Schlüsselwörter
venöse Funktionsdiagnostik - Phlebodynamometrie - Druckausgleichszeit
Key words
venous functional diagnostics - direct venous pressure measurement - pressure equalisation
time
Einleitung
Mit Einführung der farbkodierten Duplexsonografie in die phlebologische Diagnostik
sind die klassischen Verfahren der venösen Funktionsdiagnostik im Alltag etwas in
den Hintergrund getreten [1], [2]. Bezüglich ihrer Anwendung mag somit der eine
oder andere jüngere Kollege auf dem Gebiet der Phlebologie nur wenig praktische
Erfahrung aufweisen.
Wir möchten mit diesem dreiteiligen Artikel daher die Anwendung der entsprechenden
phlebologischen Untersuchungsmethoden mit Hilfe von anschaulichen Bildern aus dem
klinischen Alltag beschreiben. In diesem zweiten Teil wird die Phlebodynamometrie
(PDM) vorgestellt, nachdem im ersten Teil bereits die Digitale Photoplethysmografie
(D-PPG) beschrieben wurde. In einer späteren Ausgabe dieses Journals werden wir uns
dann der Venenverschlussplethysmografie (VVP) widmen.
Für die genannten Verfahren gibt es mobile Komplett-Systeme inkl. verschiedener
Mess-Sonden und Sensoren, zentraler Rechen-Einheit, Display, Drucker und
Manschetten-Halterung ([
Abb. 1
]).
Abb. 1 Mobiles Komplett-System inkl. verschiedener Mess-Sonden und
Sensoren, zentraler Rechen-Einheit, Display, Drucker und
Manschetten-Halterung.
Phlebodynamometrie (PDM)
Untersuchungsablauf
Die PDM wird am stehenden Patienten durchgeführt. Mit einer Butterflykanüle
punktiert man zuvor am sitzenden Patienten eine Vene, die optimalerweise
möglichst nah am Großzehengrundgelenk liegt ([
Abb. 2
]) [2], [3].
Abb. 2 Venenpunktion bei der PDM.
Über die punktierte Vene werden im Verlauf der Untersuchung der absolute
intravasale Druck und die Druckveränderungen im tiefen Venensytem ermittelt. Zu
diesem Zweck sind die Kanüle und der Schlauch der Kanüle mit physiologischer
Kochsalzlösung gefüllt und über eine spezielle Verlängerung mit einem
Druckwandler verbunden [2], [3].
Damit das Blut in der Butterfly-Kanüle nicht gerinnt, ist das genannte
Schlauchsystem zusätzlich mit einem Infusionsbehälter (physiologische
Kochsalzlösung) verbunden, sodass wiederholt gespült werden kann ([
Abb. 3
]) [2].
Abb. 3 Anschluss der Punktions-Butterfly und der Spülinfusion am
Druckwandler.
Im Rahmen der Untersuchung begibt sich der stehende Patient wiederholt rhythmisch
ca. 8–10 mal in den Zehenstand und zurück, sodass über die aktivierte
Muskel-Waden-Pumpe das Blut aus dem venösen Gefäßsystem gepumpt wird ([
Abb. 4
]) [2], [3]. Aufgrund dieses Manövers
sollte der Druck im venösen Gefäßsystem im Normalfall auf ca. 50 % des (von der
Körpergröße abhängigen) Ausgangswertes herabsinken.
Abb. 4 Wiederholte, rhythmische Zehenstände.
Als Nächstes wird das potentiell auszuschaltende variköse Gefäß durch einen
Stauschlauch funktionell verschlossen und das potentielle Operationsergebnis
somit simuliert ([
Abb. 5
]). Im
Anschluss wird das zuvor beschriebene Manöver erneut durchgeführt, dieses Mal
mit anliegendem Stauschlauch [2], [3].
Abb. 5 Simulation des Zustandes nach operativer Entfernung des
varikösen Gefäßes durch Anlegen eines Stauschlauches.
Funktionsprinzip
Bei der PDM können über eine punktierte Vene an der unteren Extremität absolute
Drücke und Druckschwankungen im tiefen venösen Gefäßsystem ermittelt werden.
Somit kann das Ausmaß einer potentiellen ambulatorischen venösen Hypertonie
festgestellt werden. Es ist möglich, Rückschlüsse auf den Charakter einer
venösen Funktionseinschränkung zu ziehen (Erkrankung durch Klappeninsuffizienz
und/ oder Verschluss im tiefen Venensystem bedingt?) [2], [3], [4].
Indikationen
Die PDM wid vor allem bei der Frage eingesetzt, ob bei einem postthrombotischen
Syndrom (PTS) die Ausschaltung von bestimmten Varizen mit geringem Reflux von
Vorteil ist, oder ob es sich bei den entsprechenden Gefäßen um eine sekundäre
Varikosis im Rahmen eines intakten Umgehungskreislaufes handelt [2], [3], [4]. Die PDM ist als diagnostische Methode bei
dieser Fragestellung der D-PPG überlegen, da bei ausgeprägten klinischen
Befunden häufig trophische Störungen der Haut vorliegen, welche die Anwendung
der D-PPG unmöglich machen.
Messparameter und Interpretation
Die [
Abb. 6
] zeigt die primären
Parameter, welche bei der PDM dargestellt werden.
Abb. 6 Beispiel für Untersuchungsbefund der PDM ohne anliegenden
Stauschlauch.
Auf der x-Achse ist der zeitliche Verlauf dargestellt, auf der y-Achse der Druck
im venösen Gefäßsystem, angegeben in mmHg.
Anhand der dargestellten Parameter kann abgelesen werden, auf welchen Wert P2 der
intravasale Ruhedruck P1 im venösen Gefäßsystem nach Betätigung der
Muskel-Wadenpumpe gesenkt werden kann. Die entsprechende Druckdifferenz wird als
maximaler Druckabfall (∆P) bezeichnet und stellt eine entscheidende Variable
dar, die bei der PDM berechnet wird. Eine weitere Variable ist die sogenannte
Druckausgleichszeit (t2, angegeben in Sekunden). Sie beschreibt die Zeit, die
vergeht, bis sich das venöse Gefäßsystems nach (Teil-)Entleerung wieder so weit
gefüllt hat, dass der ursprüngliche Ruhedruck erreicht ist. Die Bedeutung der
Druckausgleichszeit im Rahmen der PDM entspricht der Aussagekraft der venösen
Wiederauffüllzeit bei der D-PPG [2], [3].
[
Abb. 7
] zeigt die Ergebnisse nach
Durchführung des o. g. Manövers mit anliegendem Stauschlauch. Man sieht, dass
der Druck im venösen Gefäßsystem im Vergleich zum Testdurchlauf davor deutlich
stärker gesenkt werden konnte (der Betrag von ∆P ist größer). Weiterhin ist zu
erkennen, dass in [
Abb. 6
] die
Druckausgleichszeit t2 im Vergleich zur [
Abb.
7
] deutlich verkürzt ist. Denn in [
Abb. 6
] ist der Ruhedruck bereits nach ca. 20 Sekunden
wieder erreicht, im Gegensatz dazu in [
Abb.
7
] erst nach mehr als 40 Sekunden. Bei dem Patienten liegt somit
eine „besserbare“ Varikosis vor. Man würde daher empfehlen, die entsprechenden
Varizen operativ zu entfernen.
Abb. 7 Beispiel für Untersuchungsbefund der PDM bei anliegendem
Stauschlauch.
Hätte sich der Betrag von ∆P im Rahmen des Tests mit angelegtem Tourniquet jedoch
nicht verändert oder hätte der Betrag von ∆P bei angelegtem Tourniquet sogar
abgenommen, dann würde der Patient von einer Operation nicht profitieren [2], [3], [4].
Potentielle Fehlerquellen
Fehlerhafte Messungen treten auf, wenn eine inadäquate Venenpunktion erfolgt oder
wenn die punktierte Vene thrombosiert ist. Auch kann es dazu kommen, dass sich
die zur Venenpunktion verwendete Kanüle im Rahmen des o. g. Manövers an die
Venenwand anlegt. In letzterem Fall kann oft Abhilfe geschaffen werden, wenn ein
Zellstofftupfer unter die Kanüle gelegt wird [2], [3].
Es ist zu beachten, dass das Verfahren standardisiert ist für eine
Zimmertemperatur von ca. 20° Celsius, so dass eine Hauttemperatur des Patienten
von 20–24° C vorliegt.
Die praktische Anwendung der PDM ist prinzipiell nicht schwer. Für die
Durchführung wird jedoch geschultes Personal benötigt, um Anwendungs- und
Messfehler zu vermeiden.
Trotz der Dominanz der farbkodierten Duplexsonografie in der Diagnostik der
Phlebologie gibt es weiterhin einige Fragestellungen, bei denen klassische
Verfahren der phlebologischen Funktionsdiagnostik eine wichtige Rolle bei
der Therapieentscheidung spielen [1], [2], [3],
[5], [6]. Denn während die farbkodierte Duplexsonografie detallierten
Aufschluss über die Gefäßkaliber und die Refluxsituation des Venensystems
liefert, ist sie jedoch nicht in der Lage, eine abschließende Aussage zur
Hämodynamik zu treffen. Hierzu dient die venöse Funktionsdiagnostik und als
Referenzverfahren insbesondere die invasive Phlebodynamometrie. Sie kann
Auskunft darüber geben, ob ein Patient von einem varizenausschaltenden
Verfahren profitieren würde. Letztere Information kann mit Hilfe der
Duplexsonografie nicht gewonnen werden.