Einleitung
Patienten, die aufgrund chronisch-entzündlicher Erkrankungen Biologika erhalten, können
in manchen Fällen unter paradoxen, unerwarteten kutanen Reaktionen leiden.
Als Akne-Triade bezeichnet man eine Kombination aus Acne conglobata und intertriginöser
Akne (iA) axillär und inguinal/genitoanal. Eine Perifolliculitis capitis abscedens
et suffodiens und/oder Steißbeinfisteln (Akne-Tetrade) können hinzutreten. Die intertriginöse
Akne, auch bekannt als Acne inversa oder Hidradenitis suppurativa, ist eine chronische
Hauterkrankung, die durch die Entwicklung von Abszessen, Fisteln und Narben, vorzugsweise
in den intertriginösen Arealen, axillär und/oder inguinal sowie anogenital perianal
gekennzeichnet ist. Es wird angenommen, dass der Defekt in den Haarfollikelepithelzellen
liegt und die Beteiligung der apokrinen Drüsen sekundär sei [3]. Assoziationen mit Morbus Crohn sind beschrieben, ebenso mit Rheumafaktor-negativen
Polyarthritiden, Hypertonie und Pyoderma gangraenosum [5]. Begünstigende Faktoren für die Entstehung dieser Hauterkrankung stellen Rauchen,
Schwitzen, Adipositas, scheuernde Kleidung, regelmäßiges Ausrasieren der Körperhaare
und epilierende Externa dar. Bei der Acne conglobata handelt es sich um die schwerste
hochentzündliche Form der Akne im Gesicht und am oberen Stamm mit Ausbildung von Komedonen,
Fistelkomedonen, zahlreichen entzündlichen Papeln und Pusteln, Zystenbildung und Vernarbungen
[26].
Die juvenile chronische Arthritis ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung der Gelenke
des rheumatischen Formenkreises im Kindesalter unbekannter Ätiologie. Eine kausale
Therapie steht aufgrund der unbekannten Ätiologie dieser Erkrankung nicht zur Verfügung.
Die medikamentöse Therapie beinhaltet die Anwendung von nicht steroidalen Antirheumatika,
Glukokortikoiden, Methotrexat, sonstigen Basistherapeutika, Immunsuppressiva und Biologika.
Als Biologika werden TNF-Inhibitoren (Adalimumab und Etanercept), Interleukin-1-Inhibitoren
und IL-6-Rezeptorantikörper (Tocilizumab) angewendet [27]. Berichte über iA und Acne conglobata bei Patienten unter Therapie mit Biologika
sind selten. Die Verzögerung zwischen dem Beginn der Biologika-Therapie und der Diagnosestellung
der Hauterkrankung kann bis 7,2 Jahre dauern [11]
[16] und daher kann iA als paradoxe Reaktion auf die medikamentöse Therapie oft unerkannt
bleiben [16].
Wir berichten über einen 17-jährigen Patienten, der seit seinem 2. Lebensjahr an Gelenkschmerzen
leidet. Unter der Diagnose juvenile chronische Arthritis wurden diverse Therapien
durchgeführt, wobei der Patient erst eine ausgeprägte Akne-Triade unter der Gabe von
IL-6-Rezeptor-Antikörpern (Tocilizumab) entwickelte.
Kasuistik
Anamnese
Wir berichten über einen 17-jährigen Patienten, der seit dem Alter von 2 Jahren an
juveniler chronischer Arthritis mit polyartikulärem Verlauf leidet. Der Patient hat
einen BMI von 26,5 kg/m², ist adipös, kommt ursprünglich aus Syrien und lebt seit
mehr als 2 Jahren in Deutschland. Der Patient wurde initial mit Ibuprofen 600 mg 2 × tgl.,
mit Prednisolon 5 mg tgl. über 6 Monate, danach für 10 Monate mit 2,5 mg tgl., und
zusätzlich mit Methotrexat 20 mg s. c. einmal pro Woche bis vor 2 Monaten behandelt.
Aufgrund nicht ausreichenden Ansprechens auf diese Therapie erfolgte die Einstellung
des Pateinten auf Tocilizumab (monoklonaler Antikörper gegen den Interleukin-6-Rezeptor).
Zwei Monate nach Therapieumstellung auf Tocilizumab entwickelte der Patient ausgeprägte
Abszesse und Fisteln inguinal bds. sowie große, entzündliche, schmerzhafte Knoten
und Papeln am Gesicht. Die Eigen- und Familienanamnese bez. Hauterkrankungen waren
bis dahin unauffällig.
Dermatologischer Befund
Im Gesicht zeigen sich große, gerötete, z. T. schmerzhafte Papeln und Pusteln und
vereinzelt kleine, derbe Knoten. Am Rücken, gluteal inguinal, weiterhin disseminierte
Papeln und kleine Abszesse. Zusätzlich zeigt sich bei der klinischen Untersuchung
ein Sinus pilonidalis (Steißbeinfistel) ([Abb. 1]).
Abb. 1 Erythematöse Papeln, entzündliche Noduli und Komedonen sowie Sinus pilonidalis bei
einem 17-jährigen Patienten ca. 2 Monate nach Therapiebeginn mit Tocilizumab.
Therapie und Verlauf
Nach ausführlichen Gesprächen sowohl mit dem Patienten als auch mit seinen Eltern
wurde eine Umstellung der Therapie auf Adalimumab besprochen, um hiermit zusätzlich
auch die akneiformen Hautveränderungen günstig zu beeinflussen. Die ersten zwei Adalimumab-Gaben
von 40 mg s. c. wurden gut toleriert. Zusätzlich erfolgte die topische Therapie im
Gesicht mit Azelainsäure (Skinoren®)-Gel 2 × tgl. für 12 Wochen. Ca. 3 Monate nach Therapiebeginn mit Adalimumab zeigte
sich insgesamt eine Besserung des Hautbefundes ([Abb. 2]). Der Sinus pilonidalis wurde operativ versorgt.
Abb. 2 Ca. 3 Monate nach Therapieumstellung auf Adalimumab sowie lokaler Anwendung von Azelainsäure
(Skinoren®)-Gel zeigt sich eine deutliche Besserung des Hautzustandes.
Diskussion
Interleukin-6 (IL-6) ist ein Zytokin mit redundanten und pleiotropen Aktivitäten,
das zur Abwehr von Infektionen und Gewebeverletzungen beiträgt, indem es die Akute-Phase-Reaktion
induziert und Immunantworten und Hämatopoese aktiviert. Eine übermäßige oder kontinuierliche
IL-6-Produktion spielt jedoch eine pathogene Rolle bei einer akuten, schweren, lebensbedrohlichen
Komplikation, dem sog. Zytokinsturm, und bei verschiedenen chronischen autoimmunen
entzündlichen Erkrankungen. Tocilizumab (Handelsnamen RoActemra) ist ein humanisierter,
monoklonaler Antikörper gegen den IL-6-Rezeptor zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis
und der schwersten Form des kindlichen Rheumas, der systemischen juvenilen idiopathischen
Arthritis (sJIA; Syn. Morbus Still). IL-6 ist ein Zytokin, das bei der rheumatoiden
Arthritis vermehrt produziert wird [18]. Das Medikament zeigt aber auch teilweise gute Ergebnisse bei der Therapie verschiedener
dermatologischer Erkrankungen wie Psoriasis, Psoriasis-Arthritis, Morbus Behçet, systemischem
Lupus erythematodes, progressiver systemischer Sklerose, rezidivierender Polychondritis
und Vaskulitis [6]. Auf der anderen Seite ist der IL-6-Spiegel auch bei Patienten mit iA erhöht [25].
Unter paradoxer Arzneimittelreaktion versteht man ein Ereignis, das dem Ergebnis entgegensteht,
welches vom angewendeten Medikament erwartet wird [17]. Grundsätzlich werden 3 Typen paradoxer Reaktionen unterschieden: Paradoxe Reaktionen
während der Krankheit, für die das Medikament ausdrücklich indiziert ist, paradoxe
Reaktionen bezogen auf eine Erkrankung, für die das Medikament auch indiziert ist,
wenngleich das Medikament eigentlich aufgrund einer anderen Indikation gegeben wird,
und paradoxe Reaktionen, die in Bezug auf die Pharmakologie des Medikaments paradox
sind, es aber nicht wegen einer der üblichen Indikationen gegeben wurde.
In unserem Fall beschreiben wir eine paradoxe Reaktion unter der Therapie einer Erkrankung,
für die Tocilizumab indiziert ist. Solche paradoxen Reaktionen wurden bei Patienten
unter TNF-α-Inhibitoren umfassend untersucht und unter Tocilizumab existieren nur
wenige Berichte [24].
Unseres Wissens nach wurde das Auftreten einer Akne-Triade unter der Therapie mit
Tocilizumab noch nicht, das Auftreten einer iA nur einmal [4] beschrieben. Eine paradoxe Reaktion wurde unter Tocilizumab bei insgesamt 23 weiteren
Patienten beschrieben, darunter 1 Fall mit Autoimmunnephritis, Verschlechterung eines
bekannten Morbus Behçet und Sialadenitis, 1 Fall mit Sarkoidose, 7 Fälle mit Psoriasis,
4 Fälle mit Uveitis, 1 Fall akuter Keratitis, 1 Fall mit Ausbildung oraler Aphten
und 6 Patienten mit Vaskulitis [2]
[7]
[8]
[9]
[10]
[12]
[14]
[18]
[22]
[23].
Akne ist eine sehr häufige, chronisch-entzündliche, polyätiologische Erkrankung der
Talgdrüsenfollikel, die in den westlichen Industrienationen bei einem Großteil der
Bevölkerung in der Pubertät auftritt. Akne entsteht aus einem komplexen Zusammenspiel
verschiedener pathogenetischer Faktoren [1]. Viele Entzündungsmediatoren und Zytokine spielen eine wichtige Rolle in der Pathogenese
von Acne vulgaris. In den entzündlichen Läsionen von Akne wird Tumornekrosefaktor-α
(TNF-α ) überexprimiert [21].
TNF-α ist einer der am meisten untersuchten pro-inflammatorischen Mediatoren und gilt
als zentraler Regulator der Entzündung. TNF-α-Antagonisten können bei der Behandlung
von entzündlichen Erkrankungen wirksam sein. Die Hemmung von TNF-α hat sich als eine
wirksame Therapie für Patienten mit rheumatoider Arthritis und anderen Formen von
entzündlichen Erkrankungen erwiesen, einschließlich Psoriasis, psoriatischer Arthritis
und ankylosierender Spondylitis sowie entzündlicher Darmerkrankung. Zusätzlich werden
positive therapeutische Effekte, v. a. von dem TNF-α-Antagonisten Adalimumab, in der
Behandlung von Acne inversa und Acne conglobata beschrieben [28]. Die iA gilt als besondere Form der Akne, typischerweise des Erwachsenenalters,
mit Befall von Arealen, die reich an apokrinen Schweißdrüsen und Terminalhaaren sind
(inverses Befallmuster). Das Management dieser Erkrankung stellt eine Herausforderung
für die behandelnden Ärzte dar. Kontinuierliche wöchentliche Dosierung mit dem TNF-α-Antagonisten
Adalimumab 40 mg hat sich aber als sinnvolle Behandlungsoption für die Langzeitkontrolle
von mittelschwerer bis schwerer iA erwiesen [29]. Andererseits wurden bereits mindestens 12 Fälle des Auftretens von iA als paradoxe
Reaktion unter Therapie anderer Indikationen mit Adalimumab und mindestens 10 weitere
unter den TNF-α-Antagonisten Infliximab oder Etanercept beobachtet [4]. Insofern war es erfreulich, aber vorher nicht sicher, dass in unserem Fall der
Wechsel des Biologikums auf eines mit anderem Wirkmechanismus, bezogen auf die Therapie
der Grundkrankheit und der iA, erfolgreich sein würde.
In unserem Fall liegen für das Auftreten von Acne conglobata und iA auch andere Risikofaktoren
wie Patientenalter, Adipositas, vermehrtes Schwitzen und Rasieren der Körperhaare
sowie vorangegangene längere systemische Glukokortikoidtherapie vor. Aufgrund des
Auftretens nach Therapiebeginn mit Tocilizumab und der Besserung der Symptomatik nach
Absetzen halten wir aber einen kausalen Zusammenhang des Auftretens der Akne-Triade
mit dem verordneten Medikament Tocilizumab für wahrscheinlich.
Die Interpretation der Daten über paradoxe Reaktionen ist schwierig, da es sich bei
den betroffenen Patienten im Vergleich zu der Anzahl von Patienten, die keine paradoxe
Reaktion entwickeln, um eine deutlich geringere Anzahl handelt.
Weitere Untersuchungen sind erforderlich, um mögliche Zusammenhänge zwischen Wirkung
und paradoxer Wirkung der Therapie mit Tocilizumab zu bestätigen. Die spezifischen
zugrunde liegenden Mechanismen dieser Nebenwirkung sind unklar. Aufgrund der geringen
Inzidenz dieser paradoxen Reaktionen ist es nicht möglich, generell gültige Handlungsempfehlungen
zu geben. Eine Fortsetzung der Therapie bleibt im Einzelfall möglich, sollte jedoch
nach der Schwere der paradoxen Reaktion und den zu Verfügung stehenden Behandlungsalternativen,
im vorliegenden Fall u. a. TNF-α-Antagonisten, beurteilt werden.