Schlüsselwörter
Adipositas - Anästhesie - Schlafapnoe-Syndrom
Key words
obesity - anaesthesia - obstructive sleep apnea syndrome
(Quelle: KH Krauskopf)
Einleitung
Definition und Einteilung der Adipositas
Nach WHO-Definition ist Adipositas als ein Übermaß an Körperfett definiert, das zu
unerwünschten Folgen für Gesundheit und Wohlbefinden führt [1].
Beim androiden Typus, dem bei Männern häufigeren Typ der Adipositas, überwiegt eine
zentrale (stammbezogene) Fettverteilung (auch als Apfel-Typ oder Falstaff-Typ – nach
Shakespeares John Falstaff – bezeichnet). Die Ausprägung des androiden Typs kann quantifiziert
werden durch
-
das Verhältnis von Taillenumfang zur Körpergröße (waist to height ratio, WTHR, pathologisch
ab 0,55) oder
-
den absoluten Taillenumfang (waist circumference, WC, pathologisch ab 102 cm bei Männern
und 88 cm bei Frauen).
Der gynoide, bei Frauen häufigere Typ ist durch eine periphere (gliedmaßenbezogene)
Fettverteilung gekennzeichnet (auch als Birnen-Typ oder Rubens-Typ bezeichnet).
Quantifizierung
Der Body-Mass-Index (BMI) ist das bekannteste Maß zur Quantifizierung von Übergewicht
und Adipositas:
Übergewicht liegt nach Definition der WHO ab einem BMI von 25 kg/m2 vor. Adipositas Grad I ist als ein Übergewicht mit einem BMI von mehr als 30 kg/m2 definiert. Adipositas Grad II und III werden durch einen BMI von über 35 kg/m2 und über 40 kg/m2 abgegrenzt.
Cave
Der BMI kann bei muskulösen Menschen falsch positive Werte für Adipositas ergeben.
Prävalenz
Die Prävalenz der Adipositas beträgt in Deutschland 23% für Frauen und 24% für Männer.
67% der Männer und 53% der Frauen sind übergewichtig. Im weltweiten Vergleich scheint
sich die Zunahme des durchschnittlichen Körpergewichts in westlichen Ländern und asiatischen
Ländern mit hohem Einkommen eher zu verlangsamen. Dahingegen steigt sie in südostasiatischen
Ländern und anderen Schwellenländern eher an.
Ätiologie
Die Ursache für Übergewicht und Adipositas ist ein Missverhältnis zwischen Energiezufuhr
und Energieverbrauch. Meistens führt Bewegungsmangel in Kombination mit energiereicher
Ernährung dazu, dass nicht verbrauchte Energie als Fett gespeichert wird. Deutlich
seltenere Ursachen des Übergewichts sind Stoffwechselerkrankungen.
Merke
Das Risiko einer Entwicklung von Adipositas ist schon im Kindesalter von einer Reihe
adipositasrelevanter genetischer und psychosozialer Einflussfaktoren – z. B. ökonomischer
Status und Ernährungsbewusstsein – abhängig [2].
Folge- und Begleiterkrankungen
Folge- und Begleiterkrankungen
[Tab. 1] zeigt die anästhesierelevanten Folge- und Begleiterkrankungen der Adipositas, auf
die nachfolgend detailliert eingegangen wird.
Tab. 1 Folge- und Begleiterkrankungen der Adipositas.
Organsystem
|
anästhesierelevante Begleiterkrankungen
|
Atemwege
|
-
schwieriger Atemweg
-
Schlafapnoe-Syndrom
|
Beatmung/Atmung
|
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Herz
|
-
koronare Herzkrankheit
-
Herzrhythmusstörungen
-
Kardiomyopathie
|
Kreislauf
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Gehirn und Nervensystem
|
|
Bewegungsapparat
|
-
Arthrose
-
Arthritis
-
funktionelle Beschwerden
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Gerinnung
|
-
Thromboseneigung
-
Vitamin-K-Mangel
|
Immunsystem
|
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Gastrointestinaltrakt
|
|
Leber und Gallewege
|
|
Stoffwechsel
|
-
Hyperlipidämie
-
Diabetes mellitus
-
metabolisches Syndrom
-
Hyperurikämie
|
Obstruktives Schlafapnoe-Syndrom
Das Schlafapnoe-Syndrom (obstruktives Schlafapnoe-Syndrom, OSAS) wird diagnostiziert,
wenn mehr als 5 Apnoe- oder Hypopnoe-Phasen pro Stunde Schlaf in Kombination mit Tagesmüdigkeit
auftreten. Diese Apnoe-Phasen führen zu passagerem Sauerstoffmangel und zu Tagesmüdigkeit.
Ein OSAS hat eine erhöhte Inzidenz von respiratorischen und kardiovaskulären intra-
und postoperativen Komplikationen zur Folge (s. [„Fallbeispiel – Schlafapnoe-Syndrom“]).
Fallbeispiel
Schlafapnoe-Syndrom
Eine 37-jährige adipöse Patientin (Gewicht 193 kg, Größe 173 cm, Nikotinkonsum ca.
20 Zigaretten pro Tag, regelmäßiger Alkoholkonsum) wird im Nachtdienst mit Gallenkolik
zur laparoskopischen Gallenblasenresektion angemeldet. Wegen Schlafstörungen nimmt
die Patientin regelmäßig Zolpidem und Lorazepam (Tavor®). Der Partner der Patientin berichtet über Schnarchen und gelegentliche Atempausen.
Nach der Ileuseinleitung mit Propofol, Rocuronium und Sufentanil und Fortsetzung der
Narkose mit Sevofluran wird die Beatmung aufgrund eines Bronchospasmus schwierig.
Durch Vertiefung der Sevofluran-Narkose kann das Problem behoben werden. Beim Versuch,
ein Kapnoperitoneum aufzubauen, treten jedoch nicht akzeptable Beatmungsprobleme auf
und die Operation muss offen durchgeführt werden. Wegen des Verdachts auf ein Schlafapnoe-Syndrom
und der intraoperativen Beatmungsprobleme wird beschlossen, die Patientin über Nacht
im Aufwachraum zu überwachen. Die Patientin lehnt dies jedoch ab und wird zunehmend
aggressiv und handgreiflich gegenüber dem Pflegepersonal. Ein Psychiater diagnostiziert
schließlich ein Borderline-Syndrom vor dem Hintergrund wiederholten sexuellen Missbrauchs
in der Kindheit mit nachfolgender Essstörung und Panikattacken.
Bei OSAS mit Adipositas ist im Allgemeinen eine raumfordernde Zunahme des Fettgewebes
bei normaler Anatomie der Atemwege für die Obstruktion verantwortlich. Bei ausgeprägtem
OSAS werden die Atemwege bei Wachheit nur durch den Muskeltonus der Pharynxmuskulatur
offen gehalten. Im Tiefschlaf und in Narkose erschlafft die Pharynxmuskulatur, und
obstruktive Apnoen treten auf. Apnoen ziehen Hypoxämie und Hyperkapnie nach sich,
bis der dadurch generierte Weckreiz zur Restabilisierung der Atemwege führt. Viele
Patienten mit Adipositas entwickeln ein chronisches Hypoventilationssyndrom mit chronisch
erhöhtem pCO2, Hypoxämie und schlafbezogener Atemstörung (in 90% der Fälle ein OSAS) [3].
Cave
Die Inzidenz eines OSAS beträgt mit steigendem BMI bis zu 80% aller präoperativen
Patienten mit Adipositas.
Info
Kombination von OSAS und COPD
Die Kombination von chronisch obstruktiver Atemwegserkrankung (COPD) mit einem OSAS
ist häufig verbunden mit Hypoxien bei Nacht, Hyperkapnie bei Tag und pulmonaler Hypertonie.
Patienten mit diesem „Overlap Syndrome“ sind besonders durch perioperative respiratorische
Komplikationen gefährdet [1].
Lungenfunktionsstörungen
Die Speicherung von Fett im Abdomen führt zu hohem intraabdominellem Druck, gegen
den die Zwerchfellmuskulatur bei der Inspiration arbeiten muss. Fettgewebe über der
Thoraxwand bedeutet darüber hinaus zusätzliche Atemarbeit für die thorakale Atemmuskulatur.
Fetteinlagerung im Lungengewebe reduziert die Compliance der Lunge. Bei gleichbleibender
Kraft der Atemmuskulatur wird dadurch das Atemzugvolumen reduziert und es tritt eine
restriktive Atemstörung auf. Sinkt das Atemzugvolumen unter das Verschlussvolumen,
entstehen Atelektasen, die zu intrapulmonalen Shunts und arterieller Hypoxie führen
können. Außerdem erhöhen minderbelüftete Areale das Risiko für bronchopulmonale Infekte.
Diese pathophysiologischen Effekte werden durch den bei Adipositas erhöhten Sauerstoffverbrauch
mit entsprechend erhöhter Atemarbeit noch relativ verstärkt [4].
Adipositas führt zu inflammatorischen Veränderungen (s. Abschnitt „Inflammatorische
Reaktion“), die auch das Lungengewebe betreffen – so auch zu einer erhöhten Inzidenz
von Asthma bronchiale. Asthmaähnliche Auskultationsbefunde können allerdings auch
vollständig durch adipositasbedingte Verengung der Atemwege hervorgerufen werden.
Entsprechend verschwinden die Symptome häufig nach Gewichtsverlust.
Definition
Obesitas-Hypoventilation
Das Obesitas-Hypoventilationssyndrom (OHS, Pickwick-Syndrom) wird definiert durch
die Kombination
-
Hypoventilation, Hypoxyie und einer schlafassoziierten Atemstörung, meistens OSAS,
-
Adipositas
-
bei fehlender anderer Ursache für Hypoventilation
Die Symptome sind Atemnot, Tagesschläfrigkeit, morgendliche Kopfschmerzen und Depression.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Viele Studien weisen darauf hin, dass der androide Typ der Adipositas mit einem höheren
Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen assoziiert ist als der gynoide Typ [5].
Arterielle Hypertonie
Merke
Ansteigender BMI und die Prävalenz der Hypertonie korrelieren positiv.
Die hohe Prävalenz von arterieller Hypertonie bei Adipositas zieht außerdem ein erhöhtes
Risiko für koronare Herzerkrankung, Herzinfarkt und generalisierte Arteriosklerose
nach sich.
Herzinsuffizienz
Adipositas führt mit der Zeit auch zu Herzinsuffizienz: Etwa ein Drittel aller Patienten
mit extremer Adipositas leidet unter einer adipositasinduzierten Kardiomyopathie.
Kardiotoxische Effekte von Insulinresistenz, Steatosis, Sympathikusaktivierung, Hypoxie
und Hyperkapnie können darüber hinaus zu pulmonaler Hypertonie [6] und zu einer Rechtsherzinsuffizienz führen.
Herzrhythmusstörungen
Mit steigendem Grad der Adipositas steigt die Inzidenz von Vorhofflimmern. Dies wird
durch eine Dysfunktion des Sinusknotens und Infiltration des Reizleitungssystems durch
Fettzellen erklärt. Auch die Inzidenz eines Long-QT-Syndroms nimmt mit steigendem
BMI zu und damit das Risiko einer Komplikation durch Serotonin-Antagonisten wie z. B.
Ondansetron [1].
Neurologische und psychische Erkrankungen
Patienten mit Adipositas zeigen eine höhere Inzidenz für eine ganze Reihe von psychischen
Erkrankungen. Darunter sind häufig Depressionen, Angsterkrankungen und Persönlichkeitsstörungen.
Darüber hinaus können Diskriminierung und daraus folgender gesellschaftlicher Ausschluss
zu psychischen Problemen führen.
Info
Psychische Erkrankungen
Gründe für die Gewichtszunahme bei psychischen Erkrankungen sind [7]:
-
psychiatrische Medikamente
-
erhöhte Cortisolspiegel bei Depression
-
Schlafstörungen mit Störung des Leptin-Ghrelin-Verhältnisses
-
Dopaminmangel
-
chronische Entzündung
Arterielle Hypertonie, Hyperlipidämie und Diabetes mellitus sind wahrscheinlich hauptsächlich
dafür verantwortlich, dass Adipositas das Risiko für einen Schlaganfall deutlich erhöht.
Muskuloskelettales System
Adipositas führt häufig durch Belastung des muskuloskelettalen Systems zu Arthrose,
Arthritis und Rückenschmerzen.
Stoffwechsel
Der androide Fettverteilungstyp ist oft mit dem metabolischen Syndrom (körperstammbetonte
Adipositas, arterielle Hypertonie, Insulinresistenz und Hypercholesterinämie) verbunden.
Dieser Verteilungstyp hat ein besonders hohes Risiko für Diabetes mellitus, koronare
Herzkrankheit und perioperative Komplikationen. Adipositas führt aber auch unabhängig
vom Fettverteilungstyp zu erhöhter Insulinresistenz. Diabetes mellitus Typ 2 tritt
daher bei Adipositas überdurchschnittlich häufig auf.
Merke
Das Risiko für Diabetes mellitus steigt mit Schwere und Dauer der Adipositas.
Für das erhöhte Risiko wird u. a. die inflammatorische Reaktion durch Adipositas verantwortlich
gemacht. Nach Magenbypass-Operation sinkt der Insulinbedarf sofort, sodass Antidiabetikadosierungen
und Insulindosen angepasst werden müssen.
Das Körpergewicht korreliert positiv mit den Triglyzerid- und Cholesterinspiegeln
im Serum, weil Triglyzeride und Cholesterin insbesondere aus den abdominellen Fettspeichern
freigesetzt werden.
Blutgerinnung
Patienten mit Adipositas haben ein erhöhtes Risiko für Thrombosen mit entsprechend
erhöhtem Risiko für thromboembolische Erkrankungen wie Herzinfarkt, zerebrale Ischämie
und Lungenembolien [8] (s. [„Fallbeispiel – Lungenembolie“]).
Cave
Das Risiko venöser Thrombosen ist bei adipösen Frauen deutlich gegenüber normalgewichtigen
Frauen erhöht.
Deshalb ist es sinnvoll, die Thromboembolieprophylaxe bei Adipositas in Abhängigkeit
von Operation und BMI länger aufrechtzuerhalten als sonst. Bei der manchmal auftretenden
relativen Mangelernährung (s. Abschnitt „Gastrointestinales System“) mit Vitamin-K-Mangel
kann die Gerinnung aber auch beeinträchtigt sein [1].
Fallbeispiel
Lungenembolie
Eine 52-jährige Patientin mit Adipositas (Gewicht 177 kg, Größe 161 cm, Zustand nach
Apoplex mit leichter Armparese links, Diabetes mellitus) wird wegen des Verdachts
auf Appendizitis operiert. Postoperativ tritt im Aufwachraum eine niedrige Sauerstoffsättigung
auf (SpO2 83% unter Raumluft). Anleitung zum tiefen Durchatmen, Aufrichten des Oberkörpers
und Atemunterstützung mit CPAP (kontinuierlicher positiver Atemwegsdruck) bei Verdacht
auf Atelektasen verändern die Situation nur geringfügig. Im Verlauf klagt die Patientin
über Luftnot und dann über perakute Thoraxschmerzen. Ein EKG zeigt einen neu aufgetretenen
Rechtsschenkelblock, die transthorakale Echokardiografie eine Rechtsherzbelastung.
Nebenbefundlich wird eine Fettleber diagnostiziert. Im Spiral-CT des Thorax werden
multiple Lungenembolien identifiziert, die Beinvenensonografie ergibt eine tiefe Beinvenenthrombose
als Emboliequelle. Nachträglich berichtet die Patientin über schon länger bestehende
Beschwerden in den Beinen. Sie habe diese jedoch auf ihre im Rahmen ihres Diabetes
mellitus aufgetretenen Hautveränderungen an den Unterschenkeln und Füßen zurückgeführt.
Inflammatorische Reaktion
Die Hypertrophie des Fettgewebes kann dazu führen, dass die Blutversorgung der Fettzellen
durch die vorhandenen Blutgefäße nicht mehr ausreicht [6]. In der Folge kommt es zu chronischer Gewebshypoxie und Zelltod [9]. Diese Veränderungen führen zur Abgabe von Adipokinen und Entzündungsmarkern wie
TNF-α und IL-6 durch Gewebsmakrophagen. Daraus folgt letztlich eine allgemeine inflammatorische
Reaktion mit Aktivierung des sympathischen Nervensystems und des Renin-Angiotensin-Systems.
Gastrointestinales System
Der erhöhte intraabdominelle Druck führt bei Adipositas auch zu erhöhtem intragastralem
Volumen und Refluxerkrankung mit den entsprechenden Folgen. Daher muss nach diesen
Problemen und ihrer Ausprägung bei der Anamnese gezielt gefragt und das Ergebnis bei
der Narkoseeinleitung z. B. durch Ileuseinleitung berücksichtigt werden.
Merke
Die Häufigkeit von gastroösophagealem Reflux korreliert mit dem BMI.
Die übermäßige Kalorienzufuhr bei Adipositas kann von einer selektiven Mangelernährung
für Vitamin D, Magnesium, Phosphat, Eisen und Vitamin A begleitet werden. Niedrige
Plasmaspiegel von Vitamin D sind mit einem erhöhten Risiko für Bluthochdruck, Diabetes
und kardiovaskuläre Erkrankungen verbunden.
Nieren und Harnwege
Auch chronische Niereninsuffizienz tritt bei Adipositas häufiger auf als bei normalgewichtigen
Patienten.
Praxistipp
Bei extrem hohem Körpergewicht wird empfohlen, zur Bestimmung der glomerulären Filtrationsrate
keine körpergewichtsabhängigen Formeln zu verwenden, sondern Clearance-Verfahren zur
Bestimmung der Nierenfunktion mittels 24-h-Sammelurin anzuwenden.
Leber und Gallenwege
Die Fetteinlagerung in der Leber bei Adipositas (Fettleber) führt wie im sonstigen
Körperfett zu inflammatorischen Reaktionen. In 15 – 20% entwickelt sich daraus eine
Leberzirrhose mit dem Risiko von Leberkarzinomen, portaler Hypertension, Aszites und
Leberversagen. Außerdem verändert die Verfettung der Leber die Metabolisierung von
Medikamenten in der Leber durch pathologische Expression und Aktivität von Leberenzymen.
Trotzdem gibt es derzeit keine Empfehlungen, deswegen die Dosierung von Anästhetika
zu verändern [6].
Probleme nach Adipositas-Chirurgie
Nach Magenverkleinerung kann eine postoperative Polyneuropathie aufgrund von Vitamin-
und Ernährungsdefiziten auftreten. Die Symptome sind Erbrechen, Reflexabschwächung
und Muskelschwäche. Ein verstellbares Magenband kann zu Störungen der Ösophagusmotilität
und Dilatation proximal des Bandes führen, die auch nach dem Lösen des Bandes persistieren
kann. Dadurch kann es trotz normaler präoperativer Nüchternheit zur Aspiration von
Nahrungsbestandteilen kommen.
Cave
Ein akuter Notfall ist die Dislokation des Magenbandes mit Ischämie des Magens durch
Gefäßkompression [1].
Es sollte mit dem Chirurgen besprochen werden, ob ein Magenband zur Narkoseeinleitung
gelöst und eine Magensonde gelegt werden sollte. Dislokation des Bandes kann zu Magenischämie
mit -perforation führen und macht sich durch Dysphagie und Oberbauchschmerzen bemerkbar
[4].
Pharmakokinetik
Allgemeine Aspekte
Im Allgemeinen müssen auch bei übergewichtigen Patienten bei der Dosierung von Pharmaka
das Verteilungsvolumen und die Clearance berücksichtigt werden. Das Verteilungsvolumen
von Pharmaka hängt von der Fettlöslichkeit des Medikaments ab. Hydrophile Medikamente
lagern sich nur wenig im Fettgewebe ein. Daher wird im Allgemeinen bei diesen Substanzen
das ideale Körpergewicht des Patienten zur Dosisbestimmung für Einzel- oder Aufsättigungsdosierungen
vor Dauerinfusionen verwendet. Einzel- oder Aufsättigungsdosierungen lipophiler Medikamente
wurden dagegen bisher nach dem tatsächlichen Gewicht berechnet [10]. Dies führt jedoch mit steigendem Körpergewicht zu kreislaufrelevanten Nebenwirkungen.
Bei Adipositas nehmen außerdem auch die fettfreie Masse und die Verstoffwechselungsrate
von Pharmaka zu. Diese Tatsache wird durch das Adjusted Body Weight (ABD, s. [„Definition – Gewichtsmaße“]) berücksichtigt.
Definition
Gewichtsmaße
-
Body-Mass-Index (BMI):
-
Ideales Körpergewicht (Ideal Body Weight, IBW):
IBW = 22 × (Größe [m])²
-
Fettfreies Körpergewicht (Lean Body Weight, LBW, Männer):
-
Fettfreies Körpergewicht (Lean Body Weight, LBW, Frauen):
-
Angepasstes Körpergewicht (Adjusted Body Weight, ABW):
ABW = IBW + 0,4 × (Körpergewicht – IBW)
Von der Association of Anaesthetists of Great Britain and Ireland Society for Obesity
and Bariatric Anaesthesia (AAGBI) wurden Empfehlungen herausgegeben, welche Maße bei
der Dosierung von Anästhetika zugrunde gelegt werden sollten [4] ([Tab. 2]).
Tab. 2 Dosierung von Anästhetika nach totalem, fettfreiem und angepasstem Körpergewicht
(modifiziert nach [4]).
totales Körpergewicht (Total Body Weight, TBW)
|
fettfreies Körpergewicht (Lean Body Weight, LBW)
|
angepasstes Körpergewicht (Adjusted Body Weight, ABW)
|
|
-
Propofol (Einleitung)
-
Thiopental
-
Fentanyl
-
Rocuronium
-
Atracurium
-
Vecuronium
-
Morphin
-
Paracetamol
-
Bupivacain
-
Lidocain
|
|
Inhalationsanästhetika
Moderne volatile Anästhetika sind prinzipiell aus pharmakokinetischer Sicht Injektionsnarkotika
für die Aufrechterhaltung der Narkose bei Adipositas überlegen. Die am häufigsten
verwendeten Gase Sevofluran und Desfluran werden wenig metabolisiert, haben eine geringe
Löslichkeit im Blut und reichern sich wenig im Fettgewebe an. Sie bieten theoretisch
gerade bei adipösen Patienten eine Reihe von Vorzügen.
Target Controlled Infusion (TCI) ist über 150 kgKG (Marsh) und ab einem BMI von 35
für Frauen und 42 für Männer (Schneider) nicht mehr zugelassen [4].
Bauliche und technische Voraussetzungen
Bauliche und technische Voraussetzungen
Viele Bau- und Einrichtungselemente von Krankenhäusern sind nur bis an bestimmte Grenzen
für die Versorgung von extrem adipösen Patienten geeignet. Ab einem Körpergewicht
von etwa 150 kg muss im Allgemeinen an die begrenzte Belastbarkeit der meisten Krankenhausbetten,
sanitären Einrichtungen, Umlagerungshilfen und Operationstische gedacht werden. Gegebenenfalls
müssen Schwerlasttische und Spezialbetten verwendet werden. Zusätzliches Material
für die anästhesiologische Versorgung adipöser Patienten (z. B. Punktionsnadeln adäquater
Länge) muss dabei verfügbar sein [4]. Gelkissen für die Lagerung der Extremitäten sind sehr hilfreich.
Präoperative Evaluierung
Cave
Patienten mit Adipositas vom androiden Fettverteilungstyp und Patienten mit metabolischem
Syndrom haben ein besonders hohes Narkoserisiko.
Idealerweise erfolgt die präoperative Evaluierung schon Wochen vor dem Eingriff. 2 – 6
Wochen spezifische Diät können schon die Lungenfunktion verbessern. So lange vor der
Operation bleibt auch noch genug Zeit, um ein behandlungsbedürftiges OSAS zu diagnostizieren
[1]. Wahrscheinlich kann eine funktionelle Optimierung die Inzidenz von perioperativen
Komplikationen verringern [11]. Daher wird für diese Patienten die Betreuung in spezialisierten Zentren empfohlen
[6].
Prinzipiell sind auch bei Adipositas die Empfehlungen zur präoperativen Evaluation
von Risikopatienten der DGAI und des BDA zu berücksichtigen. Die Erhebung klinischer
Risikofaktoren in der Anamnese wird allerdings durch die Adipositas erschwert.
Cave
Da Patienten mit Adipositas sich körperlich wenig belasten, können trotz manifester
koronarer Herzkrankheit typische Symptome in der Anamnese fehlen.
Symptome wie Belastungsdyspnoe und Thoraxschmerz können andererseits bei Adipositas
auch ohne Herzerkrankung auftreten. Ödeme der Unterschenkel können z. B. bei Adipositas
auch ohne Herzinsuffizienz vorliegen. Umso wichtiger ist die erweiterte apparative
Diagnostik bei diesen Patienten in Ergänzung zum EKG [1]. Diese ist aber wegen Beschränkungen des zulässigen Körpergewichts bei der Anwendung
vieler medizintechnischer Verfahren nur eingeschränkt möglich. Außerdem ist die Messung
mit nichtinvasiven Verfahren wie der Echokardiografie aufgrund von Fettschichten schwierig.
Obstruktives Schlafapnoe-Syndrom
Ein OSAS sollte bei Adipositas nach einem Algorithmus ausgeschlossen werden [4]. Die präoperative Untersuchung im Schlaflabor aller Patienten mit Indikation zu
bariatrischer Chirurgie wurde von verschiedenen Autoren empfohlen. Weniger aufwendig
ist das Screening mittels eines für adipöse Patienten validierten Fragebogens (z. B.
STOP-Bang Questionnaire). Bei positivem Test ist eine Untersuchung im Schlaflabor
indiziert, die bei entsprechender Diagnose und Schwere des OSAS die Verordnung einer
CPAP-Therapie oder anderer Hilfsmittel nach sich zieht [12]. Während Patienten mit nicht diagnostiziertem OSAS oder OSAS ohne CPAP-Therapie
ein hohes Komplikationsrisiko haben, ist das Risiko bei Patienten mit gut therapiertem
OSAS deutlich geringer [13]. Eine evtl. bereits etablierte CPAP-Therapie wird perioperativ fortgeführt, das
gilt insbesondere ab dem Zeitpunkt der Verabreichung von Sedativa [1].
Merke
Auch bei negativem STOP-Bang Questionnaire sollte das Vorliegen von Belastungsdyspnoe,
morgendlichen Kopfschmerzen und Zeichen der rechtsventrikulären Belastung im EKG zum
Ausschluss eines OSAS führen [4].
Die Diagnose eines OSAS bei Adipositas sollte dazu veranlassen, nach kardiovaskulären
Folgeerkrankungen zu suchen [1].
Prämedikation
Allgemeine prophylaktische Maßnahmen gegen Thromboembolien sind die Verwendung von
Thrombosestrümpfen und die frühe Mobilisierung [14]. Aufgrund der hohen Inzidenz von Diabetes mellitus Typ 2 sollte der Blutzucker morgens
präoperativ auch bei Patienten ohne bekannten Diabetes bestimmt werden. So kann eine
Hyperglykämie erkannt und ggf. behandelt werden [1]. Die Gabe von Antazida ist sinnvoll, um die Azidität des Mageninhalts zu reduzieren.
Praxistipp
Aufgrund des generell erhöhten Risikos für eine Schlafapnoe muss bei Patienten mit
Adipositas auf Benzodiazepine am Vorabend der Operation verzichtet werden.
Perioperatives Management
Perioperatives Management
Regionalanästhesie
Wegen der hohen Prävalenz respiratorischer Probleme bei Patienten mit Adipositas wird
generell empfohlen, Operationen bei diesen Patienten wenn möglich in Regionalanästhesie
durchzuführen. Es existiert jedoch keine klare Evidenz für die Überlegenheit der Regionalanästhesie
gegenüber Allgemeinanästhesie [4].
Die Inzidenz schwieriger Punktionen ist aufgrund der Fettschichten höher als bei normalgewichtigen
Patienten. Häufig werden längere Nadeln benötigt, um die Zielstrukturen zu erreichen
[4], [15]. Entsprechend höher ist auch der Bedarf an erfahrenen Anästhesisten [4]. Aufgrund des hohen Fettgehalts im Epiduralraum herrscht dort ein relativ hoher
Druck. Daher wird von einigen Autoren empfohlen, bei Epiduralanästhesie die Dosierung
der Lokalanästhetika zu reduzieren, um eine zu starke kraniale Ausbreitung zu verhindern.
Narkoseeinleitung
Die Narkoseeinleitung sollte bei besonders komplexen Fällen im Operationssaal erfolgen,
weil so Transport- und Umlagerungsprobleme vermieden werden. Bei Allgemeinanästhesie
ist der Einsatz von kurzwirksamen Substanzen wie Desfluran und Remifentanil sinnvoll.
Succinylcholin sollte vermieden werden, weil die dadurch verursachten Muskelfaszikulationen
den Sauerstoffverbrauch erhöhen.
Gefäßpunktionen
Bei schwierigen Punktionsbedingungen für periphere Venenkatheter ist ein Sonografiegerät
beim Aufsuchen der Venen nützlich. Auch ungewöhnliche Punktionsorte sollten berücksichtigt
werden und mindestens 2 Venenwege gelegt werden [4]. Bei sehr schlechten Venenverhältnissen kann es notwendig werden, einen zentralen
Venenkatheter zu legen; auch hierfür sollte ein Sonografiegerät zur Verfügung stehen.
Atemwegsmanagement
Merke
Aufgrund der vergleichsweise geringen funktionellen Residualkapazität adipöser Patienten
ist bei ihnen die Sauerstoffreserve in der Lunge gegenüber normalgewichtigen Patienten
reduziert.
Adäquate Präoxygenierung ist besonders wichtig, weil bei Adipösen die Sauerstoffsättigung
des Hämoglobins besonders schnell abfällt. Die umgekehrte Trendelenburg-Lagerung mit
einer Kippung des OP-Tisches um ca. 30° reduziert den Druck des Abdomens auf die Lunge
[4]. Dadurch wird die inspiratorische Atemarbeit reduziert und das Risiko der Bildung
von Atelektasen verringert.
Cave
Wenn nur der Oberkörper hoch gelagert wird, kann sich der Druck des Abdomens auf die
Lunge erhöhen, weil der Bauch beim Anwinkeln der Beine zusammengedrückt werden kann.
Eine noch bessere Atelektasenvorbeugung, bessere Oxygenierung und längere Apnoetoleranz
kann durch CPAP oder nichtinvasive Beatmung für etwa 5 Minuten vor Narkoseeinleitung
erreicht werden [16].
Während früher grundsätzlich eine Ileuseinleitung bei Adipositas empfohlen wurde,
wird dies inzwischen kontrovers diskutiert [17]. Dies wird analog zum Vorgehen in der Kinderanästhesie damit begründet, dass durch
die geringe Apnoetoleranz auch ein hohes Hypoxierisiko bei der Ileuseinleitung besteht.
Bei Patienten ohne zusätzliche Risikofaktoren für Aspiration ist es deshalb praktikabel,
-
nach Präoxygenierung die Narkose einzuleiten,
-
nach Erreichen ausreichender Narkosetiefe einen Guedel-Tubus einzulegen und
-
den Patienten vorsichtig (ggf. druckkontrolliert maschinell) über eine Gesichtsmaske
zu beatmen, bis ausreichende Muskelrelaxierung erreicht ist.
Cave
Maskenbeatmung ist bei Adipositas oft nicht einfach.
Relativ häufig werden bei Adipositas Zeichen für einen schwierigen Atemweg festgestellt.
Mundöffnung und Beweglichkeit der Halswirbelsäule werden durch perimandibuläre und
nuchale Fettpolster reduziert, das Volumen von Mundhöhle und Rachen wird durch Fetteinlagerung
in die Weichteile verkleinert (s. [„Info – Schwierige Intubation“]). Geringe Unterkiefermobilität, Nackenfettpolster, OSAS, Schnarchen und Adipositas
gelten als unabhängige Prädiktoren des schwierigen Atemwegs. Folglich ist es sinnvoll,
schon vor der Einleitung die notwendigen Hilfsmittel einsatzbereit greifbar und einen
individuellen Plan zum Management des schwierigen Atemwegs besprochen zu haben. Besonders
effektiv ist die prophylaktische Bereitstellung eines Videolaryngoskops.
Info
Schwierige Intubation
Adipositas ist mit gegenüber normalgewichtigen Patienten erhöhtem Risiko für schwierige
Intubation assoziiert. Zusätzlich zu den üblichen Kriterien kann ein Halsumfang von
mehr als 60 cm auf eine schwierige Intubation hinweisen. Der Querschnitt der Trachea
korreliert negativ mit dem BMI.
Der Einsatz von Larynxmasken bei Adipositas ist umstritten. Wenn man sich für die
Verwendung einer Larynxmaske entscheidet, erscheint es aufgrund theoretischer Überlegungen
sinnvoll, eine Larynxmaske mit der Möglichkeit zur Einlage einer Magensonde zu verwenden.
Monitoring
Die Überwachung von Patienten mit Adipositas ist technisch schwieriger als die Überwachung
normalgewichtiger Patienten. Die nichtinvasive Blutdruckmessung kann bei voluminösen
Extremitäten sehr unzuverlässig werden, und meistens sind besonders breite Blutdruckmanschetten
notwendig.
Praxistipp
Insbesondere bei angelagerten Armen ist die Indikation zur invasiven Blutdruckmessung
großzügig zu stellen, weil Korrekturen der Blutdruckmanschettenanlage intraoperativ
sehr umständlich sind.
Thorakale Fettschichten können die im EKG gemessene Spannung durch Isolation deutlich
reduzieren und dadurch vor allem die ST-Strecken-Analyse erschweren. Der zentrale
Venendruck (ZVD) wird bei Adipositas erheblich durch den auf die V. cava inferior
und den gesamten Thorax übertragenen hohen intraabdominellen Druck beeinflusst. Deshalb
muss bei der Interpretation des ZVD noch mehr als sonst beachtet werden, dass nur
Veränderungen im Verlauf interpretiert werden können. Bei Verwendung von auf der Pulskonturanalyse
basierenden, nichtinvasiven oder wenig invasiven Verfahren zur Messung von Herzzeitvolumen
und Vorlastparametern muss beachtet werden: Diese Verfahren wurden nicht für Patienten
mit Adipositas validiert.
Adipositas ist mit einem erhöhten Risiko für Awareness insbesondere während der Narkoseeinleitung
unter Verwendung von Muskelrelaxanzien verbunden [18]. Dies wird auf die schnelle Umverteilung eines Injektionsbolus ins Fettgewebe zurückgeführt
[19]. Besonders bei einer TIVA in Kombination mit Muskelrelaxanzien wird deshalb empfohlen,
die Narkosetiefe mit einem EEG-basierten Verfahren zu überwachen [4].
Beatmung
Wie bei den meisten Patienten ist bei Adipösen im Allgemeinen eine druckkontrollierte
Beatmung mit moderaten Tidalvolumina (6 – 8 ml/kg) zur Vermeidung von Komplikationen
sinnvoll – auch wenn die Datenlage hinsichtlich des Vergleichs von druckkontrollierter
und volumenkontrollierter Beatmung inhomogen ist.
Merke
Die Berechnung des angestrebten Tidalvolumens erfolgt auf der Grundlage des idealen
Körpergewichts (s. [„Definition – Gewichtsmaße“]). Denn die Zunahme der Körpermasse durch Fetteinlagerung geht nicht mit einer Vergrößerung
der Lunge einher [1].
Die adäquate Einstellung des PEEP (positiver endexspiratorischer Druck) ist wegen
der hohen Atelektaseneigung besonders wichtig. Optimal wäre es, auch in Narkose den
individuell besten PEEP basierend auf SaO2, paO2, Compliance, arteriellem Blutdruck und Herzzeitvolumen zu ermitteln. Im Allgemeinen
ist es ausreichend, einen PEEP zwischen 10 und 15 cmH2O so einzustellen, dass eine adäquate Oxygenierung sichergestellt ist. Vor allem bei
Eingriffen mit operationsbedingt zusätzlich erhöhtem intraabdominellem Druck (z. B.
Laparoskopien) sind manchmal wiederholte Rekrutierungsmanöver nötig, um die Oxygenierung
und das verfügbare Lungenvolumen zu verbessern [16].
Die Atemfrequenz muss bei Adipositas etwas höher als sonst eingestellt werden, weil
aufgrund des hohen O2-Verbrauchs auch die CO2-Produktion erhöht ist. Bei der Auswertung von Blutgasanalysen muss berücksichtigt
werden, dass adipöse Patienten eine höhere Differenz zwischen dem endtidal und arteriell
gemessenen CO2-Gehalt aufweisen [1].
Narkoseausleitung
Es gibt Hinweise darauf, dass der Verzicht auf hohe O2-Konzentrationen vor Narkoseausleitung zu geringerer Mikroatelektasenbildung und besserer
postoperativer Lungenfunktion führt. Auch während der Ausleitung ist die umgekehrte
Trendelenburg-Lage aufgrund des hohen intraabdominellen Drucks hilfreich [4].
Cave
Wurden Muskelrelaxanzien eingesetzt, muss eine evtl. Restrelaxierung durch quantitative
Relaxometrie ausgeschlossen oder ggf. reversiert werden.
Vor der Extubation muss eine ausreichende Wachheit mit Rückkehr der Schutzreflexe
sichergestellt sein. Bei Eingriffen im Bereich von Hals und Pharynx können Ödeme der
pharyngealen Weichteile über die üblicherweise nach diesen Operationen erwarteten
Veränderungen hinaus auftreten. Auch postoperativ kann vorübergehend eine prophylaktische
nichtinvasive Atemunterstützung mit CPAP sinnvoll sein, und eine aktive Atemtherapie
sollte routinemäßig eingesetzt werden [1].
Postoperative Betreuung
Die häufigsten postoperativen Komplikationen treten bei Adipositas noch öfter auf.
Besonders wichtig ist die Verbesserung der Lungenfunktion durch Bevorzugung einer
sitzenden Position, Atemtraining und Frühmobilisation. Sekundäre Verschlechterung
der Lungenfunktion noch am 3. oder 4. postoperativen Tag mit Notwendigkeit von PEEP
oder nichtinvasiver Beatmung wurde beschrieben [1].
Postoperativ müssen bestimmte Patienten bis zu ihrer Mobilisierung über Nacht kontinuierlich
pulsoxymetrisch überwacht werden:
Die patienteneigene Atemhilfe sollte so bald wie möglich nach der OP wieder eingesetzt
werden. Das OSAS wird perioperativ u. a. durch Opioide und Schlafstörungen verstärkt
[1]. Nichtinvasive Beatmung direkt nach der Extubation kann die Letalität senken und
ist eine sinnvolle Erstmaßnahme bei postoperativer Ateminsuffizienz, um eine Reintubation
zu verhindern [20].
Merke
Die Verlegung aus dem Aufwachraum ist erst zu erwägen, wenn die normalen Verlegungskriterien
erfüllt sind und über eine Stunde bei normaler Atemfrequenz keine Hypopnoen/Apnoen
aufgetreten sind [4].
Info
Thromboseprophylaxe
Zur Thromboseprophylaxe ist eine frühe Mobilisierung noch am OP-Tag sinnvoll [14]. Dazu gehört auch die frühe Entfernung von Blasenkatheter und Infusionsleitungen
[1]. Die Effektivität konventioneller Kompressionsstrümpfe ohne intermittierende Kompression
ist nur wenig belegt. Bei adipösen Patienten muss besonders darauf geachtet werden,
dass keine Blutgefäße durch zu enge Strümpfe okkludiert werden. Empfehlungen zur Dosisanpassung
der medikamentösen Prophylaxe wurden vom britischen Haemostasis, Anticoagulation and
Thrombosis (HAT) Committee publiziert.
Schmerztherapie
Auch die postoperative Schmerztherapie bereitet bei Adipositas besondere Probleme.
Wenn möglich, sollte eine Regionalanalgesie mit Katheterverfahren erfolgen. Opioide
haben bei Patienten mit Adipositas eine besonders stark sedierende Wirkung und verstärken
die Neigung zu einer Schlafapnoe. Umgekehrt haben Patienten mit diagnostiziertem oder
vermutetem OSAS oder OHS ein erhöhtes Risiko für eine opioidinduzierte Atemdepression.
Diese Patienten sollten deshalb nach Verabreichung von Opioiden – auch als patientenkontrollierte
Analgesie – für mindestens 24 Stunden kontinuierlich einschließlich Pulsoxymetrie
überwacht werden. Mit adäquater Behandlung des OSAS durch das eigene CPAP-Gerät reduziert
sich das Risiko. Die Anwendung des CPAP-Geräts kann aber postoperativ unmöglich sein,
wenn im Bereich der Atemwege operiert wurde. Eine Überwachung auf der Intensivstation
ist selten notwendig und hängt mehr von den Begleiterkrankungen als von der Adipositas
ab [4].
Info
Ambulante Anästhesie
Nach britischen Leitlinien ist bei einem BMI < 40 eine ambulante Anästhesie im Allgemeinen
möglich [4]. Zum Vorgehen bei OSAS wird auf die im entsprechenden Abschnitt erwähnten Empfehlungen
verwiesen. Ambulante Anästhesie ist bei OSAS nach Ansicht mancher Autoren möglich,
wenn ein CPAP-Gerät einsetzbar ist, Begleiterkrankungen optimal therapiert sind und
Nichtopioide für die Schmerztherapie ausreichen. Über ambulante laparoskopische Cholezystektomien
und ambulante laparoskopische Magenbanding-Operationen wurde in der Literatur berichtet.
Die ambulante Durchführung einer Anästhesie bei Adipositas sollte aber eine Einzelfallentscheidung
mit sorgfältiger Risikoabwägung bleiben.
Fazit
Die steigende Prävalenz der Adipositas stellt besondere Anforderungen an die perioperative
anästhesiologische Betreuung. Dies betrifft sowohl die Kenntnis der Pathophysiologie
und Pharmakokinetik als auch das Management der Folge- und Begleiterkrankungen der
Adipositas. Dazu kommen die praktischen Probleme des Umgangs mit adipösen Patienten
bei Transport und Lagerung. Am besten ist es, alle Maßnahmen zum perioperativen Vorgehen
bei adipösen Patienten in einem standardisierten Protokoll zusammenzufassen. Ein in
der Versorgung adipöser Patienten besonders erfahrenes Team mit entsprechender Leitung
sollte verfügbar sein. Der BMI aller Patienten sollte im OP-Plan angegeben werden.
Kernaussagen
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Die Prävalenz der Adipositas hat in den letzten 10 Jahren auch in Deutschland weiter
zugenommen.
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Hypertonie, Fettstoffwechselstörungen, Diabetes mellitus, kardiovaskuläre Erkrankungen
und Schlafapnoe-Syndrom sind Folge- und Begleiterkrankungen der Adipositas.
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Die perioperative Betreuung adipöser Patienten erfordert spezielle räumliche, apparative
und personelle Voraussetzungen.
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Probleme mit Atemwegsmanagement, Atmung und Monitoring sind bei Adipositas relativ
häufig.
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Regionalanästhesiologische Verfahren sollten bevorzugt eingesetzt werden.
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Kurzwirksame Substanzen wie Desfluran und Remifentanil sind zu bevorzugen.
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Die Präoxygenierung wird durch umgekehrte Trendelenburg-Lagerung und Unterstützung
der Atmung mit kontinuierlichem positivem Atemwegsdruck effektiver.
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Auch in der postoperativen Schmerztherapie sind Regionalanästhesieverfahren zu bevorzugen.
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
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Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag
ist PD Dr. med. Axel Fudickar, Kiel.