ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2018; 127(10): 502-505
DOI: 10.1055/a-0715-3570
Basics
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Differenzialdiagnosen von Erosionen

Nadine Schlüter
,
Carolina Ganß
Further Information

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Nadine Schlüter
Stiftungsprofessur für Kariesforschung
Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie
Department f. Zahn-, Mund- u. Kieferheilkunde
Universitätsklinikum Freiburg
Hugstetter Straße 55
79106 Freiburg i. Br.

Publication History

Publication Date:
30 October 2018 (online)

 

Zur Klasse der nicht kariesbedingten Zahnhartsubstanzdefekte oder nicht kariösen Verschleißformen gehören Erosionen, Abrasionen – inklusive der Sonderform Demastikation –, Attritionen sowie der keilförmige Defekt. Während Erosionen durch den Einfluss von Säuren, also chemisch bedingt sind, sind die anderen Formen mechanisch induziert.


#

Die Therapie bei nicht kariesbedingten Zahnhartsubstanzverlusten ist primär kausal ausgerichtet [1], da der Verschleiß nicht weiter voranschreitet, wenn die verursachende Noxe nicht mehr einwirkt. Es ist daher besonders wichtig, die Ursache für klinisch diagnostizierte Defekte sicher identifizieren zu können. Neben einer Anamnese kommt der Beurteilung der Defektmorphologie eine zentrale Bedeutung zu, um die verschiedenen Verschleißformen sicher voneinander abgrenzen und somit wirksame und nachhaltige Therapiestrategien entwickeln zu können. Allerdings können mechanische und chemische Noxen zeitgleich in der Mundhöhle auftreten. So ist beispielsweise ein Zusammenspiel von Erosionen und Abrasionen keine Seltenheit, was zumeist als erosiv induzierter Zahnverschleiß bezeichnet wird (aus dem Englischen: erosive tooth wear). Das kann einerseits zu einer gegenseitigen Verstärkung und damit Erhöhung der Progression der Substanzverluste führen [2]. Auf der anderen Seite wird dadurch ebenfalls das Erscheinungsbild der Defekte in der Mundhöhle modifiziert, was eine klare Zuordnung zu einem Ursachenkomplex erschweren kann [3].

Traditionsgemäß werden die Defekte nach ihrer Ursache oder Morphologie benannt. Der Begriff Attrition leitet sich aus dem Lateinischen „atterere“ ab, was so viel bedeutet wie „reiben, scheuern“. Bei Attritionen handelt es sich um einen klassischen 2-Medien-Verschleiß; 2 Substanzen, in diesem Fall die Zahnhartsubstanz antagonistischer Zähne, reiben aufeinander. Das klassische Erscheinungsbild einer Attrition sind scharf begrenzte, plane und hochglänzende Facetten auf den Okklusalflächen ([Abb. 1]), wobei kongruente Flächen an Antagonisten gefunden werden ([Abb. 2]). Sehr ausgeprägte Defekte können zu einem Verlust der Kronenhöhe führen. Attritionen finden sich immer im okklusionsgetragenen Bereich ([Abb. 8 a]), Attritionsdefekte auf den Glattflächen gibt es nicht.

Zoom Image
Abb. 1 Attritionsdefekt auf dem bukkalen Höcker eines UK-Prämolaren. Die hochglänzende Facette ist deutlich zu erkennen.
Zoom Image
Abb. 2 Kongruente Flächen an Antagonisten bei Attritionen.

Abrasionen sind ein Vertreter des 3-Medien-Verschleißes. Dabei können die 3 Medien sehr unterschiedlich sein. So können Zahnpaste und Zahnbürste, aber auch Gewohnheiten, wie das Halten von Gegenständen mit den Zähnen oder das Benutzen von Zähnen als Werkzeug ([Abb. 3]), eine Rolle spielen. Werden die Abrasionen durch Schleifpartikel in der Nahrung hervorgerufen, werden sie Demastikation genannt. Beide Begriffe leiten sich ebenfalls aus dem Lateinischen ab; Abrasion kommt von „abradere: abkratzen, abscheren“ und Demastikation von „mandere: kauen, beißen, essen, verzehren“. Die Morphologie von Abrasionsdefekten kann sehr vielfältig sein und entspricht der einwirkenden abrasiven Noxe. Typisch für Defekte aufgrund von Bürstabrasion sind amorphe Defekte zumeist unterhalb der Schmelz-Zement-Grenze auf freigelegten Wurzeloberflächen ([Abb. 4]). Demastikationen lassen sich ausschließlich okklusal diagnostizieren. Es liegen in der Regel muldenförmige Defekte vor. Sie haben eine ähnliche Form wie erosiv bedingte okklusale Defekte.

Zoom Image
Abb. 3 Erosionen an den Vestibulärflächen von Oberkiefer-Inzisivi. Das Dentin ist durch sekundäre Farbstoffeinlagerung dunkel verfärbt. Der Patient hat regelmäßig beim Sport Getränke aus einer Sportlerflasche zu sich genommen. Die Flasche hat er mit den Zähnen geöffnet, was zusätzlich zu den Erosionen zu Abrasionen an der Inzisalkante geführt hat.
Zoom Image
Abb. 4 Bürstabrasionen aufgrund einer horizontalen Bürsttechnik mit zu viel Druck. Deutlich zu erkennen sind die durch die Zahnbürste verursachten Rillen im Defektbereich.

Der keilförmige Defekt wird vermutlich durch eine Kombination aus Abfraktion und Abrasion verursacht. Abfraktionen, vom Lateinischen „frangere: brechen“, können durch eine okklusale Überbelastung entstehen. Durch Belastungsspitzen kommt es im zervikalen Bereich zu Spannungen, sodass kleine Zahnhartsubstanzpartikel aus diesem Bereich herausgesprengt werden. Vermutlich dienen diese sehr initialen Defekte später beispielsweise bei einer Mundhygiene mit horizontalem Putzmuster der Zahnbürste als Führungsrille, was zu einer Verstärkung der Substanzverluste führen kann. Ob dieser Mechanismus tatsächlich eine Rolle spielt, ist nicht vollständig geklärt, allerdings spricht das mitunter im Defektbereich anzutreffende horizontale Rillenmuster für eine derartige Beteiligung der Zahnbürste. Keilförmige Defekte sind ausschließlich auf den Glattflächen zu finden, im Regelfall vestibulär. Sie nehmen ihren Ursprung an der Schmelz-Zement-Grenze – die Grenze liegt hier senkrecht zur Zahnoberflächen – und laufen nach zervikal hin oft flach aus ([Abb. 5]). Die Tiefe der Defekte übersteigt in der Regel deren Breitenausdehnung [4], [5].

Zoom Image
Abb. 5 Typische keilförmige Defekte mit Ursprung an der Schmelz-Zement-Grenze (die Grenze liegt hier senkrecht zur Zahnoberflächen) und einem Substanzverlust, der zervikal flach ausläuft.

Die chemisch bedingten Erosionen (lateinisch „rodere: nagen“) können sich sowohl auf den Okklusal- als auch auf den Glattflächen manifestieren. Typisches Zeichen okklusaler Erosionen sind muldenförmige Defekte auf den Höckerspitzen ([Abb. 6]) und eine Einebnung des Höcker-Fissuren-Reliefs mit Verlust der Kronenhöhe bei ausgeprägten Defekten ([Abb. 7]). Im Gegensatz zu Attritionen ([Abb. 8 a]) liegen Erosionen nicht im kontaktpunktgetragenen Bereich ([Abb. 8 b]). Auf den Glattflächen beginnen Erosionen mit einer initialen Verarmung an typischen Oberflächenstrukturen, wie Glanz und Perikymatien. Später folgen eine Abflachung der konvexen Areale sowie anschließend muldenförmige Defekte, die zervikal von einem intakten Schmelzband begrenzt sind ([Abb. 9]). Die Breite der Defekte übersteigt in der Regel deren Tiefenausdehnung, sodass sie dadurch gut von keilförmigen Defekten zu unterscheiden sind. Glattflächenerosionen können sowohl palatinal als auch vestibulär auftreten; linguale Erosionen sind sehr selten [6].

Zoom Image
Abb. 6 Typischer muldenförmiger Erosionsdefekt auf den Höckerspitzen eines Oberkiefer-Molaren.
Zoom Image
Abb. 7 Patient mit ausgeprägten Erosionen. Es ist deutlich ein Verlust der Kronenhöhe zu erkennen.
Zoom Image
Abb. 8 Darstellung des Okklusionsmusters bei Attritionen (a) und Erosionen (b). Bei Attritionen befinden sich die Defekte immer im Kontaktbereich, bei Erosionen außerhalb.
Zoom Image
Abb. 9 Ausgeprägte Erosionen palatinal an den Oberkiefer-Inzisivi. Trotz der starken Ausprägung der Defekte ist zervikal ein intaktes Schmelzband zu erkennen.

#
Autorinnen/Autoren

Prof. Dr. Nadine Schlüter

Zoom Image

Stiftungsprofessur für Kariesforschung, Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie, Department f. Zahn-, Mund- u. Kieferheilkunde, Universitätsklinikum Freiburg, Medizinische Fakultät, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Deutschland

Prof. Dr. Carolina Ganß

Zoom Image

Oberärztin an der Poliklinik für Zahnerhaltungskunde und Präventive Zahnheilkunde, Medizinisches Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Justus-Liebig-Universität, Gießen

Interessenkonflikt

Frau Prof. Dr. Nadine Schlüter erklärt, dass sie für die Fa. Colgate und die Fa. EMS in den letzten drei Jahren Vortragstätigkeiten ausgeübt hat. Frau Prof. Dr. Carolina Ganß erklärt, dass sie in den letzten drei Jahren durch die Fa. Colgate finanzierte Vortragstätigkeiten ausgeübt hat. Weitere wirtschaftliche oder persönliche Verbindungen zwischen den Autoren und Organisationen im Sinne eines Interessenskonflikts bestehen und bestanden nicht.


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Nadine Schlüter
Stiftungsprofessur für Kariesforschung
Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie
Department f. Zahn-, Mund- u. Kieferheilkunde
Universitätsklinikum Freiburg
Hugstetter Straße 55
79106 Freiburg i. Br.


Zoom Image
Zoom Image
Zoom Image
Abb. 1 Attritionsdefekt auf dem bukkalen Höcker eines UK-Prämolaren. Die hochglänzende Facette ist deutlich zu erkennen.
Zoom Image
Abb. 2 Kongruente Flächen an Antagonisten bei Attritionen.
Zoom Image
Abb. 3 Erosionen an den Vestibulärflächen von Oberkiefer-Inzisivi. Das Dentin ist durch sekundäre Farbstoffeinlagerung dunkel verfärbt. Der Patient hat regelmäßig beim Sport Getränke aus einer Sportlerflasche zu sich genommen. Die Flasche hat er mit den Zähnen geöffnet, was zusätzlich zu den Erosionen zu Abrasionen an der Inzisalkante geführt hat.
Zoom Image
Abb. 4 Bürstabrasionen aufgrund einer horizontalen Bürsttechnik mit zu viel Druck. Deutlich zu erkennen sind die durch die Zahnbürste verursachten Rillen im Defektbereich.
Zoom Image
Abb. 5 Typische keilförmige Defekte mit Ursprung an der Schmelz-Zement-Grenze (die Grenze liegt hier senkrecht zur Zahnoberflächen) und einem Substanzverlust, der zervikal flach ausläuft.
Zoom Image
Abb. 6 Typischer muldenförmiger Erosionsdefekt auf den Höckerspitzen eines Oberkiefer-Molaren.
Zoom Image
Abb. 7 Patient mit ausgeprägten Erosionen. Es ist deutlich ein Verlust der Kronenhöhe zu erkennen.
Zoom Image
Abb. 8 Darstellung des Okklusionsmusters bei Attritionen (a) und Erosionen (b). Bei Attritionen befinden sich die Defekte immer im Kontaktbereich, bei Erosionen außerhalb.
Zoom Image
Abb. 9 Ausgeprägte Erosionen palatinal an den Oberkiefer-Inzisivi. Trotz der starken Ausprägung der Defekte ist zervikal ein intaktes Schmelzband zu erkennen.