Schlüsselwörter
Vitamin D - Meta-Analysen - Fraktur-Prävention
Key words
vitamin D - fractures - meta-analysis
Stand der Dinge
Jüngste Metaanalysen zu Vitamin-D-Supplementation und Frakturreduktion haben Ärzte
und Patienten dazu veranlasst, aktuelle Richtlinien zu Vitamin D infrage zu stellen.
Grundsätzlich sind Vitamin D und Kalzium wichtige Nährstoffe für die Knochengesundheit;
dazu ist ein Vitamin-D-Mangel ein etablierter Risikofaktor für Stürze, Knochenabbau
und Frakturen bei über 65-Jährigen. In den Jahren 2016 bis 2018 wurden 4 Metaanalysen
publiziert, um den Nutzen von Vitamin D für die Frakturprävention zu untersuchen.
Um die Ergebnisse dieser Analysen auf die klinische Versorgung zu übertragen, ist
es wichtig, die Ziele und Zielgruppen sowie Einschränkungen dieser jüngsten Metaanalysen
zu verstehen.
Metaanalysen zur Wirkung von Vitamin D
Kombination von Vitamin D und Kalzium
Die 2016 von Weaver et al. veröffentlichte Metaanalyse [1] hatte zum Ziel, die kombinierte Wirkung von Vitamin D mit Kalzium im Vergleich zu
Placebo zu untersuchen. Diese Metaanalyse umfasst etwa 40 % der qualitativ hochwertigen
Daten zur Frakturreduktion mit Vitamin D, die zu den aktuellen Leitlinien mit einer
Empfehlung von 800 IE Vitamin D beitrugen. Insgesamt fassten die Autoren 8 randomisiert-kontrollierte
Studien zusammen (n = 30 970 Erwachsene, überwiegendes Alter 65 +) und fanden
-
eine signifikante 15 %ige Reduktion aller Frakturen (RR = 0,85; 95 %-KI 0,73–0,98)
und
-
eine signifikante 30 %ige Reduktion von Hüftfrakturen (RR = 0,70, 95 %-KI 0,56–0,87).
Die Kombination mit Kalzium führte dazu, dass Studien mit Bolusgaben von Vitamin D
ausgeschlossen wurden und die meisten der eingeschlossenen Studien die heute empfohlene
Dosis von 800 IE Vitamin D pro Tag untersuchten. Außerdem war der Großteil der Studienpopulation
im Alter von 65 Jahren und älter und hatte damit ein erhöhtes Risiko für Stürze, Frakturen
und Vitamin-D-Mangel; die Autoren schlossen zu Hause Lebende sowie Personen aus Institutionen
ein, was den Anteil der Hochrisiko-Population für Vitamin-D-Mangel erhöhte.
Die Metaanalyse von Weaver et al. zeigte als einzige der 4 Metaanalysen eine signifikante
Reduktion der Gesamtfrakturen und der Hüftfrakturen bei einer täglichen Kombination
von Vitamin D plus Kalzium.
Frakturprävention ab 50 Jahren
2 der Metaanalysen konzentrierten sich auf die Primärprävention von Frakturen bei
Erwachsenen ab 50 Jahren, bei denen kein Risiko für Frakturen und kein Vitamin-D-Mangel
besteht [2]
[3]. Die 2017 von Zhao et al. veröffentlichte Metaanalyse [2] hatte zum Ziel, die Wirkung von Vitamin D und Kalzium individuell sowie deren Kombination
auf die Primärprävention von Frakturen bei zu Hause lebenden Erwachsenen ab 50 Jahren
zu bewerten. Die Autoren schlossen 33 Studien mit insgesamt 51 145 Männern und Frauen
ein. Der primäre Endpunkt waren Hüftfrakturen; zu den sekundären Endpunkten gehörten
jegliche nicht vertebrale Frakturen, vertebrale Frakturen und alle Frakturen. Die
Autoren schlossen jede randomisierte klinische Studie mit einer Placebo-Kontrollgruppe
oder ohne Behandlung in der Kontrollgruppe ein.
Die Autoren fanden keine signifikante Risikoreduktion von Vitamin D oder Kalzium bezogen
auf das Hüftbruch-Risiko im Vergleich zu Placebo oder keiner Kontroll-Intervention:
-
Vitamin D: RR: 1,21 (95 %-KI 0,99–1,47) und
-
Kalzium: RR: 1,53 (95 %-KI, 0,97–2,42).
Weiterhin fanden die Autoren keine signifikante Risikoreduktion von kombiniertem Vitamin
D plus Kalzium bezüglich Hüftbruch-Risiko (RR: 1,09 (95 %-KI 0,85–1,39)). Auch wurde
keine signifikante Verbesserung der anderen Fraktur-Endpunkte dokumentiert, und das
weder für die individuellen Supplemente noch deren Kombination. Die Autoren führten
zudem mehrere Untergruppenanalysen durch und dokumentierten, dass ihre Ergebnisse
im Allgemeinen konsistent waren, unabhängig von Vitamin-D- oder Kalzium-Dosis, Geschlecht,
vorbestehender Fraktur, Zufuhr von Kalzium aus der Ernährung und 25-Hydroxy-Vitamin-D-Blutspiegel.
Die Methodik und Konklusionen der Autoren wurden in einer publizierten Stellungnahme
bezüglich verschiedener Punkte kritisiert [4]. So wählten die Autoren eine Zielgruppe aus, die weniger anfällig für eine niedrige
Kalziumaufnahme und Vitamin-D-Mangel waren und ein geringes Frakturrisiko haben (Erwachsene
ab 50 Jahren und Ausschluss älterer Erwachsener in Institutionen). Ferner wurden viele
Studien eingeschlossen, die wenig Gelegenheit hatten, einen Nutzen der Interventionen
zu demonstrieren. In einem Drittel der Studien war das Follow-Up zu kurz (≤ 12 Monaten),
um einen Nutzen für das Frakturrisiko durch die Interventionen nachzuweisen, da nicht
sofort mit einem Nutzen für das Skelett gerechnet werden kann. Außerdem wurden 4 Studien
mit einem qualitativ minderwertigen Studiendesign ohne Verblindung und ohne Behandlung
in der Kontrollgruppe eingeschlossen. Und 1 Studie hatte einen inkorrekten Frakturbericht
[5]. Ebenfalls wurde die Adhärenz bezüglich Studienmedikation nicht berücksichtigt,
obgleich der Einfluss der Adhärenz in früheren Metaanalysen als signifikant belegt
wurde [6]
[7]. Bemerkenswerterweise nahmen in der stark gewichteten RECORD-Studie nur etwa die
Hälfte der Teilnehmer ihre Vitamin-D- oder Kalziumpräparate ein [8]. 8 der 12 eingeschlossenen Studien zu Vitamin D gaben das Supplement in Bolusdosen
(oral oder intramuskulär), was in der Literatur wiederholt Bedenken hinsichtlich der
Förderung von Stürzen und Frakturen aufwirft [9]
[10]. Insbesondere wurde verpasst, die Bolus-Studien in einer Subgruppen-Analyse separat
auszuwerten.
Die US-Arbeitsgruppe für Präventivmaßnahmen (US Preventive Task Force) hat 2018 sorgfältig
geprüft, ob und inwieweit ein Vitamin-D- oder Kalziumsupplement einzeln und in Kombination
zur primären Vorbeugung von Frakturen bei Erwachsenen im Alter von über 50 Jahren
beiträgt, für die kein Risiko für Osteoporose oder Vitamin-D-Mangel besteht [3]
[11]. In Anbetracht der begrenzten Daten, die für die Primärprävention verfügbar sind,
spricht sich das Gremium gegen eine tägliche Supplementation mit 400 IE oder weniger
Vitamin D und 1000 mg oder weniger Kalzium zur Primärprävention von Frakturen bei
Erwachsenen ohne Risiko aus. Für darüber liegende Vitamin-D- und Kalzium-Dosen lägen
keine ausreichenden Nachweise vor, um einen Nutzen zu bewerten. Das Gremium identifizierte
beispielsweise eine große Studie mit 4-monatlichen Gaben von 100 000 IE Vitamin D
mit einem signifikanten Nutzen für das Frakturrisiko [12] und eine große Studie mit monatlichen 100 000 IE Vitamin D ohne ein Nutzen für das
Frakturrisiko [13].
Bei den Metaanalysen von Zhao et al. [2] und der US Preventive Task Force [3] geben beide Autorenteams an, dass ihre Empfehlungen nur für gesunde, zu Hause lebende
Erwachsene im Alter ab 50 Jahren gelten, bei denen keine Osteoporose und kein Vitamin-D-Mangel
bekannt sind. Ihre Ergebnisse beziehen sich daher nicht auf das große Segment älterer
erwachsener Menschen mit einem erhöhten Risiko für Knochenbrüche und Vitamin-D-Mangel,
bei denen die Literatur günstige Wirkungen inklusive Sturzprävention belegen konnte
[11].
Individuelle Wirkung von Vitamin D
Die zuletzt publizierte Metaanalyse untersuchte die individuelle Wirkung von Vitamin
D ohne Kalzium [14]. Die Autoren identifizierten 81 verblindete und nicht verblindete randomisierte
Studien mit insgesamt 44 790 Erwachsenen über 50 Jahren. In den berücksichtigten Studien
wurde Vitamin D mit Placebo oder unbehandelte Kontrollen, oder Vitamin D mit einer
anderen Dosierung verglichen. Die Autoren berichten über keinen Effekt der Vitamin-D-Supplementation
auf Frakturen und Stürze. Sie berichten auch über keinen Nutzen von Vitamin D für
die Knochenmineraldichte (BMD), obgleich bei 3 von 5 Knochendichte-Messorten der Nutzen
von Vitamin D signifikant war:
-
0,34 % auf die gesamte Hüft-Knochendichte (p = 0,002),
-
0,76 % auf den Schenkelhals (p < 0,001) und
-
0,25 % auf die Lendenwirbelsäule (p = 0,05).
Das deutet darauf hin, dass Vitamin D tatsächlich einen, wenn auch kleinen, Nutzen
für die Knochendichte hat, und das insbesondere an der Hüfte.
In einer publizierten Kritik und Re-Analyse dieser Metaanalyse wurden mehrere weitere
Einschränkungen in der Methodik und Interpretation dieser Arbeit diskutiert [15]:
-
Die Autoren schlossen einen wesentlichen Teil der Literatur zu Vitamin D aus, nämlich
alle Studien, in denen Vitamin D mit Kalzium kombiniert und mit Placebo verglichen
wurde. Solche Studien machen etwa 40 % der qualitativ hochwertigen Daten zur Frakturreduktion
aus und haben zu den aktuellen Leitlinien mit einer Empfehlung von 800 IE Vitamin
D beigetragen. Das Ausmaß dieser Verzerrung wird in der Metaanalyse von 2016 von Weaver
et al. beschrieben (siehe oben), die eine signifikante Reduktion der gesamten Frakturen
um 15 % und eine Reduktion der Hüftfrakturen um 30 % dokumentierte [1].
-
Die Autoren schlagen vor, die aktuellen Empfehlungen zu Vitamin D entsprechend ihren
Ergebnissen zu überarbeiten. Aktuelle Richtlinien beziehen sich jedoch auf eine tägliche
Dosis von 800 IE bis 1000 IE Vitamin D, während niedrigere Dosen als unwirksam angesehen
werden [16]
[17]. Außerdem ist gut dokumentiert, dass große jährliche Bolus-Applikationen von Vitamin
D nicht mehr empfohlen werden aufgrund eines mehrfach dokumentierten erhöhten Sturz-
und Frakturrisikos [10]
[18]. In einer publizierten Re-Analyse von 8 randomisierten, Placebo-kontrollierten Studien
der Autoren bezüglich Gesamtfrakturen und 11 Placebo-kontrollierten Studien der Autoren
bezüglich Stürze, die 800 bis 1000 IE Vitamin D mit mehr als 50 % Adhärenz testeten
ohne Berücksichtigung der großen jährlichen Dosierungsversuche, zeigte sich eine signifikante
Reduktion der Gesamtfrakturen um 14 % (RR = 0,86; 95 %-KI 0,75–0,98) und eine signifikante
Verringerung der Stürze um 12 % (RR = 0,88; 95 %-KI 0,81–0,95).
Zusammenfassend sind die Limitierungen dieser Metaanalyse wesentlich und es ist zu
hinterfragen, inwieweit Folgerungen für die klinische Versorgung ableitbar sind. Tatsächlich
lässt sich aus der oben beschriebenen Re-Analyse der Richtlinien-relevanten Studien
ein gegenteiliges Signal ablesen, nämlich dass eine Vitamin-D-Supplementation in einer
täglichen Dosis von 800 bis 1000 IE das Sturz- und Frakturrisiko verringert.
Was können wir nun empfehlen?
Basierend auf den Einschränkungen der Bolland-Metaanalyse [14] und der Zielgruppe von Zhao et al. [2] und der US Preventive Task Force [3] von Erwachsenen ohne Osteoporose und Vitamin-D-Mangel ist es möglicherweise zu früh,
anhand dieser neuen Metaanalysen eine Aufhebung der Empfehlungen zu Vitamin D mit
oder ohne Kalzium zur Vorbeugung von Frakturen bei allen älteren Erwachsenen anzuregen.
Insbesondere für ältere Erwachsene mit einem erhöhten Risiko für Frakturen und/oder
Vitamin-D-Mangel ist es weiterhin sinnvoll, 800 bis 1000 IE Vitamin D pro Tag einzunehmen,
analog den Empfehlungen der International Osteoporosis Foundation [19], der US Endocrine Society [20] und NOF [21].
Hingegen sind anhand der heutigen Studienlage große jährliche Bolus-Applikationen
von Vitamin D (300 000 bis 500 000 IU) bei älteren Erwachsenen mit einem Risiko für
Frakturen schädlich und sollten in der klinischen Versorgung nicht fortgesetzt werden.
Bei einer größeren monatlichen Dosis von 100 000 IE ist eine weitere Bewertung in
Bezug auf Wirksamkeit und Sicherheit erforderlich.
Die Reduzierung des Frakturrisikos bei gebrechlichen älteren Erwachsenen ab 65 Jahren,
die 75 % aller osteoporotischen Frakturen aufweisen [22], bleibt ein wichtiges Ziel für die Volksgesundheit.
Angesichts des geringen Risikos und der geringen Kosten von Vitamin D halten wir es
für wichtig, ältere Erwachsene nicht von der täglichen Einnahme von 800 bis 1000 IE
Vitamin D abzuhalten und die optimale Dosis und Anwendung von Vitamin D weiter zu
untersuchen.