Schlüsselwörter
Demografischer Wandel - Polypille Bewegung - Degeneration
Key words
Demographic change - polypill exercise - degeneration
Abb. 1 Krafttraining bildet eine zentrale Stellgröße in der
Gesunderhaltung. (Foto: tatomm/Adobe Stock)
Einleitung
Gerade in Anbetracht des demografischen Wandels und der Überalterung der Bevölkerung
mit für das Jahr 2050 schätzungsweise 30 Millionen über 60-Jährigen in der
Bundesrepublik [1] und ca. 2 Milliarden weltweit
[2] muss die wachsende Personengruppe der
Älteren verstärkt in die Aufmerksamkeit der Gesundheitsversorgung rücken und das
biologische Alter trotz fortschreitendem kalendarischen Alter so „jung“ wie möglich
gehalten werden. Während das kalendarische Alter den Zeitraum, der seit der Geburt
vergangen ist, beschreibt, findet im Kontext des biologischen Alters, der
körperliche Funktionszustand sowie die Ausprägung kognitiver und motorischer Fähig-
und Fertigkeiten Berücksichtigung, welche durch körperliches Training gefördert
werden können.
Alter und Fitness
Mit leichten Variationen zwischen den motorischen Kompetenzen liegt im Alter zwischen
20 und 35 Jahren der potenzielle Höhepunkt der motorischen Leistungsfähigkeit [3]. Wurde dieser Leistungsgipfel erreicht, kommt es
jenseits von diesem zu einem quasi linearen Abfall der Leistungsfähigkeit in den
Folgejahrzehnten, welcher sich ab dem 7. bzw. 8. Lebensjahrzehnt nochmals
beschleunigt.
Diese Beobachtungen sind allerdings nur dann richtig, wenn über den gesamten
Beobachtungszeitraum immer die maximale Leistungsfähigkeit herangezogen wird. So
kann der individuelle Höhepunkt bei einer sehr sparsamen Bewegungsbiografie, aber
einem späteren Einstieg in körperliches Training, durchaus auch erst jenseits der
40er eintreten. Wurde ein hohes Leistungsniveau erreicht, z. B. im Fall ehemaliger
Spitzenathleten, zeigen diese Menschen auch in fortgeschrittenem Alter
(> 70 Jahre) noch Leistungen, welche mit denen von 20 bis 30 Jahren jüngeren
Personen der Normalbevölkerung übereinstimmen [3],
[4] ([
Abb.
2
]).
Abb. 2 Vergleich der muskulären Leistung von Krafttrainierten und
-untrainierten in verschiedenen Lebensaltern (modifiziert nach [3], [4]).
Knochendichte
Durch körperliche Inaktivität kann eine altersassoziierte Verschlechterung bei
beinahe allen körperlichen Parametern beobachtet werden. Warming, Hassager und
Christiansen [5] beobachteten eine mit dem Alter
korrelierte Reduktion der Knochendichte, die sich bei Frauen insbesondere mit
Eintritt der hormonellen Veränderungen in der Menopause deutlich beschleunigt. In
einer Querschnittsstudie mit Probanden in einer Altersspanne von 54 bis 73 Jahren
wiesen ehemalige Leistungssportler wesentlich höhere Knochendichten auf als die
Personen in der sedentären Kontrollgruppe [6]. Die
Altersdifferenzen, von Warming und Kollegen [5]
herangezogen, war bei den ehemaligen Athleten verglichen mit der Kontrollgruppe eine
Verjüngung des Knochenalters von bis zu 5 Jahrzehnten zu beobachten.
Etherington und Kollegen [7] konnten diesbezüglich
einen positiven Dosis-Wirkungs-Zusammenhang von Aktivitätsniveau und Knochendichte
mit ehemaligen Spitzenathleten am einen und körperlich inaktiven Personen am anderen
Extrem des Aktivitätskontinuums nachweisen. Auch hier bestätigt sich eine mehrere
Dekaden umspannender Unterschied des Knochenalters.
Neben diesen korrelativen Ergebnissen, bei denen die starke Assoziation von
körperlicher Aktivität und Knochendichte auch durch andere Faktoren verzerrt sein
kann, konnten die 65- bis 78-jährigen Teilnehmer eines multimodalen, heimbasierten
Trainingsprogramms innerhalb einer Interventionszeit von 18 Monaten die
Knochendichte in den Lendenwirbelkörpern um eine halbe Standardabweichung
(d = 0,49), im Femurhals sogar um d = 0,6 Standardabweichungen im Vergleich zur
Kontrollgruppe verbessern. Die Kontrollgruppe war allerdings nicht inaktiv, sondern
führte ein niederschwelliges Trainingsprogramm durch, welches wohl dazu beitrug,
dass die Knochendichte zumindest nicht zurückging [8]. Im Kontext der Alterszusammenhänge von Warming und Kollegen [5] entsprechen diese Effekte einem Altersunterschied
von 0,5 bis zu 2 Jahrzehnten (in Abhängigkeit von der knöchernen Struktur und der
Referenzkategorie). Als positiver Zusatzeffekt zeigte die Trainingsgruppe mit der
hohen Trainingsintensität eine um ⅓ niedrigere Sturzrate als die niederintensiv
trainierende Kontrollgruppe. In einer systematischen Übersichtsarbeit fanden Zhao,
Zhao und Xu [9] einen ebenfalls positiven Effekt
von Krafttraining auf die Knochendichte, der insbesondere durch die Kombination von
Krafttraining und dem Training mit Gewichtswesten und hohen Impulsen (z. B. durch
Sprünge) gefördert wurde.
Was ist zu diesem Thema bereits bekannt?
-
Mit dem demographischen Wandel steigt auch die Prävalenz von
altersassoziierten Erkrankungen und Multimorbidität.
-
Körperliche Aktivität und Training haben eine positive Wirkung auf die
Mortalität und Morbidität.
-
Lebenslange körperliche Aktivität ist eine zentrale
Gesundheitsressource.
Welche neuen Erkenntnisse bringt der Artikel?
-
Durch lebenslanges körperliches Training bewahren Menschen auch im hohen
Alter die Leistungsfähigkeit der um Dekaden jüngeren
Durchschnittsbevölkerung.
-
Durch körperliche Aktivität kann die vorzeitige Sterblichkeit durch
Multimorbidität so gut wie aufgehoben werden.
-
Training besitzt eine neuroprotektive Wirkung.
-
Krafttraining stellt eine zentrale Stellgröße in der Gesunderhaltung
dar.
Skelettmuskulatur
Genau wie bei den Knochen ist auch die Qualität der Skelettmuskulatur Produkt ihrer
Beanspruchung. Hierbei kann es durch ein gezieltes Training zu enormen
Drehmomentverbesserungen kommen, wobei insbesondere jene Personen profitieren,
welche ein vergleichsweise niedriges Ausgangsniveau aufweisen [10], [11], [12], [13].
Dementsprechend empfiehlt es sich über die gesamte Lebensspanne, aber insbesondere
für Personen höheren Alters, ein gezieltes Muskeltraining aufzunehmen, um die
Lebensqualität und den körperlichen Funktionsstatus bestmöglich aufrechtzuerhalten.
Entsprechend der Arbeiten von Porter et al. sowie Hazell und Kollegen [14], [15] sowie der
Meta-Analyse von Tschopp und Kollegen [16] scheinen
gerade schnell- und reaktivkräftige Übungen eine besonders positive Wirkung auf die
Lebensqualität und den körperlichen Funktionsstatus älterer Personen zu besitzen.
Die Autoren sprechen diesen Kraftdimensionen sogar einen höheren prädikativen Wert
als der Maximalkraft auf jene proximalen Gesundheitsparameter zu. In einer Arbeit
mit Frauen oberhalb der 6. und 8. Lebensdekade bestätigten Caserotti und Kollegen
dies für beide Altersgruppen, wobei eine gleichermaßen gute Trainierbarkeit
beobachtet wurde [17]. Dieser funktionale Mehrwert
von Schnell- und Reaktivkrafttraining sehen Steib et al. insbesondere darin
begründet [13], dass den Teilnehmern eines solchen
Trainings Alltagsaktivitäten wie Treppensteigen oder das Aufstehen aus sitzender
Position weniger Mühe bereitet. Auf muskelphysiologischer Ebene erklärt sich dieser
Zusammenhang auch dadurch, dass ältere Personen verglichen mit jüngeren Menschen
weniger für schnell- und reaktivkräftige Bewegungen notwendige Typ-2-Muskelfasern
besitzen, wohingegen die Zahl der ausdauernden Typ-1-Fasern sich nicht merklich
unterscheidet [18].
Diese Beobachtungen werden durch die Trainingsstudie von Kryger und Andersen
bestätigt [19]. Hierbei führten 11 Personen im
Alter von 85 bis 97 Jahren ein 12-wöchiges, intensives Krafttraining (80 %-1RM) mit
3 Trainingseinheiten à 45 Minuten pro Woche durch. Im Mittel zeigten sich bei den
Probanden isokinetisch gemessene Drehmomentsgewinne von über 47 % sowie eine Zunahme
des Quadriceps-Querschnitts von 10 %. Dieses Querschnittswachstum konnte
insbesondere auf eine Hypertrophie der Typ-2-Muskelfasern zurückgeführt werden,
deren Querschnitt sich um 22 % vergrößerte. Analog verschob sich die Verteilung der
Myosin-Heavy-Chains (MHC) zugunsten des schnelleren MHC-Typ-II. In einer
vergleichbaren Studie von Slivka et al. wurde ebenfalls ein deutlicher Kraftzuwachs,
allerdings keine Beeinflussung der Muskelfasertypen oder der MHC durch ein
12-wöchiges Krafttraining bei 3 wöchentlichen Trainingseinheiten mit 70 % des 1RM
gefunden [20]. Um die optimale Belastungssteuerung
für betagte Menschen zu finden und die divergierenden Studienergebnisse zu erklären,
sind weitere Trainingsstudien mit adäquater Belastung vonnöten.
Zusammenhang von Kraft und Mortalität
Zusammenhang von Kraft und Mortalität
Gerade in Bezug auf die Prävention, was hier sowohl die Vorbeugung von Krankheiten
als auch des Todes umfassen soll, beschränkt sich die bewegungswissenschaftliche
Evidenz fast ausschließlich auf die aerobe Ausdauer [21]. Dies wird gerade dann deutlich, betrachtet man die von der WHO
empfohlenen täglichen 10 000 Schritte, einem Parameter für geleistete Arbeit, als
Differenzierungsmerkmal in epidemiologischen Studien oder in der Promotion von
Bewegung [22].
Relativ stiefmütterlich behandelt ist im Gegensatz hierzu die Rolle des
Krafttrainings bzw. der Kraftfähigkeit. Ruiz et al. konnten in einer groß angelegten
prospektiven Kohortenstudie über einen medianen Follow-Up-Zeitraum von knapp
20 Jahren 503 Todesfälle beobachten [23]. Die
Autoren fanden im stärksten Tertil – die Kraft wurde mithilfe des 1-RM in Beinpresse
und Brustpresse erhoben – eine im Mittel um 34 % reduzierte altersadjustierte
Gesamtmortalität, verglichen mit jenen Personen im schwächsten Tertil. Dieses Muster
bestätigte sich auch für Krebs- und kardiovaskuläre Erkrankungen. Im komplett
adjustierten Modell konnte der Mehrwert auch unter Berücksichtigung von BMI,
Raucherstatus, Aktivitätsniveau und Ausdauerfähigkeit demonstriert werden, weswegen
die Kraftfähigkeit eine eigenständige Gesundheitsressource und nicht nur als
Surrogat, z. B. eines aktiven Lebensstils, angesehen werden darf. Zu einem
vergleichbaren Ergebnis kommen auch Sasaki et al. in einer prospektiven japanischen
Kohortenstudie [24]. Innerhalb des
Beobachtungszeitraums von 27 Jahren konnten die Forscher 2483 Todesfälle
verzeichnen. Die isometrisch erhobene Griffkraft zeigte hierbei einen protektiven
Effekt mit Blick auf das Sterberisiko, wobei eine um 5 kg (5 kilopond, d. h. ca.
50 N) höhere Griffkraft mit einer Risikoreduktion von 10 % einhergeht. Dieser Effekt
konnte dabei über alle erhobenen Altersgruppen (35 – 74 Jahre zum Erhebungszeitraum)
und mehrere Todesursachen nachgewiesen werden. Newman und Kollegen fanden ebenfalls
eine substanzielle Reduktion des mittleren Sterberisikos von 36 % bei Männern bzw.
56 % bei Frauen pro positive Standardabweichung der Kraftfähigkeit (38 Nm im
Quadriceps; 10,7 kg und ca. 105 N Griffkraft) [25].
Interessant ist in diesem Fall, dass die Autoren keinen prädikativen Mehrwert der
Quadricepskraft gegenüber dem Griffkraft beobachten konnten. Allerdings weisen die
Autoren der Kraftfähigkeit einen größeren prädikativen Nutzen auf die Sterblichkeit
als dem Muskelquerschnitt zu. In der groß angelegten internationalen PURE-Studie
[26], in welche die Daten von 140 000 Personen
aus 17 Ländern einflossen, konnten Leong und Kollegen mit einer Follow-Up-Zeit von
4 Jahren eine Risikoerhöhung von 16 % pro 5 kg Kraftverlust im Griffkraft auf die
unspezifische Mortalität beobachtet werden (vgl. auch [27]).
Während in den vorangegangenen Untersuchungen Personen über die gesamte Altersspanne
erhoben wurden, haben Guadalupe-Grau et al. lediglich Personen jenseits des
70. Lebensjahres verschiedenen Krafttests unterzogen [28]. Es zeigte sich, dass diese Population ganz besonders von einer hohen
Kraftfähigkeit profitiert. So verzeichnet das adjustierte Modell eine
Risikoreduktion vom schwächsten zum stärksten Quartil von bis zu 80 % (bei großer
Unschärfe des Schätzers). Dieser hohe Nutzen der Kraftfähigkeit auf die
Sterblichkeit von älteren Menschen konnten auch Ling und Kollegen bestätigen.
Hierbei wurde die Griffkraft von 555 Personen im Alter von 85 Jahren erhoben und
entsprechend ihrer Handkraft in Tertile eingeteilt. Auch hier zeigt sich eine
Proportionalität von Griffkraft und Sterbewahrscheinlichkeit innerhalb des fast
10-jährigen Beobachtungszeitraums, wobei das schwächste Drittel eine um 35 % erhöhte
Sterblichkeit aufwies [29]. Besonders gefährdet
(Hazard Ratio = 1,72) waren hierbei Personen, die einen großen Kraftverlust
verzeichneten. Bei derartigen Beobachtungsstudien muss immer berücksichtigt werden,
dass wegen des explorativen Charakters der Studien nicht ausgeschlossen werden kann,
dass es sich bei den beobachteten Zusammenhängen lediglich um Scheinkorrelationen
handelt, wobei beide Variablen über eine Drittvariable wie den Gesundheitsstatus
miteinander assoziiert sind. So ist davon auszugehen, dass Personen mit
vergleichsweise schlechtem Gesundheitszustand sowohl eine relativ niedrige Kraft als
auch eine reduzierte fernere Lebenserwartung besitzen (wobei in den zitierten
Studien versucht wurde, durch Selektion der Probanden und statistische Kontrolle
diesen Effekten so gut wie möglich vorzubeugen).
Krafttraining in der Onkologie
Krafttraining in der Onkologie
Systematisches Krafttraining hat inzwischen auch Einzug in die onkologische
Bewegungstherapie und allgemeine Akzeptanz in diesem Forschungs- und Therapiefeld
gewonnen. Dabei konnten die Patienten durch Krafttraining positive Effekte auf
verschiedene medikamentenassoziierte Nebenwirkungen wie die krebsassoziierte Fatigue
nach [30] aber auch während der Therapie [31], [32], den
Verlust an Knochendichte [33] und natürlich auch
die körperliche Funktionsfähigkeit verzeichnen [34], [35]. Die Unbedenklichkeit sowie
positive Effekte auf die Armfunktion und die Symptomatik konnten auch für das
Training mit Lymphödemen der oberen Extremität bestätigt werden [36], die häufig als nach Lymphknotenresektionen
auftreten.
Hinsichtlich des Langzeiteffekts von Bewegungstherapie auf die Mortalität von
Krebspatienten liegen bislang 2 Arbeiten vor [37],
[38]. In der 1. Arbeit von Courneya et al.
wurden 242 Burstkrebspatientinnen zufällig einer Kontroll-, einer Ausdauer- und
einer Krafttrainingsgruppe zugewiesen und trainierten 3-mal pro Woche bei moderater
Intensität (60–70 % VO2 max bzw. 60–70 % 1RM) parallel bis 3 Wochen nach Beendigung
der Chemotherapie [37]. Bei einer medianen
Follow-Up-Zeit von 89 Monaten beobachteten die Forscher eine um 47 % höhere
erkrankungsfreie Überlebensrate in den Interventionsgruppen (beide
Interventionsgruppen wurden für das Follow-Up zusammengefasst) verglichen mit der
Kontrollgruppe und eine um 40 % niedrigere Gesamtüberlebenswahrscheinlichkeit. Die
Rezidivrate der ehemaligen Interventionsteilnehmerinnen lag im Mittel sogar 66 %
unter jener der Kontrollgruppe. Diese Ergebnisse verfehlen wegen der für derartige
Risikokalkulationen notwendigen hohen Stichprobengröße statistische Signifikanz,
weswegen die Schätzgrößen damit mit einer hohen Unsicherheit behaftet sind, dennoch
zeigen sie einen deutlichen Trend auf. Dieser Trend konnte auch von Wiskemann et al.
für ein kombiniertes Kraft- und Ausdauertraining bei Patienten nach allogener
Stammzelltransplantation bestätigt werden [38]. Die
Patienten der Interventionsgruppe führten hierbei ein leicht bis moderates
Ausdauertraining 3- bis 5-mal die Woche und 2-mal die Woche ein Krafttraining mit
Gymnastikbändern durch. Das Training begann 1 bis 4 Wochen vor der Transplantation,
wurde während des Krankenhausaufenthalts aufrechterhalten und nach der Entlassung
bis zu 8 Wochen weitergeführt. In dem Follow-Up nach 2 Jahren zeigte die ehemalige
Interventionsgruppe mit 12 % eine deutlich reduzierte absolute Mortalitätsrate
verglichen mit den 28 % in der Kontrollgruppe.
Krafttraining und Gehirn-Fitness
Krafttraining und Gehirn-Fitness
Das Altern geht mit einer Verminderung der kognitiven Funktionen und einer erhöhten
Anfälligkeit für neurodegenerative Erkrankungen einher. Hauptsymptome solcher
Erkrankungen können z. B. der Verlust von Nervenzellen sein, was wiederum die
Verminderung der kognitiven Funktionen erklärt. Genauer zählen zu den natürlichen
neurodegenerativen Prozessen u. a. die Abnahme von Wachstumsfaktoren (z. B.
Insulin-like growth factor-1; IGF-1: Insulinähnlicher Wachstumsfaktor-1, der
Wachstum und Differenzierung von Zellen begünstigt) und neurotrophe Faktoren, die
unter anderem die Anzahl synaptischer Verbindungen, Neurotransmitter (z. B. Dopamin)
und Neurotrophine (z. B. BDNF) erhöhen sowie die Zunahme inflammatorischer Prozesse
begünstigen [39], [40], [41], [42], [43]. Vor allem eine Reihe von
Tierstudien bestätigt, dass körperliche Aktivität einen positiven Einfluss auf die
Produktion von neurotrophen Faktoren und Wachstumsfaktoren und somit auf die adulte
Neurogenese (Bildung neuer Nervenzellen) hat. Eine hervorragende Nachricht für
Sporttherapeuten ist also, dass insbesondere mit gut durchgeführtem
gesundheitsorientiertem Krafttraining den neurodegenerativen Prozessen präventiv
begegnet werden kann. „Ein gesundheitsorientiertes Krafttraining beschreibt die
differenzierte Wahl und Gestaltung von Inhalten, Mitteln, Methoden und
Belastungsnormativen, um das muskuloskelettale System adäquat zu beanspruchen und
eine kontrollierte und sichere Ausführung alltäglicher, beruflicher und/oder
sportlicher Bewegungen zu ermöglichen“ [43].
Um die Gesundheit im Alter optimal zu fördern, wurden insbesondere einige
Untersuchungen zum Verständnis von molekularen neurobiologischen Signalwegen, die
mit Altern verbunden sind, durchgeführt. Heute wissen wir: Körperliche Aktivität ist
neuroprotektiv [44], [45]. Das bedeutet, dass durch körperliche Aktivität Nervenzellen und
-fasern durch molekularbiologische Mechanismen vor dem Absterben bewahrt werden und
dadurch ein Krankheitsverlauf verzögert werden kann. Natürlich kann auf diesem Weg
auch die Lebensqualität betroffener Patienten erhöht werden. Weiterhin konnte in
anderen Studien beobachtet werden, dass eine Reduktion der Muskelmasse einen
direkten Einfluss auf die Atrophie zerebraler Strukturen hat, was auch auf diesem
Weg eine Verminderung kognitiver Funktionen bedingt [46], [47]. Zudem werden altersbedingte
neurokognitive Veränderungen (Verschlechterungen) von peripheren
Sarkopenie-bedingten Abbauprozessen katalysiert [43], [46], [47], das bedeutet, die negativen altersbedingten Veränderungen werden
durch eine Sarkopenie beschleunigt.
Es wird angenommen, dass die neuroprotektiven Anpassungseffekte durch Krafttraining
vor allem durch Steigerung von Wachstumshormonen wie IGF-1 [48] sowie durch die Abnahme des Homocysteins und
durch die Erhöhung des Neurothrophins BDNF und des vaskulären
Endothelwachstumsfaktors (engl.: vascular endothelial growth factor; VEGF: eine
natürlicherweise im Organismus vorkommende, nichtessenzielle schwefelhaltige
Aminosäure, die mit neurodegenerativen Schädigungen und Demenzerkrankungen
assoziiert ist.) bedingt sind [43]. IGF-1 und BDNF
stimulieren neurophysiologische Prozesse, z. B. die Proliferation und
Differenzierung neuronaler Zellen und/oder die Synaptogenese. VEGF evoziert die
Neubildung und Verzweigung von zerebralen Blutgefäßen, was wiederum eine verbesserte
Gehirnperfusion bedingt [49]. Suo und Coautoren
berichteten im Jahr 2016 erstmals vom Vermögen des Krafttrainings, kortikale Dicke
im hinteren zingulären Kortex bei Menschen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung
erhalten oder gar steigern zu können [50] (wobei in
der gleichen Studie ein kognitives Training keinerlei Effekte zeigte). Dieses
Ergebnis unterstreicht die Relevanz des Krafttrainings insbesondere bei
fortgeschrittener Neurodegeneration.
Es ist also nicht verwunderlich, dass einige Studien eine Verbesserung exekutiver
Funktionen nicht nur nach Ausdauertraining, sondern auch infolge von
Kraftinterventionen beobachten konnten [51], [52], [53], [54], [55], [56], [57], [58]. Die Untersuchungsergebnisse bezüglich
kognitiver Outcomes einer Metaanalyse [40] deuten
zudem auf eine höhere Wirksamkeit durch kombinierte Interventionsprogramme, die
Krafttraining mit einbeziehen (aerobe körperliche Aktivität + Krafttraining vs. pure
aerobe körperliche Aktivität) hin und wurden durch eine neuere Metaanalyse [59] untermauert. Demzufolge hat das Krafttraining
neben dem Ausdauertraining eine spezifische Rolle zur Verbesserung der
Gehirn-Fitness im Alter. Vilea und Coautoren berichteten, dass aerobes Training und
Kraftübungen die kognitiven Funktionen durch die Stimulation unterschiedlicher
neuro-plastischer Mechanismen verbessern [60].
Diese relativ neue Studie zeigte, dass aerobe Übungen eher die glutamatergen
Signalwege modulieren, wobei Krafttraining Veränderungen in der Proteinkinase C
(PKC: spielt wichtige Rolle bei der zellulären Signalweiterleitung) und in
inflammatorischen Prozessen begünstigt [60] und
somit in der Prävention und Therapie von neurodegenerativen Funktionen differenziert
angewendet werden sollte (hierzu wird jedoch noch weitere Forschung benötigt).
Zu guter Letzt ist es noch wichtig zu wissen, wie wir das Krafttraining gestalten
sollen, denn die Ausprägung der neuroprotektiven Effekte ist von einer reizwirksamen
Dosis-Wirkungs-Beziehung abhängig. Das Review von Chang et al. [61] macht deutlich, dass ein Krafttraining mit einer
Intensität von 60–80 % des EWM, das mit ca. 7 Wiederholungen à 2 Übungssätzen pro
Übung 2-mal pro Woche durchgeführt wird, reizwirksam ist [43], und kann deshalb als erste Empfehlung für das Krafttraining mit Ziel
der Verbesserung der Gehirn-Fitness ausgesprochen werden (weitere ausdifferenzierte
Studien sind jedoch nötig, um die genaue Dosis-Wirkung-Beziehung zu verstehen).
Training und Multimorbidität
Training und Multimorbidität
Wie im Editorial dieser Ausgabe bereits angeführt, wird mit der älterwerdenden
Gesellschaft auch ein gesundheitlicher Panoramawandel vonstattengehen. Konkret: Die
Zahl der Multimorbiden wird deutlich in die Höhe gehen. Wie körperliche Aktivität,
Sport und Training hierbei nützen und ob die angeführten Nutzpotenziale eine
additive Wirkung bei multimorbiden Patienten besitzen bzw. welches Wirkgefüge hier
anzutreffen ist, wurde bislang nur unzureichend untersucht.
Dies wird daher aber in naher Zukunft ein wichtiger Forschungsbereich [62]. In einer prospektiven Kohortenstudie konnte in
der inaktiven Referenzgruppe eine doppelt so hohe Prävalenz für Multimorbiditäten
festgestellt werden als in der Gruppe, die mindestens 1-mal pro Woche mit hoher
Intensität aktiv war [63]. Insgesamt zeigte sich
ein negativer, linearer Dosis-Wirkungs-Zusammenhang zwischen Aktivitätsintensität
und Prävalenz von Multimorbidität. Über den 10-jährigen Beobachtungszeitraum
verzeichnete die am intensivsten aktive Gruppe den niedrigsten absoluten Anstieg in
der Prävalenz von Multimorbidität. Entsprechend einer weiteren Arbeit scheinen sich
die Effekte von Aktivitäten verschiedener Intensität sogar zu ergänzen. Loprinzi
konnte hier einen unabhängigen protektiven Effekt beobachten [64], was sich ebenso mit den Sitzzeiten als von der
körperlichen Aktivität unabhängigem Risikofaktor verhält [65]. Durch ein Kräftigungstraining konnte der Effekt des aktiven Alltags
außerdem zusätzlich erhöht werden [66]. In einer
weiteren prospektiven Kohortenstudie beobachtete man in derselben Arbeitsgruppe
einen Anstieg des Sterberisikos von 23 % pro chronischer Erkrankung. Lediglich
Personen, deren körperliches Aktivitätsniveau über 8000 MET-Minuten pro Monat (ca.
30 MET-h/Woche) lag, konnten diesen Anstieg des Mortalitätsrisikos aufheben [62].
Training als Jungbrunnen
Die oben dargestellte Evidenz zusammengenommen macht deutlich, dass Menschen von
körperlichem Training in jedem Alter, besonders aber mit beeinträchtigtem
Gesundheitszustand und auch in höherem Alter, profitieren. Gerade was den
Bewegungsapparat betrifft scheinen Reaktiv- und Schnellkraftbelastungen auch für
diese Altersgruppe, entgegen der üblichen Meinung, derartige Trainingsformen seien
eher dem Leistungssport vorbehalten, geeignet zu sein. Insgesamt fällt bei Sichtung
der Literatur auf, dass zu wenige gut konzipierte Studien existieren, aus denen mit
Blick auf die Trainingskomposition Ableitungen für die Praxis vorgenommen werden
können. Gerade Krafttraining wurde in der gesundheitsorientierten
Bewegungswissenschaft bis vor ca. 10 Jahren zu stiefmütterlich behandelt.
Krafttraining muss daher ebenso wie Ausdauertraining und ein aktiv gestalteter
Alltag als integrale Säule zur Erhaltung der Selbstständigkeit gesehen werden, wie
in der DVGS-Bewegungspyramide dargelegt [67].
B & G Bewegungstherapie und Gesundheitssport 2018; 34 (5): 218–224; © Thieme
Gruppe