Chronische Migräne mit täglichen Kopfschmerzen – schwieriger zu behandeln als chronische
Migräne ohne tägliche Kopfschmerzen?
*** Young WB, Lopez JI, Rothrock JF, Orejudos A, Adams AM, Lipton ARB, Blumenfeld
M. Effects of onabotulinumtoxinA treatment in chronic migraine patients with and without
daily headache at baseline: results from the COMPEL Study. Journal of Headache and
Pain 2019; 20: 12.
In der Langzeitbehandlung über 2 Jahre sprechen Patienten mit chronischer Migräne
mit und ohne tägliche Kopfschmerzen auf die Prophylaxe mit Onabotulinumtoxin an.
Kommentar
Die Subgruppe mit nicht täglichen Kopfschmerzen entspricht mit im Mittel ca. 20 Kopfschmerztagen
im Monat etwa dem Patientenkollektiv der PREEMPT-Studien. Die Ergebnisse dieser Studien
wurden bestätigt. Die Nebenwirkungen der Therapie unterschieden sich auch in dem langen
Behandlungszyklus nicht von den bekannten Nebenwirkungen.
Die Gruppe der Patienten mit täglichen Kopfschmerzen ist insofern besonders interessant,
als diese Patienten schwerer betroffen waren und in den PREEMPT-Studien nicht vertreten
waren. Diese Patientengruppe zeigte trotz der höheren Zahl an Kopfschmerztagen zwar
zunächst einen geringeren absoluten wie auch relativen Rückgang der Kopfschmerztage,
allerdings wurde der Unterschied im Rückgang der Kopfschmerztage und der Abnahme der
Tage mit mäßigen bis schweren Kopfschmerzen im Langzeitverlauf immer geringer und
erreichte nach 108 Wochen Behandlung schließlich im Gruppenvergleich keine statistische
Signifikanz mehr. Die Studie belegt somit einmal mehr, dass Patienten mit chronischer
Migräne eine deutlich längere Behandlungsdauer benötigen und dass sich das Ansprechen
auf eine Prophylaxe später abzeichnet, als bei der Behandlung der episodischen Migräne.
Interessant ist, dass sich der positive Effekt sogar bei Behandlung mit der niedrigeren
Onabotulinumtoxin Dosis von 155 U gezeigt hat.
Allerdings muss man auch festhalten, dass nur 43,5 % von den initial 138 Patienten
mit täglichen Kopfschmerzen und 55,1 % der 503 Patienten mit chronischer Migräne ohne
täglichen Kopfschmerz die Studie beendeten. Hauptgründe für den Studienabbruch war
die Rücknahme der Einwilligung zur Studienteilnahme (12,8 %) und fehlende Nachbeobachtung
(11,5 %). Bei 4.9 % wurde die Studie wegen Wirkungslosigkeit vorzeitig abgebrochen.
Möglicherweise drücken diese Zahlen aus, dass die Erwartungshaltung von chronischen
Patienten gering ist und oft keine Motivation vorliegt, auf einen verzögerten Wirkeintritt
zu warten.
Stefanie Förderreuther, München
Vagusnervstimulation hemmt den trigeminoautonomen Reflex
Möller M, Schroeder CF, May A. Vagus nerve stimulation modulates the cranial trigeminal
autonomic reflex. Ann Neurol 2018; doi: 10.1002/ana.25366.
Möglicher Wirkmechanismus der nicht invasiven Vagusnervstimulation am Hals bei Clusterkopfschmerz.
Hintergrund
Die nicht invasive Vagusnervstimulation am Hals (nVNS) mit dem GammaCore®-Gerät wird intensiv zur Behandlung von Clusterkopfschmerz und Migräne untersucht.
Die Autoren gehen in der vorliegenden Arbeit der Frage nach, ob nVNS die Aktivierung
des trigeminoautonomen Reflexes, der v. a. beim Clusterkopfschmerz eine wichtige pathophysiologische
Rolle spielt, hemmen kann. Der trigeminoautonome Reflex wird durch (meist schmerzhafte)
Stimulation des Trigeminusnerven ausgelöst, und führt über eine Aktivierung des spinalen
Trigeminuskerns, des Ncl. salivatorius superior und des Ggl. sphenopalatinum über
parasympathische Efferenzen zu ipsilateraler Lakrimation und Rhinorrhö. Man geht davon
aus, dass durch die periphere Ausschüttung parasympathischer Neurotransmitter die
Aktivierung des trigeminalen Systems weiter verstärkt wird, sodass der Reflex einen
beim Clusterkopfschmerz relevanten „Teufelskreis“ darstellt.
Zusammenfassung
Als Modell für die Aktivierung des trigeminoautonomen Reflexes wurde in der vorliegenden
Studie die kinetische Oszillation in der Nasenhöhle mit dem Chordate®-Gerät verwendet, die zu einer ipsilateral betonten Lakrimation führt. Es wurden 22
gesunde Probanden in einem Cross-over-Design mit nVNS (3 x 120 s über dem linken N.
vagus), sham-Stimulation (an der Rückseite des Halses) oder keiner Stimulation behandelt.
Danach wurde die kinetische Oszillation in der linken Nasenhöhle appliziert (6 min).
Die Lakrimation wurde bds. mit einem Schirmer-Test gemessen, einmal zu Beginn des
Experiments und einmal nach der Oszillationsstimulation. Die Oszillation führte zu
einer beidseitigen (ipsilateral betonten) Lakrimation, die durch die Vorbehandlung
mit nVNS aber nicht durch die Sham-Stimulation beidseits signifikant gehemmt wurde.
Der durch die Oszillation ausgelöste Schmerz wurde durch nVNS allerdings nicht beeinflusst.
Schlussfolgerung der Studie ist, dass die nVNS den trigeminoautonomen Reflex hemmt.
Zum Mechanismus schlagen die Autoren vor, dass nVNS über eine Aktivierung des Ncl.
tractus solitarii (NTS) entweder direkt oder über einen Umweg über den Hypothalamus
den Ncl. salivatorius superior moduliert, der über das Ggl. sphenopalatinum die Lakrimation
steuert.
Kommentar
Dies ist eine bestechend einfache Studie mit einem klaren Ergebnis. Man kann allerdings
die Frage stellen, ob die Oszillationsstimulation der Nasenhöhle tatsächlich über
den trigeminoautonomen Reflex eine Lakrimation auslöst, oder über eine direkte Stimulation
des in unmittelbarer Nachbarschaft liegenden Ggl. sphenopalatinum. In jedem Fall sprechen
die Daten für eine Modulation der Efferenz des trigeminoautonomen Reflexes durch die
nVNS. Dies ist ein Ansatz, der auch bei anderen Stimulationsverfahren zur Behandlung
des Clusterkopfschmerzes verwendet wird (SPG-Stimulation mit dem Pulsante®-Gerät). In der Tat konnte eine Wirkung der nVNS zur Akuttherapie bei episodischem
Clusterkopfschmerz und zur Prophylaxe bei chronischem Clusterkopfschmerz gezeigt werden
[[1]–[3]].
Ruth Ruscheweyh, München
INFORMATION
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Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete
Übersicht bietet
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Gute experimentelle oder klinische Studie
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Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovationscharakter
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Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren methodischen
Mängeln
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Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln
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Die Kopfschmerz-News werden betreut von: Priv.-Doz. Dr. Ruth Ruscheweyh, Klinik und
Poliklinik für Neurologie, Klinikum der Universität München, Marchioninistr. 15, 81377
München, Tel. 089/440073907, ruth.ruscheweyh@med.uni-muenchen.de
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