Steinhoff M.
et al.
Clinical presentation, management, and pathophysiology of neuropathic itch.
Lancet Neurol 2018;
17: 709 -720
Chronischer Juckreiz kann dermatologische, systemische, psychogene oder neuropathologische
Ursachen haben. Schädigungen des Nervensystems, die zu einem neuropathischen Juckreiz
oder zu neuropathischen Schmerzen führen, können durch verschiedene Erkrankungen wie
multiple Sklerose, Herpes zoster oder Diabetes mellitus, aber auch durch Schlaganfälle
hervorgerufen werden. Viele Patienten leiden an Geschwüren und Infektionen durch das
ständige Kratzen.
Klinische Präsentation und Diagnose
Kann für einen chronischen Juckreiz keine dermatologische Ursache gefunden und eine
systemische Ursache anhand der Krankengeschichte ausgeschlossen werden, sollte der
Patient auf einen neuropathischen Juckreiz hin untersucht werden. Dieser kann in verschiedenen
Ausprägungen auftreten, die sich in Ursachen und Symptomen deutlich unterscheiden:
Großflächige periphere Small-Fiber-Neuropathien verursachen einen großflächigen Juckreiz an den Extremitäten (proximal zu distal
steigend). Die Ursachen reichen von der Behandlung mit Hydroxyethylstärke über Mutationen
im NaV1.7-Natriumkanal bis zum Ehlers-Danlos-Syndrom.
Fokale periphere Mononeuropathien, Plexopathien und Radikulopathien treten vorwiegend am Kopf und oberen Torso sowie an den Armen auf. Häufigste Ursache
ist eine Schädigung der Nervenwurzel – in Hautbiopsien kann dann eine unzureichende
Innervierung nachgewiesen werden. Weitere mögliche Ursachen sind Herpes zoster, mikrovaskuläre
Komplikationen infolge einer Diabetes-mellitus-Erkrankung oder eine multiple endokrine
Neoplasie Typ 2.
Spinale sensorische Gangliopathien erzeugen einen Juckreiz, der nicht entlang der Nervenbahnen verläuft und häufig in
Verbindung mit neuropathischen Schmerzen und Ataxie auftritt. Die Symptome können
auf eine Krebserkrankung, Infektion oder Autoimmunerkrankung hindeuten und bedürfen
sofortiger Behandlung.
Läsionen im Gesicht, Kopf und Nacken können durch Verletzungen des Ganglion trigeminale verursacht werden. Die häufigste
Ursache für neuropathischen Juckreiz im Gesicht ist Herpes zoster.
Läsionen des zentralen Nervensystems, beispielsweise durch einen Schlaganfall, können ebenfalls zu neuropathischem Juckreiz,
häufig gepaart mit neuropathischem Schmerz und Gefühlsverlust, führen.
Tritt der Juckreiz in Verbindung mit einem Gefühlsverlust auf, deutet dies auf eine
neurologische Ursache hin. Die Krankengeschichte des Patienten kann Aufschluss über
mögliche Ursachen einer Neuropathie wie Diabetes mellitus oder Herpes zoster geben.
Mithilfe sensorischer Tests (wie beispielsweise den von Frey Haaren) kann der Juckreiz
eingegrenzt und lokal behandelt werden. Neurologische Ursachen und Nervenverletzungen
können mit PGP9.5-Antikörpern bzw. anhand einer Elektromyografie aufgespürt werden.
Standardisierte Fragebögen zum chronischen Juckreiz helfen bei der Diagnose und der
Dokumentation des Krankheitsverlaufs.
Therapie
Die Behandlung neuropathischen Juckreizes zielt auf die Vermeidung und Behandlung
von Kratzwunden ab. Eine psychotherapeutische Betreuung kann zusätzlich dabei helfen,
das Kratzverlangen zu unterdrücken und Depressionen und Aggressivität entgegenzuwirken.
Peripherer Juckreiz wird zumeist lokal behandelt – Lidocain-Salbe und subkutane Injektionen
von Anästhetikum können den Juckreiz unterbinden, Capsaicin wird zur Degeneration
der Nervenenden verwendet. Bei großflächigem neuropathologischem Juckreiz hilft eine
systemische Medikation mit Natriumkanalblockern. Häufig kommen auch Opioide und Antidepressiva
zum Einsatz.
Fazit
Die Behandlung von neuropathischem Juckreiz stellt eine große Herausforderung dar.
Der Mangel an eindeutigen Bewertungskriterien erschwert die Diagnose und da die Krankheitsmechanismen
nicht völlig verstanden sind, fehlen effiziente Therapieansätze. In Tiermodellen konnten
verschiedene zelluläre Netzwerke identifiziert werden, die bei neuropathischem Juckreiz
eine Rolle spielen und deren weitere Erforschung neue Therapieansätze hervorbringen
kann.