Wir berichten über den fatalen Verlauf einer Pertussis-Infektion eines ehemaligen
Frühgeborenen.
Anamnese
Der Junge wurde mit einem Gestationsalter von 32 5/7 SSW per sekundärer Sectio aufgrund
einer schweren Präeklampsie der Mutter, einer 36-jährigen Erstgravida, geboren. Eine
unvollständige Lungenreifeinduktion mit Betamethason war durchgeführt worden. Nach
Sectio in Intubationsnarkose zeigte das Kind eine verzögerte Adaptation, konnte jedoch
mittels nicht-invasiver Beatmung stabilisiert werden. Die Geburtsmaße lagen im Normbereich.
Im Alter von 20 Lebensstunden wurden bei Atemnotsyndrom eine Intubation und Surfactant-Gabe
erforderlich. Bereits am Folgetag konnte das Kind extubiert werden und war ab dem
sechsten Lebenstag ohne Atemunterstützung stabil. Nach einem insgesamt komplikationsarmen
Verlauf konnte der Junge mit 36 1/7 SSW nach Hause entlassen werden.
Sechs Tage später erfolgte die stationäre Wiederaufnahme zur Rektumbiopsie bei Stuhlentleerungsstörung.
Nebenbefundlich zeigte sich eine Atemwegsinfektion ohne Fieber. Die Mutter war aufgrund
von Husten seit einigen Wochen bereits mehrfach in einer Notaufnahme vorstellig geworden;
laborchemische Untersuchungen und eine Röntgen-Thorax-Aufnahme der Mutter waren unauffällig
gewesen.
Klinischer Befund
Der Junge präsentierte sich initial mit einer Atemwegsinfektion und benötigte aufgrund
einer Hypoxämie eine Sauerstoffvorlage. Apnoen oder Hustenfälle wurden nicht beobachtet
und der durchgeführte RSV-Schnelltest war negativ, sodass der Verdacht auf eine RSV-negative
Bronchiolitis bestand. Am fünften Tag nach Wiederaufnahme kam es zu einer plötzlichen
klinischen Verschlechterung mit Tachypnoe (95/min) und subkostalen Einziehungen, die
eine Verlegung auf die Intensivstation (PICU) erforderlich machte.
Diagnostik
Bei PICU-Aufnahme zeigte sich die vorbestehende Leukozytose von 29 G/l progredient
auf 59 G/l (37% Lymphozyten) bei normwertigem CrP. Ein erneut durchgeführter RSV-Schnelltest
war negativ; ausführliche weitere virologische und mikrobiologische Diagnostik inklusive
Multiplex-PCR und Pertussis-Serologie wurde in die Wege geleitet. In der initialen
Röntgen-Thorax-Aufnahme zeigte sich das Bild einer zentralen Pneumonie.
Therapie und Verlauf
Auf der PICU wurde eine antibiotische Therapie mit Ampicillin (150 mg/kg/d in 3 ED)
und Clarithromycin (30 mg/kg/d in 2 ED) begonnen. Die Leukozytose war progredient
bis maximal 90 G/l. Die Tachydyspnoe besserte sich unter CPAP-Therapie nicht, sodass
noch am Tag der PICU-Aufnahme eine Intubation notwendig wurde. Unter HFO-Beatmung
mit hohen Beatmungsparametern kam es zunächst zu einer Stabilisierung, im Verlauf
des nächsten Tages jedoch zu einer zügigen globalen respiratorischen Verschlechterung,
die eine weitere Intensivierung der Beatmung notwendig machte (MAD bis 24 cmH2O, Amplitude
bis 60, Frequenz 9 Hz, FiO2 bis 1,0). Bei Zeichen einer pulmonalen Hypertonie mit
zunehmender Rechtsherzbelastung erhielt das Kind NO inhalativ und Prostaglandine intravenös.
Zudem wurde 2-mal Surfactant verabreicht, was jeweils kurzzeitig zu einer verbesserten
Oxygenierung führte. Bei weiterer respiratorischer Verschlechterung mit einem Oxygenierungsindex
von 30 und zunehmender hämodynamischer Instabilität mit therapierefraktärer arterieller
Hypotonie (Suprarenin 0,6 μg/kg/min, Noradrenalin 0,6 μcg/kg/min, Vasopressin 0,02 IE/kg/h,
Hydrocortison-Einmalgabe, Transfusion eines Erythrozytenkonzentrats) erfolgte die
notfallmäßige Verlegung in ein ECMO-Zentrum. Bei Ankunft wurde bei rasch progredienter
Rechtsherzdekompensation unmittelbar eine VA-ECMO-Implantation durchgeführt. Oxygenierung
und Ventilation waren problemlos möglich, jedoch gelang es aufgrund eines ausgeprägten
Kapillarlecks nicht, eine stabile Kreislaufsituation zu etablieren. Das Kind verstarb
am Folgetag an einem therapierefraktären Kreislaufversagen. Post mortem wurde der
Befund der positiven Pertussis-PCR bei der Mutter – deren Symptome erst retrospektiv
in vollem Umfang bekannt wurden – übermittelt. Auch im Trachealsekret des Kindes,
im Labor eingegangen am Tag der Verlegung, war Pertussis-DNA nachweisbar.
Diskussion
Pertussis, eine durch das obligat humanpathogene Bakterium Bordetella pertussis ausgelöste Infektionskrankheit, ist weiterhin eine der am schlechtesten kontrollierten
impfpräventablen Erkrankungen weltweit. Gründe sind unter anderem die schlechte Immunogenität
des heute verwendeten azellulären Impfstoffes (aP), eine fehlende lebenslange Immunität
auch nach Infektion oder Ganzkeim-Impfung, eine Inkubationszeit von bis zu drei Wochen,
die hohe Kontagiosität sowie das Vorkommen von Trägertum und symptomarmen Infektionen.
Der Impfschutz nach aP-Impfung nimmt ab dem vierten Jahr deutlich ab und ist sieben
Jahre nach erfolgter Impfung kaum oder nicht mehr nachweisbar [Knuf M. Krankenhhyg
up2date 2019; 14: 27–45]. 2014 bis 2018 gab es in Deutschland jährlich im Median 15,7
Fälle/100 000 Einwohner. Die Inzidenz ist stark altersabhängig und in der Gruppe der
unter Einjährigen am höchsten (51,6 Fälle/100 000 Einwohner). 2016 wurden drei, 2014
bis 2018 zwei Todesfälle bei Säuglingen in Deutschland an das RKI gemeldet.
Bei Neugeborenen und Säuglingen verläuft die Infektion meist atypisch und häufig schwer.
18% der Säuglinge mit Pertussis-Infektion müssen intensivmedizinisch behandelt werden.
Klinisch führend sind die Komplikationen, Apnoen, die bei 61% aller hospitalisierten
Säuglinge auftreten, Pneumonie (23%) und Krampfanfälle (1%) [DGPI, D. G. f. P. I.,
2018; 7. vollständig überarbeitete Auflage: 880]. Vorherrschender Laborwert ist eine
Leukozytose durch Lymphozytose. Die Mortalität bei intensivpflichtiger Pertussis-Infektion
im Kindesalter beträgt 9,4%; das relative Risiko für ein Versterben bei Leukozytose>50
G/l wird mit 9,8 angegeben [Namachivayam P et al., Pediatr Crit Care Med 2007; 8:
207–211] [Berger JT et al., Pediatr Crit Care Med 2013; 14: 356–365]. Verursacht wird
die Leukozytose durch das Pertussis-Toxin (PT), welches neben einer Inhibierung der
Lymphozyten-Diapedese zu einer Inhibierung von G-Proteinen in Lunge und Herz führen
kann. Unter Umständen ist dies die eigentliche Ursache für das respiratorische und
kardiale Versagen, während die Leukozytose ein Marker für die PT-Aktivität ist [Winter
K et al., Clin Infect Dis 2015; 61: 1099–1106]. Leukozytose sowie Hypoxämie durch
Pneumonie und Apnoen begünstigen eine unter Umständen irreversible pulmonale Hypertonie
(PHT), die bei der Mehrzahl der Pertussis-Todesfälle im Kindesalter auftritt.
Erkrankungsschwere und Progression der Erkrankung sind von transplazentar übertragenen
mütterlichen oder Impfantikörpern des Säuglings, Bakterienlast, Koinfektionen, Gestationsalter
sowie genetischen Faktoren des Pathogens und des Patienten abhängig. Bei Neugeborenen
kann das erhöhte Vorkommen CD 71-positiver Zellen zu einer verringerten Phagozytose
und Zytokinbildung führen. Aus Tierstudien ist zudem bekannt, dass ein Mangel an antimikrobiellen
Peptiden mitverursachend für die besondere Schwere des Verlaufs einer Pertussis-Infektion
bei Ferkeln sein kann. Dies könnte, auf den Menschen übertragen, eine Erklärung für
die fulminant verlaufenden Pertussis-Septitiden im Neugeborenen- und Säuglingsalter
sein. Prognostische Hinweise für einen schweren Verlauf und damit Indikatoren für
eine PICU-Verlegung sind eine fulminante Pneumonie, Tachypnoe, Tachykardie, Leukozytose
oder ein schneller Anstieg der Leukozyten [Murray EL et al., J Pediatric Infect Dis
Soc 2013; 2: 1–6].
Bei jedem Verdacht auf eine Pertussis-Infektion im Neugeborenen- oder Säuglingsalter
sollten frühzeitig Makrolide (bei Neugeborenen Azithromycin, bei Säuglingen Azithromycin,
Erythromycin oder Clarithromycin) zum Einsatz kommen, da sie im späteren Stadium der
Erkrankung keinen entscheidenden Einfluss mehr auf den Krankheitsverlauf haben. Eine
Blutaustauschtransfusion kann bei jungen Säuglingen die Leukozytose sowie das zirkulierende
PT reduzieren [1]. Die Mortalität einer ECMO-Therapie bei Pertussis-Infektion ist hoch (>70%) und
deutlich höher, als bei RSV-Infektion (20%) [Domico M et al., Pediatr Crit Care Med
2018; 19: 254–261]. Vermutlich sind die verlängerte Passagezeit der Leukozyten im
pulmonalen Gefäßbett und ihre hohe Anzahl Ursache der beobachteten Therapieresistenz
auf die üblichen Therapieoptionen (NO, ECMO) einer PHT.
Eine Pertussis-Impfung in der Schwangerschaft wird seit 2012 in den USA und in Großbritannien
empfohlen. Mechanismen sind der passive Antikörper-Transfer über Plazenta und Muttermilch
sowie die reduzierte Exposition der Mütter. Die Impfung gilt als sicher und hat eine
hohe Wirksamkeit, einerseits, Pertussis-Infektionen zu verhindern und andererseits,
bei eingetretener Infektion, deren Verlauf abzuschwächen. Die Impfung in graviditate
gilt derzeit als effektivste Maßnahme zur Verhinderung schwerer Pertussis-Infektionen
im Säuglingsalter [Gkentzi D et al., Arch Dis Child Fetal Neonatal Ed 2017; 102: F456–F463].
In den USA wird sie zwischen der 27. und 36., in Großbritannien zwischen der 16. und
32. SSW empfohlen; bester Impfzeitpunkt scheint die 30. SSW zu sein. [Healy CM et
al., JAMA 2018; 320: 1464–1470]. Während die Entscheidung der STIKO aussteht, befürwortet
die Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen der Deutschen Akademie für
Kinder- und Jugendmedizin e.V. die Einführung einer Empfehlung zur Pertussis-Impfung
für schwangere Frauen ab dem zweiten Trimenon. Die Mutter des an einer Pertussis-Sepsis
verstorbenen ehemaligen Frühgeborenen aus dem Fallbericht war nicht gegen Pertussis
geimpft.
Die zeitgerechte Impfung aller Säuglinge sowie die Überprüfung des Impfstatus von
Familienmitgliedern und engen Kontaktpersonen aller Neugeborenen sind weitere unerlässliche
Maßnahmen zur Vermeidung schwerer Pertussis-Infektionen im Neugeborenen- und Säuglingsalter.
Eine teilweise Impfpflicht kann die Impfbereitschaft für weitere, freiwillige Impfungen
reduzieren [Betsch C et al., Eur J Public Health 2016; 26: 378–381]. Demnach könnte
die Einführung einer isolierten Masern-Impfpflicht die Impfbereitschaft gegen Pertussis
senken und so die bereits jetzt schon niedrige Herdenimmunität gegen Pertussis weiter
verringern.
Fazit Bei einer fulminant verlaufenden respiratorischen Erkrankung eines Neugeborenen
oder Säuglings ist die schwere Infektion mit Bordetella pertussis eine wichtige Differenzialdiagnose. Eine sofortige Makrolidtherapie und eventuell
eine Austauschtransfusion bieten die einzigen therapeutischen Optionen. Die Impfung,
auch in der Schwangerschaft, bietet eine effektive Prophylaxe. Die Impfung in der
Schwangerschaft stellt derzeit die effektivste Maßnahme zur Verhinderung schwerer
Pertussis-Infektionen im Neugeborenen- und Säuglingsalter dar. Die Einführung einer
Impfempfehlung könnte somit einen Anstieg der Fallzahlen und Todesfälle verhindern.
Stellungsnahme zur Autorenschaft
Eine Überarbeitung des Manuskripts erfolgte durch A. Flemmer, M. Klemme, A. Jakob,
S. Ulrich und A. Hohnecker. Durch S. Herber-Jonat wurde ich auf die Thematik „Pertussis
im Neugeborenen- und Säuglingsalter“ und den Fall des ehemaligen Frühgeborenen aufmerksam
gemacht. Sie überarbeitete zudem Inhalte, die sich im Diskussionsteil finden. A. Hohnecker
stellte wichtige Informationen zum klinischen Verlauf des Kindes vor Verlegung in
das ECMO-Zentrum zur Verfügung.