Schlüsselwörter
Kinderrheumatologie - Biosimilars - Einsatz - Stellungnahme - GKJR
Keywords
Pediatric rheumatology - biosimilar - recommendation - GKJR
Neben den klassischen nichtsteroidalen Antiphlogistika und den Disease-Modifying-Drugs
(DMARDs) hat die Einführung der Biologika die Möglichkeiten zur Therapie und auch
das Outcome der Kinder und Jugendlichen mit Rheuma wesentlich verbessert [1]. Seit der Zulassung des 1. Biologikums sind zwischenzeitlich auch 9 Biologika für
den Einsatz in der Kinder- und Jugendrheumatologie zugelassen ([
Tab. 1
]). Die Originalpräparate genießen in Deutschland einen Patentschutz von 15 Jahren,
nach Ablauf dürfen Biosimilars zugelassen werden. Auch bei den Referenzprodukten handelt
es sich nicht um ein 100 % identisches Produkt. Durch Änderungen in der Herstellung,
sei es durch Änderung des Zellmediums, der Filter, der Produktionsanlage, durch Wechsel
der Zellen oder Zelllinien entstehen Modifikationen oder auch eine Variabilität zum
ursprünglichen Produkt. Hierbei ergeben sich unterschiedlich viele kleine oder auch
größere molekulare Änderungen, potenziell auch der Immunogenität [2].
Tab. 1
Konventionelle und biologische DMARD in der Kinderrheumatologie.
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Medikament
|
Mechanismus der Wirkung
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Verabreichung
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Kinderzulassung[
*
]
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Biosimilar
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csDMARD – conventional synthetic disease modifying antirheumatic drug
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Apremilast
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PDE4
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oral
|
nein
|
nein
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|
Leflunomid
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Pyrimidinsynthese-Inhibition
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oral
|
nein
|
Generikum
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|
Methotrexat
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Dihydrofolatreductase-Inhibition; hemmt u. a. DNA-Synthese
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oral, s. c.
|
ja
|
Generikum
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|
Sulfasalazin
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unbekannt
|
oral
|
ja
|
Generikum
|
|
tsDMARD – target synthetic disease modifying antirheumatic drug
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Baricitinib
|
JAK1, JAK2
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oral
|
nein
|
nein
|
|
Tofacitinib
|
JAK1, JAK2, JAK3, TYK2
|
oral
|
nein
|
nein
|
|
Biologika (bDMARD – biological DMARD; boDMARD – biological original DMARD; bsDMARD
– biosimilar DMARD)
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Abatacept
|
bindet an CD80/CD86 und hemmt T-Zell-Kostimulationssignal
|
IV, s. c.
|
ja
|
nein
|
|
Adalimumab
|
TNF-Inhibitor
|
s. c.
|
ja
|
ja
|
|
Anakinra
|
IL-1-Inhibitor
|
s. c.
|
ja
|
nein
|
|
Canakinumab
|
IL-1-Inhibitor
|
s. c.
|
ja
|
nein
|
|
Certolizumab
|
TNF-Inhibitor
|
s. c.
|
nein
|
nein
|
|
Etanercept
|
TNF-Inhibitor
|
s. c.
|
ja
|
ja
|
|
Golimumab
|
TNF-Inhibitor
|
s. c.
|
ja
|
nein
|
|
Infliximab
|
TNF-Inhibitor
|
IV
|
ja
|
ja
|
|
Ixekizumab
|
IL-17-Inhibitor
|
s. c.
|
nein
|
nein
|
|
Rilonacept
|
IL-1 -Inhibitor
|
IV
|
nein
|
nein
|
|
Rituximab
|
Bindet an CD20 auf B-Zellen
|
IV
|
nein
|
ja
|
|
Sarilumab
|
IL-6 -Inhibitor
|
s. c.
|
nein
|
nein
|
|
Secukinumab
|
IL-17-Inhibitor
|
s. c.
|
nein
|
nein
|
|
Tociluzimab
|
IL-6 -Inhibitor
|
IV, s. c.
|
ja
|
nein
|
|
Ustekinumab
|
IL-12/IL-23-Blockade
|
s. c.
|
ja
|
nein
|
*Die Altersbeschränkungen und unterschiedlichen Indikationszulassungen müssen berücksichtigt
werden.
Das Ziel ist auch, dass die Variabilität eines Biologikums gering gehalten wird und
sich damit nicht die Kernpunkte von Verfügbarkeit, Wirkung oder auch Verträglichkeit
verändern. Mit Ablauf des Patentschutzes können Biosimilars zugelassen werden. Biosimilars
sind Biologika mit hoher Ähnlichkeit zum Referenzprodukt (Originator) ([
Tab. 2
] erläutert die Begrifflichkeiten). Die Ähnlichkeit beruht auf Prüfung von Struktur,
Funktion, Pharmakokinetik, Pharmakodynamik, vergleichbarer klinischer Wirksamkeit
und Sicherheit, gleicher Applikationsweise und Dosis. Dies hat den Vorteil, dass das
Zulassungsverfahren verkürzt werden kann. Folglich entfällt für Biosimilars die Phase-2-Prüfung
und für die Indikationsprüfung muss das Biosimilar nur in einer „sensiblen“ Indikation
geprüft werden. Dies spart insgesamt Kosten und Zeit, sodass üblicherweise Biosimilars
günstiger als die Originatoren angeboten werden.
Tab. 2
Begrifflichkeiten.
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Begriff
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Erläuterung
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|
Biobetter
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Biologikum, welches eine bessere Wirkung oder Verträglichkeit oder Verfügbarkeit zeigt
als das Referenzbiologikum. Darf nicht als Biosimilar geführt werden.
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|
Biologikum
|
Dies sind alle Medikamente, welche aus biologischen Quellen hergestellt, semisynthetisiert
oder extrahiert werden. Hierzu gehören ebenfalls z. B. Impfstoffe, Blut und Blutkomponenten,
Allergene, Gewebe, rekombinante therapeutische Proteine.
|
|
Biomimic
|
Nachahmerpräparate zum Referenzprodukt mit unklarer oder abweichender Homologie zum
Referenzprodukt; solange die Homologie zum Referenzprodukt nicht nach den Vorgaben
der Zulassungsbehörden nachgewiesen ist, handelt es sich um ein eigenständiges Biologikum,
welches für eine geplante Zulassung alle Zulassungsverfahren absolvieren muss. Für
ein Biosimilar entfällt Phase 2 des Zulassungsverfahrens.
|
|
Biosimilar
|
im Wesentlichen das gleiche biologische Produkt wie das Referenzbiologikum mit geringer
natürlicher Variabilität
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Extrapolation
|
Ausweitung einer Zulassung auf andere Indikationen ohne direkte Studien
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Interchangeability
|
freie Auswechselbarkeit der Biosimilarpräparate oder zum Originator
|
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Originator
|
Orginalbiologikum, Referenzbiologikum
|
|
Switching
|
freier Präparatewechsel durch Apotheker
|
In Phase-3-Studien können eventuell verbleibende Fragen zu Wirkung, Sicherheit, Immunogenität
und gegebenenfalls Interchangeability in randomisierten, kontrollierten klinischen
Studien (RCTs) geprüft werden. Diesbezüglich wird empfohlen, eine Erkrankung auszuwählen,
die am besten in der Lage ist, Unterschiede zwischen Biosimilar und Referenzprodukt
nachzuweisen („sensitive patient population“). Das muss nicht zwangsläufig die Erkrankung
sein, bei der auch am ehesten Unterschiede in Sicherheitsaspekten einschließlich der
Immunogenität zu entdecken sind [3]. Die Zulassung auf andere Indikationsgebiete erfolgt durch Extrapolation. Die Frage,
ob die Extrapolation immer für das Fachgebiet Kinder- und Jugendheilkunde geeignet
ist, wird vielfach diskutiert, ist nicht durch Studien abschließend belegt, wird jedoch
im Allgemeinen akzeptiert [4].
Auf der anderen Seite besitzt die Kinder- und Jugendrheumatologie eine hohe Diversität
und im Vergleich zur Erwachsenenrheumatologie nur geringere Fallzahlen: Extrapolation
oder Neuzulassung würde für jede Indikation und Altersstufe erneut einen sehr hohen
Aufwand, Zeitverlust und Kosten bedeuten
Mit Zulassung der 1. Biosimilars in der Kinder- und Jugendrheumatologie ergeben sich
nun neue Fragen. Die Kollegen der Erwachsenenrheumatologie haben sich zuletzt eindeutig
in der „Neufassung der Stellungnahme der DGRh zu Biosimilars – Update 2017“ positioniert
[3]. Sie ersetzt eine Stellungnahme von 2014 [5]. Zugrundeliegend ist ein gemeinsames internationales Positionspapier von 2017 [6]. In Ihrer Stellungnahme äußern sich die Kollegen der Erwachsenenrheumatologie eindeutig
pro Biosimilars für zugelassene Präparate. Dies ist kongruent zu anderen deutschen
Fachgesellschaften oder auch der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
[7].
Obwohl Biologika seit 1982 und Biosimilars seit 2006 verfügbar sind und damit langjährige
Informationen zu ihrer Zulassung und Überwachung vorliegen, bestehen bezüglich Extrapolation
und Sicherheit des Wechsels von Referenzarzneimitteln auf Biosimilars weiterhin Zweifel.
Daraus resultiert eine Verunsicherung, die zu einer Zurückhaltung gegenüber dem Einsatz
von Biosimilars führt. Da auch bei Kindern Biosimilars regelmäßig verwendet werden,
z. B. Wachstumshormone oder Infliximab zur Behandlung von chronisch entzündlichen
Darmerkrankungen (siehe „Use of Biosimilars in Pediatric Inflammatory Bowel Disease:
An Updated Position Statement of the Pediatric IBD Porto Group of ESPGHAN“, [8]), will die Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie, um Zurückhaltung abzubauen
und auch Sicherheit zu geben, eine eigene Stellungnahme und Empfehlung herausgeben.
Die Stellungnahme wurde am 6. Februar 2019 im Rahmen des Qualitätszirkels Kinderrheumatologie,
von Haunersche Kinderklinik, München, vorbereitet.
Am 3. Juli 2019 fand eine Konsensusfindung in der Haunersche Kinderklinik, München,
unter Moderation von Haas, Johannes-Peter, Prof. Dr. med.; Deutsches Zentrum für Kinder-
und Jugendrheumatologie, Garmisch-Partenkirchen, unter Beteiligung von folgenden bayerischen
Kinder- und Jugendrheumatologen statt:
-
Berendes, Rainer, Dr. med; Kinderklinik Landshut
-
Danhauser, Katharina, Dr. med.; Dr. v. Haunersche Kinderklinik, München
-
Grote, Veit, Dr. med.; Klinikum Universität München
-
Heinemann, Anna Margarete, Dr. med.; Kinderarztpraxis München
-
Hügle, Boris, Dr. med.; Deutsches Zentrum für Kinder- und Jugendrheumatologie, Garmisch-Partenkirchen
-
Jansson, Annette Friederike, Priv.-Doz. Dr. med.; Abteilung für Rheumatologie & Immunologie,
Dr. von Haunersches Kinderspital, LMU München
-
Keller, Thomas; Josefinum Augsburg
-
Reutter-Simon, Gert, Dr. med.; Kinderarztpraxis Nürnberg
-
Rieber, Nikolaus, Priv.-Doz. Dr. med.; Kinderklinik Schwabing
-
Schalm, Susanne Bettina, Dr. med.; Klinikum der Universität München
-
Schoof, P.; Kinderarztpraxis München
-
Urban, Andreas, Dr. med.; Kinderklink Amberg
-
Vlcek, Christine, Dr. med.; Kinderarztpraxis Gauting
Das Statement wurde sowohl mit der Pharmakotherapiekommissionssitzung als auch mit
dem Vorstand der GKJR abgestimmt.
Im Allgemeinen ist zu beachten, dass es bislang keine Hinweise gibt, dass die Behandlung
mit „ähnlichen“ Versionen des gleichen Wirkstoffs – also unterschiedlichen Chargen
des Originators oder einem Biosimilar – zur Zunahme immunologisch bedingter Nebenwirkungen
führt.
Biosimilars enthalten als arzneilich wirksamen Bestandteil eine Version des Wirkstoffes
eines bereits in Europa zugelassenen biologischen Referenzarzneimittels. Im Rahmen
des Zulassungsverfahrens wird darauf geachtet, dass das Biosimilar dem Referenzarzneimittel
hinsichtlich der Qualität, der biologischen Aktivität, der Sicherheit und Wirksamkeit
entspricht.
Seit der Zulassung des ersten Biosimilars im Jahr 2006 sind bei keinem einzigen Biosimilar
unbekannte Sicherheitsprobleme wie z. B. schwere Nebenwirkungen aufgetreten. In zahlreichen
Switch-Studien [9], [10] zeigten sich keine Unterschiede hinsichtlich des therapeutischen Effektes oder der
Art, Häufigkeit und Schwere von Nebenwirkungen beim Wechsel von einem Referenzarzneimittel
auf ein Biosimilar.
Für Kinder und Jugendliche steht seit 2015 mit Infliximab ein bereits hauptsächlich
gastroenterologisch eingesetztes Biosimilar zur Verfügung. Dennoch war damit die Erfahrung
für Kinder- und Jugendrheumatologen mit Biosimilars gering. Der Einsatz von Infliximab
kommt in der Kinder- und Jugendrheumatologie vor allem zur Behandlung einer therapierefraktären
Uveitis anterior in Betracht. Obwohl Infliximab in der aktuellen Uveitis-Leitlinie
[11] als Therapiemöglichkeit aufgeführt ist, handelt es sich hierbei um eine „Off-label-Therapie“.
Für Infliximab-Biosimilars gibt es bereits erste publizierte Erfahrungen bei Kindern
[12]. Da jedoch hauptsächlich in der Gruppe der Medikamente mit TNF-α-Inhibition Etanercept
und Adalimumab in der Kinder- und Jugendrheumatologie zum Einsatz kommen, hat Infliximab
oder das Biosimilar für Infliximab für Kinder- und Jugendrheumatologen eine nachgeordnete
Bedeutung.
Mit Zulassung des Etanercept-Biosimilar 2017 und Adalimumab-Biosimilar 2018 gibt es
nur wenige Veröffentlichungen für Kinder [13]. Das Ziel sollte es dennoch sein, neben den allgemeinen und theoretischen Überlegungen
auch konkrete Erfahrungen für Kinder und Jugendliche in Bezug auf Etanercept-Biosimilars
und Adalimumab-Biosimilars zu bekommen.
Mit der Postmarketingüberwachung zu Biologika in der Kinderrheumatologie in Deutschland
über BIKER (BIKER-Register: Biologika in der Kinderrheumatologie) konnten viele Erkenntnisse
gewonnen werden. An der Finanzierung beteiligen sich bislang die Hersteller von für
Kinder und Jugendliche zugelassenen Originalbiologika bei der juvenilen idiopathischen
Arthritis: Enbrel® (Etanercept), Humira® (Adalimumab), RoACTEMRA® (Tocilizumab), Orencia® (Abatacept), Ilaris® (Canakinumab), Simponi® (Golimumab). Für Erwachsene gibt es ein vergleichbares Register mit RABBIT (deutsche
Register zur Langzeitbeobachtung der Therapie mit Biologika, Biosimilars und Januskinase
[JAK]-Inhibitoren bei erwachsenen Patientinnen und Patienten mit rheumatoider Arthritis).
Einige Biosimilar-Hersteller beteiligen sich an der Finanzierung des RABBIT-Registers,
so geht auch an die Biosimilar-Hersteller die Aufforderung, sich speziell am vorhandenen
BIKER-Register für Kinder äquivalent den Originator-Herstellern zu beteiligen.
KONSENSUSEMPFEHLUNGEN
-
Für Kinder und Jugendliche zugelassene Biosimilars können von Kinder- und Jugendrheumatologen
bei gleicher Indikationsstellung wie der entsprechende Originator verordnet werden.
Die Indikationsstellung zur Einstellung für kinder- und jugendrheumatologische Erkrankungen
sollte durch einen Kinderrheumatologen erfolgen. (Zustimmung 13/13)
-
Die „Interchangeability“ zwischen dem Originator und seinem Biosimilar sollte Verfügbarkeit,
altersgerechte Darreichungsform, individuelle medizinische Belange und (Langzeit-)Erfahrungen
berücksichtigen. (Zustimmung 13/13)
-
Die Therapie mit einem Originator bzw. Biosimilar sollte möglichst langfristig und
ohne zwischenzeitlichen Austausch erfolgen. (Zustimmung 13/13)
-
Ohne Information und Zustimmung des behandelnden Arztes und Patienten darf von Seiten
der abgebenden Apotheke kein Austausch eines Originators vs. eines Biosimilars bzw.
eines Biosimilars vs. anderen Biosimilars erfolgen. (Zustimmung 13/13)
-
Sicherheit und Wirksamkeit der Biosimilars sind durch bisherige Studien, Erfahrungen
und Extrapolation auch für den Einsatz bei Kindern und Jugendlichen anzunehmen. (Zustimmung
13/13)
-
Eine feste prozentuale Vorgabe für die Verschreibungshäufigkeit bestimmter Präparate
halten wir im Sinne der in der Stellungnahme aufgeführten Punkte und der Besonderheiten
der Kinder- und Jugendmedizin medizinisch für nicht sinnvoll. (Zustimmung 11/13)
-
Die Kinder- und Jugendrheumatologen halten es im Sinne der Verordnungs- und Patientensicherheit
für notwendig, prospektiv Daten zur Pharmakovigilanz für Kinder- und Jugendliche in
einem industrieunabhängigen Postmarketingregister auch für Biosimilars zu erheben.
(Zustimmung 13/13)
Von den Kassenärztlichen Vereinigungen wird derzeit auch von den Kinder- und Jugendrheumatologen
eine Biosimilarquote gefordert. Nicht für alle Dosierungen oder Verabreichungsarten
stehen für die Behandlung bei Kindern auch entsprechende Biosimilars zur Verfügung,
sodass im Einzelfall die Erfüllung einer Quote derzeit nicht für jeden behandelnden
Kinderarzt oder auch Kinderrheumatologen möglich sein wird. Ein entsprechender Kompromiss
und Entgegenkommen von beiden Seiten ist hier unumgänglich.