Abkürzungen
6MWT:
6 Minutes Walking Test
ACE:
Angiotensin converting Enzyme
ARB:
Angiotensin-II-Rezeptor-Blocker
ACTH:
adrenokortikotropes Hormon
AFO:
Knöchel-Fuß-Orthese
AON:
Antisense-Oligonucleotid
CGH:
Comparative genomic Hybridization
CK:
Kreatinkinase
DM1/DM2:
myotone Dystrophie Typ 1/2
DMD:
Duchenne-Muskeldystrophie
EMA:
European Medicines Agency (Zulassungsbehörde)
EMG:
Elektromyografie
FDA:
Food and Drug Administration (der USA; Zulassungsbehörde)
FVC:
forcierte exspiratorische Vitalkapazität
HMGCR:
3-Hydroxy-3-Methylglutaryl-Coenzym-A-Reduktase
HPA:
Hypophysenachse
ICF:
International Classification of Function, Disability and Handicap
KMP:
Kardiomyopathie
LGMD:
Limb Girdle muscular Dystrophy (Gliedergürtelmuskeldystrophie; die nachfolgende Ziffer
1 steht für autosomal-dominant, 2 für autosomal-rezessiv)
MD:
Muskeldystrophie
MEP:
Maximal expiratory Pressure
MFM:
Muscle Function Measure
MIP:
Maximal inspiratory Pressure
MLPA:
Multiplex Ligation-dependent Probe Amplification
mRNA:
Messenger-RNA
NLG:
Nervenleitgeschwindigkeit
NSAA:
North Star Ambulatory Assessment
PCF:
Peak Cough Flow
pCO2
:
Kohlendioxidpartialdruck
petCO2
:
endexspiratorischer Kohlendioxidpartialdruck
ptcCO2
:
transkutaner Kohlenstoffdioxidpartialdruck
ROM:
Range of Motion
SMA:
spinale Muskelatrophie
SpO2
:
pulsoxymetrisch gemessene Sauerstoffsättigung
VZV:
Varicella-zoster-Virus
Einleitung
In diesem Beitrag werden die Fortschritte der Genetik, der rehabilitativen Betreuung
und der Therapieforschung der Muskeldystrophien in aktueller Form dargestellt.
Als Muskeldystrophien (MD) wird eine Gruppe hereditärer, primärer Erkrankungen der
Muskulatur bezeichnet, die histologisch durch typische Veränderungen mit Untergang
von Muskelfasern, zelluläre Abräumprozesse, teilweise Regeneration, dann aber zunehmende
Bindegewebevermehrung und Verfettung gekennzeichnet sind. Klinische Klassifikationskriterien
innerhalb der Gruppe sind in der folgenden Übersicht zusammengefasst.
Übersicht
Klinische Klassifikationskriterien der Muskeldystrophien
-
Manifestationsalter (kongenitale MD)
-
Verlauf (progressive MD)
-
Verteilungstyp
-
Vorliegen typischer Kontrakturen (Emery-Dreifuß-MD, Bethlem-MD) oder anderer Stigmata
-
Erbgang
Durch den X-chromosomalen Erbgang und den Beginn im frühen Kindesalter konnten schon
im 19. Jahrhundert die Duchenne-Muskeldystrophie (DMD) und in der Mitte des 20. Jahrhunderts
die später beginnende Becker-MD (BMD) von den übrigen, meist autosomal-rezessiv, selten
dominant erblichen übrigen Gliedergürtel-MD abgegrenzt werden.
Im Jahr 1985 begannen mit der Aufdeckung der genetischen und molekularen Ursache der
DMD die Ära und der Siegeszug der molekularen Genetik im Bereich der neuromuskulären
Erkrankungen [1]. Es zeigte sich, dass Mutationen im Dystrophin-Gen auf Xp21 nicht nur für DMD, sondern
– bei Erhalt des genetischen Leserasters – auch für die milder verlaufende BMD verantwortlich
sind; beide werden seither auch als Dystrophinopathien zusammengefasst. Schrittweise
gelang in den folgenden Jahrzehnten die genetische Aufklärung einer immer noch zunehmenden
Zahl von Entitäten aus der Gruppe der Muskeldystrophien, aber auch anderer neuromuskulärer
Syndrome ([Tab. 1]) [2] – [5].
Tab. 1 Genetische Klassifikation der Muskeldystrophien. Nach [2], [4], [5].
|
Krankheit
|
Gen
|
Protein
|
Manifestationsalter
|
Beginn, typische Befunde
|
CK-Erhöhung
|
|
Zur respiratorischen und Herzbeteiligung s. [Tab. 3].
Abkürzungen:
MD = Muskeldystrophie; LGMD = Limb Girdle Muscular Dystrophy – die nachfolgende Ziffer
1 steht für autosomal-dominant, 2 für autosomal-rezessiv.
|
|
X-chromosomal gebundene erbliche Muskeldystrophien
|
|
Duchenne-MD
|
DMD
|
Dystrophin
|
Kleinkindalter
|
Hüfte, Wadenhypertrophie
|
sehr hoch
|
|
Becker-MD
|
DMD
|
Dystrophin
|
Schulkind- bis Erwachsenenalter
|
Hüfte, Kontrakturen
|
mäßig bis hoch
|
|
X-l Emery-Dreifuß-MD
|
EMD
|
Emerin
|
Jugend bis Erwachsenenalter
|
Ellenbogen-, Spitzfußkontrakturen
|
normal bis mäßig
|
|
autosomal-dominant erbliche Muskeldystrophien
|
|
LGMD1A
|
MYOT
|
Myotilin
|
Erwachsenenalter
|
distal, Dysarthrie, Asymmetrie
|
normal bis leicht
|
|
LGMD1B(AD-EMD)
|
LMNA
|
LaminA/C
|
Kindheit
|
Ellenbogen-, Spitzfuß-kontrakturen, Rigid Spine
|
normal bis leicht
|
|
LGMD1C
|
CAV3
|
Caveolin-3
|
Kindheit
|
Myokymien bei Perkussion
|
leicht bis mäßig
|
|
LGMD1D
|
DNAJB6
|
HSP-40 Homologue, Subfamily B, Number 6
|
Erwachsenenalter
|
distal
|
normal bis leicht
|
|
LGMD1E
|
DES
|
Desmin
|
Erwachsenenalter
|
distal
|
normal bis mäßig
|
|
LGMD1F
|
TNPO3
|
Transportin 3
|
Kindheit bis Erwachsenenalter
|
distal, Kontrakturen
|
normal bis mäßig
|
|
LGMD1G
|
HNRPDL
|
Heterogeneous nuclear ribonucleoprotein D-like
|
Jugend bis Erwachsenenalter
|
Finger- und Zehenkontrakturen
|
normal bis mäßig
|
|
LGMD1H
|
3p23–p25
|
?
|
Erwachsenenalter, spät
|
Wadenhypertrophie
|
normal bis mäßig
|
|
LGMD1I
|
CAPN3 (dominante Mutation)
|
Calpain3
|
Erwachsenenalter
|
milder als LGMD2A
|
|
|
Autosomal-rezessiv erbliche Muskeldystrophien
|
|
LGMD2A
|
CAPN3
|
Calpain-3
|
Kindheit bis Jugend
|
Kontrakturen, Scapula alata, Asymmetrie
|
hoch
|
|
LGMD2B
|
DYSF
|
Dysferlin
|
Jugend bis Erwachsenenalter, früh
|
distal, Schmerzen, entzündliche Infiltrate
|
sehr hoch
|
|
LGMD2C-F
|
SGCG, SGCA, SGCB, SGCD
|
gamma-, alpha-, beta-, delta-Sarkoglykan
|
Kindheit
|
DMD-ähnlich
|
sehr hoch
|
|
LGMD2G
|
TCAP
|
Telethonin
|
Jugend
|
distal
|
erhöht
|
|
LGMD2H
|
TRIM32
|
Tripartite Motif-containing 32
|
Erwachsenenalter
|
|
erhöht
|
|
LGMD2I
|
FKRP
|
Fukutin-related Protein
|
ab Kindheit
|
Zwerchfellschwäche, Muskelhypertrophie
|
stark erhöht
|
|
LGMD2J
|
TTN
|
Titin
|
ab Kindheit
|
distal
|
normal bis erhöht
|
|
LGMD2K
|
POMT1
|
Protein-O-mannosyl transferase 1
|
Kindheit
|
Mikrozephalie, ZNS-Fehlbildungen
|
stark erhöht
|
|
LGMD2L
|
ANO5
|
Anoctamin 5
|
Jugend bis Erwachsenenalter
|
distal, asymmetrisch
|
stark erhöht
|
|
LGMD2M
|
FKTN
|
Fukutin
|
Kindheit
|
Lernstörungen, Muskelhypertrophie
|
stark erhöht
|
|
LGMD2N
|
POMT2
|
Protein-O-Mannosyl Transferase 2
|
ab Kindheit
|
Lernstörungen, Muskelhypertrophie
|
stark erhöht
|
|
LGMD2O
|
POMGNT1
|
O-linked Mannose β1,2-N-Acetylglucosaminyl-Transferase
|
ab Kindheit
|
Lernstörungen, Muskelhypertrophie
|
stark erhöht
|
|
LGMD2P
|
DAG1
|
Dystroglycan 1
|
Kindheit
|
Lernstörungen, Muskelhypertrophie, Kontrakturen
|
stark erhöht
|
|
LGMD2Q
|
PLEC
|
Plectin
|
Kindheit
|
distal
|
stark erhöht
|
|
LGMD2R
|
DES
|
Desmin
|
Jugend
|
faziale Schwäche
|
normal
|
|
LGMD2S
|
TRAPPC11
|
Trafficking Protein Particle Complex 11
|
Kindheit
|
ZNS-Beteiligung, Bewegungsstörungen, Alakrimie, Katarakt
|
stark erhöht
|
|
LGMD2T
|
GMPPB
|
GDP-Mannose Pyrophosphorylase B
|
ab Kindheit
|
ZNS-Beteiligung, Myasthenie, Katarakt
|
stark erhöht
|
|
LGMD2U
|
ISPD
|
Isoprenoid Synthase Domain containing
|
Kindheit
|
ZNS-Beteiligung, Wadenhypertrophie
|
stark erhöht
|
|
LGMD2V
|
GAA
|
Acid alpha-Glucosidase Preprotein
|
Erwachsenenalter, spät
|
adulte Pompe-Erkrankung
|
normal bis mäßig erhöht
|
|
LGMD2W
|
LIMS2
|
LIM and senescent Cell Antigen-like Domains 2
|
Kindheit
|
Wadenhypertrophie, dreieckige Zunge
|
erhöht
|
|
LGMD2X
|
BVES
|
Blood Vessel epicardial Substance
|
Erwachsenenalter
|
|
erhöht
|
|
LGMD2Y
|
TOR1AIP1
|
Lamina-associated Polypeptide 1B (LAP 1B)
|
ab Kindheit
|
Kontrakturen, rigid Spine
|
normal
|
|
LGMD2-LAMA2
|
LAMA2
|
Laminin alpha2
|
ab Kindheit
|
subklinische ZNS-Beteiligung, Polyneuropathie
|
leicht erhöht
|
Erwartungsgemäß haben diese genetischen Befunde die Klassifikation und die Diagnostik
der neuromuskulären Erkrankungen, insbesondere auch der Muskeldystrophien, revolutioniert.
Durch die Kenntnis der Gene und Genprodukte wurde aber auch das Verständnis der molekularen
Physiologie der Muskeln entscheidend gefördert. Natürliche und durch Gentransfer erzeugte
Tiermodelle ermöglichen heute ein direktes Studium der Pathophysiologie der Erkrankungen
und die Entwicklung und präklinische Erprobung gen- und pathophysiologieorientierter
Therapieansätze [6].
Parallel hierzu verliefen die Entwicklung der klinischen Biometrie als Basis valider
klinischer Studien, das politische und wirtschaftliche Erstarken nationaler und internationaler
Interessengruppen Betroffener und ein zunehmendes Interesse der Gesundheitspolitik
und pharmazeutischen Industrie auch an seltenen Krankheiten. Koordiniert durch nationale
und internationale Netzwerke aller interessierten Gruppen (MD-Net Deutschland, AFM
Frankreich, Telethon Italien, MDA USA, TREAT-NMD Allianz Europa und weltweit, und
viele andere) führte dies zu einer erheblichen Zunahme präklinischer und klinischer
Therapiestudien, von denen die ersten bereits – wenn auch vorerst meist nur mäßig
ausgeprägte – Therapieeffekte belegen konnten [7].
Galten die Muskeldystrophien früher als nicht behandelbares Schicksal, so wuchs seit
den 1980er-Jahren unter dem Einfluss der International Classification of Function,
Disability and Handicap (ICF) das Interesse an einer Verbesserung von Funktion und
Lebensqualität auch bei Menschen mit nicht heilbaren Erkrankungen [8]. Dem begegnete der Bedarf der entstehenden klinischen Studien nach validen Funktions-
und Zielkriterien sowie nach vergleichbaren Standards der Grundversorgung zwischen
den randomisierten Therapiearmen. In internationaler Zusammenarbeit zahlreicher Autoren
und Disziplinen wurden erstmals 2010 „Standards of Care“ für die Duchenne-MD publiziert,
die jüngst neu aufgelegt und erweitert wurden [9], [10], [11], [12], [13].
Bereits die konsequente Anwendung dieser Standards verbesserte nicht nur die Lebensqualität,
sondern auch die Lebenserwartung der Patienten entscheidend, sodass die DMD heute
nicht mehr nur als pädiatrische Erkrankung mit Versterben in der frühen Adoleszenz
zu betrachten ist. Viele Betroffene erreichen jetzt ein Alter von 30 – 40 Jahren und
mehr und erfordern damit eine adäquate Versorgung auch im Bereich der Disziplinen
für Erwachsene [14].
Diagnose und Differenzialdiagnose
Diagnose und Differenzialdiagnose
Klinisches Erscheinungsbild
Tipp
Die erste diagnostische Hypothese orientiert sich am klinischen Bild, dem Geschlecht
und Alter des Patienten und am Wissen über die Häufigkeit, mit der mit einer bestimmten
Diagnose bei der vorliegenden Konstellation zu rechnen ist ([Tab. 2]).
Tab. 2 Inzidenz und Manifestationsalter verschiedener neuromuskulärer Erkrankungen. Nach
[2], [4].
|
Erkrankung
|
Inzidenz
× 10−5
|
Manifestationsalter
|
|
Dystrophinopathien:
|
|
|
|
|
10,0 – 19,0
|
3 – 6 Jahre
|
|
|
1,7 – 4,5
|
6 – 30 Jahre
|
|
Charcot-Marie-Tooth-Gruppe
|
13,6
|
6 Jahre bis Erwachsenenalter
|
|
spinale Muskelatrophien
|
12,0
|
0 – 5 Jahre
|
|
kongenitale Muskeldystrophien und Strukturmyopathien
|
7,5
|
0 – 5 Jahre
|
|
myotone Dystrophie
|
5,0
|
(0–) > 10 Jahre
|
|
mitochondriale und metabolische Myopathien
|
4,2
|
0 Jahre bis Erwachsenenalter
|
|
fazio-skapulo-humerale MD
|
0,8
|
12 – 30 Jahre
|
|
Gliedergürtelmuskeldystrophien
|
0,8 – 2,3 (in Europa am häufigsten: LGMD2A, -B, -I, -L, bei Kindern auch C – F)
|
6 Jahre bis Erwachsenenalter (s. a. [Tab. 1])
|
|
kongenitale Myasthenien
|
0,6
|
0 Jahre bis Erwachsenenalter
|
Muskeldystrophie Duchenne
Merke
Im Kindesalter ist die Muskeldystrophie Duchenne die mit großem Abstand häufigste
und leider auch am frühesten beginnende und schwersten verlaufende Erkrankung, mit
Beginn an der Muskulatur des Beckengürtels. Aufgrund des X-gebundenen Erbganges sind
mit sehr wenigen Ausnahmen (X0-Turner-Syndrom, Konduktorinnen mit stark asymmetrischer
X-Inaktivierung) nur Jungen betroffen.
Die Jungen fallen häufig bereits sehr früh und unspezifisch durch mangelnde motorische
Koordination und verzögerte Sprachentwicklung auf (s. a. [Fallbeispiel 1]). Mit dem 2. – 5. Lebensjahr werden die typischen muskulären Symptome erkennbar:
Hypertrophie und Verfestigung der Waden, Schwierigkeiten beim Aufrichten vom Boden
und Treppensteigen durch Schwäche der Hüftstrecker. In der Folge verbessert sich die
motorische Funktion entwicklungsbedingt meist noch, bis die Fortschritte im Alter
von 5 – 7 Jahren nach Art eines „Plateaus“ stagnieren. Parallel entwickeln sich Kontrakturen
der unteren Extremitäten, zunächst als Spitzfuß, dann als Hüft- und Kniebeugekontraktur
und Kontraktur des Tractus iliotibialis.
Fallbeispiel 1
Ein 4-jähriger Junge erhält bereits seit Längerem Physiotherapie wegen motorischer
Ungeschicklichkeit. Er hat sich noch nie aus der Rückenlage aufrichten können, sondern
dreht sich zum Aufsitzen zunächst auf den Bauch. In den letzten Monaten ist aufgefallen,
dass er sich beim Treppensteigen vermehrt am Geländer hochzieht und beim Aufrichten
zum Stand an Möbeln stützt. Die Bestimmung der CK ergibt einen Wert von 10 000 U/l.
Die weitere Diagnostik bestätigt den Verdacht auf eine Muskeldystrophie Duchenne.
Abb. 1 Klinische Erscheinungsbilder von Muskeldystrophien. (Quelle: Rohmann R, Kermer P.
Muskeldystrophien. In Rohkamm R, Kermer P, Hrsg. Taschenatlas Neurologie. 4., vollst.
überarbeitete Auflage. Thieme; 2017.)
Als Resultat zunehmender Muskeldegeneration und Kontrakturen verschlechtert sich die
Gehfähigkeit in der Folge kontinuierlich, bis mit 8 – 12 Jahren die Gehunfähigkeit
eintritt. In der Rollstuhlphase nehmen die Paresen und Kontrakturen dramatisch zu
und erfassen auch die oberen Extremitäten.
Die meisten Patienten entwickeln unbehandelt eine progrediente Skoliose, die schließlich
zur Unfähigkeit auch des Sitzens und zu schmerzhaften Haltungsstörungen führt. Es
resultieren rezidivierende bronchopulmonale Infektionen und Ateminsuffizienz, die
im Spontanverlauf schließlich zusammen mit der krankheitstypischen Kardiomyopathie
zum Tod führen [2].
Muskeldystrophie Becker
Die allele Becker-MD macht etwa 10 – 20% der Dystrophinopathien aus. Trotzdem ist
sie im Erwachsenenalter deutlich häufiger als alle übrigen Muskeldystrophien vom Gliedergürteltyp
zusammen. Sie manifestiert sich später, sehr variabel vom Schul- bis zum Erwachsenenalter
und verläuft entsprechend milder; insgesamt ist von einem Kontinuum zwischen schwerer
DMD und milder BMD auszugehen. Die Lebenserwartung ist meist nicht eingeschränkt.
Einige Erwachsene manifestieren sich auch ausschließlich mit Beinschmerzen oder Kardiomyopathie,
ohne objektivierbare Schwäche.
Gliedergürtelmuskeldystrophien
Die übrigen, autosomal-dominant oder -rezessiv erblichen Gliedergürtelmuskeldystrophien
(LGMD) sind sehr viel seltener, mit großer Variabilität der Häufigkeit zwischen verschiedenen
Populationen. Sie machen zusammen nur etwa 6% aller neuromuskulären Erkrankungen aus
([Tab. 2]). Klinisch verlaufen viele dieser Entitäten Becker-ähnlich oder noch milder, es
gibt aber auch solche mit Beginn im Kindesalter und Duchenne-ähnlichem Verlauf ([Tab. 1]). Hervorzuheben ist, dass auch die seltene LGMD2V (= adulte Pompe-Erkrankung) ein
Becker-ähnliches Bild mit proximaler Bein- und axialer Schwäche zeigen kann.
Abweichend von der proximalen Lokalisation im Bereich der Gliedergürtel gibt es Syndrome
mit distalem Beginn, mit asymmetrischer Schwäche und mit leichten Lernstörungen bis
zur schweren ZNS-Beteiligung mit Mikrozephalie. Letztere finden sich vor allem in
der Gruppe der Enzymdefekte der O-Glykosylierung, die als Systemkrankheiten mit einem
kontinuierlichen Spektrum zwischen kongenitalen MD und LGMD (I, K, M – P, T) aufzufassen
sind [2], [3].
Klinische Diagnosepfade für die LGMD wurden von der Amerikanischen Akademie für Neurologie
publiziert [15].
Cave
Nicht wenige dieser Syndrome zeigen häufig eine respiratorische und/oder kardiale
Beteiligung, sodass eine detaillierte Diagnose eine der Voraussetzungen für eine adäquate,
prospektive Betreuung ist ([Tab. 3]) [4], [16].
Tab. 3 Respiratorische und kardiale Beteiligung bei Muskeldystrophien. Nach [4], [16].
|
Organbeteiligung
|
Erkrankung
|
|
respiratorische Insuffizienz (unter Umständen schon vor Gehverlust)
|
DMD
X-l Emery-Dreifuß LGMD1A, -1B, -1D, -1E, -1F, LGMD2C-F, -2I, -2J, -2K, -2 V, -2Y
|
|
Kardiomyopathie (meist dilatativ)
|
DMD > 80%, BMD > 50%
D/BMD-Konduktorinnen 10 – 15% LGMD1A, -1B, -1C, -1D, -1E, LGMD2B2D-F, -2 G, -2I, -2K, -2 M, -2 N, -2R, -2 T, -2 U,
-2 W, -2Y, -2X, LGMD-LAMA2
|
|
Rhythmusstörungen
|
DMD
X-l Emery-Dreifuß LGMD1B, -1C (selten), -1D, -1E, LGMD2I, -2X
myotone Dystrophie (MD1 und MD2)
|
Merke
Für die Pompe-Erkrankung (LGMD2V) steht eine ursächliche Behandlung mit Enzymersatztherapie
zur Verfügung.
Labor- und apparative Diagnostik
Serum-Kreatinkinase
Alle progressiven MD sind mit einer unterschiedlich starken Erhöhung der Serum-CK
assoziiert ([Tab. 1]). Maximale Werte > 3000 – 20 000 U/l finden sich typischerweise bei DMD, sie sinken
erst in der Adoleszenz, wenn die Muskulatur weitgehend geschwunden ist. BMD und andere
MD-Typen weisen meist niedrigere Werte auf (mit Ausnahme der Sarkoglykanopathien mit
DMD-ähnlichem Verlauf).
Merke
Eine orientierende CK-Untersuchung kann bei klinischem Verdacht somit die diagnostische
Richtung weisen, aber nicht die weitere Diagnostik ersetzen!
Elektrophysiologie
Beim beschriebenen Erscheinungsbild der DMD mit massiv erhöhter CK ist eine elektrophysiologische
Diagnostik verzichtbar, zumal sie für junge Kinder sehr belastend ist. Bei älteren
Patienten mit weniger spezifischer klinischer Präsentation können EMG und evtl. NLG
vor allem zur Unterscheidung myopathischer und neurogener (spinale Muskelatrophie
Typ 3 und 4!) oder myotoner (DM1, DM2) Erkrankungen sinnvoll sein. Auch die Pompe-Erkrankung
kann durch myotone Entladungsserien auffallen.
Bildgebung der Muskulatur
Seit Jahren werden Ultraschall, CT und MRT der Muskulatur in der Forschung und klinischen
Routine eingesetzt. Die Ultraschalluntersuchung ist in der Hand des Erfahrenen leicht
und ggf. am Krankenbett einsetzbar und lässt dystrophe und atrophe Gewebsveränderungen
erkennen.
Cave
Das CT ist heute aufgrund der Strahlenbelastung als nahezu obsolet anzusehen.
Das MRT gestattet mit T1- und T2-Sequenzen mit und ohne Kontrastmittelapplikation
eine sichere Unterscheidung zwischen normalem, dystroph-verfettetem und entzündetem
Muskelgewebe. Mit speziellen Sequenzen können die Messwerte quantifiziert und im Verlauf,
z. B. als Biomarker in Therapiestudien eingesetzt werden. Hiermit hat das Muskel-MRT
aktuell eine zunehmende Bedeutung in der Therapieforschung bei DMD und anderen MD
erlangt.
In der Routinediagnostik macht das MRT vor allem bei den selteneren neuromuskulären
Erkrankungen Sinn, da diese sich häufig durch spezifische Befallsmuster verschiedener
Muskelgruppen unterscheiden, die im MRT früher und objektiver zu erkennen sind als
klinisch. Ein deutlicher Befund kann dann evtl. direkt zu einer genetischen Diagnose
führen oder zumindest die Auswahl des optimalen Ortes für eine Muskelbiopsie steuern
[17], [18]
Muskelbiopsie
War bis vor wenigen Jahren die Muskelbiopsie noch in jedem Fall der Goldstandard zum
Beweis einer Muskeldystrophie, so ist diese heute nur noch erforderlich, wenn der
genetische Nachweis nicht praktikabel ist oder im Einzelfall nicht gelingt.
Merke
Weitgehendes Fehlen (bei DMD) oder eindeutige Verminderung (bei BMD und Konduktorinnen)
von Dystrophin in der Immunhistologie beweisen eine Dystrophinopathie, auch wenn sich
die Mutation bislang dem Nachweis entzieht.
Da die molekulargenetische Diagnostik bei den zahlreichen anderen Muskeldystrophien
sehr viel komplexer und auch organisatorisch schwieriger durchzuführen ist (s. u.),
spielt hier die Biopsie weiterhin eine größere Rolle. Die immunhistologische Untersuchung
der entsprechenden Genprodukte oder histologische Charakteristika gestatten es unter
Umständen, Hinweise auf das Vorliegen einer der selteneren, aber zahlreichen LGMD-Typen
zu erhalten. Leider sind aber aufgrund ihrer zellulären Lokalisation und technischer
Probleme nicht alle diese Genprodukte mit ausreichender Zuverlässigkeit immunhistologisch
erfassbar.
Molekulargenetik
Merke
Die Diagnosesicherung bei DMD und BMD erfolgt heute nach sorgfältiger klinischer Bewertung
und Beurteilung der CK (mit oder ohne EMG oder Bildgebung) molekulargenetisch.
Fast 80% der DMD- und Becker-MD beruhen auf großen Deletionen (68%) oder Duplikationen
(11%) von mehr als einem Exon, die mittels MLPA oder Array-CGH rasch und relativ kostengünstig
erfasst werden können. Bei 21% liegen kleinere Mutationen vor (5% Deletionen, 2% Insertionen,
3% Splice-Site-Mutationen, 11% Punktmutationen, darunter 10% Nonsense-Mutationen)
[2]. Der Nachweis dieser kleinen Mutationen erfordert eine zeitaufwendige und teure
Sequenzierung, die evtl. bis zum Nachweis eines Dystrophinmangels in einer Muskelbiopsie
zurückgestellt werden kann.
Fallbeispiel 2
Bei einem klinisch gesunden 14-jährigen Schüler ist im Rahmen einer Routineuntersuchung
eine deutliche Erhöhung der Transaminasen auf 500 – 700 U/l aufgefallen. Erst nach
unauffällig verlaufener, extensiver Diagnostik auf Leberkrankheiten bewies eine wiederholt
mit 2000 – 3000 U/l deutlich erhöhte CK, dass die Transaminasenerhöhung myogenen Ursprungs
ist. Die Muskelbiopsie ergab ein dystrophes Bild mit fleckiger Dystrophinanfärbung,
die molekulargenetische Diagnostik mittels MLPA ergab eine Deletion mehrerer Exone
im Dystrophin-Gen mit erhaltenem Leseraster: Muskeldystrophie Becker-Kiener.
Führt eine nachgewiesene Mutation zur Unterbrechung des genetischen Leserasters, so
stoppt die Dystrophinsynthese mit dem Resultat eines DMD-Phänotyps; bleibt das Leseraster
erhalten, so resultiert ein verkürztes, aber teilweise funktionelles Dystrophin mit
dem Resultat einer BMD.
Tipp
Es sollte heute, auch wenn die Diagnose z. B. aufgrund von Klinik und Familienanamnese
bereits unzweifelhaft ist, in jedem Fall eine molekulargenetische Diagnosesicherung
angestrebt werden, da einige der aktuellen Therapien mutationsspezifisch sind, und
da nur die genetische Sicherung dem Patienten ggf. die Teilnahme an einer aktuellen
oder zukünftigen Therapiestudie ermöglicht.
Falls sich bei Verdacht auf eine Gliedergürteldystrophie aufgrund eines stark hinweisenden
klinischen Bildes oder eines verwertbaren Befundes in der Biopsie mit Immunhistologie
eine konkrete Verdachtsdiagnose ergibt, kann dieser im nächsten Schritt ebenfalls
durch gezielte molekulargenetische Untersuchung nachgegangen werden.
Merke
In unklaren Fällen ist im männlichen Geschlecht immer mit einer Analyse des Dystrophin-Gens
zu beginnen, da auch bei Jugendlichen und Erwachsenen die Becker-MD häufiger als die
übrigen LGMD ist!
Danach dürfte die Zahl der in Frage kommenden Syndrome aber meist so groß sein, dass
bei Verdacht auf LGMD heute eine umfassendere molekulargenetische Diagnostik in Form
eines Gen-Panels frühzeitig erwogen werden sollte [2], [15].
Tipp
Dabei ist zu beachten, dass die Kostenübernahme für eine Multi-Gen-Panel-Diagnostik
mit mehr als 25 kb kodierender Sequenz durch die gesetzliche Krankenversicherung genehmigt
werden muss, und dass Patienten, deren Diagnostik bis 25 kb keine Klärung erbracht
hatte, erst nach einer Wartezeit von 1 Jahr weiterführende molekulargenetische Diagnostik
erhalten können. Dies erfordert in jedem Einzelfall eine sinnvolle strategische Planung
der Untersuchungen unter Berücksichtigung der immunhistologischen und genetischen
Möglichkeiten.
Pulmologische und kardiologische Untersuchungen
Die Dystrophinopathien und viele der weiteren Muskeldystrophien führen durch Beteiligung
der respiratorischen Muskeln und Versteifung des Thorax sekundär zu einer Einschränkung
der Lungenfunktion.
Cave
Bei einigen LGMD-Typen, vor allem mit Rigid-Spine-Symptomatik, kann die Einschränkung
der Lungenfunktion schon vor dem Verlust der Gehfähigkeit eintreten ([Tab. 3]) [2], [4], [15].
Die Beteiligung des Herzens in Form von Kardiomyopathien und Rhythmusstörungen ist
hingegen krankheitsspezifisch auf die Beteiligung des Myokards und/oder Reizleitungssystems
am Krankheitsprozess zurückzuführen ([Tab. 3]). Im Sinne der Früherkennung und Therapiesteuerung sind deshalb entsprechende Untersuchungen
(s. u., Abschn. „Standards der Versorgung“) vom Zeitpunkt der Diagnosestellung an
erforderlich; ggf. können sie auch zur syndromatischen Klassifikation beitragen (z. B.
beim Emery-Dreifuß-Syndrom) [2], [16].
Anti-HMGCR-Myopathie als Differenzialdiagnose
Fallbeispiel 3
Ein sonst gesundes 14-jähriges Mädchen leidet seit mehreren Jahren an einer fortschreitenden
proximalen, im Verlauf etwas fluktuierenden Muskelschwäche und -atrophie. Die CK schwankt
im Verlauf zwischen 1000 und 3000 U/l. Die Muskelbiopsie zeigt eine nekrotisierende
Myopathie ohne wesentliche entzündliche Zeichen. Extensive immunhistologische und
dann auch genetische Analysen können die Ursache der vermuteten Muskeldystrophie nicht
aufklären. Erst der Nachweis deutlich erhöhter HMGCR-Antikörper führt zur Diagnose
einer entzündlichen Genese.
Die Behandlung mit intravenösen Immunglobulinen führt bereits nach wenigen Wochen
zu einer wesentlichen Besserung der motorischen Fähigkeiten.
Die Anti-HGMCR (3-Hydroxy-3-Methylglutaryl-Coenzym-A-Reduktase)-Myopathie wurde zuerst
bei Erwachsenen als erworbene Myopathie unter einer Behandlung mit Statinen zur Senkung
erhöhter Blutfette beschrieben. Kürzlich wurde das Krankheitsbild erstmals auch bei
Kindern und Jugendlichen ohne Statinexposition beobachtet. Aufgrund des häufig sehr
ähnlichen, „muskeldystrophen“ Phänotyps sollte deshalb bei unklarer Befundlage in
allen Altersstufen differenzialdiagnostisch auch an die Möglichkeit des Vorliegens
einer Anti-HMGCR-Myopathie gedacht werden!
Es handelt sich um eine schleichend beginnende entzündliche Myopathie mit deutlicher
bis starker CK-Erhöhung. Bioptisch findet sich eine nekrotisierende Myopathie mit
allenfalls minimalen Zellinfiltraten. Die Diagnose ist durch den Nachweis erhöhter
HMGCR-Antikörper im Serum zu sichern. Eine immunsuppressive Therapie ist erforderlich
und wirksam, i. v. Immunglobuline scheinen besonders empfehlenswert zu sein [19].
Standards der Versorgung
Von zahlreichen Disziplinen sind in den zurückliegenden Jahrzehnten Behandlungsansätze
zur Verbesserung von Funktion und Lebensqualität bei Patienten mit neuromuskulären
Erkrankungen, insbesondere auch DMD, entwickelt und publiziert worden. Diese sind
jedoch nur sehr selten mit adäquat kontrollierten Methoden untersucht worden und sind
im Ergebnis vielfach widersprüchlich. Um trotz dieser schwachen Beweislage für die
Effizienz der Methoden Standards für die Betreuung der Patienten zu erarbeiten, fanden
sich auf Initiative des US-Center for Disease Control and Prevention und verschiedener
Verbände multidisziplinäre internationale Arbeitsgruppen aus neuromuskulären Experten
zusammen, die nach systematischer Analyse der verfügbaren Literatur deren Ergebnisse
bewerteten und in einem strukturierten Verfahren konsentierten. Die resultierenden
„Standards of Care“ wurden erstmals zwischen 2010 und 2012 für DMD, spinale Muskelatrophien
(SMA), kongenitale Muskeldystrophien und kongenitale Myopathien publiziert [9], [10], [20], [21], [22].
Tipp
Für die Standards of Care stehen auf der Website von TREAT-NMD familienfreundliche
Zusammenfassungen zum Herunterladen in verschiedenen Sprachen zur Verfügung, die auch
zur raschen Einarbeitung für Fachpersonal geeignet sind (www.TREAT.NMD.eu), und zwar für folgende Muskeldystrophieformen:
-
Duchenne-Muskeldystrophie (DMD),
-
spinale Muskelatrophien (SMA),
-
kongenitale Muskeldystrophien,
-
kongenitale Myopathien.
Anfang 2018 wurden die Standards für SMA und DMD aktualisiert [11], [12], [13], [23], [24]. Bereits 2014 veröffentlichte die Leitlinienkommission der American Academy of Neurology
eine systematische Analyse der Literatur und Empfehlungen zu Diagnostik und Therapie
bei LGMD [15].
Die folgenden, stark gekürzten Ausführungen sind im Wesentlichen den aktuellen DMD-Standards
entnommen, für Details muss auf die Originalpublikationen verwiesen werden. Diese
Standards sind grundsätzlich auf den typischen rasch progressiven Verlauf der DMD
ausgerichtet.
Merke
Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Progredienz können viele der Empfehlungen
für die DMD aber auch auf andere Muskeldystrophien, wie BMD oder LGMD, übertragen
werden [2], [4], [15].
Die DMD-Versorgungsstandards sind in die in der Übersicht zusammengestellten Kapitel
aufgeteilt.
Übersicht
DMD-Versorgungsstandards
Kapitelübersicht
-
Diagnose
-
Neuromuskuläre Betreuung
-
Rehabilitative Betreuung
-
Endokrinologische und osteologische Betreuung
-
Gastroenterologische und ernährungsmedizinische Betreuung
-
Pulmologische Betreuung
-
Kardiologische Betreuung
-
Orthopädische und chirurgische Betreuung
-
Psychosoziale Betreuung
-
Transition der Versorgung von der Pädiatrie zur Erwachsenenmedizin
Die Empfehlungen sind zusätzlich differenziert nach den unterschiedlichen Krankheits-
und Lebensabschnitten des Patienten:
-
bei Diagnosestellung,
-
frühe Phase der Gehfähigkeit,
-
späte Phase der Gehfähigkeit,
-
frühe Phase der Rollstuhlabhängigkeit,
-
späte Phase der Rollstuhlabhängigkeit.
Betreuung durch neuromuskuläre Spezialisten
Patienten mit DMD sollten regelmäßig in der Sprechstunde eines mit dieser Erkrankung
erfahrenen Spezialisten vorgestellt werden. Dort soll der individuelle Krankheitsverlauf
mit validierten Untersuchungsmethoden verfolgt werden, um den zukünftigen Verlauf
abschätzen und Patient und Familie bezüglich Prognose und potenziellen Komplikationen
beraten zu können.
Merke
Schon in der Phase der frühen Gehfähigkeit sollen Funktion, Kraft und Bewegungsumfang
der Gelenke alle 6 Monate überprüft werden, um das Krankheitsstadium zu definieren.
Der Spezialist soll dem Patienten und der Familie als Berater zur Verfügung stehen,
damit diese über den ganzen Krankheitsverlauf ihre individuellen Behandlungsziele
definieren und eine Nutzen-Risiko-Abwägung anstehender therapeutischer Interventionen
vornehmen können. Der Spezialist soll Advokat einer guten Versorgung der Patienten
in ihren Schulen, sonstigen Einrichtungen und der Gemeinschaft sein, er kümmert sich
auch um die Transition vom pädiatrischen in den adulten Versorgungsbereich und um
angemessene Behandlung bei Krankenhausaufenthalten [11].
Über eine mögliche Behandlung mit Kortikosteroiden sollte die Familie bereits bei
Diagnosestellung beraten werden. Mit dem Erreichen der Plateauphase der motorischen
Funktionen sollte die Behandlung mit Kortikosteroiden gestartet und ihr Verlauf im
Weiteren bezüglich Effekt und Nebenwirkungen überwacht und gesteuert und so lange
fortgesetzt werden, wie der Nutzen die Nebenwirkungen überwiegt ([Tab. 4]) [11], [25].
Tab. 4 Kortikosteroide bei Duchenne-Muskeldystrophie. Nach [11].
|
Fragestellung zur Kortikoidtherapie
|
Maßnahmen
|
|
Wann beginnen?
|
vor einer wesentlichen Funktionsverschlechterung (in der Plateauphase [= Stillstand
der motorischen Entwicklung)])
nach Diskussion der Nebenwirkungen
nach Ernährungsberatung
nach Aktualisierung des Impfstatus (VZV etc.)
|
|
Mit welcher Dosierung?
|
Prednison oder Prednisolon 0,75 mg/kg/d, morgendliche Einmaldosis
oder
Deflazacort 0,9 mg/kg/Tag, morgendliche Einmaldosis
|
|
Dosisänderungen
|
bei nicht beherrschbaren oder nicht tolerablen Nebenwirkungen
bei funktioneller Verschlechterung.
-
Dosissteigerung auf die Ausgangsdosis/kg, bezogen auf das aktuelle Gewicht
-
Überprüfung nach 2 – 3 Monaten
|
|
Kortikosteroide in der Rollstuhlphase
|
Behandlung fortführen, evtl. mit reduzierter Dosis zur Beherrschung von Nebenwirkungen
Auch ältere steroidnaive Patienten könnten evtl. von einer neu begonnenen Behandlung
profitieren
|
|
zu beachtende Probleme und Nebenwirkungen
|
Appetit- und Gewichtssteigerung
Verminderte Wachstumsrate
Entwicklung von Katarakten (grauer Star)
Verstärkung der Osteoporose
|
|
Nebennierenrindensuppression
|
Informiere Patient und Familie über Symptome und Management einer adrenalen Krise.
Verordne Hydrokortison für die häusliche Anwendung.
Für Patienten, die mehr als 12 mg/m2 am Tag Prednison oder Deflazacort einnehmen, verordne:
|
|
Kortikosteroide nicht abrupt beenden!
|
Dosisreduktion um 20 – 25% alle 2 Wochen
Nach Erreichen der physiologischen Dosis (3 mg/m2 am Tag Prednison oder Deflazacort), Umsetzen auf 12 mg/m2 am Tag Hydrokortison, geteilt in 3 gleiche Dosen.
Setze die Reduktion um 20 – 25% jede Woche fort, bis eine Dosierung von 2,5 mg Hydrokortison
jeden 2. Tag erreicht ist.
Beende Hydrokortison nach 2 Wochen alternierender Behandlung.
Teste die morgendliche CRH-stimulierte oder ACTH-stimulierte Cortisolkonzentration
wiederholt, bis die Hypophysenachse (HPA) normalisiert ist.
Setze die Stressdosierung fort, bis sich die HPA-Achse normalisiert (dies kann 12
Monate oder länger dauern).
|
Rehabilitative Versorgung
Es sollten regelmäßige umfassende Untersuchungen und Bewertungen durch ein multidisziplinäres
Team stattfinden, die auch standardisierte Methoden wie Bewegungsumfänge der Gelenke
(ROM), North Star Ambulatory Assessment (NSAA) oder Muscle Function Measure (MFM)
sowie zeitgemessene Funktionstests (Gehen über 10 m, Aufstehen vom Boden, Ersteigen
einer normierten Treppe etc.) beinhalten.
Ausgehend von diesen Untersuchungen sollen über alle Krankheitsphasen angepasste physiotherapeutische,
ergotherapeutische und ggf. logopädische Behandlungen jedem Patienten individualisiert
angeboten werden. Von Anfang an soll unter Anleitung der Physiotherapie ein Programm
von Dehnungsübungen für Sprung-, Knie- und Hüftgelenke durch die Eltern und/oder häuslichen
Betreuer durchgeführt werden. Dies wird in der späten Rollstuhlphase durch Dehnungsübungen
für die oberen Gelenke ergänzt.
Solange der Patient gehfähig ist, assistieren die Therapeuten bei der Vorbeugung von
Kontrakturen und Vermeidung von Überanstrengung und Stürzen; sie fördern adäquate
Übungen und motorische Aktivität und schlagen die Versorgung mit Orthesen, notwendigen
Hilfsmitteln und Lernunterstützung vor. In der Rollstuhlphase kümmert sich das rehabilitative
Team um die Versorgung mit Mobilitätshilfen, Sitzzurichtungen, Stehhilfen und sonstigen
assistiven Technologien. Es unterstützt die Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten
und fördert Zugang, Partizipation und Selbstverwirklichung des Patienten bis ins Erwachsenenalter
[11].
Merke
Während die amerikanische Leitlinie für Gliedergürtelmuskeldystrophien (LGMD) 2014
noch keine ausreichende Evidenz für eine Wirksamkeit von Physiotherapie bei LGMD und
anderen langsam progredienten Erkrankungen finden konnte, zeigen kontrollierte aktuelle
Studien, evtl. kombiniert mit kognitiver Verhaltenstherapie, deutlich positivere Ergebnisse
[26], [27], [28] (Übersicht in [4]).
Orthopädische Versorgung
Orthesen und Chirurgie im Bereich der unteren Extremitäten
In der Phase der frühen und späten Gehfähigkeit sollen individuell angepasste Nachtschienen
in Neutralposition verordnet werden, sobald die Dorsalextensionsfähigkeit des Sprunggelenks
10 Grad unterschreitet. Operative Maßnahmen an Fuß und Achillessehne können zur Verbesserung
der Gehfähigkeit durchgeführt werden, wenn eine ausgeprägte Achillessehnenkontraktur
bei noch guter Kraft von Knie- und Hüftstreckern vorliegt. Im Fall von Frakturen sollte
eine operative Behandlung angestrebt werden, wenn diese eine frühe Mobilisation zum
Erhalt der Gehfähigkeit erwarten lässt.
In der Phase der frühen Rollstuhlabhängigkeit sollten auch tagsüber angepasste Knöchel-Fuß-Orthesen
(AFO) getragen werden, um die Zunahme der Kontrakturen zu verzögern. Es sollte therapeutisches
Stehen in einem Stehständer oder einem Rollstuhl mit Stehhilfe propagiert werden.
In dieser Phase erscheint eine operative Behandlung im Bereich der Füße nur bei bestehendem
Wunsch des Patienten sinnvoll. Ab dieser Phase sollten Frakturen eher konservativ
und ohne belastende operative Maßnahmen behandelt werden.
In der späteren Rollstuhlphase sollte der Patient zusätzlich zu den Beinorthesen individuell
angepasste Hand-/Handgelenkschienen erhalten. Jetzt ist das Stehen im Stehständer
mit Vorsicht durchzuführen. Chirurgische Maßnahmen im Bereich der Füße sind nur bei
schweren Schmerzen oder anders nicht beherrschbaren Hautproblemen indiziert [12].
Beurteilung und Behandlung einer Skoliose
Solange der Patient noch gehfähig ist, ist eine jährliche klinische Inspektion und
Beurteilung der Wirbelsäulenhaltung ausreichend. Nach dem Verlust der Gehfähigkeit
sollte diese Untersuchung alle 6 Monate erfolgen. Nach Verlust der Gehfähigkeit sollte
eine a.–p. Röntgenaufnahme der Wirbelsäule angefertigt werden; falls eine beginnende
Skoliose besteht, sollte diese Untersuchung in Abhängigkeit von der Skelettreife alle
6 – 12 Monate wiederholt werden. Bei Zunahme des Skoliosewinkels über 20 Grad sollte
die Vorstellung bei einem in der Skoliosechirurgie erfahrenen Orthopäden erfolgen.
Cave
Therapeutisch sollte eine Korsettversorgung in allen Krankheitsstufen vermieden werden,
da dies die Skolioseprogredienz nicht aufhält und die Atmung zusätzlich beeinträchtigen
kann. Vor jeder operativen Intervention ist eine kardiologische und pulmologische
Bestandsaufnahme erforderlich!
Bei präpubertären DMD-Jungen, die keine Behandlung mit Kortikosteroiden erhalten,
sollte in der frühen Rollstuhlphase eine Wirbelsäulenoperation mit posteriorer Instrumentierung
und Fusion erwogen werden, wenn ein Skoliosewinkel > 20 – 30 Grad überschritten wird.
In der späteren Rollstuhlphase sollte diese Operation bei progredienter Skoliose durchgeführt
werden, solange die Lungenfunktion stabil ist [12], [29], [30].
Bei der Beratung und Entscheidung zu einer operativen Behandlung der Skoliose sind
neben der akuten pulmonalen und kardialen Belastung auch längerfristige Komplikationen
wie Verschlechterung der Atemkapazität, Infektionen und Lockerung oder Bruch der Metallstäbe
zu bedenken. Diese sind abzuwägen gegen den bei weiterer Progredienz zu erwartenden
Verlust der Sitzfähigkeit und das schmerzhafte Impingement des Rippenbogens am Beckenkamm.
Respiratorische Versorgung
Fallbeispiel 4
Ein 18 Jahre alter junger Mann mit Duchenne-Muskeldystrophie ist aufgrund seiner fortgeschrittenen
Tetraparese an den Rollstuhl gebunden und weitgehend von Alltagshilfen abhängig, kann
aber noch mit der verbliebenen Restfunktion der Finger seinen Elektrorollstuhl steuern
und mit geeigneten Hilfsmitteln seinen Computer bedienen.
In den letzten Jahren ist es trotz intensivierter physiotherapeutischer Atemtherapie
vermehrt zu respiratorischen Infekten gekommen. Jetzt hat sich sein Allgemeinbefinden
sehr verschlechtert, er klagt über Müdigkeit, depressive Verstimmungen, Schwindel
und Konzentrationsschwäche. Die Polysomnografie deckt ein ausgeprägtes schlafgebundenes
Hypoventilationssyndrom auf.
Die Einleitung einer nichtinvasiven Heimbeatmung über Maske während der Nachtstunden
führt zu einer raschen Besserung seines Befindens, schon nach 3 Tagen kann er wieder
die Lokalzeitung „von vorne bis hinten“ lesen. In den folgenden Jahren lebt er zu
Hause unterstützt durch Pflege- und Integrationshelfer und organisiert die dazu nötigen
sozialrechtlichen Belange selbstständig.
Merke
Bei Patienten mit DMD sollte wie bei anderen behinderten Menschen ein guter Impfschutz,
insbesondere gegen Pneumokokken und Influenza empfohlen werden.
Solange Gehfähigkeit besteht, sind bei noch geringem Risiko spirometrische Untersuchungen
und Polysomnografien nur bei verdächtigen Symptomen erforderlich. Ab der frühen Rollstuhlphase
sollte die Atemfunktion alle 6 Monate mittels Messung von FVC, MIP/MEP, PCF, SpO2 und petCO2/ptcCO2 überwacht werden. Eine Polysomnografie ist bei klinischen Hinweisen auf obstruktive
Schlafapnoen oder andere schlafbezogene Atemstörungen erforderlich.
Lungenblähungen mit einem geeigneten Gerät werden empfohlen, wenn die FVC unter 60%
des Erwartungswertes sinkt. Bei Absinken des FVC < 50%, des PCF < 270 l/min oder des
MEP < 60 cm H2O wird die Versorgung mit einem Hustenassistenzgerät (assisted Cough) empfohlen.
Klinische Symptome einer schlafbezogenen Atemstörung, ein pathologisches Polysomnogramm
und pathologische Blutgase, insbesondere ein pCO2 > 45 mmHg, stellen die Indikation für eine nächtliche nichtinvasive Heimbeatmung
über eine Nasen- oder Gesichtsmaske dar.
Wenn Zeichen einer Dyspnoe untertags auftreten, oder untertags die Werte von SpO2 < 95%, pCO2 > 45 mmHg liegen, sollte eine nichtinvasive assistierte Beatmung auch tagsüber angeboten
werden.
Eine invasive Beatmung über ein Tracheostoma muss höchst individuell diskutiert werden,
wird aber nur in wenigen Zentren angeboten [12], [31].
Kardiologische Versorgung
Die Kardiomyopathie (KMP) bei DMD ist durch den Dystrophinmangel bedingt und stellt
sich im Verlauf, vor allem bei langem Überleben, durch konsequentes respiratorisches
Management bei praktisch jedem Patienten ein.
Cave
Eine Kardiomyopathie (KMP) stellt sich im Verlauf, vor allem bei langem Überleben,
bei praktisch jedem DMD-Patienten ein. Auch bei Konduktorinnen ist in etwa 15% der
Fälle mit der Entwicklung einer KMP zu rechnen, sodass auch diese Personengruppe regelmäßig
kardiologisch vorgestellt werden sollte.
Die Herzfunktion der DMD-Jungen sollte bei Diagnosestellung und dann jährlich mit
EKG und Echo-KG überwacht werden. Das kontrastmittelverstärkte Kardio-MRT zeigt die
typischen regionalen Veränderungen des Myokards deutlich früher als der Ultraschall,
wird aber nur empfohlen, wenn es altersabhängig ohne Analgosedierung durchführbar
ist. In der Rollstuhlphase treten wegen drohender Rhythmusstörungen 24-Stunden-EKG-Untersuchungen
hinzu. Bei pathologischen Befunden muss die Untersuchungsfrequenz auf 6-monatlich
oder häufiger erhöht werden.
Therapie
ACE-Hemmertherapie
Es wird heute empfohlen, männliche DMD-Patienten ab dem Alter von 10 Jahren mit ACE-Hemmern
zu behandeln, auch wenn noch keine Funktionsstörungen nachweisbar sind. Die Therapie
sollte spätestens beginnen, wenn der erste pathologische Ultraschallbefund des Herzens
erhoben wird.
Bei pathologischen Befunden im Sinne einer Herzinsuffizienz wird dann den kardiologischen
Standards entsprechend mit ACE-Hemmern, AC-R-Blockern, β-Blockern, Eplerenone und
anderen Diuretika therapiert. Antiarrhythmika oder Schrittmacher sind bei sonst guter
Lebensqualität evtl. zusätzlich erforderlich [12].
Fallbeispiel 5
Ein 16-jähriger Junge mit bekannter Becker-Muskeldystrophie leidet an einer milden
dilatativen Kardiomyopathie, bezüglich seiner neuromuskulären Funktion ist er bis
auf ebenfalls milde Kontrakturen selbstständig und nahezu voll belastbar. Während
eines Aktivurlaubs kommt es unvorhergesehen zu einer drastischen Verschlechterung
der Herzfunktion, die trotz Einsatz aller therapeutischen Möglichkeiten zur Bettlägerigkeit
und Lebensbedrohung führt.
Nach wenigen Monaten Wartezeit findet sich für ihn ein Spenderherz, und nach erfolgreicher
Transplantation kann er wieder ein selbstständiges Leben führen.
Bei Patienten mit Becker-MD und anderen Myopathien mit kardialer Beteiligung und noch
guter muskulärer und respiratorischer Funktion hat sich bei terminaler Herzinsuffizienz
auch die Anlage eines technischen Unterstützungssystems und schließlich die Durchführung
einer Herztransplantation bewährt. Dies gilt aber nicht für DMD-Patienten im fortgeschrittenen
Stadium aufgrund ihrer unzureichenden muskulären und respiratorischen Ressourcen [32].
Zusammenfassung der Standards
Trotz der im nächsten Abschnitt beschriebenen enormen Fortschritte der Therapieforschung
sind die progressiven Muskeldystrophien und insbesondere der Typ Duchenne noch nicht
heilbar oder auch nur in ihrem Verlauf wesentlich zu beeinflussen.
Merke
Damit behält die konsequente Umsetzung der beschriebenen und anderer Versorgungsstandards
noch über lange Zeit die zentrale Bedeutung, um Funktion und Lebensqualität der Betroffenen
in allen Krankheits- und Lebensphasen zu stabilisieren und zu verbessern.
Allein durch die Einführung und sorgfältige Umsetzung der nichtinvasiven Heimbeatmung
wurde das Leben der jungen Erwachsenen mit DMD um 10 Jahre verlängert. Ähnliches dürfte
mit der konsequenten und früh einsetzenden kardiologischen Therapie und den noch zu
beschreibenden pathophysiologieorientierten Therapien zu erwarten sein [14], [33].
Praxis Psychosoziale Konsequenzen der Versorgung
Diese für viele Patienten und Familien positive Entwicklung stellt für andere Betroffene
ein verlängertes Leben mit enormen physischen, psychosozialen und ökonomischen Belastungen
dar. Zweifellos hat jeder auch schwerst tetraparetische Patient mit DMD ein uneingeschränktes
Recht auf seine optimale Behandlung; ebenso hat er aber auch das Recht auf Behandlungsverzicht
in eigener Bestimmung. In diesem Sinne sind alle Therapieentscheidungen mit zunehmendem
Alter mit großer ethischer Verantwortlichkeit und in engstem Kontakt mit dem Patienten
und dessen Familie zu stellen.
Ein weiteres Problem in der Umsetzung dieser international erstellten und zur globalen
Anwendung gedachten Standards ist das Problem sehr unterschiedlicher und sehr häufig
mangelnder ökonomischer, fachärztlicher und fachtherapeutischer Ressourcen in vielen
Teilen der Welt. Nicht nur die hohen Medikamentenkosten, sondern auch die „noch überschaubaren“
Kosten für eine nichtinvasive Beatmung stellen in vielen Ländern unlösbare Probleme
dar. Selbst wenn eine Hilfsorganisation für einen 15-jährigen DMD-Jungen aus einem
armen Heimatland einen Elektrorollstuhl zur Ermöglichung der selbstbestimmten Mobilität
zur Verfügung stellen würde, würde dieser nach Rückkehr in die Heimat bei fehlender
Wartungsmöglichkeit sehr rasch funktionsuntüchtig werden. Vor wenigen Jahren zeigte
die EU-gesponserte Survey-Studie CARE-NMD, wie unterschiedlich selbst unter europäischen
Ländern die Umsetzung der fachärztlichen Betreuung sowie medikamentösen und apparativen
Versorgung der Duchenne-Patienten ist [34].
Aktuelle klinische Studien
Aktuelle klinische Studien
Wie schon in der Einleitung dargestellt, haben neben den Fortschritten der molekulargenetischen
und molekularbiologischen Forschung verschiedene Faktoren zu einem enormen und höchst
erfreulichen Zuwachs an präklinischen und schließlich auch klinischen Studien zur
Therapie neuromuskulärer Erkrankungen geführt. Dies betrifft aufgrund ihres paradigmatischen
Charakters, ihrer Häufigkeit und ihrer Schwere vor allem die Erkrankungen des Kindesalters
Muskeldystrophie Duchenne und SMA-5q [7], [35]. Die Datenlage zu LGMD ist sehr viel dünner und ohne bisher im Alltag verwertbare
Resultate [4], [15].
Die Forschungsansätze sind genetisch oder pathophysiologisch orientiert und lassen
sich wie folgt klassifizieren:
-
Gentherapie (Ersatz des defekten Gens, z. B. durch ein Mini-Gen)
-
Zelltherapie (durch genetisch manipulierte Myoblasten/Stammzellen)
-
mutationsspezifische Ansätze (Beeinflussung der Gentranslation)
-
medikamentöse Therapien
-
antiinflammatorische Substanzen
-
Reduktion der Fibrose
-
Steigerung der Durchblutung
-
Steigerung von Muskelmasse und -qualität
-
Hochregulierung von Utrophin und anderen Dystrophin-assoziierten Proteinen
Im Folgenden werden nur solche Therapien ausführlicher besprochen, die zurzeit bereits
eine (wenn unter Umständen auch nur beschränkte) Zulassung erhalten haben. Aus der
Fülle der weiteren medikamentösen Therapieansätze sind in [Tab. 5] diejenigen aufgeführt, die sich im Stadium klinischer Erprobung befinden oder kürzlich
befunden haben. Eine Übersicht, zusammengestellt von A. Aartsma-Rus, findet sich auch
auf der Website www.TREAT-NMD.eu. Bezüglich der noch sehr viel größeren Zahl präklinischer, tierexperimenteller Studien
kann nur auf die Originalliteratur verwiesen werden.
Tab. 5 Aktuelle klinische Studien bei Duchenne-Muskeldystrophie (DMD). Nach [7] und Zusammenstellung von Annemieke Aartsma-Rus auf der TREAT-NMD-Website (www.treat-nmd.eu); zusätzlich eingesehen www.clinicaltrials.gov, beides Stand März 2018.
|
Substanz
|
Sponsor
|
Phase I
|
Phase II
|
Phase III
|
Kommentar
|
|
Phase I = sehr kleine Fallzahl, „first-in-man“, Verträglichkeit, offen. Phase II = geringe
Fallzahl, Verträglichkeit und Effekt, Dosierung, offen oder placebokontrolliert. Phase
III: große Fallzahl, „Zulassungsstudie“, Effekt und Verträglichkeit, placebokontrolliert.
Abkürzungen:
+ Ergebnis positiv
x Ergebnis negativ
* s. Text
laufend Studie ist noch nicht abgeschlossen
OLE Fortsetzung mit offener Behandlung aller eingeschlossenen Patienten
Prep in Vorbereitung
|
|
Substanzen zur Beeinflussung der Gentranslation, mutationsspezifisch
|
|
Drisapersen
|
Prosensa/GSK
|
+
|
+
|
(+)
|
Erfolg (+ 30 m im 6MWT) in Teilgruppe
Programm abgebrochen*
|
|
Eteplirsen
|
Sarepta
|
+
|
+
|
|
Erfolg (+ 60 m im 6MWT) bei n = 12
Zulassung USA*
|
|
Ataluren
|
PTC
|
+
|
(+)
|
(+)
|
Erfolg (+ 45 m im 6MWT) in Teilgruppe
Zulassung in USA und EU*
|
|
Substanzen zur Verminderung der entzündlichen Reaktion
|
|
Vamorolone
|
Reveragene
|
+
|
IIa: +, OLE
IIb: Prep
|
|
Phase IIb in Vorbereitung (EU)
|
|
Edasalonexent
|
Catabasis
|
+
|
+, OLE
|
Prep
|
Phase III in Vorbereitung
|
|
Cosnytropin
|
Mallinckrodt
|
|
Prep
|
|
|
|
Substanzen zur Verminderung der Fibrose
|
|
Idebenone
|
Santhera
|
|
+
|
+
|
signifikante Verminderung der Abnahme der Atemfunktion [44]
|
|
Halofuginone
|
Akashi
|
|
+
|
x
|
Programm wegen Nebenwirkung abgebrochen
|
|
FG319
|
FibroGen
|
|
laufend
|
|
|
|
Epicatechin
|
Cardero, UC-Davis
|
|
laufend
|
|
|
|
Substanzen zur Verbesserung der Muskeldurchblutung
|
|
Lisinopril
|
NCH Columbus/Ohio
|
|
laufend
|
|
Herzfunktion
|
|
Eplerenon
|
Ohio State University
|
|
+
|
laufend
|
Herzfunktion
|
|
Tadalafil
|
Eli Lilly
|
|
|
X
|
Programm wegen mangelnder Effizienz abgebrochen
|
|
Substanzen zur Verbesserung von Muskelmasse, Muskelqualität oder Kalziumhomöostase
|
|
PF06252616
|
Pfizer
|
+
|
laufend
|
|
|
|
Adnectin
|
BMS/Roche
|
+
|
laufend
|
laufend
|
|
|
ACE-031
|
Acceleron
|
+
|
x
|
|
abgebrochen wegen Blutungskomplikationen
|
|
Follistation gene transfer (AAV)
|
NCH Columbus/Ohio
|
+
|
laufend
|
|
|
|
Tamoxifen
|
University Basel
|
|
Prep
|
|
Phase II in Vorbereitung
|
|
Givinostat
|
Italpharmaco
|
|
+, OLE
|
laufend
|
|
|
Rycalls
|
Servier
|
|
Prep
|
|
|
|
Rimeporide
|
EspeRare
|
+
|
Prep
|
|
|
|
Substanzen zur Hochregulation von Utrophin oder anderen Dystrophin-assoziierten Proteinen
|
|
SMTC1100
|
Summit
|
+
|
laufend
|
Prep
|
|
|
rAAV-GALGT2
|
NCH Columbus/Ohio
|
laufend
|
|
|
|
Exon-Skipping
Dieses Therapieprinzip basiert auf der Leserastertheorie bei den Dystrophinopathien:
Während eine Mutation, die das Leseraster unterbricht, zum Synthesestopp von Dystrophin
und schweren Phänotyp führt, führt eine In-Frame-Mutation zu einem verkürzten, aber
noch partiell funktionsfähigen Protein und dem leichteren Becker-Phänotyp. Durch geeignete
Antisense-Oligonukleotide (AON) können im Rahmen des Translationsprozesses einzelne
(oder mehrere) Exone von der mRNA-Synthese ausgeschlossen werden. Da die Abfolge des
genetischen Codes bekannt ist, können diese Vorgänge so gesteuert werden, dass die
neu entstandenen Endstücke der mRNA zusammenpassen und das Leseraster wiederhergestellt
wird. Dies sollte zu einer verbesserten Expression von Dystrophin führen und (hoffentlich)
aus einem DMD- einen leichter verlaufenden BMD-Phänotyp machen.
Von zwei Arbeitsgruppen wurden auf verschiedener chemischer Basis (2’OMePS- und PMO-)
AONs für die klinische Testung bei DMD entwickelt. Da die größte Zahl (etwa 15%) der
Patienten durch Skippen von Exon 51 „behandelbar“ wären, adressierten beide Gruppen
zunächst dieses Exon. Intramuskuläre lokale Proof-of-Concept-Studien bei kleinen Gruppen
erwachsener DMD-Patienten ergaben eine deutliche Vermehrung der Dystrophinexpression.
Die klinische Weiterentwicklung wurde jeweils von größeren pharmazeutischen Firmen
übernommen.
In den folgenden Studien mit systemischer Verabreichung wurden aus pharmakologischen
Gründen 2’OMePS-AON (Drisapersen) mehrfach wöchentlich subkutan und PMO-AON (Eteplirsen)
wöchentlich intravenös injiziert. Hauptzielkriterium war jeweils die Gehstrecke, die
von den Patienten in 6 Minuten zurückgelegt werden kann (6 Minutes Walking Test, 6MWT).
Offene Behandlungen zeigten mit beiden Substanzen eine Stabilisierung der 6MWT-Strecke
über ein Jahr [36], [37].
Drisapersen zeigte in einer randomisierten Phase-II-Studie mit kontinuierlicher, intermittierender
oder Placebobehandlung (je 15 – 20 Patienten) eine Überlegenheit der kontinuierlichen
Behandlung mit einem Plus an 6MWT-Gehstrecke bei Studienende von 30 m [38].
In einer umfangreicheren Phase-III-Studie (6 mg/kgKG Drisapersen versus Placebo, n = 186) führte die Substanz in der Gesamtheit der Patienten aber
nicht zu einem signifikanten Behandlungserfolg, sodass das Entwicklungsprogramm von
der Firma abgebrochen wurde. Bei 80 dieser Kinder, die bei Studienbeginn noch zwischen
300 und 400 m im 6MWT zurücklegen konnten, fand sich in einer Post-hoc-Analyse nach
48 Wochen allerdings ein Vorsprung der Verumgruppe von 35,4 m (p = 0,039) [39].
Mit dem intravenösen Eteplirsen wurde eine placebokontrollierte Phase-II-Studie mit initial 12 Patienten durchgeführt,
in der die Placebogruppe nach 24 Wochen ebenfalls langfristig mit Verum weiterbehandelt
wurde. Zwei Patienten der Verumgruppe verloren nach etwa 24 Wochen ihre Gehfähigkeit
und wurden aus der weiteren funktionellen Analyse ausgeschlossen. An dieser kleinen
Zahl von Fällen zeigten die Autoren, dass die Behandlung zum einen zu einer signifikanten
Zunahme von Dystrophin in den Kontrollbiopsien führte und dass zum anderen die Verumgruppe
(n = 4) über 24 Wochen einen um 67,3 m geringeren Verlust an 6MWT-Gehstrecke erlitt
als die Kontrollgruppe (p = 0,001) [40], [41]. Mit diesen Daten erreichte der Hersteller in den USA, unterstützt durch starke
Patientenverbände, eine beschleunigte Zulassung zur Behandlung von Patienten mit DMD,
die durch Ausschalten von Exon 51 behandelbar sind.
Merke
Die europäische Zulassungsbehörde EMA ist dieser Politik bisher nicht gefolgt, sodass
die Substanz in Europa nicht zugelassen und verfügbar ist.
Aufgrund der sehr schwachen Datenlage erscheint es uns auch nicht gerechtfertigt,
diese extrem teure Therapie über die Auslandsapotheke zu verordnen. Weitere Studien
werden zurzeit zum Skippen anderer Exone durchgeführt, wobei als Kontrollgruppe nicht
eine Placebogruppe, sondern die „nicht skippbaren“ Patienten mitgeführt werden [2].
Überlesen von Stoppcodons
Bei 10 – 15% der DMD-Patienten führt eine Punktmutation zu einem pathologischen Stoppcodon,
welches die Dystrophinsynthese beendet und kein funktionsfähiges Protein zulässt.
Aminoglykoside haben die Eigenschaft, bei der mRNA-Synthese solche Stoppcodons zu überbrücken, haben
sich aber bei kleinen Serien und auch wegen der bekannten Ototoxizität klinisch nicht
bewährt.
Ataluren wurde einem ausführlichen Entwicklungsprogramm unterworfen. Die Substanz wird täglich
als Tablette eingenommen und erwies sich als gut verträglich. In einer 3-armigen Studie
(n = 172) mit Placebo, niedriger (40 mg/kg) und hoher (80 mg/kg) Dosierung führte
die niedrige Dosis nach 48 Wochen zu leicht, jedoch nichtsignifikant besseren Ergebnissen
im 6MWT (Unterschied 31,3 m, post hoc p = 0,056), die hohe Dosis war unwirksam. Bei
ausschließlicher Auswertung der Patientengruppe, die beim Studienbeginn nur noch 350 m
oder weniger 6MWT-Gehstrecke erreicht hatte, schnitt die 40 mg/kg-Verumgruppe jedoch
deutlich besser ab (Unterschied 68,2 m, p = 0,005) [42].
Die Untersuchung wurde als Phase-III-Studie mit 114 Patienten unter Placebo und 114
Patienten unter 40 mg/kg/d Ataluren wiederholt. In der präspezifizierten Analyse verschiedener
Patientengruppen fand sich erneut, dass die Gesamtheit der Patienten nach 48 Wochen
keinen signifikanten Benefit zeigte. Die Gruppe, die bei Einschluss noch mehr als
400 m beim 6MWT gehen konnte, hatte sich in beiden Gruppen nicht verschlechtert, während
die Gruppe, die bei Einschluss weniger als 300 m gehfähig war, ohne Unterschiede zwischen
Ataluren und Placebo dramatisch an Gehstrecke verlor. Nur in der Gruppe von 99 Kindern,
die bei Einschluss im 6MWT zwischen 300 und 400 m weit gehen konnten, fand sich unter
Ataluren nach 1 Jahr ein um 42,9 m (p = 0,007) geringerer Gehverlust als in der Placebogruppe
[43].
Merke
Mit diesen Ergebnissen erteilten die FDA für die USA und die EMA für Europa eine bedingte
Zulassung zur Behandlung von Jungen mit Duchenne-Muskeldystrophie mit nachgewiesener
Stoppmutation und noch bestehender Gehfähigkeit. Es wurde die Auflage weiterer bestätigender
Studien gemacht.
Hintergrundwissen
Die vorliegenden Daten zeigen unter anderem, wie schwierig es ist, geeignete funktionelle
Zielkriterien für Studien bei progredienten, stark altersabhängigen, jedoch im Verlauf
durchaus variablen Krankheiten auszuarbeiten und zu validieren. Die aus biometrischen
Gründen gebotene Eingrenzung der Studienteilnehmer auf eine sehr homogene Gruppe schließt
andere, häufig schwerer Betroffene von der Teilnahme und unter Umständen auch von
der Zulassung aus. Weitere Studien mit anderen Zielgruppen und zukünftig hoffentlich
auch wirksameren Medikamenten sind dringend erforderlich.
Zusammenfassung
Diagnose und Differenzialdiagnose einer Muskeldystrophie (MD) fußen auf dem klinischen
Bild, dem Alter und dem Geschlecht des Patienten sowie ggf. der Familienanamnese.
Eine erhöhte Serum-CK, ein myopathisches EMG und eine pathologische Bildgebung der
Muskulatur (Ultraschall, MRT) können die Diagnose unterstützen.
Im nächsten Schritt folgt heute die molekulargenetische Diagnostik: Beim männlichen
Geschlecht ist in der Kindheit am häufigsten mit einer Duchenne- und bei Erwachsenen
mit einer Becker-MD zu rechnen. Die hierbei in der Mehrzahl der Fälle vorliegenden
großen Mutationen im Dystrophin-Gen können mittels MLPA oder Array-CGH-Untersuchung
leicht nachgewiesen werden. Bei den sehr viel selteneren übrigen Muskeldystrophien
können spezifische Phänotypen auf zu untersuchende Kandidaten-Gene hinweisen, ansonsten
ist eine breiter angelegte Panel-Diagnostik zu empfehlen. Muskelbiopsien sind in schwierigen
Fällen weiter erforderlich.
Bis die aktuelle oder zukünftige Therapieforschung eine grundsätzliche Änderung des
klinischen, progressiven Verlaufes ermöglicht, muss zum Erhalt von Funktion und Teilhabe
eine konsequente Umsetzung physiotherapeutischer, rehabilitativer und orthopädischer
Behandlungsprinzipien erfolgen, wie sie in internationalen Leitlinien und Versorgungsstandards
niedergelegt worden sind. Besonders ist die bei vielen MD-Typen vorliegende Beteiligung
des respiratorischen Systems und des Herzens zu beachten, die bei bekannter Risikokonstellation
prospektive Überwachungsmaßnahmen und ggf. zeitgerechte Therapieangebote erfordern.
Für die schwer verlaufende Duchenne-MD (DMD) des Kindesalters, in geringerem Umfang
auch für die milderen Typen der MD hat in den letzten Jahren eine intensive medikamentöse
Therapieforschung eingesetzt, die bereits vielfach das Stadium tierexperimenteller
Untersuchungen verlassen und zu ersten klinischen Studien beim Menschen geführt hat.
Dabei werden sehr verschiedene therapeutische Wege verfolgt.
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Bereits bewährt hat sich die Behandlung der Muskeldystrophie Duchenne mit Kortikosteroiden,
wobei etliche Fragen der optimalen Dosierung noch offen sind.
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Idebenon führte in adäquaten Studien zu einer Milderung der Abnahme der Atemkapazität
bei Duchenne-MD, hat aber noch keine behördliche Zulassung erreicht.
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Ataluren führt zum „Überlesen“ von Stoppcodons, die bei 10 – 15% der Kinder mit DMD
ursächlich sind. Hiermit konnte bei einer Subgruppe von Patienten, die bei Studieneinschluss
in 6 Minuten noch 300 – 400 Meter gehend zurücklegen konnten, eine um 43 Meter geringere
Abnahme dieser Gehleistung erreicht werden als unter Placebo. Die Substanz wurde damit
zur Behandlung von gehfähigen Knaben mit Stoppmutation zugelassen.
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Eteplirsen zum Ausschalten von Exon 51 des Dystrophin-Gens führte in einer sehr kleinen
Studie mit nur 12 Patienten zu einem biochemischen und klinischen Benefit. Dies gab
Anlass zu einer beschleunigten Zulassung in den USA, die aber nicht auf Europa ausgeweitet
wurde. Weitere, umfangreichere Studien sind hier abzuwarten.
Kernaussagen
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Die Diagnose einer Muskeldystrophie (MD) beruht weiterhin zunächst auf klinischem
Bild, Alter, Geschlecht und Familienanamnese. Serum-Kreatinkinase, EMG und Bildgebung
des Muskels können hilfreich sein.
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Die Muskeldystrophien Duchenne und Becker sind beim männlichen Geschlecht in allen
Altersstufen die bei Weitem häufigsten Typen. Deshalb sollte bei passendem Phänotyp
eine MLPA (Multiplex Ligation-dependent Probe Amplification) oder Array-CGH (comparative
genomic Hybridization) des Dystrophin-Gens veranlasst werden.
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Bei negativem Befund und abhängig vom Phänotyp ist die genetische Diagnostik anschließend
zu erweitern und ggf. eine Muskelbiopsie indiziert.
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Patienten mit MD müssen in Abhängigkeit von Schwere und Verlauf der Erkrankung konsequent
mit Physiotherapie, Ergotherapie sowie orthopädisch behandelt und mit Hilfsmitteln
versorgt werden. Entsprechende Standards sind publiziert worden.
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Die genetische Diagnose führt zu dem Wissen, welche Patienten durch eine zum Teil
rasche respiratorische oder kardiale Verschlechterung bedroht sind. Diese benötigen
ein prospektives Monitoring und eine zeitgerechte Therapie.
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Zahlreiche laufende Therapiestudien lassen für die Zukunft deutliche Fortschritte
in der Behandlung der MD erhoffen. Die bislang erzielten Effekte sind aber noch verhältnismäßig
gering, betreffen nur einzelne Patientengruppen oder sind im Fall der Kortikosteroide
mit ernsten Nebenwirkungen behaftet.
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
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Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag
ist Prof. Dr. med. Rudolf Korinthenberg, Freiburg.