Schlüsselwörter:
Cochlea Implantat - Remote Care - Telemedizin - App - BigData - Artificial Intelligence
Abkürzungsverzeichnis
AHL:
Asymmetric hearing loss
ASSE:
Auditory Speech Sounds Evaluation
AutoART:
auditory response telemetry
AutoNRT:
automatical neural response telemetry
BERA:
Brainstem evoked response audiometry
CAP:
Compound Action Potential
CBCT:
Cone Beam CT
CDS:
Clinical decision support
CI:
Cochlea Implantat
CT:
Computer Tomographie
DPOEA:
Distorsionsprodukte Otoakustisch evozierter Potentiale
DVT:
Digitale Volumen Tomographie
eABR:
electrical evoked auditory brainstem response
eCAP:
electrical evoked compound action potential
eSRT:
electrical evoked stapedius reflex test
FOX:
Fitting to Outcomes eXpert
HL:
Hearing loss
HRQoL:
Health related quality of life
iOs:
mobiles Apple-Betriebssystem
KDD:
Knowledge Discovery in Databases
LMIC:
Low- and Middle Income country
MRT:
Magnet-Resonanz-Tomographie
MVBT:
Master Volume, Bess, Treble
NFS:
Nucleus fitting software
NRT:
Neural Response Telemetry
PET:
Positronen-Emissions-Tomographie
PTA:
Pure Tone Audiometry
ReHa:
Rehabilitation
SOE:
spread of excitation
SSD:
Single-sided deafness
TEOAE:
Transitorisch evozierte otoakustische Emissionen
Einleitung
Die Entwicklungen der letzten Jahre haben zu einem rasanten Aufschwung im gesamten
Bereich der Hörimplantate geführt und sind damit in der HNO-Heilkunde ein Bereich
mit höchstem Innovationspotential. Neue, bzw. erweiterte Indikationen gingen einher
mit Entwicklungen im Bereich der Implantate, neuen OP-Techniken und entsprechend angepassten
Rehabilitationsstrategien. Die Vielfalt der Versorgungsmöglichkeiten stellt uns als
HNO-Ärzte vor neue, sehr reizvolle Herausforderungen. Um diesen komplexen Prozess
zu meistern und zu gestalten, bedarf es neben einer engen interdisziplinären Zusammenarbeit
und kontinuierlichen Weiterentwicklung der Therapie auch ganz neuer Strategien.
Die zunehmende Digitalisierung des gesellschaftlichen Lebens verändert auch die Anforderungen
an eine moderne Gesundheitsversorgung und bietet zugleich Chancen für ein effizienteres
Gesundheitssystem
Die digitale Revolution stellt alle Beteiligten vor große Herausforderungen. Aber
sie eröffnet auf der anderen Seite, bspw. im Bereich der Hörrehabilitation, um die
es in diesem Referat gehen soll, auch vielfältige Chancen. Das Verständnis über die
Möglichkeiten der Digitalisierung und deren Einsatz im Bereich der Hörrehabilitation
mit Hörimplantaten und die Erkenntnis über das enorme Potenzial für effektive, zeiteffiziente
Strukturen ist unabdingbar, um dieses Potenzial zu nutzen und diesen Prozess aktiv
mitzugestalten.
Hörstörungen: weltweit ein globales Gesundheitsproblem
Über 5% der Bevölkerung weltweit – oder 466 Mio. Menschen sind nach den aktuellen
Angaben der WHO von Hörstörungen betroffen (432 Mio. Erwachsene und 34 Mio. Kinder).
Es wird erwartet, dass im Jahre 2050 über 900 Mio. Menschen, das bedeutet jeder Zehnte
weltweit von einer Hörstörung betroffen sein wird. (Erwachsene HL>40 dB; Kinder HL>30 dB,
jeweils für das bessere Ohr). Die meisten Betroffenen gibt es in „low- and middle-income
countries“.
Eine unbehandelte Beeinträchtigung des Hörvermögens ist mit erheblichen sozioökonomischen
Belastungen und Kosten verbunden, laut WHO jährlich 750 Billionen US$ [1].
Für die Betroffenen bedeutet es häufig auch eine erhebliche Einschränkung in der Kommunikation
und in ihren sozialen Interaktionen. Hörstörungen haben einen signifikant negativen
Einfluss auf die Lebensqualität und können v. a. bei älteren Patienten Gefühle von
Einsamkeit, sozialer Isolation bis zu depressiven Symptomen hervorrufen [2]
[3]
[4]
[5]
[6]
[7].
Die Prävention, Diagnostik und Behandlung von Hörstörungen ist deshalb nicht nur unter
dem „cost-effective“ Aspekt von globalem Interesse, sondern auch für die Betroffenen
von großem individuellen Nutzen, der sich über die Verbesserung der auditiven Fähigkeiten
hinaus auch auf vielfältige psychologische und psychosoziale Bereiche erstreckt und
mit einer nachhaltigen Verbesserung der Lebensqualität verbunden ist [8]
[9]
[10]
[11]
[12].
Für die Hörrehabilitation kommen in Abhängigkeit von der Art und der Ausprägung der
Hörstörung verschiedene Therapieoptionen in Frage. Wir sind als HNO-Ärzte in Deutschland,
in einem Land mit höchsten Standards der medizinischen Versorgung, in der sehr privilegierten
Situation, unsere Patienten nicht nur umfassend zu beraten, sondern ihnen auch alle
Möglichkeiten der modernen Therapie von Hörstörungen anbieten zu können. Das Spektrum
reicht von hörverbessernden Operationen über Hörgeräte bis hin zu den verschiedenen
Optionen für Hörimplantate.
Cochlea Implantate
Die Versorgung von hochgradig schwerhörigen oder gehörlosen Patienten mit einer elektronischen
Innenohrprothese (Cochlea Implantat, CI) stellt einen enormen Fortschritt in der Behandlung
betroffener Menschen dar. Durch diese Maßnahme wird vielen Betroffenen die Möglichkeit
zur umfassenden Hör-und Sprachrehabilitation bzw. bei Kindern das Erlernen der Sprache
(Habilitation) ermöglicht [13].
Die Erfolgsgeschichte der Cochlea-Implantate, einer auditorischen Neuroprothese, wurde
vielmals beschrieben [14]. In der Regel erreichen postlingual ertaubte Patienten ein offenes Sprachverständnis
und können telefonieren. Bei Kindern wird bei früher Implantation nach Eintritt der
Ertaubung in der Regel eine nahezu normale Sprachentwicklung erreicht [15].
Aufgrund der rasanten technischen Entwicklung in Verbindung mit verbesserten, atraumatischen
OP-Methoden und modifizierten Rehabilitationsstrategien und den dadurch erzielten
guten Ergebnissen haben sie sich zur Standardtherapie bei sensorischer Taubheit etabliert.
In eigenen Untersuchungen konnten wir den Zugewinn, gemessen am Sprachverstehen und
der Lebensqualität (HRQoL), aber auch hinsichtlich der Reduktion der Stress- und Tinnitusbelastung
bis zu einer Verbesserung von psychischen Komorbiditäten in unterschiedlichen Altersclustern,
zeigen. [5]
[6]
[7]
[10]
[11]
[12]
[16].
Insgesamt darf das Cochlea-Implantat als Prototyp für den Sinnesersatz gelten. Zurzeit
sind weltweit ca. 300 000 Patienten mit einem Cochlea-Implantat versorgt [17].
Aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen in der CI Versorgung
Die Versorgung von Patienten mit einer hochgradigen Schwerhörigkeit ist ein komplexer
Prozess, der die interdisziplinäre Zusammenarbeit unterschiedlicher Fachrichtungen
erfordert. Zudem findet eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Therapie statt,
sodass der Erwerb und die Weitergabe der fortlaufend aktualisierten Kenntnisse notwendig
ist [13].
Die Entwicklungen in den letzten 15 Jahren haben hier zu einem rasanten Aufschwung
im gesamten Bereich der Hörimplantate geführt.
Die Komplexität und Variabilität der Versorgungsmöglichkeiten stellt hohe Anforderungen
an die fachliche Expertise der CI versorgenden Klinik.
Grundsätzlich kommen für eine CI-Versorgung Patienten in Frage, bei denen mit CI ein
besseres Hören und Sprachverstehen als mit Hörgeräten absehbar zu erreichen ist [13]. Um ein binaurales Hören zu ermöglichen, ist es zudem notwendig für jedes Ohr eine
optimale Therapieoption zu finden.
Indikationen sind deshalb heute neben der beidseitigen sensorischen hochgradigen Schwerhörigkeit
und Taubheit sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen, auch Patienten mit einseitiger
Taubheit (SSD) und asymmetrischem Hörverlust (AHL) sowie mit Hochtontaubheit. Aus
den neuen, bzw. erweiterten CI-Indikationen resultiert nicht nur eine erhebliche Steigerung
der Anzahl möglicher CI-Kandidaten, es ergeben sich auch vielfältige Variationen,
die von der Versorgung mit 2 CI´s, über ein CI und Hörgerät, CI in Kombination mit
anderen Implantaten, wie z. B. Vibrant Soundbridge oder Bonebridge bis zu einem CI
bei Normakusis der anderen Seite reichen.
Die erweiterten Indikationen in Verbindung mit der Variabilität der Hörsysteme stellen
deshalb auch hohe Anforderungen an die Qualifikation und die fachliche Expertise aller
in den gesamten Rehabilitationsprozess eingebundenen Beteiligten.
Ältere Patienten
Ein weiterer Aspekt ist der zunehmende Anteil an älteren Patienten, die heute mit
einem CI versorgt werden. Während wir an unserer Klinik erst 2006 den ersten Patienten
über 70 Jahre mit einem CI versorgt haben, beträgt der Anteil heute (eigene Daten
von 2012–2017) unter den erwachsenen CI- versorgten Patienten schon 25%. Dieser Trend
wird sich fortsetzen.
Nach Erhebungen des statistischen Bundesamtes waren 2011 circa 22 Mio. Einwohner der
BRD über 65 Jahre alt [18].Durch den fortschreitenden europaweiten soziodemografischen Wandel steigt der Anteil
älterer Menschen in unserer Gesellschaft zukünftig erwartungsgemäß stark an. Hörstörungen
zählen mit einer Inzidenz von ca. 2/3 der über 70-Jährigen zu den Volkskrankheiten
[2].
Eine Altersgrenze gibt es entsprechend der Leitlinie „Cochlea-Implantat-Versorgung
und zentral-auditorische Implantate“ [19] nicht und auch unsere eigenen Studienergebnisse zeigen, dass die CI-Versorgung eine
sehr erfolgreiche Therapieoption für die Hörrehabilitation von Patienten über 70 und
sogar über 80 Jahre sein kann. Ältere Patienten profitieren nicht nur durch eine verbesserte
HRQoL sondern auch hinsichtlich ihrer kognitiven Fähigkeiten [5]
[6]
[7]
[20].
Patientenversorgungsgrad und Entwicklung
Trotz der erheblichen jährlichen Zuwachsraten an CI-versorgten Patienten in Deutschland
ist die Bedeutung der notwendigen Beratungen nicht zuletzt durch den weltweit niedrigen
Versorgungsgrad der hörgeminderten bzw. nicht adäquat versorgten Patienten hervorzuheben.
Nach Schätzungen der WHO liegt die Prävalenz schwerer Hörverluste (61–80 dB) und der
Hörminderungen über 80 dB für Erwachsene bei etwa 1% weltweit [21].
Innerhalb Deutschlands beträgt der prozentuale Anteil der mittels Cochlea-Implantat
versorgten Patienten in Bezug auf die Gruppe der Patienten mit einer CI-Indikation
noch weit unter 10% [22]
[23]
[24]. Zurzeit gibt es allein in Deutschland ca. 1 Mio potentielle Kandidaten für ein
Cochlea-Implantat, davon sind aktuell ca. 50 000 implantiert [15].
Mit gerade einmal 6% der Patienten mit CI-Indikation liegt die Versorgungsrate in
den USA auf ähnlich niedrigem Niveau [25]. Insgesamt wurden weltweit erst etwa 300 000 CI implantiert [17].
Langzeit Nachsorge
Die Versorgungsproblematik Bedarf vs. Ressourcen wird bei steigenden Patientenzahlen
und weiter abzusehenden Erweiterungen der CI-Indikationen noch größer werden. Die
implantierende Klinik wird weiter die Verantwortung für den gesamten Rehabilitationsprozess
des Patienten tragen müssen. Dieser Versorgungsprozess erstreckt sich von der präoperativen
Betreuung und Beratung über die Implantation bis hin zur postoperativen Basis- und
Folgetherapie und endet mit der lebenslangen Nachsorge [13].
Wandel in der sozialen und beruflichen Struktur der CI Kandidaten/ CI Nutzer
Der Anteil CI-versorgter Patienten, die sehr gut in den beruflichen und sozialen Alltag
integriert sind, steigt auch in Folge der erweiterten CI-Indikationen (z. B. SSD).
Gerade diese Patienten wünschen sich Terminangebote in der Nachsorge, die besserer
mit ihrer beruflichen oder auch familiären Situation vereinbar sind. Im Idealfall
sollte sich die Nachsorge problemlos in den Alltag integrieren lassen.
Problematisch sind in diesem Zusammenhang auch weite Wege in Gebieten mit geringer
Bevölkerungsdichte und nur wenigen Rehabilitationsstandorten in großem räumlichen
Abstand.
Technische Weiterentwicklungen und versorgte CI-Nutzer
Die große Bandbreite an Versorgungsmöglichkeiten geht einher mit einem erweiterten
Portfolio an Implantaten, Elektroden und Sprachprozessoren. Auch im Bereich der Zubehörtechnik
gibt es eine große Bandbreite und vielfältige Innovationen. Der Wunsch seitens der
Patienten als auch der Anspruch seitens der Behandler besteht, dass möglichst viele
komplexe Hörsituationen immer besser gemeistert werden können. Dazu ist teilweise
Zubehörtechnik erforderlich, welche die Bedienung des CI-Systems komplexer und damit
u. a. für ältere Patienten schwieriger macht.
Qualitätsstandards, Qualitätsmanagement und Datenschutz
Ziel der Bemühungen aller am Rehabilitationsprozess Beteiligten ist die Erhöhung der
Qualität der CI-Versorgung. Entsprechend der Leitlinie erfordert die CI-Versorgung
ein interdisziplinäres Team und ein qualitätsgesichertes Konzept, das von der Indikationsstellung
bis zur lebenslangen Nachsorge reicht und das in der AWMF-Leitlinie Cochlea-Implantat
niedergelegt ist [19].
Ergänzend hierzu listet das Weißbuch CI den Umfang der Maßnahmen zu einer zusätzlichen
Qualitätssicherung der CI-versorgenden Einrichtung auf [13]. Hier wird neben jährlichen Beschreibungen und Erfassung der organisatorischen,
strukturellen, diagnostischen und therapeutischen Standard-Prozesse in einem Qualitätsmanagement-
System (inkl. Handbuch) u. a. auch der Einschluss dieser Prozesse in ein QM-Zertifizierungsverfahren
genannt.
Zusätzlich soll eine kontinuierliche Erhebung der CI-Register-Datensätze erfolgen,
da eine Qualitätssicherung im Bereich der CI-Versorgung die Erhebung von Implantat-bezogenen.
Daten unter Berücksichtigung der geltenden Datenschutzgesetze zwingend voraussetzt.
Auch diese Maßnahmen inclusive der Erfordernisse des Datenschutzes binden zeitliche
und personelle Ressourcen.
Globales Problem
Hörstörungen sind ein globales Gesundheitsproblem. Cochlea-Implantate werden weltweit
implantiert, zunehmend auch in „low- and middle-income countries“ (LMICs), wo die
Nachsorge unzureichend organisiert ist. Auch hierfür gibt es einen Bedarf an zukunftsfähigen
Konzepten, die diesen Bedingungen gerecht werden.
Zusammengefasst stellen die genannten Entwicklungen:
-
Versorgung größerer Patientenzahlen bei gleichbleibendem Personalschlüssel
-
Versorgung immer älterer Patienten mit erhöhtem Beratungsbedarf und Komorbiditäten
-
Erweiterte Indikationen und Variabilität der Hörsysteme
-
Anforderungen an die Qualifikation und Ausbildung
-
Veränderte soziale und berufliche Patientenstruktur
-
Notwendigkeit der lebenslangen Nachsorge, die nicht für alle CI-Träger nur in hochspezialisierten
Zentren erfolgen muss
-
Einhaltung von Qualitätsstandards, Qualitätsmanagement und Datenschutz
bei eher knapper werdenden personellen und finanziellen Ressourcen (Bedarf vs. Ressourcen)
eine enorme Herausforderung dar.
Diese Ausgangslage zwingt alle, die an den organisatorischen, strukturellen, diagnostischen
und therapeutischen Prozessen beteiligt sind, zu effektiven Innovationen im Rahmen
der Hörrehabilitation mit CI und anderen Hörimplantaten.
4.4. Fokus Digitalisierung und CI-Versorgung
Ziel der Bemühungen aller am Rehabilitationsprozess Beteiligter ist die Erhöhung der
Qualität der CI-Versorgung bei gleichzeitiger Erhöhung der Effizienz der eingesetzten
Mittel.
Hier kommt der Digitalisierung all dieser Prozesse eine Schlüsselrolle zu. Die WHO
definiert E-Health als den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien
(ICT) im Gesundheitswesen, bspw. in der Forschung, Ausbildung, medizinischen Diagnostik
oder auch in der Behandlung. Die Möglichkeiten zum Einsatz von ICT sind vielfältig.
Bereits heute informieren sich viele Patienten im Vorfeld eines Arztbesuches, Trend
zunehmend. Damit wird deutlich, dass sich immer mehr Patienten eine aktive Selbstbefähigung
(Empowerment) wünschen. Das wird ihnen durch Telemedizin sowie durch medizinische
Apps ermöglicht.
Möglichkeiten einer vereinfachten Anpassung (MAP Erstellung) ergeben sich z. B. durch
eine (Semi-) Automatische MAP-Erstellung (z. B. NFS, FOX, bzw. andere Artificial Intelligence
Anwendungen).
Durch die Online-Anbindung (Telemedizin, Remote Care und Apps) rückt eine ortsnahe
Versorgung des CI-Trägers in greifbare Nähe. Telemedizinische Remote Care Konzepte
erlauben auch im Bereich der CI-Versorgung völlig neue Formen der Patientenversorgung
mit aktiver Beteiligung des Patienten, wie z. B. automatisierte technische Implantatkontrolle,
Selbstprogrammierung und technologische Upgrades. Zentrale Datenbanken können u. a.
die aktuelle MAP z. B. im Reparaturfall speichern, technische Daten und die Hörleistung
dokumentieren.
Zusammenfassung
Einige der oben skizzierten Anwendungen sind heute schon Realität, andere erst in
der Entwicklung. Datenspeicherung in zentralen Datenspeichern sowie Vernetzung sind
heute in vielen Lebensbereichen gängig. Bei der Betreuung der CI-Patienten sind derartige
Lösungen durchaus im Entstehen oder auch schon implementiert, so die Vernetzung der
implantierenden Klinik mit der Nachsorgeeinrichtung.
Aufgrund der hohen Anzahl CI-versorgter Patienten und der durch Leitlinie und Weißbuch
standardisierten, klar definierten Prozessstruktur und -Qualität der CI-Versorgung,
werden
in diesem Referat die aktuellen Entwicklungen aus dem Blickwinkel einer Cochlea-Implantat
(CI)-versorgenden Klinik dargestellt und besprochen.
Dieser Versorgungsprozess erstreckt sich über die Phasen der präoperativen Evaluation
und Beratung, der Operation (Implantation) bis hin zur postoperativen Basis- und Folgetherapie
und endet mit der durch die versorgende Einrichtung gewährleisteten lebenslangen Nachsorge.
Angesichts des angesprochenen Versorgungsgrades wird auch der Bereich Informationen
und Screening von potentiellen Kandidaten beleuchtet.
Hierbei werden ganz gezielt spezielle Applikationen herausgestellt, die in der Entwicklung
des digitalen Fortschritts und digitaler Strukturen im Rahmen der CI-Versorgung eine
besondere Rolle spielen und für das Verständnis der weiteren Entwicklung wichtig sind.
Angesichts der rasanten Veränderungen, wir sprechen von einer digitalen Revolution,
kann diese Übersicht nur eine Momentaufnahme in einem sich schnell entwickelnden Bereich
sein. Anspruch auf Vollständigkeit kann nicht erhoben werden.
Cochlea-Implantat und Hörscreening unter dem Aspekt der Digitalisierung
Cochlea-Implantat und Hörscreening unter dem Aspekt der Digitalisierung
Bei zunehmendem Versorgungsauftrag – wie bereits in der Einleitung dargestellt – durch
stattgehabte und weiterhin abzusehende Erweiterungen der ehemals sehr strengen CI-Indikationen
wird die Notwendigkeit von suffizienten Screeningverfahren speziell für CI-Kandidaten
an Bedeutung deutlich gewinnen. Unter dem Ansatz einer flächendeckenden Identifizierung
von CI-Patienten werden aufgrund der Quantität an Daten bei begrenzten Ressourcen
digitale Lösungen gefordert.
Soziale Medien und Internetpräsenz
Unabhängig vom Alter ist der Austausch in sozialen Medien zwischenzeitlich in unserer
Gesellschaft fest implementiert. Gerade für Gehörlose bietet dieses Medium neben der
reinen Webseite-Suche eine gute Möglichkeit in Kontakt zu treten und Informationen
abzurufen. Natürlich hat diesen Trend auch die Industrie längst erkannt und bietet
Kanäle und Blogs rund um das Thema Cochlea-Implantat an, denn mit wenigen „Klicks“
wird eine große Anzahl vorausgewählter Interessenten oder „Follower“ erreicht. Sehr
professionell aufgebaut erscheinen die Webpräsentationen der 4 großen Cochlea-Implantat-Hersteller
[26]
[27]
[28]
[29].
Aiello et al. [30] untersuchten den Einfluss sozialer Netzwerke auf das Stresslevel von Eltern mit
gehörlos geborenen Kindern mit potentieller Cochlea-Implantat-Versorgung. Die Autoren
fanden keinen Unterschied im Stresslevel gemessen an einem Online- Fragebogeninventar
der beiden untersuchten Gruppen mit und ohne Zugang zu einem speziellen sozialen Netzwerk
für Betroffene. Einer Analyse englischsprachiger Webseiten mit dem Inhalt Hörverlust
und deren Behandlung eingeschlossen Cochlea-Implantaten zufolge sind 64% der angebotenen
Seiten kommerziellen Ursprungs [30]. Nur ein geringer Teil dieser Webangebote erfüllte Score-gebundene, vergleichbare
Qualitätskriterien.
Interessant ist das mehrsprachige Angebot des Ida Institute [31], einer unabhängigen non-profit Organisation, die die personalisierte Versorgung
von Menschen mit Hörstörungen in den Mittelpunkt stellt. Die Ida Community hilft Patienten,
deren Beeinträchtigungen besser zu beschreiben und somit aktiv bei der eigenen Versorgung
mitzuwirken und soll ebenfalls dem Behandler ein besseres Verständnis der individuellen
Hörschädigung Betroffener ermöglichen. Interessanterweise nutzen v. a. ältere Hörgestörte
Online-Angebote mehr als normalhörende Gleichaltrige [32].
In der Folge werden auch E-Services bis hin zur Onlineerreichbarkeit von Ärzten und
Fernbehandlung durch diese gewünscht. Besonderes Gewicht gewinnt dies im Hinblick
auf vor-ärztliche Beratung und Screeninguntersuchungen. Bereits aufgrund der Quantität
der Anfragen allein und der hierdurch generierten Datenmengen erscheinen digitale
Lösungen erstrebenswert. Die Bedeutung der notwendigen Beratungen ist nicht zuletzt
durch den weltweit niedrigen Versorgungsgrad der hörgeminderten bzw. nicht adäquat
versorgten Patienten hervorzuheben.
Digital unterstütztes Hörscreening
Um der Patientengruppe, die eine Indikation zu einer CI Versorgung aufweist und der
noch weitaus größeren Kandidatengruppe, die wissen möchte ob ein CI für sie in Frage
kommt, zu entsprechen, werden digitale Lösungen gefordert. Primärziel bleibt die flächendeckende
Identifizierung von CI Kandidaten, da der Evaluierungsprozess der Implantatkandidaten
an Quantität und Komplexität zugenommen hat.
Screening bei Kindern
Patientengruppen, die in diesen digital unterstützten Evaluierungsprozess aufgenommen
werden sollten, sind einerseits die Gruppe der Neugeborenen und Kleinkinder vor dem
Spracherwerb und andererseits die davon abzugrenzende große Gruppe der Erwachsenen.
Durch die Einführung des Neugeborenen-Hörscreenings auf einen Beschluss des Gemeinsamen
Bundesausschusses vom 01.01.2009 hin wurde ein flächendeckendes Primärscreening in
Deutschland etabliert. Ziel dieser Untersuchungen, aber auch des Trackings der kleinen
Patienten mit konsekutiven Nachuntersuchungen ist die Vorverlagerung des Diagnosezeitpunktes
in das erste Lebensjahr. Bedeutend werden hier ein- oder beidseitige Hörminderung
ab 35 dB im Hauptsprachbereich gewertet. Einhergehend mit dem früheren Erkennen erfolgt
auch eine Vorverlagerung des Versorgungszeitpunktes – sei es durch Hörgeräte oder
die Rehabilitation durch ein CI. Nicht zuletzt durch Verbesserungen der Operationstechnik
und des perioperativen Settings konnten Ängste der Eltern vor einer frühen Versorgung
relativiert werden [33].
Besondere Bedeutung wird die Digitalisierung für das Tracking und für notwendige Nachuntersuchungen
aufweisen: hier können medizinische Apps die Eltern erinnern, aber auch auftauchende
Fragen beantworten und Sachverhalte klären. Eine weitere Option stellt die telemedizinische
Beratung der besorgten Eltern dar.
Zusammenfassend haben die vergangenen Jahre gezeigt, dass Kinder mit CI-Indikation
sehr früh erkannt werden. Die Anzahl der neu zu versorgenden Kinder wird stagnieren,
während die Gesamtanzahl der CI-Patienten in Deutschland weiter ansteigen wird, weil
zunehmend mehr ältere Patienten einer CI-Versorgung zugeführt werden.
Screening bei Erwachsenen
Erwachsene mit einer plötzlichen ein- und beidseitigen Hörminderung wie z. B. im Rahmen
eines Hörsturzgeschehens, einer spezifischen Entzündung oder traumatischen Ursache
und die große und stetig wachsende Gruppe der erwachsenen Patienten mit einer progredienten
beidseitigen Hörminderung bis Ertaubung im Prozess der Presbyakusis, bedürfen einer
sorgsamen und sicheren Abklärung ihrer Höreinschränkung.
Allein in der Untergruppe der unter Altersschwerhörigkeit zu subsummierenden Patienten
steigt die Zahl an CI-Kandidaten, denen durch eine Hörgerätversorgung eine Teilhabe
am Alltag nicht mehr adäquat gewährleistet werden kann, stetig.
Üblicherweise werden unzureichend versorgte, funktionell ertaubte Patienten durch
den HNO-Facharzt (a) eingewiesen bzw. durch den betreuenden Haus- und Allgemeinarzt
(b).
Ein wachsender Markt ist die Beratung der Patienten durch Akustiker und Hörgeräteanbieter
und durch Anbieter von Medizinprodukten bis hin zu weltweit aktiven CI-Firmen (c).
Tendenzen der Kooperation zwischen diesen, aber auch die Zusammenarbeit mit den Gruppen
a und b zeichnen sich ab.
Ein weiterer wichtiger Anlaufpunkt werden die Krankenkassen (d) der Patienten selber
sein: bereits heute werden die Versicherten umworben, bei besonderen Fragestellungen
den direkten digitalen Beratungsweg zu wählen, um „smarte Lösungen“ über digitale
und sichere Kanäle zu erhalten. Beratungen über Telefon oder App sollen bereits heute
in vielen Fällen eine Alternative zu einem persönlichen Arztbesuch darstellen.
Ein weiteres und sicher nicht zu vernachlässigendes Feld ist die Selbstberatung (e)
durch konventionelle Medien und insbesondere durch digitale Angebote mit dem Schlagwort
der aktiven Selbstbefähigung (Empowerness). Grundlage der digitalen seriösen Quellen
sind meist die Gruppen a, d und in besonderem Maße c [26]
[27]
[28]
[29].
Es liegt auf der Hand, dass im Hinblick auf sozioökonomische Aspekte die einzelnen
Gruppen in ihrer Beratung verschiedene Schwerpunkte legen. Wunsch bleibt hier, dass
auch im digitalen Sektor die Beratungen wissenschaftlich fundiert und evidenzbasiert
das Wohl des Patienten im Fokus haben.
Auch in Zukunft wird die endgültige Beratung des CI Kandidaten durch die versorgende
Klinik bzw. Therapieeinrichtung erfolgen. Bei abzusehenden steigenden Überweisungsraten
[34]
[35]
[36] nach Informationsgewinn auf den Wegen a–e erscheint es sinnvoll, die Patienten mit
einer Indikation zur operativen Versorgung durch Screening zu identifizieren.
Screeningtools – Hörtestungen, Fragebögen und Apps
Adäquate Hilfsmittel werden online erstellte bzw. digital versendete Hörtestungen
in Kombination mit Fragebögen sein. Beide Screeningtools gibt es bereits heute und
werden zunehmend (Gruppen c+d) genutzt. Die Versendung von reinen Tonaudiogrammen
(PTA) an die versorgende Klinik scheint dabei keine geeignete Lösung zu sein, da oft
Patienten mit einem inadäquaten Sprachverstehen nicht ausreichend erfasst werden.
Sinnvoller erscheint die zusätzliche Erfassung der Hörfähigkeit über Sprachtestungen
in Störgeräuschen z. B. als Ziffern-Tripel-Test [37]. Dieses Screeningverfahren ermittelt, wie gut man Sprache in lärmender Umgebung
verstehen kann.
Eine weitere Option ist die Kombination des PTA mit dem Einsilberverstehen [24]. Die resultierenden Einstufungen korrelieren gut mit den klinischen Erfahrungen
umfangreicherer Untersuchungen. Von besonderem Interesse erscheint hier die Arbeit
der Arbeitsgruppe um Ulrich Hoppe aus Erlangen [38]: Retrospektiv wurden 318 Ohren von CI-Kandidaten hinsichtlich ihrer reellen Versorgung
ausgewertet. Nach Klassifizierung zur I) Einleitung einer spezialisierten CI-Vordiagnostik
versus II) Fortführung bzw. Optimierung der Hörgerätenutzung wurde die stattgehabte
CI-Versorgung und das postoperative Sprachverstehen weiter ausgewertet. Von den 96
als CI-Kandidaten klassifizierten Fällen wurden 34 (35%) nach Komplettierung der präoperativen
Diagnostik mit einem CI versorgt. Von den im Screeningverfahren als Hörgerätkandidat
eingestuften Fällen wurden lediglich 4 Pat. (2%) mit einem CI versorgt, sodass die
Autoren korrekt von einem hinreichend spezifischen Screeningverfahren sprechen.
Schwer überschaubar ist die Anzahl der verfügbaren Health-Apps für Android und iOS,
darunter „Hörtest-Apps“, „Otoscope-Apps“, aber auch „Hörtrainings-Apps“ und andere
mehr. In einem Review zur Erfassung der Hörfähigkeit fanden Bright und Pallawela 11
Studien zu 6 unterschiedlichen Apps [39]. Die Autoren der Studie resümieren eine hohe Varianz der Ergebnisse mit schwankender
Sensitivität. Die Anwendung von „Hörtest-Apps“ als Ersatz zum Goldstandard der Reintonaudiometrie
wird von den Autoren des Reviews in diesem Zusammenhang nicht empfohlen. Das Hauptproblem
derartiger Apps sei die fehlende Kalibrierung, wie Le Prell und Mitarbeiter [40] zeigten. Pegelabhängig wurden im Vergleich zu einem kalibrierten Audiometer 5–10 dB
höhere Messwerte angegeben. Trotzdem seien diese Apps für orientierende Messungen
nützlich, um bspw. okkulte Hörstörungen ins Bewusstsein zu rufen und dem Patienten
eine Behandlungsnotwendigkeit aufzuzeigen [32]. Aufgrund der niedrigen Kosten, der Portabilität und leichten Zugänglichkeit können
derartige Apps aber durchaus im Screeningbereich sinnvoll sein, so auch in Ländern
mit unzureichender medizinischer Breitenversorgung.
Die Genauigkeit von Fragebögen, die bei Erwachsenen erhoben werden korreliert sehr
zufriedenstellend mit dem Ergebnis einer komplexen CI-Vordiagnostik. Es liegt auf
der Hand, dass in unserer zeit- und ressourcenverknappten Welt kein CI-Kandidat online
den kompletten Umfang der Charité-Test-Batterie [7]
[8]
[41] absolvieren möchte – dies wird einzelnen internationalen Zentren vorbehalten bleiben,
aber subjektive Fragebögen zum Hörverstehen [35]
[42] und Fragebögen nach kognitiven Fähigkeiten [36]
[43] sind online problemlos zu erheben.
Darüber hinaus könnte passives Monitoring per App aber auch Datenakquise per Wearables
in Zukunft Aufschluss geben über das Hörvermögen ohne dass der Nutzer aktive Zeit
investieren muss. Bspw. durch Aufzeichnung der Situation, wenn ein Nutzer aus akustischen
Gründen Dialogen nicht mehr folgen kann bzw. durch Dokumentation in welchen Hörsituationen
ein User die Lautstärke seiner Endgeräte wiederholt anhebt.
Screeningtools – Big Data
Im Hinblick auf die Kompatibilität der aktuellen und kommenden Gerätegenerationen
und deren Vernetzungsgrad (Internet of Things) können in der anfallenden Datenflut
diese Parameter anhand von Algorithmen dargestellt werden. Bezüglich des Themas Big
Data erscheinen für das CI-Screening 2 der 5 großen „V“ von besonderer Bedeutung:
die Probleme des „Volume“, d. h. jeder Nutzer „produziert“ eine enorm große Datenmenge
und der „Variety“, d. h. die Vielfalt der gewonnenen Datentypen: beides ist durch
herkömmliche Methoden nicht mehr analysierbar.
Als Nebeneffekt können sich die Endgeräte wie Smartphones aufgrund der gewonnenen
Daten den individuellen Hörsituationen anpassen. Dies kann durch Techniken zur Signalverbesserung
wie Signalkompression und frequenzabhängige Verstärkung erfolgen, um die Signalqualität
anzupassen und die Höranstrengung unter ungünstigen Hörbedingungen zu reduzieren.
Neben dem Primärgewinn des Users durch die verbesserte Hörsituation werden zusätzliche
Daten gewonnen, die das Hörverhalten im Verlauf abbilden und damit dem Nutzer anzeigen
können, wann ein CI-Screening für ihn angezeigt ist. Die Prognose, dass ein smartes
Endgerät dann direkt ein CI bestellen wird (analog zu smarten Kühlschränken), erscheint
in naher Zukunft nicht realistisch.
Attraktiv wäre auch die Gewichtung von Stimmungen der Nutzer: das Auffangen und Dokumentieren
(aktiv und passiv) erfolgt bereits heute und wird wirtschaftlich genutzt. Hierbei
könnte der Leidensdruck der CI-Kandidaten bestimmt werden: es bleibt unbefriedigend
und unökonomisch, wenn ein Patient durch ein hochspezialisiertes Screeningverfahren
als CI-Kandidat korrekt identifiziert wird, aber dann im versorgenden Zentrum keinen
relevanten Behandlungswunsch aufweist.
Screeningtools – Limitierungen und Datenschutz
Herauszuheben bleibt als Schwachpunkt dieser webbasierten Screeningtestungen noch
die Differenzierung zwischen rein sensorineuralen Schwerhörigkeiten und der Hörminderungen,
die durch eine Schallleitungskomponente verursacht sind. Für den HNO-Facharzt stellt
die Diagnose z. B. von Cerumen obturans und einer Vielzahl anderer Erkrankungen, die
zu einer relevanten Schallleitungsschwerhörigkeit führen, eine Kleinigkeit dar. Somit
sollen auch erst nach Überprüfung der webbasierten Verdachtsdiagnose, dass ein CI
indiziert sein könnte, weitere notwendige Schritte wie Bildgebung eingeleitet werden
– insbesondere unter strahlenhygienischen und sozioökonomischen Aspekten.
Bezüglich der Sicherheit und des Datenschutzes in Deutschland – geregelt durch das
Datenschutzrecht, das Telekommunikationsgesetz und das Telemediengesetz – wird es
eine Herausforderung werden, dass der einzelne User stets die volle Kontrolle über
seine Daten behalten wird. Dies wird bereits heute im wachsenden Markt der Fitness-Apps,
Medizin-Cloudanbieter und Social-Media-Apps mit Gesundheitsbezug deutlich: die bisherigen
Entwicklungen im Bereich der Telemedizin und der Apps zeigen, dass die Digitalisierung
im Medizinsektor in rasanten Schritten vorangeht.
In diesem Zuge sind über eine App auf dem Smartphone die Patientendaten zwar zu jeder
Zeit an jedem Ort immer verfügbar, aber es bleibt fraglich ob der Patient selbst oder
sein Hausarzt in der Lage sein werden, diese adäquat zu verwalten bzw. wer diese „big
data“-Aufgabe übernehmen werden wird.
Screeningtools – Zusammenfassung
Die digitale Revolution stellt alle Beteiligten wie Patienten, Ärzte oder Wirtschaftsunternehmen
vor große Herausforderungen. Aber sie bietet auf der anderen Seite z. B. im Bereich
des CI Screenings jedoch auch viele Chancen – sie müssen nur genutzt werden.
Präoperative Evaluierung vor Cochlea-Implantat
Präoperative Evaluierung vor Cochlea-Implantat
Die präoperative Evaluierung und Diagnostik vor Cochlea-Implantat (CI)-Operation umfasst
die HNO-spezifische Anamnese und klinische Untersuchung, speziell die Ohrmikroskopie.
Zudem erfolgt die audiometrische Testung (Tonschwellenaudiometrie, Sprachaudiometrie,
Hörgeräte-Überprüfung) und objektive Hörprüfung (Tympanogramm, TEOAE/DPOAE, Klick-BERA).
Des Weiteren wird eine Vestibularisprüfung durchgeführt und es erfolgt die neuroradiologische
Diagnostik und Befundung durch die Radiologie.
Im Rahmen der Cochlea-Implantat-Diagnostik spielt die Digitalisierung im Bereich der
klinischen Untersuchung, der Bildgebung und der Audiologie eine wichtige Rolle.
Digitalisierung in der neuroradiologischen Diagnostik
Ein Unterpunkt der Digitalisierung in der CI-Diagnostik ist die Digitalisierung in
der neuroradiologischen Diagnostik. Einerseits soll somit eine digitale Verknüpfung
von klinischen Patientendaten und -diagnosen und der Bildgebung stattfinden um mithilfe
künstlicher Intelligenz Algorithmen zur digitalen Befunderhebung herzustellen. Andererseits
kann so eine zentrale Vernetzung der Daten von Kliniken und Praxen stattfinden und
mithilfe von „Big Data“ zentral gespeichert werden ([Abb. 1]). Dies erleichtert den behandelnden Ärzten den Zugriff zu Bilddateien, die in einem
anderen Institut bzw. in einer Praxis angefertigt wurden, erleichtert die Diagnosefindung
und Weiterbehandlung der Patienten und erspart eine Überbeanspruchung der Kapazitäten
in der Radiologie und somit zusätzliche Kosten. Hierdurch kann zudem Strahlenbelastung
der Patienten durch unnötige Bildgebung (CT, Röntgen) vermieden werden [44]
[45].
Abb. 1 Big data in Audiology. Selection=Datenselektion, Preprocessing=Datenbereinigung,
Transformation=Datenübertragung in eine nützliche Form, Data Mining=Datenklassifizierung
und -gruppierung, Interpretation=Dateninterpretation. Quelle: [50].
Zur Vermeidung von „Überdiagnostik“ wurde in den USA in den frühen 2000ern hierfür
ein clinical decision support (CDS) System entwickelt um eine möglichst sinnvolle
Anwendung der verschiedenen bildgebenden Verfahren sicherzustellen [46]
[47]. Hierbei wenden überweisende Ärzte vor Indikationsstellung von CT, MRT und PET-CT
zunächst das CDS System an, welches evidenzbasiert Empfehlungen zur Bildgebung ausspricht.
Dieses Verfahren wurde durch Präsident Obama im „Protecting Access to Medicare Act
of 2014“ bestätigt und wird aktuell in allen Bundesstaaten der USA angewandt [45]. In Deutschland ist dieses standardisierte Verfahren als Unterstützung für die Entscheidungsfindung
des Radiologen noch nicht regelhaft in Gebrauch.
Eine zukünftige Entwicklung im Bereich der Digitalisierung in der bildgebenden Diagnostik
ist die individuelle Patientenbetreuung und Erstellung von Befunden basierend auf
einer Echtzeit Analyse der radiologischen Aufnahmen durch Big Data Techniken. Hierbei
werden Patientendaten und Bilddaten mit Daten aus klinischen Studien, aus medizinischen
Fachzeitschriften und medizinischen Datenbanken korreliert und ausgewertet [47].
Bei der CI-Diagnostik kann eine solche Big Data Korrelation der radiologischen Bildgebung
v. a. bei komplexen Innen -und Mittelohrfehlbildungen aufschlussreiche Vergleichsbefunde
aufzeigen. Bei der Planung der CI-Operation kann somit auf die individuellen anatomischen
Gegebenheiten des Patienten Rücksicht genommen werden.
Planungssoftware OTOPLAN
Eine Neuheit im Bereich der präoperativen Bildgebung im CI-Bereich ist die Software
OTOPLAN. Hiermit können neuroradiologische Bilder (CT, MRT, DVT) mit einer neuen Tablet-basierten
Planungssoftware ausgewertet werden, die Cochlea kann exakt vermessen werden und dadurch
die Elektrodenlänge des CI individuell auf den Patienten abgestimmt werden. Die Software
OTOPLAN wurde durch die Firmen MedEl und Cascination entwickelt ([Abb. 2]). Diese Planungssoftware dient dazu 3D Rekonstruktionen des Felsenbeins mittels
Computertomografie bzw. Cone Beam-CT (CBCT) zu generieren. Diese sind auf die individuelle
Anatomie des Patienten abgestimmt und ermöglichen so eine präzise präoperative Darstellung
des OP-Gebietes und gefährdeter Strukturen wie des N. facialis.
Abb. 2 OTOPLAN-Software. Quelle: https://blog.medel.pro/otoplan-future-otological-surgery. Mit freundlicher Genehmigung von MED-EL.
Eine weitere innovative Anwendung dieser Software liegt bei der Vermessung der Cochlea
und somit der Planung der optimalen CI-Elektrodenlänge. Eine solche personalisierte
CI-OP-Planung führt zu einer möglichst atraumatischen Implantation und lässt auf eine
postoperative Verbesserung der Hörrehabilitation hoffen. Die Planungssoftware wurde
erstmals von Gerber et al. [48] in einer experimentellen Studie an Kadavern zur Roboter-gestützten minimal invasiven
Hörimplantat-Operation eingesetzt. Hierbei konnte die Operation in allen Fällen erfolgreich
mit der Software geplant werden. Eine weitere Studie von Ping et al. [49] bestätigt die genannten positiven Ergebnisse des Planungs-Tools. Mithilfe der Software
wurde der N. facialis in vorhandenen CBCT-Bildern in seinem Verlauf im Felsenbein
hervorgehoben,um ihn intraoperativ zu schonen.
Weitere Studien zur klinischen Anwendung der Software OTOPLAN stehen bisher noch aus.
Digitalisierung in der Audiologie
Nicht nur im radiologischen, sondern auch im audiologischen Bereich ist eine zentrale
Vernetzung der Patientendaten sinnvoll und möglich wie Mellor et al. [50] in ihrer Publikation beschreiben. „Data Mining“ beschreibt den Prozess, wie Wissen
aus großen Datenbeständen extrahiert und in sinnvollen Zusammenhang gestellt wird.
Hiermit können Daten v. a. im Bereich der Forschung schneller gefiltert und ausgewertet
werden. Dies wird zusammengefasst als KDD (Knowledge Discovery in Databases) Prozess,
der in der [Abb. 1] dargestellt wird.
Im audiologischen Feld ist eine Data-Mining-Software ebenfalls sinnvoll und wurde
erstmals von Cox et al. [51] (8) bei der International Conference on Computational Intelligence 2004 vorgestellt.
Aus 180 000 individuellen Audiologie-Befunden von 23 000 Patienten wurden heterogene
Daten wie Audiogramme, demografische Daten und Texte verwendet und mittels statistischen
und neuralen Techniken ausgewertet. Dieses Projekt war Teil der nationalen „Modernising
Hearing Aid Services“ Initiative des UK. Zukünftig wäre eine solche nationale Initiative
auch im Cochlea-Implantat-Bereich erstrebenswert.
Ein weiterer wichtiger Punkt im Bereich der Audiologie ist die Zentralisierung von
Daten, die in England und in Skandinavien in sehr vielen Kliniken und HNO-Praxen durch
die Datenbank Audit-Base der Firma Auditdata (auditdata.com) realisiert wird. Diese
Datenbank enthält Informationen bezüglich des Patienten, der Audiometrie, des Implantats
bei CI-Patienten, des Hörgerätes bei Hörgeräte-Patienten sowie bezüglich der Hörrehabilitation.
Als Ausblick für die CI-Patienten ist eine Vernetzung audiologischer Daten sowie eine
einheitliche Datenbank möglich und zukünftig realisierbar. Die Audiometrie-Daten können
so einheitlich gespeichert werden und sowohl in der Sprechstunde, im OP, als auch
in der HNO-Praxis eingesehen werden.
Daten zum Implantat können ebenfalls in der Datenbank gespeichert werden und die erhobenen
Daten an die Rehabilitations-Einrichtung weitergeschickt werden. Somit wäre auch das
Feedback aus der Rehabilitations-Einrichtung an die Operateure und Ärzte in der Klinik
und der Praxis vereinfacht möglich.
Eine weitere zukunftsträchtige Entwicklung ist eine Cochlea-Implantat-Diagnostik App,
in Anlehnung an die bereits bestehende App „iHealth“. Hierbei kann der Patient alle
bei der Diagnostik erhobenen Daten (Klinischer Befund, Audiometrie, Hörnervtest/PromTest,
Vestibularis-Prüfung, CT, MRT) speichern. Dieses Thema wird im Unterpunkt „Hörrehabilitation“
näher beleuchtet.
Operation und stationärer Aufenthalt unter dem Aspekt der Digitalisierung
Operation und stationärer Aufenthalt unter dem Aspekt der Digitalisierung
Digitalisierung und CI-Operation
Ein Ziel der intraoperativen Digitalisierung ist die dynamische Vernetzung verschiedener
Komponenten im OP-Saal, dieses Thema wird an anderer Stelle in diesem Referateband
ausführlich behandelt. In diesem Abschnitt soll speziell die intraoperative Digitalisierung
bei Cochlea-Implantat-Operation beleuchtet werden.
Hierbei ist die dynamische Vernetzung computergesteuerter Geräte und invasiver Geräte
wie Bohrer und Schneideinstrumente besonders wichtig. Diese Vernetzung dient zur Fehlervermeidung
und Optimierung des Ablaufs. Des Weiteren wird hiermit die Effizienz der Abläufe verbessert
und die Operationszeit verkürzt. Damit werden Ressourcen eingespart und die Patientensicherheit
erhöht.
Im OP soll zudem die „Interoperabilität“ gefördert werden, das heißt der Operateur
und sein Team sowie der Anästhesist und sein Team können an den Monitoren dieselben
Patientendaten zentralisiert und gebündelt abrufen. Weitere für den Operateur relevante
Innovationen sind die sterile Steuerbarkeit von verschiedenen Geräten wie bspw. Navigation
und OP-Tisch, die an einem zentralen Monitor angezeigt werden. Eine weitere hilfreiche
Neuigkeit ist die Vernetzung von Bildmaterial wie CT und MRT mit dem OP-Mikroskop,
sodass am Monitor des Mikroskops die präoperative Bildgebung angesehen werden kann
[52]
[53]
[54].
Die zentrale digitale Patientenakte, in der sowohl chirurgische Daten, anästhesiologische
Daten als auch die präoperative Diagnostik umfasst, erleichtert die spätere Erstellung
von Berichten und die Auswertung der Daten hinsichtlich Komplikationen und Fehlervermeidung.
Diese Vernetzung im OP wird an der Universität Leipzig im Innovation Center Computer
Assisted Surgery (ICCAS) in einem Modell-OP erprobt und erforscht. Zuvor wurde im
Projekt OR.NET an der Universität Aachen dasselbe Ziel verfolgt [52]
[53]
[54]. Die Projekte werden bzw. wurden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung
unterstützt.
Eine Neuheit im Bereich der intraoperativen Digitalisierung im CI-Bereich ist die
Roboter-gesteuerte CI-Operation, die 2009 von Klenzner et al. [55] beschrieben wurde und später auch von Caversaccio et al. [56] in einer klinischen Studie vorgestellt wurde. Es wurde ein System für die Roboter-gesteuerte
Cochlea-Implantat Operation entwickelt und an einem Patienten erfolgreich angewandt.
Bei der Operation wird der Zugang zur Cochlea über die posteriore Tympanotomie von
diesem Roboter-System gebohrt. Diese Methode ist noch zeitintensiv mit einer OP-Dauer
von etwa 3 Stunden [56], sie birgt allerdings das Potenzial in Zukunft auch mit kürzerer OP-Dauer durchgeführt
zu werden. Zudem konnte in der Studie die Effektivität, Sicherheit und Durchführbarkeit
dieser Methode herausgestellt werden. Vorteile dieser Methode können in Zukunft eine
individuelle Planung des Zugangswegs zur Cochlea sein, sowie eine schonendere Elektrodeninsertion
und eine exakte Positionierung der Elektrode in der Cochlea.
Intraoperative Bildgebung
Die intraoperative Bildgebung bei CI-OPs ist eine hilfreiche Innovation v. a. bei
schwierigen anatomischen Verhältnissen und Innenohrfehlbildungen. Cosetti et al. [57] berichten über die intraoperative Bildgebung mittels Röntgenaufnahme nach Stenvers.
In wenigen Fällen konnte durch die intraoperative Bildgebung ein Tip-Rollover oder
die extracochleäre Lage der Elektrode detektiert und mittels Backup Device sofort
korrigiert werden. Vittaro et al. [58] beschreiben in ihrer Studie ebenfalls die Detektion einer Elektrodenfehllage mittels
intraoperativer Röntgenaufnahme. Die intraoperative Röntgenaufnahme wird in vielen
Kliniken zunehmend verdrängt durch die C-Arm Fluoroskopie [59]
[60], welche bei CI-Operationen nach Elektrodeninsertion 3D Röntgenaufnahmen der Elektrodenlage
mit geringer Strahlenbelastung anfertigen kann. Zudem wird auch das Cone Beam-CT bzw.
die Digitale Volumen Tomografie (DVT) mit Bildverstärkern oder Flachpanel-Detektoren
zunehmend intraoperativ und postoperativ zur bildgebenden Lagekontrolle der CI-Elektrode
angewandt [61]. Die intraoperative CT-Bildgebung wurde in bisherigen Studien v. a. bei Innenohrfehlbildungen
und anatomischen Besonderheiten wie einem aberranten Verlauf des N. fazialis in der
Literatur eingesetzt [62]
[63]
[64]. Yuan et al. [63] beschreiben in einer Fallserie die intraoperative CT-Bildgebung bei 10 Patienten.
Die Elektrodenfehllage bei 2 Patienten konnte mittels CT-Scan detektiert werden und
während der OP korrigiert werden. Stelter et al. [64] berichten über die erfolgreiche intraoperative CT-Bildgebung und Anwendung der Navigation
mittels BrainLAB bei der CI-Elektrodeninsertion bei einem Patienten mit posttraumatischem
sensorineuralem Hörverlust.
Während die postoperative Bildgebung zur Lagekontrolle der Elektrode den Goldstandard
darstellt, ist die intraoperative Bildgebung bei CI-OPs zwar wünschenswert, allerdings
wird sie aufgrund der Kostenintensität und eingeschränkter Anwendbarkeit bspw. eines
DVT im OP-Saal und somit unzureichender Auslastung des Gerätes im OP auch in Zukunft
in vielen Kliniken nicht verfügbar sein. Dementsprechend ist es erstrebenswert mithilfe
audiologischer Messmethoden eine Elektrodenfehllage zu diagnostizieren um nicht auf
eine intraoperative Bildgebung angewiesen zu sein.
Intraoperative audiologische Messung
Die audiologische Qualitätskontrolle während der Cochlea-Implantat-Operation erfolgt
mittels 3 Messverfahren, die in der Regel durch einen Audiologen im OP durchgeführt
werden:
Mittels Telemetrie werden die Impedanzen der intracochleären Elektroden bestimmt.
Zudem wird das Summenaktionspotential des Hörnerven gemessen (electrical evoked compound
action potential, eCAP) um die Antwort des Hörnerven auf elektrische Stimulation festzustellen.
Der Stapediusreflex wird durch elektrische Stimulation geprüft (electrical evoked
stapedius reflex test, eSRT).
Diese Messverfahren können auch ferntelemetrisch durchgeführt werden, d. h. der Audiologe
befindet sich nicht im OP-Saal, sondern an einem Arbeitsplatz mit Computer und mit
Verbindung zum OP (Webcam und Lautsprecher). Ein solches Vorgehen wurde erstmals 2008
von Shapiro et al. [65] beschrieben. Yanov et al. [66] haben dieses Verfahren in einer aktuellen prospektiven randomisierten Studie mit
dem klassischen Verfahren verglichen. Bei der ferntelemetrischen Messung wurde zusätzlich
zur Standard-Ausrüstung jeweils ein Computer mit Netzwerk-Verbindung im OP und am
Arbeitsplatz des Audiologen benötigt sowie ein visuell-auditorisches System (Webcam
und Lautsprecher). Es konnte eine korrekte Messung durch die Remote Network Connection
festgestellt werden, die sich nicht signifikant von der klassischen Messmethode im
OP unterschied. Zudem wurde eine signifikante Zeitersparnis durch das ferntelemetrische
Verfahren gemessen (10,04 vs. 18,64 min).
Die Messung der ECAP kann auch automatisch als automatical neural response telemetry
(AutoNRT) bzw. AutoART (auditory response telemetry) durchgeführt werden. Die Technologie
der AutoNRT wurde erstmals von Botros et al. [67] beschrieben und van Dijk et al. [68] berichteten über die klinische Anwendbarkeit. Das Nucleus Cochlear Implant System
(Cochlear Limited, Australien) bzw. das Maestro System (MED-El, Innsbruck, Österreich)
können mit einem Algorithmus, der auf einer Machine Learning Technik und Entscheidungsbaum-Analyse
beruht, automatisch den Schwellenwert, der eine Reizantwort des Hörnerven auslöst,
bestimmen [69]. Tavartkiladze et al. berichten über zuverlässige Ergebnisse mit der Auto-NRT Technologie
im Vergleich zur manuellen NRT-Messung. Zudem ist die Auto-NRT Messung zeitlich signifikant
kürzer. Ein negativer Aspekt dieser Messmethode ist die eingeschränkte Anwendbarkeit,
denn nicht bei allen Patienten ist diese Messmethode möglich. Die Pulsbreite kann
bei der Auto-NRT Messung nicht verändert werden und somit muss bei ausbleibender
Reizantwort die Messung manuell durchgeführt werden und die Pulsbreite ggf. verlängert
werden.
Zur Detektion einer Elektrodenfehllage haben Grolman et al. [70] intraoperativ die Ausbreitung der neuralen Erregung (engl. spread of excitation,
SOE) gemessen. In der Studie wurde die Messung sowie eine intraoperative DVT bei 72
CI-Operationen durchgeführt. In 4 Fällen trat eine Elektrodenfehllage auf, die der
erfahrene Audiologe anhand der SOE identifizieren konnte und die der Audiologe nach
Elektrodennummer identifizieren konnte. Zusammenfassend konnten mithilfe der Bildgebung
und der SOE Messung wertvolle Informationen hinsichtlich der Elektrodenlage in der
Cochlea gewonnen werden.
Aufgrund der erweiterten Indikationsstellung der Cochlea-Implantat-Versorgung werden
auch Patienten mit Vestibularisschwannom (VS) und Ertaubung mittels CI hörrehabilitiert.
In diesem Zusammenhang ist eine intraoperative Hörnervtestung nach VS-Resektion sinnvoll
um zu entscheiden, ob eine CI-Indikation besteht. Die Firma MEDEl hat hierfür eine
Cochlea-Testelektrode entwickelt, die für die intraoperative Messung der Funktion
des Hörnerven konzipiert wurde. Wenn bei einer Tumorresektion die Erhaltung des Hörnerven
fraglich ist, so kann die „Cochlear Test Electrode“ ([Abb. 3]) wie eine CI-Elektrode in die Cochlea eingeführt werden und es erfolgt die intracochleäre
Stimulation des Hörnerven. Bei intaktem Hörnerven können electrical evoked auditory
brainstem response (eABR) Antworten registriert werden. Für diese Messung ist die
Cochlea-Testelektrode notwendig ([Abb. 3]), ein ABI Verbindungskabel, eine ABI Stimulator Box, ein EABR Messgerät und EEG
Elektroden ([Abb. 4]).
Abb. 3 Cochlear Test Electrode (mit freundlicher Genehmigung von MED-EL).
Abb. 4 Setup der eABR Messung mittels Cochlear Test Electrode (mit freundlicher Genehmigung
von MED-EL).
Lassaletta et al. [71] berichten in ihrer Studie über die Anwendung der intracochleären Testelektrode bei
10 CI-Patienten. Nach Identifikation des runden Fensters wurde intraoperativ zunächst
die Testelektrode eingeführt um eABR Antworten abzuleiten, anschließend wurde diese
entfernt, das CI eingesetzt und erneut eABR Antworten gemessen. Die Ergebnisse der
Testelektrode und des CI wurden verglichen und ergaben keine signifikanten Unterschiede
hinsichtlich Latenzen und Amplituden. Cinar et al. (30) beschreiben in ihrer Studie
die Anwendung der intracochleären Testelektrode bei Patienten mit Innenohr-Fehlbildungen.
Die Testelektrode wurde angewandt um anhand der abgeleiteten eABR eine Entscheidung
für ein Cochlea-Implantat bzw. für ein Hirnstammimplantat (ABI) zu treffen. Es konnte
zudem festgestellt werden, dass mit zunehmendem Grad der Fehlbildung die positiven
eABR Messungen ausblieben.
Zusammenfassend sollte die cochleäre Testelektrode bei Vestibularisschwannom Resektionen
mit unklarem Hörnervenstatus Anwendung finden, da positive eABR Messungen auf eine
erfolgreiche Hörrehabilitation mit Cochlea-Implantat hinweisen. Weitere Studien zur
Cochlear Test Electrode stehen bisher aus.
Digitalisierung im Rahmen der Cochlea-Implantat-Rehabilitation
Digitalisierung im Rahmen der Cochlea-Implantat-Rehabilitation
Digitalisierung in der postoperativen Phase
Nach erfolgreicher Cochlea-Implantation folgt im weitesten Sinne die Phase der Nachsorge,
die nach [13] in 3 Abschnitte unterteilt werden kann, die Basistherapie (Tag 1 postoperativ bis
6 Wochen postoperativ), die Folgetherapie (ca. 6 Wochen bis 1 Jahr (bei Kindern 3
Jahre) postoperativ) und schließlich die lebenslange Nachsorge ([Abb. 5]) mit in der Regel einjährigen Abständen der Nachsorgetermine.
Abb. 5 zeitlicher Verlauf der CI-Versorgung
Basistherapie
Nach initialer Heilungsphase erfolgt die Erstanpassung des Soundprozessors. Der Zeitpunkt
wird je nach CI-Zentrum unterschiedlich gewählt und liegt in der Regel im Bereich
der ersten 6 Wochen postoperativ. Zuweilen wird eine erste „Probestimulation“ am ersten
oder zweiten postoperativen Tag vorgenommen, in der Regel aber die erste Stimulation
und erste Anpassung des Sprachprozessors in ein und derselben Sitzung.
Dieser erste „Hörtermin“ mit dem Cochlea-Implantat stellt für die frisch implantierten
Patienten eine extrem emotionsbeladene und anspruchsvolle Situation dar. Sie wissen
nicht genau, was auf sie zukommt. Nicht-rationale Ängste und Sorgen und eine starke
Aufregung sind häufig anzutreffen.
So „aufgeladen“ kommen die Patienten in die Erstanpassung. Von hier soll der Patient
mit einem möglichst erfolgversprechend angepassten Sprachprozessor entlassen werden,
das allein erfordert ein hohes Maß an Konzentration und Mitarbeit durch den Patienten.
Darüber hinaus erhält er aber auch eine Menge an Informationen zur Handhabung der
ihm nun übergebenen Technik einschließlich umfangreichem Zubehör.
Wie kann diese Herausforderung am besten beherrscht werden? Eine Möglichkeit bestünde
in der sowohl für die implantierende Klinik als auch den Patienten sehr zeitaufwendigen
Aufteilung der Erstanpassung in 2 oder mehr Termine. Eine andere, zeit- und kostensparende
Möglichkeit besteht in der Reduzierung der für das Sprachprozessorfitting erforderlichen
Zeit und Schonung der mentalen Kapazität des Patienten durch auf objektiven Daten
basierende Anpassprozesse bei Nutzung von Standardparametern. Hier hat sich ein Fitting
mit Unterstützung durch die intraoperativ gewonnenen Compound Action Potentials (CAP)
sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen bewährt. Smoorenburg et al. [73] konnten an 27 erwachsenen CI24M-Trägern eine signifikante Korrelation zwischen der
Steilheit der psychophysischen und der NRT-Schwellen-Kurve (r=0,82) zeigen. Das aufwendige
Procedere der individuellen Bestimmung von kanalspezifischen Threshold- und Comfort-Leveln
kann ggf. in späteren Sitzungen zur Verfeinerung der Anpassung erfolgen.
Folgetherapie
Der Basistherapie folgt die bei Erwachsenen etwa ein Jahr, bei Kindern etwa 3 Jahre
dauernde Folgetherapie, die in audiologische und hörtherapeutische Folgetherapie unterteilt
werden kann [13].
Ziel der Bemühungen aller im Rehabilitationsprozess Beteiligten ist die Erhöhung der
Qualität der Versorgung bei gleichzeitiger Erhöhung der Effizienz der eingesetzten
Mittel durch Automatisierung und Standardisierung. Wie schon in der Einleitung ausgeführt,
stellen steigende Patientenzahlen bei eher knapper werdenden personellen und finanziellen
Ressourcen eine enorme Herausforderung dar. Diese Ausgangslage zwingt zu effektiven
Innovationen bei der längerfristigen CI-Nachsorge. Hier kommt der Digitalisierung
aller Prozesse eine Schlüsselrolle zu.
Einige, teilweise bereits in der Einführung erwähnte Herausforderungen, die auf die
Betroffenen (Kliniken, ReHa-Einrichtungen, Patienten, Angehörige) zukommen, seien
hier stellvertretend nochmals benannt:
-
Versorgung größerer Patientenzahlen bei gleichbleibendem Personalschlüssel
-
Versorgung immer älterer Patienten, für die der häufige Weg zur ReHa-Einrichtung ein
Problem darstellt
-
Diskrepanz zwischen Terminangeboten in der ReHa und Terminwünschen der Patienten infolge
beruflicher Zwänge seitens der Patienten
-
Rückläufige Möglichkeit/Bereitschaft der Patienten zur Wahrnehmung häufiger ReHa-Termine
infolge starker beruflicher/familiärer Belastung
-
Schwierigkeit bei der Wahrnehmung von Nachsorgeterminen aufgrund weiter Wege in Gebieten
mit geringer Bevölkerungsdichte und nur wenigen ReHa-Standorten in großem räumlichen
Abstand
Der Wunsch seitens der Patienten als auch der Anspruch seitens der Kliniken besteht,
dass möglichst viele komplexe Hörsituationen immer besser gemeistert werden können.
Dazu ist teilweise Zubehörtechnik erforderlich, welche die Bedienung des CI-Systems
komplexer und damit für ältere Patienten schwieriger macht.
Cochlea-Implantate werden zunehmend auch in „low- and middle-income countries“ (LMICs)
eingesetzt, wo die Nachsorge unzureichend organisiert ist.
Ausweg – Digitalisierung
Daraus folgt zwangsläufig die Notwendigkeit zur Optimierung der mit der CI-Nachsorge
verbundenen Prozesse.
Auf folgenden Gebieten sind derzeit Anwendungen aus dem Bereich der Digitalisierung
bereits im Einsatz bzw. aus heutiger Sicht denkbar:
Digitalisierung in der audiologischen Folgetherapie
Der Einsatz objektiver Messverfahren zur Erfassung individueller Varianzen, so die
Verwendung automatisch oder manuell gewonnener Compound Action Potentials (CAP) für
die manuelle Anpassung [73], kann zu einer zeitlichen Verkürzung der einzelnen Anpassung führen, wobei das Fitting
ggf. sogar durch weniger erfahrenes/qualifiziertes Personal durchgeführt werden kann.
(Semi-)Automatische Anpassverfahren auf der Basis patientenindividueller Daten im
Zusammenspiel mit Expertenwissen aus großen Patientenkohorten (BigData) finden immer
verbreiteteren Einsatz.
Hier gibt es inzwischen bspw. umfangreiche Erfahrungen mit dem computergesteuerten
Anpassassistenten FOX (Fitting to Outcomes eXpert). Künstliche Intelligenz soll ein schnelleres, konsistenteres Anpassen von Cochlea-Implantaten
und damit eine bessere Hörqualität ermöglichen.
FOX funktioniert sehr ähnlich einem Navigationssystem im Straßenverkehr, das den Start-
und den gewünschten Zielort kennt, über ein immenses Wissen bezüglich der möglichen
Wege verfügt und schließlich aus einer Vielzahl der möglichen Routen die z. B. hinsichtlich
Wegstrecke oder Fahrtdauer effektivste Strecke herausfindet.
FOX nutzt audiologische Daten wie Hörschwelle, Phonemdiskrimination, Sprachaudiogramm
(bspw. ermittelt durch Auditory Speech Sounds Evaluation (ASSE- Fa. Otoconsult)) und
Lautheitsskalierung als Grundlage für einen Algorithmus zur Optimierung der Implantat-Anpassung.
Die audiologischen Testergebnisse stellen den jeweiligen Ausgangspunkt für die automatische
Optimierung dar.
FOX bietet die Möglichkeit, die Testergebnisse und ältere MAPs des Patienten im Vergleich
mit anderen, anonymisierten MAPs zu analysieren, um dem Patienten die bestmögliche
MAP empfehlen zu können. Dadurch wird der Anpassprozess beschleunigt und die Messergebnisse
kommen dem Ideal noch näher. Durch die Aufnahme neuer MAPs und Leistungsdaten in die
Datenbank werden die prädiktiven Fähigkeiten von FOX permanent verbessert.
Battmer et al. [74] haben in einer Multizenterstudie mit 27 postlingual ertaubten erwachsenen Patienten
mit HiRes90KTM der Fa. Advanced Bionics untersucht, wie sich Effizienz und Dauer der Anpassung mit
FOX und einer konventionellen Anpassmethode unterschieden. Sie konnten zeigen, dass
in den ersten 2 Wochen nach Erstanpassung die benötigte Zeit für eine FOX-Anpassung
signifikant unter der einer konventionellen Anpassung lag, über die weitere Periode
des ersten halben Jahres war der Zeitaufwand beider Verfahren gleich. Es wurde eine
Reduktion der Variabilität der Anpassergebnisse zwischen unterschiedlichen Zentren
durch die Nutzung von FOX beschrieben.
Meeuws et al. [75] konnten in einer retrospektiven Studie die Lernkapazität des FOX-Algorithmus an
25 postlingual ertaubten erwachsenen Patienten (14 mit einem Implantat der Fa. Cochlear
versorgt, 11 mit Advanced Bionics) mit einer mittleren CI-Nutzungsdauer von 10 Jahren
zeigen. Das Sprachverstehen konnte mittels FOX-Programmierung gegenüber der „eigenen“
MAP gesteigert werden.
Auch Vaerenberg et al. [76] konnten den Nutzen von Fox an 8 neu CI-versorgten, postlingual ertaubten erwachsenen
Patienten mit HiRes90KTM ( Fa. Advanced Bionics) darstellen. Sie sehen den Vorteil des deterministischen Verfahrens
in einer Systematisierung der CI-Programmierung, Reduktion der Fitting-Dauer und einer
Optimierung der Hörergebnisse.
Vereinfachte Anpassverfahren auf Basis der CAP bei Nutzung von Standarparametern haben
ihre Berechtigung nachgewiesen. Hier ist bspw. die Nucleus Fitting Software (NFS)
der Fa. Cochlear Ltd. zu nennen, die bei Nutzung eines Tablet-Computers und eines
Wireless-PODs sehr flexibel eingesetzt werden kann. Damit ist die Anpassung nicht
zwangsläufig an die Laborsituation in einem Audiometrieraum gebunden, sondern kann
in sehr unterschiedlichen Umgebungssituationen durchgeführt werden. Es ist nicht zwingend
ein Anpass-Experte erforderlich, die Anpassung kann im unkomplizierten Routinefall
auch im Sinne von Remote Fitting bei angelerntem Personal wie bspw. Hörgeräteakustikern
erfolgen. Basis der Anpassung sind automatisch bestimmte CAP-Schwellen sowie punktuell
bestimmte Threshold- und Comfort-Level. Botros et al. [77] konnten bei 13 Patienten zeigen, dass sich das Outcome nach Fitting mit der NFS-Software
von dem mit der Custom Sound nicht signifikant unterschied.
Zu lösen sind in diesem Zusammenhang Fragen der Qualitätsüberwachung zur Vermeidung
von Fehlanpassungen.
Remote Fitting/Remote Care mit Videounterstützung kann die Anpassung entfernt wohnender
Patienten unterstützen. Hierbei kommt auch eine Wundkontrolle über Foto oder Videokamera
in Betracht ([Abb. 6]).
Abb. 6 Remote Fitting.
Dabei ist der Patient mit dem interagierenden Zentrum über eine Datenfernverbindung
verbunden. Der Experte in der implantierenden Klinik oder dem CI- Zentrum kann den
Patienten beobachten und mit ihm interagieren. Ein direkter Zugriff auf das Implantat
ist ggf. über eine eingewiesene Fachkraft vor Ort oder ein vom Patienten selbst bedientes
Interface möglich. Dadurch lassen sich Feinanpassungen, insbesondere in häuslicher
Umgebung, Technikchecks und Upgrades der Software durchführen [78].
Eikelboom et al. [79] haben ein computergestütztes Remote Fitting System für mit MEDEL-Implantaten versorgte
Patienten entwickelt und an 11 Patienten evaluiert. Im Durchschnitt dauerte das Remote
Mapping 42 Min, während im Vergleich die konventionelle Anpassung 37 Min in Anspruch
nahm. In den anschließenden Sprachtests (Ling Six Test, Beantwortung von Fragen) zeigte
sich kein signifikanter Unterschied zwischen beiden MAPs. Sechs Patienten präferierten
keine der beiden MAPs, 2 bevorzugten die konventionelle MAP und 3 die Remote MAP.
Berichtet wurde von zeitlichem Versatz zwischen Audio- und Videokanal, was die Kommunikation
des Patienten mit dem Experten erschwerte, weil das Mundbild nicht unterstützend genutzt
werden konnte. Hier war die Unterstützung durch die Fachkraft vor Ort erforderlich.
Zehn Patienten gaben schließlich an, dass sie zukünftig über Remote Fitting angepasst
werden möchte, alle 11 Patienten würden das Verfahren weiterempfehlen.
Kuzovkov et al. [80] berichten sehr positiv über Remote Anpassungen an 33 Patienten in Italien, Schweden
und Russland. Involviert waren jeweils ein Anpassexperte auf der Klinikseite, der
Patient und ein lokaler Moderator (lokale Fachkraft) auf der Patientenseite. 96,9%
der Patienten waren mit dem Anpassergebnis zufrieden, 100% sprachen sich für weiteres
Remote Fitting aus.
Auch Wasowski et al. [81] bestätigen die Effizienz von Remote Fitting im Vergleich zum Face-to-Face-Fitting.
Den Patienten bleiben weite Wege erspart, teilweise kann dadurch die Frequenz der
Anpassungen erhöht werden.
Self-Fitting durch den Patienten kann mit automatisierten Algorithmen auf der Grundlage
von CAP-Schwellen erfolgen. Der Patient kann Lautstärke, Höhen und Tiefen selbst anpassen,
ggf. Comfort- und Threshold Level selbst bestimmen.
In [77] wird das Ergebnis der Selbst-Anpassung mit dem CR110 Remote Assistenten von Cochlear
Ltd. mit dem Ergebnis einer Anpassung durch einen audiologischen Experten mit der
Custom Sound verglichen und auch hier im Outcome kein signifikanter Unterschied festgestellt.
Ob Fitting beim Experten in der Klinik oder ReHa-Institut, Remote Fitting beim wohnortnahen
Sekundärpartner (lokale Fachkraft) oder Self-Fitting – Wireless Programmierung erlaubt
heute eine sehr viel komfortablere und für den Patienten bequemere Ankopplung an das
Anpasssystem. Insbesondere in der Kinderanpassung ist damit ein großer Schritt in
Richtung der Verbesserung der Akzeptanz der Anpasssituation gelungen.
Durch Vernetzung über das Internet bestehen heute Möglichkeiten der Früherkennung
von Problemen (bspw. Erhöhung der Elektrodenimpedanzen – ggf. Anzeichen für beginnende
Labyrinthitis [78]).
Remote Troubleshooting (z. B. [82]) kann dem Patienten helfen, Probleme mit seinem Soundprozessor oder dem Zubehör
selber zu analysieren und zu beheben, ohne einen Servicepartner oder gar die implantierende
Klinik aufsuchen zu müssen. Möglicherweise unnötiger Versand von Ersatzteilen oder
Austauschprozessoren kann verhindert werden.
Eine sehr entscheidende Fähigkeit moderner CI-Systeme ist das Data Logging. Es erlaubt
im Rahmen der Anpassungen Erkenntnisse über den Gebrauch der einzelnen MAPs, über
die Variabilität und zeitliche Wichtung der Hörsituationen des Patienten, über seine
Hörgewohnheiten bzgl. der Einstellungen von Lautstärke und Empfindlichkeit und nicht
zuletzt über die Nutzungsdauer. Diese Erkenntnisse sind nicht nur für Anpasser und
Therapeuten wichtig, sie sind auch für die CI-Hersteller richtungsweisend.
Erfolgskontollen im Sinne der Erfassung des Sprachverstehens sind ebenfalls telemedizinisch
mit entsprechenden Computerprogrammen/Apps möglich. Die Lebensqualität kann über Fragebögen
computer- oder App-gestützt erhoben und ausgewertet werden.
„Artifical Intelligence“, „Cloud Connectivity“ und „Wireless Technology“ sind Begriffe,
die zeigen, wohin die Reise bei der CI-Nachsorge geht bzw. heute schon Anwendung finden.
Wie bereits in der Einleitung ausgeführt, kann die enge Vernetzung ([Abb. 5]) aller im ReHa-Prozess beteiligten (Patient, implantierende Klinik, ReHa-Institution,
Hersteller, Service-Partner, ggf. sekundäre Betreuungseinrichtung) mit effizientem
Datenaustausch unter Beachtung der gültigen Normen des Datenschutzes zu Kosteneinsparung,
schnellerem und optimalerem Versorgungserfolg, gesteigerter Patientenzufriedenheit,
schnellerer Problembehebung, Früherkennung sich anbahnender Probleme und Wissenszuwachs
durch BigData führen.
[Abb. 7] zeigt, welchen Stellenwert die einzelnen Bausteine der CI-Nachsorge in Zukunft haben
werden. Insbesondere im Zuge der lebenslangen Nachsorge werden Remote Care und Self
Care eine immer größere Bedeutung erlangen. Das entspricht dem Bedürfnis der Patienten
nach einer optimalen und sicheren Funktion ihres Cochlea-Implantats ohne Inanspruchnahme
langer mit weiten Wegen verbundenen Termine in zentralen Einrichtungen. Dabei besteht
trotzdem der Wunsch, dass die Funktion und sich anbahnende Störungen vom Experten
überwacht werden, was durch Telemedizin möglich wird. Das entspricht aber auch der
Zielsetzung der Kostenträger zur Kostenreduktion und den Zwängen der Kliniken und
ReHa-Einrichtungen zur optimalen Nutzung der Personalressourcen. Der einfach zu versorgende
„Standardpatient“ kann damit auf Dauer komfortabler und sogar sicherer betreut werden,
während die Experten mehr Zeit für die speziellen Fälle haben, die sehr viel individuelle
Zuwendung erfordern.
Abb. 7 Maslowsche Bedürfnishierarchie (mit freundlicher Genehmigung von Cochlear Ltd.).
Kritisch muss diskutiert werden, dass die sehr positiven Aspekte beim Remote- und
Self-Fitting nur für Patienten ohne spezielle audiologische und sonstige Besonderheiten
gelten. Ein Großteil der alten und sehr alten Patienten hat einen sehr großen individuellen
Betreuungsbedarf und ist zum Self-Fitting oder Remote-Fitting in keiner Weise in der
Lage. Bei einer nicht unerheblichen Anzahl von Patienten ist nach Erfahrung der Autoren
die Nutzung von Auto-CAP nicht möglich, weil bei ihnen zum Erzeugen auswertbarer CAP-Antworten
höhere Pulsbreiten erforderlich sind, die von der Auto-Routine nicht angeboten werden.
Bei Patienten mit speziellen Problemen wie schlechter Akzeptanz, Verstärkung des Tinnitus
unter der CI-Therapie, Abweichungen von der regulären Tonotopie, Missempfindungen
oder Fazialismiterregung bei einzelnen Elektroden usw. sind die automatisierten Verfahren
nicht einsetzbar.
Ferner ist eine breitbandige Internetverbindung, wie sie für Remote-Fitting und -Care
erforderlich ist, nicht allerorts Standard.
Die Zeitersparnis bei unkomplizierten „Standardpatienten“ durch vereinfachte Fittingverfahren
oder Remote Care kann aber erheblich sein und ggf. dem „Problempatienten“ zu Gute
kommen.
Digitalisierung in der hörtherapeutischen Folgetherapie
Auch im Hörtraining spielt Standardisierung und Vergleichbarkeit eine maßgebende Rolle.
Diese Forderung wird am besten erfüllt durch die Nutzung computergestützter Hörtrainingsprogramme
wie z. B. AudioLog von Flexsoft. Die Überlegenheit gegenüber Life Speech liegt auf
der Hand, standardisierte und kalibrierte Sprach- und Geräuschausgabe garantieren
vergleichbare Übungs- und Testsituationen in verschiedenen Sitzungen und Vergleichbarkeit
zwischen verschiedenen Zentren.
Vor allem das isolierte Üben und Testen des implantierten Ohres lässt sich sehr gut
und definiert durch direktes Streaming von Hörtrainingsinhalten in die Soundprozessoren
über Wireless Zubehör erreichen.
Die Ergebnisse des Data Loggings sind sehr hilfreich, um Informationen über die Nutzungsgewohnheiten
und das Hörumfeld des Patienten zu erhalten und daraus Tipps zur Programmnutzung und
zum Hörverhalten ableiten zu können.
Outcome-Messung bei direkter Einspeisung von Testmaterial in den Soundprozessor (z. B.
Auditory Speech Sounds Evaluation (ASSE)) ermöglichen die Testung in Räumen, die keinen
anspruchsvollen akustischen Voraussetzungen genügen und garantieren die isolierte
Testung des versorgten Ohres ohne Mit- oder Überhören auf dem Gegenohr.
CI-Nutzer können an telemedizinischen Rehabilitationsprogrammen über Telefon oder
Internet teilnehmen. Die Remote-Reha-Sitzungen ähneln den Sitzungen von Face-to-Face
und ermöglichen es Patienten, sich ohne umfangreiche Reisebelastung mit Rehabilitationsexperten
auszutauschen.
Vorteile der Digitalisierung für den Patienten in der täglichen CI-Nutzung
Die Digitalisierung hat den Umgang der Patienten mit dem Cochlea-Implantat gravierend
verändert. Während die Möglichkeit der Lautstärkeverstellung und der Auswahl zwischen
mehreren Programmen bereits bei den Taschen-Sprachprozessoren möglich war, änderten
sich die Bedienmöglichkeiten bereits mit den ersten Fernbedienungen deutlich.
Heute werden von Gerätegeneration zu Gerätegeneration die individuellen Eingriffsmöglichkeiten
für den Patienten immer umfassender und der Umgang mit dem CI zunehmend komfortabler.
Signalvorverarbeitung, teilweise mit automatischer Situationserkennung und entsprechender
automatischer Anpassung mit dem Ziel der bestmöglichen Beherrschung komplexer Hörsituationen
(Bsp. Scan-Programm, Fa. Cochlear Ltd.), wird von den meisten Patienten erfolgreich
verwendet.
Manuelle Möglichkeiten der Anpassung an die jeweilige Hörsituation über Fernbedienungen
sind seit geraumer Zeit selbstverständlich.
Heute hat die übergroße Mehrheit der Patienten ein Smartphone und nutzt dieses sehr
aktiv. Somit ist die Einbindung des Smartphones in die Sprachrozessorbedienung über
SmartApps nur zwangsläufig. Dabei gehen die Möglichkeiten über die bekannten Einstellmöglichkeiten
mit den bisherigen Fernbedienungen weit hinaus:
-
Programmwahl
-
Einstellung von Lautstärke und Mikrofonempfindlichkeit
-
MVBT (Cochlear Ltd.): Einstellbarkeit von MasterVolume, Bass, Treble
-
Audiostreaming
-
Bereitstellung von Nutzungsdaten für den Patienten (Anteil der Tragezeit mit Sprache,
Anzahl von „Coil-Off´s“)
-
Kontrolle des Batterieladezustands
-
Soundprozessorsuche
Wireless-Zubehör hat die Nutzung der Cochlea-Implantate revolutioniert. Ob es der
störungsfreie Musikgenuss, das gute Hören beim Fernsehen unabhängig vom Sitzplatz
ist oder die Möglichkeit das vorausfahrende CI-Kind auf dem Fahrrad akustisch erreichen
zu können oder die Möglichkeit den Referenten in einer Vortragsveranstaltung trotz
größeren Abstands gut zu verstehen, die Möglichkeit des Audiostreamings verbessert
die Hörsituation der Patienten gravierend. Das von der Handhabung her komfortable
und störungsfreie Telefonieren ohne das Telefon überhaupt aus der Tasche nehmen zu
müssen bei Nutzung eines Telefonadapters oder direkt über bluetooth ist für die Patienten
ein riesiger Gewinn. Sowohl beim Hörtraining in der Nachsorgeeinrichtung als auch
beim abendlichen Üben mit dem Hörbuch ist die Möglichkeit, das Soundsignal direkt
in den Sprachprozessor zu streamen, nicht mehr wegzudenken.
Bereits im Abschnitt über das Hörscreening wurde auf die fast unüberschaubare Anzahl
der verfügbaren Health-Apps für Android und iOS, darunter Hörtest-Apps, Otoscope-Apps,
Hörtrainings-Apps u. a. hingewiesen.
Auch im Bereich der Basis- und Folgetherapie können zur orientierenden Erfolgskontrolle
durchaus Apps zur Anwendung kommen, aber auch hier gilt die von Bright et al. [83] formulierte Erkenntnis, dass die derzeit verfügbaren Hörtest-Apps kein Ersatz für
den Goldstandard, die durch einen Spezialisten durchgeführte PTA, sein können. Aufgrund
der niedrigen Kosten, der Portabilität und leichten Zugänglichkeit können derartige
Apps aber durchaus therapiebegleitend orientierend sinnvoll sein, so auch in Ländern
mit unzureichender medizinischer Breitenversorgung.
Hier spielt die Hardware natürlich eine entscheidende Rolle. Es bedarf hierzu kalibrierter
Schallwandler mit entsprechend linearem oder zumindest bekanntem und in der App ausgleichbarem
Frequenzgang.
Des Weiteren werden Apps angeboten, die das individuelle Hörtraining mit dem Smartphone
erlauben, die Ergebnisse werden protokolliert, der Trainingserfolg anhand von Statistiken
ausgewiesen. Die im deutschsprachigen Raum derzeit bekanntesten Apps sind Asklepios
Hörtraining vom Hanseatischen Cochlea-Implant-Zentrum und Listen UP! der Fa. MED-EL.
Diese Apps ersetzen nicht das fachlich begleitete Hörtraining in einer Nachsorgeeinrichtung,
können aber bei kontinuierlicher Anwendung den Rehabililationsprozess durchaus unterstützen
und den Patienten motivieren.
Wie bereits in der Einleitung dargelegt, sind Datenspeicherung in zentralen Datenspeichern
sowie Vernetzung bei der Betreuung der CI-Patienten heute durchaus schon Realität,
so die Vernetzung von implantierender Klinik, Nachsorgeeinrichtung, Service-Partner
(z. B. Hörgeräteakustiker) und CI-Hersteller. Damit sind bspw. Serviceanfragen sehr
effizient zu lösen (
[Abb. 8]). Der Serviceerbringer muss nicht erst recherchieren, bei wem die aktuelle MAP vorliegt,
den Betreffenden erreichen und warten, bis ihm die aktuellen Daten zugeschickt werden,
wodurch sich die Lieferung des Ersatzteils leicht 1–2 Werktage verzögern könnte. Bei
jeglicher Art der Vernetzung der beteiligten Partner, bei der patientenbezogene Daten
ausgetauscht werden, sind natürlich die geltenden Vorschriften des Datenschutzes subtil
zu beachten.
Abb. 8 Vernetzung im Nachsorgeprozess.
Verbesserung des bilateralen Hörens durch digitale Signalverarbeitung und Steuerung
Ziel jeglicher Versorgung mit Hörhilfen ist ein möglichst gutes binaurales Hören.
Speziell bei der Versorgung von Patienten mit 2 Cochlea-Implantaten oder bimodaler
Hörlösung (CI auf der einen, HG auf der anderen Seite) steckt in der modernen Digitaltechnik
ein weitgehendes Optimierungspotenzial. So ist es bereits möglich, dass 2 Sprachprozessoren
oder ein Hörgerät und ein Sprachprozessor miteinander kommunizieren und zusammenarbeiten.
Dadurch kann die Fokussierung auf einen Sprecher im Störgeräusch wesentlich optimiert
werden (StereoZoom), kann die Richtung, „aus der gehört werden soll“ komfortabel festgelegt
werden (ZoomControl), kann der Ton des Telefons problemlos auf beiden Seiten gehört
werden, obwohl man sich das Telefon an nur ein Ohr hält (DuoPhone), können beide Seiten
mit nur einem Tastendruck verstellt werden (QuickSync) [84].
Bei beidseitiger Taubheit, aber nur einseitiger Versorgbarkeit mit einem CI besteht
die Möglichkeit einer sehr komfortablen CROS-Versorgung über Naida Link CROS [85].
Nachsorge – Digitaliserung – CI
Nachsorge – Digitaliserung – CI
Was bedeutet „CI-Nachsorge“?
Die CI-Rehabilitation gliedert sich in mehrere Bestandteile (siehe Absatz „Digitalisierung
in der postoperativen Phase“), wobei die lebenslange Nachsorge einen integralen Bestandteil
einnimmt. Die Nachsorge beginnt nach Empfehlungen der DGHNO beim Erwachsenen ca. 1
Jahr postoperativ und bei Kindern ca. 4 Jahre postoperativ. Sie knüpft nahtlos an
die Folgetherapie an und dauert lebenslang an.
Die CI-Nachsorge strukturiert sich in 3 Abschnitte, die audiologische, die technische
und die medizinische Nachsorge resp. Kontrolle. Das Ziel der Nachsorge soll die Stabilisierung
und Optimierung der Kommunikationsfähigkeit sein [13].
Herausforderung aus Patientensicht
Für die lebenslange Nachsorge von mit Cochlea-Implantaten versorgten Patienten sind
hohe logistische und personelle Aufwendungen notwendig. Der Patient wird möglicherweise
mit hohem zeitlichen Aufwand und damit verbundenem Arbeitsausfall, kostenintensivem
Transfer sowie mit Störungen im Familienleben belastet [86]. Zu berücksichtigen sind auch Lifestyle-Aspekte, d. h. der Patient wünscht aus persönlichen
Gründen eine ortsungebundene Nachsorge.
Herausforderung aus Kliniksicht
Durch die steigende Anzahl Hörgeschädigter (siehe Einleitung) und der resultierenden
steigenden Anzahl CI-Versorgter besteht vor dem Hintergrund eines zunehmenden Kostendrucks
die Notwendigkeit der Prozessoptimierung.
Zielführende Strategien für den Erhalt einer maximalen Versorgung sind erforderlich.
Der Anspruch dabei ist, die Höchstlevelmedizin allen Patienten zugänglich zu machen
und Kompetenzen in Behandlungszentren weiter auszubauen.
Die Digitalisierung kann dabei einen wesentlichen Beitrag leisten, jedoch ist bei
der Einführung internetbasierter Angebote der Ausbau der Internet-Bandbreite zu berücksichtigen.
Ballungszentren stellen hierbei keine Probleme dar. Entlegenere Regionen wurden hingegen
in den vergangenen Jahren wiederholt vom Breitbandausbau benachteiligt [87]. So ist das beschlossene Ziel der derzeitigen Regierungskoalition aus aktuell 33,2
Mio. Breitbandanschlüssen landesweit bis 2025 ein flächendeckendes Angebot aufzubauen
[88].
Lösungsansätze in der CI-Nachsorge
Saunders und Chisolm [89] definierten 4 Anwendungs- und Entwicklungsbereiche der „Tele-Audiologie“ (vgl. Einleitung),
die im Rahmen der Nachsorge konzeptuell Anwendung finden, um diesen Anforderungen
durch Einsatz digitaler Medien gerecht zu werden. Diese Tele-audiologischen Möglichkeiten
sind überlappend in den 3 Nachsorgemodalitäten technische, medizinische und audiologische
CI-Nachsorge einsetzbar.
Im Rahmen der technischen Nachsorge können per Video- oder Telefonkonferenz bspw.
Fernberatungen oder CAP-Messungen online vorgenommen werden. Ebenso wäre die Beratung
als „store and forward“ (vgl. Anwendungsbereiche Tele-Audiologie) und die CAP-Messung
im Rahmen eines „remote monitoring“ denkbar.
Die medizinische Nachsorge als rein telemedizinisches Angebot unterliegt spezifischen
Regularien, die an anderer Stelle dieses Referatebandes detailliert aufgeführt werden.
Bei isolierter Betrachtung der technischen Möglichkeiten bietet sich die Videokonferenz
mit „face-to-face“ Kontakt an. Klinische Untersuchungen könnten auch bei der Nachsorge,
wie bereits im Kapitel Screening beschrieben, über sog. Otoskopie-Apps abgebildet
werden [90].
Die wahrscheinlich interessantesten Möglichkeiten bei Betrachtung der Digitalisierung
ergeben sich für die audiologische Nachsorge, die regelhaft bei Auffälligkeiten in
der technischen Nachsorge stattfindet. Neben den bereits erwähnten Möglichkeiten des
persönlichen Patientenkontaktes sind bspw. „mobile health“ Angebote zur Selbstkontrolle
und zum Selbstmanagement von Sprachprozessoreinstellungen sowie für Hör- und Sprachtest-Kontrollen
hilfreich.
Hörtraining in der CI-Nachsorge
Das Hörtraining erfolgt in wesentlichen Bestandteilen im Rahmen der Basis- und Folgetherapie
nach CI (vgl. Kapitel Basistherapie). Dennoch bedeutet die Versorgung mit einem CI
lebenslanges Hörtraining und somit sind die Entwicklung des Hörtrainings im Rahmen
der Nachsorge nicht uninteressant.
Zur Verbesserung des Sprachverständnisses werden von den führenden CI-Herstellern
und aus anderen Quellen Applikationen angeboten [91]. Diese erwachsen aus der Evidenz der auditorischen Rehabilitation von Eins-zu-Eins-Situation
und bieten die Möglichkeit eines auditorischen oder audiovisuellen Trainings. Computerbasierte
Anwendungen steigern nachweislich die Motivation zum Hörtraining, was wahrscheinlich
der größte Nutzen dieser Anwendungen auf dem Weg zur Verbesserung der Sprachwahrnehmung
ist [5]
[89].
Remote-Care-Netzwerke
Über sog. Remote-Care-Netzwerke kann die Expertise des Behandlungszentrums von verbundenen,
entfernten Einrichtungen, z. B. weniger spezialisierten Kliniken, Akustikern oder
Rehazentren abgerufen werden und auch interdisziplinär stattfinden [92]. Diese angeschlossenen Behandlungseinrichtungen sollten einen primären Service wie
bspw. Kontrollen des Hörvermögens oder technische Check-ups selbst abdecken und bei
Unklarheiten und Problemen die Expertise der übergeordneten Klinik abrufen können.
Technisch kann dies über einen webbasierten „face-to-face“ Kontakt erreicht werden.
Der zugeschaltete Experte kann Einstellungen am Sprachprozessor vornehmen und Daten,
wie bspw. Nutzungsdaten, abrufen.
Folgende Technologien werden ebenfalls in Remote-Care-Netzwerken genutzt:
-
Kabelfreie Technologien, z. B. zum Echtzeitdatenabgleich mit dem Smartphone
-
Künstliche Intelligenz, bspw. zur automatisierten Einstellung von Cochlea-Implantaten
sowie Kontrollen von Einstellungen in der Nachsorge
-
Cloud-basierte Netzwerke zum Datenaustausch mit bspw. spezialisierter Klinik – Patient
– Rehaeinrichtung – nachgeordneter Klinik
Die Leistungen von Remote-Care-Netzwerken müssen standortspezifisch angepasst werden.
So ist in ländlich geprägten Regionen der Wissenstransfer in die Fläche erforderlich
und führend, um bspw. unnötige Fahrwege für Patienten zu minimieren und damit verbundene
zeitliche und monetäre Aufwendungen zu reduzieren. In Ballungszentren ist dies freilich
ebenfalls erforderlich, jedoch ist hier aufgrund der hohen Dichte an spezialisierten
Gesundheitseinrichtungen der Fokus bei eher immobilen Patienten oder zum Datenaustausch
mit standortfernen Reheinrichtungen zu sehen.
Evidenz der telemedizinischen CI-Nachsorge
Aus der Universität von Southampton und der Arbeitsgruppe von Cullington [86]
[93] wurde 2018 eine 2-armige kontrollierte, randomisierte Studie (RCT) mit dem Ziel
der Evaluation der Langzeitnachsorge über eine internetbasierte Fernnachsorge vorgestellt.
Beide Studienarme enthielten je 30 Patienten und liefen über einen Zeitraum von 6
Monaten. Getestet wurden das Sprachverstehen, das Patienten-Selbstmanagement mit dem
CI, die selbstberichtet subjektive Gehörwahrnehmung und die Lebensqualität. Die Autoren
berichten, dass die remote-care Gruppe 6 Monate nach Studienbeginn ein signifikant
besseres Sprachverstehen und einen höheren Wert beim Patienten-Selbstmanagement aufwiesen,
d. h. die Patienten hatten einen höheren Wissenstand über das CI und berichteten insgesamt
bessere Fähigkeiten beim Umgang mit dem CI. Dahingegen berichtete die Kontrollgruppe
signifikant schlechtere Werte bei der subjektiven Selbstbeurteilung des Hörvermögens.
Die Lebensqualität sei nach 6 Monaten in beiden Gruppen gleich gewesen. Die Limitationen
dieser nach dem Wissen der Autoren ersten RCT zur Nachsorge von CI-Patienten wurde
von den Autoren resümiert, dass die telemedizinische Fernnachsorge keine Universalmöglichkeit
für alle Cochlea-Implantat-Patienten darstelle, sondern vielmehr im Rahmen des shared
decision-making mit dem Patienten individuell abgestimmt werden solle.
Outcome
Die Machbarkeit der internetbasierten Nachsorge wurde gezeigt, die gleichzeitig zur
Erhebung des Outcomes genutzt werden kann. Fragebogen-gestützte Auswertungen wie bspw.
die Lebensqualität oder das subjektive Hörervermögen, können unproblematisch online
angeboten werden. Selbst bei einem Termin in der Klinik können die Daten elektronisch
bspw. über ein Tablet abgegriffen und über eine große Datenbank zugänglich gemacht
werden. Der Prozess des Big Data erfordert jedoch vorherige Absprachen zur Standardisierung,
die im Rahmen einer Konsensbildung möglichst weitreichend erwirkt werden sollten.
Die Probleme von zu kleinen Studiengruppen wurden in der Vergangenheit oft angeführt.
Die ausgeprägte Heterogenität der Erhebungsinstrumente zwischen nationalen und internationalen
Zentren ist dafür ausschlaggebend. In eigenen Arbeiten schlugen wir wiederholt die
psychometrische Testbatterie der Charité – Berlin vor [5]
[6]
[7]
[8]
[10]
[11]
[12]
[20], deren Lebensqualitätsinstrument der NCIQ in das im April 2018 erschienene Weißbuch
„CI-Versorgung“ aufgenommen wurde.
Insbesondere für die Bestimmung kleiner Effekte sind große Fallzahlen notwendig. Prädiktoren
für die zukünftige CI-Versorgung könnten bestimmt und Indikationen bestätigt werden.
Im Rahmen des „data logging“ bestünde die Möglichkeit Outcome-Daten mit anderen patientenbezogenen
Daten zu verknüpfen und somit durch ausführliche Analysen individuelle Konzepte für
den Patienten, letztendlich auch durch Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz
zu erreichen.
Perspektiven
Telemedizinische Behandlungs- und Nachsorgekonzepte sind aus anderen Bereichen der
Medizin, bspw. Kardiologie oder Psychiatrie länger bekannt und weiter fortgeschritten.
In der Cochlea-Implantat-Versorgung steht die Entwicklung noch am Anfang einer aus
Sicht der Autoren vielversprechenden Neuerung der existierenden Nachsorgemodalitäten.
Basierend auf den Aussagen von Cullington und Mitarbeitern ist zu erwarten, dass die
Telemedizin im CI-Bereich ein zusätzliches Tool sein wird, es jedoch den vor-Ort-Termin,
zumindest derzeit, nicht komplett ersetzen kann [86]
[93]
Innovationscluster Interaktive Mikroimplantate (INTAKT)
Innovationscluster Interaktive Mikroimplantate (INTAKT)
Verbundkoordination: Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT
Tinnitussuppression
Am Ende dieses Referates möchten wir ein Forschungsprojekt unserer Klinik im Rahmen
des INTAKT Verbundprojektes vorstellen, dass sich inhaltlich perfekt in die Thematik
Hörrehabilitation im Zeitalter der Digitalisierung einreiht und illustriert, wie die
Zukunft im Bereich der Hörimplantate aussehen könnte.
Das Ziel des Projektes INTAKT ist die Entwicklung, Fertigung, Charakterisierung und
präklinische Evaluierung einer neuen Generation von aktiven, vernetzten Implantaten.
Diese verfügen über Schnittstellen, die Ärzten und Patienten einen leichten Informationszugriff
zur partizipativen Entscheidungsfindung erlauben. Voraussetzung dafür ist die bedarfsgerechte,
transparente Darstellung aller erforderlichen Informationen über Zustand und Funktionalität
der Implantate einschließlich ihrer Schnittstellen zum biologischen Gewebe. Diese
neuen Interaktionsmöglichkeiten gestatten durch Anpassung der Parameter und Modi an
die jeweiligen Bedürfnisse des Patienten eine Optimierung und Funktionserweiterung
der implantierten Systeme und bieten damit die Möglichkeit der personalisierten individuellen
Patientenversorgung durch Implantate.
Zur Realisierung dieses innovativen Ansatzes des Projektes INTAKT wird ein Netzwerk
aus bis zu 12 interaktiven Mikroimplantaten entwickelt, aufgebaut und präklinisch
getestet. Die intelligente Kommunikation sowohl zwischen den Implantaten als auch
mit der zentralen externen Kommunikationseinheit und die Bewertung der erfassten Signale
erfolgt auf der Grundlage von Prinzipien der Informationsverarbeitung, d. h. Filterung
von Signalen, komprimierende Datenverarbeitung, Mustererkennung, Standard-Routinen
usw. Dies ermöglicht eine zeitliche wesentlich bessere Synchronisation einer Vielzahl
von Aktivitäten. Damit kommen die Mikroimplantate in ihrer Funktionalität physiologischen
Gegebenheiten weitestgehend nahe und können so Beeinträchtigungen der Betroffenen
aufgrund von funktionalen Defiziten besser und komplexer kompensieren.
Die Intelligenz des Systems entsteht aus der Kopplung interner und externer Systeme
auf der Basis eines sicheren Datenaustausches. Ein weiterer Vorteil gegenüber herkömmlichen
Implantaten besteht darin, dass das Netzwerk von Mikroimplantaten nicht nur an einer
einzelnen Stelle aktiv ist, sondern die Funktionalität größerer zusammenhängender
Gewebeabschnitte und Organe in ihrer Gesamtheit berücksichtigt. Dadurch können pathologische
Veränderungen nicht nur punktuell, sondern in physiologischer Weise interaktiv an
mehreren Stellen therapeutisch beeinflusst werden.
Die vernetzten Implantate kommunizieren über äußere Schnittstellen bei Bedarf mit
dem Patienten und dem medizinischen Fachpersonal. Dadurch wird eine personalisierte
Anpassung des Implantatnetzwerkes an die momentanen Bedürfnisse des Patienten möglich.
An Stelle rigider Stimulationalgorithmen tritt also eine interaktive Bedarfssteuerung.
Solche individualisierten, multilokulären und interaktiven Implantate bilden die Grundlage
für eine Vielzahl von relevanten Anwendungsszenarien.
Eine besondere Rolle innerhalb dieser Thematik kommt der Tinnitussuppression mittels
Mikroimplantaten zu. Hier eröffnen sich durch neue technische Möglichkeiten Behandlungsoptionen,
welche eine Umsetzung in eine Anwendung zur Behandlung von Patienten möglich macht.
Weitere Anwendungsbereiche betreffen die Therapie von Funktionsstörungen des Verdauungstraktes
und die Entwicklung eines neuromuskulären Stimulators zur Realisierung von Greiffunktionen.
Problembeschreibung
Tinnitus ist definiert als die subjektive Wahrnehmung eines Geräuschs bei Fehlen einer
äußeren Schallquelle. Es handelt sich nicht um ein einheitliches Krankheitsbild, sondern
um ein Symptom, das durch vielfältige Ursachen hervorgerufen werden kann (z. B. Hörstörungen,
kardiovaskuläre oder neurologische Erkrankungen, Diabetes oder Tumoren).
Tinnitus ist häufig mit Hörstörungen assoziiert, kann aber auch als unabhängiges Symptom
auftreten. Als ursächlich werden Dysfunktionen im Hörsystem angenommen. Die aktuelle
Leitlinie „chronischer Tinnitus“ fasst den derzeitigen Wissensstand zur Pathophysiologie
des Tinnitus zusammen [94] wobei nach den neuesten psycho- und neurophysiologischen Untersuchungen zu den Mechanismen
neuronaler Plastizität sowohl periphere als auch zentrale Veränderungen eine Rolle
spielen.
Die Behandlungsbedürftigkeit wird durch das Auftreten eines deutlichen Leidensdrucks
und durch vorhandene oder entstehende Komorbiditäten bestimmt. Der Leidensdruck kann
individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt sein und korreliert nicht mit der Tinnitusfrequenz
oder Lautstärke [95]. Die großen individuellen Unterschiede sind v. a. durch die unterschiedliche Ausprägung
von Begleitsymptomen und Erkrankungen wie z. B. Depressionen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen
erklärbar [96].
Der entscheidende Faktor für eine therapeutische Intervention im chronischen Stadium
ist der Schweregrad des Tinnitus. Für den chronischen Tinnitus gibt es keine kausale
Heilungsmethode. Es werden v. a. kognitive und multimodale Verhaltenstherapien angewendet,
damit es zu keinen schwerwiegenderen Komplikationen durch die Tinnitusbelastung kommt.
Darüber hinaus können hörtherapeutische Interventionen wie Trainings, Hörgeräte oder
Cochlea-Implantate zum Einsatz kommen [94]
[95]
[96]
[97].
Dennoch kann es bei Patienten mit einer hohen Tinnitusbelastung auch bei Anwendung
aller therapeutischen Optionen zu einer gravierenden Einschränkung der Arbeitsfähigkeit
und zu einer psychischen Dekompensation kommen. Dies ist neben einer enormen Einschränkung
der Lebensqualität für den Patienten auch mit hohen sozioökonomischen Kosten verbunden.
Ein verlässlich wirksames Verfahren zur Behandlung des Tinnitus wäre damit von erheblicher
medizinischer als auch sozioökonomischer Bedeutung.
Thematische Zielsetzung
Epidemiologische Untersuchungen haben gezeigt, dass die Tinnitusprävalenz bei 5–15%
liegt [98]. In Deutschland leiden ca. 10 Mio. Menschen unter einem Tinnitus. Bei 10% dieser
Betroffenen besteht ein Behandlungsbedarf. In den USA beträgt allein in der Gruppe
der US- Veteranen der Umfang der anfallenden Kosten für die Behandlung von Tinnitus
1 Mrd. US- Dollar.
Schon seit den 70er Jahren werden Therapieansätze verfolgt, bei denen eine Beeinflussung
des Tinnitus durch eine Elektrostimulation der Cochlea erzielt werden kann.
Die Auswirkungen einer elektrischen Stimulation im Rahmen der CI-Versorgung auf den
Tinnitus sind dagegen in zahlreichen Studien untersucht worden. Die aktuelle Literatur
belegt die positiven Effekte des CI auf den Tinnitus bei einer großen Anzahl von CI-Nutzern
[6]
[8]
[11]
[12]
[99]
[100]
[101]
[102]
[103]
[104]
[105]. Eigene Studien zeigen, dass das CI über die Verbesserung des Sprachverstehens hinaus,
auch zu einer Verbesserung der Lebensqualität, der Tinnitus,- und Stressbelastung
und psychischer Komorbiditäten führt [5]
[6]
[7]
[8]
[9]
[11]
[12]
[41]
[105].
Davon abgeleitet ist die thematische Zielstellung der Entwicklung eines speziellen
extracochleären Implantats für Tinnitus Patienten- unabhängig von der Hörsituation,
überaus relevant.
Die technischen Möglichkeiten der Miniaturisierung ermöglichen heute neue Wege der
Übertragung der Elektrostimulation. Physiologisch soll der Effekt auf den Tinnitus
durch eine Synchronisierung der afferenten Signale der Cochlea sowie die Unterstützung
der zentralen Neuromodulation durch Modifikation der afferenten Signale erzielt werden.
Die individuell angepasste Stimulation führt zu einer bedarfsgerechten individualisierten
Suppression des Tinnitus. Bei beidseitiger audiologischer Symptomatik ist eine Kommunikation
der Stimulationseinheiten zur Anpassung der Stimulationsparameter erforderlich. ([Abb. 9])
Abb. 9 Untersuchungen zur Suppression des Tinnitus durch elektrische Stimulation unter Einsatz
eines Multielektrodenarrays (MEA) am runden Fenster oder einer Mikro-elektrode (ds-FILE,
double sided – Filament Electrode). Quelle: „Forschungsprogramm zur Mensch-Technik-Interaktion:
Technik zum Menschen bringen“ des BMBF, Verbundprojekt INTAKT, Förderkennzeichen 16SV7875.
Ziele, Rolle und Aufgaben im Projekt
An diesem 13,5 Mio. Euro Projekt sind folgende universitäre und außeruniversitäre
Forschungsinstitute, kleine, mittelständige Unternehmen und Großunternehmen beteiligt:
Fraunhofer Gesellschaft (IBMT), Universitätsmedizin Mainz, Universitätsklinikum Heidelberg,
Charité-Universitätsmedizin Berlin, Universität Mannheim, Technische Universität Ilmenau,
GeSiM Gesellschaft für Silizium-Mikrosysteme mbH, inomed Medizintechnik GmbH, Soventec
GmbH, Wilddesign GmbH & Co. KG, IL Metronic Sensortechnik GmbH, Glück Engineering
GmbH, Würth Elektronik GmbH & Co. KG, VARTA Microbattery GmbH, Heraeus Medical Components,
CeramTec-ETEC GmbH and CETECOM ICT Services GmbH. Der Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde,
Charité-Universitätsmedizin Berlin fallen folgende Aufgabenfelder zu:
-
Ziel des Teilprojektes ist die Erfassung von Stimulationsparametern zur elektrischen
Suppression des Tinnitus sowie zur Charakterisierung der Patientenkohorte
-
Evaluierung eines durch die Projektpartner erstellten Implantates hinsichtlich der
Implantationsmöglichkeit und Überprüfung des proof of concept
-
Testung der in den klinischen Untersuchungen gewonnen Stimulationsparameter im Tiermodell
-
Die Rolle der HNO- Klinik der Charité besteht in der klinischen Erfassung der Stimulationsparameter
zur Tinnitus-Suppression und in der Durchführung der Tierexperimente.
Die Aufgabe umfasst die Durchführung und Bewertung der klinischen Studie, die Durchführung
und Bewertung der tierexperimentellen Versuche und die Anpassung sowie ggf. den Abbruch
der Studie bzw. von Teilstudien in Abhängigkeit von den im Rahmen des Projektes gewonnenen
Ergebnissen.
Die Neuheit und Attraktivität des Lösungsansatzes liegt in der Kombination einer klinischen
Studie mit Evaluierung und Präselektion einer klinisch heterogenen Patientenkohorte
(Tinnituspatienten) und der Anwendung dieser Daten im Tiermodell unter Verwendung
eines innovativen Implantatsystems.
Das Besondere an dem Verfahren ist die Testung eines zu entwickelnden Implantprototypen,
der auf klinisch einfach durchzuführende Weise zur Behandlung eines bis dato schwer
behandelbaren Erkrankungsbildes führen kann (unmet need).
Obgleich die Idee einer Elektrostimulation zur Behandlung des Tinnitus schon vor längerer
Zeit beschrieben wurde, ist die klinische Umsetzung bislang an der Entwicklung klinisch
anwendbarer Systeme zur Elektrostimulation gescheitert: Hier könnten die im Zuge des
Innovationsclusters INTAKT zu erstellenden Implantate neue Möglichkeiten eröffnen.
Schlussbemerkungen
In diesem Referat werden die aktuellen und zukünftigen Entwicklungen digitaler Anwendungen
aus dem Blickwinkel einer Cochlea-Implantat (CI) versorgenden Klinik dargestellt und
besprochen.
Durch die steigende Anzahl von Menschen mit Hörstörungen, u. a. bedingt durch die
demografische Entwicklung, die erweiterten CI-Indikationen verbunden mit einer hohen
Variabilität v. a. bei binauraler Versorgung mit Hörsystemen und der daraus resultierenden
steigenden Anzahl CI-Versorgter besteht vor dem Hintergrund begrenzter Ressourcen
die Notwendigkeit neue Wege zu beschreiten.
Auch für die lebenslange Nachsorge von mit Cochlea-Implantaten versorgten Patienten
sind hohe logistische und personelle Aufwendungen notwendig. Zu berücksichtigen sind
auch Lifestyle-Aspekte, d. h. viele Patienten wünschen sich eine ortsungebundene Nachsorge,
die sich gut in ihren Alltag integrieren lässt. Die Nutzung digitaler Medien eröffnet
auch für die in der Mobilität eingeschränkten Menschen mit Hörstörungen oder weitem
Anfahrtsweg bis zur nächsten spezialisierten Klinik die Möglichkeit mit Cochlea-Implantaten
versorgt zu werden und die Barriere des vor-Ort-Kontaktes zu überwinden.
Ziel der Bemühungen aller am Rehabilitationsprozess Beteiligter ist die Erhöhung der
Qualität der CI-Versorgung bei gleichzeitiger Erhöhung der Effizienz der eingesetzten
Mittel. Hier kommt der Digitalisierung all dieser Prozesse eine Schlüsselrolle zu.
Das Referat illustriert vielfältige digitale Anwendungen, die in allen Phasen der
CI-Versorgung zum Einsatz kommen können, von der Information und dem Screening potentieller
Kandidaten über die präoperative Evaluation und Beratung, die Operation bis zur postoperativen
Basis- und Folgetherapie und lebenslangen Nachsorge und klinischen Forschung.
„Artifical Intelligence“, „Cloud Connectivity“ und „Wireless Technology“ sind Begriffe,
die zeigen, wohin die Reise bei der CI-Versorgung geht bzw. heute schon Anwendung
finden.
Viele Patienten informieren sich bereits heute im Vorfeld eines Arztbesuches und wünschen
sich eine aktive Selbstbefähigung. Das wird durch Telemedizin und medizinische Apps
ermöglicht. Vereinfachte Anpassungen (MAP-Erstellung) lassen sich z. B. durch eine
(Semi-) Automatische MAP-Erstellung (z. B. NFS, FOX, bzw. andere Artificial Intelligence
Anwendungen) realisieren. Durch Telemedizin, Remote Care Netzwerke und Apps rückt
eine ortsnahe Versorgung der CI-Träger in greifbare Nähe. Telemedizinische Konzepte
erlauben hier völlig neue Formen der Patientenversorgung mit aktiver Beteiligung des
Patienten, wie z. B. automatisierte technische Implantatkontrolle, Remote Care, Selbstprogrammierung
und technologische Upgrades. In zentralen Datenbanken können u. a. die aktuelle MAP
z. B. im Reparaturfall speichern und technische Daten und die Hörleistungen dokumentieren.
Einige der oben skizzierten Anwendungen sind heute schon Realität, andere erst in
der Entwicklung.
Die bisherigen Entwicklungen zeigen, dass die Digitalisierung im Medizinsektor in
rasanten Schritten vorangeht. Wenngleich noch viele Rahmenbedingungen und Details
des Einsatzes digitaler Medien in der Medizin ausgestaltet werden müssen, ist diese
Entwicklung absolut notwendig.
Bei der Betrachtung der Vorteile der Digitalisierung sollten auch Limitierungen diskutiert
und Patienten und Akteure des Gesundheitswesens aktiv in diesen Prozess eingebunden
werden. So sind z. B. Remote- und Self-Fitting nur für Patienten ohne spezielle audiologische
und sonstige Besonderheiten einsetzbar.
Bezüglich der Sicherheit und des Datenschutzes in Deutschland - geregelt durch das
Datenschutzrecht, das Telekommunikationsgesetz und das Telemediengesetz – wird es
eine Herausforderung werden, dass der einzelne User stets die volle Kontrolle über
seine Daten behält.
Die Diskussion um den digitalen Fortschritt kann dabei helfen, einen Rahmen für die
digitale Ordnung zu finden, denn ohne die Expertise der Akteure im Gesundheitssystem
wird auch mit „Artificial Intelligence“ eine Qualitätssicherung medizinischer Leistungen,
zumindest in der nahen Zukunft, schwer möglich sein. Wir alle sind deshalb aufgefordert,
diesen Prozess aktiv mitzugestalten. Für uns als HNO-Ärzte bedeutet das, dass wir
neben einer hohen fachlichen Expertise auch hohen Anforderungen an die Qualifikation
und Ausbildung in Bezug auf die digitalen Anwendungen gerecht werden müssen.