Schlüsselwörter
Frühgeborene - Zinkmangel - Ernährung - Dekubitus - Wundheilung
Key words
preterm infants - zinc deficiency - nutrition - decubital ulcer - wound healing
Einleitung
Zink ist ein für viele Körperfunktionen wichtiges Mineral, welches im Ernährungsbewusstsein
oft etwas im Hintergrund steht. Schätzungen zufolge sind mehr als 25% der Weltbevölkerung
von einem Zinkmangel bedroht. Im Körper eines erwachsenen Menschen befinden sich ca.
2–3 g Zink, wovon täglich ca. 1% ausgetauscht wird [1]. Während der Pränatal- und Wachstumsphase ist der Zinkbedarf bezogen auf das Körpergewicht
deutlich erhöht, da Zink u. a. eine wichtige Rolle in der Genexpression, Replikation
und Zellvermehrung spielt [2]
[3]. Zink ist ferner ein wichtiger Bestandteil zahlreicher Enzyme, so der Alkalischen
Phosphatase (AP), und wird hauptsächlich in Haut, Knochen und Haaren eingelagert.
Bei Zinkmangel kann ein Teil des hier gespeicherten Zinks wieder mobilisiert werden,
sodass sich der Serum-Zinkspiegel auch bei unzureichender Zinkzufuhr über die Nahrung
oft noch im unteren Normbereich befindet [1].
Vom oral zugeführten Zink können üblicherweise nur 10–40% im Gastrointestinaltrakt
resorbiert werden. Im Unterschied hierzu ist die Bioverfügbarkeit des Zinks aus der
Muttermilch wesentlich höher, sie beträgt bis zu 80% [2]. Bei einem erhöhten Zinkbedarf aufgrund des starken Wachstums in der Neugeborenen-
und Säuglingsperiode zeigt sich dies besonders bei nicht gestillten Säuglingen, die
einen deutlich höheren Bedarf (bezogen auf die Allgemeinbevölkerung) in der Nahrung
aufweisen. Es stellt sich die Frage, ob dieser Bedarf mit den verfügbaren Neu- bzw.
Frühgeborenen-Nahrungen ausreichend gedeckt werden kann.
Fallbericht
Die Patientin wurde nach 25+5 Schwangerschaftswochen bei vorzeitigen Wehen sowie vorzeitigem
hohem Blasensprung mit einem Geburtsgewicht von 980 g spontan geboren. Im Rahmen der
Frühgeburtlichkeit und bei Nachweis von Ureaplasmen im mütterlichen Vaginalabstrich
erfolgte eine Therapie mit Ampicillin und Gentamycin bis zum 10. sowie mit Clarithromycin
bis zum 14. Lebenstag. Im Verlauf wurde eine Besiedlung mit 3 MRGN E. coli im Konjunktival-,
Rachen- und Analabstrich nachgewiesen, eine parallel bestehende Konjunktivitis ließ
sich mit Gentamycin-Augentropfen erfolgreich behandeln. Darüber hinaus traten keine
größeren Frühgeburts-assoziierten Komplikationen auf. Der Nahrungsaufbau erfolgte
auf mütterlichen Wunsch von Beginn an mit Formula-Nahrung, eine teilparenterale Ernährung
erhielt die Patientin bis zum 11. Lebenstag.
Ab dem 14. Lebenstag zeigte sich erstmalig eine Hautläsion im perinealen und perianalen
Bereich. Diese bestand aus zwei je etwa 5 mm im Durchmesser großen Hautdefekten bei
ca. 3 und 9 Uhr in etwa 5 mm Abstand zum Anus, deren Größe und Färbung im Verlauf
variierte ([Abb. 1a/b]). Die betroffenen Areale waren dabei stets scharf begrenzt und deutlich gerötet,
zeitweise leicht bis stärker nässend, jedoch nicht blutig. Im Verlauf der stationären
Behandlung blieben diese trotz intensiver Lokaltherapie mit u. a. Cavilon™ Gel, Zinkpaste,
Bepanthen® Wund- und Heilsalbe und schwarzem Tee weitgehend unverändert. Phasenweise zeigte
sich eine leichte vorübergehende Besserung des Lokalbefundes, im Verlauf blieb dieser
jedoch bestehen.
Abb. 1 Dekubitus-artige perineale und perianale Hautläsion bei einem weiblichen Frühgeborenen
von 25+5 Schwangerschaftswochen im Alter von a 4 und b 5 Lebenswochen.
Aufgrund der vorbeschriebenen Wundheilungsstörung erfolgten eine immunologische Abklärung
sowie eine Bestimmung des Zinkspiegels im Plasma. Hier zeigten sich neben einer geringfügigen
Neutropenie (0,99 Mrd/l neutrophile Granulozyten bei einer Gesamtleukozytenzahl von
5,7 Mrd/l) eine deutliche Verminderung der zytotoxischen T-Zellen (467/µl; Referenzbereich
800–2000/µl) sowie der natürlichen Killerzellen (144/µl; Referenzbereich 300–700/µl)
und im Granulozytenfunktionstest eine leichte Verminderung der Chemotaxis. Außerdem
ließ sich eine Hypogammaglobulinämie nachweisen (IgG 0,7 g/l; Referenzbereich 6,6–17,5 g/l)
bei normwertigem IgM und IgA. Die Bestimmung des Zinkspiegels ergab einen Wert von
512 µg/l (Referenzbereich für Neugeborene 647–1400 µg/l [4], für Frühgeborene 610–950 µg/l [5]). Die Alkalische Phosphatase (AP) betrug 273 U/l.
Aufgrund des verminderten Zinkspiegels wurde eine orale Zinksubstitution mit 3 ×2 mg
Zink pro Tag begonnen [6]. Die Patientin konnte kurz darauf entlassen werden. Drei Wochen nach Therapiebeginn
erfolgte eine erneute Vorstellung im Rahmen einer geplanten stationären Impfung. Dabei
stellte sich der lokale Hautbefund vollständig abgeheilt dar; lediglich minimale Hauteinziehungen
von weniger als 0,5 mm waren noch sichtbar. Laut Aussage der Mutter waren die Defekte
bereits eine Woche nach Therapiebeginn abgeheilt.
Etwa 6 Wochen nach Beginn der Zink-Supplementierung erfolgte eine erneute Messung
des Zink-Spiegels im Serum. Hier zeigte sich ein mit 907 µg/l altersentsprechend normwertiger
Befund. Bei weiterhin auffällig niedrigen Gammaglobulinen erfolgte eine Immunglobulin-Gabe
sowie eine Laborkontrolle bei der Mutter des Kindes bezüglich des Zinkspiegels, der
Lymphozyten-Subpopulationen und der Immunglobuline. Es fanden sich neben einem niedrig-normalen
Zinkspiegel von 757 µg/l (Referenzbereich 700–1500 µg/l) ebenfalls eine reduzierte
Zahl natürlicher Killerzellen von 135/µl (Referenzbereich 200–400/µl) sowie ein verminderter
Anteil aktivierter T-Zellen (2%; Referenzbereich 8–15%); die mütterlichen Immunglobuline
lagen hingegen im Normbereich.
Diskussion
Die vorgestellte Patientin wurde von Geburt an mit Frühgeborenen-Nahrung altersentsprechend
ernährt. Zu Beginn der Zinksubstitution betrug die Trinkmenge ca. 400 ml pro Tag,
was laut Herstellerangaben zu einer mit der Nahrung zugeführten Zinkmenge von ca.
4 mg pro Tag führte ([Tab. 1]). Dies hätte bezogen auf das aktuelle Körpergewicht von 2750 g einer täglichen Zinkzufuhr
von ca. 1,5 mg/kg entsprochen und damit den Zinkbedarf von 0,5–0,8 mg/kg/Tag [6] nominell decken sollen. Zu beachten ist jedoch, dass die Resorption von Zink durch
viele Nahrungsbestandteile gemindert werden kann, unter anderem durch Eisen und Calcium
[1]. Entsprechend den Empfehlungen für Frühgeborene bekam auch dieses Kind eine tägliche
Eisensubstitution von 3 ×4,5 mg Eisen(II)/Tag. Bei ausschließlicher Milch-Ernährung
ist zudem die Calciumzufuhr im Gegensatz zur Durchschnittsbevölkerung aller Altersgruppen
naturgemäß erhöht. Unterstellt man also, wie weiter oben beschrieben, eine Resorption
von lediglich 10–40% der zugeführten Zinkmenge von 4 mg/Tag (entsprechend 0,4–1,6 mg/Tag),
so hat die effektive Zufuhr nurmehr 0,15–0,58 mg/kg pro Tag betragen. Damit konnte
der Zinkbedarf vermutlich nicht ausreichend gedeckt werden, zumal aus den vorgenannten
Gründen nicht davon auszugehen ist, dass die maximale Resorptionsrate von 40% erreicht
wurde. Durch die überbrückende teilparenterale Ernährung waren ebenfalls nur 0,1 mg/kg
pro Tag über 8 Tage, also insgesamt 0,8 mg/kg – wenn auch intravenös – zugeführt worden.
Tab. 1 Zinkgehalt in Frauenmilch und verschiedenen Formula-Nahrungen. Trotz des geringeren
Zinkgehalts ist die Bioverfügbarkeit in Frauenmilch dank der günstigeren Resorption
erheblich höher.
Nahrung
|
Zinkgehalt [mg/100 ml]
|
Frauenmilch1
|
0,3
|
Formulanahrung (Frühgeborene)2
|
1,1
|
Formulanahrung (Übergang)3
|
0,9–1,0
|
Formulanahrung (Reifgeborene)4
|
0,7
|
Anreicherungspulver für Frauenmilch5
|
1,0–1,3
|
1 Durchschnittswert aus mehreren Quellen [11]
[12]
[13]
[14]
[15]
[16]; Laktationsdauer 5–84 Tage; 2 z. B. Humana 0-VBL, Milupa Aptamil Prematil; 3 z. B. Humana 0, Milupa Aptamil PDF; 4 z. B. Humana 1; 5 z. B. Milupa Aptamil FMS, Nestlé Beba FM85 (Angaben pro 100 ml angereicherter Frauenmilch)
Im letzten Trimenon der Schwangerschaft werden die hepatischen Zinkspeicher gefüllt,
sodass nach der Geburt von diesen gezehrt werden kann [7]. Bei Frühgeborenen entfällt diese Zink-„Mitgift“, sodass allein deshalb (und vielleicht
besonders dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – schon die Mutter einen niedrigen
Zinkspiegel aufweist) ein im Vergleich zu Reifgeborenen deutlich höherer Zinkbedarf
vorliegt ([Tab. 2]). Hinzu kommt, dass die Wachstumsgeschwindigkeit erhöht und die intestinale Resorption
unreifebedingt erniedrigt sind [7]
[8].
Tab. 2 Empfohlene Zinkzufuhr bei Früh- und Reifgeborenen sowie Säuglingen im Vergleich zu
Erwachsenen nach unterschiedlichen Quellen. Je höher die Wachstumsrate, desto höher
die erforderliche Tageszufuhr pro kg Körpergewicht.
Altersgruppe
|
Empfohlene Zinkzufuhr
|
Quelle
|
Frühgeborene
|
450–500 µg/kg/Tag
|
[8]
|
500–800 µg/kg/Tag
|
[9]
|
Reifgeborene
|
300 µg/kg/Tag
|
[9]
|
Säuglinge
|
250 µg/kg/Tag
|
[8]
|
224–252 µg/kg/Tag
|
[2]
|
Erwachsene (70 kg)
|
29–43 µg/kg/Tag
|
[1]
|
Bezüglich der Resorption gibt es außerdem sehr große Unterschiede, was die Quelle
des Zinks betrifft. So konnte gezeigt werden, dass es vollgestillten Säuglingen möglich
ist, eine Resorptionsrate von bis zu 80% des in der Muttermilch verfügbaren Zinks
zu erreichen. Selbst Erwachsene scheinen bis zu 40% des in Frauenmilch enthaltenen
Zinks aufnehmen zu können [2]. Bei Kuhmilch- oder auch Soja-basierter Milchersatznahrung lag die Resorptionsrate
dagegen lediglich bei 15–30%. Inwieweit dies auf Säuglinge übertragbar ist, wurde
leider nicht untersucht, ein Zusammenhang ist jedoch denkbar [2].
Vor diesem Hintergrund ist bei Frühgeborenen mit schlecht oder nicht heilenden Hautdefekten,
welche sich gegenüber lokalen antiseptischen und systemischen antibiotischen Therapien
als refraktär erweisen, an einen möglichen Zinkmangel zu denken, auch wenn (noch)
nicht das Vollbild einer Zinkmangeldermatitis (Acrodermatitis enteropathica) [9] vorliegt. Letztere umfasst mit Haarausfall, einer Beeinträchtigung der neurokognitiven
Leistungsfähigkeit und einer reduzierten Nervenleitfähigkeit weitere dermatologische
sowie neurologische Symptome, die erst bei einer ausgeprägten Mangelsituation in Erscheinung
treten und zudem bei Neugeborenen bzw. Säuglingen nur schwer beurteilbar sind.
Wichtig ist dabei, auf die altersentsprechenden Normbereiche zu achten (die allerdings
nicht leicht zu finden sind und über die offenbar auch keine abschließende Einigkeit
besteht). So wurden auch im hier geschilderten Fall trotz mehrfacher Hinweise auf
die Unreife des Kindes in den Laborbefunden wiederholt Referenzwerte für reifgeborene
Kinder im ersten Lebensjahr angegeben, ohne dass dies entsprechend kenntlich gemacht
wurde. Hiernach hätte die Patientin eine Übersubstitution erhalten, wohingegen sie
erst mit dem letztlich erreichten Zinkspiegel von 907 µg/l im altersentsprechenden
Normbereich lag (Referenzbereich 550–1120 µg/l nach [10]).
Einen indirekten Hinweis auf einen Zinkmangel kann auch eine niedrige Alkalische Phosphatase
(AP) geben, die zu den wichtigsten Zink-abhängigen Enzymen zählt (und einen relativen
Vitamin D-Mangel deshalb auch nur dann anzeigen kann, wenn ausreichend Zink vorhanden
ist!). Hier war die AP mit 237 U/l zwar nominell normwertig, aber für die Verhältnisse
von sehr kleinen Frühgeborenen doch vergleichsweise niedrig; im Verlauf stieg sie
auf 446 U/l (nach ca. 3-monatiger Substitutionsbehandlung) an.
Eine weitere wichtige Differenzialdiagnose bei schlecht heilenden Hautläsionen (ähnlich
wie bei nicht abfallenden Nabelresten) sind Defekte des Immunsystems. Im vorliegenden
Fall bestanden zwar gewisse immunologische Auffälligkeiten bei Kind und Mutter, die
jedoch für die – auf eine Zink-Substitution prompt ansprechenden – Hautdefekte nicht
ursächlich gewesen sein dürften. Bei ernsthaft verminderter humoraler Abwehr wären
pulmonale Symptome zu erwarten gewesen, die die Patientin jedoch trotz ihrer Frühgeburtlichkeit
zu keinem Zeitpunkt zeigte. Eine Neutropenie, die prinzipiell ursächlich für Wundheilungsstörungen
sein könnte, war im vorliegenden Fall nur grenzwertig ausgeprägt und bestand – über
die Heilung der Hautdefekte hinaus – noch für einige Monate fort, ohne dass weitere
klinische Symptome aufgetreten wären.
Das vorgestellte Fallbeispiel zeigt, dass es auch und gerade unter enteraler Ernährung
mit vermeintlich vollwertigen Früh- und Neugeborenen-Nahrungen – wahrscheinlich auch
in Abhängigkeit vom Ernährungsverhalten der Mutter während der Schwangerschaft, vom
Grad der Unreife und von der zusätzlichen Eisensubstitution – zu einem latenten oder
manifesten Zinkmangel kommen kann. Durch die in neonatologischen Lehrbüchern oft empfohlene,
im Stationsalltag aber selten durchgeführte Bestimmung des Zinkspiegels im Serum sowie
die sich anschließende Zink-Substitution ließ sich in diesem Fall ein zuvor wochenlang
therapierefraktärer Hautdefekt innerhalb weniger Tage ausheilen.