Schlüsselwörter
Pseudarthrose - Ultraschall - fESWT - PEMF - Frakturheilung
Key words
non-union - ultrasound - fESWT - PEMF - fracture healing
Epidemiologie
Pseudarthrosen sind regelmäßig auftretende Verletzungsfolgen. In Deutschland werden
jährlich 14 000 Patienten mit der Diagnose Nichtvereinigung der Frakturenden (M84.1)
stationär behandelt, Männer im Alter von 40 – 65 Jahren sind besonders häufig betroffen
(Statistisches Bundesamt, März 2019). Aufgrund u. a. der hohen mechanischen Belastung
sind Pseudarthrosen im überwiegenden Maße an der unteren Extremität lokalisiert. Tzioupis
und Giannoudis (2007) konnten in einer Übersichtsarbeit die höchste Prävalenz für
tibiale Pseudarthrosen nachweisen, gefolgt von Frakturheilungsstörungen des Femurs.
Pseudarthrosen der oberen Extremität sind häufiger an den paarigen Unterarmknochen
lokalisiert als am Humerus [1]. In einer weiteren Studie von Zura et al. (2016) wurde bei 309 330 Frakturen in
4,9% die Ausbildung einer Knochenheilungsstörung beobachtet. [Abb. 1] zeigt die Häufigkeiten der Pseudarthrosen in Abhängigkeit von der Lokalisation [2]. Insgesamt variiert die Pseudarthrosenrate in der Literatur stark. Einflussfaktoren
wie der begleitende Weichteilschaden und das Therapieverfahren (konservativ vs. Platten-
vs. Marknagelosteosynthese), aber auch patientenabhängige Faktoren spielen eine große
Rolle [1], [3].
Abb. 1 Häufigkeit der Pseudarthrosen in Abhängigkeit von der Lokalisation basierend auf
den Daten von Zura et al. (2016) [2]. (Quelle: Schünke M, Schulte E, Schumacher U et al., Hrsg. Prometheus LernAtlas
– Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. 5., vollständig überarbeitete Auflage.
Thieme; 2018. doi:10.1055/b-006-149643)
Definition und Klassifikation
Im deutschsprachigen Raum wird eine ausbleibende knöcherne Konsolidierung über einen
Zeitraum von 4 – 6 Monaten als verzögerte Frakturheilung bezeichnet und die fehlende
knöcherne Konsolidierung über den 6. Monat hinaus als Pseudarthrose beschrieben. Die
European Society of Tissue Regeneration in Orthopedics and Traumatology (ESTROT) und
die AO (Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen) definieren die Pseudarthrose
als Fraktur, die ohne Intervention, unabhängig von der Behandlungsdauer, nicht verheilen
wird. Grundsätzlich beinhaltet die Definition des Begriffs Pseudarthrose einen großen
ärztlichen Interpretationsspielraum, weshalb die Diagnosestellung dieser Verletzungsfolge
ein großes Maß an Erfahrung auf diesem Gebiet von dem behandelnden Arzt erfordert.
Weber und Czech (1973) klassifizierten Pseudarthrosen in biologisch reaktionsfähig
und biologisch inaktiv ([Abb. 2]) [4]. Als eigenständige Entität kann die Infektpseudarthrose und die Defektpseudarthrose
angesehen werden. Calori et al. (2008) haben mit dem Non-Union Scoring System (NUSS)
ein neues, zwischenzeitlich etabliertes Scoring System entwickelt, das zahlreiche
patientenabhängige und patientenunabhängige Faktoren berücksichtigt und die Komplexität
der Pseudarthrose widerspiegelt [5].
Abb. 2 Klassifikation der Pseudarthrosen nach Weber und Czech [4].(Quelle: Piatek S. Grundzüge der Knochenbruchheilung und ihrer Störungen. In: Lippert
H, Hrsg. Wundatlas. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2012. doi:10.1055/b-002-35728
)
Eine entscheidende Rolle spielt die bildmorphologische Unterteilung in hypertrophe,
atrophe und oligotrophe Pseudarthrosen infolge hieraus resultierender unterschiedlicher
Therapieempfehlungen und zugrunde liegender Kausalität. Im Allgemeinen ist die hypertrophe
Pseudarthrose durch eine überschießende Kallusreaktion charakterisiert, der eine mangelnde
Stabilität zugrunde liegt. Die atrophe Pseudarthrose ist auf eine insuffiziente lokale
Biologie zurückzuführen und durch fehlende Kallusbildung in der Bildgebung gekennzeichnet.
Oligotrophe Pseudarthrosen stellen ein Mischbild zwischen den beiden erstgenannten
Pseudarthrosenarten dar und bedürfen häufig neben einer Verbesserung der mechanischen
Stabilität einer Optimierung der lokalen biologischen Verhältnisse.
Indikation zur konservativen Behandlung
Der Goldstandard in der Behandlung von Pseudarthrosen ist die operative Therapie basierend
auf dem Diamond Concept [6]. In bestimmten Fällen ist allerdings eine nicht operative Behandlung von Pseudarthrosen
gerechtfertigt. Besonders in der Frühphase können Belastungsaufbau und supportive
biophysikalische Verfahren sinnvolle Therapiekonzepte darstellen, um eine erneute
Operation abzuwenden. Letzteres umfasst die niedrig intensivierte gepulste Ultraschalltherapie
(LIPUS), die hochenergetische fokussierte extrakorporale Stoßwellentherapie (fESWT)
und die elektrische bzw. elektromagnetische Therapie (PEMF). Ein großer Vorteil dieser
Maßnahmen liegt in der vernachlässigbaren Komplikationsrate. Higgins et al. (2014)
beschreiben, dass bei dem Gebrauch von 55 000 LIPUS-Geräten (niedrig intensivierte
gepulste Ultraschallgeräte) über einen Zeitraum von einem Jahr lediglich 3-mal über
Hautirritationen und einmal über Brustschmerzen infolge einer Interaktion mit einem
einliegenden Schrittmacher berichtet wurde [7]. Furia et al. (2010) verglichen Konsolidierungsraten von Patienten mit Basisfrakturen
des 5. Mittelfußknochens nach fokussierter hochenergetischer extrakorporaler Stoßwellentherapie
(fESWT) und Operation: In dieser Studie kam es in Bezug auf die Komplikationsrate
in der fESWT-Gruppe zu einem Hämatom, in der Operationsgruppe traten 11 Komplikationen
auf (Refraktur, implantatassoziierte Beschwerden) [8]. Auch in unserem eigenen Patientenkollektiv ergaben sich nach fESWT bis auf Rötungen
und vereinzelte petechiale Einblutung keine weiteren Auffälligkeiten [9]. Im Gegensatz hierzu liegen die Komplikationsraten bei der operativen Pseudarthrosenbehandlung
deutlich höher. Egol et al. (2012) behandelten 134 Patienten mit Pseudarthrosen der
langen Röhrenknochen und konnten zeigen, dass in Abhängigkeit von der notwendigen
Anzahl an Revisionsoperationen die Komplikationsrate zwischen 11 und 100% lag [10]. Moghaddam et al. (2016) operierten 99 Patienten mit atrophen tibialen Pseudarthrosen
ein- bzw. zweizeitig und konnten in diesem Kollektiv 34 Komplikationen feststellen
(34%) [11].
Eine konservative Behandlung von Frakturheilungsstörungen erfordert engmaschige klinisch-radiologische
Kontrollen, um mögliche oder drohende Komplikationen (Implantatversagen infolge Materialermüdung)
rechtzeitig zu erkennen ([Abb. 3]). Kriterien, die bei der Indikationsstellung zur konservativen Behandlung von Pseudarthrosen
erfüllt sein müssen, werden in Liste 1 aufgeführt.
Liste 1
Voraussetzungen für die Durchführung einer konservativen Pseudarthrosenbehandlung
-
regelrechte Stellung (Achse/Rotation/Länge)
-
mechanische Stabilität (regelrechte Osteosynthese ohne Lockerungszeichen)
-
Infektfreiheit
-
ossäre Regenerationsfähigkeit (Fehlen avitaler Knochensequester)
-
Pseudarthrosenspalt ≤ 10 mm (keine Defektpseudarthrose)
Abb. 3 Die subtrochantäre Region unterliegt hohen Druck- und Zugkräften bei prädominanter
kortikaler Knochenstruktur und geringer Vaskularisierung. In dieser Region sollten
biophysikalische Verfahren zurückhaltend angewendet werden. Die Abbildung zeigt einen
erfolglosen Versuch der Pseudarthrosenbehandlung mit fESWT: a Pseudarthrose vor fESWT, b 6 Wochen nach fESWT, c, d Implantatversagen mit Bruch des einliegenden Marknagels 3 Monate nach Stoßwellentherapie.
Belastungssteigerung
Das „Gesetz zur Transformation der Knochen“ von Julius Wolff und die von Harald M.
Frost ergänzte „Mechanostat-Theorie“ sind die theoretische Grundlage für die Belastungssteigerung
als Möglichkeit einer konservativen Pseudarthrosenbehandlung [12], [13]. Der entstehende mechanische Reiz wird von Knochenzellen (Osteozyten) registriert,
in biochemische Signale innerhalb der Zelle umgewandelt und die Knochenneubildung
angeregt (Mechanotransduktion) [14].
Besonders im Bereich der unteren Extremität kann durch eine Belastungssteigerung eine
Stimulierung der Knochenheilung erzielt werden. Houben et al. (2018) konnten in einer
kürzlich publizierten Studie die Bedeutung der frühzeitigen Aufbelastung nach operativ
behandelter Tibiaschaftfraktur feststellen: Eine längere Entlastungsphase der operierten
Extremität resultierte häufiger in eine Frakturheilungsstörung [15]. Sarmiento et al. (2003) berichten über eine konservative Behandlung mittels funktionellem
Brace bei verzögerter oder nicht verheilter Tibiaschaftfraktur und symptomorientierter
Vollbelastung innerhalb einer Subgruppe (15 Patienten), was zu einer erfolgreichen
Konsolidierung geführt hat [16].
Eine gängige Methode bei Pseudarthrosen der unteren Extremität und stabiler osteosynthetischer
Versorgung (Liste 1) ist die sukzessive, schmerzadaptierte Aufbelastung um 10 kg/Woche
bis zum Erreichen der Vollbelastung.
Biophysikalische supportive Maßnahmen
Niedrig intensivierter gepulster Ultraschall (LIPUS)
Ultraschallwellen sind Signalwellen, die oberhalb des hörbaren menschlichen Frequenzbereichs
liegen und sich im Gewebe als sinusförmige Druckwellen ausbreiten. Sie entstehen durch
den von Jaques und Pierre Curie im Jahr 1880 entdeckten (indirekten) piezoelektrischen
Effekt: Hochfrequente elektrische Spannungen führen zu einer Verformung von Kristallkörpern,
sodass sinusförmige Schwingungen entstehen. Ultraschallwellen, die für die Behandlung
von Knochenheilungsstörungen eingesetzt werden, besitzen charakteristische physikalische
Parameter: Frequenz 1,5 MHz, Repetitionsrate 1 kHz, Impulslänge 200 µs, Intensität
30 mW/cm2 ([Abb. 4]).
Abb. 4 Physikalische Grundlagen der Stoßwelle und Ultraschallwelle (Erläuterungen im Text)
[48].
In zahlreichen grundlagenwissenschaftlichen Studien wurde die Wirkung von LIPUS untersucht.
Harrison et al. (2016) konkludieren in ihrer Übersichtsarbeit, dass basierend auf
den vorliegenden zellkultur- und tierexperimentellen Studien Nanobewegungen in der
Pseudarthrosenregion via Focal Adhesions und Integrinrezeptoren in biochemische Signale
umgewandelt werden (Mechanotransduktion) [17]. Die Autoren resümieren, dass eine gesteigerte Expression von COX2 induziert [18] und dadurch die Genexpression weiterer osteogener Faktoren stimuliert wird [19], [20]. So ergab sich in Untersuchungen von Suzuki et al. (2009) ein Anstieg der BMP-2-,
BMP-4- und BMP-6-Expression im murinen Frakturmodell nach LIPUS-Behandlung [21].
In der Zwischenzeit liegen zahlreiche klinische Studien zu der Behandlung von Frakturheilungsstörungen
mit niedrig intensiviertem gepulstem Ultraschall vor. In der Studie von Nolte et al.
(2001) wurden 29 Patienten mit Pseudarthrosen unterschiedlicher Regionen behandelt
und eine Konsolidierungsrate von 86% erzielt [22]. Eine aktuellere Registerstudie von Zura et al. (2015) ermittelte eine identische
Heilungsrate von 86,2% nach LIPUS-Therapie bei 767 Patienten mit chronischen Pseudarthrosen
(> 365 Tage) [23]. Obwohl dieser Studie eine hohe Fallzahl zugrunde liegt, konnten weitere 519 Patienten
u. a. aufgrund Loss-to-Follow-up, Noncompliance und Studienrücktritten trotz Erfüllung
der definierten Einschlusskriterien nicht berücksichtigt werden. Bei dem überwiegenden
Anteil der 767 eingeschlossenen Patienten (88%) bestand ein zeitlicher Abstand zwischen
LIPUS-Behandlung und letzter Operation von unter 90 Tagen, sodass der Effekt der Ultraschallbehandlung
nur schwer eingeschätzt werden kann. Eine deutlich geringere Erfolgsrate als in den
vorgenannten Studien ergab sich mit 32,8% in einer prospektiven Beobachtungsstudie
von Biglari et al. (2016) [24]. Die gleiche Arbeitsgruppe analysierte in einer weiteren Studie prospektiv bei 23
Patienten die Serumkonzentrationen von TGF-β1, PDGF und bFGF vor und während der LIPUS-Therapie.
58% der Patienten (11 ×) zeigten im Verlauf eine knöcherne Heilung der Pseudarthrose
nach LIPUS-Behandlung; ein Unterschied in Bezug auf die systemische Zytokinkonzentration
konnte gegenüber der Gruppe mit persistierender Pseudarthrose (8×) nicht festgestellt
werden. Die Ergebnisse von weiteren 4 Patienten wurden aufgrund eines frühzeitigen
Behandlungsabbruchs nicht berücksichtigt [25]. Ein signifikanter Unterschied für die Konsolidierungsraten konnte auch in der bislang
einzigen randomisierten, placebokontrollierten Studie zwischen der LIPUS-Gruppe und
der Placebogruppe nicht nachgewiesen werden (65 vs. 46%) [26]. Einflussfaktoren, die zu einer höheren Konsolidierungsrate nach LIPUS-Therapie
führen, wurden in dieser Arbeit nicht analysiert. Im Gegensatz hierzu existieren zahlreiche
weitere Studien, die verschiedene Parameter als Erfolgsvariablen für eine LIPUS-Behandlung
für die knöcherne Heilung der Pseudarthrose identifizieren ([Tab. 1]).
Tab. 1 Einflussfaktoren auf die Konsolidierungsrate nach LIPUS-Behandlung.
|
Studie
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Einflussfaktoren auf die Konsolidierungsrate (LIPUS)
|
|
positiv
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neutral
|
negativ
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LIPUS: niedrig intensivierter gepulster Ultraschall; NUSS: Non-Union Scoring System
|
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Nolte et al., 2001 [22]
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Jingushi et al., 2007 [49]
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Watanabe et al., 2013 [50]
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-
Marknagelung
-
Instabilität
-
großer Frakturspalt
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Biglari et al., 2016 [24]
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|
-
hoher NUSS
-
großer Frakturspalt
-
Infekt
-
Instabilität
|
Die Durchführung der Ultraschalltherapie erfolgt in der Häuslichkeit. Der Schallkopf
eines batteriebetriebenen Ultraschallgerätes wird unter Verwendung von Kopplungsgel
über die Pseudarthrosenregion platziert, die zuvor unter ärztlicher Aufsicht (unter
Röntgenkontrolle oder sonografisch) bestimmt und markiert wurde. Hierbei beträgt die
Anwendungsdauer 20 min/Tag über einen Zeitraum von 90 – 120 Tagen. Eine große Bedeutung
kommt entsprechend der Patientencompliance zu: Die tägliche und langandauernde Behandlung
(i. d. R. über 90 Tage) erfordert ein hohes Maß an Zuverlässigkeit und Ausdauer seitens
der Patienten. Diesbezüglich konnten Raten der Behandlungscompliance zwischen 83 und
91% gezeigt werden [25], [26].
Fokussierte, hochenergetische extrakorporale Stoßwellentherapie (fESWT)
Bereits nach Ende des Zweiten Weltkriegs fand im militärischen Bereich umfangreiche
Forschung zu Stoßwellen statt, sodass Patente für den elektrohydraulischen und elektromagnetischen
Stoßwellengenerator Ende der 50er-Jahre erteilt wurden. 20 Jahre später erhielt die
Stoßwellentherapie über die Urologie Einzug in die Medizin und wird heute weiterhin
erfolgreich zur Lithotripsie angewendet. Erst Anfang der 1990er-Jahre zeigten ersten
Studien den erfolgreichen Einsatz der fokussierten extrakorporalen Stoßwellentherapie
(fESWT) zur Behandlung der Pseudarthrose zunächst durch Haupt et al. am Tiermodell
und kurze Zeit später durch Valchanou und Michailov am Patienten [27], [28].
Die Stoßwelle ist ein mechanisch-akustischer Druckimpuls, gekennzeichnet durch eine
hohe Druckamplitude mit schnellem Anstieg gefolgt von einer negativen Druckphase ([Abb. 4]). Zur Erzeugung der Stoßwellen werden elektrohydraulische, elektromagnetische und
piezoelektrische Verfahren unterschieden. Die Welle breitet sich zunächst radial aus
und kann zur Behandlung tieferliegender Strukturen mit einem Reflektor fokussiert
werden (fESWT). Meist werden die Stoßwellen im Wasser erzeugt, um im biologischen
Gewebe ohne signifikante Änderung der Impedanz entkoppelt zu werden. Die Fokuszone
wird als der Bereich definiert, in dem die Drücke mehr als die Hälfte des im Zentrum
gemessenen Spitzendrucks betragen (Full Width at Half Maximum). Der hierfür angestrebte
therapeutische Spitzendruck wird mit > 50 bar definiert. Für die praktische Anwendung
haben sich allerdings die applizierte Gesamtenergie (mJ) und die Energieflussdichte
(mJ/mm2) etabliert. Zur Beschreibung der physikalischen Effekte wird die direkte Wirkung
auf akustische Grenzflächen und die durch die Druck-Zug-Wechselbelastung erzeugte
Kavitation und Mikrojets unterschieden [29].
Ob die in der Lithotripsie erreichte Zertrümmerungswirkung der Stoßwelle die Knochenheilung
durch Mikrofrakturierung anregt, ist heute umstritten. Aktuelle Studien zeigen vielmehr,
dass die Stoßwelle über Mechanotransduktion zu einer Expressionssteigerung proangiogenetischer
und proosteogenetischer Faktoren führt. Hervorzuheben sind hier die Publikationen
der Arbeitsgruppe Wang et al., die nicht nur eine Hochregulation der Transmembranproteinfamilie
Integrine zeigen, sondern auch intrazelluläre Signalwegaktivierung, wie z. B. die
Phosphorylierung der Focal Adhesion Kinase, p38, MAPK, ERK1/2 und AKT beschreiben.
Die anschließende Expression zahlreicher Wachstumsfaktoren und Zytokine (z. B. BMPs
und TGF-β) sowie die Differenzierung mesenchymaler Stammzellen zu Osteoprogenitorzellen
werden mit Knochenheilung in Zusammenhang gebracht [30], [31].
Observationsstudien nach Stoßwellentherapie zeigen unabhängig von Lokalisation und
Pseudarthrosentyp Konsolidierungsraten von 60 – 85% ([Abb. 5] und [6]). Cacchio et al. (2009) konnten in einer randomisiert kontrollierten Level-I-Studie
zeigen, dass hypertrophe Pseudarthrosen von Röhrenknochen nach Stoßwellentherapie
keine signifikant schlechteren Konsolidierungsraten im Vergleich zur operativen Therapie
haben [32]. Hierbei traten in der Stoßwellengruppe keinerlei Komplikationen auf. Furia et al.
(2010) konnten ähnliche Ergebnisse bei der Behandlung von Pseudarthrosen der Basis
des Mittelfußknochens V im Vergleich zwischen Stoßwelle und Schraubenosteosynthese
zeigen [33]. Eine retrospektive Studie zur Skaphoidpseudarthrose ergab gleiche Konsolidierungsraten
und Funktionalität beim Vergleich zwischen Stoßwellentherapie und einer operativen
Therapie in Matti-Russe-Technik [34]. Zahlreiche Level-III – IV-Studien unterstreichen diese Ergebnisse. Insgesamt ist
die Stoßwellentherapie bei richtiger Indikationsstellung ein komplikationsarmes Verfahren.
Nur selten werden Hautrötungen, Blutergüsse oder Sehnenauflockerungen beschrieben.
Im Vergleich zur operativen Therapie können daher nicht nur Komplikationen vermieden,
sondern auch mehr als das 4-Fache der Behandlungskosten eingespart werden [35], [36].
Abb. 5 a Ausbleibende Frakturheilung einer Femurschaftfraktur, die initial mit einem Marknagel
versorgt wurde; 8 Monate vor der Indikationsstellung zur fESWT erfolgte bereits der
erfolglose Versuch einer Dynamisierung. b Radiologische Verlaufskontrolle 3 Monate nach fESWT. c Knöcherne Konsolidierung 6 Monate nach fESWT.
Abb. 6 a Pseudarthrose im Bereich des diaphysären 5. Mittelfußknochens. b – d Radiologische Verlaufskontrolle 6 Wochen, 3 Monate und 6 Monate nach fESWT mit abschließendem
Nachweis der Konsolidierung.
Die Stoßwellentherapie wird ambulant entsprechend den DIGEST-Leitlinien (DIGEST =
Deutschsprachige Internationale Gesellschaft für Extrakorporale Stoßwellentherapie)
durchgeführt. In Abhängigkeit von der Stoßwellengenerierung erfolgen 3 – 4 Sitzungen
in einem Intervall von 3 – 7 Tagen (elektromagnetische Stoßwelle) oder eine einmalige
Sitzung bei Behandlung mit einem elektrohydraulischen Stoßwellengerät (Wiederholung
nach 3 – 6 Monaten möglich). In letzterem Fall ist eine Narkose notwendig. Im eigenen
Vorgehen wird aufgrund der hohen Patientencompliance die fESWT gegenüber den weiteren
biophysikalischen Verfahren favorisiert.
Elektrische und elektromagnetische Therapie
Die mechanische Belastung des Knochens führt zu einer Knochenneubildung (siehe Abschnitt
Belastungssteigerung) [12], [13]. Ein Erklärungsmodell hierfür wurde u. a. durch Yasuda (1977) beschrieben: Elektronegative
Ladungen treten in einer druckbelasteten knöchernen Region auf und führen zu einer
Kallusbildung, elektropositive Potenziale werden in dem zugbelasteten knöchernen Bereich
registriert und resultieren in einem Knochenabbau [37]. Diese Erkenntnis wurde als Grundlage für die elektrische und elektromagnetische
Behandlung von Frakturheilungsstörungen herangezogen. In der klinischen Anwendung
finden sich 4 unterschiedliche Verfahren: Direct Current (DC), Pulsed electromagnetic
Field (PEMF), Capacitive Coupling (CC) und Combined magnetic Fields (CMFs), von denen
die pulsierenden elektromagnetischen Felder (PEMF) am häufigsten eingesetzt werden
([Tab. 2]). Die Stimulationsparameter der unterschiedlichen auf dem Markt befindlichen PEMF-Geräte
weisen dabei eine hohe Variabilität in Bezug auf Frequenz, Stromstärke und maximale
Magnetfelddichte auf [38]. Behandlungszeiten variieren zwischen 3 und 10 Stunden am Tag [39], [40], [41].
Tab. 2 Möglichkeiten der elektrischen und elektromagnetischen Therapie mit Vor- und Nachteilen.
Abkürzungen siehe Text.
|
Verfahren
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Methode
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Vorteile
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Nachteile
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DC
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operatives Einbringen einer Kathode frakturnah und einer Anode subkutan (direkte Stromapplikation)
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-
Operation notwendig
-
OP-Komplikationen: Infekt, Dislokation der Elektrode, Schmerzen durch Implantat
-
Implantatentfernung erforderlich (OP)
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PEMF
|
Positionierung einer Magnetfeldspule über der Frakturregion, Induktion eines Magnetfeldes
(induktives Verfahren)
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-
dosisabhängige Wirkung
-
Therapie 3 – 10 h/d
-
Compliance ↓
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CC
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Induktion eines elektrischen Feldes durch oszillierenden Strom zwischen 2 Klebeelektroden
(perkutan)
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-
Therapie 24 h/d
-
Compliance ↓
-
Hautirritation
-
Eindringtiefe begrenzt
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CMF
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konstante sinusförmige elektrische Stimulierung durch 2 externe Spulen über der Frakturregion
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-
nicht invasiv
-
30 min/d
-
Compliance ↑
|
|
Die zelluläre und molekulare Wirkung von PEMF wurde in der Vergangenheit in verschiedenen
Studien analysiert. Ongaro et al. (2014) konnten zeigen, dass die osteogene Differenzierung
von humanen mesenchymalen Stammzellen (hMSC) unterschiedlicher Herkunft (Knochenmark,
Fettgewebe) durch PEMF induziert wird [42]. Schwartz et al. (2008) untersuchten in einer Zellkulturstudie den osteogenen Effekt
von BMP-2 nach PMEF-Therapie auf hMSC und konnten einen Vorteil gegenüber den weiteren
Interventions- bzw. Kontrollgruppen zeigen [43]. Trotz der zahlreichen experimentellen Untersuchungen zur biologischen Antwort des
knöchernen Gewebes auf die PEMF-Behandlung bleibt der genaue Wirkmechanismus unklar.
Zuletzt wurde in Zellkulturstudien dem MAP-Kinase- (ERK 1/ERK 2) und NOTCH-Signalweg
eine bedeutende Rolle zugeschrieben [44], [45].
Die PEMF-Therapie ist seit 1979 durch die Food and Drug Administration (FDA) als additives
Verfahren zur Unterstützung der Knochenheilung bei Pseudarthrosen und Arthrodesen
zugelassen. In einer randomisiert kontrollierten, doppelblinden Studie ergab sich
für die PEMF-Behandlung von nicht verheilten Frakturen langer Röhrenknochen (Frakturalter
4 – 6 Monate) eine Konsolidierungsrate von 38,7 gegenüber 22,2% (PEMF-Gruppe vs. Kontrollgruppe)
nach 3 Monaten (nicht signifikant) [40]. Assiotis et al. (2012) behandelten in einer prospektiven Beobachtungsstudie 44
Patienten mit tibialen Frakturheilungsstörungen und konnten nach PEMF-Therapie eine
Heilungsrate von 77,3% feststellen. Einen Zusammenhang der Konsolidierungswahrscheinlichkeit
mit Alter, Frakturseite (rechts vs. links), Frakturtyp (einfach vs. mehrfragmentär
und offen vs. geschlossen), Rauchverhalten, Diabetes oder Osteosyntheseart (Platten-
vs. Marknagelosteosynthese) konnte nicht nachgewiesen werden. Allerdings berichten
die Autoren über eine tendenziell höhere Heilungsrate mit zunehmender Anwendungsdauer
[39]. Ebenso zeigten Murray und Pethica (2016) eine Verkürzung der Konsolidierungszeit
der Fraktur infolge längerer täglicher PEMF-Behandlung [41]. In weiteren Studien konnten Auswirkungen auf die lokale Expression von Wachstumsfaktoren
durch pulsierende elektromagnetische Felder nur sehr eingeschränkt bestätigt werden.
Während für Placental Growth Factor (PlGF) ein Anstieg verzeichnet werden konnte,
traf dies für alle weiteren analysierten Wachstumsfaktoren (u. a. BMP-5 und BMP-7)
nicht zu [46].
Die Behandlung mit pulsierenden elektromagnetischen Feldern kann ambulant durchgeführt
werden. Die Magnetfeldspule wird hierzu über die Frakturregion positioniert. Die tägliche
Behandlungsdauer (mehrstündig) über einen mehrwöchigen Zeitraum variiert in Abhängigkeit
vom verwendeten Gerät entsprechend den Herstellerempfehlungen. Ebenso unterscheiden
sich die physikalischen Einstellungsparameter der Geräte. Ähnlich wie bei der Ultraschallbehandlung
ist eine hohe Patientencompliance erforderlich.
Biophysikalische Verfahren: sinnvoll oder nicht?
Der Sinn einer Stimulierung der Frakturheilung durch biophysikalische Verfahren wird
häufig diskutiert. Anders als die Modifikation der zellulären Aktivität durch chemische
bzw. synthetische Agenzien (Medikamente, Wachstumsfaktoren) ist die Möglichkeit einer
physikalischen Beeinflussung des zellulären Metabolismus in der Frakturheilung kontrovers.
Trotz zahlreicher grundlagenwissenschaftlicher Studien, in denen eine Wirkung der
verschiedenen biophysikalischen Verfahren auf den Knochenmetabolismus festgestellt
wurde, steht der sichere Nachweis einer klinischen Relevanz dieser Verfahren anhand
guter Level-I-Studien weiter aus. Zwar zeigen die aktuell in der Literatur zahlreich
vorhandenen Level-III – IV-Studien überwiegend einen positiven Effekt in der Behandlung
von Pseudarthrosen, diese sind aber aufgrund ihres Studiendesigns nur sehr eingeschränkt
zu verwerten. Darüber hinaus ist ein Vergleich der Studien untereinander infolge der
Vielzahl an verschiedenen physikalischen Stimulierungsparametern häufig nicht möglich.
Hier bedarf es zukünftig weiterer hochwertiger randomisierter, kontrollierter Studien
(RCT) wie von Cacchio et al. (2009) zur fESWT oder Schofer et al. (2010) zur Behandlung
von Pseudarthrosen mittels Ultraschall [26], [47]. Hinsichtlich der Wirksamkeit von PEMF ist aktuell durch den Gemeinsamen Bundesausschuss
ein Beratungsverfahren zu einer Richtlinie zur Erprobung dieser Therapie eingeleitet.
Hier bleibt abzuwarten, ob auf Basis einer in diesem Zusammenhang möglicherweise initiierten
RCT neue Erkenntnisse gewonnen werden.
Fazit für die Praxis
Die konservative Therapie einer verzögerten Frakturheilung oder Pseudarthrose ist
gerade in frühen Phasen eine effiziente Therapiealternative. Hierbei kann unter strenger
Indikationsstellung die Frakturheilung durch Belastungssteigerung oder biophysikalische
Verfahren (LIPUS, fESWT, PEMF) angeregt werden. Letztere sind im Vergleich zu einer
Revisionsoperation besonders aufgrund geringerer Komplikationen und Kosten sehr attraktiv.
Im eigenen Vorgehen wird die fESWT favorisiert und mit gutem Erfolg eingesetzt.