Abkürzungen
ADL:
Activities of daily Living
BHS:
Balint-Holmes-Syndrom
BORB:
Birmingham Object Recognition Battery
BRS:
Beobachtungsbogen für Räumliche Störungen
CBS:
Catherine-Bergego-Skala
GVS:
galvanisch-vestibuläre Stimulation
OKS:
Optokinetische Stimulation
PA:
visuomotorische Prismenadaptation
tDCS:
transcranial direct current stimulation
TMS:
transkranielle Magnetstimulation
VOSP:
der Visual Object and Space Perception Battery
VS:
Visual Spatial Performance
Einleitung
Störungen der visuellen Raumorientierung können sowohl als Symptom innerhalb eines
übergeordneten Störungsbildes als auch isoliert auftreten. Meist liegen hierbei distinkte
Läsionen unterschiedlicher, überwiegend rechtshemisphärischer parieto-okzipitaler
Hirnregionen vor. Symptomatisch äußert sich dies durch Defizite bei der Wahrnehmung
von Distanzen, Längen, der Hauptraumachsen und Orientierungen und erschwerten Alltagsleistungen
wie Uhrzeit ablesen oder sich Ankleiden.
Es werden 4 verschiedene Formen visueller Raumorientierungsstörungen unterschieden.
-
Defizite bei der Wahrnehmung von Distanzen, Längen, der Hauptraumachsen und Orientierungen
werden als räumlich-perzeptive Störungen bezeichnet.
-
Von räumlich-kognitiven Störungen spricht man, wenn mentale Raumoperationen (Drehung,
Spiegelung, Maßstabstransformation) jenseits der Perzeption beeinträchtigt sind.
-
Einbußen im manuellen Konstruieren oder Zeichnen einer Gesamtfigur aus einzelnen räumlichen
Elementen hingegen definiert man als räumlich-konstruktive Defizite.
-
Räumlich-topografische Störungen wiederum zeigen sich in Orientierungsproblemen im
realen oder vorgestellten dreidimensionalen, allozentrischen Raum.
Zwei weitere distinkte Störungsbilder, welche die Wahrnehmung und Orientierung eines
neurologischen Patienten im Raum beeinträchtigen, sind das Neglectsyndrom und das
Balínt-Holmes-Syndrom.
Man unterscheidet zwischen 4 verschiedenen Formen visueller Raumorientierungsstörungen
– räumlich-perzeptive,
– räumlich-kognitive
– räumlich-konstruktive und
– räumlich-topografische.
Fall 1: Raumorientierung und Neglect links
Herr M. beklagt das Anstoßen an Hindernissen und Personen, insbesondere in neuer Umgebung.
Er habe räumliche Wahrnehmungs- und Orientierungsprobleme, leide unter verschwommenem
Sehen, Probleme mit dem Ablesen der Uhrzeit sowie einer Kraftminderung der linken
Hand. Auch das Ausführen von zwei Dingen gleichzeitig sei beeinträchtigt, die Aufmerksamkeit
eingeschränkt.
Bei Herrn M. handelt es sich um einen 55-jährigen Patienten. 2 Monate zuvor hatte
er eine Angiomblutung im parieto-okzipitalen Bereich der rechten Gehirnhälfte erlitten.
Die anschließenden bildgebenden Kontrolluntersuchungen bestätigten zwar den Rückgang
der Blutung, jedoch wurde zusätzlich ein Infarkt im Bereich des rechten Posteriorstromgebietes
und des Balkens sichtbar. Die Anamnese lässt auf räumliche Wahrnehmungsprobleme, einen
linksseitigen Neglect sowie einen assoziierten linksseitigen Gesichtsfeldausfall schließen
(s. a. [Abb. 1]).
Abb. 1 Zeichnungen von Herrn M. Zu beachten sind die Auslassungen auf der linken, vernachlässigten
Seite in den Zeichnungen.
Neglect
Klinik und Anatomie
Als Neglect bezeichnet man das Nichtbeachten von sensorischen Reizen (visuell, auditiv,
taktil, olfaktorisch) oder in der Vorstellung (repräsentational) sowie die eingeschränkte
Benutzung der kontraläsionalen Extremitäten (z. B. vom linken Arm und Bein nach rechtshemisphärischer
Hirnschädigung) in der der geschädigten Gehirnhälfte gegenüberliegenden Raumhälfte
(hier also der linken). Diese Probleme sind allerdings nicht die Folge elementarer
Störungen (wie z. B. einer linksseitigen Hemianopsie oder Hemiparese). Dennoch finden
diese Störungen sich oft komorbid. Ein visueller Neglect tritt häufig nach rechtshemisphärischen,
etwas seltener auch nach linkshemisphärischen, temporo-parietalen, subkortikalen (Basalganglien,
posteriorer Thalamus) oder frontalen Läsionen auf (Übersicht in [1]).
Patienten zeigen oftmals Probleme beim Essen, Waschen, Rasieren, Schminken, Zeichnen
(s. a. [Abb. 1]), Rollstuhlfahren, in der Orientierung im Raum und bei zahlreichen anderen Aktivitäten
des alltäglichen Lebens. Ursächlich dafür ist die in die ipsiläsionale Raumhälfte
(meist rechtsseitig) verschobene visuelle Exploration (Augen- und Kopfbewegungen)
[2]. Daraus ergeben sich Folgefehler wie beim Teilen von Objekten zu weit nach ipsiläsional
oder die nach ipsiläsional verlagerte subjektive Geradeausrichtung. Auch Kollisionen
mit Objekten sowie eine defizitäre Lesefähigkeit (Neglectdyslexie) oder eine Vernachlässigung
des eigenen Körpers (Body-Neglect) treten vermehrt im Rahmen einer Neglectproblematik
auf. Außerdem können auch Störungen des Lagesinnes (Propriozeption) und der Kinästhetik
(Bewegungsvorstellung) an den kontraläsionalen Gliedmaßen bestehen.
Eine wichtige Unterscheidung innerhalb dieses Störungsbildes, neben der Kategorisierung
je nach betroffener Sinnesmodalität, ist zudem die Einteilung in raumbezogene versus
objektzentrierte Neglectphänomene. Raumbezogene Neglectphänomene beziehen sich auf
Raum- oder Körperabschnitte, z. B. übersieht der Patient Objekte auf der kontraläsionalen
Seite eines Tisches oder Wörter auf der linken Seite des Textes. Objektzentrierte
Neglectphänomene hingegen betreffen die kontraläsionale Seite von Objekten oder Wörtern
als Ganzes – unabhängig von der Position des Stimulus im Raum. Beim Lesen können jedoch
auch beide Phänomene gemeinsam auftreten. Beispiele sind raumbezogene Auslassungsfehler
sowie wort- oder objektbezogene Substitutionsfehler. Der objektzentrierte Neglect
tritt im klinischen Setting deutlich seltener auf.
Ein essenzieller und nicht zu vernachlässigender Bestandteil des Syndroms ist zudem
die fehlende Wahrnehmung der eigenen Krankheit durch die Betroffenen, die sogenannte
Unawareness oder Anosognosie.
Die Unawareness oder Anosognosie resultiert aus der Hirnschädigung und ist nicht etwa
als Nichtwahrhabenwollen der schweren Beeinträchtigungen zu interpretieren. Dieser
Punkt wird in der Differenzialdiagnostik zu Hemianopsiepatienten deutlich: Selbst
wenn Betroffene ihre Hemianopsie noch nicht gut kompensieren, beginnen sie nach verbaler
Aufforderung, die beeinträchtigte Seite zu explorieren. Beim Vorliegen eines Neglect
zeigt sich diese Verhaltensveränderung jedoch nicht oder nur im unmittelbaren zeitlichen
Anschluss daran.
Take Home Message
Das Nichtbeachten von Reizen verschiedener Sinnesmodalitäten sowie die eingeschränkte
Benutzung der kontraläsionalen Extremitäten in der kontraläsionalen Raumhälfte bezeichnet
man als Neglect. Die Störung ist meist nach rechtshemisphärischen temporo-parietalen
Schädigungen zu finden. Der Neglect kann den ganzen Raum betreffen (raumzentriert),
einzelne Objekte (objektzentriert), das Lesen (Neglectdyslexie) oder den eigenen Körper
(Body Neglect). Typische Symptome sind das Anstoßen an Hindernissen oder verlängerte
Suchzeiten.
Diagnostik
Prioritär für die Diagnose des Neglects ist, dass eine primäre sensorische (z. B.
Hemianopsie) oder motorische (z. B. Hemiparese) Beeinträchtigung als alleinige Ursache
ausgeschlossen werden kann. Diagnostisch bieten sich konventionelle Verfahren wie
Durchstreichtests, Linienhalbieren, Lesen und/oder Zeichnen (s. a. [Abb. 1]) an. Differenzialdiagnostisch ist der hemianope gegenüber dem Neglect-assoziierten
Linienhalbierungsfehler durch die kontra- vs. ipsiläsionale Verschiebung zu unterscheiden
(s. a. [3]). Eine systematische Befragung der Angehörigen und/oder Pflegekräfte zu Alltagsbeeinträchtigungen,
z. B. durch den Beobachtungsbogen für Räumliche Störungen (BRS), oder die Catherine-Bergego-Skala
(CBS), sollte wegen der häufigen komorbid vorliegenden Unawareness der Patienten durchgeführt
werden. Auch der Body-Neglect sollte erfasst werden. Eine detaillierte Übersicht der
diagnostischen Verfahren findet sich in [1].
Die Symptomatik ist dem Neglect-Patienten selbst oft nicht bewusst; dieses Phänomen
wird als Unawareness oder Anosognosie bezeichnet. Eine reine Befragung des Betroffenen
reicht bei bestehendem Verdacht also nicht aus. Das Verhalten in Alltagssituationen,
während der Therapie oder die Befragung der Angehörigen kann wichtige Informationen
liefern.
Spontanverlauf, Prognose und Therapie
Viele Patienten (30–40 %) zeigen auch nach einem Jahr noch deutliche Einbußen. Patienten
zeigen eine bevorzugte Hinwendung zur ipsiläsionalen Seite in Alltagssituationen sowie
beim Absuchen komplexer Suchvorlagen sowie eine gestörte Verarbeitung von zwei bilateral
(links und rechts simultan) dargebotenen Reizen (Beispiel: Auto links, Person rechts,
Patient berichtet nur den Reiz rechts). Dieses Phänomen bezeichnet man als Extinktion
(von engl. „to extinguish“ = löschen).
Die spezifische Neglecttherapie richtet sich nach den konkreten Beeinträchtigungen
und dem Akutheitsgrad des Patienten. Ziel aller therapeutischen Bemühungen sollte
die Verbesserung der Alltagsleistungen des Patienten sein, damit dieser zunehmend
selbstständiger in seinen Aktivitäten werden und in Alltag und Beruf teilhaben kann.
Zudem sollten einzelne Ansätze miteinander kombiniert werden. Die folgende Infobox
fasst die wichtigsten Therapieverfahren und -techniken für die Neglectbehandlung zusammen
(mehr Details in [1].
Therapieverfahren: Neglect
Neuromodulation
Repetitive „Brain Stimulation“ des (ungeschädigten) parietalen Kortex (durch TMS,
tDCS) reduziert die Hemmung der geschädigten Hemisphäre durch parietale Regionen der
ungeschädigten Hemisphäre und vermindert so den visuellen Neglect und Alltagsdefizite
(ADL) dauerhaft.
Optokinetische Stimulation mit Blickfolgebewegungen
Verbesserung multimodaler Neglectdefizite durch die Aktivierung des visuellen und
teilweise des vestibulären Kortex, aber auch parieto-temporaler Hirnregionen beider
Hemisphären. Signifikante und dauerhafte Verbesserung des visuellen und akustischen
Neglects nach 5–20 Therapiesitzungen. Die Durchführung von Blickfolgebewegungen durch
den Patienten ist wichtig für die Wirksamkeit des Verfahrens. „Passive“ Stimulation
ist wirkungslos.
Galvanisch-vestibuläre Stimulation (GVS)
GVS aktiviert das thalamokortikale vestibuläre System und verbessert das „Körper-im-Raum-Empfinden“
bei Neglect und Extinktion. GVS verbessert den Lagesinn und reduziert taktile Extinktion
dauerhaft. GVS verbessert auch die visuelle und haptische subjektive Vertikaleneinschätzung
– verbessert also räumlich-perzeptive Leistungen ebenfalls.
Aufmerksamkeitstraining
Die Verwendung von Alertnessreizen führt zur besseren Ausrichtung der Aufmerksamkeit
in den vernachlässigten Halbraum. Eine Steigerung der Daueraufmerksamkeit reduziert
die nicht-lateralisierten Aufmerksamkeitsdefizite bei Neglectpatienten. Durch das
Training kommt es zu fronto-parietalen Mehraktivierungen bei Neglectpatienten.
Visuelles Explorationstraining
Verbesserung der Suchstrategien (systematischer) und dadurch Reduktion der Auslassungen
in der visuellen Suche. Auf diese Weise werden Verbesserungen der visuellen Exploration,
des Lesens und ein partieller Transfer auf Alltagsleistungen erreicht.
Nackenmuskelvibration
Die Vibration der kontraläsionalen Nackenmuskeln aktiviert das propriozeptive System,
die Inselregion und den superioren temporalen Kortex. Die Nackenmuskelvibration verbessert
Explorationsleistungen (visuell und taktil) und das subjektive Geradeausempfinden
des Patienten im Raum.
Visuomotorische Prismenadaptation (PA)
Ausnutzen des sensomotorischen Rekalibrierungseffekts nach Tragen (15 min) eines Prismas
(Blickverlagerung um 10–15° zur ipsiläsionalen Seite). Es kommt vermutlich zu einer
Rekalibrierung der gestörten Raumorientierung durch die Verbesserung von Aufmerksamkeits-
und Explorationsleistungen. PA aktiviert zerebelläre und parietale Hirnregionen bei
Neglectpatienten.
Periphere Magnetstimulation
Die magnetische Stimulation der Hand ist schmerzfrei und aktiviert den kontralateralen,
somatosensorischen Kortex. Dies führt zu einer Aktivierung der geschädigten Hemisphäre
und reduziert die taktile Extinktion und den körperbezogenen Neglect.
Die beschriebenen Therapieverfahren sind zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Rehabilitationsverlauf
sinnvoll:
In der Akutphase (0–4 Monate nach der Erkrankung) geht es um eine möglichst rasche
und intensive Stimulation des Patienten auf allen möglichen und für ihn angenehmen
sensorischen Kanälen mit dem Ziel, die multimodale Vernachlässigungssymptomatik zu
vermindern. Hier bietet sich vor allem die optokinetische Stimulationstherapie an,
bei der der Patient bewegte Punktemuster am Bildschirm mit den Augen aktiv verfolgt,
um den vernachlässigten Halbraum besser zu explorieren.
Zum Ende dieser Aktivationsphase sollten dann vermehrt strategiebezogene Kompensationsverfahren
eingesetzt werden, die wichtige Alltagsfertigkeiten wie etwa koordinierte Augen- und
Kopfbewegungen (Blickstrategie) zur vernachlässigten Seite vermitteln.
Zum Ende dieser Stabilisationsphase sollten dann alltagsnähere Therapieverfahren eingeführt
werden, die das direkte Üben wichtiger Alltagshandlungen zunehmend unter realen Alltagsbedingungen
mit interferierenden Störreizen, Zeitdruck und komplexerem Anforderungsprofil üben
(z. B. die Teilung der Aufmerksamkeit beim gleichzeitigen Gehen und Explorieren des
Raumes durch den Patienten). In dieser Phase sollten Strategien aus der vorhergehenden
Kompensationsphase in konkrete Alltagsabläufe eingebunden werden (Beispiel: ein Obstregal
mit Augenbewegungen absuchen; gleichzeitig stehen oder gehen und explorieren; sich
unterhalten und gehen).
Auch nach Entlassung des Neglectpatienten aus der Rehabilitationsklinik sollte weiterhin
ambulant oder teilstationär Neglecttherapie angeboten werden.
Take Home Message
Verfügbare Therapieverfahren sollten massiert eingesetzt werden, da sie oftmals erst
nach mehreren Therapiesitzungen einen Effekt zeigen. Neben klassischen Stimulationsansätzen
bieten sich neuerdings auch Verfahren der Neuromodulation an (s. o., Infobox).
Strategieorientierte Verfahren sind vor allem für den Alltagstransfer wichtig. Eine
Kombination aus mehreren Therapieformen verspricht größeren Erfolg, sollte aber nicht
exakt gleichzeitig, sondern leicht zeitlich versetzt erfolgen. Zudem empfiehlt sich
eine an den Reha-Aufenthalt anschließende ambulante oder teilstationäre Fortsetzung
der neuropsychologischen Therapie.
Räumliche Orientierungsstörungen
Räumliche Orientierungsstörungen
Es werden vier verschiedene Formen visueller Raumorientierungsstörungen unterschieden:
räumlich-perzeptive, räumlich-kognitive, räumlich-konstruktive und räumlich-topografische.
Diese 4 Störungsformen werden im Folgenden separat hinsichtlich ihrer klinischen und
anatomischen Besonderheiten erläutert.
Klinik und Anatomie räumlich-perzeptiver Störungen
Unter räumlich-perzeptiven Störungen subsumiert man unterschiedliche Defizite bei
elementaren perzeptiven Leistungen (s. [Abb. 2]).
Abb. 2 Veranschaulichung räumlicher Testverfahren nach Visual Spatial Performance (VS) [9]. a Positionswahrnehmung: der Patient muss die gezeigte Vorlage auf ein neues Quadrat
richtig übertragen. b Subjektive Achse: der Patient bringt das Kreuz in eine für ihn aufrechte Position.
c Orientierungsschätzung: der Patient soll die Neigung der linken Linie an die der
rechten Linie anpassen. d Linienhalbierung: der Patient kann den Regler bewegen und damit die Linie subjektiv
halbieren. e Längeneinschätzung: der Patient soll das kürzere oder längere (je nach Frage) Rechteck
identifizieren. f Distanzschätzung: der Patient soll das nähere oder entferntere Rechteck in Relation
zum mittigen Rechteck identifizieren (je nach Frage). g Formwahrnehmung: der Patient soll eine Form identifizieren nach der gefragt ist.
Störungen der subjektiven Hauptraumachsen (subjektive visuelle Vertikale und Horizontale)
Sie zeigen sich in Abweichungen von der tatsächlichen Vertikalen bzw. Horizontalen
bei der Beurteilung, wann eine Linie, die schrittweise rotiert wird, vertikal bzw.
horizontal ausgerichtet ist. Es treten nicht nur Verdrehungen der Vertikalen bzw.
Horizontalen auf, sondern häufig kommt es zu Verdrehungen des gesamten visuellen und
taktilen Raums in der Frontalebene [4]. Darüber hinaus wurden auch Abweichungen der subjektiven Vertikalen in der Sagittalebene
beobachtet [5], d. h. wenn beurteilt werden soll, wann ein Stab, der vor und zurück rotiert werden
kann, vertikal ausgerichtet ist. Ein Neglect und/oder eine Hemianopsie aggravieren
die Abweichung der subjektiven Vertikalen. Dieses Verhalten ist auch Teil der Problematik
des Pusher-Syndroms.
Störungen der subjektiven Hauptraumachsen treten häufig nach rechtsseitiger, temporo-parietaler,
seltener nach entsprechender linksseitiger Hirnläsion auf. Sie finden sich ebenfalls
nach Schädigungen des Thalamus (Nucleus ventro-posterolateralis), des Hirnstamms,
inferiorer okzipito-frontaler und superior-longitudinaler Faserverbindungen sowie
peripher-vestibulärer Areale. Bei Patienten mit linksseitigen Schädigungen mit Störungen
der subjektiven Vertikalen scheint vor allem der insuläre Kortex, und bei rechtsseitigen
Schädigungen der inferiore Gyrus frontalis und der superiore Gyrus temporalis betroffen
zu sein. Es überwiegen kontraversive Abweichungen der Vertikalen, v. a. nach rechtshemisphärischer
Läsion [6].
Probleme bei der Orientierungsschätzung (Neigungswinkel von Reizen)
Als Orientierungsschätzung bezeichnet man die Fähigkeit zur Unterscheidung verschiedener
Neigungswinkel von Linien oder Objekten (nicht zu verwechseln mit räumlich-topografischen
Orientierungsstörungen). Zu Verwechslung ähnlicher Orientierungen (z. B. 30° versus
40°) kommt es vor allem bei kurzen Linien. Personen mit einer entsprechenden Hirnläsion
haben diese Fähigkeit zur Unterscheidung der Neigungswinkel oft verloren, ohne sich
dessen selbst bewusst zu sein. Hierbei verursachen rechtshemisphärische Läsionen häufigere
und schwerere Defizite der visuellen Orientierungsschätzung und der subjektiven Hauptraumachsen
als linkshemisphärische Läsionen. Die visuelle Horizontale und die Einschätzung schräger
Orientierungen sind normalerweise in einem ähnlichen Ausmaß betroffen wie die Rotationen
der visuellen Vertikalen. Der ganze Raum ist dadurch „verkippt“ – dies ist den Patienten
aber nur selten subjektiv bewusst. Nach linkshemisphärischer, supratentorieller Läsion
kommt es überwiegend zur Rotation des Koordinatensystems im Uhrzeigersinn, nach rechtshemisphärischer
Läsion meist gegen den Uhrzeigersinn.
Entsprechende Defizite finden sich häufig nach rechts temporo-parietaler Schädigung
sowie nach Stammganglienläsion rechts, selten auch nach linksfrontalen Läsionen [7]. Rechtshemisphärische Läsionen verursachen häufigere und schwerere Defizite der
Orientierungsschätzung. Hierbei können die Defizite je nach Größe der Läsion sich
sehr spezifisch äußern, da viele visuelle Neurone Orientierungsspezifität aufweisen.
Bildgebenden Studien zufolge sind der obere Scheitellappen, der laterale okzipitale
Kortex und prämotorische Areale an der visuellen Orientierungsschätzung beteiligt
[8], mit rechtshemisphärischer Akzentuierung.
[Abb. 2] veranschaulicht einige räumliche Tests exemplarisch, die im Programm Visual Spatial
Performance (VS) [9] verwendet werden.
Defizite in der Längenschätzung (Ausdehnung innerhalb von Objekten)
Die Längenschätzung spezifiziert den horizontalen oder vertikalen Raum innerhalb eines
Objektes oder einer Fläche und definiert die Fähigkeit einer Person, die Länge von
Objekten einschätzen zu können. Störungen der Längenschätzung finden sich oft in Kombination
mit Neglect. Dementsprechend finden sich Störungen oft nach okzipito-parietalen Läsionen.
Defizite in der Distanzschätzung (Ausdehnung zwischen Objekten)
Im Gegensatz dazu geht es bei der Distanzschätzung um räumliche Abstände zwischen
Objekten. Störungen der Längen- und Distanzschätzung treten häufig komorbid auf, können
in Einzelfällen aber auch unabhängig voneinander vorliegen. Patienten mit entsprechenden
Defiziten schätzen die „Geometrie“ des Raumes als zu klein oder zu groß ein. Ausgeprägte
Defizite in der visuellen Distanz- und Entfernungsschätzung zeigen Patienten mit bilateralen
parieto-okzipitalen Hirnläsionen, beispielsweise beim Balínt-Holmes-Syndrom (s. u.).
Die zu beobachtenden Veränderungen in der wahrgenommenen Ausdehnung des Raumes stehen
vermutlich in Zusammenhang mit den entsprechenden Störungen im subjektiven Geradeausempfinden
(s. u.) sowie Mechanismen der Blicksteuerung und der visuellen Raumexploration (visuelles
Abtasten der Positionen im Raum, für die ein Distanzvergleich vorgenommen werden soll).
Abweichungen in der subjektiven Geradeausrichtung und bei der Einschätzung der subjektiven
Mitte in der Linienhalbierung
Abweichungen in der Linienhalbierung und/oder subjektiven Geradeausrichtung finden
sich sowohl bei Patienten mit Neglect als auch bei Patienten mit homonymen Gesichtsfeldausfällen.
Ihnen ist es im Alltag beispielsweise nicht mehr möglich, Gegenstände in der Mitte
zu halbieren, eine Strecke zu Fuß im Flur zu gehen oder Objekte auf einem Tisch zu
positionieren. Die Verschiebung der subjektiven Mitteneinschätzung erfolgt bei den
Hemianopsiepatienten ohne Neglect nach kontraläsional, bei den Neglectpatienten in
der Frühphase nach ipsiläsional. Treten beide Störungen gemeinsam auf (Hemianopsie
plus Neglect), wirkt sich der Neglect deutlicher auf die Halbierung aus als die Hemianopsie.
Ipsiläsionale Verschiebungen der Geradeausrichtung treten nach Läsionen perisylvischer
Regionen auf. Neuere Erkenntnisse weisen allerdings darauf hin, dass sich diese Unterscheidung
nicht in der akuten Phase nach der Schädigung zeigt [3].
Defizitäre Positionswahrnehmung (relativ, absolut)
Die gestörte Positionsschätzung verursacht einen Genauigkeitsverlust (größere Variabilität)
sowie eine systematische Verschiebung der reproduzierten Positionen zu einer Seite.
Letzteres steht oft im Zusammenhang mit der Verschiebung der subjektiven Geradeausrichtung
bei Neglect oder Hemianopsie. Man unterscheidet die relative und die absolute Positionsschätzung.
Defizite in der relativen Positionsschätzung zeigen sich bei der fehlerhaften Kodierung
der Raumposition eines Reizes bei gleichzeitig vorhandenem Referenzsystem, wodurch
es einem Patienten z. B. nicht möglich ist, ein Kreuz auf einem Blatt Papier auf ein
anderes Blatt zu kopieren. Absolute Positionsschätzung dagegen bezeichnet die Fähigkeit,
die Position eines Reizes ohne räumliche Referenz zu kodieren (z. B. im Perimeter
oder im Dunkeln).
Defizite der relativen und absoluten Positionsschätzung treten häufig, jedoch nicht
ausschließlich nach rechtshemisphärischer Hirnschädigung auf, insbesondere bei Patienten
mit superior-parietalen Läsionen. Bei der absoluten Positionsschätzung zeigen auch
Patienten mit parietalen Läsionen eine ungenauere Lokalisation kurzzeitig im kontralateralen
Gesichtsfeld dargebotener Reize.
Take Home Message
Räumlich-perzeptive Störungen betreffen elementare Sehleistungen. Hierzu gehören Defizite
der subjektiven Hauptraumachsen, der Orientierungsschätzung, der Längenschätzung,
der Distanzschätzung, der Geradeausrichtung und der Linienhalbierung sowie eine gestörte
Positionswahrnehmung. Diese Defizite führen in Kombination zu einer fehlerhaften Eigenbewegung
im Raum und zu einer gestörten Interaktion mit externen Objekten. Kritische Regionen
für das Auftreten eines solchen Symptomkomplexes sind primär rechtshemisphärisch im
parieto-okzipito-temporalen Bereich zu finden.
Klinik und Anatomie räumlich-kognitiver Störungen
Von räumlich-perzeptiven Defiziten sind räumlich-kognitive Störungen (oder Einbußen
visueller Raumoperationen) zu unterscheiden, die über die Wahrnehmungsleistung hinaus,
oder ohne eine solche, eine mentale Raumoperation erfordern (z. B. mentale Rotation,
Maßstabstransformation, Spiegelung). Neben parietalen Regionen sind für die mentale
Rotation auch die frontalen Augenfelder, der obere Scheitellappen und Areale des mittleren
Temporallappens wichtig (V5). Für räumliche Transformationen anderer Art (Spiegelung) ist der parieto-okzipitale
Kortex bedeutsam.
Klinik und Anatomie räumlich-konstruktiver Störungen
Räumlich-konstruktive Störungen wiederum zeichnen sich durch die Unfähigkeit aus,
einzelne Elemente einer Figur mit der Hand zu einem Ganzen zusammenzusetzen (Zeichnen,
Würfel zusammenfügen). Die damit verbundenen visuomanuellen Fertigkeiten sind Bestandteil
vieler komplexer Handlungsabläufe im Alltag, sodass Störungen dieser Fähigkeit Probleme
und Einschränkungen im Alltag zur Folge haben (Ankleiden, Transfers, Paketpacken,
Rollstuhlnavigation).
Dabei sollten zum Problemkomplexe betrachtet werden: Zum einen räumlich-perzeptive
Defizite [10] und zum anderen eine gestörte Erinnerung („Remapping“) der zuvor fixierten Positionen
auf der Vorlage, wenn eine Person einen Blickwechsel zwischen einer Vorlage und seiner
Kopie durchführt [11]. Die Ortsinformationen der zuvor betrachteten Elemente der Vorlage scheinen hierbei
verloren zu gehen, was zur Folge hat, dass die Kopie an der falschen Position angefertigt
wird bzw. erscheint und somit von der Vorlage abweicht.
Räumlich-konstruktive Defizite treten nach fokalen parietalen, frontalen und subkortikalen
sowie diffus-disseminierte Schädigungen auf [12].
Fall 2: Räumlich-topografische-Störungen
Frau S. berichtet im Anamnesegespräch Probleme, sich allein in ihrem Zuhause und ihrer
gewohnten Umgebung zurechtzufinden. Sie sei früher jeden zweiten Morgen eine bestimmte
Strecke entlang spazieren gegangen. Doch als sie nach dem Schlaganfall das erste Mal
versucht habe, den Weg zu finden, habe sie sich verlaufen. Auch nachdem sich ihr Zustand
verbessert habe, wäre es ihr nicht möglich gewesen, allein den Weg zu finden. Sie
sei zunehmend verunsichert, welche Richtung sie, ausgehend von ihrem Haus, einschlagen
solle und an welchem Haus sie Richtung Wald abbiegen müsse. Ihr Mann sei die Strecke
schon öfter mit ihr gemeinsam gegangen. Dabei habe sie versucht, sich den Weg genauestens
einzuprägen. Jedoch würde sie immer wieder scheitern, beim Versuch den Weg allein
zurückzulegen. Zudem begäbe sie sich in ihrem Haus oftmals auf die Suche nach dem
Badezimmer (welches sich neben dem Wohnzimmer befindet). Sie lande dann öfter mal
in der Küche oder im Arbeitszimmer. Es fiele ihr zunehmend schwer, sich den Plan ihres
eigenen Zuhauses zusammenhängend vorzustellen.
Die Patientin erlitt im Jahr vor der Untersuchung einen Schlaganfall der rechten A.
cerebri media mit Schädigungen im medialen bis inferior-posterioren Temporallappen.
Ein generelles Gedächtnisdefizit wurde nicht berichtet, der Hippocampus blieb laut
Bildgebung unbeschädigt.
Klinik und Anatomie räumlich-topografischer Störungen
Von den räumlich-konstruktiven Störungen wiederum abzugrenzen sind räumlich-topografische
Störungen. Diese zeichnen sich durch Navigationsdefizite im vorgestellten oder realen
dreidimensionalen Raum aus. Wichtige Landmarken können von Betroffenen nicht mehr
erkannt werden, und so verirren diese sich sowohl in vertrauten als auch in neuen
Umgebungen, vor allem bei Dämmerung oder bei Betrachtung aus einer anderen Perspektive.
So können sich Patienten keine räumliche Vorstellung über Orte in ihrer Umgebung erstellen
und haben folglich Probleme beim Wegelernen. Räumlich-topografische Probleme treten
auch bei Patienten mit Neglect auf, sind hier jedoch als Folge der Vernachlässigung
zu werten.
Schwerste topografische Orientierungsstörungen kommen darüber hinaus nach bilateralen
Läsionen beim Balínt-Syndrom vor. Hier sind die Fixationsstörung, die Simultanagnosie
und die gravierenden räumlichen Störungen ursächlich. Humanstudien mit bildgebenden
Verfahren und an Patienten belegen die Bedeutung hippocampaler, parahippocampaler
und retrosplenialer Regionen für die räumliche Navigation [13]. Dementsprechend sind räumlich-topografische Störungen nach Läsionen des ventralen
visuellen Pfades zu erwarten (parahippocampale Läsionen). Als sekundäres Defizit treten
sie wie bereits erwähnt auch im Gefolge anderer neuropsychologischer Störungen auf.
Anatomie
Räumlich-kognitive Störungen betreffen Leistungen, die über die rein perzeptuelle
Leistung hinausgehen. Hierbei geht es um die kognitiven Operationen mit dem perzeptuellen
Input. Räumlich-konstruktive Störungen stellen ein eher praktisches Defizit dar, bei
denen Patienten Probleme mit den visuomanuellen Fertigkeiten haben. Dies erschwert
die Interaktion mit externen Objekten. Räumlich-topografische Störungen führen zu
Navigationsdefiziten in der Vorstellung als auch in der realen Umsetzung der Patienten.
Hierbei haben die Patienten oft Schwierigkeiten, sich in bekannten und mehr noch in
neuen Umgebungen zurechtzufinden. Verglichen mit räumlich-perzeptiven Störungen sind
die Läsionsorte variabler und umfassen auch frontale sowie subkortikale Regionen.
Diagnostik
[Tab. 1] gibt einen Überblick über die wichtigsten Diagnostikverfahren für die unterschiedlichen
räumlichen Störungen (Details in [4]).
Tab. 1
Diagnostische Verfahren zur Erfassung räumlich-perzeptiver (RP), räumlich-kognitiver
(RO) und räumlich-konstruktiver Störungen (RK). Die Abkürzungen geben an, für welchen
Bereich räumlicher Störungen sich welche Verfahren diagnostisch eignen.
|
Typ
|
Testverfahren
|
Diagnostisches Prinzip
|
Bewertung
|
|
RP
|
Judgement of Line Orientation (Benton et al. 1983) [14]
|
Prüfung der Linienorientierung
|
leicht durchführbar; 2 Paralleltests; auch für Kinder
|
|
RP, RO
|
Visual Spatial Performance (VS) (Kerkhoff u. Marquardt 2004) [9]
|
PC-Verfahren zur Analyse 10 räumlich-perzeptiver Leistungen und räumlicher Gedächtnisleistungen
räumlich-kognitive Tests
Optokinetik
Feedback-Therapie
|
6 normierte klinische Standarduntersuchungen sowie zahlreiche Tests mit Cut-off-Werten;
keine Wiederholungseffekte; geeignet für Verlaufsmessungen und Feedback-Therapie
|
|
RP, RO
|
Visual Object and Space Perception Battery (VOSP) (Warrington u. James 1992) [15]
|
4 räumliche Subtests: Positionsvergleich, Zahlenlokalisieren, Punktezählen, Würfelzählen
|
normierter Test; der Untertest Punktezählen ist eine visuelle Explorationsaufgabe;
keine Paralleltests
|
|
RP, RO
|
Birmingham Object Recognition Battery (BORB) (Riddoch u. Humphrey 1993) [16]
|
4 räumliche Subtests: Linienorientierung, Würfelzählen, Längen-, Größen- und Positionsschätzung
innerhalb eines Objekts
|
normierter Test mit theoretischer Einbettung; zur Untersuchung von 4 räumlich-perzeptiven
Leistungen geeignet
|
|
RO, RK
|
räumliche Subtests aus Intelligenztests
|
Subtests aus IST, LPS, HAWIE (K)
|
Subtests aus IST, LPS, HAWIE (K)
|
|
RO, RK
|
Mosaiktest
|
Konstruktion dreidimensionaler Muster nach Vorlage
|
nicht für Verlaufsmessung geeignet; zeitgebundener Test
|
|
RO, RK
|
Zeichenaufgaben (2 D, 3 D)
|
Zeichnen von Haus, Blume, Uhr
|
leicht durchführbar (am Krankenbett möglich); hohe Augenschein-Validität; nicht normiert
|
Abkürzungen
HAWIE (K) = Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Erwachsene (Kinder)
IST = Intelligenz-Struktur-Test
LPS = Leistungsprüfsystem
RK = räumlich-konstruktive Störung
RO = räumlich-kognitive Störung
RP = räumlich-perzeptive Störung
Für die Diagnostik von visuellen Raumorientierungsstörungen können sowohl computerbasierte
als auch Paper-and-Pencil-Verfahren herangezogen werden. Je nach Indikation sollten
unterschiedliche Tests herangezogen werden, um eine differenzierte Diagnose zu erhalten.
Spontanverlauf, Prognose und Therapie
Nach einer teilweisen Rückbildung visuell-räumlicher Orientierungsstörungen in den
ersten 3 Monaten nach der Schädigung zeigen noch ca. 30 % der Patienten behandlungsrelevante
Defizite. Die Behandlung der Störungen ist mitunter entscheidend für einen günstigen
Rehabilitationsverlauf. [Tab. 2] gibt einen Überblick über die wichtigsten Verfahren (nach [4]).
Tab. 2
Schematische Übersicht über Therapieansätze bei räumlichen Störungen.
|
Ansatz
|
Therapeutisches Prinzip
|
Bewertung
|
|
Feedbackbasiertes Training räumlich-perzeptiver Leistungen (Funk et al. 2012) [17]
|
Neukalibrierung der räumlichen Wahrnehmung durch abgestuftes Training mit visuellem
Feedback
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Transfer auf untrainierte Leistungen und den Alltag
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Optokinetische Stimulation (OKS)
Darbietung spezifischer visueller Hintergrundbewegung) (Kerkhoff 2003) [18]
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Ausnutzung des aufmerksamkeitsfördernden Effektes von OKS für Distanz- und Längenschätzung
sowie Hauptraumachsen durch wiederholte Stimulation
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besonders geeignet bei assoziiertem Neglect und geringer Awareness; wirkt vermutlich
multimodal
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Räumlich-konstruktives Training (Weinberg et al. 1982) [19]
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Verbesserung räumlich-perzeptiver, -konstruktiver und planerischer Leistungen durch
Tangram-, Valenser- und Mosaiktesttraining
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positive Effekte auf Selbsthilfeleistungen
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Alltagsorientierte Therapie
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Üben „räumlicher“ Alltagshandlungen: z. B. Rollstuhlfahren, Ankleiden, Wäsche zusammenlegen
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sinnvoll zur Verbesserung der Alltagsleistungen und Awareness
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Nicht alle in der Therapie gemachten Fortschritte übertragen sich auf den Alltag der
Patienten. Deshalb ist es wichtig, relevante Funktionen in die Therapie einzubauen
und konkret einzelne Leistungen zu trainieren. Dies erfordert eine detaillierte Analyse
der Anforderungen, mit denen der Patient sich in seinem täglichen Leben konfrontiert
sieht, sobald er die das stationäre Setting verlässt.
Balínt-Holmes-Syndrom
Fall 3: Balínt-Holmes-Syndrom
Es handelt sich um den Dialog zwischen einer Patientin mit Balínt-Syndrom 3 Monate
nach bilateralen Posterior-media-Grenzzoneninfarkten mit beidseitigen parieto-okzipitalen
Läsionen (P) und ihrem Untersucher (U).
U: „Wie empfinden Sie Ihr Sehen seit den Schlaganfällen?“
P: „Von Anfang an war es so, dass ich ganz erstaunlich kleine Dinge oft ganz scharf
gesehen habe. Auch Details habe ich ganz klar gesehen. Am dritten Tag, da hat mich
mal ein Nachtpfleger in der Früh aufgeweckt und mir gesagt, ich zeige Ihnen jetzt
den Sonnenaufgang, und es war ein völlig normales Bild. Aber es war so ein gesplittertes
Bild, wie … durch ein Kristall … so ein gebrochenes Bild … wie ein gebrochenes Glas
und parallel verschoben …“
U: „Wie war denn das mit dem Greifen, war das schwierig?“
P: „Ja, total. Das ist es ja immer noch. Manchmal denke ich, es ist etwas direkt da
und ich brauche bloß hingreifen und dann ist nichts da … oder ich greife eben zu nahe.“
U: „Sehen Sie die Tiefe bei Treppenstufen?“
P: „Bei Treppen, da fühle ich sowieso mehr mit den Beinen.“
U: „Haben Sie das Gefühl, dass sich räumlich etwas für Sie verändert hat?“
P: „Nein. Wenn ich auf einen Tisch schaue, das sagt mir nichts … das ist irgendwie
leerer Raum … ich weiß dann nicht wie groß der ist, wie weit es von einer Seite zur
anderen ist. Wenn was drauf steht, ist es irgendwie besser … Leerer Raum ist für mich
irgendwie nicht richtig da …“
U: „Ist Anstoßen ein Problem?“
P: „Ja, ja … Ich glaube, ich bin zu wenig aufmerksam. Wenn ich mich auf eines konzentriere,
kann ich schwer auf was daneben auch noch achten … Und dann ist es ganz bestimmt so,
dass ich die Entfernung einfach falsch einschätze … ich glaub‘, in alle Richtungen
… “
U: „Im Bett zu liegen, ist das auch schwierig?“
P: „Ich bin noch nie rausgefallen, habe mich aber total verletzt. Ich wusste nicht,
was quer und was längsseitig ist. Als ich mir vorstellen sollte, wo das Kopfende sein
könnte, hatte ich immer das Gefühl, ich muss schauen, dass ich nicht herausfalle.
Mittlerweile kann ich mich ganz gut im Bett orientieren.“
Patienten mit einem Balínt-Holmes-Syndrom zeigen im Alltag oftmals Probleme beim Greifen
nach Gegenständen (die nicht Folge einer Lähmung sind), sie kollidieren mit Hindernissen,
haben einen eingeschränkten Überblick und Schwierigkeiten, Distanzen und Positionen
richtig einzuschätzen. Die elementaren visuellen Leistungen der Patienten sind oftmals
intakt. Oft werden solche Patienten initial fälschlich für „blind“ gehalten, können
aber einzelne Details (z. B. eine Fluse auf dem Arztkittel) erstaunlich gut wahrnehmen.
Klinik und Anatomie
Das Balínt-Holmes-Syndrom (BHS) umschreibt einen Symptomkomplex aus
Die Symptome können sowohl im Rahmen des Vollbilds des BHS auftreten als auch isoliert.
[Tab. 3] illustriert die wichtigsten Fakten zum BHS.
Tab. 3
Darstellung und Erläuterung der einzelnen Teilaspekte des Balínt-Holmes-Syndroms.
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Störungsaspekt
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Defizit
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Ätiologie
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bilaterale Posterior-Media-Grenzzoneninfarkte
Tumoren
zerebrale Hypoxie
Morbus Alzheimer
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Läsionslokalisation
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bilateral parieto-okzipital, selten bilateral frontal oder Stammganglien
diffus-disseminiert bei degenerativen Hirnerkrankungen (Morbus Alzheimer)
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Simultanwahrnehmung
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deutliche Einengung des visuellen Überblicks in beiden Halbfeldern bis hin zur Unfähigkeit,
mehr als ein/wenige Objekte visuell simultan zu erfassen.
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optische Ataxie
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gestörte Auge-Hand-Koordination:
Vorbeizeigen und -greifen mit einer oder beiden Händen nach visuell präsentierten
Objekten; besonders ausgeprägt im kontralateralen Halbraum und in der Entfernung (nicht
motorisch bedingt)
bei vorheriger Fixation des Objektes im zentralen Gesichtsfeldbereich gelingt das
Greifen deutlich besser
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Fixation und Augenbewegungen
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spasmodische („klebende“) oder unruhige Fixation
visuelles Absuchen im Raum gravierend gestört
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Raumwahrnehmung, räumliches Gedächtnis
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gestörte Wahrnehmung von Entfernung, Distanz, Richtung und Position im Raum
gestörte längerfristige Speicherung solcher räumlichen Aspekte
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Sehschärfe, Kontrastsehen, Gesichtsfeld, Stereosehen, Fusion
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Sehschärfe für Einzelzeichen meist intakt, für Reihenzeichen aufgrund des Simultansehens
gestört
Kontrast- und Stereosehen sowie Fusion können intakt sein
assoziierte Gesichtsfeldausfälle sind häufig
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Lesen, Schreiben, Zeichnen, visuelle Orientierung, Selbsthilfe
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oft hochgradig beeinträchtigt
Lesen von Einzelworten relativ erhalten
massive Orientierungsstörung im Raum
Anziehen, Transfers und Mobilität infolge der anderen Defizite deutlich beeinträchtigt
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Diagnostik
Bei Verdacht auf BHS ist ein detailliertes Assessment der konstituierenden Symptome
erforderlich. Es ist anzunehmen, dass die Erkrankung oft übersehen oder fehldiagnostiziert
wird (z. B. als Röhrengesichtsfeld oder zerebrale Blindheit).
Spontanverlauf, Prognose und Therapie
Über die Rückbildung und Behandlung solcher Störungen ist wenig bekannt. Trotz der
meist bleibenden Grundstörung kann ein alltagsorientiertes Training zu Verbesserungen
führen [20]. Systematische Behandlungsansätze existieren bislang kaum. Es sollte gezielt nach
(teilweise) erhaltenen Leistungen gesucht werden (z. B. gute Gedächtnisleistungen,
intakte Augenfolgebewegungen, intakte Lernleistungen, erhaltene Farb- und Bewegungswahrnehmung),
die zur Kompensation eingesetzt werden können. Folgende Anregungen können für die
Behandlung gegeben werden.
Fixation verbessern
In der Behandlung sollte zunächst versucht werden, die visuelle Aufmerksamkeit des
Patienten durch Verwendung gut sichtbarer, farbiger Alltagsobjekte zu gewinnen (etwa
ein Farbstift, Tennisball). Patienten mit BHS reagieren eher auf bewegte als auf statische
Reize (optokinetische Muster lösen oft Folgebewegungen aus), da bewegte Reize eher
bemerkt werden. Offensichtlich ist es mit Hilfe solch bewegter Reize eher möglich,
die spasmodische Fixation zu lösen und wieder an ein neues Objekt zu binden. Selbst
schwer gestörte Patienten mit Balínt-Holmes-Syndrom können meist noch in bestimmten
Bereichen des Raumes Folgebewegungen durchführen.
Mit dieser Technik gelingt es ohne großen apparativen Aufwand, den funktionalen Suchbereich
(in dem der Patient Dinge beachtet) zumindest kurzfristig zu erweitern. Zudem kann
manchmal auch die Fixation auf ein zu ergreifendes Objekt gelenkt werden. Verbale
Kommandos sind meist nur bedingt erfolgreich.
Greifen verbessern
Durch die Verbesserung der Fixation normalisieren sich meist auch die Greifleistungen
(optische Ataxie), da die Patienten während des Greifaktes den Zielgegenstand gar
nicht oder ungenau fixiert haben. Lenkt der Therapeut die Aufmerksamkeit vor dem Greifen
auf das Zielobjekt, verbessert sich meist die Greifleistung. Dies kann beispielsweise
dadurch erreicht werden, dass man den Patienten ein spezifisches Objektmerkmal beschreiben
lässt, das charakteristisch ist für das Objekt (Beispiel: Farbe der Kappe eines Stiftes)
und nur bei genauer Fixation gesehen werden kann.
Das Ergreifen von Gegenständen, die vorher genau fixiert wurden, gelingt meist deutlich
besser als das Greifen nach peripher gelegenen Gegenständen im linken oder rechten
Halbraum.
Simultansehen fördern
Die Störung des Simultansehens äußert sich meist so, dass von mehreren Objekten (besonders
wenn sie sich teilweise überlappen) nur eines oder wenige beachtet werden. Nach unseren
Erfahrungen muss diese Störung ebenfalls spezifisch behandelt werden, da sie eine
wichtige Voraussetzung für das Lesen ist (s. u.). Hierfür bieten sich am ehesten Alltagsobjekte
an, die deutlich hinsichtlich ihrer Objektmerkmale auch für den Patienten unterscheidbar
sind (Farbe, Größe, Form der Objekte). Der Patient soll hierbei zunächst einen Gegenstand
beschreiben, anschließend danach greifen und den Blick zum nächsten Gegenstand bewegen.
Kommt es schon mit zwei Objekten zum Ausblenden eines Gegenstandes, so bietet es sich
an, den Patienten die Augen schließen zu lassen oder ihm ein Blatt Papier kurz vor
die Augen zu halten, und anschließend die Übung fortzusetzen. Die Anzahl der zu suchenden
bzw. abzusuchenden Objekte sollte dann schrittweise gesteigert werden; anschließend
können auch ähnlichere Objekte verwendet werden.
Leseübungen
Lesen erfordert zusätzliche okulomotorische Kontrollprozesse. Im ersten Behandlungsschritt
sollten die Anzahl der Buchstaben pro Wort und die Wörter pro Seite deutlich reduziert
werden. In Extremfällen kann manchmal nur in einer Zeile gearbeitet werden. Kurze,
geläufige Worte sollten verwendet werden. Idealerweise sollte zunächst nur ein Wort
dargeboten werden (um die Simultanagnosie zu umgehen). Spezifische Therapieprogramme
enthalten ein Therapiemodul, welches die sequenzielle Darbietung einzelner Wörter
an den jeweiligen Textpositionen erlaubt, um so den Patienten wieder an das Lesen
einer Zeile, den Zeilensprung und schließlich eines ganzen Textes heranzuführen.
Scheinbewegungen vermeiden
Viele Patienten mit Balínt-Holmes-Syndrom berichten zeitweilig über Scheinbewegungen
von Objekten. Dies kann von der Schwierigkeit herrühren, zwischen eigenen Augenbewegungen
und Bewegungen externer Objekte richtig zu unterscheiden. Praktisch äußert sich dies
darin, dass das Orts- oder Positionsgedächtnis („Welches Objekt resp. welche Person
war wo?") meist deutlich gestört ist.
Ein weiteres Behandlungsziel sollte deshalb die Verbesserung der Objekt-Positions-Relationen
im zweidimensionalen und später dreidimensionalen Raum sein. Dies kann mit einfachen,
farbig unterschiedlichen Alltagsgegenständen geübt werden (z. B. roter Textmarker
links, grüner Anspitzer rechts). Die Farbe hilft dem Patienten in der Unterscheidung
der beiden Objekte, da ihre räumliche Position oft nicht eindeutig erscheint. Klagen
Patienten über störende Nachbilder oder Scheinbewegungen von Objekten, so hilft manchmal
die Aufforderung, für ein paar Sekunden die Augen zu schließen.
Grundsätze in der Behandlung des Balínt-Holmes-Syndroms
Bei der Behandlung des Balínt-Holmes-Syndroms ist es wichtig, nach erhaltenen Leistungen
zu suchen, die zur Kompensation der Defizite eingesetzt werden können. Dies setzt
eine individuelle Therapieplanung voraus. Mögliche Ansatzpunkte bieten eine Verbesserung
der Fixation, des Greifens und des Simultansehens sowie Leseübungen und das Vermeiden
von Scheinbewegungen. Ansonsten gilt es, die Therapie alltagsorientiert zu gestalten,
sodass der Patient maximal von den Maßnahmen profitiert.
Wenngleich es noch keine evidenzbasierten Studien zur Therapie von Patienten mit Balínt-Holmes-Syndrom
gibt, so können doch einige hilfreiche Tipps festgehalten werden (s. Infobox).
Tipps
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Jeder dieser Patienten ist anders. Deshalb lohnt es sich, individuell nach erhaltenen
Leistungen zu suchen, auf denen man in der Therapie aufbauen kann. Diese können bei
verschiedenen Personen sehr unterschiedlich sein (z. B. anderer Sinneskanal; Orientierung
am eigenen Körper manchmal besser; Altwissen; kognitive Leistungen, Humor etc.).
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Die Behandlung muss in den Alltag hinein ausgedehnt werden (oder gleich in diesem
Setting stattfinden), sonst profitiert der Patient nicht davon.
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Der Grad der Kompensationsfähigkeit hängt auch von der relativen Intaktheit kognitiver
Leistungen ab (Altgedächtnis, Arbeitsgedächtnis, Aufmerksamkeitsleistungen, Sprache,
Exekutivfunktionen etc.).
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Wenngleich viele Störungen aufgrund der ausgedehnten Schädigungen meist unverändert
auf der Testebene bestehen bleiben, können manche Patienten sehr wohl lernen, besser
mit ihren Defiziten im Alltag umzugehen. Dies kann etwa durch die Verwendung anderer
Sinneskanäle, anderer Lösungsstrategien, den Einsatz technischer Hilfen oder von Hilfspersonen
gelingen.
Zusammenfassung
Raumorientierungsstörungen können sich auf vielfältige Weise manifestieren. Die wichtigsten
zu dem Symptomkomplex gehörenden Störungen sind der Neglect, visuelle Raumorientierungsstörungen
und das Balínt-Holmes-Syndrom.
Zugrundeliegende Läsionen können vielfältig sein. Die posterior gelegenen Regionen
des Okzipital-, Temporal- und Parietallappens spielen hierbei jedoch eine übergeordnete
Rolle. Zudem können frontale sowie subkortikale Regionen an der Entstehung von Raumorientierungsstörungen
beteiligt sein.
Als Neglect bezeichnet man das Vernachlässigen der kontraläsionalen Raumhälfte sowie
den verminderten Gebrauch der kontraläsionalen Extremitäten in dem dazu korrespondierenden
Teil des Raumes. Es werden verschiedene Formen des Störungsbildes unterschieden: Es
existieren der raumbezogene und der objektbezogene Neglect sowie die Neglectdyslexie
und der Body Neglect. Typische Symptome sind das Nicht-Reagieren auf sensorische Reize
in der meist linken Raumhälfte, das Anstoßen an Hindernisse dort und verlängerte Suchzeiten
beim Finden von Gegenständen oder beim Navigieren im Raum.
Die oftmals fehlende Krankheitseinsicht, die Unawareness oder Anosognosie der Patienten
mit Neglect, erfordert eine detaillierte Selbst- und Fremdanamnese sowie eine Verhaltensbeobachtung.
Visuelle Raumorientierungsstörungen werden in 4 Kategorien eingeteilt: räumlich-perzeptive,
räumlich-kognitive, räumlich-konstruktive und räumlich-topografische Störungen. Während
räumlich-perzeptive Störungen eher basale visuelle Leistungen betreffen, beziehen
sich die anderen 3 Subtypen auf höhere kognitive Leistungen. Das Störungsbild der
visuellen Raumorientierungsstörungen ist gekennzeichnet durch eine fehlerhafte Eigenbewegung
im Raum, eine gestörte Interaktion mit externen Objekten, fehlerhafte visuomotorische
Kontrolle und eine verminderte Fähigkeit sich in vertrauten und insbesondere neuen
Umgebungen zurechtzufinden.
Zum Balínt-Holmes-Syndrom gehören verschiedene Symptome wie die optische Ataxie, die
Simultanagnosie sowie Raumverarbeitungs- und Blickbewegungsstörungen. Die Symptome
treten entweder als Vollbild gemeinsam oder auch isoliert auf (letzteres meist nach
unilateraler Läsion). Patienten berichten Probleme beim zielgerichteten Greifen sowie
Schwierigkeiten beim Einschätzen von Positionen und Distanzen. Zudem zeigen die Betroffenen
einen eingeschränkten visuellen Überblick.
Der Rehabilitationserfolg wird maßgeblich von der Behandlung der Raumorientierungsstörungen
beeinflusst. Es gilt in jedem Fall, die für den Patienten relevanten Alltagsprobleme
zu erfassen und erhaltene Teilfunktionen zu identifizieren und diese gezielt zu trainieren.
Ansonsten existieren sowohl Bleistift- als auch computerbasierte Verfahren, um die
einzelnen Symptome der Krankheitsbilder nachweislich zu verbessern.
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Raumorientierungsstörungen können sich auf vielfältige Weise manifestieren. Die wichtigsten
zu dem Symptomkomplex gehörenden Störungen sind
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Zugrundeliegende Läsionen können vielfältig sein; die wichtigsten sind die posterior
gelegenen Regionen des Okzipital-, Temporal- und Parietallappens. Auch frontale und
subkortikale Regionen können beteiligt sein.
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Als Neglect bezeichnet man das Vernachlässigen der kontraläsionalen Raumhälfte sowie
den verminderten Gebrauch der kontraläsionalen Extremitäten. Es werden verschiedene
Formen unterschieden: der raumbezogene, der objektbezogene Neglect, die Neglectdyslexie
und der Body Neglect; oftmals bei fehlender Krankheitseinsicht (Unawareness oder Anosognosie),
was eine detaillierte Selbst- und Fremdanamnese sowie Verhaltensbeobachtung notwendig
macht.
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Visuelle Raumorientierungsstörungen werden in 4 Kategorien eingeteilt: räumlich-perzeptive,
räumlich-kognitive, räumlich-konstruktive und räumlich-topografische Störungen. Während
räumlich-perzeptive Störungen eher basale visuelle Leistungen betreffen, beziehen
sich die anderen 3 Subtypen auf höhere kognitive Leistungen.
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Mit dem Balínt-Holmes-Syndrom sind verschiedene Symptome assoziiert wie die optische
Ataxie, die Simultanagnosie sowie Raumverarbeitungs- und Blickbewegungsstörungen,
die als Vollbild gemeinsam oder isoliert auftreten (letzteres meist nach unilateraler
Läsion).
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Der Rehabilitationserfolg wird maßgeblich von der Behandlung der Raumorientierungsstörungen
beeinflusst. Die für den Patienten relevanten Alltagsprobleme sollten erfasst, erhaltene
Teilfunktionen identifiziert und gezielt werden. Darüber hinaus existieren sowohl
Bleistift- als auch computerbasierte Verfahren, um die einzelnen Symptome der Krankheitsbilder
nachweislich zu verbessern.
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Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag
ist Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen.