Einleitung
Seit 2012 wurden in der Schweiz vermehrt invasive Infektionen wie Endokarditis und
Spondylodiscitis durch Mycobacterium chimaera diagnostiziert. Detaillierte Ausbruchsuntersuchungen haben ergeben, dass die Pathogen-Übertragungen
während vorheriger kardiochirurgischer Operationen über ein im Operationssaal stehendes
Thermoregulationsgerät erfolgten. In den letzten 5 Jahren konnte gezeigt werden, dass
es sich hierbei um ein weltweites Ausbruchsgeschehen handelte. Die Latenz von der
Exposition bis zum Auftreten von Symptomen kann mehrere Jahre betragen und das klinische
Bild ist recht unspezifisch, kann aber verschiedenen pneumologischen Erkrankungen
und insbesondere der Sarkoidose sehr ähneln. Der Pneumologie kommt als Fachrichtung
daher eine besondere Bedeutung zu, insbesondere bei der Diagnosestellung und Behandlung
von Patienten mit M. chimaera-Infektionen sowie in Bezug auf die differenzialdiagnostische Abgrenzung gegenüber
anderen granulomatösen Erkrankungen. Wir möchten daher im Folgenden die klinischen
und mikrobiologischen Charakteristika von M. chimaera, das aktuelle Ausbruchsgeschehen im Zusammenhang mit früheren kardiochirurgischen
Operationen sowie diagnostische und therapeutische Besonderheiten der M. chimaera-Infektion für den behandelnden Pneumologen zusammenfassend darstellen.
Mikrobiologische Charakteristika
Mikrobiologische Charakteristika
Der sog. M. avium-intracellulare complex umfasst mehrere eng verwandte Mykobakterien-Spezies, die teilweise nur mit
molekulardiagnostischen Methoden sicher voneinander unterschieden werden können. Hauptvertreter
sind M. avium (mit verschiedenen Subspezies) und M. intracellulare, jedoch wurden in den letzten Jahren zahlreiche weitere Spezies identifiziert, so
im Jahr 2004 auch M. chimaera [1]. Der Erstbeschreiber dieses Keims, ein italienischer Mikrobiologe, schlug diesen
Speziesnamen vor, da M. chimaera verschiedene genetische Charakteristika aufweist, die vorher als typisch für unterschiedliche
Mykobakterien galten, sodass ihn M. chimaera an die Chimäre, ein griechisches Fabelwesen, welches aus Körperteilen dreier unterschiedlicher
Tiere bestand, erinnerte. M. chimaera gehört zu den langsam wachsenden Mykobakterien und ist zur Biofilm-Bildung auf verschiedenen
Oberflächen befähigt.
Klinische Bedeutung von M. chimaera-Nachweisen
Klinische Bedeutung von M. chimaera-Nachweisen
Die potenzielle klinische Relevanz von M. chimaera-Nachweisen aus Patientenmaterialien wurde vor dem aktuellen Ausbruchsgeschehen in
der Herzchirurgie kaum untersucht, da eine exakte Differenzierung dieser noch recht
„neuen“ Spezies innerhalb des M. avium-intracellulare complex bei Nachweis aus respiratorischen Materialien nur in Ausnahmefällen durchgeführt
wurde. Generell wird die Virulenz als eher niedrig eingeschätzt, und zumeist handelt
es sich bei Nachweisen aus respiratorischen Sekreten am ehesten um eine Kolonisation.
Ein einmaliger Nachweis von M. chimaera stellt also nicht per se eine Indikation zur umgehenden Therapie-Einleitung dar; vielmehr sollte z. B. anhand
der Kriterien der American Thoracic Society (ATS) und der Infectious Diseases Society
of America (IDSA) [2] überprüft werden, ob Hinweise auf das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen atypischen
Mykobakteriose vorliegen. I.d.R. ist dies bei wiederholtem Nachweis, respiratorischer
Symptomatik des Patienten ohne sonstigen Keimnachweis und deutlichen Lungenstruktur-Veränderungen,
die bspw. computertomografisch dokumentiert wurden, der Fall. Eine der wenigen Studien,
bei der vergleichend diese Kriterien für M. avium, M. chimaera und M. intracellulare zur Anwendung kamen, ergab bei 448 positiv getesteten respiratorischen Patientenproben
einen 28 %igen Anteil von M. chimaera. Es fand sich dabei, dass M. chimaera-Nachweise seltener als die anderen beiden Spezies die ATS/IDSA-Kriterien für eine
behandlungsbedürftige Infektion erfüllten, jedoch häufiger bei Patienten mit medikamentöser
Immunsuppression gefunden werden konnten [3].
Eine erhöhte klinische Bedeutung von M. chimaera besteht bei Patienten mit Mukoviszidose oder chronisch obstruktiver Lungenerkrankung
(COPD). Es erscheint darüber hinaus wahrscheinlich, dass Organtransplantierte oder
aus anderen Gründen medikamentös immunsupprimierte Patienten ebenfalls ein erhöhtes
Risiko für Infektionen durch M. chimaera aufweisen, hierzu liegen jedoch keine detaillierten Studiendaten vor.
M. chimaera bei herzchirurgisch behandelten Patienten
M. chimaera bei herzchirurgisch behandelten Patienten
Epidemiologie und Transmission von M. chimaera
Im Jahr 2012 wurden bei 2 Patienten am Universitätsspital Zürich eine Blutstrominfektion
und eine Prothesenendokarditis mit Nachweis von M. chimaera diagnostiziert [4]. Beide Patienten waren zu unterschiedlichen Zeitpunkten stationär behandelt worden
und hatten keinen Kontakt zueinander. Eine Typisierung des in diesem Zusammenhang
ungewöhnlichen Erregers zeigte jedoch eine weitgehende molekulargenetische Identität
beider Bakterienstämme, sodass eine gemeinsame Infektionsquelle wahrscheinlich erschien.
Es wurde daher in Zürich eine umfangreiche Ausbruchsuntersuchung initiiert, in deren
Rahmen 4 weitere Patienten mit M. chimaera-Infektionen identifiziert wurden. Alle Patienten waren zuvor unter Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine
in einer kardiochirurgischen Abteilung operiert worden [5]. Detaillierte Untersuchungen ergaben den Nachweis von M. chimaera in Wassertanks von Thermoregulationsgeräten (sog. Heater-Cooler-Units, HCUs), die
bei Operationen mit Herz-Lungen-Maschine eingesetzt werden. Da das zur Befüllung genutzte
Wasser vor Kontakt mit den HCU-Wasserreservoirs keimfrei war und eine Besiedlung mit
M. chimaera erst nach einer gewissen Mindestverweildauer in den HCUs vorlag, wurden diese Thermoregulationsgeräte
als mutmaßliche Ursache der Kontamination vermutet. Eine deutsche Arbeitsgruppe konnte
bald darauf eine Kontamination von fabrikneuen HCUs der Firma Sorin (jetzt LivaNova)
vom Typ 3 T nachweisen, sodass eine Verunreinigung im Rahmen des Herstellungsprozesses
als Ausbruchsursache angenommen wurde [6].
HCUs verfügen i. d. R. über mehrere Kreisläufe, welche über ein gemeinsames Wasserreservoir
versorgt werden. Aufgrund der entstehenden Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsschwankungen
ergibt sich die Notwendigkeit, dass die Geräte knapp über dem höchstmöglichen Wasserstand
eine Be- und Entlüftungsvorrichtung haben. Über die Be- und Entlüftungen können Aerosole
aus dem Gerät in die Umluft abgegeben [5] und über Lüfter im unteren Teil des Gerätes innerhalb des Operationssaales verteilt
werden. Eine weitere Studie zeigte, dass nicht nur die Be- und Entlüftungsvorrichtungen
der HCUs Aerosole an die Umgebung abgeben, sondern dies auch über eine nicht komplett
abgedichtete Bodenplatte im oberen Teil der HCU geschieht [7]. Erregerhaltige Aerosole, die aus eingeschalteten HCUs abgegeben werden, können
dabei innerhalb von Minuten im gesamten Operationssaal nachgewiesen werden [8].
Die intraoperative, Areosol-gebundene Übertragung von M. chimaera aus kontaminierten HCUs auf Patienten gilt mittlerweile als erwiesen, und der Nachweis
genetisch sehr ähnlicher Stämme in unterschiedlichen Ländern stützt die Hypothese
der Kontamination von HCUs während des Herstellungsprozesses. Kontaminierte HCU konnten
weltweit an diversen Standorten nachgewiesen werden [9]
[10]. Aktuell sind international über 120 Erkrankungsfälle beschrieben, davon 11 Infektionsfälle
in Deutschland ([Abb. 1]). Aufgrund der unterschiedlichen Latenz zwischen der Operation und dem Beginn der
Symptomatik von mehreren Monaten bis Jahren ist von einer größeren Zahl infizierter,
aber klinisch (noch) inapparenter Patienten auszugehen [11]. In Deutschland werden Erkrankungen mit M. chimaera bei herzchirurgisch behandelten Patienten als nationales nosokomiales Ausbruchsgeschehen
bewertet und sind nach § 6 Abs. 3 Infektionsschutzgesetz meldepflichtig (https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Krankenhaushygiene/Aufb_MedProd/Mycobacterium_chimaera.html). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass sich eine Erregerübertragung
über mit Wasser gefüllte HCUs nicht auf M. chimaera beschränkt, sondern auch für andere Pathogene denkbar ist. So wurde bspw. in einem
im Jahr 2017 publizierten Bericht aus den USA über eine ähnliche Kontamination mit
Mycobacterium abscessus berichtet, welche zu mehreren behandlungsbedürftigen Infektionen führte [12].
Abb. 1 Weltweit dokumentierte Fälle von invasiven Mycobacterium chimaera-Infektionen in Verbindung mit vorheriger kardiochirurgischer Behandlung. Bis zum
Jahresende 2018 handelte es sich um etwa 120 Patienten.
HCU-Hersteller und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)
haben als infektionspräventive Maßnahme empfohlen, die HCUs außerhalb des OP-Raums
zu betreiben (https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/ Medizinprodukte/DE/Hypothermiegeraete.html). Diese Maßnahme wird von vielen herzchirurgischen Kliniken in Deutschland seit mehreren
Jahren konsequent umgesetzt. Bedingt durch die daraus resultierende deutlich längere
Schlauchleitung kommt es jedoch zu einer (zu) großen Pump- und Gerätebelastung der
HCUs, sodass mehrere Hersteller nun auch komplett abgedichtete, mit einem Filtersystem
ausgestattete Geräte anbieten. Das Wasser in den HCU-Tanks ist mindestens einmal wöchentlich
auszutauschen. Im Rahmen dieses Wasserwechsels erfolgt auch eine Reinigung und Desinfektion
des Tanks und des gesamten Systems inklusive aller Schläuche.
Bedeutung von M.chimaera in der Intensivmedizin
In der Intensivmedizin kommen bei der Behandlung von Patienten mittels extrakorporaler
Membranoxygenierung (ECMO) und extrakorporaler CO2-Entfernung (ECCO2R) ähnliche Thermoregulationsgeräte wie in der Kardiochirurgie zum Einsatz. Die ECMO
wird in der pneumologischen Intensivmedizin zur Behandlung der hypoxämischen Insuffizienz
bei Patienten mit schwerem akutem Lungenversagen (ARDS) sowie zur Überbrückung vor
geplanter Lungentransplantation bei Kandidaten mit terminalem Lungenversagen eingesetzt
[13]
[14]. Eine Indikation für eine ECCO2R kann u. a. die Behandlung des ventilatorischen Versagens bei Patienten mit akuten
COPD-Exazerbationen sein [15]. Bei beiden Therapieformen kommen Thermoregulationsgeräte zum Einsatz, die ein ähnliches
Funktionsprinzip wie die HCUs in der Kardiochirurgie haben. M. chimaera konnte auch in diesen intensivmedizinisch eingesetzten Geräten in bis zu 50 % der
untersuchten Einheiten nachgewiesen werden [16]. Darüber hinaus war das Mykobakterium bei einigen ECMO-Patienten im Laufe der Therapie
auch vorübergehend in Bronchialaspiraten nachweisbar. Es ist derzeit unklar, ob aus
diesen Befunden eine klinische Relevanz abgeleitet werden kann, zumal es sich bei
diesen Thermoregulationsgeräten im Unterschied zu HCUs um geschlossene Systeme handelt.
Eine aktive Untersuchung auf das Vorhandensein von M. chimaera ist jedoch zu empfehlen, da mittels ECMO/ECCO2R behandelte Patienten aufgrund häufig vorliegender struktureller Lungenerkrankungen
oder dauerhafter Immunsuppression ein besonders vulnerables Patientenkollektiv für
die Entwicklung schwerwiegender Infektionen darstellen [16]. Allgemeine Komplikationen extrakorporaler Verfahren können im Zusammenhang mit
der Kanülierung auftreten, ferner kommt es häufiger zu Blutungen und thromboembolischen
Komplikationen sowie zu nosokomialen Pneumonien und Bakteriämien [17].
Klinik
Die korrekte Diagnosestellung einer invasiven M. chimaera-Infektion wird durch eine unspezifische klinische Symptomatik sowie die lange Latenz
zwischen der intraoperativen Exposition und der erstmaligen Manifestation von Krankheitssymptomen
erschwert. Infizierte können Monate bis Jahre asymptomatisch bleiben; die mittlere
Inkubationszeit liegt bei 1,6 Jahren, kann aber bis zu 6 Jahre oder länger betragen
[18]. Die häufig vorliegenden kardiopulmonalen Komorbiditäten der kardiochirurgischen
Patienten erschweren es zudem, den Bezug zwischen der aktuellen Symptomatik und der
vorangegangenen Exposition herzustellen.
Betroffene Patienten können unter Müdigkeit, Fieber, Nachtschweiß, Dyspnoe und Gewichtsverlust
leiden [7]
[19] und weisen häufig eine Kombination von mehreren dieser Krankheitszeichen auf [20]
[21]. Kardiale bzw. vaskuläre Manifestationen sind ebenfalls häufig, neben Kunstklappen-
und Gefäßprotheseninfektionen traten in bisher publizierten Fallserien v. a. sternale
Wundinfektionen und Osteomyelitiden auf [5]
[21]
[22]. Weitere klinische Indizien sind eine begleitende Hepatosplenomegalie, zuvor nicht
beschriebene Herzgeräusche sowie rekurrente Haut- und Weichteilinfektionen. Laborchemisch
können Blutbildveränderungen (Anämie, Leukopenie, Thrombopenie), erhöhte Infektparameter
(C-reaktives Protein; CRP) und ein Anstieg der Leberwerte (Alanin-Aminotransferase,
Aspartat-Aminotransferase, γ-Glutamyltranspeptidase) auftreten. OP-Charakteristika,
Symptome und klinische Befunde dreier größerer publizierter Fallserien sind in [Tab. 1] zusammengefasst.
Tab. 1
Klinische Charakteristika von invasiven Mycobacterium chimaera-Infektionen nach vorheriger kardiochirurgischer Operation in 3 größeren, publizierten
Fallserien.
|
Referenz
|
Land
|
Operationszeitraum
|
N
|
Art der Operationen und Häufigkeit (%)
|
Durchschnittliche Latenz bis zur Diagnose (Jahre)
|
Identifizierter Infektfokus und Häufigkeit (%)
|
Symptome und deren Häufigkeit (%)
|
Klinische Befunde und deren Häufigkeit (%)
|
Auffällige Laborbefunde (%)
|
Mortalität (%)
|
|
Appenheimer et al. [33]
|
USA
|
Bis 2016
|
24
|
[Mehrfachnennung möglich]
|
1,6 (0,1 – 6,3 )
|
|
Keine Angabe
|
Keine Angabe
|
Keine Angabe
|
11/24 (46)
|
|
Achermann et al. [4]
Sax et al. [5]
Kohler et al. [20]
Zweifel et al. [27]
|
Deutschland, Schweiz, Niederlande
|
2008 – 2013
|
10
|
-
Herzklappen-OP: 6 (60)
-
Herzklappen-OP + ACB: 1 (10)
-
Aortenersatz (± AKE): 2 (20)
-
Aortenersatz + Coarktektomie + Ductusverschluss + PA-Banding: 1(10)
|
1,75 (0,4 – 3,3)
|
|
|
-
Splenomegalie: 8 (80)
-
Herzinsuffizienz: 5 (50)
-
Hepatomegalie/Hepatitis: 4 (40)
-
Neu aufgetretene Herzgeräusche: 4 (40)
-
Haut-und Weichteilinfektionen: 3 (30)
-
Myositis: 3 (30)
-
Chorioidale Läsionen[*]: 5/5 (100)
-
Uveitis: 3/5 (60)
-
Papillenödem: 1 /5 (20)
|
|
5/10 (50)
|
|
Scriven et al. [21]
Chand et al. [2]
|
England
|
2007 – 2015
|
30
|
-
Herzklappen-OP: 21 (70)
-
Aortenersatz: 7 (23)
-
ACB: 2 (7)
|
1,2 (0,1 – 5,0)
|
|
|
|
|
18/30 (60)
|
Abkürzungen: AKE Aortenklappenersatz; ACB Aortokoronare Koronarbypassoperation; LVAD Linksventrikuläres Unterstützungssystem, HTX Herztransplantation, CRP C-reaktives Protein, OP Operation
* 5 Patienten wurden mittels Spaltlampen-Biomikroskopie, optischer Kohärenztomografie,
Fundusautofluoreszenz und Fluoreszeinangiografie untersucht.
Es ist von großer Bedeutung, dass neben kardiovaskulären Infektionen in bis zu 30 %
der Fälle generalisierte, nicht kardiale Verläufe beschrieben wurden [21]. Insbesondere eine ausgeprägte Dyspnoe-Symptomatik sowie das Auftreten von Husten
und/oder einer generalisierten Lymphadenopathie können Anlass für eine Vorstellung
der Patienten in der Pneumologie sein. Neben retikulären pulmonalen Veränderungen
in der thorakalen Bildgebung können eine lymphozytäre Alveolitis mit erhöhtem CD4-/CD8-Quotienten
sowie ein erhöhtes Serumkalzium und der histologische Nachweis von nichtverkäsenden
Granulomen in unterschiedlichen Organbiopsien zur Fehldiagnose einer Sarkoidose führen
[4]
[23]
[24]
[25]. In verschiedenen Fallberichten wurde aufgrund der initialen Verdachtsdiagnose einer
Sarkoidose zunächst eine immunsuppressive Therapie begonnen, was zu einer raschen
Verschlechterung des Krankheitsbildes führen kann. Typische Konstellationen, bei denen
eine weitergehende diagnostische Abklärung sinnvoll sein kann, sind in der Infobox zusammengefasst.
Anamnestische, klinische und diagnostische Hinweise auf das Vorliegen einer invasiven
M. chimaera-Infektion
Anamnestische Faktoren
Symptomatik und klinische Zeichen
-
Prothesenendokarditis
-
Entzündung endovaskulärer Fremdmaterialien
-
Unklares Fieber
-
Gewichtsverlust
-
Splenomegalie
-
Hepatitis
-
Chronische sternale Wundinfektionen
-
Granulomatöse Entzündungsreaktionen
+ Vorliegen einer potenziellen Exposition (kardiochirurgischer Eingriff mit Thorakotomie
in der Anamnese)
Infektiologische Diagnostik
-
Nachweis von M. chimaera in der Blutkultur, Biopsien oder anderen primär sterilen Materialien
-
Negative konventionelle Blutkulturen bei fieberhaftem Patienten mit Fremdkörperinfektion
und passender Anamnese
-
Erfolgter Ausschluss von Infektionen durch schwer oder gar nicht kultivierbare bakterielle
Erreger wie Bartonella, Brucella, Chlamydia, Coxiella, Legionella, Mycoplasma, Tropheryma whipplei
Weitere Hinweise auf eine potenzielle M. chimaera-Infektion
Okuläre Manifestationen wie Chorioiditis, Uveitis und Endophthalmitis können ein Hinweis
für disseminierte Verläufe sein [23]
[26]
[27]. Auch eine Hepatitis mit spezifischen histopathologischen Veränderungen scheint
nach neuesten Erkenntnissen typisch für eine M. chimaera-Infektion zu sein [28]. Bei den bisher beschriebenen Fällen zeigte sich mit einer Gesamtsterblichkeit von
bis zu 60 % im Beobachtungszeitraum [20] eine sehr ungünstige Prognose. Eine explorative Überlebensanalyse der in Großbritannien
diagnostizierten Fälle zeigte Hinweise für günstigere Verläufe bei jüngeren Patienten
mit britischer Ethnizität, Zustand nach Mitralklappenrekonstruktionen sowie operativem
Klappenersatz und niedrigerem CRP bei Diagnosestellung [21].
Eine kürzlich publizierte Studie konnte zeigen, dass die Kenntnis um die M. chimaera-Problematik im Zusammenhang mit kardiochirurgischen Operationen sowohl bei Ärzten
als auch bei Medizinstudierenden gering ist [29]. Es ist daher davon auszugehen, dass Fälle von M. chimaera-Infektionen häufiger nicht korrekt als solche identifiziert werden und keine gezielte
Diagnostik initiiert wird.
Mikrobiologische Diagnostik
Mikrobiologische Diagnostik
Die Diagnostik von M. chimaera-Infektionen unterscheidet sich nicht grundlegend von den allgemeinen Regeln für den
Nachweis von Mykobakterien, weist jedoch einige Besonderheiten auf. Liegt ein invasiv
gewonnenes Material (z. B. Lungenbiopsie, explantierte Herzklappe) oder ein respiratorisches
Sekret (z. B. Bronchialaspirat, bronchoalveoläre Lavage) vor, so ist es von entscheidender
Bedeutung, dass dem einsendenden Kliniker bewusst ist, dass die Standard-Anforderung
einer mikrobiologischen Untersuchung auf „Erreger & Resistenz“ keine Untersuchung
von Mykobakterien beinhaltet. Hierfür sind eine spezielle Materialaufarbeitung sowie
das Anlegen von spezifischen Agarkulturen unter deutlich verlängerten Inkubationszeiten
von 6 – 12 Wochen erforderlich. Wie auch in der Tuberkulose-Diagnostik sollte nach
Möglichkeit eine Kombination aus mehreren festen und flüssigen Kulturmedien zum Einsatz
kommen, wobei als Besonderheit der kulturelle Nachweis besonders gut auf sog. Middlebrook-Agar
(z. B. 7H10 – oder 7H11-Middlebrook-Agar) gelingt, der nicht standardmäßig in allen
mikrobiologischen Instituten vorgehalten wird. Nach eigenen Erfahrungen gelingt eine
Anzucht regelhaft auch mittels Flüssigkulturen in sog. MGIT-Inkubationssystemen (MGIT,
mycobacterium growth incubation tube). Kulturelles Wachstum aus Patientenmaterialien
und Umgebungsproben kann meist nach einer Inkubationszeit von etwa 10 – 21 Tagen festgestellt
werden. Eine exakte Speziesidentifizierung aus den positiven Kulturen ist mittels
verschiedener PCR-basierter Methoden (z. B. GenoType NDM, Hain LifeScience; Nehren,
Deutschland) oder per MALDI-TOF-Massenspektrometrie (beim Vorliegen entsprechender
Datenbanken zur Mykobakterien-Analyse) möglich. Da M. chimaera als relativ neu beschriebene Spezies von früher eher niedriger klinischer Relevanz
nicht durch alle Verfahren sicher von anderen Mykobakterien differenziert werden kann,
sollte insbesondere bei Mitteilung eines Befundes als „Nachweis von M. intracellulare“ aus einer Patientenprobe eine Rücksprache mit dem mikrobiologischen Labor erfolgen,
ob ein sicherer Ausschluss von M. chimaera erfolgt ist.
Zusätzlich zur kulturellen Diagnostik sollte bei invasiven Materialien immer eine
molekularbiologische Untersuchung auf das Vorliegen von M. chimaera durchgeführt werden. Die Speziesidentifikation kann z. B. durch Sequenzierung bestimmter
mykobakterieller Gene schnell und mit hoher diagnostischer Sicherheit erfolgen [30]. Wichtig ist jedoch der Hinweis, dass PCR-Systeme, die auf die Detektion des M. tuberculosis complex abzielen, nicht für den Nachweis von M. chimaera geeignet sind und auch bei dem tatsächlichen Vorliegen einer solchen Infektion ein
„falsch-negatives“ Ergebnis ergeben würden.
Besteht bei einem Patienten der Verdacht auf eine Infektion mit M. chimaera, ohne dass ein invasiv gewonnenes Probenmaterial zur Untersuchung vorliegt, ist die
sichere Diagnostik einer solchen Infektion ungleich schwieriger. Insbesondere in der
pneumologischen Praxis ist dieser Fall häufig, z. B. bei Patienten, bei denen (teilweise
seit Jahren) eine mutmaßliche Sarkoidose behandelt wird, die jedoch nicht alle Diagnosekriterien
erfüllt und bei der aufgrund einer früheren herzchirurgischen Exposition differenzialdiagnostisch
auch eine M. chimaera-Infektion in Frage kommt. In solchen Fällen sollten spezielle, für den Nachweis von
Mykobakterien optimierte Blutkulturmedien abgenommen werden – analog zur bakteriellen
Blutkulturdiagnostik gilt hierbei, dass möglichst 3 solcher Blutkulturflaschen pro
Patient gewonnen werden sollten [31]. Im deutschsprachigen Raum werden nahezu ausschließlich die Blutkultursysteme BACTEC
(Becton Dickinson; Heidelberg, Deutschland) und BacT/Alert (BioMérieux; Marcy L’Étoile,
Frankreich) eingesetzt; die für den Nachweis von Mykobakterien geeigneten Medien heißen
„MycoF Lytic“ (Becton Dickinson) bzw. „BacT/Alert MP“ (BioMérieux). Durch diese Spezialflaschen
sind die früher empfohlenen, sog. „Isolator-Blutkulturen“ zum Mykobakterien-Nachweis
weitgehend abgelöst worden. Die Sensitivität mykobakterieller Blutkulturen für den
Nachweis von M. chimaera ist unzureichend evaluiert, aufgrund des Fehlens anderer geeigneter diagnostischer
Tests ist sie jedoch aktuell die entscheidende Untersuchung zur Detektion dieser Mykobakteriose
bei Patienten, von denen kein invasiv gewonnenes Probenmaterial vorliegt.
Zum diagnostischen Vorgehen bei Patienten, bei denen eine M. chimaera-Infektion differenzialdiagnostisch in Frage kommt, wurde eine gemeinsame Handlungsempfehlung
von der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM) und der Deutschen
Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) publiziert (https://www.dgthg.de/upload/180713_AL-HandlungsempfehlungDGTHG-DGHM_Mycobac.pdf).
Antiinfektive Therapie
Die wissenschaftliche Evidenz zur Behandlung von M. chimaera-Infektionen ist gering, da aufgrund in der Vergangenheit eher niedriger Fallzahlen
kaum klinische Studien vorliegen und eine Differenzierung zwischen M. chimaera und anderen atypischen Mykobakterien nur in seltenen Fällen vorgenommen wurde. Empfehlungen
für die Therapie von M. chimaera-Infektionen werden daher häufig von Leitlinien zur Behandlung von Infektionen durch
M. intracellulare oder M. avium abgeleitet. Eine besondere Schwierigkeit besteht darin, dass nicht sicher abgeleitet
werden kann, ob ein Zusammenhang zwischen in vitro-Messungen zur Antibiotika-Empfindlichkeit und der tatsächlichen klinischen Erfolgswahrscheinlichkeit
besteht. Bei eindeutig diagnostizierten Infektionen durch M. chimaera wird eine Kombinationstherapie empfohlen, die normalerweise aus Rifampicin, Ethambutol
und einem Makrolid-Antibiotikum (Azithromycin oder Clarithromycin) besteht. Bei schweren
Fällen wird in der Initialphase die zusätzliche Gabe des nur parenteral verfügbaren
Aminoglykosids Amikacin empfohlen. Es sollte möglichst immer eine Resistenztestung
des nachgewiesenen M. chimaera-Stammes angestrebt werden, auch wenn diese nur in wenigen Referenzlaboren routinemäßig
zur Verfügung steht. Eine kürzlich publizierte Studie mit 203 klinischen Isolaten
von M. chimaera zeigte, dass die Antibiotika-Empfindlichkeit kaum Unterschiede im Vergleich zu M. intracellulare aufweist, sodass bei dem beschriebenen Therapie-Regime in den meisten Fällen von
einer Wirksamkeit ausgegangen werden kann [32].
Bei Einleitung einer antimykobakteriellen Therapie sollten – analog zur Therapie der
Tuberkulose – Tests zur Dokumentation wichtiger Organfunktionen, die evtl. durch die
Therapie beeinträchtigt werden könnten, durchgeführt werden (z. B. augenärztliche
Untersuchung vor Ethambutol-Therapie; Audiogramm vor Aminoglykosid- und Makrolid-Behandlung;
EKG-Kontrollen unter Makrolid-Therapie zur Erkennung einer etwaigen QT-Zeit-Verlängerung).
Zur optimalen Therapiedauer von M. chimaera-Infektionen liegen keine Daten vor. Aufgrund der hohen Letalität und dem gehäuft
beobachteten Auftreten sog. „breakthrough“-Mykobakteriämien bei den im Rahmen des
aktuellen Ausbruchsgeschehens bisher publizierten Fällen sollte eine Mindesttherapiedauer
von 12 – 18 Monaten nicht unterschritten werden. Manche Experten empfehlen eine lebenslange
Fortführung der Therapie, da es bisher keine diagnostischen Tests oder Prognose-Scores
gibt, die eine Erregereradikation mit ausreichend hoher Wahrscheinlichkeit vorhersagen
können (https://www.escmid.org/escmid_publications/escmid_elibrary/material/?mid=44559). Letztlich bleibt die Entscheidung zur Therapiedauer immer eine individuelle, die
auch unter Berücksichtigung der Therapieverträglichkeit zu erfolgen hat und möglichst
nach Rücksprache mit einem in der Behandlung von Mykobakteriosen erfahrenen infektiologischen
Zentrum durchgeführt werden sollte. In jedem Fall sind während der Therapie regelmäßige
Kontrollen von Blutbild, Leber- und Nierenfunktion durchzuführen, um evtl. Antiinfektiva-induzierte
Nebenwirkungen frühzeitig zu erkennen.
Aufgrund der Fähigkeit von M. chimaera, Biofilme auf Fremdmaterialien zu bilden, sollte unbedingt zusätzlich zur antiinfektiven
Therapie eine detaillierte Bildgebung zum Ausschluss einer Besiedlung von z. B. künstlichen
Herzklappen, sonstigen endovaskulären oder intrakardialen Fremdkörpern und orthopädischen
Gelenkimplantaten erfolgen. Infizierte Fremdmaterialien sollten ersetzt werden, da
ansonsten eine erfolgreiche medikamentöse Erregereradikation sehr unwahrscheinlich
ist.
Zusammenfassung für die Praxis
Zusammenfassung für die Praxis
-
Patienten mit früherer herzchirurgischer Operation (innerhalb oder außerhalb Europas),
bei denen eine Thorakotomie durchgeführt wurde und eine Herz-Lungen-Maschine mit HCU
zum Einsatz kam, sind potenziell gegenüber M. chimaera exponiert gewesen und könnten – auch noch Jahre nach dem Eingriff – eine klinisch
relevante mykobakterielle Infektion entwickeln.
-
Die weltweit beobachtete Gesamtzahl der Fälle von invasiven M. chimaera-Infektionen nach kardiochirurgischen Operationen (ca. 120 beschriebene Patienten)
ist eher niedrig, jedoch ist von einem gewissen Anteil bisher noch nicht korrekt diagnostizierter
Patienten auszugehen.
-
Bei Patienten mit in den vergangenen zehn Jahren erfolgter Thorakotomie sollte ein
ätiologisch unklares, fieberhaftes und über einen längeren Zeitraum bestehendes Krankheitsbild
auch an eine invasive M. chimaera-Infektion denken lassen, besonders bei Sarkoidose-ähnlicher Symptomatik.
-
Bei Erstdiagnose einer Sarkoidose sollte regelhaft eine Evaluation bez. des Vorhandenseins
einer M. chimaera-Exposition erfolgen.
-
Insbesondere Patienten mit endovaskulären Fremdmaterialien oder osteoartikulären Prothesen
haben durch die Biofilm-Bildung von M. chimaera ein erhöhtes Risiko für invasive Infektionen.
-
Biopsien oder andere primär sterile Materialien (z. B. explantierte Herzklappen) sollten
bei ansonsten fehlendem Keimnachweis bei entsprechenden Patienten auch auf das Vorhandensein
atypischer Mykobakterien untersucht werden. Hierzu ist die Rücksprache mit dem zuständigen
mikrobiologischen Labor notwendig.
-
Bei Patienten, deren klinische Symptomatik auch zu einer M. chimaera-Infektion passen könnte, sollten mehrere mykobakterielle Blutkulturen (spezielle
Medien!) entnommen werden, da diese essenziell für die Diagnosestellung sein können.
-
Patienten mit nachgewiesener M. chimaera-Infektion sollten über mindestens 12 – 18 Monate mit einer Kombinationstherapie aus
einem Makrolid, Rifampicin und Ethambutol behandelt werden, ggf. in Kombination mit
Amikacin und nach Möglichkeit in enger Abstimmung mit einem infektiologischen Zentrum.
-
Eine invasive M. chimaera-Infektion, die in Zusammenhang mit einem früheren kardiochirurgischen Eingriff steht,
muss an die zuständige Gesundheitsbehörde gemeldet werden.