Schlüsselwörter
hereditäre Polyneuropathie - NLG - axonal - demyelinisierend - Segregationsanalyse
Key word
hereditary neuropathies - NCS - axonal - demyelinating - segregational analysis
Einleitung
Die Ursachen von Polyneuropathien werden häufig dahingehend aufgelistet, dass 25%
diabetischer Natur sind, 25% alkoholischer Genese und 25% eine Mischung aus verschiedenen
Ursachen wie bspw. entzündlichen Erkrankungen (CIDP, GBS) oder internistischen Grunderkrankungen
wie Niereninsuffizienz, Vitamin B12 Mangel oder Intoxikationen haben. Die verbliebenen
25% werden als ätiologisch unklar beschrieben. Hereditäre Polyneuropathien werden
in Übersichten über Polyneuropathien oft als sehr selten, quasi als Kolibrierkrankung
dargestellt [1]. Die Behandelbarkeit der chronischen entzündlichen Polyneuropathie CIDP hat dazu
geführt, dass diese Diagnose in den vergangenen Jahren oft gestellt wurde, obwohl
die Kriterien nicht immer vollständig erfüllt waren. In gleicher Weise führte der
Mangel an Therapien bei hereditären Polyneuropathien zu deren diagnostischer Vernachlässigung.
Spätestens mit dem Aufkommen von therapeutischen Möglichkeiten bei der letzten Gruppe
[2]
[3] muss die Häufigkeit der hereditären Polyneuropathien neu bewertet werden.
Nomenklatur und Einteilung
Nomenklatur und Einteilung
Hereditäre Polyneuropathien (Pnp) sind weitgehend isolierte Erkrankungen und werden
nach den Erstautoren [4] als Charcot-Marie-Tooth Erkrankungen (CMT) bezeichnet.
Ab den 1970-er Jahren wurde für die Krankheitsgruppe meist der Begriff „hereditäre
motorisch-sensible Neuropathie“ (HMSN) verwendet [5]. Seit Aufkommen der molekulargenetischen Diagnostik Anfang der 1990er Jahre hat
wieder der Begriff Charcot-Marie-Tooth die Führung übernommen. Beide Begriffe bezeichnen
eine Gruppe unterschiedlicher, vererbbarer Polyneuropathien [6].
Daneben gibt es hereditäre Polyneuropathien mit besonderer Betonung des sensiblen
und des autonomen Schenkels des peripheren Nerven, die als hereditäre sensible (HSN)
oder auch hereditäre sensible und autonome Neuropathien (HSAN) bezeichnet werden.
Die Gruppe der distalen hereditären motorischen Neuropathien (dHMN) stellt eine Gruppe
mit Übergang zu den spinalen Muskelatrophien (SMA) dar [7]. dHMN und distale SMA sind als Synonyme zu verstehen. Alle 3 Gruppen (HMSN, HSN,
dHMN) sind unter den Begriff Charcot-Marie-Tooth zu subsummieren. Gemeinsam ist ihnen,
dass es sich um hereditäre, weitgehend isolierte Polyneuropathien handelt [6].
Demyelinisierende und axonale Ausprägungen
Hereditäre motorisch sensible Polyneuropathien werden nach der Beteiligung der Markscheiden
bzw. der Axone primär in 2 große Hauptgruppen eingeteilt: HMSN I (demyelinisierend)
und HMSN II (axonal). Diese Einteilung ist in der CMT Nomenklatur weitgehend übernommen
worden.
CMT1 umfassen die demyelinisierenden und CMT2 die axonalen Gruppen.
Auch der Vererbungsmodus ist in diesen beiden Gruppen vergleichbar: alle genannten
Gruppen umfassen autosomal dominante Erkrankungen.
Die früheren Gruppen HMSN III-VII haben an Bedeutung verloren. So wurde die PNP bei
M. Refsum als HMSN IV bezeichnet. HMSN VI (Typ Vitioli mit Opticusatrophie) wurde
nach Entdeckung des dafür zugehörigen Gens Mitofusion 2 (MFN2) in der CMT Terminologie als CMT2A klassifiziert.
Außerhalb der CMT Erkrankungsgruppe gibt es weitere hereditäre Polyneuropathien bei
einer Reihe von neurologischen Systemerkrankungen. Z. B. gehen die spinocerebellären
Ataxien vom Typ SCA1, SCA2, SCA3 oft mit einer teils schweren Polyneuropathie einher.
Auch bei einigen Formen von spastischer Spinalparalyse, bei M. Friedreich, bei M.
Fabry und bei der Porphyrie erfasst der Krankheitsprozess die peripheren Nerven. Auch
die hereditäre Amyloidose mit Polyneuropathie wird nicht unter die Gruppe der CMT
Erkrankungen subsummiert, da sie eine Systemerkrankungen ist mit u. a. Herz- und Leberbeteiligung.
Eine besondere Aufmerksamkeit auf diese Erkrankung ist aber erforderlich geworden,
seit für diese Erkrankungen neben der Lebertransplantation auch eine medikamentöse
Behandlung möglich ist [2]
[3]. Der vorliegende Artikel wird sich aber vorwiegend mit der Gruppe der CMT Erkrankungen
beschäftigen.
CMT Erkrankungen sind relativ häufig. In der Literatur werden Prävalenzen von 1:2500
[8] angegeben. Diese Zahlen stammen jedoch aus der Zeit vor Aufkommen der next generation
sequencing (NGS) Diagnostik. Mit dem Aufkommen der Paneldiagnostik ist die Prävalenz
wahrscheinlich höher einzuschätzen. Die häufigste Form der CMT-Erkrankungen sind die
CMT1A und die hereditäre Neuropathie mit Neigung zu Drucklähmungen (HNPP, hereditary
neuropathy with liability to pressure palsy).
Symptomatik
Der Krankheitsbeginn liegt oft im 2. Lebensjahrzehnt, kann aber auch wesentlich später
erfolgen [9].
Die beiden wesentlichen Symptomkomplexe der CMT Erkrankung sind zum einen orthopädische
Phänomene wie Hohlfuß, Krallenzehen und – deutlich seltener- Skoliose und zum anderen
sensomotorische Phänomene wie Sensibilitätsstörungen, Paresen, Muskelatrophien und
Ausfall der Muskeleigenreflexe.
Hohlfüße und Krallenzehen werden häufig mit M. Friedreich assoziiert. Diese Erkrankung
ist im Gegensatz zu den CMT Erkrankungen jedoch sehr selten. Ein Hohlfuß gibt häufig
schon in der Kindheit und Jugend Anlass zu fußorthopädischen Maßnahmen, v. a. der
Verschreibung von Einlagen. Oft sind Patienten schon seit Jahren oder Jahrzenten in
orthopädischer Behandlung, bevor sie den Weg zum Neurologen finden. Dies ist eine
wichtige Frage in der Anamnese. Erscheint im Liegen der Fuß mit hohem Fußgewölbe,
so ist zu überprüfen, ob dieses hohe Fußgewölbe bei statischer Belastung im Stehen
bestehen bleibt, also fixiert ist, oder ob der Hohlfuß dann komplett verschwindet.
Nur der fixierte Hohlfuß begründet den Verdacht auf eine CMT Erkrankung.
Die Ursache der Hohlfußbildung ist noch weitgehend unverstanden. Gegen die mancherorts
geäußerte Meinung, es handele sich um Folgen von unterschiedlicher Schwäche der auf
das Fußgewölbe wirkenden Muskeln, sprechen folgende Argumente:
-
Hohlfußbildung findet sich auch bei CMT Patienten, die keine Paresen haben.
-
Hohlfußbildung findet sich auch bei Patienten, die überhaupt keine Polyneuropathie
haben [10].
-
Patienten mit CMT, die hochgradige Paresen haben, müssen nicht notwendigerweise einen
Hohlfuß haben.
Ein Hohlfuß sowie Krallenzehen sind meist ein Zeichen für das sehr lange Bestehen
der Erkrankung. Patienten, die im mittleren oder höheren Lebensalter eine Polyneuropathie
entwickeln, z. B. durch Diabetes oder Vitamin B12 Mangel, entwickeln keinen Hohlfuß.
So charakteristisch der Hohlfuß für CMT Erkrankungen ist, so sind sowohl die Sensitivität
als auch die Spezifität dieses Symptoms eingeschränkt. Das Auftreten eines Hohlfußes
ist unabhängig von der genetischen Form der CMT Erkrankung. Vielmehr kann man in größeren
CMT Familien beobachten, dass nur einige betroffene Familienmitglieder einen Hohlfuß
haben. Zudem gibt es Menschen mit Hohlfuß, die keine CMT Erkrankung haben. Als Beispiel
einer neurologischen Erkrankung mit Hohlfuß ohne Polyneuropathie sei die CAPOS Erkrankung
genannt, bei der der Hohlfuß sogar namensgebend ist: cerebellar ataxia, areflexia,
pes cavus, optic atrophy and sensorineural deafness ([Abb. 1]). Es gibt aber auch den Hohlfuß gänzlich ohne neurologische Erkrankung [10]. Als Beispiel für Hohlfüße verschiedener Genese siehe [Abb. 1]. Zusammenfassend kann man sagen, dass ein Hohlfuß in Verbindung mit einer Polyneuropathie
auf eine erbliche Genese hinweist, allerdings das Fehlen eines Hohlfußes eine hereditäre
Genese nicht ausschließt.
Abb. 1 a Hohlfuß und Krallenzehen bei einem jungen Patienten mit molekulargenetisch gesicherter
CMT. Mutation im Connexin32 Gen (CMTX1). b Hohlfuß bei einer jungen Patientin mit einem CAPOS Syndrom durch Mutation im ATP1A3 Gen. Cerebelläre Ataxie, Areflexie, pes cavus, Opticusatrophie und sensorineurale
Hörstörung. Es besteht bei ihr keine Polyneuropathie.
Paresen
Bei den polyneuropathischen Symptomen sind (abgesehen von den seltenen HSAN Fällen)
die motorischen Symptome oft ausgeprägter als die sensiblen Symptome. Paresen betreffen
die Fußhebung stärker als die Fußsenkung. Die Fußheberparesen entwickeln sich oft
sehr langsam, z. T. über Jahrzehnte. Es ist sehr eindrucksvoll, wenn Patienten mit
dem Vollbild eines beidseitigen Stepperganges den Untersuchungsraum betreten, dies
bei der Anamnese aber gar nicht als Beschwerde vorbringen.
Sowohl Sensibilitätsstörungen als auch Paresen und Atrophien sind bei CMT wie bei
den meisten Polyneuropathien beinbetont und stark distal betont.
Distale Myopathien weisen ein etwas anderes Muster auf: Der Schwerpunkt der motorischen
Symptome ist hier im Unterschenkelbereich und nimmt nach distal in der kleinen Fußmuskulatur
nicht mehr wesentlich zu [11].
Bei CMT Erkrankungen nimmt der Prozess nach distal hin deutlich zu. Das heißt, dass
die kleine Fußmuskulatur meist hochgradig atrophiert ist, was sich kernspintomografisch
noch besser als klinisch nachweisen lässt [12]. Fußheberparesen können vorhanden sein, sind aber nicht zwingend für die Diagnose
einer CMT Erkrankung. Atrophien an den unteren Extremitäten betreffen die kleine Fußmuskulatur.
Auch die Unterschenkelmuskulatur kann betroffen sein. Diese dann sogenannten „Storchenbeine“
sind aber nicht regelhaft vorhanden. Wenn an den Armen Paresen und Atrophien bestehen,
betreffen sie die kleine Handmuskulatur, was bereits beim Händedruck auffällt.
Die Muskeleigenreflexe sind schwach und der ASR ist meist ausgefallen. Insbesondere
bei CMT2 Formen kann aber auch der Achillessehnenreflex (ASR) erhalten sein. Außerdem
können gelegentlich sogar Pyramidenbahnzeichen gefunden werden. Insgesamt ist die
Lebenserwartung meist nicht eingeschränkt. Allerdings können einige Formen zu einer
erheblichen Gangstörung führen. Führendes Symptom sind dann Steppergang und distale
Atrophien an den unteren und oberen Extremitäten. Auch kann die Gehbeeinträchtigung
so stark sein, dass Rollstuhlpflicht besteht.
Verschiedene Formen von CMT
Verschiedene Formen von CMT
Klinisch ist die große Gruppe der CMT Erkrankungen bzgl. ihrer genetischen Ursache
kaum zu differenzieren. Die klinischen Unterschiede zwischen den einzelnen Formen
sind oft geringer als die klinischen Unterschiede zwischen verschiedenen Familienmitgliedern.
Die häufigste Form der CMT, die CMT1A, die etwa 40% aller CMT Fälle und etwa 70% der
CMT1 Formen umfasst, hat meist folgende Symptome:
-
Hohlfuß,
-
Taubheit der Zehen,
-
Gangstörung.
Die Schwere der Beeinträchtigung und das Alter, in dem die Erkrankung sich manifestiert,
variieren erheblich. Von 61 Patienten mit CMT1A und Duplikation des PMP22 Gens (peripheres Myelin-Protein, häufigstes CMT Gen) zeigten 75% die ersten Symptome
im 1. Lebensjahrzent. Es gab aber auch einen asymptomatischen Merkmalsträger im mittleren
Lebensalter, der im Rahmen einer Familienuntersuchung entdeckt wurde [13]. Nur wenige klinische Symptome weisen stark auf einen bestimmten Genotyp hin wie
z. B. die Optikusatrophie bei der CMT2A, die auch oft bzgl. der Paresen schwer verläuft
[14]. Früh sich manifestierende Erkrankungen sind häufiger schwerer ausgeprägt als spät
sich manifestierende [15].
Eine gewisse Sonderstellung nimmt die hereditäre Polyneuropathie mit Neigung zu Drucklähmungen
(HNPP) ein. Sie zählt neben der CMT1A zu den häufigsten CMT Erkrankungen. Die einzelne
Episode ist durchaus vergleichbar mit einer Drucklähmung bei Patienten ohne diese
Erkrankung. Allerdings liegt die Schwelle bei HNPP viel niedriger. Hier kann bereits
das längere Sitzen auf einem harten Stuhl oder der Toilette zu einer beidseitigen
N. ischiadicus Läsion führen. Andererseits lässt sich nicht bei allen Patienten mit
einer solchen Lähmung und dem HNPP Genotyp eine physikalische Stresssituation eruieren.
Ist man sich im Ausnahmefall unsicher, ob eine entzündliche Neuropathie besteht oder
eine HNPP, so sollte man auf jeden Fall eine molekulargenetische Untersuchung auf
HNPP machen. Die Untersuchung ist nicht sehr teuer, da nicht das gesamte PMP22 Gen
auf eine Punktmutation untersucht werden muss, sondern die Suche nach einer Deletion
des gesamten HNPP Gens meist ausreichend ist.
Selten kann eine HNPP mit Deletion des PMP22 Gens nicht nur zu dem typischen Bild
der akuten, rezidivierenden Lähmung mit Leitungsblock führen, sondern auch eine Polyneuropathie
verursachen, bei der es (noch) nicht zu einem Leitungsblock gekommen ist.
Charcot Neuroarthropathie
Neben der Charcot-Marie-Tooth Erkrankung, die Charcot 1886 beschrieb [4], gibt es eine weitere von Charcot beschriebene und nach ihm benannte Erkrankung,
die sich ebenfalls durch Veränderung des Fußgewölbes manifestiert: die Charcot Neuroarthropathie,
die der Autor 18 Jahre vorher beschrieb [16]. Unbenommen der Tatsache, dass beide Krankheiten manchmal miteinander verwechselt
werden, sind es 2 völlig separate Entitäten. Bei der Charcot Arthropathie kommt es
zu Zusammensintern des knöchernen Fußskelets. Dabei tritt kein Hohlfuß auf, sondern
im Gegenteil eher ein „Plattfuß“. Die Charcot Arthropathie ist nicht hereditär. Charcot
beschrieb sie bei Tabes dorsalis. Heute tritt sie meist in Gefolge eines Diabetes
mellitus auf. Im neurologischen Schrifttum ist diese Krankheit kaum bekannt, obwohl
man davon ausgehen muss, dass zumindest bei einem Teil der Patienten eine diabetische
Polyneuropathie besteht.
Elektrophysiologische Diagnostik
Elektrophysiologische Diagnostik
Der elektrophysiologischen Diagnostik kommt bei den CMT Erkrankungen eine besondere
Bedeutung zu. Die neurografischen Befunde sind bei CMT Erkrankungen meist sehr ausgeprägt,
auch dann, wenn die klinischen Symptome nur gering ausgeprägt sind. Genetisch betroffene
Familienmitglieder in einer CMT Familie, die nur fraglich oder gar keine Symptome
haben, zeigen dagegen immer elektrophysiologische Auffälligkeiten – seien es demyelinisierende
oder axonale Befunde.
Es ist auch die Elektrophysiologie, die die wesentliche phänotypische Einteilung der
CMT Erkrankungen in einen demyelinisierenden Typ (Typ 1) und einen axonalen Typ (Typ
2) geprägt hat.
Bei CMT1 (oder HMSN I) ist die Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) deutlich verzögert,
bei CMT2 (HMSN II) ist sie nicht oder nur gering verzögert. Bei axonalen Prozessen
kann die NLG durch den axonalen Ausfall schneller Fasern auch etwas verlangsamt sein.
Es waren Harding und Thomas, die den Grenzwert bei der motorischen NLG des N. medianus
bei 38 m/s definierten [17]. D.h. Patienten mit einer motorischen Medianus NLG von weniger als 38 m/s sind als
HMSN I zu definieren und solche mit einer NLG von größer als 38 m/s als HMSN II. Dass
Harding und Thomas zur Untersuchung den N. medianus auswählten, liegt nicht daran,
dass dieser besonders stark in den Krankheitsprozess einbezogen ist [17]. Im Gegenteil: Auch bei CMT Patienten ist der N. tibialis in seinem distalen Anteil
stärker betroffen als der N. medianus. Der N. medianus ist allerdings selten so stark
betroffen, dass überhaupt kein MAP mehr ableitbar ist. Ohne ein ableitbares MAP lässt
sich keine NLG bestimmen, so wie man das im Beispielfall der Tabelle 2 ersehen kann.
Harding und Thomas konnten somit bei allen Patienten ein Medianus CMAP ableiten und
damit bei ihren Patienten eine Zuordnung zu HMSN I oder HMSN II treffen [17].
Grenzwerte der NLG
Es ist entscheidend zu beachten, dass sich das Trennkriterium von 38 m/s auf den N.
medianus bezieht. Für den N. tibialis, bei dem der untere Grenzwert der NLG in den
meisten Laboren bei etwa 40 m/s liegt, wären 38 m/s ja nur eine marginale Verzögerung.
Für den N. medianus, bei dem meist der untere Grenzwert der NLG bei 50 m/s oder geringfügig
darunter liegt, ist eine Verzögerung auf 38 m/s aber erheblich.
Die motorische NLG ist bei der häufigsten Form, der CMT1A, oft stark vermindert. Die
motorische NLG liegt häufig deutlich unter dem Grenzvert von 38 m/s, z. B. bei 20
oder 25 m/s.
Die Verzögerung ist im gesamten peripheren Nervensystem zu finden. Dies ist eines
der differenzierenden Kriterien zur CIDP, bei der Nerven oft fokal betroffen sein
können und damit bei einer Messung eine starke NLG Verlangsamung gefunden werden kann,
die in einem anderen Nerven nicht besteht. Solche fokalen NLG Verlangsamungen können
allerdings auch bei der hereditären Polyneuropathie mit Neigung zu Drucklähmungen
(HNPP, tomakulöse Neuropathie, Deletion des PMP22 Gens) aber kaum bei anderen CMT
Erkrankungen gefunden werden.
Die Amplituden der MAPs liegen bei den axialen CMT Formen häufig deutlich unterhalb
1 mV, oft bei 0,1 oder 0,2 mV. Bei distalen Myopathien kann es ebenfalls zu einer
Amplitudenminderung der MAPs in der kleinen Fußmuskulatur kommen, die allerdings geringer
ausgeprägt ist und nach den bisherigen wenigen mitgeteilten Befunden oberhalb von
1 mV liegt. Einige Befunde sind in [Tab. 1] zusammengestellt.
Tab. 1 Befunde von NLG und CMAP Amplituden bei demyelinisierenden und axonalen CMTs sowie
bei distalen Myopathien.
|
Motor. NLG
|
Amplitude MAP im M. abd. hall.
|
|
HMSN I
|
deutlich verzögert
|
normal oder erniedrigt
|
|
HMSN II
|
normal oder leicht verzögert
|
stark erniedrigt, oft kleiner als 0,5 mV
|
|
Distale Myopathie
|
normal
|
mäßig erniedrigt
|
Elekrophysiologische Unterscheidung der CMT Gruppen
Die Prägnanztypen demyelinisierende oder axonale CMT beziehen sich v. a. auf die früheren
Stadien der Erkrankung. Schreitet z. B. bei einer demyelinisierenden Polyneuropathie
der Krankheitsprozess fort, so kann es auch zu einem sekundären axonalen Ausfall kommen.
In diesem Fall sind dann auch bei CMT1 Formen die Amplituden der CMAPs deutlich erniedrigt.
Der axonale Verlust korreliert besser mit klinischen Parametern der Beeinträchtigung
als die NLG Verzögerung [18].
Tab. 2 Elektroneuropathische Werte zum Fallbericht. MAP=Amplitude des Muskelantwortpotentials
in mV. SNAP=sensibles Nervenantwortpotential in uV.
|
Mutter
|
Tochter
|
|
NLG (m/s)
|
MAP/SNAP
|
NLG (m/s)
|
MAP/SNAP
|
F-Welle
|
|
N. tib.re
|
?
|
Kein MAP messbar
|
29
|
5,1
|
69
|
|
N. tib.li.
|
?
|
Kein MAP messbar
|
29
|
4.2
|
74
|
|
N. peron. re.
|
?
|
Kein MAP messbar
|
|
1.3
|
Nicht messb.
|
|
N. peron. li.
|
?
|
Kein MAP messbar
|
|
1.3
|
Nicht messb.
|
|
N. med. re.
|
27
|
5,1
|
32
|
10,4
|
45
|
|
N. suralis re.
|
?
|
Kein SNAP messbar
|
29
|
10 uV
|
|
|
N. suralis li.
|
?
|
Kein SNAP messbar
|
32
|
7.9 uV
|
|
Ein Leitungsblock ist ein typisches Zeichen einer CIDP, spricht aber gegen das Vorliegen
einer CMT Erkrankung, wiederum mit der Ausnahme einer HNPP Erkrankung. Alleine aus
diesem Grunde soll eine vollständige Neurografie durchgeführt werden mit Messung der
motorischen NLG der Nn. tibialis bds., des N. peronaeus bds., des N. medianus bds.
(ev. auch des N. ulnaris bds.) und der sensiblen NLG des N. suralis. Bei CMT Erkrankungen
kommt es meist zu relativ ausgebreiteten und gleichförmigen elektrophysiologischen
Veränderungen. Fokale Veränderungen wie Leitungsblock sind nicht typisch für die CMT
Erkrankungen mit Ausnahme der HNPP.
Die periphere Leitungsbeeinträchtigung ist mit der Elektroneurografie gut zu erfassen.
Aber auch somatosensibel evozierte Potentiale zeigen die Verzögerung gut an. Eine
zusätzliche Leitungsverzögerung des zentralen sensiblen Schenkels wurde aber nicht
gefunden [19]
[20].
Ultraschalluntersuchung
Mit der B-Bild Sonografie ist die Volumenzunahme der peripheren Nerven bei einigen
Formen von CMT darstellbar [21]
[22]. Dabei liegen nur wenige größere Serien vor, die eine genetisch homogene Gruppe
von Patienten untersuchten. Bei CMT1B sollen v. a. die Veränderungen in den Nerven
der oberen, proximalen Extremitäten deutlich ausgeprägt sein [21]. Angesichts der breiten Verfügbarkeit dieser Methode dürften das Interesse und die
diagnostische Anwendung in Zukunft deutlich zunehmen.
Genetische Unterscheidung verschiedener CMT Formen
Genetische Unterscheidung verschiedener CMT Formen
Während die klinischen und elektrophysiologischen Untersuchungen in den 1970-iger
Jahren an 2 Hauptgruppen und wenige Nebengruppen hat denken lassen [5]
[17]
[23], so kennen wir heute in der Gruppe CMT bereits etwa 80 Gene, deren Mutation zu einer
CMT Erkrankung führen kann [6].
Weitere etwas seltenere Formen sind die CMT1B durch Mutation im MPZ (alias P0) Gen und CMTX1 im Connexin32 Gen. In der Gruppe CMT2 ist die CMT2A durch Mutation im Mitofusin2 (MFN2) Gen am häufigsten. Alle anderen Gene sind deutlich seltener betroffen oder sind derzeit
weltweit gar nur bei wenigen Familien beschrieben [30].
Die weitaus häufigste Form ist die Duplikation des PMP22 Gens. Sie stellt ca. 80% der Patienten der CMT1 Gruppe.
Klinisch lassen sich die mittlerweile 80 genetischen Formen kaum voneinander differenzieren
mit wenigen Ausnahmen. So ist eine N. opticus Beteiligung sehr charakteristisch für
die CMT2A (Mutation im Mitofusin-2 Gen). Ein rezessiver Erbgang weist auf eine CMT4 hin. Elektrophysiologisch ist die
bereits erwähnte Differenzierung in CMT1 und CMT2 wichtig. Darüber hinaus können elektrophysiologische
Verfahren jedoch keine weiteren Hinweise auf eine ganz bestimmte CMT Form geben.
Stammbaum
Wie bei jeder genetischen Krankheit muss bei Patienten mit CMT Erkrankungen oder dem
Verdacht darauf eine Stammbaumanalyse durchgeführt werden. Dabei ist es wenig hilfreich
zu fragen, ob es Familienmitglieder mit einer Polyneuropathie gibt. Erfolgreicher
sind Fragen wie: „Wie sind die Füße Ihrer Eltern? Haben sie Einlagen getragen? Welche
Note hatten sie im Sportunterricht?“. Zahlenmäßig sind die autosomal dominanten Formen
von CMT weitaus am häufigsten. Wenn der Stammbaum trotz ausreichender Größe überhaupt
keinen direkten oder indirekten Hinweis auf eine Polyneuropathie ergibt, dann ist
die Wahrscheinlichkeit des Bestehens einer CMT Erkrankung gering. Die Verwendung eines
digitalen Stammbaumprogramms ist bei der Stammbaumerhebung zu empfehlen.
Bei den x- chromosomalen CMT Formen, insbesondere bei CMTX1 durch Mutation im Connexin32 Gen ist noch folgendes wichtig: Anders als bei anderen X chromosomalen Krankheiten
– wie z. B. der Hämophilie – können Frauen recht deutlich betroffen sein. Dies hängt
mit der sog. Lyonisierung zusammen, also dem Vorgang der X-chromosomalen Inaktivierung.
Sind Sohn und Mutter betroffen, wird dann nicht selten zunächst fälschlicherweise
der Verdacht auf CMT1A gestellt und ein x-chromosomaler Erbgang gar nicht in Erwägung
gezogen. Meist sind aber Söhne dann doch stärker betroffen als ihre Mütter.
Segregationsanalysen
Bei der großen Anzahl von CMT Genen besteht gegenwärtig folgendes Problem: Durch next
generation sequencing (NGS) können viele Gene parallel analysiert werden. Dies kann
als whole exome sequencing durchgeführt werden, häufiger aber als sog. targeted NGS.
Bei letzterem werden nur diejenigen Gene untersucht, bei denen eine kausale Verbindung
zu einer CMT Erkrankung bereits nachgewiesen wurde oder zumindest hoch wahrscheinlich
ist. Aber selbst, wenn nur solche „Polyneuropathiegene“ untersucht werden, führt dies
oft dazu, dass Sequenzvarianten gefunden werden, die bislang noch nicht als eindeutig
pathogen beschrieben wurden. Kliniker und Molekulargenetiker wissen dann zunächst
nicht, ob diese Variante die Ursache des klinischen Syndroms des Patienten ist, oder
ob sie harmlos ist und gar nicht zu der Polyneuropathie bei diesem Patienten geführt
hat. Es könnte sein, dass die Ursache für die Polyneuropathie beim gegebenen Patienten
vielleicht in einem anderen, bislang noch nicht bekannten CMT Gen liegt. Dies liest
sich in Publikationen dann etwa so: „we describe several novel likely pathogenic variants“
[24]. Es werden also neue Varianten in Polyneuropathie Genen beschrieben, von denen im
Einzelfall gar nicht ganz sicher ist, dass sie auch wirklich kausal für die Polyneuropathie
sind. Dies führt dazu, dass bei einer neuen Variante die Wahrscheinlichkeit der Pathogenität
in 5 Stufen angegeben werden sollten: pathogen – wahrscheinlich pathogen – unsicher
– wahrscheinlich gutartig – gutartig [25]. Verfeinerte Methoden wie ClinPred und InterVar sind kürzlich erschienen [26]
[27].
Feststellung der Pathogenität einer Sequenzvariante
Zur Klärung der Pathogenität einer Sequenzvariante bieten sich 3 Methoden an:
-
Molekulargenetiker können anhand von Datenbanken mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit
abschätzen, ob die Sequenzvariante harmlos ist oder ob sie ev. zu einem pathologischen
Genprodukt führt. Dazu gibt es Instrumente wie Mutation taster oder Polyphen, die aber nicht sehr zuverlässig funktionieren. Wird also in einer solchen „in silico“
Analyse eine Sequenzvariante als „deleterious“ klassifiziert, so ist noch lange nicht
gesagt, dass sie auch wirklich kausal für die Polyneuropathie ist.
-
Mit funktionellen Methoden lässt sich das Genprodukt des betreffenden Gens nachweisen
und damit klären, ob die in Frage stehende Genvariante ursächlich ist. Solche Methoden
sind aber nicht allgemein verfügbar, teilweise auch unsicher und stehen v. a. nicht
für alle Genprodukte zur Verfügung.
-
Die alternative oder auch ergänzende Methode ist eine Segregationsanalyse. Dabei werden
mehrere Familienmitglieder klinisch und elektrophysiologisch sowie molekulargenetisch
untersucht. Weisen alle klinisch betroffenen Familienmitglieder eine bestimmte Genvariante
auf und alle klinisch nicht betroffenen weisen diese Genvariante nicht auf, dann spricht
viel für die Kausalität dieser Variante. Je mehr Personen für eine solche Segregationsanalyse
zur Verfügung stehen und je mehr Meiosen zwischen den betroffenen Familienmitgliedern
liegen, desto sicherer wird die Aussage. Ein Cousin 3. Grades ist genetisch hier informativer
als ein Geschwister, denn die Wahrscheinlichkeit, dass klinischer Phänotyp und der
Genotyp unabhängig sind aber dennoch zufällig gemeinsam segregieren, ist bei einem
Cousin 3. Grades wesentlich geringer als bei einem Geschwister. Mit diesen Methoden
konnte in einer eigenen großen Familie ein neues CMT Gen etabliert werden [28].
Hindernisse einer Segregationsanalyse
Die Methode der Wahl zur Feststellung der Pathogenität einer Sequenzvariante für den
klinischen Neurologen ist also die Segregationsanalyse. Die Basis derselben ist die
richtige Klassifizierung der Mitglieder einer Familie als klinisch/elektrophysiologisch
betroffen oder nicht betroffen. Bei dieser nur scheinbar leichten Aufgabe müssen folgende
Faktoren berücksichtigt werden:
-
Polyneuropathien sind häufig. Auch in einer CMT Familie kann ein Familienmitglied
eine Polyneuropathie anderer Genese haben. Dieses als „betroffen“ klassifizierte Familienmitglied
stört ggfs. die Segregationsanalyse.
-
Ein junger Mensch könnte Genträger eines mutierten Gens sein, aber noch asymptomatisch.
CMT Patienten kommen nicht selten erst in der 2. Lebenshälfte zur Untersuchung. Ein
solcher klinisch falsch klassifizierter junger Familienangehöriger kann die Segregationsanalyse
dieser Familie in eine falsche Richtung lenken.
-
Bei Segregationsanalyse im Allgemeinen spielt die Penetranz einer Erkrankung eine
große Rolle. Hier ist bei den CMT Erkrankungen allerdings festzustellen, dass bei
den meisten bislang bekannten Familien genetisch betroffene Mitglieder zumindest im
höheren Lebensalter klinische Symptome oder aber zumindest elektrophysiologische Auffälligkeiten
aufweisen. Dauerhaft ganz asymptomatische Merkmalsträger sind also wahrscheinlich
sehr selten.
-
Bei rezessiven Erkrankungen und auch bei X-chromosomalen Erkrankungen ist es bei der
heute in Deutschland meist bestehenden kleinen Familiengröße oft schwierig, eine ausreichende
Anzahl von Familienmitgliedern für eine solche Analyse zu rekrutieren.
Molekulargenetische Untersuchungen
Molekulargenetische Untersuchungen
Wer eine molekulargenetische Untersuchung veranlasst, muss den Patienten nicht nur
ausführlich neurologisch und elektrophysiologisch, ggfs. auch sonografisch, untersuchen,
sondern muss den Patienten auch ausführlich beraten. Dabei muss der Inhalt des Gendiagnostikgesetzes
und das Recht auf Wissen und Nichtwissen berücksichtigt werden. Ärztekammern bieten
hierzu fachspezifische Weiterbildungen an. Schließlich muss berücksichtigt werden,
dass das Ergebnis einer molekulargenetischen Untersuchung auch Auswirkungen auf die
Familie des Betroffenen haben kann.
Bei der Indikation einer Untersuchung muss man wissen, dass die häufigste Form der
CMT, die CMT1A, durch eine Gendosisveränderung zustande kommt. Diese kann mithilfe
einer MLPA (multiplex ligation-dependent probe amplification), einer Variante der
Multiplex-PCR, erfasst werden. Gendosisveränderungen werden mithilfe des next generation
sequencing bislang nicht erfasst, auch wenn es hierzu erste Untersuchungen gibt [29]. Eine MLPA hat außerdem den Vorteil, dass nicht nur die Duplikation, sondern auch
die Deletion des PMP22 Gens erfasst wird (HNPP).
Die allermeisten Gene weisen allerdings keine Gendosisveränderung, sondern Punktmutationen
auf. Deren Erfassung war mit der klassischen Sanger-Sequenzierung nur mit großem Aufwand
zu erfassen, ist heute dank der Möglichkeiten des NGS jedoch deutlich einfacher geworden.
Mit dieser Methode konnte ein nicht unerheblicher Teil von bislang ungeklärten CMT
Fällen aufgeklärt werden, wobei die richtige Bewertung der großen Zahle gefundener
Genvarianten eine neue Herausforderung darstellt [24]
[29]
[31]
[32]
[33]
[34].
Therapie
Bei vielen Patienten besteht Bedarf nach einer Versorgung des Hohlfußes. Dies geschieht
in erster Linie durch einen qualifizierten orthopädischen Schuhmachermeister. Fußchirurgische
Maßnahmen können erforderlich werden. Die Indikation zu einer solchen Maßnahme sollte
aber vom fußchirurgischen Spezialisten gestellt werden. Wichtig ist eine intermittierende
krankengymnastischen Behandlung.
Die Beratung über den zu erwartenden Krankheitsverlauf ist insbesondere bei jungen
Menschen in der Berufsfindung wichtig. Bei Diagnose einer hereditären Polyneuropathie
sollten Berufe mit erhöhter Anforderung an körperliche Fitness (z. B. Besteigen von
Gerüsten etc.) möglichst nicht gewählt werden. Eine medikamentöse Behandlung steht
weitgehend noch nicht zur Verfügung. Nach anfänglichen Hoffnungen hat sich kein eindeutig
positiver Effekt von Vitamin C bei der CMT1A finden können [35]
[36].
Bei der HNPP kann durch prophylaktische Maßnahmen das Auftreten einer Lähmung verhindert
werden. Die Patienten müssen ausführlich darüber aufgeklärt werden, dass längere Druckwirkung
auf einen Nerv zu einer Lähmung führen kann. Besonders Operationen bergen ein Risiko
für solche akuten Lähmungen. Daher übergeben wir den Patienten eine Bescheinigung,
die sie mit sich führen können, um im Falle einer Operation Operateur und Anästhesist
über die Notwendigkeit einer entsprechenden Lagerung zu informieren.
Therapie anderer Polyneuropathien
Es gibt mittlerweile Behandlungsmöglichkeiten bei einigen hereditären Polyneuropathien,
die allerdings nicht zu den CMT Formen zählen. So steht schon seit einiger Zeit die
Behandlung von Polyneuropathien bei Transthyretin-Amyloidose zur Verfügung und seit
kurzem sind 2 weitere Substanzen verfügbar: Inotersen und Patisiran [2]
[3]. In diesem Zusammenhang kann auch die Polyneuropathie bei M. Fabry genannt werden,
für deren Behandlung es eine Enzymersatztherapie gibt [37]. Die Polyneuropathie bei M. Fabry ist eine small fibre Neuropathie.
Diese ersten Ergebnisse von genetisch-pathophysiologisch orientierten Therapien bei
Polyneuropathien zeigen, dass prinzipiell bei vielen CMT Formen ähnliche Therapien
möglich sind. Bei der Entwicklung dieser Therapien ist die erhebliche genetische Heterogenität
ein großes Problem. Ein weiteres Problem in der Evaluierung neuer Substanzen ist der
sehr langsame Verlauf der Erkrankung, der die Evaluierung einer Therapieeffektes erschwert.
Anamnese: Schon als Kind hatte sie Schwierigkeiten mit den Füßen. Beim Sport oft umgeknickt.
Behandlung beim Orthopäden. Später habe sie von Schuhen mit Absätzen profitiert. Vater
und dessen Mutter hatten ähnliche Füße. Eine Cousine hat eine ausgeprägte Fußheberlähmung.
Befund: Hochgradige Fußheberparese, mittelgradige Fußsenkerparese. BER nicht auslösbar.
Hypästhesie ab Unterschenkelmitte. Vibratio an den Malleoli 4/8. Steppergang, Zehengang
partiell möglich. Trägt MBT Schuhe.
CK Wert: 232 U/l. Molekulargenetisch besteht eine Duplikation des PMP22 Gens.
Vier Jahre später wird die 39-jährige Tochter der o.g. Patientin untersucht. Vor 1
Jahr habe sie mal Beschwerden mit den Füßen gehabt: sie kam nicht in die Schuhe rein.
Sie hatte auch Rückenschmerzen, ein Bandscheibenschaden wurde diagnostiziert.
Befund Tochter: Keine Störung der Ästhesie, Vibratio Knöchel 6/8. MER mittellebhaft,
ASR schwach auslösbar. Gang o.B., Zehen- und Fersengang gut möglich ([Tab. 2]).
Kommentar zum Fallbericht
Typisch bei der Mutter:
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Medianus NLG liegt unter 38 m/s, damit Hinweis auf CMT1
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Bein NLG´s sind nicht bestimmbar, weil keine MAPs ableitbar
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Demyelinisierende PNP, die nach längerem Verlauf sekundär axonal wird
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Etwa 60-jähriger Verlauf vor Diagnosestellung einer CMT1A.
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Hochgradige Fußheberparesen wurden in der Anamnese nicht erwähnt
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Der CK Wert ist oft leicht erhöht. Werte bis 500 sind nicht ungewöhnlich, werden dann
bei nicht eindeutigen Sensibilitätsstörungen fälschlich als Myopathie-verdächtig interpretiert.
Interessant bei der Tochter:
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Die Tochter hat kaum auffällige neurologische Befunde.
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Dennoch ist die Neurografie gut passend zu CMT1A
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Offenbar ist der benigne Verlauf einer CMT1A nicht eindeutig erblich.
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Die häufigsten Genmutationen bei CMT sind die Duplikation und die Deletion des PMP22 Gens.
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Die wichtigste elektrophysiologische Einteilung der CMTs sind CMT1 (demyelinisierend)
und CMT2 (axonal)
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Das Unterscheidungskriterium zwischen CMT 1 und CMT2 ist die NLG des N. medianus mit
schneller und langsamer als 38 m/s.
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Nicht selten ist bei CMT2 der axonale Verlust so stark, dass gar keine MAPs von den
Beinen abgeleitet werden können.
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Die wichtigste Maßnahme der HNPP ist die Aufklärung des Patienten über mögliche prophylaktische
Maßnahmen.
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag
ist Dr. med. Johannes Koren, Wien.