Schlüsselwörter
Sprunggelenkverletzungen - Pädiatrie - Übergangsfraktur - Epiphysenfraktur - Wachstumsstörung
Abkürzungen
a.–p.:
anterior–posterior
K-Draht:
Kirschner-Draht
OSG:
oberes Sprunggelenk
In der Traumatologie sind sowohl beim Erwachsenen als auch bei Kindern und Jugendlichen
Distorsionen des Sprunggelenks ein häufiger Grund, einen Arzt zu kontaktieren. Das
Verletzungsmuster ist bei Kindern jedoch sowohl bei Distorsionen und Bandläsionen
als auch bei Frakturen ein völlig anderes als beim Erwachsenen.
Epidemiologie
Das Durchschnittsalter der Kinder mit Sprunggelenkverletzungen liegt bei 10 Jahren.
Sportlich aktive Kinder sind deutlich häufiger betroffen, insbesondere die Sportarten
Fußball, Handball und Basketball stellen hierbei Risikosportarten für solche Verletzungen
dar. Aber auch Übergewicht ist ein unabhängiger Risikofaktor für Sprunggelenkverletzungen
bei Kindern [1], [2].
Die Distorsionen mit ca. zwei Dritteln bilden die größte Gruppe aller Sprunggelenkverletzungen
und erfreulicherweise auch die Harmloseste. Rund 10% der Kinder erleiden eine Bandverletzung.
Ein Viertel aller Sprunggelenkverletzungen bei Kindern sind Frakturen im Bereich des
oberen Sprunggelenkes (OSG), die sich hauptsächlich als Übergangsfrakturen und Salter-Harris-II-
und -III-Frakturen darstellen [3], [4], [5].
Diagnostisches Vorgehen
Anamnese und Untersuchung
Nach der üblichen Anamnese, in der Regel Distorsion im Rahmen eines Sportunfalls,
folgt die Untersuchung des betroffenen Sprunggelenks. Hier ist auf Druckschmerz, Schwellung
und Hämatomverfärbung zu achten. Einen wichtigen Hinweis auf die Schwere der Verletzung
liefert hierbei die Information, ob das Kind das verletzte Bein noch belasten kann.
Eine funktionelle Untersuchung der Bandstabilität ist schmerzbedingt häufig schwierig.
Es stellt sich die Frage, ob ein Röntgenbild indiziert ist oder nicht. Gerade bei
Kindern sollte eine sehr strenge Abwägung des Einsatzes von Röntgenstrahlung erfolgen;
denn nicht jede Distorsion des Sprunggelenks benötigt eine weiterführende Diagnostik
mittels radiologischer Bildgebung.
Merke
Die Ottawa Ankle Rules sind bei Kindern ein wichtiges Hilfsmittel zur Indikationsstellung
einer radiologischen Abklärung.
Ein hilfreiches Tool sind hier die Ottawa Ankle Rules ([Abb. 1]). Diese sehen eine Röntgendiagnostik vor, wenn zu den Schmerzen am Sprunggelenk
ein Druckschmerz in einem kritischen Bereich, wie der Außen- und Innenknöchelspitze,
der Dorsalkante von Tibia oder Fibula oder der Basis des 5. Mittelfußknochens, hinzukommt.
Sollte das Kind das betroffene Bein für keine 4 Schritte belasten können, wird ebenfalls
die Bildgebung empfohlen.
Abb. 1 Ottawa Ankle Rules: Hilfsmittel zur Indikationsstellung einer radiologischen Abklärung
von Sprunggelenkverletzungen im Kindesalter.
Die Ottawa Ankle Rules zeigen auch in aktuellen Studien [6], [7] eine Sensitivität von 98,5 – 100%. Das heißt, nahezu alle Frakturen wurden erkannt,
die Anwendung bietet also eine hohe Sicherheit, keine Brüche im Gelenkbereich zu übersehen,
und verhindert zusätzlich den unnötigen Einsatz von Röntgenstrahlung.
Merke
Zur Verhinderung unnötiger Strahlenbelastung bei Kindern ist die Anwendung der Ottawa
Ankle Rules sinnvoll.
Bildgebung
Die Standardbildgebung besteht aus einer lateralen Ansicht und einem Mortise View.
Definition
Mortise View
Mortise View ist eine a.–p. Aufnahme der Sprunggelenkgabel in 15 – 20° Innenrotation
zur Freiprojizierung des Gelenkspaltes.
Gelegentlich sind zusätzliche Schrägaufnahmen notwendig, wenn eine entsprechende Klinik
und ein unauffälliges Röntgenbild vorliegen. Gerade die mediale Epiphysenfraktur kann
im Mortise View häufig übersehen werden [5].
Cave
Die mediale Epiphysenfraktur wird im Mortise View häufig übersehen.
Gehaltene Aufnahmen bei Verdacht auf Bandläsionen sind heutzutage obsolet, da sie
keine Änderung des Therapieregimes mit sich bringen. Gerade bei Übergangsfrakturen
sollte zur Darstellung der exakten Frakturmorphologie und Planung des operativen Prozederes
die Diagnostik um eine Computertomografie oder Magnetresonanztomografie erweitert
werden. Eine MRT hat den Vorteil der fehlenden Strahlenbelastung und kommt ebenfalls
bei unklaren Band- oder Syndesmosenverletzungen zum Einsatz.
Auch die Sonografie kann bei unauffälligem Röntgenbild Hinweise auf okkulte Frakturen
liefern und ligamentäre Verletzungen aufdecken [8], [9]. Die Vorteile der Sonografie liegen sicherlich in der schnellen Verfügbarkeit und
der fehlenden Strahlenbelastung. Jedoch sind die Ergebnisse sehr untersucher- und
erfahrungsabhängig mit dadurch bedingter hoher Spezifität, aber geringer Sensitivität.
Distorsionen und Bandläsionen
Distorsionen und Bandläsionen
Der häufigste Verletzungsmechanismus bei Distorsionen ist die Dorsalextension und
Außenrotation [10]. Die Festigkeit der Bänder im Kindesalter ist so stark, dass bei unter 10-Jährigen
die häufigste Bandverletzung mit 80% der knöcherne Außenbandausriss an der Fibulaspitze
ist (s. [Fallbeispiel 1] u. [Abb. 2]).
Abb. 2 Fallbeispiel 1: 11-jähriges Mädchen mit Z. n. nach Supinationstrauma des rechten
Sprunggelenks. Im Röntgenbild deutlich sichtbar ist der knöcherne Außenbandausriss
an der distalen Fibulaspitze (Weber-A-Fraktur).
Fallbeispiel 1
In der Notaufnahme stellt sich ein 11-jähriges Mädchen in Begleitung seiner Mutter
vor. Die Patientin hatte sich ein Supinationstrauma des rechten Sprunggelenks zugezogen.
Gemäß den Ottawa Ankle Rules wird bei Schmerzen im Bereich des Sprunggelenkes und
Druckschmerz im Bereich des Außenknöchels ein Röntgenbild erstellt. Der knöcherne
Außenbandausriss an der distalen Fibulaspitze ist im Röntgenbild deutlich zu erkennen
([Abb. 2]). Definitionsgemäß entspricht dies einer Weber-A-Fraktur, die Therapie gleicht aber
der der Bandläsionen. Es erfolgt die Therapie mittels Ruhigstellung in einer Sprunggelenksorthese
für 3 Wochen und eine schmerzadaptierte Vollbelastung.
Nach dem 10. Lebensjahr werden knöcherne Bandausrisse immer seltener, und mit Fugenschluss
kommen sie kaum noch vor. Isolierte Syndesmosenverletzungen sind im Kindesalter sehr
selten. Die Häufigkeit steigt erst mit Beginn des Fugenschlusses. In der Literatur
werden Syndesmosenverletzungen bei Kindern mit einer Häufigkeit von < 1% bis 1% angegeben
[11].
Therapeutisches Vorgehen
Besteht weder klinisch noch radiologisch der Verdacht auf eine Bandläsion, beschränkt
sich die Therapie auf Salbenverbände und klinische Kontrollen. Bei klinischem Verdacht
auf eine Bandläsion oder einen knöchernen Bandausriss sollte eine Ruhigstellung in
einer Sprunggelenkorthese für 3 – 5 Wochen durchgeführt werden. Die Dauer der Ruhiggestellung
ist abhängig vom Alter der Kinder – je älter, desto länger.
Praxis
Ruhigstellung bei klinischem Verdacht auf Bandläsion oder knöchernen Bandausriss
Als Faustregel kann gelten:
-
< 10 Jahre: 2 – 3 Wochen,
-
> 10 Jahre 4 Wochen,
-
mit Fugenschluss sollte die Ruhigstellung wie beim Erwachsenen für 6 Wochen erfolgen
[10].
Merke
Die häufigste Bandläsion im Kindesalter ist der ossäre, periostale oder chondrale
Bandausriss; dieser kann konservativ therapiert werden.
Syndesmosenverletzungen
Reine Syndesmosenverletzungen sind sehr selten und betreffen in der Regel Jugendliche
mit schon geschlossenen Fugen. Radiologisch zeigt sich ein erweiterter Gelenkspalt
tibiofibular oder tibiotalar in der Mortise-View-Aufnahme. Bei Unklarheiten und entsprechender
Klinik sollte eine MRT-Bildgebung erfolgen.
Die Therapie bei instabiler Syndesmosengabel besteht wie beim Erwachsenen aus Reposition
und Stellschraubenosteosynthese oder als Alternative bei Kindern mit noch offenen
Fugen aus einer elastischen Versorgung mittels Bandaugmentation [10].
Merke
Isolierte Syndesmosenverletzungen sind bei noch offenen Epiphysenfugen ein sehr seltenes
Verletzungsbild.
Osteochondrale Flake Fracture
Die osteochondrale Flake Fracture ist eine Rarität und noch seltener als die isolierte
Syndesmosenverletzung. Die osteochrondrale Läsion ist bei einem akuten Trauma nahezu
immer am lateralen Talus lokalisiert im Gegensatz zur Osteochondrosis dissecans, die
klassischerweise am medialen Talus lokalisiert ist [12]. Da die Gelenkfläche hier mitbetroffen ist, empfiehlt sich die operative exakte
Reposition des Flakes und Refixation, z. B. mit resorbierbaren Pins. Der Eingriff
kann arthroskopisch wie auch über eine Arthrotomie durchgeführt werden.
Frakturen
Die zweithäufigste Verletzung bei Kindern sind neben den Distorsionen die Frakturen.
Bezüglich der Frakturmorphologie spielt das Alter eine entscheidende Rolle.
Die unter 10-Jährigen ziehen sich häufig nur eine Salter-Harris-I-Fraktur zu, die
um die 10 Jahre alten Kinder eine Fraktur des medialen Malleolus, entsprechend Salter-Harris-II.
Die präpubertären Teenager weisen am ehesten epi- und metaphysäre Frakturen auf, und
die Adoleszenten ziehen sich bei sich schließenden Wachstumsfugen die Sonderform der
Übergangsfrakturen zu [12]. Die Häufigkeit der Übergangsfrakturen und der Frakturen mit noch offenen Fugen
ist annähernd gleich. Selten sind isolierte Fibulafrakturen und Frakturen bei geschlossenen
Wachstumsfugen.
Frakturen bei offenen Wachstumsfugen
Die Einteilung der Frakturen am Sprunggelenk bei noch offenen Wachstumsfugen folgt
der üblichen Einteilung nach Salter u. Harris oder der Aitken-Klassifikation (s. [Tab. 1]). Am häufigsten werden die Salter-Harris-II- und -III-Frakturen diagnostiziert.
Tab. 1 Klassifikationen der kindlichen Sprunggelenkfrakturen.
Kriterien/Klassifikation
|
Epiphysiolyse
|
Epiphysiolyse + metaphysäres Fragment
|
Epiphysiolyse + epiphysäres Fragment
|
epi- und metaphysäres Fragment, Fraktur durch Wachstumsfuge ziehend
|
Aitken
|
0
|
I
|
II
|
III
|
Salter u. Harris
|
I
|
II
|
III
|
IV
|
AO-Klassifikation
|
43 t-E/1
|
43 t-E/2
|
43 t-E/3
|
43 t-E/4
|
Salter-Harris-I- und -II-Frakturen
Wir betrachten zunächst die Frakturen ohne Gelenkbeteiligung, Salter-Harris-I- und
-II-Frakturen. Eine reine Epiphysiolyse entspricht einer Salter-Harris-I-Fraktur;
liegt ein zusätzlicher metaphysärer Keil vor, ist die häufigere Salter-Harris-II-Verletzung
entstanden. Der Verletzungsmechanismus ist bei beiden ein Supinationstrauma, bei Salter-Harris-I
vergesellschaftet mit einer Inversion und bei Salter-Harris-II mit einer Außenrotation.
Merke
Nicht dislozierte Salter-Harris-I- und -II-Frakturen können generell konservativ behandelt
werden.
Die Ruhigstellung erfolgt im Unterschenkelgips für 4 – 6 Wochen unter Entlastung der
betroffenen Extremität. Dislozierte Frakturen sollten geschlossen reponiert und retiniert
werden [3]. Dies kann mittels Kirschner-Drähten (K-Draht) oder Gips erfolgen. Stellt man das
Sprunggelenk nach Reposition in einem Gips ruhig, sollte für die ersten 2 Wochen ein
Oberschenkelgips zur Sicherung der Reposition bevorzugt werden. Der Wechsel auf einen
Unterschenkelgips kann nach 2 Wochen erfolgen. Die sicherere Variante stellt die Retention
mit K-Drähten dar, verbunden mit der erhöhten Invasivität des Eingriffs. Für beide
Möglichkeiten wird das Kind eine Anästhesie zur Schmerzausschaltung benötigen. Bei
gelungener geschlossener Reposition ist die perkutane Osteosynthese mit K-Drähten
mit minimaler Invasivität verbunden.
Tipp
Es empfiehlt sich, beide Möglichkeiten mit ihren Vor- und Nachteilen im Vorfeld mit
den Eltern zu besprechen und diese in die Entscheidungsfindung mit einzubinden.
Gelingt die geschlossene Reposition nicht, ist die Indikation zur offenen Reposition
großzügig zu stellen. Barmada et al. zeigten [1], dass bei einem verbliebenen Fugenspalt von mehr als 3 mm mit hoher Wahrscheinlichkeit
Periost eingeschlagen ist. Wird dies nicht korrigiert, besteht ein um 60% erhöhtes
Risiko eines frühzeitigen Fugenschlusses.
Cave
Verbleibt nach geschlossener Reposition ein Fugenspalt > 3 mm, ist eingeschlagenes
Periost als Repositionshindernis wahrscheinlich.
In unserem Fallbeispiel 2 ([Abb. 3]) erfolgte die sichere Retention der dislozierten Salter-Harris-I-Fraktur mit K-Drähten
und einer zusätzlichen Plattenosteosynthese der Fibula.
Abb. 3 Fallbeispiel 2: 15-jähriger Junge, Distorsionstrauma; Sportunfall.
a Unfallbilder: dislozierte Salter-Harris-I-Verletzung mit zusätzlicher Fibulafraktur.
b Intraoperative Versorgungsbilder.
c Postoperative Röntgenkontrolle.
Fallbeispiel 2
Der 15-jähriger Junge hatte sich beim Fußballspielen ein Distorsionstrauma am rechten
Sprunggelenk zugezogen. Die Unfallbilder zeigen eine dislozierte Salter-Harris-I-Verletzung
mit zusätzlicher Fibulafraktur. Die Versorgung erfolgte mit K-Drähten und einer zusätzlichen
Plattenosteosynthese der Fibula ([Abb. 3]).
Eine zusätzliche osteosynthetische Versorgung der Fibula wurde in unserem Fallbeispiel
durchgeführt (s. [Abb. 3]). Prinzipiell kann auf die zusätzliche Osteosynthese der Fibula verzichtet werden,
wenn durch Reposition und Osteosynthese der Tibia eine gute Stellung der Fibula erreicht
werden kann und keine Syndesmoseninstabilität besteht. Dies hat den Vorteil, dass
keine Folgeoperation zur Metallentfernung notwendig wird, da die K-Drähte perkutan
entfernt werden können.
Remodelling
Gerade bei jungen Kindern (< 10 Jahren) darf bei der Festlegung operative versus konservative
Therapie nie die Fähigkeit zum Remodelling vergessen werden.
Bei den unter 10-Jährigen können Rekurvationen und Varus-/Valgusfehlstellungen von
20° toleriert werden. Dieses Remodelling-Potenzial nimmt mit dem Alter ab, und mit
beginnendem Fugenschluss sollte wie beim Erwachsenen keine Achsabweichung mehr toleriert
werden.
Cave
Rotationsfehler können nicht durch Remodelling korrigiert werden und dürfen selbstverständlich
nicht akzeptiert werden [5].
Salter-Harris-III- und -IV-Frakturen
Die epiphysären Frakturen werden eingeteilt in
Bei beiden Frakturen entspricht der Unfallmechanismus einer Supination plus Inversion.
Auch hier können die nicht dislozierten Frakturen konservativ mit Gipsruhigstellung,
Entlastung und regelmäßigen klinischen und radiologischen Kontrollen behandelt werden.
Da es sich bei den epiphysären Frakturen jedoch um Verletzungen mit Gelenkbeteiligung
handelt, sollte jede Dislokation kritisch betrachtet werden.
Merke
Jede Salter-Harris-III- und -IV-Fraktur ist eine Gelenkfraktur, und jede Dislokation
sollte hinsichtlich einer Operationsindikation überprüft werden.
In der Literatur findet sich einheitlich die Empfehlung zur operativen Versorgung
ab einer Gelenkstufe von mehr als 1 – 2 mm [4], [12]. Da die Gelenkfläche jedoch immer mit betroffen und davon auszugehen ist, dass bei
Kindern die Knorpeldicke im Bereich des Sprunggelenks ebenfalls nur ca. 2 mm beträgt,
ist hier eine eher großzügigere Indikationsstellung zur operativen Versorgung zu empfehlen.
Das Ziel bei der operativen Versorgung besteht in der exakten Reposition zum Erhalt
einer regelrechten Gelenkfläche und Reduktion des Risikos einer posttraumatischen
Arthrose [13]. Durch eine exakte Reposition verringert sich ebenfalls das Risiko eines frühzeitigen
Fugenschlusses [14]. Speziell bei den Epiphysenfrakturen besteht ein erhöhtes Risiko der Bildung einer
Ausheilungs- oder Nekrosebrücke mit nachfolgender Wachstumsstörung.
Cave
Das Risiko zur Ausbildung einer Ausheilungs- oder Nekrosebrücke ist bei allen Epiphysenfrakturen
erhöht.
Durch eine anatomisch exakte Reposition und Vermeidung von fugenkreuzenden Schrauben
kann zumindest das Risiko einer Ausheilungsbrücke reduziert werden. Eine Nekrosebrücke
geht leider mit der Zerstörung des betroffenen Fugenanteils einher und kann nicht
durch äußere Faktoren beeinflusst werden [12].
Die typische Epiphysenfraktur ist die Fraktur des medialen Malleolus. In unserem Fallbeispiel
erfolgte die offene Reposition und Osteosynthese mittels Zugschraubenosteosynthese
unter sicherer Schonung der Wachstumsfuge ([Abb. 4]).
Abb. 4 Fallbeispiel 3: 13-jähriger adipöser Junge; Sportunfall (Sturzereignis beim Skateboard-Fahren).
a Klassische Salter-Harris-III-Fraktur des medialen Malleolus.
b Postoperative Versorgungsbilder.
Fallbeispiel 3
Der 13-jähriger adipöser Patient war beim Skateboard-Fahren gestürzt und hatte sich
eine klassische Salter-Harris-III-Fraktur des medialen Malleolus des linken Sprunggelenks
zugezogen. Die Verletzung wurde als offene Reposition und Osteosynthese mittels Zugschraubenosteosynthese
unter sicherer Schonung der Wachstumsfuge versorgt ([Abb. 4]).
Fibulafrakturen
Auch im Bereich der Fibula können sämtliche Verletzungsformen der Salter-Harris-Klassifikation
vorliegen. Die Inhomogenität der distalen Fibulafuge mit häufig schmaler Epiphyse
und breiterer Metaphyse erschwert jedoch die Interpretation des klassischen Röntgenbildes.
Boutis et al. untersuchten 2010 18 Kinder mit radiologisch diagnostizierter Epiphysiolyse
der distalen Fibula mittels Magnetresonanztomografie, und bei keinem konnte die Epiphysiolyse
bestätigt werden [2]. Die Indikation zur operativen Versorgung sollte hier rein anhand der Röntgenbilder
sehr kritisch gestellt werden. Die Fallzahl in dieser Studie ist sehr gering aufgrund
der Seltenheit der isolierten Epiphysiolyse der Fibula.
Die häufigsten Frakturen der distalen Fibula im Wachstumsalter sind die schon besprochenen
knöchernen Bandausrisse. Hierzu zählen sowohl die Weber-A-Frakturen als auch die Epiphysiolysen,
beide können konservativ mit Sprunggelenkorthese therapiert werden.
Merke
Weber-A-Frakturen und nicht dislozierte Epiphysiolysen können wie Bandausrisse konservativ
behandelt werden.
Neben den knöchernen Bandausrissen ist die proximal der Wachstumsfuge gelegene Fibulaschaftfraktur
in Kombination mit einer distalen Tibiafraktur ebenfalls häufig. Hier ist eine osteosynthetische
Versorgung bei instabiler Syndesmosengabel durchzuführen.
Übergangsfrakturen
Bei Mädchen beginnt der Wachstumsfugenschluss im Alter zwischen 12 und 14 Jahren und
bei Jungen zwischen dem 14. und 16. Lebensjahr. Die Verknöcherung der Fuge dauert
über 1 – 2 Jahre an. Typischerweise beginnt sie vorne medial und schreitet nach dorsal
lateral fort. Der letzte sich schließende Teil ist anterior lateral ([Abb. 5]). Treten in dieser Phase Frakturen auf, handelt es sich um Übergangsfrakturen, eingeteilt
in Twoplane- und Triplane-Frakturen. Die Triplane-II-Fraktur macht ca. die Hälfte
aller Übergangsfrakturen aus.
Abb. 5 Der Fugenschluss beginnt anterior medial und schreitet nach dorsal lateral fort.
Der letzte sich schließende Teil ist anterolateral.
Twoplane-Frakturen
Die Twoplane-Fraktur oder auch Tilleaux Fracture entspricht einer rein epiphysären
Fraktur. Da medial bereits die Verknöcherung eingesetzt hat, bricht nur der noch offene
Fugenanteil ab, da dieser im Vergleich zur bereits verknöcherten Fuge deutlich schwächer
ist. Dies bringt mit sich, dass, je weiter fortgeschritten der Fugenschluss ist, umso
lateraler liegt die Fraktur ([Abb. 5], [Abb. 6]).
Abb. 6 Übergangsfrakturen: Twoplane-Frakturen betreffen nur die Epiphyse, Triplane-Frakturen
haben ein zusätzliches metaphysäres Fragment, das entweder in der Wachstumsfuge endet
(Triplane I) oder bis durch die Epiphyse zieht (Triplane II).
Triplane-Frakturen
Bei zusätzlich einwirkenden Biegekräften auf die distale Tibia bricht zusätzlich zur
Epiphyse auch die Metaphyse. Es bildet sich ein metaphysärer Keil, der entweder auf
Höhe der Fuge endet, entsprechend einer Triplane I-Fraktur, oder er zieht durch die
Fuge durch und bildet sein eigenes Fragment, entsprechend einer Triplane-II-Fraktur
([Abb. 6]).
Therapie der Übergangsfrakturen
Bei der Therapie der Übergangsfrakturen können aufgrund der sich schließenden Wachstumsfugen
keine Achsabweichungen mehr toleriert werden. Ein Remodelling-Potenzial besteht hier
nicht mehr. Da es sich bei allen Übergangsfrakturen um Gelenkfrakturen handelt, sollte
zur Vermeidung von posttraumatischen Komplikationen die Indikation zur offenen Reposition
großzügig, spätestens aber ab einer Gelenkstufe von mehr als 2 mm gestellt werden.
Ziel jeder operativen Therapie ist die exakte Wiederherstellung der Gelenkfläche.
Dies ist in der Regel mit einer offenen oder geschlossenen Reposition und einer Zugschraubenosteosynthese
möglich. Bei weit vorangeschrittenem Fugenschluss kann auch eine fugenkreuzende Schraubenlage
gewählt werden. Das Risiko für Wachstumsstörungen geht bei Übergangsfrakturen gegen
null.
Cave
Übergangsfrakturen sind immer Gelenkfrakturen. Achsabweichungen und Gelenkstufen dürfen
hier nicht toleriert werden.
In unseren beiden Fallbeispielen wurden sowohl die Twoplane- (s. [Fallbeispiel 4]) als auch die Triplane-II-Fraktur (s. [Fallbeispiel 5]) jeweils mit Zugschraubenosteosynthese versorgt und die korrekte Einstellung der
Gelenkfläche im 3-D-Scan intraoperativ kontrolliert.
Fallbeispiel 4
Die Kasuistik zeigt eine Übergangsfraktur in Form einer Twoplane-Fraktur bei einem
13-Jährigen, der vom Hochbett gestürzt war. Die Verletzung wurde mit Zugschraubenosteosynthese
versorgt, die korrekte Einstellung der Gelenkfläche im 3-D-Scan intraoperativ kontrolliert
([Abb. 7]).
Abb. 7 Fallbeispiel 4: Twoplane-Fraktur bei 13 Jahre altem Patienten nach Sturz aus dem
Hochbett.
a Unfallbilder.
b Intraoperativer 3-D-Scan.
c Postoperative Röntgenkontrolle.
Fallbeispiel 5
Dieses Fallbeispiel zeigt eine Übergangsfraktur in Form einer Triplane-Fraktur bei
einem 12-jährigen Jungen nach einem Sturz beim Skateboard-Fahren. Die korrekte Einstellung
der Gelenkfläche durch Zugschraubenosteosynthese wurde mittels 3-D-Scan intraoperativ
kontrolliert ([Abb. 8]).
Abb. 8 Fallbeispiel 5: Triplane-Fraktur bei 12-jährigem Patienten nach Sportunfall.
a Unfallbilder.
b Intraoperativer 3-D-Scan.
c Postoperative Röntgenkontrolle.
OP-Technik
Der Patient befindet sich in Rückenlagerung und Allgemeinanästhesie. Der Eingriff
sollte unter Antibiotikaprophylaxe durchgeführt werden, eine Blutsperre kann angelegt
werden.
Je nach vorhandener Pathologie kann ein geschlossener Repositionsversuch durchgeführt
werden. Die Sicherung der Reposition erfolgt dann perkutan mit K-Drähten (1,5 – 2,0 mm).
Gelingt die Reposition nicht geschlossen, sollten mehrfache Versuche vermieden und
eine offene Reposition angestrebt werden, da in diesen Fällen in der Regel das Periost
in den Frakturspalt eingeschlagen ist. Je nach Frakturmorphologie bieten sich hier
der mediale Zugang über dem Innenknöchel oder der ventrale bis anterolaterale Zugang
speziell bei den Übergangsfrakturen an. Bezüglich der vulnerablen Strukturen muss
besonders auf den N. peronaeus superficialis beim anterioren und anterolateralen Zugang
geachtet werden sowie auf den N. saphenus und die begleitende Vene beim medialen Zugang.
Die Fibula wird, wenn notwendig, über einen separaten lateralen Zugang versorgt.
Cave
Der N. peronaeus superficialis ist beim anterioren und der N. saphenus beim medialen
Zugang darzustellen.
Die Sicherung der Retention kann mit K-Drähten oder Kleinfragmentzugschrauben durchgeführt
werden. Bei einem minimalinvasiv gewählten Zugang bietet sich eine Reposition über
K-Draht und anschließende Lochschraubenosteosynthese an.
Tipp
Da bei Kindern in der Regel noch offenen Wachstumsfugen bestehen, muss dies bei der
operativen Planung miteinbezogen werden. Fugenkreuzende Osteosynthesen sind zu vermeiden,
jedoch manchmal zulässig, um eine exakte Reposition zu erreichen. Ebenso gilt es im
Hinblick auf die Komplikation eines frühzeitigen Fugenschlusses, wiederholtes Bohren
und die dadurch bedingte Hitzeentwicklung zu meiden. Die Hitzeentwicklung kann ebenfalls
durch scharfe Bohrer reduziert werden.
Nachbehandlung
Gelingt eine stabile Osteosynthese des Sprunggelenks, kann eine funktionelle Beübung
des Sprunggelenks unter Entlastung für mindestens 4 Wochen durchgeführt werden.
Metallentfernung
Bei allen Kindern mit noch offenen Wachstumsfugen empfiehlt es sich, eine Metallentfernung
nach Konsolidierung durchzuführen. Perkutan eingebrachte K-Drähte können in der Regel
nach 4 – 6 Wochen ambulant gezogen werden.
Komplikationen
Die häufigsten Komplikationen sind Wachstumsstörungen, Instabilitäten und die posttraumatische
Arthrose. Wachstumsstörungen können als posttraumatische Deformitäten im Sinne von
Achsabweichungen in der Frontal-, Sagittal- und Rotationsebene zutage treten.
Tipp
Eine regelmäßige klinische Verlaufskontrolle bei konservativer Behandlung mit Beschreibung
der Bewegungsausmaße und Erstellung einer Fotodokumentation ist zu empfehlen.
Wachstumsstörungen
Die Literatur ist hinsichtlich der Inzidenz von Wachstumsstörungen nach Frakturen
im Bereich des Sprunggelenks bei Kindern sehr inhomogen. Die Angaben variieren zwischen
5 und 60% [1], [12], [16]. Generell lässt sich feststellen, dass, je jünger das Kind ist, desto höher das
Risiko für Wachstumsstörungen ist. Bei Übergangsfrakturen geht das Risiko bereits
gegen Null. Wichtig ist zu erwähnen, dass sich diese Aussage sich auf das biologische
Alter des Kindes und nicht auf das chronologische Alter bezieht. Mädchen sind den
Jungen hier um ca. 2 – 3 Jahre voraus. Auch der Fugenschluss setzt bei Mädchen ca.
2 Jahre früher ein.
Stimulierende Wachstumsstörungen sind selten, wesentlich häufiger sind die hemmenden,
die durch einen vorzeitigen partiellen oder kompletten Fugenschluss entstehen. Durch
einen kompletten Fugenschluss resultiert eine Verkürzung der betroffenen Extremität,
durch einen partiellen Fugenschluss eine Achsabweichung. Im Bereich der Tibia entsteht
durch das typische Verknöcherungsmuster von medial nach lateral in der Regel eine
Varusabweichung.
Um die Kinder mit einem erhöhten Risiko für Wachstumsstörungen herauszufiltern, haben
Leary et al. verschiedene Risikofaktoren für einen vorzeitigen Fugenschluss definiert
[14]. Hierunter fallen
-
die Salter-Harris-II-Frakturen,
-
das Ausmaß der initialen Dislokation,
-
ein verbliebener Epiphysenspalt von mehr als 3 mm nach Reposition und
-
die Anzahl der Repositionsversuche (s. [Infobox]).
Daraus lässt sich schlussfolgern, dass sich mit einer exakten Reposition mit möglichst
wenigen Versuchen das Risiko für einen vorzeitigen Fugenschluss senken lässt.
Merke
Wichtigstes Tool zum Herausfiltern der Wachstumsstörungen sind regelmäßige klinische
Nachkontrollen des Kindes auf Achsabweichungen.
Praxis
Risikofaktoren für Wachstumsstörungen
-
Salter-Harris-II-Frakturen
-
starke initiale Dislokation
-
> 3 mm Epiphysenspalt nach Reposition
-
Anzahl der Repositionsversuche
Therapie der Wachstumsstörungen
Zeichnet sich bei jüngeren Kindern eine Wachstumsstörung ab, ist das mögliche Remodelling
abzuwarten. Hier kann bei Kindern unter 10 Jahren mit Rekurvationen bis 30° und Varus-/Valgusabweichungen
bis 20° der weitere Verlauf beobachtet werden. Zeigt sich jedoch bereits vor Wachstumsabschluss
eine nicht mehr tolerable Wachstumsstörung, kann eine temporäre Epiphysiodese oder
die Resektion der Ausheilungsbrücke diskutiert werden.
Nach Abschluss des Wachstums und bei Beschwerden durch eine verbliebene Achsabweichung
kann ggf. eine Korrekturosteotomie durchgeführt werden [12]. Die Indikation zur operativen Korrektur einer posttraumatischen Achsabweichung
sollte vom Leidensdruck des Kindes abhängig gemacht werden.
Merke
Prinzipiell sollte eine Korrektur der posttraumatischen Achsabweichung diskutiert
werden bei
-
Zunahme einer Deformität,
-
zunehmenden funktionellen Einschränkungen,
-
Schmerzen.
Instabilitäten
Die zweite große Komplikation ist die Instabilität. Diese betrifft in der Regel die
Distorsionen im Bereich des Sprunggelenks. Hier verbleiben ca. 10% nach konservativer
Therapie instabil. Therapie der Wahl ist das propriozeptive Training. Nur bei dekompensierten
Instabilitäten trotz Ausschöpfung aller konservativer Maßnahmen sollte eine Bandplastik
diskutiert und durchgeführt werden, da auch nach Bandplastik in bis zu 10% der Fälle
weiterhin Instabilitäten verbleiben [5].
Posttraumatische Arthrose
Eine gravierende Komplikation ist die posttraumatische Arthrose. Das Risiko hierfür
erhöht sich bei Gelenkbeteiligung und verbliebender Gelenkstufe. Jedoch sind viele
Patienten trotz radiologischer Arthrosezeichen beschwerdefrei [13], [16].
Kernaussagen
-
5 – 7% aller kindlichen Frakturen betreffen das Sprunggelenk.
-
Bandläsionen sind selten und meistens ossäre, periostale oder chondrale Ausrisse.
Die Therapie ist konservativ. Eine instabile Syndesmose benötigt eine korrekte Reposition
und temporäre Stabilisierung mit Stellschraubenosteosynthese.
-
Salter-Harris-II- und -III- sowie Triplane-II-Frakturen sind die häufigsten Frakturen
im Wachstumsalter.
-
Undislozierte Frakturen können konservativ behandelt werden.
-
Exakt reponiert und großzügig offen dargestellt werden sollten:
-
Komplikationen, insbesondere Wachstumsstörungen durch einen frühzeitigen Fugenschluss,
können durch eine exakte Reposition und das Vermeiden mehrfacher Repositionsmanöver
vermieden werden.
-
Um Wachstumsstörungen frühzeitig zu erkennen, sollten regelmäßige klinische Nachkontrollen
durchgeführt werden.
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag
ist Prof. Dr. med. Paul Alfred Grützner, Ludwigshafen.