MTA ist eine Reaktion von
Kollagen mit Bismutoxid, das als Röntgen-Opaker bei MTA verwendet wird [46]. Zudem können sich die Verfärbungen bei Kontakt mit Chlorhexidin (CHX) oder Natriumhypochlorit
(NaOCl) verstärken.
Abb. 10 Verfärbung eines vitalen Frontzahns (s. Pfeilspitzen) nach Anwendung von MTA im rahmen
einer Pulpotomie (mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Birger Thonemann).
Pulpotomie an Milchzähnen
Einer Analyse der verfügbaren Literatur (Metaanalyse) aus dem Jahr 2006 beschreibt
für die Milchzahnpulpotomie mit MTA bessere klinische Ergebnisse als mit Formocresol
[47]. In einer klinischen Studie an 88 Milchzähnen lag nach 1 Jahr die Erfolgsrate von
MTA bei 92% (36/39) und von Biodentine bei 97% (38/39) [48].
Apexifikation
Bei der Apexifikation soll ein offenes Foramen apicale bei nekrotischer Pulpa durch
Induktion einer Hartgewebsbarriere verschlossen werden. Diese besteht i. d. R. aus
einer osteozementartigen Substanz. Üblicherweise wurde dazu Kalziumhydroxid verwendet.
Diese Technik wurde als sehr erfolgversprechend beschrieben. Trotzdem hat diese Methode
Nachteile wie z. B. die wiederholte Applikation einer Langzeiteinlage von Kalziumhydroxid.
Hinzu kam eine verringerte Frakturresistenz der behandelten Zähne [49]. Daher wurde Ende der 1990er-Jahre vorgeschlagen, MTA als eine künstliche apikale
Barriere zu verwenden ([Abb. 7]).
In einer klinischen Studie wurde ein MTA-Plug an 20 Zähnen mit einem offenen Foramen
apicale und apikaler Parodontitis appliziert. Nach mindestens 1 Jahr wurden die Patienten
nachuntersucht: 17 von 20 Zähnen zeigten eine apikale Ausheilung und alle Zähne zeigten
einen Rückgang der apikalen Läsion. Alter und Geschlecht hatten keinen Einfluss auf
das Ergebnis [49]. Als Anmerkung sei hinzugefügt, dass derartige Fälle heutzutage auch mittels einer
sog. Revitalisierung behandelt werden können. Dabei wird nach sorgfältiger Desinfektion
des Wurzelkanals eine Einblutung in den Wurzelkanal induziert. Das gebildete Blutkoagulum
wird im oberen Teil des Wurzelkanals mit einem Kollagen-Plug abgedeckt und der Kanal
mit einem hydraulischen Kalzium-Silikat-Zement verschlossen [50].
Methacrylat-Portland-Zement-Präparate
Bei Materialien, die sowohl Portland-Zement als auch Methacrylate enthalten (z. B.
TheraCal), treffen 2 biologisch gegenläufige Effekte aufeinander. Einerseits ist vom
Portland-Zement eine bioaktive Wirkung im Sinne einer Dentinneubildung zu erwarten,
andererseits ist bekannt, dass Methacrylate die Dentinbildung hemmen. Insofern ist
hier besondere Aufmerksamkeit hinsichtlich der Biokompatibilität dieser Werkstoffe
erforderlich. Interessanterweise setzte TheraCal signifikant mehr Kalzium frei als
MTA oder ein Kalziumhydroxid-Zement (Dycal) [31], allerdings weniger als Biodentine [32]. Beim Abbinden von TheraCal wird jedoch nicht das gewünschte Kalziumhydroxid gebildet
und freigesetzt [32].
In Zellkulturversuchen an Pulpazellen führte TheraCal zu einer Reduktion des Zellmetabolismus
und zu einem reduzierten Zellstoffwechsel [51]. In kürzlich erschienenen In-vitro- und Ex-vivo-Studien wurden diese Ergebnisse
bestätigt. Es konnte gezeigt werden, dass Substanzen, die aus TheraCal freigesetzt
werden, im Gegensatz zu Biodentine die Zellproliferation reduzieren. Die Expression
von Mineralisationsmarkern nach TheraCal-Behandlung war geringer als bei Biodentine.
TheraCal induzierte hingegen die Bildung von Entzündungsmediatoren (IL-8) im Gegensatz
zu Biodentine und führte zu einer starken Schädigung der Pulpa [52]. In einer Studie an Primaten mit gesunden Zähnen wurde die Pulpa artifiziell eröffnet,
30 Minuten mit einer gemischten Bakterien-Suspension infiziert und dann 5 Minuten
mit einer Ciprofloxacin/Kortison-Lösung behandelt [53]. Anschließend wurden die Testmaterialien appliziert. Nach 28 Tagen zeigte Portland-Zement
(12/12) eine vollständige Dentinbrücke, gefolgt von TheraCal (11/12). Letzteres rief
die geringste Pulpaentzündung hervor [53].
Zu gänzlich anderen Ergebnissen kommt eine Studie an Hundezähnen nach partieller Pulpotomie:
Nach 4 Wochen zeigte die Dentinbrücke in Kontakt mit TheraCal signifikant mehr Tunneldefekte
als mit MTA. Die Anzahl von Zähnen mit vollständiger Dentinbrücke war bei TheraCal
geringer und die Entzündung ausgeprägter [54]. Schließlich kam auch eine Studie an Patienten nach Anwendung von TheraCal zu negativen
Ergebnissen [55]. Dabei wurden bei Patienten an 27 gesunden Molaren nach partieller Pulpotomie ProRoot
MTA, Biodentine und TheraCal appliziert. Nach 8 Wochen wurden die Zähne extrahiert
und histologisch aufgearbeitet. Dabei wiesen 33,3% (ProRoot MTA), 11,1% (TheraCal)
und 66,7% (Biodentine) der Zähne eine normale Pulpastruktur auf. Die Biodentine-Gruppe
zeigte bei allen Zähnen eine komplette Dentinbrückenbildung, ProRoot MTA bei 56% und
TheraCal nur bei 11%. Insgesamt ergaben nach partieller Pulpotomie Biodentine und
MTA bessere Ergebnisse als TheraCal [55].
Schlussfolgerung
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Kalziumhydroxid-Präparate sind seit vielen Jahren erprobte Materialien zur Pulpaüberkappung
und werden bei offenem Foramen apicale zur Erzeugung einer Hartgewebsbarriere eingesetzt.
Allerdings enthält das neue Dentin Porositäten (Tunneldefekte), die bei undichter
Deckfüllung zur Reinfektion der Pulpa führen können.
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Neue hydraulische Kalzium-Silikat-Zemente (sowohl basierend auf Portland-Zement als
auch auf chemisch synthetisiertem Trikalzium-Silikat) setzen beim Abbinden Kalziumhydroxid
frei.
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Sowohl im Labor als auch am Patienten hat sich gezeigt, dass diese Werkstoffe erfolgreich
zur direkten Überkappung, zum Verschluss von Perforationen oder eines offenen Foramen
apicale, zur Pulpotomie und als Sealer bei der Wurzelkanalfüllung eingesetzt werden
können. Dabei scheinen sie den Kalziumhydroxid-Präparaten sogar überlegen zu sein.
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Gemische aus Portland-Zement und Methacrylat-Monomeren sind im Augenblick zurückhaltend
zu beurteilen. Zwar bildeten sich im Primatenversuch Dentinbrücken aus, jedoch waren
die Ergebnisse in weiteren klinischen Studien wesentlich schlechter als mit reinen
hydraulischen Kalzium-Silikat-Zementen. In älteren Studien an Primaten wurde auch
über gute Ergebnisse nach Überkappung mit Kompositkunststoffen/Adhäsiven berichtet,
die letztlich am Patienten nicht bestätigt werden konnten [56].
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Gerade bei der Regeneration von Geweben wie der Zahnpulpa werden künftig bioaktive
bzw. bioaktivierte synthetische oder natürliche Materialien eine wichtige Rolle spielen
[57], [58].
Kernaussagen
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Die Biokompatibilität zahnärztlicher Werkstoffe steht kontinuierlich in der Diskussion.
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BPA kommt in Kunststoffen des täglichen Lebens vor und hat eine östrogenähnliche Wirkung.
Geringe Mengen werden aus bis-GMA- und bis-DMA-haltigen Kompositkunststoffen freigesetzt.
Umfangreiche internationale Evaluationen haben jedoch ergeben, dass die Konzentrationen
gering sind und das gesundheitliche Risiko unerheblich ist.
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Auch bis-GMA/bis-DMA-freie Kompositkunststoffe sind verfügbar.
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Nanopartikel sind allgegenwärtig in Umwelt und Alltagsprodukten.
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Beim intraoralen Beschleifen bzw. Polieren entstehen Stäube, die ebenso Nanopartikel
enthalten. Auch hier sind die anfallenden Mengen weit unterhalb von Grenzwerten und
können durch praktische Maßnahmen reduziert werden.
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Im Minamata-Übereinkommen wurde aus Umweltüberlegungen ein Phase-down der Amalgamverwendung
vereinbart. Dies bedeutet, dass künftig Kapselamalgame verwendet und Amalgamabscheider
installiert werden müssen.
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Bei Milchzähnen, Kindern unter 15 Jahren, Schwangeren und Stillenden ist Amalgam nur
noch bei strenger medizinischer Indikation zu verwenden.
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Hydraulische Kalzium-Silikat-Zemente, die entweder auf Portland-Zement oder auf chemisch
synthetisiertem Trikalzium-Silikat basieren, zeichnen sich durch ihre Bioaktivität
aus.
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Die Biokompatibilität und Bioaktivität sind dabei gleich oder sogar besser als bei
klassischem Kalziumhydroxid. Daher sind diese zur Vitalerhaltung, Perforationsdeckung
oder als Wurzelkanalsealer geeignet.
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Über Gemische aus Portland-Zement mit Methacrylaten werden widersprüchliche Ergebnisse
hinsichtlich ihrer Verträglichkeit und Bioaktivität berichtet.
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag
ist Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Gottfried Schmalz, Regensburg.