Gastkommentar: „Frühgeburtenrate in 6 Perinatalzentren in Baden-Württemberg – Potenzial
zur Reduktion der Frühgeborenenzahl“: Reduktion der Frühgeburtenrate durch mehr Transparenz.
Was ist der geburtshilfliche Aspekt?
Gastkommentar: „Frühgeburtenrate in 6 Perinatalzentren in Baden-Württemberg – Potenzial
zur Reduktion der Frühgeborenenzahl“: Vorbeugen ist besser als Heilen
Die Autoren greifen mit ihrer Arbeit „Frühgeburtenrate in 6 Perinatalzentren in Baden-Württemberg
– Potential zur Reduktion der Frühgeborenenzahl“ einen relevanten Aspekt der Perinatologie
auf, da Morbidität und Mortalität invers mit dem Gestationsalter von Frühgeborenen
korrelieren. Daher sind Strategien zu begrüßen und zu fördern, die zu einer Vermeidung
(extremer) Frühgeburtlichkeit führen. Trotzdem wird es immer Konstellationen geben
– sei es aus kindlicher oder mütterlicher Indikation – die es notwendig machen, eine
Geburt zu forcieren. Die Autoren fordern als Schlussfolgerung ihrer Arbeit, dass die
Frühgeborenenrate als Qualitätsindikator zur Beurteilung der Versorgungsqualität von
Perinatalzentren mit aufgeführt werden sollte.
Allerdings wird dadurch die Beantwortung der schwierigen Frage nicht einfacher, wer
denn eigentlich die Versorgungsqualität beurteilen soll und welche Schlussfolgerungen
aus den Ergebnissen gezogen werden. Die Perinatal- und die Neonatalerhebung sind die
beiden ältesten externen Qualitätssicherungsverfahren der Medizin in Deutschland.
Mittlerweile wurden diese um eine öffentlich zugängliche Darstellung neonatologischer
Ergebnisqualität (www.perinatalzentren.org) erweitert und stellen die bislang einzige
verpflichtende öffentliche Darstellung medizinischer Ergebnisqualität in Deutschland
dar.
Trotz Existenz der o.g. externen Qualitätssicherungsverfahren gelang es nicht, die
Daten und Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte in Schlussfolgerungen oder gar ordnungsrechtliche
Entscheidungen zur Verbesserung der Versorgungsqualität umzusetzen. Auch eine Anhebung
der Mindestmengengrenze von 14 auf 30 sehr kleine Frühgeborene pro Jahr war mit den
vorliegenden Daten nicht gerichtsfest zu untersetzen. Stattdessen wurde der 2005 gefasste
Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zu Strukturvorgaben an die peri-
und neonatale Versorgung mit Einführung einer gestuften Versorgungsstruktur (Level
1, 2, perinatologischer Schwerpunkt und Geburtsklinik) zwischenzeitlich dermaßen verschärft,
dass 91% aller Level 1 Perinatalzentren nach der jüngsten Erhebung des IQTiG[1] erklärt haben, die dort gestellten Anforderungen an die pflegerischen Anforderungen
nicht erfüllen zu können. Gleichzeitig setzen die Kostenträger in den Budgetverhandlungen
mit den Krankenhäusern das geltende Recht unerbittlich um, indem sie Einrichtungen,
welche die Vorgaben aus dem G-BA-Beschluss nicht vollständig erfüllen, Budget abziehen.
Auch die Meldungen von Einrichtungen gegenüber dem G-BA in 2017, bis Ende 2019 eine
Übergangsfrist in Anspruch nehmen zu müssen, hat auf diese Budgetreduktion keinen
Einfluss, obwohl Zielvereinbarungen auf Landesebene zur schrittweisen Zielerreichung
abgeschlossen wurden. Konsequenterweise entwickelte sich bereits 2017 die absurde
Situation, dass Zentren mit nachweislich hervorragender Ergebnisqualität Schwangere
mit drohender Frühgeburt nicht aufgenommen haben[2], um keine „Regelverletzung“ bei den G-BA-Vorgaben mit den o. g. Konsequenzen zu
provozieren. Dies stellt aus meiner Sicht eine Perversion dar. In einem Bereich der
Medizin, der wie kein anderer eine transparente und ausreichend risikoadjustierte
Ergebnisqualität liefert, wird durch Strukturanforderungen eine potenzielle Verschlechterung
der Versorgungssituation in Kauf genommen. Und dies obwohl das Thema Qualität schon
seit der letzten Legislaturperiode politisch ganz groß geschrieben wird. Es ist ein
mahnendes Beispiel für eine Entwicklung, in der gut gemeinte Vorgaben zur Qualitätsverbesserung
kombiniert werden mit Vergütungsanreizen oder –kürzungen, die zu einer Verunsicherung
und zu einem Dokumentationsaufwand führen, welche der Versorgungsqualität auf jeden
Fall nicht förderlich sind. Einrichtungen werden weiterhin versuchen, sich regel-
und systemkonform zu verhalten, unabhängig davon, welche Anforderungen an Mindestmengen
und Strukturanforderungen gestellt werden. Dass dabei Anreize gesetzt werden, medizinisch
sinnvolles Vorgehen wie die Vermeidung von Frühgeburten zugunsten der Erreichung von
Mindestmengen möglicherweise zu unterlaufen, sollte jedem normativ tätigen Akteur
im Gesundheitswesen bewusst sein. Ein möglicher Ausweg könnte sein, konsequent die
Mengen- und Strukturvorgaben auf ein Niveau zu bringen, bei dem es zu einer wirklichen
Zentralisierung kommt, bei der dann auch inhaltlich sinnvolle Vorgehensweisen, wie
die Verzögerung der Schwangerschaftsdauer bei Frühgeburtlichkeitsbestrebungen, nicht
gleich zu einer Unterschreitung der Mindestmengen führt. Erforderlich dafür wäre allerdings
ein politischer Durchsetzungswille, da es dann zu wirklich einschneidenden Veränderungen
in der Versorgungslandschaft kommen würde. Diese hätten den Vorteil, dass sie für
alle Akteure klar wären, währenddessen das bisherige Vorgehen zu eher erratischen
Anpassungen führt.