Einleitung
Im Gegensatz zu Pferden, die das Niederlegen auch aufgrund ihres Fluchtverhaltens
eher vermeiden, ist Liegen oder sogar Festliegen beim Esel häufig das auf den ersten Blick einzige Symptom. Die Ursachen hierfür können vielfältig sein und reichen von Erkrankungen mit starken
Schmerzen und Traumata über muskuloskelettale und neuronale Erkrankungen bis hin zu
metabolischen Störungen mit daraus resultierenden Erschöpfungszuständen.
Die Folgen eines zu langen Festliegens können wie beim Pferd schwerwiegend sein, da
durch das Körpergewicht einerseits Nerven und Muskeln und anderseits innere Organe
geschädigt werden können und das Aufstehen somit erschwert wird. Auch bleibende Schäden
und Todesfälle sind möglich ([Abb. 1]). Der festliegende Esel gilt daher stets als akuter Notfall und muss zu Beginn oft symptomatisch behandelt werden, bevor die zugrunde liegende
Ursache gefunden wird. Im Folgenden sollen mögliche Differenzialdiagnosen, diagnostisches
Vorgehen und akute Therapien besprochen werden, die von der Pferdemedizin abweichend
sind.
Abb. 1 Esel mit Liegestellen nach langem Festliegen.(© Ben Schröter)
Sofortmaßnahmen und Stabilisierung
Bevor die tatsächliche Ursache für das Festliegen diagnostiziert werden kann, gilt
es zunächst durch Vorbericht und klinische Untersuchung, den Kreislaufzustand des
Esels festzustellen. Die klinische Untersuchung wird wie beim Pferd durchgeführt.
Die physiologischen Parameter weichen beim Esel allerdings etwas ab:
-
Körperinnentemperatur: 36,5 – 37,7 °C
-
Herzfrequenz: 31 – 53 Schläge/Minute
-
Atemfrequenz: 13 – 31 Atemzüge/Minute
Bei der Anamnese sollten zu den gängigen Fragen nach Alter, möglichem Trauma oder
orthopädischen Erkrankungen, der Fütterung und Futteraufnahme oder Fieber im Stall
[1] beim Esel dringend auch Fragen nach vorangegangenen Behandlungen (z. B. Routinezahnbehandlungen
oder Schmiedtermin), Trennung vom Partnertier oder Orts- bzw. Haltungswechsel gestellt
werden. Esel sind von Natur aus sehr widerstandsfähig und genügsam, sie können in
sehr kargen Gegenden überleben, da sie vorübergehend mit wenig Futter und Wasser auskommen
können. Sie reagieren allerdings sehr sensibel auf Veränderung. Tierärztliches Handling, Transport und Ortsveränderung sowie Trennung vom Partnertier
kann ihnen starken Stress bereiten und zu vorübergehender Anorexie führen. Da Esel
im Vergleich zu Pferden und Ponys deutlich anfälliger sind für die Entwicklung einer
Hyperlipämie, muss diese als Differenzialdiagnose oder Folgeerkrankung bei Anorexie Beachtung
finden [2].
Auch wenn Esel deutlich kleiner sind als die meisten Pferde, stellen Ruderbewegungen
der Eselbeine und Aufstehversuche ein Verletzungsrisiko für den Menschen dar. Sind
diese so stark, dass eine Untersuchung nicht möglich ist, kann eine Sedierung mit
α2-Agonisten in folgender Dosierung durchgeführt werden:
-
Detomidin 0,02 – 0,04 mg/kg i. v.
-
Xylazin 0,25 – 1,1 mg/kg langsam i. v.
Sedativa können aber kontraproduktiv wirken, da sie den Blutdruck senken und sollten
nur wenn absolut notwendig angewendet werden. Bei Verdacht auf Obstipation sollten
keine Sedativa verabreicht werden. Bei starken Schmerzzuständen können stattdessen
frühzeitig NSAIDs zur Anwendung kommen.
Bei Vorliegen einer Dehydratation oder schlechtem Kreislaufzustand sollte eine Rehydratation über einen venösen Zugang erfolgen. Zu beachten ist, dass
Esel auch bei einem Flüssigkeitsverlust von bis zu 20% einen normalen Hämatokritwert
im Blut aufweisen können, der über eine Dehydratation hinwegtäuscht [4]. Die Bestimmung des Dehydratationsgrads beim Esel ist in der Literatur kaum beschrieben
und kann nicht ausnahmslos vom Pferd übernommen werden. Die Dehydrierung kann aber
ggf. an der kapillären Rückfüllungszeit geschätzt werden. Die Flüssigkeitstherapie
selbst entspricht hingegen in Art und Menge der des Pferdes.
Wenn der Esel in Seitenlage liegt, kann schon das Verbringen in Brust-Bauch-Lage den Kreislauf und die Atmung verbessern. Nach Stabilisierung des Kreislaufs kann
ein Aufstehversuch unternommen werden ([Abb. 2]). Der Esel kann dabei durch Antreiben oder mit mehreren Helfern durch Hebegurte
(bei kleinen Eseln auch durch ein großes Handtuch oder eine Decke) beim Aufstehen
unterstützt werden. Wichtig ist, dem Esel nicht zu viel Stress zu bereiten und ihn
nicht in die Erschöpfung zu treiben. Wenn der Esel sehr lange gelegen hat, kann es
sinnvoll sein, ihn erstmal umzulagern, um eine bessere Durchblutung der Gliedmaßen
zu gewährleisten.
Wenn der Esel schon seit mehreren Tagen festliegt, ist es sinnvoll, ihn in eine Klinik
zu transportieren, da dort eine bessere Überwachung gewährleistet ist. Esel sollten
nicht dauerhaft in einem Geschirr aufgehängt werden, wenn sie nicht selbstständig
stehen können, da der Druck auf Thorax und Abdomen zu Atembeschwerden führen kann.
Ist der Esel stabilisiert und bestenfalls aufgestanden, muss die zugrunde liegende
Ursache gefunden werden.
Abb. 2 Esel nach einem erfolgreichen Aufstehversuch nach langem Festliegen. Die Liegestellen
sind deutlich erkennbar.(© Ben Schröter)
Ursachenfindung
Wie beim Pferd zählen auch gerade bei älteren Eseln altersbedingte orthopädische Probleme, die Schmerzen bereiten oder das Tier stark schwächen, zu den häufigsten Gründen
fürs Festliegen ([Abb. 3]). Im Gegensatz zu Pferden jedoch, die sich häufig nur bei schweren Erkrankungen
und Schmerzen niederlegen, liegen Esel deutlich häufiger, wenn sie erkranken. Somit
sind die Ursachen für das Festliegen viel weiter gefasst als beim Pferd.
Abb. 3 Ruhender Esel in der Mittagspause. Nüstern und Gesichtsausdruck wirken entspannt.(©
Ben Schröter)
Häufige Ursachen sind Erkrankungen der Hufe mit starken Schmerzen.
Hufrehe
Esel sind sehr anfällig für Hufrehe und leiden häufig, anders als Pferde, an einer
subklinischen Form, die oft lange Zeit unentdeckt bleibt. Die Erkrankung schreitet
allerdings voran, auch wenn der Esel subjektiv keine Schmerzsymptome zeigt. Oft wird
die Hufrehe erst diagnostiziert, wenn sie weit fortgeschritten ist und irreversible
Schäden entstanden sind. Es macht also Sinn, einen festliegenden Esel auf Rehesymptome
zu untersuchen, auch wenn er augenscheinlich nach dem Aufstehen nicht stark lahmt.
Die Symptome sind ähnlich wie beim Pferd:
Auch beim Esel wird die Diagnostik durch eine Röntgenuntersuchung der Hufe vervollständigt.
Die Therapie besteht aus Schmerztherapie, Hufverbänden und angepasster Fütterung, wobei eine positive
Energiebilanz zum Schutz vor einer Hyperlipämie erhalten werden muss. Wegen des erhöhten
Metabolismus von NSAID beim Esel, ist die Wirkung genau zu überprüfen und gegebenenfalls
die Dosierung anzupassen. Esel können, anders als das Pferd, Hufrehe an unterschiedlichen Hufen und häufig auch hinten entwickeln. Sie sind zudem anfälliger für das Metabolische Syndrom und deshalb auch stärker für Hufrehe gefährdet.
Chronische Huferkrankungen
Zu den chronischen Huferkrankungen zählen unter anderem White Line disease, „seedytoe“,
Hufpilz (Onychomykose) und chronische Rehe. Die Erkrankungen hängen oft miteinander
zusammen und entstehen durch schlechte Pflege und Haltung, wie sie beim Esel leider
häufig zu finden sind. Sie können starke chronische Schmerzen hervorrufen und führen
womöglich nicht zum richtigen Festliegen, aber zum häufigen Ablegen des Esels.
Hyperlipämie
Esel sind sehr anfällig für die Entstehung einer Hyperlipämie. Wegen ihrer stoischen
Art werden die frühen Symptome oft übersehen und die Erkrankung schreitet in Folge
sehr schnell fort. Oft wird die Hyperlipämie dann erst im Endstadium diagnostiziert. Bei einem festliegenden Esel sollte also immer eine Hyperlipämie
ausgeschlossen werden, da diese sowohl primär als auch sekundär entstehen kann. Risikofaktoren
sind Anorexie, Übergewicht, Stress, hohes Alter, Hochträchtigkeit und Frühlaktation,
Pars Pituitary Intermedia Dysfunction (PPID, Cushing Syndrom), Hufrehe und jede Primärerkrankung,
die eine negative Energiebilanz auslöst. Die Diagnose wird durch visuelle Untersuchung
des milchig-trüb verfärbten Serums oder eine Triglyzeriderhöhung im Blut über 4,4 mmol/l
gestellt. Die Therapie der Hyperlipämie beim Esel geschieht wie folgt:
-
Bei sekundärer Hyperlipämie: Grunderkrankungen beheben
-
Flüssigkeitstherapie:
-
Zirkulationsvolumen erhalten
-
Elektrolytverschiebungen korrigieren
-
Säure-/Base-Haushalt wiederherstellen
Sofern eine gute Darmaktivität vorliegt, kann die Flüssigkeitszufuhr über die Nasen-Schlund-Sonde
erfolgen.
-
Symptomatische Therapie: NSAIDʼs, antiulzerative Medikation
-
Nutritiv:
Die Prognose ist mit einer Mortalität von 60 – 90% eher schlecht und hängt sehr stark von der frühzeitigen Erkennung und Therapie bzw.
der Schwere der Hyperlipämie ab. Die selbstständige Futteraufnahme ist ein guter Indikator
für die Prognose.
Kolik
Im Gegensatz zu Pferden, die bei schweren Magen-Darm-Koliken heftige Schmerzsymptome
zeigen, legt sich der Esel oftmals nur nieder und verweigert die Futteraufnahme ([Abb. 4]). Häufig wird dann eine einfache Obstipation vermutet und die tatsächliche Kolikursache
zu spät diagnostiziert. Damit ist möglicherweise die hohe Mortalitätsrate bei Koliken von über 51% zu erklären. Als weitere Komplikation kommt durch die verweigerte
Futteraufnahme die Gefahr der Entstehung einer Hyperlipämie erschwerend hinzu. Die
Diagnostik und Therapie erfolgt weitestgehend wie beim Pferd.
Abb. 4 Festliegender Esel mit hochgezogenen Nüstern und Koliksymptomatik.(© Ben Schröter)
Lungenfibrose
Da die meisten Esel weniger intensiv genutzt werden und aufgrund ihrer stoischen Art,
bleiben respiratorische Erkrankungen oft lange verborgen und werden erst im sehr schweren
Stadium diagnostiziert. Beim älteren Esel ist die Lungenfibrose die häufigste Erkrankung
des Respirationstraktes. Die Symptome sind ähnlich wie die der chronisch obstruktiven
Bronchitis. Die Diagnose wird mittels Thoraxröntgen gestellt, Ergebnisse einer Lungenspülprobe (BAL) können unspezifisch sein. Als mögliche
Ursache wird das asine Herpesvirus 4 und 5 vermutet. Eine Lungenfibrose führt im Normalfall
nicht zum Festliegen, kann aber im weit fortgeschrittenen Stadium, bei sehr heißen
Temperaturen und hoher Kreislaufbelastung dazu führen. Die Lungenfibrose ist irreversibel,
eine medikamentöse Therapie mit Steroiden, Antifibrotika, wie Pentoxifyllin und Bronchodilatatoren,
kann die Symptome lindern [5].
Traumata und Frakturen
Frakturen und andere schwere Traumata wie eine spinale oder zerebrale Verletzung sind
beim Esel mit einer Prävalenz von nur 5,3% eher selten [3]. Das liegt möglicherweise daran, dass der Esel ein anderes Fluchtverhalten zeigt,
vorsichtiger und mit mehr Bedacht läuft und trittsicherer ist als die meisten Pferde.
Traumata und Frakturen entsprechen in Art und Weise denen des Pferdes.
Infektionserkrankungen
Tetanus
Wie das Pferd ist auch der Esel empfindlich für Tetanussporen. Die erkrankten Tiere
sind in der Regel ungeimpft. Wichtig ist deshalb bei chirurgischen Eingriffen im Stall,
auf jeden Fall den Impfschutz zu überprüfen oder eine Simultanimpfung durchzuführen.
Typisch für eine Tetanusinfektion ist eine Versteifung der Muskulatur, eine sägebockartige
Stellung, ein spastischer Gang und im fortgeschrittenen Stadium der Prolaps des dritten
Augenlids. Esel müssen bei Tetanus nicht zwangsläufig zum Festliegen kommen, tritt
aber bei Jungtieren und Fohlen häufiger auf. Der Verlauf der Erkrankung und die Therapie
entspricht der des Pferdes.
Equine Herpesvirus-Myeloenzephalopathie (EHM)
Esel können sowohl vom equinen Herpesvirus 1 und 4 sowie vom asinen Herpesvirus betroffen
sein. Herpesviren lösen auch beim Esel die typischen respiratorischen und neurologischen
Symptome, hohes Fieber bis 39,5 °C und Aborte aus. Im Gegensatz zu Pferden allerdings,
bei denen es zu desaströsen EHV-1 Ausbrüchen kommen kann, scheinen Esel eher als stille Träger und dauerhaftes Reservoir zu dienen. Auch beim Esel wurde der neuropathogene Stamm
des EHV-1 isoliert. Die EHM zeigt sich auch beim Esel als sehr schwere Erkrankung
und kann tödlich enden, gelegentlich allerdings ohne die typischen Symptome von Paralyse,
sondern mit plötzlichen Todesfällen [6]. Bei Eseln, die stille Träger sind, kann das Virus durch Stress, wie z. B. Stallwechsel,
plötzlich reaktiviert werden. Je nach Ausmaß der EHM kann es zu Ataxie, Paraparese
oder Tetraparese mit Festliegen kommen.
Die Diagnose wird wie beim Pferd mittels Nasentupfer (PCR) gestellt, eine Verdachtsdiagnose
liegt allerdings schon vor, wenn Fieber im Stall kursiert oder mehrere Tiere die typischen
klinischen Symptome zeigen. Bei Verdacht auf eine Herpesvirusinfektion muss wie beim
Pferd sofort gehandelt werden:
-
Isolation aller Tiere mit Fieber oder typischen Symptomen
-
2 × tägliche Kontrolle der Körperinnentemperatur bei allen Tieren
-
Desinfektionsmaßnahmen etc.
Die Therapie erfolgt symptomatisch mit Antipyretika, unterstützender Fütterung und
guter Überwachung.
Myopathien
Myopathien sind beim Esel eher selten und daher in der Literatur auch selten beschrieben.
Es wird angenommen, dass Esel an der atypischen Myoglobinurie erkranken können. Das
diagnostische Vorgehen entspricht dem des Pferdes, allerdings gelten CK-Werte zwischen
36 und 360 IU/I als physiologisch.
Auch Eselfohlen können von der Weißmuskelkrankheit betroffen sein. Diagnostisches
Vorgehen und Therapie entsprechen denen des Pferdes.
Fazit
So ähnlich der Esel dem Pferd auch scheinen mag, es bestehen z. T. doch erhebliche
Unterschiede im Verhalten, der Prävalenz von Erkrankungen und der Ausprägung von Symptomen.
Die oben ausgeführten Beispiele sind abschließend in [Tab. 1] zusammengefasst.
Tab. 1 Unterschiede zwischen Pferd und Esel.
Merkmal, Symptom, Erkrankung
|
Typisch Pferd
|
Typisch Esel
|
Hinlegen
|
nur im äußersten Notfall, bei unerträglichen Schmerzen
|
schnell und häufig, oft das einzige Symptom
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Hyperlipidämie
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selten, Ponys und stark verfettete Pferde prädisponiert
|
gesamte Tierart prädisponiert
|
Dehydrierung
|
gut durch Hämatokrit (HKT) widergespiegelt
|
starke Kompensationsleistung des Organismus, HKT schlechter Indikator
|
Hufrehe
|
Vordergliedmaße stärker betroffen, starke, pathognomonische Schmerzsymptomatik
|
unterschiedliche Ausprägung, auch nur eine Gliedmaße betroffen, verläuft oft subklinisch
|
Koliksymptome
|
oft hochdramatische Schmerzsymptomatik
|
häufig lediglich Anorexie und Niederlegen
|
Prävalenz von Verletzungen und Traumata
|
hoch
|
gering
|
Tetanus
|
Festliegen mit Todesfolge
|
Adulte müssen nicht zwangsläufig ins Festliegen kommen
|
EHV-1-Infektion
|
schwere Krankheitsverläufe häufig
|
oft nur stille Träger
|