Ekelund U, Tarp J, Steene-Johannessen J, Hansen BH et al. Dose-response associations
between
accelerometry measured physical activity and sedentary time and all cause mortality:
systematic review and harmonized meta-analysis. BMJ 2019; 366:14570. Doi: 10.1136/bmj.14570
Teile des Beitrags aus dem Englischen übersetzt von S. Peters
Was ist zum Thema bereits bekannt
Körperliche Inaktivität steht in Zusammenhang mit vielen chronischen Erkrankungen
und vorzeitiger Sterblichkeit (…). Aktuellen Bewegungsleitlinien liegen aber hauptsächlich
Studien zur selbstberichteten körperlichen Aktivität zugrunde, welche anfällig für
Fehler sind. Das Ausmaß der Zusammenhänge wird daher wahrscheinlich unterschätzt und
die die Form der Dosis-Wirkungs-Beziehungen ist unklar, speziell bezüglich Aktivität
mit geringer Intensität.
Was diese Studie an Neuigkeiten bietet
Alle Intensitäten körperlicher Aktivität, einschließlich geringer Intensität, stehen
in Zusammenhang mit einem substanziell reduzierten Risiko zu sterben in Form einer
Dosis-Wirkungsbeziehung. Die beobachteten Effektstärken für den Zusammenhang zwischen
körperlicher Aktivität und dem Risiko zu versterben sind in etwa zweimal so groß wie
diejenigen, welche in vorherigen Studien dargelegt wurden, welche körperliche Aktivität
via Selbstbericht erhoben hatten. Ein statistisch signifikant höheres Todesrisiko
wurde beobachtet für sedentäre Zeiten von 9,5 oder mehr Stunden täglich.
Implikationen
Neueste nationale und internationale Strategien, die öffentliche Gesundheit in Bevölkerungen
durch körperliche Aktivität zu verbessern, werden durch die dargelegten Ergebnisse
unterstützt. Zusätzlich bekräftigen die neuen Bewegungsempfehlungen für Amerikaner,
die sedentäre Zeit zu begrenzen und dass körperliche Aktivität mit moderater bis hoher
Intensität nicht in 10-Minuten-Abschnitten stattfinden muss. Weiterhin sind die Ergebnisse
wichtig für Entscheidungsträger und können Informationen bieten für zukünftige Leitlinienentwicklung
dadurch, dass auch die Rolle von körperlicher Aktivität mit leichter Intensität und
das gesamte Bewegungsverhalten für die Reduktion des Risikos vorzeitigen Versterbens
wahrgenommen wird.
Die Public Health Botschaft könnte daher einfach lauten: „Sitzt wenig und bewegt euch
mehr und öfter.“
Auf den Beitrag kann im Internet offen zugegriffen werden (Open Access) unter: https://www.bmj.com/content/bmj/366/bmj.l4570.full.pdf
Stefan Peters (DVGS e.V.)
Kommentar zur Studie
Nichts Neues? Von wegen!
Auf den ersten und meist flüchtigen Blick bietet der Beitrag nicht viel Neues. Man
ist geneigt, diese Studie allzu schnell auf den Stapel der vielen und in der Regel
auch wertvollen epidemiologischen Studien zu legen.
Aber nichts wäre dieser aufwendigen Arbeit weniger angemessen, bietet sie doch gerade
für die Bewegungstherapie neue und bedeutsame Erkenntnisse, die sich direkt auf unsere
konkrete Arbeit auswirken.
Dieses Forschungsfeld wurde empirisch begründet von Paffenbarger et al. [2]. Im Rahmen der Harvard Alumni Study schätzte er den Umfang der körperlichen Aktivität
noch relativ grob, indem er die Angaben der Probanden aus Fragebögen in einen individuellen
zusätzlichen Kalorienverbrauch umrechnete. Trotz der Schlichtheit dieses Ansatzes
demonstrierten diese Daten sehr überzeugend den Zusammenhang von kardiovaskulärer
Sterblichkeit und körperlicher Aktivität. Seither zeigen unzählige Studien für zahlreiche
Populationen nicht nur diesen Zusammenhang, sondern einen positiven Einfluss auf viele
andere Erkrankungen und immer häufiger auch auf die Gesamtsterblichkeit („all cause
mortality“). Die meisten dieser Untersuchungen nutzen allerdings Selbstauskünfte zur
körperlichen Aktivität in den Fragebögen. Soziale Erwünschtheit, schlichte Überschätzung
und ein schlechtes Erinnerungsvermögen sind potenzielle Quellen von Fehlern und Verzerrungen.
Die Arbeit von Ekelund et al. reduziert und eliminiert diesen gravierenden „Bias“,
indem in dem Review auf die relevanten Primärdaten zugegriffen wird. So wird aus einem
„einfachen“ Review eine elaboriert abgeglichene Metaanalyse („harmonised meta-analysis“).
Zunächst werden, wie üblich, aus den bekannten Datenbanken die einschlägigen, auf
objektiven Messungen beruhenden Studien recherchiert und bewertet. Der eigentliche
„Gamechanger“ besteht darin, dass nun die Autoren kontaktiert wurden. Die Daten wurden
meist mit dreiaxialen Beschleunigungsmessern (z. B. Actigraph) erhoben und die Autoren
wurden gebeten „… to reprocess their individual participant data according to our
standardised protocol“.
Nur dadurch ist es möglich, viel differenzierter als bisher die Wirkung unterschiedlicher
Aktivitätslevel zu betrachten. Die dadurch gemachten Befunde sind besonders eindrucksvoll
in der grafischen Aufbereitung und haben massive Auswirkungen auf die für unsere Patienten
bedeutsamen Bewegungsempfehlungen. Besonders relevant sind dies Aspekte:
-
Es bestätigt sich der positive („substantial“) Gesundheitseffekt aller Arten von körperlicher
Aktivität für alle Altersgruppen.
-
Dieser Effekt ist über alle Aktivitätslevel hinweg etwa doppelt so hoch als es von
bisherigen Studien gezeigt wird.
-
Der Dosis-Wirkungszusammenhang ist nicht linear, flacht aber später ab als bisher
angenommen.
-
Die maximale Risikoreduktion (Gesamtsterblichkeit) ergibt sich bei „… about 375 min / day
of light intensity physical activity or 24 min / day of moderate-to-vigorous intensity
physical activity”.
-
Das hohe Gefahrenpotenzial der objektiv gemessenen Sitzzeiten wird bestätigt, bei
mehr als 7, 5 Stunden steigt das Risiko drastisch an.
Im Nachgang zu der Veröffentlichung ergab sich eine Diskussion, in deren Verlauf kritisiert
wurde, dass für die gesamte Stichprobe dieselben „accelerometer thresholds“ genutzt
wurden, obwohl hier Alter, Geschlecht und Gesundheitsstatus eine selektive Analyse
nahelegen würden.
Dieser Einwand ist teilweise berechtigt und gilt nach meiner Einschätzung insbesondere
für die Aktivitätsmessung von Kindern und Jugendlichen und chronisch kranken älteren
Menschen (vgl. dazu [1], die Autoren sind auch die Wortführer der Diskussion). Allerdings hätte sich der
eh schon hohe Komplexitätsgrad der Studie deutlich erhöht und darunter auch die Kommunizierbarkeit
der Befunde gelitten.
Recht elegant und gut begründet parieren die Verfasser mit einem zentralen Ergebnis
ihrer Studie: “The absolute difference in deaths between the least active (lowest) quarter and the
most active (highest) quarter was almost fivefold, suggesting the importance of total
physical activity, regardless of intensity, in middle-aged and older adults including
those with chronic diseases.”
Ich möchte Sie nachdrücklich zu der Lektüre des Artikels motivieren. Folgen Sie auch
der Diskussion unter https://www.bmj.com/content/366/bmj.l4570/rapid-responses.