Schlüsselwörter
Psychotherapie - Verhaltenstherapie - Kopfschmerzen
Key words
Psychotherapy - behavioral therapy - headache
Einleitung
            Psychologische Behandlungsverfahren spielen in der modernen Kopfschmerztherapie eine
               wichtige Rolle. Dies zeigt sich in den S1-Leitlinien der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft
               (DMKG) zu psychologischen Verfahren in der Behandlung der Migräne [1] sowie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und DMKG zur Therapie der
               Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne [2]. So wird in diesen Leitlinien die Anwendung von verhaltenstherapeutischen Verfahren
               wie Entspannungsverfahren, kognitive Verhaltenstherapie (KVT) oder Biofeedback insbesondere
               zur Prophylaxe der Migräne empfohlen. Auch in der S1-Leitlinie zur Therapie des episodischen
               und chronischen Kopfschmerzes vom Spannungstyp [3] werden Entspannungsverfahren und/oder Biofeedback als empfehlenswerte Maßnahmen
               genannt. In anderen kopfschmerzrelevanten S1-Leitlinien (Clusterkopfschmerz und trigeminoautonome
               Kopfschmerzen [4], Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln [5]) werden psychologische Behandlungsverfahren hingegen nicht explizit empfohlen, haben
               im multimodalen Kontext jedoch auch ihre Bedeutung (z. B. Psychoedukation, motivierende
               psychologische Beratung).
            Die Evidenzlage zur Wirksamkeit psychologischer Verfahren bei primären Kopfschmerzen
               ist nach wie vor nicht zufriedenstellend geklärt. Während mehrere Reviews bzw. Übersichtsarbeiten
               zur Wirksamkeit verhaltenstherapeutischer Verfahren bei Migräne auf gute Behandlungseffekte
               hinweisen [1],[6]–[8], kommen Sharpe et al. [9] in einem Cochrane-Review zu dem Schluss, dass die Wirksamkeit psychologischer Verfahren
               zur Migräneprophylaxe nicht ausreichend belegt und die Qualität bisheriger Wirksamkeitsstudien
               noch ausbaufähig sei. Insbesondere für Follow-up-Erhebungen finden sich in den Cochrane-Reviews
               bei Erwachsenen [9] und Kindern [10] keine überzeugenden Effekte. Für den Kopfschmerz vom Spannungstyp konnte nachgewiesen
               werden, dass Biofeedback eine effektive Behandlungsmethode ist [11]. Zu weiteren psychologischen Interventionen bei Kopfschmerz vom Spannungstyp liegen
               nach unserem Wissen noch keine gesicherten Evidenzen vor. Auch für andere primäre
               Kopfschmerzerkrankungen (z. B. trigeminoautonome Kopfschmerzen) gibt es kaum randomisiert-kontrollierte
               Studien, sodass hier noch ein hoher Forschungsbedarf attestiert werden kann. Im Folgenden
               werden wir psychologische Behandlungsansätze im Wandel der Zeit darstellen, anschließend
               auf Entwicklungen einzelner Verfahren bzw. Konzepte eingehen.
         Ein geschichtlicher Überblick
         Ein geschichtlicher Überblick
            Im Rahmen unseres Beitrags werden wir nur die psychologischen Behandlungsansätze und
               -mechanismen in den Blick nehmen; für pharmakologische und andere medizinische Behandlungsansätze
               verweisen wir auf diesbezügliche Literatur [12]–[15].
            Erste überlieferte Berichte von Kopfschmerzbehandlungen datieren zurück bis 2500 v.
               Chr. (Ebers Papyrus) [14]. Als Ursache von Kopfschmerzen (und anderer Erkrankungen) wurden übersinnliche Phänomene
               – wie der Einfluss böser Geister oder Dämonen – herangezogen. In der Behandlung wurden
               dementsprechend Beschwörung und Beten eingesetzt. Es finden sich also bereits in frühen
               Epochen Vorformen der Psychotherapie i. S. einer primitiven Heilkunst (z. B. suggestive
               Anwendungen, Traumareproduktionen, Rituale); als Psychotherapeut fungiert ein „Heiler“
               [16]. Hippocrates (ungefähr 460–370 v. Chr.) empfahl gegen Kopfschmerzen die Modifikation
               von kopfschmerzauslösenden Aktivitäten [14]. Dies kann aus heutiger Sicht als ein erster Einsatz verhaltenstherapeutischer Methoden
               bei Kopfschmerzen angesehen werden. Ab dem 18. Jahrhundert entwickelte sich – beginnend
               mit Franz Anton Mesmer (1734–1815) – eine Ausdifferenzierung hypnotischer Ansätze,
               welche später auch Sigmund Freud (1856–1939) beeinflussten. Dieser begründete Ende
               des 19. Jahrhunderts die Psychoanalyse, welche als Ausgangspunkt der modernen Psychotherapie
               verstanden werden kann [16]. Nachfolgend kam es zu der Herausbildung verschiedener psychotherapeutischer Strömungen.
               Begünstigt wurde dies auch durch die zunehmende Etablierung psychologischer Institute
               und wissenschaftlich-experimenteller Ansätze.
            In der Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die Verhaltenstherapie (VT). Einerseits,
               weil eine rasche Entwicklung und starke Produktivität in der Grundlagenforschung zu
               lerntheoretischen Erklärungen stattfand (Epoche des Behaviorismus); andererseits,
               weil zunehmend kritische Stimmen zur Effektivität psychoanalytischer Methoden laut
               wurden. Der Begriff Verhaltenstherapie wurde 1958 erstmals von Arnold Lazarus (1932–2013)
               in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift verwendet. Die aufsehenerregenden Erfolge
               der Verhaltenstherapie, insbesondere im Bereich der Behandlung von Ängsten, führten
               zu einer raschen Weiterentwicklung ihrer Methoden [17]. Ursprünglich beinhaltete die Verhaltenstherapie die Anwendung vorwiegend basaler
               Lernmechanismen und -prinzipien, die sowohl bei Tier und Mensch untersuchbar sind
               und sich primär auf beobachtbares Verhalten beziehen; höhere kognitive Prozesse wurden
               hingegen kaum betrachtet („erste Welle“ der VT). Im Rahmen der Kognitiven Wende in
               den 1960er-Jahren wurden kognitive Variablen (z. B. Gedanken, Erwartungen, bestimmte
               Denkmuster) als zunehmend bedeutsamer angesehen und in die Verhaltenstherapie aufgenommen.
               Auch deswegen, weil rein verhaltenstherapeutische Therapien ohne den Einbezug kognitiver
               Variablen weniger Erfolg erzielten. Es etablierte sich hierdurch die KVT („zweite
               Welle“ der VT). Nachfolgend gab es immer wieder Weiterentwicklungen von verhaltenstherapeutischen
               Verfahren, die unter dem Begriff der „dritten Welle“ der VT subsumiert werden [17].
         Hin zu einer Kopfschmerzpsychotherapie
         Hin zu einer Kopfschmerzpsychotherapie
            Ein wichtiger Schritt hin zu einer spezifischeren Schmerztherapie war die Entwicklung
               eines biopsychosozialen Modells, welches das enge Zusammenspiel zwischen körperlichen,
               psychischen und sozialen Faktoren bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Schmerzerkrankungen
               berücksichtigt. Mit diesem konnten sehr unterschiedliche Zugänge zum Symptom (Kopf-)Schmerz
               und damit zu seiner Behandlung beschrieben werden [18], [19]. Insbesondere bei der Aufrechterhaltung und Chronifizierung von Schmerzen spielen
               Lernvorgänge eine bedeutsame Rolle. Deshalb sind die therapeutischen Verfahren auf
               ein Verlernen bzw. eine Veränderung der schmerzauslösenden, -verstärkenden oder -aufrechterhaltenden
               Bedingungen im Verhalten und Erleben der Patienten gerichtet [20]. Zusätzlich spielen Aufmerksamkeitsprozesse eine Rolle. So kann die Umlenkung der
               Aufmerksamkeit auf nicht schmerzassoziierte Erlebnisinhalte im Sinne einer Ablenkung
               zu einer höheren Schmerztoleranz und verbesserten Schmerzbewältigung beitragen, was
               in Schmerzbewältigungstrainings und teilweise auch Entspannungstechniken angewandt
               wird. Psychophysiologische Forschung [21] erbrachte bei Migräne Hinweise auf erhöhte kortikale Aufmerksamkeitszustände und
               reduzierte Habituationsneigungen im schmerzfreien Intervall, die sich als Reizverarbeitungsstörung
               interpretieren lassen. Als Konsequenz daraus lassen sich Behandlungsverfahren entwickeln,
               die mit Entspannung assoziiert sind.
            Im Hinblick auf die Psychotherapie bei Kopfschmerzen können gegenwärtig folgende Kategorien
               unterschieden werden ([
                  Abb. 1
                  ]): Entspannungsverfahren zur allgemeinen psychovegetativen Anspannungsreduktion,
               (z. B. progressive Muskelrelaxation, meditative Verfahren, Temperatur-Biofeedback),
               spezifisches Biofeedback zur Beeinflussung kopfschmerzspezifischer Parameter (z. B.
               Neurofeedback/CNV-Biofeedback), KVT zur Förderung der Stressbewältigung, Triggermanagement,
               Psychoedukation, syndromspezifische KVT (z. B. Verfahren zur Bewältigung von Attackenangst,
               Attackenmanagement, störungsspezifische Lebensstilempfehlungen wie Ausdauersport),
               sonstige Ansätze wie z. B. psychodynamische Verfahren, Akzeptanz- und Commitmenttherapie
               (ACT). Eine Klassifikation psychologischer Verfahren zur Behandlung von Kopfschmerzen
               wurde bislang von verschieden Autoren vorgenommen [1], [22]–[24]. Letztendlich stellen die genannten Kategorien keine klar abgrenzbaren Bereiche
               dar. So sind psychoedukative Elemente meistens auch anderen Ansätzen immanent (z.
               B. Psychoedukation vor Durchführung von Biofeedback). Auch weitere Kategorien beinhalten
               Elemente aus anderen Bereichen (z. B. umfasst das Triggermanagement KVT zur Stressbewältigung).
               Während für einige Verfahren (Entspannung, KVT zur Stressbewältigung, Biofeedback)
               bei bestimmten Kopfschmerzerkrankungen (hier: Migräne) die Evidenzlage durchaus gut
               ist [1], fehlen für andere Verfahren respektive andere Kopfschmerzerkrankungen noch jegliche
               Evidenznachweise. Auch wenn die syndromspezifischen KVT-Verfahren augenscheinlich
               sinnvoll und oft indiziert sein dürften (z. B. Verbesserung des Attackenmanagements),
               gibt es kaum Nachweise für deren Effektivität. Empirische Belege zur Wirksamkeit einzelner
               Verfahren sind sicherlich schwierig zu generieren, da viele Elemente in der Versorgungspraxis
               und in Therapieprogrammen oft im Verbund (z. B. Entspannungsverfahren in Kombination
               mit KVT zur Stressbewältigung und syndromspezifischen Verfahren) eingesetzt werden.
               Nachfolgend werden wir – dem geschichtlichen Pfad folgend – wesentliche Komponenten
               psychologischer Kopfschmerzbehandlung vorstellen ([
                  Abb. 2
                  ]).
             Abb. 1 Klassifikation von Psychotherapieverfahren bei primären Kopfschmerzen.
                  Abb. 1 Klassifikation von Psychotherapieverfahren bei primären Kopfschmerzen.
            
            
             Abb. 2 Anwendungsbeispiele psychologischer Methoden in der Behandlung von Kopfschmerz: a – angeleitete Entspannungsverfahren, b – elektromyografisches Biofeedback, c – Einzelsitzung KVT, d – neue Technologien (z. B. Migräne-App). Quelle: Beatrix Barth, Peter Kropp
                  Abb. 2 Anwendungsbeispiele psychologischer Methoden in der Behandlung von Kopfschmerz: a – angeleitete Entspannungsverfahren, b – elektromyografisches Biofeedback, c – Einzelsitzung KVT, d – neue Technologien (z. B. Migräne-App). Quelle: Beatrix Barth, Peter Kropp
            
            Entspannungsverfahren
            Entspannungsverfahren haben das Ziel, das allgemeine Aktivierungsniveau zu reduzieren.
               Neben einer allgemeinen entspannenden Wirkung wird hierbei eine zentrale Dämpfung
               der Informationsverarbeitung angestrebt [25]. Bildgebende Studien zeigten, dass Entspannungsstrategien bei akuten Schmerzen zu
               reduzierten Schmerzangaben, aber auch zu einer erhöhten Aktivierung im periaquaeduktalen
               Grau führen – einer Region, die in der endogenen kortikalen Schmerzkontrolle involviert
               ist [26]. Entspannung kann Angstzustände reduzieren, was wiederum die Schmerztoleranz erhöht
               und somit das Schmerzerleben reduziert. Häufig wird Entspannungsverfahren bei Schmerzen
               eine präventive Funktion (i. S. einer Prophylaxe) zugesprochen; zudem berichten Patienten
               über abortive Eigenschaften bei akuten Schmerzzuständen [20].
            Entspannungsverfahren benötigen einen vergleichsweise geringen Therapeutenaufwand;
               sie können in Gruppen vermittelt und vom Patienten selbstständig zu Hause weiter geübt
               werden. Jeder Patient sollte das für ihn geeignete Entspannungsverfahren finden, denn
               die subjektive Erwartung hinsichtlich einer Verbesserung trägt maßgeblich zum Erfolg
               bei [27].
            Autogenes Training
            
            Das Autogene Training (AT) wurde in den 1920er-Jahren von Johannes Heinrich Schultz
               (1884–1970) entwickelt und ist eine der verbreitetsten Methoden zur Entspannungsinduktion.
               Dabei ist das AT eine Form der vereinfachten und standardisierten Selbsthypnose, die
               auf den Mechanismen der klassischeren Konditionierung basiert. Suggestive Formelsätze
               werden als Stimuli mit der Reaktion der Entspannung verbunden, sodass nach mehrmaligem
               Üben bereits ein Entspannungszustand eintritt, wenn die Formelsätze gesagt bzw. gedacht
               werden. Das Ziel der Arbeit mit diesen suggestiven Formelsätzen ist, über mentale
               Instruktionen den Körper zu beeinflussen und so eine konzentrative Selbstentspannung
               herbeizuführen.
            
            In der Grundstufe des AT [28] werden 7 Grundübungen (Ruhe, Schwere, Wärme, Atem, Herz, Sonnengeflecht/Bauch, Kopf/Stirn)
               benutzt, die aufeinander aufbauen und deshalb nacheinander erarbeitet und eingeübt
               werden sollen. Zu jeder Grundübung gibt es Autosuggestionen (z. B. zur Ruhe: „Ich
               bin vollkommen ruhig und entspannt“ und zum Herz: „Mein Herz schlägt ruhig und gleichmäßig“),
               die jeweils 6-mal wiederholt werden. Jede Grundübung sollte mindestens eine Woche
               lang, 2- bis 3-mal täglich, durchgeführt werden, bis die nachfolgende Grundübung zusätzlich
               praktiziert werden kann [29].
            
            Die Wirksamkeit der Grundstufe des AT wurde durch metaanalytisch gewonnene Befunde
               [30] für eine Großzahl von psychischen und somatischen Krankheitsbildern belegt. In einem
               kürzlich erschienen Review [31] konnte gezeigt werden, dass AT in 5 von 6 Studien signifikant Kopfschmerzen bei
               Erwachsenen reduziert. Dabei wurden in den jeweiligen Studien unterschiedliche Formen
               von Kopfschmerzen und die Anwendungsdauer des AT, auch in Kombination mit Biofeedback,
               untersucht. Besonders hinsichtlich der optimalen Länge des AT für die jeweiligen Kopfschmerztypen
               stehen noch weitere Untersuchungen aus. Zwei koreanische Studien fanden, dass das
               AT in Kombination mit Biofeedback bei Spannungskopfschmerz [32] und Migräne [33] wirksam ist. Auch ohne zusätzliches Biofeedback konnte eine signifikante Reduktion
               von Kopfschmerzen gefunden werden [34]. Die Durchführung von AT in der Migräneattacke ist sorgfältig abzuwägen, da die
               kardiovaskuläre Entspannungsreaktion mit einer peripheren Gefäßerweiterung einhergehen
               kann.
            
            Progressive Muskelrelaxation
            
            Die progressive Muskelrelaxation (PMR) nach Edmund Jacobson (1888–1983), heute überwiegend
               nach den Empfehlungen von Bernstein und Borkovec [35] angewandt, wird in der Schmerztherapie am häufigsten als Entspannungsverfahren eingesetzt
               [36]. Hierbei werden – in der Langversion (Dauer: ca. 20 Minuten) – insgesamt 16 Muskelgruppen
               des Körpers identifiziert und für wenige Sekunden angespannt, es folgt eine 30- bis
               40-sekündige Entspannungsphase. Der Patient konzentriert sich auf die wahrgenommenen
               körperlichen Unterschiede zwischen Anspannung und Entspannung. Auf diese Weise kann
               sich eine allgemeine psychovegetative Entspannungsreaktion einstellen. Es existieren
               verschiedenen Kurzversionen, bei denen mehrere Muskelgruppen zusammengefasst werden
               (Dauer: max. 5 Minuten).
            
            Zusätzlich gibt es eine „Vergegenwärtigungsübung“, bei der sich der Patient vor dem
               Entspannungsintervall lediglich die vorhandene Muskelspannung bewusst macht, allerdings
               die Muskeln nicht mehr anspannt. Dies kann dann – bei geübten Personen – unmittelbar
               und schnell eingesetzt werden, eine Entspannung kann binnen Sekunden erfolgen. Die
               PMR wird seit vielen Jahrzehnten in der Migränetherapie eingesetzt. Auf der Basis
               vieler Untersuchungen wird die Anwendung auch in den entsprechenden Leitlinien zur
               Migränebehandlung empfohlen [1], [2]. Ein Vorteil der PMR ist, dass sie nach dem Erlernen ohne Therapeuten und technische
               Hilfsmittel beinahe überall und sofort eingesetzt werden können. Im Vergleich zum
               AT eignet sich die PMR mehr für Patienten mit erhöhter Anspannung und Nervosität [37].
            
            Meditation
            
            Während Meditation in der Vergangenheit vornehmlich in einem primär-präventiven Anwendungskontext
               eingesetzt wurde, werden mit der „dritten Welle“ der VT Meditationselementen eine
               zunehmend größere Bedeutung für den therapeutischen Kontext zugeschrieben. Mit neueren
               Therapieverfahren, wie der dialektisch-behavioralen Therapie (DBT), der ACT sowie
               der achtsamkeitsbasierten kognitiven Therapie (engl. Mindfulness Based Cognitive Therapy;
               MBCT) werden erfolgreich meditative Praktiken mit buddhistischer Prägung in die Behandlung
               eines breiten Spektrums von Erkrankungen integriert. Meditationstechniken finden sich
               auch in Programmen zur individuellen Stressbewältigung wieder, z. B. im Stressreduktionstraining
               mit Yogaelementen für Erwachsene [38]. Zusätzlich ist in den vergangenen Jahren ein großes gesellschaftliches Interesse
               an buddhistischen Meditationstechniken zu beobachten, das sich exemplarisch in dem
               rapide zunehmendem Angebot an vielfältigen Meditations-Apps abbildet. Für die Behandlung
               von Kopfschmerzpatienten wird das Potenzial der Meditation jedoch noch unzureichend
               genutzt, obwohl sich die Meditation bereits in der Therapie von Schmerzpatienten als
               wirksam gezeigt hat [39].
            
            Meditationstechniken zielen auf einen Zustand der Vorstellungslosigkeit, der geschärften
               Innenschau (Introspektion) und/oder der höchsten Konzentration. Damit gehen sie über
               das Ziel der zuvor dargestellten Entspannungsverfahren hinaus. Meditation kann als
               eine Exposition mit dem eigenen Selbst verstanden werden, indem sie die Introspektionsfähigkeit
               fördert. Ziel ist es über die Meditation die Beobachtung für sich selbst zu schärfen,
               offener für die Gegenwart zu werden und mehr im Jetzt zu sein. Gerade für Kopfschmerzpatienten
               ist dies essenziell, um Hinweise auf Kopfschmerzattacken frühzeitig wahrzunehmen und
               entsprechend zu handeln. Es gibt unterschiedliche Formen, wie die Meditation im Sitzen
               (mit Atembeobachtung [Vipassana], Mantra [Silben], Klang oder Objekten [z. B. Kerze])
               sowie die Meditation in Bewegung (z. B. Gehmeditation). Meditationsverfahren bestehen
               oft aus Körperübungen (z. B. Lotussitz, Atemtechniken) und aus Vorstellungsübungen.
               Dabei werden zur Selbstinstruktion Mantras, sich monoton wiederholende Wortfolgen
               geformt, die einen Rhythmus bezeichnen, der die Entspannung fördert.
            
            Der mit Meditation erreichte Entspannungszustand ist physiologisch mit AT und PMR
               vergleichbar [40]. Auch bei Mediation erhöht häufiges und regelmäßiges Üben die Wirksamkeit und führt
               dazu, Belastungssituationen frühzeitiger zu erkennen und ihnen gelassener entgegenzutreten.
               Gerade durch die unterschiedlichen Formen der Meditation und durch die Unterstützung
               von neu entwickelten Meditations-Apps lässt sich Meditation individuell angepasst
               in den persönlichen Alltag integrieren.
            Biofeedback
            Biofeedback könnte aufgrund seiner Entspannungskomponente auch im vorherigen Kapitel
               beschrieben werden; hier möchten wir aber auf die spezifische Modulation von Kopfschmerzparametern
               durch Biofeedback fokussieren.
            Durch Biofeedback werden körperliche Prozesse („Bio“) gemessen und dem Patienten kontinuierlich
               über ein gut wahrnehmbares, meist visuelles oder akustisches Signal zurückgemeldet
               („Feedback“) [41]. Biofeedback ist deswegen ein objektives Verfahren zur Messung, Verstärkung und
               Rückmeldung physiologischer Signale. Die Idee ist, dass der Patient diese rückgemeldeten
               Signale anwendet, um dadurch Kontrolle über eine bestimmte Zielgröße (z. B. Muskelspannung
               oder Erregungsniveau) zu erhalten. Neben diesen eher unspezifischen Parametern können
               auch kopfschmerzspezifische Parameter verwendet werden, die bei Migräne verändert
               sind. Exemplarisch zu nennen sind die contingent negative variation (CNV), ein langsames
               aufmerksamkeitskorreliertes Potenzial sowie die Gefäßweite der oberflächlichen Schläfenarterie
               [21], [41]. Diese Parameter sind in die gewünschte Richtung (z. B. weniger Anspannung, Amplitudenreduktion,
               Gefäßverengung) zu verändern; verschiedene Strategien können angewendet werden (z.
               B. Herausfinden einer passenden Kognition). Diese Strategien werden durch Versuch
               und Irrtum erworben; eine Vorgabe wird als eher ungünstig beurteilt [42].
            Das Biofeedbacktraining ist ein wesentlicher und wirkungsvoller Baustein verhaltenstherapeutischer
               Schmerzbehandlung. Dabei geht es um eine Form des Lernens mit verbesserter und gesteigerter
               Autoregulation. Ungeklärt ist jedoch, ob es sich dabei um eine apparativ unterstützte
               Entspannungsmethode oder einem Körperwahrnehmungstraining und einer dadurch induzierten
               kognitiven Umstrukturierung handelt (wie bei der KVT). Bei der Behandlung von Migräneattacken
               ist die Evidenz von Biofeedback sehr hoch; die Wirksamkeit in der Prophylaxe von Migräneanfällen
               ist vergleichbar mit einer medikamentösen Behandlung [2]. Als Wirkmechanismen von Biofeedback werden die Kontrolle über physiologische Funktionen
               als spezifische Anwendung und die Überzeugung einer Symptomkontrolle als unspezifische
               Anwendung eingesetzt; letztere scheint dabei effektiver zu sein [23], [43].
         Kognitive Verhaltenstherapie
         Kognitive Verhaltenstherapie
            Als Begründer der modernen KVT können Albert Ellis (1913–2007) (Rational-Emotive Therapie,
               1950er Jahre), Aaron T. Beck (*1921) (Kognitive Therapie, 1950er- bis 1960er-Jahre)
               und Donald Meichenbaum (*1940) (Stressimpfungstraining, 1970er-Jahre) genannt werden
               [44]. Einen Meilenstein für die KVT mit Schmerzpatienten stellt das „Marburger Schmerzbewältigungsprogramm“
               [45] dar. Darin wurden erstmals für den deutschen Sprachraum in gut strukturierter und
               umfassender Form verhaltenstherapeutische Interventionen bei Kopf- und Rückenschmerzen
               beschrieben (z. B. Psychoedukation, Entspannungsverfahren, Aufmerksamkeitslenkung,
               Verhaltensanalyse und -modifikation von Schmerzauslösern). Nachfolgende KVT-Programme
               für Kopfschmerzpatienten stellen eine Ausdifferenzierung und Spezifizierung von KVT-Methoden
               dar. So wurden inzwischen auch spezifische Therapieprogramme für Kinder und Jugendliche
               mit Kopfschmerzen entwickelt [46], [47], wobei DreKiP („Ein ambulantes Therapieprogramm für Kinder und Jugendliche mit Kopfschmerz“)
               neben Psychoedukation, Entspannungsverfahren und Stressbewältigung auch erlebnispädagogische
               Elemente („Klettern und Selbstwirksamkeit“) beinhaltet.
            Von hoher Relevanz ist die Frage, welche Faktoren Kopfschmerzen respektive -attacken
               auslösen. In einer Metaanalyse konnte gezeigt werden, dass am häufigsten Stress oder
               mit Schlaf assoziierte Faktoren als Auslöser („Trigger“) genannt werden [48]. Weitere häufig berichtete Trigger sind emotionale Belastungen, Wetterwechsel, visuelle
               Reize (z. B. Bildschirmarbeit), hormonelle Schwankungen, bestimmte Nahrungsmittel
               sowie körperliche Aktivität/Anstrengung. Ausgehend von der Annahme, dass das ausschließliche
               Vermeiden von Triggern kontraproduktiv ist und zur Chronifizierung einer Kopfschmerzerkrankung
               beitragen kann, entwickelte Paul Martin das spezifisch an Kopfschmerzpatienten adressierte
               Triggermanagement („Learning to Cope with Triggers, LCT“ [49], [50]). Theoretische Grundlage ist Martins Trigger Avoidance Model of Headaches (TAMH,
               [49]). Dieses beschreibt, wie übermäßige Triggervermeidung zu einer Sensitivierung hinsichtlich
               dieser Trigger führt und somit die Zunahme von Kopfschmerzaktivität erklären kann.
               Experimentelle Befunde konnten diese Annahme bestätigen [51]–[53]. In einer randomisiert-kontrollierten Studie konnte die Wirksamkeit des Triggermanagements
               und dessen Überlegenheit gegenüber einer ausschließlichen Vermeidungsstrategie dokumentiert
               werden [54]. Das Triggermanagement zielt auf eine Flexibilisierung im Umgang mit potenziellen
               Triggern ab. Mit dem Akronym EASE werden 4 Methoden unterschieden [55]:
            
               
               - 
                  
                  Experiment (i. S. eines Verhaltensexperiments hinsichtlich des tatsächlichen Auslösepotenzials), 
- 
                  
                  Vermeidung (Avoid), 
- 
                  
                  Stressbewältigung und 
- 
                  
                  Exposition (i. S. einer graduierten Konfrontation mit dem Trigger). 
Mit der Zielsetzung, ein noch spezifischeres KVT-Behandlungsprogramm zu konzipieren,
               wurde das Migränemanagement (MIMA) entwickelt [24], [56]. Dieses, sich an erwachsene Patienten richtende Therapieprogramm, umfasst 7 modulartig
               aufgebaute Sitzungen und integriert verschieden KVT- sowie Entspannungsverfahren.
               Dabei wird zum Teil sehr spezifisch auf migränerelevante Aspekte eingegangen (z. B.
               Vermittlung eines Entstehungsmodells der Migräne, Bewältigung von Attackenangst, Durchführung
               von migränespezifischen Basismaßnahmen, Attackenbewältigung, Triggermanagement). In
               einer Pilotstudie konnte eine sehr gute Durchführbarkeit und Patientenakzeptanz hierfür
               nachgewiesen werden [24]. Zur Beurteilung der Wirksamkeit des MIMA läuft gegenwärtig eine randomisiert-kontrollierte
               Studie (DRKS-ID: DRKS00011111).
            Insgesamt lässt sich bei KVT-Verfahren ein Trend zu zunehmend spezifischeren Behandlungsprogrammen
               beobachten. Ein Vorteil dieser Entwicklung ist die Möglichkeit, im Kontext der Kopfschmerztherapie
               auf die Bedürfnisse von Subgruppen noch adäquater eingehen zu können (z. B. Migränepatienten
               vs. Clusterkopfschmerzpatienten oder Migränepatienten mit hoher vs. geringer Triggervermeidung).
         Multimodale Behandlung
            Multimodalen interdisziplinären Behandlungen liegt das biopsychosoziale Krankheitsverständnis
               zugrunde [19]. Bereits vor über 20 Jahren wurden multimodale Therapieansätze, v. a. im Bereich
               chronischer Rückenschmerzen, entwickelt und evaluiert [57]. Nach der Ad-hoc-Kommission „Interdisziplinäre Multimodale Schmerztherapie (MMST)“
               der Deutschen Schmerzgesellschaft (DGSS) wird als MMST „die gleichzeitige, inhaltlich,
               zeitlich und in der Vorgehensweise aufeinander abgestimmte umfassende Behandlung von
               Patienten mit chronifizierten Schmerzsyndromen bezeichnet, in die verschiedene somatische,
               körperlich übende, psychologisch übende und psychotherapeutische Verfahren nach vorgegebenem
               Behandlungsplan mit identischem, unter den Therapeuten abgesprochenem Therapieziel
               eingebunden sind.“ [58], S. 112]. Im Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) medizinischer Leistungen
               wurde die MMST unter dem Komplexkode 8–918 aufgenommen, welcher u. a. die Integration
               mindestens einer psychotherapeutischen Fachrichtung, eines multidisziplinären Aufnahmeverfahrens
               sowie regelmäßiger interdisziplinärer Teambesprechungen fordert. Ziel der MMST ist
               neben der Symptomlinderung und Förderung eines biopsychosozialen Krankheitsverständnisses
               die Verbesserung der objektiven und subjektiven Funktionsfähigkeit („functional restauration“).
            Die Effektivität interdisziplinärer multimodaler Behandlungsansätze ist insbesondere
               für chronische Rückenschmerzen und das Fibromyalgiesyndrom vielfach überprüft und
               belegt worden [59]. Auch in der Behandlung chronischer bzw. komplexer Kopfschmerzen haben sich multimodale
               Ansätze als wirksam erwiesen, wobei sich die Studienlage vorwiegend auf Migräne, Spannungskopfschmerz
               und Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch bezieht. Aussagen über die optimale
               inhaltliche und organisatorische Ausgestaltung (z. B. notwendige Anzahl der Therapieeinheiten)
               sind noch nicht möglich [60]. Interdisziplinäre multimodale Kopfschmerzbehandlungen ([
                  Abb. 3
                  ]) erfolgen aktuell ambulant im Rahmen von Programmen der „Besonderen Versorgung“
               (früher Integrierte Versorgung) sowie im tagesklinischen oder stationären Behandlungssetting.
               Für eine ausführliche Darstellung der interdisziplinären Behandlungsbausteine in der
               multimodalen Therapie chronischer Kopfschmerzen wird auf den praxisnahen Therapieleitfaden
               von Fritsche und Gaul [61] verwiesen.
             Abb. 3 Komponenten der interdisziplinären multimodalen Kopfschmerzbehandlung (nach [60], [62])
                  Abb. 3 Komponenten der interdisziplinären multimodalen Kopfschmerzbehandlung (nach [60], [62])
            
            
            Edukation i. S. einer Vermittlung von Wissen über spezifische Kopfschmerzsyndrome,
               biopsychosoziale Zusammenhänge und medikamentöse sowie nicht medikamentöse Behandlungsansätze
               spielt eine Schlüsselrolle und zielt v. a. auf eine Steigerung der Selbstwirksamkeitserwartung
               ab. Idealerweise sollten alle an der MMST beteiligten Berufsgruppen (z. B. Ärzte,
               Psychotherapeuten, Physiotherapeuten, Pflegekräfte) involviert werden. In einer Metaanalyse
               [63] konnte gezeigt werden, dass allein mit Psychoedukation bereits Therapieeffekte bei
               Migränepatienten erreichbar sind (z. B. Reduktion der Kopfschmerzhäufigkeit und kopfschmerzbedingten
               Funktionsbeeinträchtigung).
            KVT-Methoden lassen sich sehr gut in multimodale Programme integrieren. Meist findet
               die Behandlung als Therapie in geschlossenen Kleingruppen von Kopfschmerzpatienten
               statt, mit mehreren strukturierten Sitzungen. Die Patienten werden angeleitet, ungünstige
               kopfschmerzfördernde Lebensstilfaktoren und Einstellungen zu identifizieren und zu
               verändern. Weitere Inhalte können sich z. B. auf die Schmerz- und Stressbewältigung,
               das Triggermanagement und die Stärkung der Krankheitsakzeptanz beziehen. In zusätzlichen
               psychotherapeutischen Einzelsitzungen können Inhalte vertieft bzw. individualisiert
               werden und bei Bedarf weiterführende ambulante psychotherapeutische Behandlungen eingeleitet
               werden.
            Perspektivisch werden mehr Studien zu optimalem Inhalt, Umfang und Setting multimodaler
               Therapieansätze in Abhängigkeit der vorliegenden Kopfschmerzsymptomatik benötigt.
               Ein interessantes Behandlungsdesign wurde in einer prospektiven Studie im Rahmen der
               Integrierten Versorgung gewählt [64]. Hierbei wurden Kopfschmerzpatienten (Migräne, Spannungskopfschmerz, Migräne und
               Spannungskopfschmerz, Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch) in Abhängigkeit
               der Anzahl ihrer Kopfschmerztage/Chronifizierung, dem Medikamenten(über)gebrauch und
               der ggf. begleitenden psychiatrischen Komorbidität einem von 3, modular aufgebauten
               Behandlungsarmen zugeteilt. Es konnten jeweils signifikante Verbesserungen hinsichtlich
               der Kopfschmerzhäufigkeit, Reduktion der Akutmedikation und krankheitsbedingten Beeinträchtigung
               erzielt werden. Nicht zuletzt stellt die Verbesserung von Versorgungsstrukturen wie
               die Ausweitung niederschwelliger ambulanter interdisziplinärer Behandlungen eine wichtige
               Aufgabe dar, um einer Chronifizierung und fortschreitenden kopfschmerzbedingten funktionalen
               und affektiven Beeinträchtigung möglichst frühzeitig entgegenzuwirken.
         Diagnostische Aspekte
            Bei der psychologischen Kopfschmerzdiagnostik können folgenden Bereiche unterschieden
               werden:
            
               
               - 
                  
                  Schmerzsymptomatik (Kopfschmerzaktivität), 
- 
                  
                  kopfschmerzassoziierte Beeinträchtigung, 
- 
                  
                  psychische Belastung, 
- 
                  
                  Krankheitsverarbeitung und 
- 
                  
                  Einflussfaktoren auf die Kopfschmerzaktivität. 
Seit den 1990er-Jahren wurden und werden diesbezüglich zunehmend spezifischere Verfahren
               entwickelt: z. B. MIDAS (Migraine Disability Assessment Scale [106]), IBK (Inventar zur Beeinträchtigung durch Kopfschmerzen [105]), HIT-6™ (Headache Impact Test [103], [104]) zur Beurteilung der kopfschmerzbedingten Beeinträchtigung sowie HTSAQ-G (Headache
               Triggers Sensitivity and Avoidance Questionnaire [65]), HMSE-G (Headache Management Self-Efficacy Scale [66]). Aktuell befindet sich ein Testverfahren zur Erfassung von Belastung, Beeinträchtigung
               und Bewältigung bei Clusterkopfschmerz in der Vorbereitung [67]. Möglicherweise könnte in einigen Jahren bei Migränepatienten die Vorhersage der
               Kopfschmerzaktivität anhand eines Monitorings der täglichen Stressbelastung eine realistische
               Option zur Verbesserung der Krankheitsbewältigung sein [68].
         Aktuelle technologische Entwicklungen
         Aktuelle technologische Entwicklungen
            Eine schnelle Entwicklung sowie große Verfügbarkeit der Onlinetechnologien und digitalen
               Medien in der Medizin [69] begünstigten auch in der Kopfschmerztherapie die Herausbildung neuer Formate [70], [71]. Diese werden häufig als eHealth (electronic health) bzw. – bezogen auf mobile Endgeräte
               – als mHealth (mobile health) bezeichnet und können insbesondere genutzt werden, um
               bewährte nicht medikamentöse Konzepte zu vermitteln. Den Gang zum Therapeuten können
               sie jedoch nicht ersetzen [72]. Sie sollten als unterstützende Möglichkeiten im diagnostischen und therapeutischen
               Prozess angesehen werden, mit dem Potenzial einer verbesserten Patientenversorgung
               (z. B. in ländlichen Regionen [73]). Diese vielversprechenden Ansätze [6], [74]–[77] müssen in ihrer Wirksamkeit jedoch noch umfangreich evaluiert werden: Welche Versprechen
               können eingelöst werden; welche Grenzen zeigen sich; an welchen Stellen ist das Potenzial
               noch ausbaufähig? Verschiedene, kombinierbare, mitunter überlappende Bereiche lassen
               sich unterscheiden [70], [78].
            Migräne-Apps
            
            In der heutigen Zeit sind Smartphone-Apps allgegenwärtig. Im Jahr 2018 seien von etwa
               50 % aller Smartphone- und Tablet-Nutzer mHealth-Apps heruntergeladen worden [79]. Es gibt eine Reihe von Apps, die explizit für die Edukation und Therapiebegleitung
               von Kopfschmerzpatienten entwickelt wurden (z. B. digitale Kopfschmerzkalender, Entspannungsübungen,
               Informationen über die Erkrankung). Eine sorgfältige, an Patientenbedürfnissen ausgerichtete
               Dokumentation der Attackenverläufe und der Medikamenteneinnahme ist möglich, wodurch
               eventuell die Adhärenz für die oft mühselige Tagebuchführung erhöht werden kann [80]. Ob dies tatsächlich der Fall ist, bleibt offen [81]. Berichtet wird eine höhere Akzeptanz bei den Benutzern, eine sorgfältigere Dokumentation
               und größere Effizienz bei der elektronischen Tagebuchführung [80], [82]–[85]. Symptome lassen sich nach den Kriterien der Klassifikation der IHS [86] erheben und bieten damit eine Unterstützung bei der diagnostischen Einordnung. Die
               Erstellung eines Trainingsplans und einer daran orientierten Erinnerungs- und Rückmeldefunktion
               könnte die Motivation für die Durchführung von Ausdauersport erhöhen [87]. Interaktive Illustrationen bei physiotherapeutischen Anleitungen könnten bei der
               selbstständigen Durchführung im heimischen Setting helfen. Die Vermittlung von PMR
               mittels Audiodateien über ein Smartphone (App „RELAXaHEAD“) wurde kürzlich durch eine
               New Yorker Forschergruppe untersucht. Für Migränepatienten, die mindestens 2-mal pro
               Woche PMR-Übungen durchführten, zeigte sich eine durchschnittliche Verminderung der
               Migränetage um 4 Tage; bei denen, die weniger übten, waren es nur 2 Tage [88]. Neben Entspannungsübungen haben Apps das Potenzial, KVT-Komponenten anzubieten;
               durch anschließbare Messfühler ist auch die Umsetzung von Biofeedback möglich [70].
            
            Kopfschmerz-Apps sind in wissenschaftlichen Studien bisher selten untersucht worden
               [89], ebenso mögliche Nebenwirkungen [90]. Es fehlt an wissenschaftlicher Expertise und es bedarf einheitlicher Qualitätsstandards
               [87], [91]. Eine Übersichtsarbeit zu Kopfschmerztagebuch-Apps bezeichnet die Evidenz bzgl.
               Wirksamkeit und klinischer Sicherheit als sehr schwach [92]. Die Investition in weitere Forschung scheint allerdings aus verschiedenen Aspekten
               lohnenswert: schnelle Verfügbarkeit, die Möglichkeit der umfangreichen Datenerhebung
               zu Forschungszwecken [77], [93] sowie gute Akzeptanz und unter bestimmten Voraussetzungen gesteigerte Adhärenz bei
               den Nutzern [94]. Vorhersagemodelle individueller Kopfschmerzattacken könnten einem präemptivem Ansatz
               gerecht werden, Attacken schon vor der Entstehung zu unterbinden [68]. Erste beispielhafte Ansätze sind in Deutschland Mira (Migräne Radar, https://www.migraene-radar.de/), welches das Melden von Migräneattacken und das Abrufen individueller Statistiken
               ermöglicht [77], bzw. im Vereinigten Königreich die Studie „Cloudy with a Chance of Pain” [93] zum Zusammenhang von Wetter und chronischem Schmerz (https://www.cloudywithachanceofpain.com/).
            
            Telemedizin
            
            In Gebieten mit geringer Therapeutendichte bzw. Besiedelung, die persönliche Konsultierungen
               erschweren bzw. kostenintensiv machen, eröffnet Telemedizin neue Möglichkeiten (z.
               B. durch Kommunikation per Video, Telefon, Textnachrichten oder E-Mail). Eine norwegische
               Studie konnte für telemedizinische Arztberatung im Vergleich zur Standardtherapie
               eine Reduktion des finanziellen und zeitlichen Aufwands und eine hohe Akzeptanz des
               Verfahrens für Kopfschmerzpatienten demonstrieren [73]. In einer Folgeuntersuchung erwies sich die telemedizinische Arztberatung bei nicht
               akuten Kopfschmerzen bzgl. Effizienz und Sicherheit im Vergleich zum klassischen Arztbesuch
               als gleichwertig. Schätzungsweise würde in nur einem von 20200 Fällen telemedizinischer
               Kontakte ein sekundärer Kopfschmerz übersehen werden [95].
            
            Internetbasierte Therapie
            
            Internetbasierte Therapien für Kopfschmerzbetroffene werden in der Regel von einem
               Therapeuten via Telefon oder E-Mail angeleitet. Der zeitliche Rahmen und der inhaltliche
               Aufbau der Programme können sehr unterschiedlich sein; häufig kommen Beratung und
               Führung zum Einsatz. Ein Review von 2016 untersuchte den Einsatz von elektronisch
               vermittelten VT-Interventionen bei primären Kopfschmerzerkrankungen. Es kamen überwiegend
               KVT-Formate zum Einsatz, zumeist über das Internet vermittelt. Trotz guter Akzeptanz
               und Durchführbarkeit, sind Aussagen zu Wirksamkeit und Adhärenz jedoch begrenzt. Weiterhin
               war es nicht möglich, zu bewerten, inwiefern die Nutzung dieser digitalen Angebote
               mit einer regulären Behandlung durch einen Therapeuten vergleichbar ist [89]. Stabile Therapieeffekte im Follow-up und eine signifikante Triptaneinnahmereduktion
               konnte jedoch eine Untersuchung aus jüngerer Zeit demonstrieren [96]. Zusammenfassend zeigen Studien eine Reduktion von Kopfschmerzfrequenz und -intensität,
               jedoch auch eine hohe Abbruchrate und keinen Effekt auf depressives oder ängstliches
               Erleben bei Personen mit chronischem Kopfschmerz. Klare Schlussfolgerungen sind aufgrund
               fehlender, groß angelegter Studien nicht möglich [89]. Zu ähnlichen Ergebnissen kam ein aktualisierter Cochrane-Review über die Wirksamkeit
               digital vermittelter psychologischer Therapien bei Kindern und Jugendlichen mit Kopfschmerzen
               und anderen Schmerzdiagnosen [97].
            
            Informationsangebote im Internet
            
            Informative Inhalte zum Thema Kopfschmerz finden sich auf vielen Seiten im Internet.
               Betroffene informieren sich eigeninitiativ und nutzen Expertenforen, um offene Fragen
               zu klären [98]. Statt von einer eigenen psychologischen Therapieform zu sprechen, sollte man Informationsangebote
               im Internet als niederschwelliges therapeutisches Angebot verstehen, welches psychoedukative
               Elemente mit anwendungsbasierten, verhaltenstherapeutischen Komponenten vereint [78]. Internetseiten sollten immer evidenzbasiert sein. Nicht zu unterschätzen ist zudem
               der Einfluss dieser auf therapeutisch relevante Patientenvariablen wie Selbstwirksamkeitserwartung,
               Ursachenattribuierung und Optimismus [55].
            
            Die Ausweitung der psychologischen Kopfschmerztherapie und Therapiebegleitung auf
               weitere digitale Technologien findet konkrete Anwendung. So beschäftigt sich eine
               Forschungsgruppe mit einer Sensortechnologie, welche zur Vorhersage von Migräneattacken
               entwickelt wurde [99]. Auch ist der Einsatz virtueller Realitäten in der Behandlung von Schmerzen und
               Kopfschmerzen möglich, mit Potenzial in der Zukunft [100]–[102]. Es bleibt festzuhalten, dass mit eHealth und mHealth vielversprechende Möglichkeiten
               bei der verhaltenstherapeutischen Behandlung von Migräne und Kopfschmerzen zur Verfügung
               stehen. Die Durchführbarkeit und Akzeptanz dieser Verfahren erscheinen ausreichend
               gegeben. Weitere Studie müssen jedoch durchgeführt werden, um verlässliche Wirksamkeitsnachweise
               zu erbringen. Besonders im Bereich der Smartphone-Apps gilt es die Lücke zwischen
               kommerziell verfügbaren und wissenschaftlich entwickelten und validierten Apps zu
               schließen [71]. Wesentliche Aspekte bei der Konzipierung sollten hierbei angemessene Benutzerfreundlichkeit,
               die Wahrung des Datenschutzes, ein auf die spezielle Benutzergruppe ausgerichtetes,
               funktionelles Design und die enge Zusammenarbeit mit ärztlichen, psychologischen und
               technischen Experten sein [71], [91], [92].
            
               
               
                  
                     Die wissenschaftlichen psychologischen Behandlungsmethoden bei Kopfschmerz sind eng
                        mit der Entwicklung der Psychotherapie verbunden und haben ursprünglich vor allem
                        unspezifische Wirkfaktoren genutzt. Mit der Entwicklung einer Schmerzpsychotherapie
                        und der damit verbundenen Herausbildung spezifischer Methoden konnten allgemeine Verfahren
                        durch spezifische(re) ersetzt bzw. ergänzt werden. So können beim Bio-/Neurofeedback
                        neben der allgemeinen Entspannungswirkung auch kopfschmerzspezifische Parameter (z.
                        B. Gefäßweite, CNV) verwendet werden. Auch die Etablierung kopfschmerzspezifischer
                        KVT-Programme (z. B. Triggermanagement) leistete hier einen Beitrag. Zukunftsperspektiven
                        sind weitere Ausdifferenzierungen sowie eine maßgeschneiderte Psychotherapie, bei
                        der jeder Patient ein individuelles Therapieprogramm erhält, idealerweise in interdisziplinärer
                        Zusammenarbeit. Eine Einheitstherapie für alle Patienten ist nicht zielführend. Aktuelletechnologische
                        Entwicklungen werden vermutlich die Therapie in Zukunft verändern, wobei die Studienlage
                        zurzeit kaum eindeutige Schlussfolgerungen zulässt und noch einige Herausforderungen
                        (z. B. Qualitätssicherung, Adhärenz) gemeistert werden müssen. Neuere Arbeiten zur
                        Evidenzlage psychologischer Verfahren in der Kopfschmerzbehandlung können als Grundlage
                        einer Diskussion zur Optimierung von Wirkungsforschung angesehen werden. Zukünftige
                        Studien sollten relevante uni- und multimodale Wirkfaktoren berücksichtigen.
                   
                
             
            Wissenschaftlich verantwortlicher Autor
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            Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbedingungen für diesen Beitrag
               ist Dr. med. Torsten Kraya, Leipzig.