Bedeutung in der Praxis
Die sportliche Betätigung mit Hunden erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Auch in den letzten Jahren hat sich der von Neumann [1] bis 2011 beschriebene Trend fortgesetzt, dass immer mehr Teams an Hundesportveranstaltungen
des VDH teilnehmen. So stieg die Teilnehmerzahl insgesamt von 270 099 im Jahr 2011
auf 355 387 im Jahr 2016. Dabei waren in beiden Jahren die Teilnehmerzahlen in der
Sportart Agility am höchsten (Stand Januar 2018 [2], [Tab. 1]).
Tab. 1 Teilnehmerzahlen im Hundesport (VDH) im Vergleich der Jahre 2011 und 2016.
Sportart
|
Teilnehmer 2011
|
Teilnehmer 2016
|
* neu seit dem Jahr 2012
|
Gebrauchshundsport (VPG)
|
38 423
|
27 170
|
Agility
|
169 315
|
256 909
|
Turnierhundsport (THS)
|
33 996
|
31 067
|
Obedience
|
7 807
|
6 611
|
Rally-Obedience* (RO)
|
–
|
15 780
|
Wasserarbeit*
|
–
|
177
|
Rettungshundsport*
|
–
|
603
|
Begleithundprüfung (BH)
|
20 558
|
17 070
|
Summe
|
270 099
|
355 387
|
In der sportmedizinischen Praxis wird dabei, vor allem im Leistungssport, die Mehrzahl der Patienten mit relativ dezenten Beschwerden vorgestellt. Diese erfüllen oftmals nicht die Definition einer Lahmheit, sondern
äußern sich nur in leichtgradigen Bewegungsabweichungen und Gangbildveränderungen, welche aber unter Wettkampfbedingungen entscheidend für den Erfolg eines Teams sein
können. Insbesondere in schnellen Sportarten wie Agility und Flyball trifft dies zu,
aber auch im Obedience und in der Unterordnung als Teildisziplin anderer Sportarten,
wo ein exaktes Arbeiten des Hundes erforderlich ist und bereits kleine Nachstellschritte
bei Bewegungstransfers sowie Haltungsasymmetrien in den Sitz-, Platz- und Stehübungen
zu einem Punktabzug führen.
Häufig spielen bei solchen Problemen Dysfunktionen von Wirbelsäulen- und Gliedmaßengelenken eine Rolle. Nach Erfahrung der Autorin sind dabei insbesondere auch Dysfunktionen der Iliosakralgelenke von Bedeutung.
Obwohl einzelne Untersuchungen Beweglichkeit und Funktion der Iliosakralgelenke beim Kleintier dokumentieren, wird deren Rolle in Bezug auf die Gesamtbewegung, aber auch im Hinblick auf pathologische Prozesse kontrovers diskutiert. Gregory
et al. [3] beschreiben die Iliosakralgelenke beim Hund als Gelenke mit einem sehr geringen Bewegungsumfang von maximal 7°. Sakamoto et al. [4] konnten in den Iliosakralgelenken der Katze mechanosensitive und nozizeptive Rezeptoreinheiten nachweisen, die den Rückschluss zulassen, dass das Zentralnervensystem propriozeptive Informationen aus den Iliosakralgelenken erhält. Diese kommen ebenfalls als Ursache für Schmerzen im Bereich der Beckenregion infrage. In jüngeren Untersuchungen dokumentierten Saunders
et al. [5] mittels Computertomografie an 10 Deutschen Schäferhunden und 12 Greyhounds die Position
des Beckens in Relation zum Sakrum mit den Hintergliedmaßen jeweils in neutraler,
gebeugter und gestreckter Position. Dabei konnten sie ein signifikant größeres Bewegungsausmaß in den Iliosakralgelenken beim Deutschen Schäferhund im Vergleich zum Greyhound nachweisen. Birch und Lesniak [6] zeigten, dass sich beim Sprung über unterschiedlich hohe Hürden in der Absprungphase insbesondere die Gelenkwinkel der Tarsal- und der Iliosakralgelenke signifikant verändern, je nachdem, ob der Hund über eine in Relation zur eigenen Widerristhöhe niedrige
oder hohe Hürde springt. Die Ergebnisse dieser letztgenannten Untersuchung unterstreichen
die Bedeutung der Iliosakralgelenke beim Hund im Sprung und somit für die meisten Hundesportarten.
Bislang findet die Untersuchung der Iliosakralgelenke in der Literatur zur Lahmheitsdiagnostik
beim Hund dennoch wenig Beachtung. Die Erkrankungen, die im Bereich der Iliosakralgelenke
Erwähnung finden, beschränken sich auf massive Zusammenhangstrennungen wie Frakturen
oder Luxationen [7], [8].
Sportphysiotherapie oder Sportmedizin?
Die Sportphysiotherapie ist ein Teilgebiet der Physiotherapie. Ihr Ziel ist es, die Gesundheit zu fördern
und zur Gesunderhaltung durch sportliche Aktivität beizutragen.
Die Sportphysiotherapie umfasst:
Die Sportmedizin verfolgt prinzipiell dieselben Ziele wie die Sportphysiotherapie, ist per definitionem
jedoch Medizinern vorbehalten. Dementsprechend umfasst sie weitere Teilbereiche wie
beispielsweise bildgebende Diagnostik, chirurgische Orthopädie, Kardiologie und Fütterung.
Untersuchungsablauf
Auch im Bereich der sportmedizinischen Untersuchung stellen die klinische Allgemeinuntersuchung
sowie die Lahmheits- und ggf. neurologische Untersuchung die Basis der Diagnostik
dar. Sie reichen aber in der Regel nicht aus, um die Problemursache exakt zu identifizieren
und eine geeignete Behandlung einzuleiten. Hierbei bedarf es speziell geschulter palpatorischer Fähigkeiten.
Signalement
Die Untersuchung beginnt mit der Erhebung des Signalements. Hierbei sind Prädispositionen der häufig im Hundesport geführten Rassen zu berücksichtigen.
Im Vielseitigkeitssport sind dies die klassischen Gebrauchshundrassen:
-
Deutscher Schäferhund
-
Boxer
-
Dobermann
-
Rottweiler
-
Hovawart
-
Riesenschnauzer
-
Airedale Terrier
-
Malinois
-
Bouvier
Im Agility, Flyball und Obedience dominieren:
Neben der jeweils betriebenen Sportart muss die Trainingshäufigkeit und -intensität abgefragt und geklärt werden, ob und auf welchem Niveau der Hund auf Wettkämpfen startet.
Vorbericht
Der Vorbericht beginnt mit der Problemvorstellung des Besitzers. Insbesondere im Leistungsbereich können die Halter oftmals Trainings- und Wettkampfvideos mitbringen, auf denen das Problem sichtbar ist. Darüber hinaus muss geklärt werden,
seit wann das Problem besteht und ob es sich um ein Rezidiv handelt bzw. ob bereits zuvor andere Auffälligkeiten im Bewegungsbild auftraten.
Auch die bisher stattgefundene Diagnostik (z. B. HD-/ED-/OCD-Röntgen) und Therapie muss erfragt werden. Viele Hundesportler besitzen eine „Notfallapotheke“ mit diversen
Präparaten, die sie oft ohne Rücksprache mit einem Tierarzt einsetzen. Darüber hinaus
lassen viele Sportler ihre Hunde nicht nur vom Haustierarzt, sondern von weiteren
Behandlern wie Tierphysiotherapeuten und Tierheilpraktikern betreuen. Hier gilt es,
die jeweilige Qualifikation und die stattgefundenen Behandlungen zu er- bzw. hinterfragen.
Klinische Allgemeinuntersuchung
Die klinische Allgemeinuntersuchung dient in erster Linie dem Ausschluss von Allgemeinerkrankungen. Gegebenenfalls schließen sich weiterführende Untersuchungen wie Blutuntersuchungen,
Echokardiografie oder Augenuntersuchungen an. Auch die Erfassung des Ernährungszustands ist Teil der Allgemeinuntersuchung. Ein Hund in Sportkondition sollte schlanker sein
als ein Familienhund und eher einen Body Condition Score (BCS) von 3 – 4 von 9 bzw.
2 – 3 von 5 haben.
Lahmheitsuntersuchung
Körperbau und Haltung
Die Lahmheitsuntersuchung beginnt mit der Betrachtung von Körperbau und Haltung des
Hundes. Im Zusammenhang mit der jeweils betriebenen Sportart können sich hieraus unter
Umständen bereits Probleme ergeben. So ist beispielsweise eine steile Gelenkwinkelung,
insbesondere im Bereich von Schulter- und Kniegelenken ungünstig für alle Sprungsportarten.
Gangbildbetrachtung
Lahmheit
Die Gangbildbetrachtung sollte immer mindestens in den Gangarten Schritt und Trab
erfolgen. Dabei muss der Hund in jeder Gangart von vorne, von hinten und von der Seite
betrachtet werden. Der Fokus liegt dann zunächst auf der Fragestellung, ob eine Lahmheit
vorliegt.
Ist dies der Fall, muss …
-
die betroffene Gliedmaße identifiziert,
-
die Art (Stützbein- oder Hangbeinlahmheit) und
-
der Grad der Lahmheit festgestellt werden.
Liegt eine echte Lahmheit vor, ist die Ursache meist im Bereich der klassischen orthopädischen
Erkrankungen zu suchen.
Merke
Liegt eine Lahmheit vor, ist eine weitere diagnostische Abklärung über bildgebende
Verfahren notwendig.
Bewegungsabweichung
Liegt keine Lahmheit vor, muss auf weitere Bewegungsabweichungen geachtet werden,
die häufig hinweisend auf funktionelle Beschwerden wie Gelenkdysfunktionen, aber auch myofasziale Dysbalancen sind.
Kasper und Zohmann [9] zählen zu solchen Gangbildveränderungen u. a.:
Vor allem ein diagonales Gangbild ([Abb. 1]), bei dem die Hinterpfoten nicht in die Spur der Vorderpfoten, sondern seitlich
versetzt auffußen sowie der LSÜ-Twist können nach Erfahrung der Autorin hinweisend auf iliosakrale Dysfunktionen sein.
Abb. 1 Wenn die Hinterpfoten seitlich versetzt neben die Vorderpfoten gesetzt werden, kann
dies ein Hinweis auf eine iliosakrale Gelenkdysfunktion sein. Der 9-jährige Border
Collie Rüde auf dem Foto setzt die Hinterhand rechts seitlich versetzt neben die Spur
der Vorderhand.(© Silke Meermann)
Bei Sporthunden sollte immer auch eine Überprüfung der Transfers zwischen den einzelnen Positionen Sitz, Platz und Steh erfolgen. Diese stellen eine
Teilaufgabe in vielen Sportarten dar. Asymmetrische Haltungen (schiefes Sitzen, [Abb. 2]; Wegkippen im Platz, [Abb. 3]) sowie das Nachstellen einer Pfote bei der Stehübung ([Abb. 4]) führen beispielsweise im Obedience zum Punktabzug. Arbeitet der Hund in den Bewegungsübergängen vermehrt mit nur einer Hintergliedmaße, kann auch dies nach Erfahrung der Autorin
ein weiterer Hinweis auf eine mögliche Dysfunktion des kontralateralen Iliosakralgelenks sein.
Abb. 2 Hund aus [Abb. 1], einmal in (a) gerader und einmal in (b) schiefer Sitzposition, bei der das linke Hinterbein seitlich ausgedreht wird.(©
Silke Meermann)
Abb. 3 Hund aus [Abb. 1], einmal in (a) gerader Platzposition und einmal mit (b) seitlich nach rechts weggekippter hinterer Körperhälfte.(© Silke Meermann)
Abb. 4 Hund aus [Abb. 1], einmal in (a) gerader Stehposition mit den Hinterpfoten auf gleicher Höhe und einmal mit (b) nach hinten ausgestellter rechter Hinterpfote.(© Silke Meermann)
Überprüfung der Druck- und Triggerpunkte
In der Praxis hat es sich bewährt im nächsten Schritt durch eine Überprüfung der Druck-
und Triggerpunkte festzustellen, ob der Patient Schmerzen hat und wenn ja, wie intensiv
diese sind und welche Gelenke bzw. Muskelgruppen betroffen sind.
Kasper und Zohmann [9] …
-
geben eine detaillierte Beschreibung dieses Untersuchungsschritts,
-
testen dabei die Akupunkturpunkte MA31, MA32, MA36, BL40, DI10, DI11, DÜ09 und 3E12
sowie
-
die Druckpunkte des Blasenmeridians paravertebral der Wirbelsäule.
Insbesondere Empfindlichkeiten auf MA31 geben dabei nicht nur Aufschluss über das Hüftgelenk selber, sondern auch über den
Ursprungsbereich von M. sartorius und M. rectus femoris des M. quadriceps. Dies kann
nach Erfahrung der Autorin wiederum ein indirekter Hinweis auf eine iliosakrale Dysfunktion sein. In der Praxis hat sich gezeigt, dass der zusätzliche Test der Reaktion des Hundes auf eine leichte Berührung der Beckenkämme (Spina iliaca dorsalis cranialis) mit den Daumen weitere Hinweise auf solche Dysfunktionen
liefern kann. Diese Punkte liegen auf der oberflächlichen Rückenlinie [10].
Beurteilung der Muskulatur
Nach der Überprüfung der Druck- und Triggerpunkte schließt sich die Beurteilung der
Muskulatur an.
Dabei werden folgende Aspekte überprüft:
Beim Sporthund ist die Beurteilung der Schultereigenmuskulatur, der Rumpf- und der
Oberschenkelmuskulatur von besonderer Bedeutung.
Neurologische Untersuchung
Nach der Beurteilung der Muskulatur erfolgt eine – eventuell verkürzte – neurologische
Untersuchung, die dem Ausschluss schwerwiegender neurologischer Probleme dient.
Merke
Die Überprüfung der Haltungs- und Stellreaktionen sowie der spinalen Reflexe sind
bei der neurologischen Untersuchung von Bedeutung.
Palpation und Gelenkfunktionsprüfung
Im nächsten Schritt erfolgen die spezielle Palpation der Gliedmaßen sowie die Gelenkfunktionsprüfung
im Bereich der Wirbelsäule. Die Untersuchung der Gliedmaßengelenke wird in der aktuellen Literatur zur Lahmheitsuntersuchung detailliert beschrieben
[7], [8]. Die Palpation der Wirbelsäulengelenke ist essenzieller Bestandteil der Manuellen Therapie [11] sowie der Chiropraktik und der Osteopathie [12], [13].
Die Iliosakralgelenke stellen die Verbindung zwischen Hintergliedmaßen und Wirbelsäule dar [3], [14]. Saunders et al. vermuten anhand der von ihnen durchgeführten computertomografischen
Untersuchungen, dass durch den geringen Bewegungsumfang der Iliosakralgelenke ihre
Funktion darin besteht, hochfrequente Vibrationen während der Bewegung abzupuffern
[4].
Um die Funktion der Iliosakralgelenke zu testen, stehen verschiedene Methoden zur
Verfügung:
Abb. 5 Der Vorlauftest bei einem 9-jährigen Border Collie Rüden von der Seite und von oben
aus. Position 1 (a + b): Der Untersucher legt beide Daumen locker auf die Beckenkämme des Hundes auf. Der
Kopf befindet sich in physiologischer Haltung. Position 2 (c + d): Der Tierhalter bewegt den Kopf des Hundes mit der Nase auf das Sternum zu, sodass
die gesamte Wirbelsäule eine Ventralflexion ausführt. Liegt eine iliosakrale Gelenkdysfunktion
vor, wird der gleichseitige Daumen des Untersuchers dabei mit nach kranial gezogen.(©
Silke Meermann)
Abb. 6 Der Vorlauftest am Beispiel eines Rhodesian Ridgeback Rüden, 10 Jahre. Der Untersucher legt beide Daumen locker auf die Beckenkämme auf. Bei diesem Hund
erscheint dabei der linke Daumen geringfügig weiter kranial (Position 1, a). Der Besitzer bewegt den Kopf des Hundes nach unten, sodass die Wirbelsäule in Flexion
geht, dabei bleiben die Daumen auf den Beckenkämmen bzw. folgen diesen bei einer eventuellen
Bewegung nach kranial (Position 2, b). Der rechte Daumen wird deutlich nach kranial „gezogen“, was auf eine rechtsseitige
iliosakrale Dysfunktion hindeutet.(© Silke Meermann)
Insbesondere für den weniger geübten Untersucher bietet der Vorlauftest [12] eine gute Möglichkeit, einseitige iliosakrale Dysfunktionen zu diagnostizieren.
Iliosakrale Dysfunktionen beim Menschen
Iliosakrale Dysfunktionen sind sowohl beim Hund als auch beim Menschen sehr häufig.
Die Nachvollziehbarkeit des Vorlauftests ist beim Menschen aufgrund der unbehaarten
Haut und der unmittelbaren Umsetzung der Flexion der Wirbelsäule ohne Hilfsperson
aber wesentlich besser bzw. einfacher.
Es empfiehlt sich, den Vorlauftest zunächst am Menschen nachzuvollziehen, bevor man
ihn beim Hund ausführt.
Abb. 7 Der Vorlauftest beim Menschen: a Die Daumen des Untersuchers liegen locker auf den Beckenkämmen (Spina iliaca dorsalis
cranialis) auf (Position 1). b Die Patientin beugt sich nach vorne. Die Daumen bleiben dabei auf den Beckenkämmen
bzw. folgen diesen bei einer eventuellen Bewegung nach kranial (Position 2). Bei dieser
Patientin wird der linke Daumen sehr deutlich nach kranial „gezogen“, was auf eine
linksseitige iliosakrale Dysfunktion hindeutet. c Beim Menschen ermöglicht es die unbehaarte Haut, dieses Phänomen durch das Anzeichnen
von Punkten oberhalb der Beckenkämme zu verdeutlichen. Die Patientin steht aufrecht
und die Beckenkämme (Spina iliaca dorsalis cranialis) wurden mit Punkten markiert.
d Die Patientin beugt sich vor (Flexion der Wirbelsäule nach ventral) und der linksseitige
Punkt „läuft“ deutlich mit nach kranial.(© Silke Meermann)
Vorlauftest
Beim Vorlauftest wird der stehende Hund möglichst gerade positioniert. Der Untersucher
legt beide Daumen auf den höchsten Punkt der Beckenkämme (Spina iliaca). Nun bewegt
der Halter den Kopf des Hundes mit der Nase in Richtung des Sternums, sodass die Wirbelsäule
in eine Ventralflexion gebracht wird. Sind die Iliosakralgelenke frei beweglich, verändert
sich die Position der Daumen nicht. Bei einer einseitigen Dysfunktion bewegt sich
jedoch der gleichseitige Beckenkamm nach kranial und der dort befindliche Daumen wird
mit nach vorne gezogen.
Konsequenzen der Untersuchung
In vielen Fällen kann nach erfolgter Untersuchung bereits eine Diagnose gestellt werden. Dabei weist die Mehrzahl der Patienten meist mehrere Befunde bzw. funktionelle Diagnosen auf, sodass diese oftmals mit einer Problemliste gleichgesetzt werden können.
Eine Problemliste kann beispielsweise wie folgt aussehen:
-
Gangbild: Diagonallaufen mit nach rechts versetzter Hinterhand
-
Transfers: Nachsetzen der rechten Hintergliedmaße bei Positionswechseln, im Stand
Gewichtsentlastung hinten rechts
-
Triggerpunktuntersuchung: ggr. Empfindlichkeit der Beckenkämme beiderseits, Triggerpunkt
im M. triceps links
-
Gelenkfunktionsprüfung: Dysfunktion des Iliosakralgelenks rechts, Wirbelgelenkdysfunktionen
in der Lenden- und Brustwirbelsäule
Weiterführende Diagnostik
In manchen Fällen kann nach der klinisch-manuellen Untersuchung nur eine Verdachtsdiagnose
geäußert werden, die dann weiter abgeklärt werden muss. Dabei kommen meist bildgebende
Verfahren wie Röntgen-, CT- oder MRT-Untersuchungen sowie muskuloskelettale Ultraschalluntersuchungen zum Einsatz. Diese sind auch im
Hinblick auf die Prognose von Bedeutung, da funktionelle von strukturellen Problemen
unterschieden werden können. Beim Vorliegen struktureller Veränderungen ist die Prognose hinsichtlich einer Rückkehr in den Sport auf Leistungsniveau in
der Regel schlechter als bei rein funktionellen Beschwerden.
Formulierung der Therapieziele
Anhand der Diagnose bzw. der Problemliste müssen im nächsten Schritt die Therapieziele
formuliert werden.
Diese umfassen verschiedene Aspekte wie beispielsweise:
-
Schmerzreduktion
-
Verbesserung der Beweglichkeit
-
Steigerung der Ausdauer
-
Steigerung der Muskelkraft
-
Verbesserung der Koordination
-
Steigerung der Schnelligkeit
Erstellung eines Therapieplans
Der Therapieplan legt dar, wie die zuvor formulierten Therapieziele erreicht werden
sollen.
Er kann verschiedene, im Folgenden beispielhaft aufgeführte Maßnahmen beinhalten:
-
medikamentöse (Schmerz-)Therapie
-
Behandlung von Gelenkdysfunktionen
-
physiotherapeutische Maßnahmen:
-
Anwendungen in der Praxis und/oder Maßnahmen, die vom Besitzer zu Hause umgesetzt
werden
-
manuelle und/oder physikalische Therapieformen
-
aktive und/oder passive Bewegungsübungen
-
weitere Optionen (z. B. Akupunktur)
-
Management-Veränderungen (z. B. Gewichtsreduktion, Futterumstellung)
-
Modifikation des sportlichen Trainings
Die Therapie erfordert oftmals eine manuelle Mobilisation bzw. Manipulation der betroffenen Gelenke. Letztendlich sind für die Erstellung eines Therapieplans
sowie für die Einschätzung der Prognose hinsichtlich einer weiteren Nutzung im Sport
genaue Kenntnisse der einzelnen Sportarten und ihrer spezifischen Belastungsmomente erforderlich.
Doping-Richtlinien
Ist eine medikamentöse Schmerztherapie notwendig, müssen bei Sporthunden, die auf
Wettkämpfen geführt werden, die Vorgaben der jeweiligen Doping-Richtlinien der entsprechenden
Verbände beachtet werden [14].
Weitere Abklärung und Therapie
Eine weitere diagnostische Abklärung kann eine Überweisung in eine spezialisierte
Praxis oder Klinik erforderlich machen. Eine Überweisung in eine spezialisierte Praxis
kann aber auch notwendig sein, wenn es Hinweise auf bestehende Gelenkdysfunktionen
oder muskuläre Dysbalancen gibt und diese in der eigenen Praxis nicht adäquat behandelt
werden können. Probleme dieser Art können beispielsweise manualtherapeutisch, aber auch chiropraktisch oder osteopathisch behandelt werden.
Modifikation des sportlichen Trainings
Um das eigentliche Training in der Sportart sinnvoll an die jeweilige Problemstellung
anpassen zu können, sind nicht nur Kenntnisse über die physiologischen Wundheilungsprozesse, sondern auch Kenntnisse der verschiedenen Hundesportarten und der jeweiligen spezifischen Belastungen erforderlich.
Merke
Die Kommunikation über die Anpassungen muss zwischen Tierarzt und Hundesportler erfolgen,
aber auch den Trainer miteinbeziehen.
Einschätzung der Prognose für die weitere sportliche Nutzung
Wird ein Hund im Sport geführt, ist es nach einer Verletzung für dessen Besitzer wichtig,
ob mit einer vollständigen Ausheilung gerechnet werden kann, die eine Rückkehr in die zuvor ausgeübte Sportart und auf das vorangegangene Leistungsniveau erlaubt. Wenn das Team auf die Teilnahme an einem bestimmten Wettkampf hintrainiert,
ist auch der Zeitrahmen, in dem eine Rehabilitation realistisch ist, von Bedeutung. Hier müssen unbedingt
die Ausheilungszeiten für die von einer Verletzung betroffenen Gewebe berücksichtigt
werden ([Tab. 2]).
Tab. 2 Ausheilungszeiten verschiedener Gewebe (Dauer der Proliferationsphase; aus: Meermann
und Gräff [16]).
Gewebeart
|
Dauer der Proliferationsphase
|
Muskelgewebe
|
5. – 21. Tag
|
Kapsel-Band-Apparat
|
5. Tag – 6 Wochen
|
Meniskus
|
5. Tag – 10 Wochen
|
Sehnenverletzungen/ Hüllstrukturen
|
5. Tag – 12 Wochen
|
Rein funktionelle Beschwerden wie Muskeldysbalancen und Gelenkdysfunktionen lassen
sich in der Regel einfacher dauerhaft behandeln und sind somit prognostisch günstiger
einzustufen als Fälle, in denen bereits strukturelle Läsionen nachweisbar sind (z. B.
Verkalkung bei Bizeps-Ursprungstendopathie, Gonarthrose nach TPLO aufgrund von Kreuzbandriss).
Die langjährige Praxiserfahrung hat gezeigt, dass beim Vorliegen struktureller Schäden
eine Rückkehr in eine sog. High-Impact-Sportart (z. B. Agility, Flyball) in den meisten
Fällen nicht möglich bzw. nicht sinnvoll ist.
Bedeutung von iliosakralen Bewegungseinschränkungen bei Sporthunden
Die Iliosakralgelenke stellen die Verbindung zwischen den Beckengliedmaßen und der
Wirbelsäule dar [3], [14]. Ihr Bewegungsspielraum ist dabei relativ klein, sodass sie eher wie eine Art Stoßdämpfer
in der Impulsübertragung wirken [3], [4]. Birch und Lesniak [6] zeigten die Bedeutung der Iliosakralgelenke für die Absprungphase bei Hunden im
Agility. Die Iliosakralgelenke sind häufig von Bewegungseinschränkungen, sog. Dysfunktionen,
betroffen und können dann ihre Funktion nur eingeschränkt erfüllen. Die Erfahrung
der Autorin zeigt, dass iliosakrale Gelenkdysfunktionen zu Problemen in allen Sprungsportarten,
aber auch im Obedience und in der Unterordnung führen können, wo solche Dysfunktionen
häufig Ursache unerwünschter Nachstellschritte bei der Distanzkontrolle sind.
Im Humanbereich belegen Studien die Wiederholbarkeit und Vergleichbarkeit verschiedener
Tests zur Feststellung iliosakraler Pathologien [17]. Bislang fehlen jedoch ähnliche Untersuchungen beim Hund. Aus Erfahrung der Autorin
eignet sich der sogenannte Vorlauftest als einfache Testmöglichkeit für das Vorliegen einseitiger Bewegungseinschränkungen
im Bereich der Iliosakralgelenke beim Hund. Eine positive Reaktion bei Berührung der Beckenkämme kann ebenfalls hinweisend
auf solche Dysfunktionen sein. Werden beim Sporthund iliosakrale Dysfunktionen festgestellt,
sollten diese unbedingt behandelt werden. Unter Umständen kann dafür eine Überweisung
in eine spezialisierte Praxis zur manualtherapeutischen, osteopathischen oder chiropraktischen
Behandlung notwendig sein.
Fazit
Die Untersuchung und Behandlung von Sporthunden erfordert genaue Kenntnisse der verschiedenen
Hundesportarten und ihrer Reglements sowie der sich daraus ergebenden spezifischen
Belastungsmomente für den Hund. Oftmals werden dabei Patienten mit nur sehr dezenten
Bewegungsabweichungen vorgestellt, deren Ursache häufig nicht klassisch orthopädische
Erkrankungen, sondern Gelenkdysfunktionen und muskuläre Dysbalancen sind. Bei der
Behandlung solcher Probleme können verschiedene physiotherapeutische Anwendungen,
aber auch manualtherapeutische, osteopathische oder chiropraktische Techniken zum
Einsatz kommen.