Kasuistik
Anamnese
Ein in Hamburg lebender Mann im Alter von 47 Jahren stellte sich bei seinem Hausarzt
vor mit seit einem Jahr bestehendem trockenem Husten. Außerdem beklagte er Fieber,
Abgeschlagenheit und eine Leistungsminderung. Innerhalb des letzten Jahres habe er
teilweise anfallsartig insgesamt über 10 kg ungewollt Gewicht verloren. Dyspnoe oder
Hämoptysen lägen nicht vor. Die Beschwerden seien zunehmend, Vorerkrankungen habe
er nicht. Seit ca. 30 Jahren habe er eine Schachtel Zigaretten pro Tag geraucht, außerdem
trinke er täglich 2 Flaschen Bier. Von Beruf sei er Maurer, er lebe alleine und sei
in den letzten Jahren nicht gereist.
Diagnostik
In der ersten Röntgenübersichtsaufnahme zeigten sich bipulmonale, flächenhafte, oberlappenbetonte
Konsolidierungen ([Abb. 1]). Aufgrund der Klinik und des Röntgenbildes wurde der Verdacht auf eine pulmonale
Tuberkulose gestellt und der Patient stationär eingewiesen in die infektiologische
Abteilung eines norddeutschen Krankenhauses. Zum Zeitpunkt der Aufnahme lagen keine
auffälligen Laborparameter vor (Leukozyten 7,8 × 103/µg, Hämoglobin 14,8 g/dl, INR 1,06, Kreatinin 0,76 mg/dl, GOT 33 U/l, GPT 25 U/l,
CRP 2,1 mg/dl, TSH 2,4 µU/ml). Nach Aufnahme wurde zunächst eine Computertomografie
des Thorax durchgeführt ([Abb. 2]), die beidseits disseminierte Rundherde, apikale kavernöse Strukturen und Bronchiektasen
darstellte. Außerdem zeigten sich eine mediastinale Lymphadenopathie sowie teilweise
verkalkte Lymphknoten. Zur weiteren Diagnostik erfolgte eine mikroskopische Ziehl-Neelsen-Sputumuntersuchung,
bei der keine säurefesten Stäbchen nachgewiesen wurden. Auch die bronchoalveoläre
Lavage (BAL) und die transbronchialen Nadelbiopsien aus den Lymphknoten sowie transbronchialen
Lungenbiopsien ergaben keinen Anhalt für eine Tuberkulose. Im Verlauf waren auch die
PCR und die Kulturen negativ für das Vorliegen einer Mykobakteriose. Eine Untersuchung
auf Nokardien wurde nicht explizit angefordert. Um eine Immunsuppression durch eine
weitere Infektionserkrankung auszuschließen, wurden Serologien für Hepatitis B, C,
HIV und Lues durchgeführt, die alle negativ ausfielen. Eine Pneumonie mit atypischen
Erregern wurde ebenfalls nicht nachgewiesen, die Untersuchung auf Pneumocystits jirovecii
war in der BAL negativ ([Abb. 3]). Die BAL ergab aber eine leichtgradige Lymphozytose mit einem leicht erhöhten CD4/CD8-Quotient
von 2,3. Da in der transbronchialen Biopsie der Lungensegemente 2 und 3 rechts zudem
epitheloidzellige Granulome ohne Nekrosezeichen gesehen werden, wurde bei passendem
Röntgenbild die Verdachtsdiagnose einer Sarkoidose Typ 2 gestellt. Aufgrund der bereits
nachweisbaren Gastransferstörung und dem restriktiven Ventilationsmuster in der Spiroergometrie
wurde eine Therapie mit Prendisolon 30 mg pro Tag begonnen und im Entlassungsbericht
an den Hausarzt eine ambulante pneumologische Anbindung dringend empfohlen. Ein Wiedervorstellungstermin
zur Verlaufskontrolle oder eine direkte Anbindung an einen Pneumologen erfolgte nicht.
Abb. 1 Röntgen Thorax 06/2017: Beidseits oberlappenbetonte flächenhafte Konsolidierungen.
Abb. 2 a – c Computertomografie des Thorax 06/2017: Konsolidierungen bilateral teils subpleural,
teils pleuraständig im oberen und mittleren Drittel betont, disseminierte Rundherde
und Mikronoduli peribronchovaskulär und zentrilobulär, bizarr konfigurierte Kavitäten
der Lungenspitzen beidseits, Bronchiektasen, mediastinale Lymphadenopathie, teilweise
verkalkte Lymphknoten.
Abb. 3 Tabelle Diagnostik.
Verlauf
Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus nahm der Patient seine Arbeit als Maurer wieder
auf und kollabierte in den folgenden Monaten wiederholt bei der Ausübung seiner Tätigkeit
auf verschiedenen Baustellen. So wurde er jeweils in das nächstgelegene Krankenhaus
eingeliefert und erhielt aufgrund erhöhter Entzündungswerte und zunehmender radiologisch
nachweisbarer Konsolidierungen jeweils eine antibiotische Therapie ([Abb. 4] und [Abb. 5]). Die Prednisolontherapie wurde währenddessen in unveränderter Dosierung fortgesetzt.
Abb. 4 Röntgen Thorax 09/2017.
Abb. 5 Röntgen Thorax 10/2017.
Als er 5 Monate nach dem ersten Arztkontakt einen tastbaren Abszess in der linken
Flanke bemerkte, stellte er sich erneut bei seinem Hausarzt vor, der ihn in die chirurgische
Abteilung eines Krankenhauses in Hamburg einwies. Dort wurde zur Beurteilung der Abszessausdehnung
eine Kernspintomografie der Lendenweichteile durchgeführt ([Abb. 6]), die großflächige Läsionen im Bereich der inneren Bauchmuskeln aufwies, die sich
bis in die Lendenwirbelknochen erstreckten.
Abb. 6 a – b Kernspintomografie der Weichteile 12/2017: Großflächige abszessverdächtige Läsionen
im linken M. longissimus lumbales und im M. psoas major und M. iliacus, die sich von
LWK 2 bis SWK 1 erstrecken. Entzündliche Mitreaktion der LWK.
Nach der chirurgischen Sanierung der intraabdominalen Abszesse wurde schließlich in
der mikrobiologischen Untersuchung erstmals Nocardia farcinica nachgewiesen. Sofort
nach Eingang des mikrobiologischen Befundes wurde die Therapie mit Cotrimoxazol eingeleitet.
Die anschließende Kernspintomografie des Kopfes zeigte, dass bereits mehrere Hirnabszesse
rechts frontal und links temporal mit perifokalen Ödemzonen vorlagen ([Abb. 7]). Neurologische Ausfälle wurden nicht beobachtet. Nach Diagnosesicherung und Beginn
der antibiotischen Therapie wurde der Patient in unsere pneumologische Abteilung zur
Therapie der Nokardiose verlegt.
Abb. 7 a – b Kernspintomografie des Kopfes 12/2017: Beidhemisphärisch mehrere Hirnabszesse, zwei
Herde rechts frontal, mehrere gruppierte Herde links temporal mit perifokalen Ödemzonen.
Nach Kontrastmittelgabe zeigt sich ein kräftiges randständiges Enhancement.
Therapie
Antibiogrammgerecht wurde zunächst die antibiotische Therapie auf Amikacin gewichtsadaptiert
(7,5 mg/kg KG) und Meropenem 3 × 1 g umgestellt. Die wiederholte bronchoskopische
Erregerdiagnostik ergab weiterhin keinen Nachweis einer pulmonalen Nokardieninfektion,
auch andere Keime wurden nicht festgestellt.
Eine operative Fokussanierung der inzwischen einschmelzenden Kavernen in beiden Oberlappen
war nicht möglich ([Abb. 8]), da bei lungenfunktioneller Einschränkung eine Ein-Lungen-Beatmung nicht mehr durchgeführt
werden konnte. Die bronchoskopische Anlage einer inneren Drainage war technisch ebenfalls
nicht umsetzbar. Zudem zeigten sich in den Verlaufsuntersuchungen die Hirnabszesse
progredient, sodass eine Drainage der Lungenabszesse nicht als zielführend erachtet
wurde.
Abb. 8 a – c Computertomografie des Thorax 12/2017: Konfluierende unzählige noduläre Verdichtungen
können Ausdruck einer länger bestehenden Sarkoidose sein. Im Vergleich zur Voruntersuchung
zeigt sich eine Größenprogredienz der Kavitationen im Oberlappen, die Ausdruck einer
abszedierenden Pneumonie sein können, wie sie bspw. bei einer Nokardieninfektion vorkommen
kann.
Daher wurde die antibiotische Therapie um Cotrimoxazol erweitert, aufgrund der progredienten
Hirnabszesse die Dosierung des Meropenem erhöht auf 3 ×2 g und mittels Atemtherapie,
medikamentöser Sekretolyse und Anwendung einer Vibrationsweste die Sekretmobilisation
intensiviert. Außerdem erhielt der Patient hochkalorische Kost und eine pareneterale
Ernährung, da bereits zum Zeitpunkt der Aufnahme eine Kachexie mit einem BMI von 17 kg/m2 vorlag.
Bei zunehmender Arrosion des Bronchialsystems im Bereich der Kavernen ([Abb. 9]) kam es letztlich zu einer Sekretverlegung der Trachea mit respiratorischer Insuffizienz
und akuter Hypoxämie, was die Folge einer Bradykardie und Asystolie mit kardiopulmonaler
Reanimation hatte. Nach Wiederherstellung des Kreislaufs wurde der Patient auf unsere
Beatmungsstation verlegt. Dort kam es trotz Erweiterung der Therapie um Voriconazol
und Linezolid zu einer septischen Kardiomyopathie und einem septischen Kreislaufschock
mit Leberausfall.
Abb. 9 a – c Computertomografie des Thorax 03/2018: Massiver Progress der Infiltrate beidseits
pulmonal mit ausgedehnter Konsolidierung beidseits, v. a. den rechten Unterlappen
und linken Oberlappen betreffend, wobei links im Oberlappen dies sich auch an die
bekannte große Einschmelzungshöhle angrenzt. Kommunikation der Kaverne mit Bronchialsystem
denkbar. Schmale Pleuraergüsse beidseits.
9 Monate nach erstmaligem Arztkontakt verstarb der Patient im Beisein seiner Angehörigen
nach Beenden der Therapie auf unserer Intensivstation ([Abb. 10]).
Abb. 10 a – c Computertomografie des Thorax 03/2018 (Intensivstation): Pulmonal sind die ausgedehnten
Infiltrate mit den Einschmelzungen in ihrer Ausdehnung erheblich progredient. Es besteht
eine zusätzliche pleurale Ergussbildung.
Nokardiose
Die Nokardiose ist eine seltene granulomatöse bakterielle Infektionskrankheit, deren
Inzidenz in den USA mit 1:250 000 angegeben wird. In Deutschland kommt die Nokardiose
selten vor. Weltweit sind Männer dreimal so häufig betroffen wie Frauen. Benannt wurde
die Erkrankung nach Edmond Nocard (1850 – 1903), einem französischen Tierarzt und
Bakteriologen, der die aeroben, grampositiven, verzweigt fadenförmigen und partiell
säurefesten Stäbchen erstmals beschrieb. Sie gehören zur Familie der Actinomyceten.
Der Infektionsweg ist exogen durch Inhalation oder Hautwunden. Es werden über 60 Nocardia-Spezies
beschrieben, mindestens 33 Stämme sind human-pathogen. Sie kommen ubiquitär in Erdböden
und Feuchtbiotopen vor. In Deutschland sind Nocardia asteroides und farcinica häufig.
Als Risikofaktoren für die pulmonale Nokardiose gelten die Immunsuppression und strukturelle
Lungenerkrankungen. Eine Abzessbildung kann in jedem Organ stattfinden, ein pulmonaler
Beginn ist häufig. Die Diagnose erfolgt über den Nachweis von Nokardien im Untersuchungsmaterial
(BAL, Sputum, Bronchialsekret, Abszess, Blutkultur, Pleuraerguss u. a.) mittels mikroskopischer
Untersuchung nach Gram- oder Ziehl-Neelsen-Färbung. Bis ein Antibiogramm vorliegt,
sollte die antibiotische Therapie kalkuliert mit Imipenem und Amikacin stattfinden.
Die mittlere Behandlungsdauer beträgt 15 – 30 Wochen und wird individuell festgelegt.
Wenn möglich, sollte eine chirurgische Sanierung der Abszesse durchgeführt werden
[1]
[2]
[3]
[4]
[5]
[6].
Diskussion
Der Fall veranschaulicht sehr eindrucksvoll, welchen schweren Verlauf und letalen
Ausgang eine Infektionserkrankung mit Nocardia farcinica nehmen kann, wenn die Verdachtsdiagnose
nicht zu Beginn gestellt wird. Da die mikrobiologische Untersuchung explizit im Labor
angefordert werden muss, sollte bei ungeklärten radiologisch dargestellten Konsolidierungen
und Verdacht auf eine infektiöse Erkrankung auch an die seltene Nokardiose gedacht
werden und sowohl der Labormediziner als auch der Pathologe informiert werden.
Insbesondere bei Vorliegen einer Immunsuppression und strukturellen Lungenschädigung
sollte die Nokardiose als Differenzialdiagnose in Betracht kommen. Im dargestellten
Fall könnte der Alkoholabusus zur verminderten Immunabwehr geführt haben. Die Prednisolontherapie
könnte die bereits bestehende Immunsuppression verstärkt haben [7]
[8].
Ob die Sarkoidose tatsächlich die wahrscheinlichste Diagnose war, ist zu bezweifeln.
Der Patient klagte über ausgeprägten Gewichtsverlust, wobei die Sarkoidose keine typische
konsumierende Erkrankung darstellt. Auch der radiologische Befund mit den teilweise
verkalkten Lymphknoten ist nicht typisch für die Sarkoidose [9], sondern lässt eher an eine Silikose denken, eine passende Anamnese lag dafür allerdings
nicht vor. Bei der radiologisch nachgewiesenen mediastinalen Lymphadenopathie kämen
neben viralen, bakteriellen und parasitären Infektionserkrankungen auch neoplastische
Erkrankungen wie maligne Lymphome oder Leukämien in Betracht [10]. Disseminierte Rundherde mit Kavernenbildung lassen unter anderem an eine septische
Lungenembolie oder weitere abszessbildende Infektionserkrankungen denken wie bspw.
Infektionen mit Staphylokokken, Streptokokken, Klebsiellen, Haemophilus, Legionellen
oder Pseudomonas, bei Abwehrschwäche zudem Aktinomyceten, atypische Mykobakterien,
Pilze (Aspergillus, Cryptcoccus neoformans, Histoplasma capsulatum) oder Parasiten
(einzellige Mikroorganismen, Toxoplasmose, Würmer oder in Tropengebieten vorkommende
Lungenegel) [11]. Die Bronchiektasenbildung, wie sie im vorliegenden Fall bestand, weist auf einen
längeren Verlauf der Erkrankung hin.
Bei der Verdachtsdiagnose einer Sarkoidose auf Basis des erhöhten CD4/CD8-Quotienten
sollte bedacht werden, dass der erhöhte Quotient in der bronchoalveolären Lavage lediglich
als Hinweis, nicht aber als sicherer Nachweis einer Sarkoidose zu werten ist [12]. Auch sollten bei Nachweis von nichtnekrotisierenden Granulomen die Differenzialdiagnosen
ausgeschlossen werden [13]. So sollte neben der Sarkoidose und Tuberkulose auch an eine mögliche Berylliose
bei entsprechender Arbeitsanamnese oder an oben genannte Infektionserkrankungen gedacht
werden. Auch eine systemische Vaskulitis, eine exogen allergische Alveolitis oder
eine Silikose könnten je nach Anamnese und Klinik in Betracht kommen.
In der vorliegenden Kasuistik hatte der Patient bei erstmaligem Nachweis der Nokardiose
und bei Therapieeinleitung bereits eine 6-monatige Krankengeschichte mit wechselnden
Krankenhaus- und Arztkontakten sowie Abszessbildungen in mehreren Organen. Entsprechend
war bei Therapiebeginn eine Drainage und Sanierung der Abszesse sowie erfolgreiche
antibiotische Therapie nicht mehr möglich. Eine Reevaluation der Diagnose oder frühzeitige
Verlegung in eine Fachabteilung wäre aufgrund des progredienten Verlaufes daher zu
jedem Zeitpunkt sinnvoll gewesen. Bei der Diagnosestellung der Sarkoidose sollten
Verlaufskontrollen stattfinden. Empfohlen werden im ersten Jahr nach Diagnosestellung
Verlaufskontrollen in 3-Monats-Intervallen, bei gutem Verlauf ohne Therapieindikation
in den nachfolgenden 3 – 5 Jahren jährlich [10]. Bei Vorliegen von schwerwiegenden Befunden mit Indikation zur Therapie sollte das
Intervall entsprechend kürzer ausfallen. Insbesondere bei der Lungensarkoidose ist
bei Vorliegen von Kavernen, Bronchiektasen, respiratorischer Insuffizienz, Fibrosezeichen
oder pulmonaler Hypertonie eine pneumologische Anbindung mit kurzfristigen Kontrollen
notwendig. So besteht die Möglichkeit der zeitnahen richtigen Diagnosefindung nach
immunsuppressiver Therapieeinleitung, wenn es zu keinem Therapieerfolg kommt oder
Symptome und pathologische Befunde zunehmen.
Der Fall veranschaulicht die Relevanz, seltene Differenzialdiagnosen bei Nachweis
von pulmonalen epitheloidzelligen Granulomen in Betracht zu ziehen, Patienten unter
eingeleiteter Therapie adäquat anzubinden und eine initial gestellte Diagnose bei
progredientem Verlauf der Erkrankung infrage zu stellen.