ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2018; 127(10): 468-477
DOI: 10.1055/a-0715-3590
CME-Fortbildung
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Standards der Fissuren- und Grübchenversiegelung

Roswitha Heinrich-Weltzien
,
Jan Kühnisch
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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Roswitha Heinrich-Weltzien
Poliklinik für Präventive Zahnheilkunde und Kinderzahnheilkunde, Universitätsklinikum Jena
Bachstraße 18
07743 Jena

Publication History

Publication Date:
30 October 2018 (online)

 

Karies ist weltweit eine der häufigsten chronischen Erkrankungen in allen Lebensphasen. In den Industrienationen mit der breiten Verfügbarkeit fluoridhaltiger Zahnpasten ist der Kariesbefall auch bei Nichtrisikopatienten im Kindes- und Jugendalter auf die Fissuren und Grübchen der bleibenden Molaren konzentriert. Die Versiegelung dieser Kariesprädilektionsstellen ist eine zahnflächenspezifische Präventionsmaßnahme zur Vorbeugung einer Fissuren- und Grübchenkaries. Basierend auf der überarbeiteten S3-Leitlinie „Fissuren- und Grübchenversiegelung“ werden die aktuellen Empfehlungen zum klinischen Prozedere zusammenfassend dargestellt.


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Hintergrund

Die Versiegelung von Fissuren und Grübchen wird seit etwa 5 Dekaden zur Prävention und Kontrolle kariöser Läsionen von Milch- und bleibenden Zähnen genutzt [1]. Trotz ihrer kariespräventiven Wirksamkeit wird sie noch immer zu wenig zur Vorbeugung einer Kariesinitiation und -progression der Fissuren- und Grübchenkaries in der täglichen Praxis genutzt [2]. In der Bundesrepublik Deutschland ist die Fissuren- und Grübchenversiegelung (F-G-V) der bleibenden Molaren seit 1993 eine abrechenbare kassenärztliche Leistung (IP5) für gesetzlich versicherte Patienten im Alter von 5 bis 18 Jahren. Wie epidemiologische Studien der letzten 20 Jahre zeigen, waren durchschnittlich 2 bis 3 Molaren pro Kind versiegelt, wobei ein Großteil der F-G-V nur partiell intakt waren [3]. Weiterhin haben Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Gruppen, mit einem Migrationshintergrund und mit Behinderungen wesentlich seltener und weniger F-G-V [4], [5].

Seit 2005 steht der Zahnärzteschaft in Deutschland die S3-Leitlinie „Fissuren- und Grübchenversiegelung“ zur Verfügung, die nunmehr in der 2. aktualisierten Form vorliegt [3].


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Fissuren- und Grübchenkaries

Ursachen der erhöhten Kariesanfälligkeit von Fissuren und Grübchen der bleibenden Molaren sind das zerklüftete Fissuren- und Grübchenrelief sowie die geringe Schmelzdicke am Fissurenfundus [3]. Der Zahndurchbruch erstreckt sich über einen längeren Zeitraum, der in der Regel mit einer ungenügenden Reinigung der Okklusalflächen durch die kindlichen Patienten verbunden ist. Darüber hinaus kann der Biofilm aus dem Fissurenrelief mit der Zahnbürste nur begrenzt entfernt werden ([Abb. 1 a] und [b]). Aufgrund dieser Risikofaktoren treten häufig initial kariöse Läsionen unmittelbar nach dem Durchbruch der Molaren auf ([Abb. 2 a] und [b]). Neben den anatomischen und biologischen Besonderheiten spielt auch das Gesundheitsverhalten des Patienten wie die frequente Aufnahme zuckerhaltiger Nahrungsmittel und/oder Getränke, die Häufigkeit und Qualität der täglichen Mundhygiene und die Fluoridbilanz eine wesentliche Rolle bei der Initiation des kariösen Prozesses [6].

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Abb. 1 Okklusale initial kariöse Läsion an Zahn 47 und ausgeprägte zirkuläre marginale Plaqueablagerungen (a). Die quantitative lichtinduzierte Fluoreszenzaufnahme des Zahnes 47 (b) visualisiert die Demineralisation der okklusalen Fissur sowie die Plaqueakkumulation in der Fissur und marginal (Rotfluoreszenz).
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Abb. 2 Okklusale Mikrokavitation an Zahn 46 eines 7-jährigen Patienten (a). Polarisationsoptisches Bild einer nicht kavitierten initial kariösen Läsion am Fissurenfundus (b).

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Fissuren- und Grübchenversiegelung

Der präventive Verschluss der kariesanfälligen Fissuren und Grübchen zur Vorbeugung einer Kariesinitiation und/oder der Arretierung kariöser Frühstadien mit einem dünnfließenden Versieglermaterial wird als F-G-V definiert [7]. Es ist eine zahnflächenspezifische Präventionsmaßnahme, die präventive Effekte an anderen Zahnflächen ausschließt. Neben der F-G-V sollten eine zahngesunde Ernährung und adäquate häusliche Mundhygienemaßnahmen sowie eine indikationsgerechte häusliche und professionelle Fluoridapplikation Bestandteile einer umfassenden präventiven Betreuung sein [3].

Zielgruppe für die F-G-V sind vorrangig Kinder und Jugendliche, da sie von dieser Präventionsmaßnahme unmittelbar nach dem Durchbruch der bleibenden Molaren am meisten profitieren. Die Empfehlung gilt für Kinder und Jugendliche mit und ohne Komorbiditäten [3].


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Diagnostik vor der Fissuren- und Grübchenversiegelung

Vor der F-G-V ist grundsätzlich eine sorgfältige kariesdiagnostische Untersuchung indiziert (Anschauliche Grafik zum diagnostischen Entscheidungsprozess zur Fissuren- und Grübchenversiegelung in der Kurzversion der Leitlinie auf Seite 5. Zu erreichen unter https://eref.thieme.de/MKEMW). Dabei wurde als Schlüsselempfehlung formuliert, dass der visuellen Diagnostik [8] an der gereinigten und getrockneten Okklusalfläche der Vorzug eingeräumt werden soll und beim Vorliegen nicht kavitierter kariöser Läsionen ergänzende diagnostische Verfahren, wie die Bissflügelröntgenaufnahme oder lichtoptische Untersuchung (z. B. DIAGNOdent) zur Detektion versteckter Dentinläsionen (Kontraindikation für F-G-V) indiziert sind [9].

Nach der kariesdiagnostischen Untersuchung wäre aus praktischer Sicht eine der folgenden Diagnosen zu stellen:

  • gesunde, kariesfreie Fissur bzw. Grübchen

  • Fissur bzw. Grübchen mit einer nicht kavitierten kariösen Läsion (Synonyme: Initialkaries, präkavitierte Schmelzkaries, beginnende oder frühe Karies, Hidden oder versteckte Karies, Kariesvorstufe)

  • Kavitation bzw. Dentinkaries im Bereich der Fissuren bzw. Grübchen

Ergänzend zur Kariesdiagnostik werden die Einschätzung des allgemeinen Kariesrisikos bzw. der Kariesaktivität kariöser Läsionen sowie der prioritäre Einsatz der F-G-V bei Kindern und Jugendlichen mit einem erhöhten Kariesrisiko und bestehender Kariesaktivität als Schlüsselempfehlung gegeben.

Merke

Die klinische Diagnostik eines erhöhten Kariesrisikos erfolgt durch die Detektion und Diagnostik kariöser Läsionen.

Kariesrisiko

Ein guter Prädiktor für eine zukünftige kariöse Entwicklung sind neben dem aktuellen Kariesbefall klinisch einfach zu erfassende nicht kavitierte kariöse Läsionen [10]. Aus klinischer Sicht werden die ersten 5 Jahre nach dem Zahndurchbruch als Zeitraum eines erhöhten Kariesrisikos des jeweiligen Zahnes angesehen [10].


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Kariesaktivität

Kennzeichen der Aktivität kariöser Läsionen ist das Vorhandensein von Plaque (Biofilm) auf ihrer Oberfläche, ein weißlich rauer Zahnschmelz sowie die Präsenz von erweichtem Dentin bei kavitierten Läsionen [6]. Die Kariesaktivität wird maßgeblich durch das allgemeine Kariesrisiko und Alter des Patienten beeinflusst [9].


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Indikationen zur Fissuren- und Grübchenversiegelung

In folgenden klinischen Situationen ist die Fissuren- und Grübchenversiegelung der bleibenden Molaren indiziert:

  • Kariesfreie Fissuren und Grübchen bei Patienten mit einem erhöhtem Kariesrisiko. Dazu zählen u. a. Patienten mit Karieserfahrung im Milchgebiss und Patienten, die bereits einen kariösen bleibenden Molaren aufweisen.

  • kariesfreie Fissuren und Grübchen mit einem kariesanfälligen Fissurenrelief unabhängig von der Kariesrisiko-Einschätzung

  • Fissuren und Grübchen mit nicht kavitierten kariösen Läsionen unabhängig von der Kariesrisiko-Einschätzung ([Abb. 3 a] und [b])

  • Fissuren und Grübchen an hypomineralisierten oder hypoplastischen Zähnen unabhängig von der Kariesrisiko-Einschätzung

  • Fissuren und Grübchen bei Patienten mit Allgemeinerkrankungen bzw. körperlichen und/oder geistigen Behinderungen, die eine effektive tägliche Mundhygiene nur begrenzt umsetzen können

  • partiell oder vollständig verloren gegangene Fissurenversiegelungen sollten bei unverändertem Kariesrisiko repariert bzw. erneuert werden ([Abb. 4])

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Abb. 3 Zahn 16 mit einer nicht kavitierten kariösen Läsion vor (a) und nach (b) der Applikation einer Fissuren- und Grübchenversiegelung.
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Abb. 4 Zahn 36 mit Verlust der Fissurenversiegelung in peripheren Fissurenbereichen und Mikrokavitation im exponierten zentralen Fissurenareal. Die linguale Plaqueablagerung und Gingivitis signalisiert ein hohes Kariesrisiko des Patienten, sodass die Nachversiegelung indiziert ist.
  • An Milchmolaren und anderen bleibenden Zähnen kann bei einem erhöhten individuellen oder zahnflächenspezifischen Risiko die F-G-V erwogen werden ([Abb. 5 a] und [b]).

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Abb. 5 Okklusale Hypomineralisation (deciduous molar hypomineralisation) an Zahn 65, die mit einem erhöhten Kariesrisiko verbunden ist, vor (a) und nach der Fissurenversiegelung (b).

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Relative Kontraindikationen zur Fissuren- und Grübchenversiegelung

  • Ist der betreffende Zahn noch nicht vollständig in die Mundhöhle durchgebrochen und sind die Okklusalfläche bzw. palatinalen/bukkalen Grübchen nicht oder nur begrenzt einer adäquaten Trockenlegung zugänglich, ist auf die Versiegelung vorerst zu verzichten. Bis zum vollständigen Zahndurchbruch haben eine adäquate Plaqueentfernung und die Lokalapplikation von Fluorid(lack)en Vorrang. Bei Kariesrisiko-Patienten kann die temporäre F-G-V mit einem Glasionomerzement (GIZ; Prä-F-V) erwogen werden. Es ist eine einfache, präventive, aber provisorische Interimslösung.

  • Bei Zähnen mit einer Dentinkaries im Bereich der Fissuren bzw. Grübchen ist die Versiegelung kontraindiziert und die minimalinvasive Füllungstherapie angezeigt.

  • Unmittelbar vor der Exfoliation stehende Milchzähne bedürfen keiner Versiegelung.

Merke

Eine absolute Kontraindikation zur F-G-V besteht bei einer nachgewiesenen Allergie gegenüber Versiegelungsmaterialien oder einzelnen Materialbestandteilen.

Schlüsselempfehlung

wurde in der Leitlinie zur Indikation der F-G-V konsertiert:

  • Die F-G-V soll indikationsgerecht an gesunden Fissuren zur Kariesprävention und an Fissuren mit nicht kavitierten kariösen Läsionen zur Kariesarretierung zum Einsatz kommen. Empfehlungsstärke: stark/Konsensstärke: stark.

  • Während bei Nichtrisikopatienten die Indikation zur F-G-V an kariesfreien Zähnen restriktiv gestellt werden soll, profitieren Kariesrisiko-Patienten von der F-G-V, weshalb die Versiegelung bei diesen Patienten bevorzugt durchgeführt werden soll. Empfehlungsstärke: stark/Konsensstärke: stark.

  • An Fissuren und Grübchen mit nicht kavitierten kariösen Läsionen soll die Indikation zur Versiegelung im Kindes- und Jugendalter unabhängig von der Kariesrisiko-Einschätzung mit dem Ziel der Kariesarretierung gestellt werden. Empfehlungsstärke: stark/Konsensstärke: stark.


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Klinisches Vorgehen bei der Fissuren- und Grübchenversiegelung

Reinigung der Zahnoberfläche

Die Zahnreinigung mit rotierenden Bürstchen mit/ohne Verwendung einer Prophylaxepaste ist ein Routinevorgehen. Sie ist einfach, schnell und kindgerecht durchführbar und wurde in zahlreichen klinischen Studien eingesetzt.

Die fehlende „Tiefenreinigung“ enger Fissuren wurde bei Verwendung von Prophylaxe- bzw. Polierbürsten früher als Nachteil betrachtet, der durch den Einsatz von Pulver-Wasser- bzw. Partikelstrahlgeräten kompensiert werden sollte. Während In-vitro-Untersuchungen nach zusätzlicher Pulver-(Wasser-)Strahlreinigung zu teilweise verbesserten Verbundwerten, einer reduzierten Microleakage oder einer besseren Reinigung führten [11], [12], zeigten klinische Studien keine Unterschiede zwischen einzelnen Formen der Zahnreinigung nach 1 Jahr Beobachtungszeit [13], [14].

Schlüsselempfehlung

Die Zahnreinigung ist ein unverzichtbarer Teilarbeitsschritt der F-G-V und soll daher immer vor der Versiegelung erfolgen. Der Arbeitsschritt ist Grundlage für eine korrekte kariesdiagnostische Untersuchung an den Fissuren und Grübchen. Empfehlungsstärke: stark/Konsensstärke: stark.


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Trockenlegung

Für die Langlebigkeit der F-G-V ist eine gute Trockenlegung wesentlich. Vergleichende Untersuchungen zur Verwendung der absoluten (Kofferdam) und relativen Trockenlegung (Watterollen) wiesen jedoch keine signifikanten Unterschiede der Überlebenszeit von F-G-V nach [15], [16]. Bei der relativen Trockenlegung mit Watterollen ist jedoch unabdingbar, dass die Vier-Hand-Technik praktiziert wird.

Schlüsselempfehlung

Eine sichere Trockenlegung soll bei der F-G-V die Einhaltung der relevanten Arbeitsschritte, Konditionierung, Materialauftrag und Polymerisation, gewährleisten. Kann kein vierhändiges Arbeiten mit relativer Trockenlegung im Praxisalltag umgesetzt werden, wird die Applikation der F-G-V unter Zuhilfenahme von Kofferdam empfohlen. Empfehlungsstärke: Stark/Konsensstärke: Stark.


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Konditionierung der Schmelzschicht

Die Säurekonditionierung ist das Standardvorgehen zur Herstellung eines adhäsiven Verbundes zwischen Zahnschmelz und methacrylatbasierten (Versiegelungs-)Kunststoffen. Sie ist seit Jahrzehnten Garant für die Langlebigkeit von adhäsiv befestigten Restaurationen oder F-G-V. Mit der Entfernung der aprismatischen Schmelzschicht wird durch die Exposition der Schmelzprismen ein mikroretentives Oberflächenrelief erzielt, dass eine enge Verzahnung mit dem hydrophoben Versiegelungskunststoff erlaubt.

Die Schmelzkonditionierung wird in der Regel mit 35- bis 37%iger Ortho-Phosphorsäure in Gelform durchgeführt. Im Schrifttum dominieren klinische Studien, die eine Ätzzeit von 60 oder 30 – 40 Sekunden verwandten; nur wenige Arbeitsgruppen konditionierten den Zahnschmelz vor der F-G-V kürzer [3]. Nach gründlichem Absprayen der Säure und forcierter Trocknung muss eine kreidig-weiße Schmelzoberfläche sichtbar sein; sie ist das Charakteristikum des erfolgreichen Ätzvorgangs.

Schlüsselempfehlungen
  1. Die Säurekonditionierung stellt das Vorgehen der Wahl zur Konditionierung des Zahnschmelzes vor der F-G-V dar. Daher soll dieser Arbeitsschritt zur Anwendung kommen. Empfehlungsstärke: stark/Konsensstärke: stark.

  2. Die Einwirkzeit der Säure soll am unbehandelten Zahnschmelz vor der konventionellen F-G-V mindestens 30 Sekunden betragen. Ein opakes Ätzmuster gilt als adäquates Ergebnis des Ätzvorgangs. Empfehlungsstärke: stark/Konsensstärke: stark.

  3. Eine Verkürzung der Säurekonditionierung auf weniger als 30 Sekunden kam in einigen klinischen Studien zum Einsatz. Die Ergebnisse zeigen ein heterogenes Retentionsverhalten mit zum Teil sehr niedrigen Raten intakter Versiegelungen nach 2 Jahren Liegedauer. Es fehlen aussagekräftige und langfristige klinische Studien zu der Fragestellung, auf welche Zeit die Säurekonditionierung verkürzt werden kann, ohne dass mit Retentionseinbußen zu rechnen ist. Empfehlungsstärke: offen/Konsensstärke: stark.

  4. Die Anwendung von selbstkonditionierenden Adhäsiven stellt eine Möglichkeit dar, den klinischen Arbeitsprozess zu verkürzen. Allerdings erreichen die bislang dokumentierten Retentionsraten nicht die mit dem konventionellen Vorgehen publizierten Überlebensraten. Daher kann die klinische Anwendung selbstkonditionierender Adhäsive gegenwärtig nicht vorbehaltlos empfohlen werden. Empfehlungsstärke: offen/Konsensstärke: stark.


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Materialien zur Fissuren- und Grübchenversiegelung

Die Eignung von Materialien zur F-G-V wird anhand des Retentionsverhaltens in Bezug zur Liegedauer beurteilt. Im Rahmen der Leitlinie [3] wurde dazu eine Metaanalyse von klinischen Studien mit einer Mindestlaufzeit von 2 Jahren durchgeführt. Im Ergebnis dessen wurde gezeigt, dass das Retentionsverhalten von F-G-V materialabhängig ist. Das günstigste Retentionsverhalten wiesen auto- und lichtpolymerisierende Versieglermaterialien auf. Nach 4 Jahren Liegezeit waren etwa 80% der Lichtpolymerisate bei Anwendung der Säurekonditionierung intakt; bei Verwendung selbstkonditionierender Haftvermittler reduzierte sich der Anteil intakter F-G-V auf unter 50% bereits nach 2 Jahren Liegedauer [15]. Vergleichsuntersuchungen zwischen auto- und lichtpolymerisierenden Materialien ermittelten keine signifikanten Unterschiede in den Retentionsraten [16]. Ein unzureichendes Retentionsverhalten wiesen Kompomere bei ihrer Verwendung zur F-G-V auf, was durch die fehlende Säurekonditionierung bedingt sein dürfte [15]. Der Einsatz fließfähiger Komposite wird aufgrund ihrer höheren Viskosität vor allem bei der minimalinvasiven Füllungstherapie (Synonym: erweiterte F-G-V) gesehen. GIZ hatten im Vergleich mit allen anderen Versieglermaterialien die niedrigsten Rententionsraten; nach 2 Jahren waren 80 – 90% aller F-G-V nicht mehr intakt bzw. verloren gegangen.

Schlüsselempfehlung

Die Schlüsselempfehlung zu den Materialgruppen lautet:

  1. Es sollen Materialgruppen mit einer hohen Retentionsrate und damit Überlebenswahrscheinlichkeit bevorzugt in der klinischen Praxis eingesetzt werden. Dazu zählen niedrigvisköse methacrylatbasierte Versiegelungskunststoffe, die in Verbindung mit Säurekonditionierung angewendet werden.

  2. Bei Zähnen im Durchbruch bzw. wenn keine adäquate Trockenlegung möglich ist, kann alternativ der Einsatz von GIZ erwogen werden. Empfehlungsstärke: stark/Konsensstärke: stark.

  3. Lichtpolymerisate sollten als Ein-Komponenten-Materialien im Vergleich zu Autopolymerisaten bevorzugt verwendet werden. Die Materialien sind weniger techniksensitiv zu verarbeiten, da der Anmischvorgang entfällt und die sofortige Lichtpolymerisation die Behandlungszeit verkürzt. Empfehlungsstärke: moderat/Konsensstärke: stark.

Schlüsselempfehlung

Für die Arbeitsschritte der Applikation, Polymerisation, Okklusionskontrolle und Politur der F-G-V wurden folgende Schlüsselempfehlungen ausgesprochen [3]:

  1. Die Applikation des Versiegelungsmaterials soll grazil im Fissurenrelief erfolgen. Materialüberschüsse, die zu okklusalen Vorkontakten und einem partiellen oder vollständigen Retentionsverlust führen können, sollen vermieden werden. Empfehlungsstärke: stark/Konsensstärke: stark.

  2. Die Polymerisationszeit ist abhängig von der Lichtintensität und dem Versiegelungsmaterial und soll in der Regel 20 Sekunden betragen (Beachten: alle Versiegelungsanteile müssen vom Licht ausreichend erfasst werden). Nach der Aushärtung soll eine Okklusionskontrolle erfolgen; interferierende Überschüsse sollen korrigiert werden. Empfehlungsstärke: stark/Konsensstärke: stark.

  3. Zum Entfernen der oberflächlichen Sauerstoffinhibitionsschicht soll eine Politur der Fissuren- und Grübchenversiegelung erfolgen. Zur Remineralisation geätzter, aber nicht versiegelter Schmelzareale wird die Lokalapplikation eines Fluoridpräparats empfohlen. Empfehlungsstärke: stark/Konsensstärke: stark.


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Monitoring der Fissuren- und Grübchenversiegelung

F-G-V sollen aufgrund eines möglichen Retentionsverlustes alle 6 bis 12 Monate kontrolliert werden [17], [18]. Bei Patienten mit einem hohen Kariesrisiko sollten die Kontrollintervalle 12 Monate nicht überschreiten [17].

Merke

Bei einem partiellen oder vollständigen Retentionsverlust soll die Nachversiegelung anhand der Indikationsempfehlungen geprüft werden. Verbliebenes Versiegelungsmaterial muss hinsichtlich seiner Retention kontrolliert werden; die Entfernung fest anhaftender Materialreste ist nicht erforderlich.


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Schlussfolgerungen

Die F-G-V sollte wesentlicher Bestandteil eines präventiven zahnärztlichen Betreuungskonzepts von Kindern und Jugendlichen sein. Sie ist eine sichere und effektive Maßnahme, deren kariespräventiver Nutzen in systematischen Übersichtsarbeiten der Cochrane Collaboration belegt wurde [19], [20]. Während die F-G-V an gesunden Fissuren und Grübchen die Kariesinitiation vorbeugt, stoppt sie die Progression von nicht kavitierten (initial kariösen) Läsionen [1]. Dafür ist die vollständige und intakte F-G-V conditio sine qua non. Die vorliegende aktualisierte Leitlinie dient dem Zahnarzt als Handlungsempfehlung für die Durchführung der einzelnen Arbeitsschritte der F-G-V im Sinne eines Qualitätsmanagements [3].


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Hinweis

Die Lang-, Kurz- und Patientenfassung der S3-Leitlinie „Fissuren- und Grübchenversiegelung“ (AWMF Registernummer 083 – 002) sowie der Leitlinienreport sind von den Webseiten der AWMF und der DGZMK abrufbar.


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Kernaussagen
  • Die Fissuren- und Grübchenversiegelung (F-G-V) ist eine zahnflächenspezifische Präventionsmaßnahme.

  • Der kariespräventive Nutzen wurde für die bleibenden Molaren in Metaanalysen und systematischen Übersichtsarbeiten als hoch eingeschätzt.

  • Die F-G-V ist an gesunden Fissuren zur Kariesprävention und an Fissuren mit nicht kavitierten kariösen Läsionen zur Kariesarretierung indiziert.

  • Niedrigvisköse methacrylatbasierte Versiegelungskunststoffe sind mit der Säurekonditionierung anzuwenden, dabei sind Lichtpolymerisate als Ein-Komponenten-Materialien den Autopolymerisaten vorzuziehen.

Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen

Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag ist Prof. Dr. R. Heinrich-Weltzien.


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Autorinnen/Autoren

Roswitha Heinrich-Weltzien

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Prof. Dr. med. dent. Jahrgang 1950. 1969 – 1974 Studium der Zahnheilkunde an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 1974 – 1979 Fachzahnarzt-Ausbildung Kinderzahnheilkunde an der Poliklinik für Präventive Zahnheilkunde und Kinderzahnheilkunde an der Medizinischen Akademie Erfurt. Seit 2009 Komm. Direktorin der Poliklinik für Präventive Zahnheilkunde und Kinderzahnheilkunde am Universitätsklinikum Jena. Schwerpunkte: Betreuung von Patienten mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen, Orale Epidemiologie, Kariesdiagnostik und -prävention, Klinik der Kinder- und Jugendzahnmedizin

Jan Kühnisch

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Prof. Dr. med. dent. Jahrgang 1971. 1991 – 1996 Studium der Zahnmedizin an der Universität Leipzig und Friedrich-Schiller-Universität Jena/Bereich Erfurt, 1998 Wrigley-Prophylaxe-Preis, 1999 Vivadent-Forschungspreis, 2002 Wrigley-Prophylaxe-Preis, 2003 Spezialisierung im Fachbereich „Kinder- und Jugendzahnheilkunde“, Oral-B blend-a-med Prophylaxe Preis, 2008/09 Habilitation und Ernennung zum Privatdozenten, 2015 Ernennung zum apl. Professor. Schwerpunkte: Kariologie – Epidemiologie, Prävention und Therapie, Strukturstörungen der Zähne, Traumatologie, Klinik der Kinder- und Jugendzahnmedizin

Interessenkonflikt

Als korrespondierender Autor erkläre ich, dass mein Koautor mir mitteilte, in den letzten 3 Jahren keine wirtschaftlichen oder persönlichen Verbindungen im oben genannten Sinne gehabt zu haben. Ich selbst hatte ebenfalls keine derartigen Verbindungen in den letzten 3 Jahren.

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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Roswitha Heinrich-Weltzien
Poliklinik für Präventive Zahnheilkunde und Kinderzahnheilkunde, Universitätsklinikum Jena
Bachstraße 18
07743 Jena

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Abb. 1 Okklusale initial kariöse Läsion an Zahn 47 und ausgeprägte zirkuläre marginale Plaqueablagerungen (a). Die quantitative lichtinduzierte Fluoreszenzaufnahme des Zahnes 47 (b) visualisiert die Demineralisation der okklusalen Fissur sowie die Plaqueakkumulation in der Fissur und marginal (Rotfluoreszenz).
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Abb. 2 Okklusale Mikrokavitation an Zahn 46 eines 7-jährigen Patienten (a). Polarisationsoptisches Bild einer nicht kavitierten initial kariösen Läsion am Fissurenfundus (b).
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Abb. 3 Zahn 16 mit einer nicht kavitierten kariösen Läsion vor (a) und nach (b) der Applikation einer Fissuren- und Grübchenversiegelung.
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Abb. 4 Zahn 36 mit Verlust der Fissurenversiegelung in peripheren Fissurenbereichen und Mikrokavitation im exponierten zentralen Fissurenareal. Die linguale Plaqueablagerung und Gingivitis signalisiert ein hohes Kariesrisiko des Patienten, sodass die Nachversiegelung indiziert ist.
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Abb. 5 Okklusale Hypomineralisation (deciduous molar hypomineralisation) an Zahn 65, die mit einem erhöhten Kariesrisiko verbunden ist, vor (a) und nach der Fissurenversiegelung (b).