Einleitung
In der Therapie des Melanoms sowie vieler weiterer Neoplasien führte die Zulassung
von Checkpoint-Inhibitoren wie den anti-programmed death 1 (anti-PD1)-Antikörpern
Pembrolizumab und Nivolumab zu einem Paradigmenwechsel [1]
[2]. Weitere Checkpoint-Inhibitoren sind anti-PD-ligand (anti-PD-L1)-Antikörper wie
z. B. Avelumab, das zur Behandlung des fortgeschrittenen Merkelzellkarzinoms zugelassen
ist [3], oder der anti-cytotoxic T-lymphocyte antigen-4 (anti-CTLA-4)-Antikörper Ipilimumab,
der als erster Checkpoint-Inhibitor zur Behandlung metastasierter Melanome zugelassen
wurde [4]. Stetig kommen neue Substanzen hinzu, in Deutschland wurde kürzlich der anti-PD1-Antikörper
Cemiplimab zur Behandlung nicht-operabler oder metastasierter Plattenepithelkarzinome
der Haut zugelassen [5]. Pembrolizumab und Nivolumab sind monoklonale, humane IgG4-Antikörper, die das Immuncheckpoint-Molekül
PD-1 angreifen und somit zur Aktivierung zytotoxischer T-Zellen führen. Diese Aktivierung
läuft nicht nur im Mikroenvironment des Tumors ab, sondern zum Teil auch in den Organen
und führt somit zu immunvermittelten Therapienebenwirkungen [6]. Autoimmunvermittelte Nebenwirkungen können sich in jedem Organsystem manifestieren
und treten bei mehr als 75 % aller behandelten Patienten auf [6]. Am häufigsten finden sich Nebenwirkungen an der Haut, autoimmunvermittelte Kolitiden
und Hepatitiden sowie Endokrinopathien wie eine Thyreoiditis oder Hypophysitis [6]. Die meisten autoimmunvermittelten Nebenwirkungen können, sofern sie rechtzeitig
erkannt werden, gut behandelt werden und sind in der Mehrzahl der Fälle reversibel
[7]
[8]
[9]. Endokrinopathien wie eine Thyreoiditis, eine Hypophysitis oder eine Adrenalitis
führen jedoch oft zu einer entzündungsbedingten Zerstörung der betroffenen Organe
mit Notwendigkeit einer lebenslangen Hormonsubstitution [7]. Irreversible Nebenwirkungen sind oft schwerwiegender, so kann es z. B. durch eine
autoimmun bedingte Pankreatitis zur Entwicklung eines insulinpflichtigen Diabetes
mellitus kommen oder infolge einer autoimmunvermittelten Nephritis zu einer dialysepflichtigen
Niereninsuffizienz [7]. Potenziell lebensbedrohliche Nebenwirkungen umfassen neuromuskuläre Nebenwirkungen
wie Myositiden und Myokarditiden sowie Lähmungen und Enzephalopathien [10]
[11]
[12]
[13]. Autoimmunvermittelte Nebenwirkungen im Blut wie beispielsweise Neutropenien oder
Thrombopenien sind selten und werden oft nicht gleich als therapiebedingte Nebenwirkungen
interpretiert und erkannt [14]
[15]. Gleiches gilt für autoimmunhämylotische Anämien (AIHA) [16]. Die Food and Drug Administration (FDA) fand in ihrer Datenbank 68 Fälle von Patienten
mit AIHA, die auf die Gabe von Checkpoint-Inhibitoren entstanden sind [16]. 43 traten nach der Gabe von Nivolumab auf, 13 auf Pembrolizumab, 7 auf Ipilimumab
und 5 auf Atezolizumab [16]. In allen Fällen war der Schweregrad ausgeprägt, in 2 Fällen verlief die AIHA trotz
Therapie tödlich [16].
Kasuistik
Anamnese
Bei einer 66 Jahre alten Patientin wurde ein Melanom am linken Unterschenkel exzidiert
(Typ NMM, Tumordicke 3 mm), Sentinelnodebiopsie inguinal positiv, darauffolgende Lymphknotendissektion
ohne Metastasennachweis. Sechs Monate später traten inguinale Lymphknotenfiliae sowie
mehrere kutane Metastasen am linken Bein auf. Es erfolgte eine Resektion mit anschließender
adjuvanter Radiatio (inguinal und Knie links, GRD 45 Gy). Bereits einige Wochen später
zeigten sich am linken Bein erneut mehrere kutane Filiae sowie Lymphknotenfiliae inguinal
und iliakal links.
Dermatologischer Befund
Im Bereich des gesamten linken Beines zeigte sich eine disseminierte kutane und subkutane
Metastasierung mit multiplen amelanotischen Noduli. Durch die Voroperationen, die
Metastasierung in der Leiste und die Radiatio bedingt lag eine deutliche Umfangsvermehrung
des betroffenen Beines durch ein Lymphödem vor ([Abb. 1]). In der linken Leiste zeigen sich sonografisch nachweisbare Lymphknotenmetastasen
([Abb. 2]).
Abb. 1 Disseminierte kutane und subkutane amelanotische Metastasen im Bereich des linken
Beines (a im Bereich der Primärtumorregion, b im Bereich des gesamten Beines, blaue Pfeile zeigen exemplarisch die größten Metastasen),
das postoperativ und nach Radiatio sowie aufgrund der Metastasierung in die inguinalen
und iliakalen Lymphknoten deutlich umfangsvermehrt ist (b).
Abb. 2 Sonografisch nachweisbare Lymphknotenmetastasen in der linken Leiste, die sich als
echoarme, runde Raumforderungen mit randständiger Perfusion darstellen.
Therapie und Verlauf
Aufgrund des mittlerweile ausgebildeten massiven Lymphödems wurde bei nicht-operabler,
lokoregionärer Metastasierung eine Therapie mit Pembrolizumab (2 mg/kg KG, q3w) begonnen.
Nach der 12. Gabe bildete sich eine normochrome, normozytäre Anämie mit transfusionsbedürftigem
Hämoglobin (Hb)-Abfall bis auf 8,4 mg/dl aus. Gastro- und koloskopisch konnte keine
Blutungsquelle nachgewiesen werden, mittels Knochenmarksbiopsie wurde eine Infiltration
des Knochenmarks durch Melanomzellen sowie eine Pure Red Cell Aplasia ausgeschlossen.
Bei erhöhter LDH, erniedrigten Werten für Haptoglobin und Retikulozyten sowie positivem
direkten Coombs-Test für c3d wurde bei autoimmunhämolytischer Anämie mit Beteiligung
aller Vorstufen der roten Reihe eine Therapie mit Methylprednisolon (initial 1 mg/kg
KG/Tag) begonnen. Bei jedem Versuch, die Therapie mit Pembrolizumab nach Stabilisierung
des Hb-Wertes fortzuführen, zeigte sich ein erneuter transfusionsbedürftiger Abfall
auf Hb-Werte bis 6 mg/dl ([Abb. 3]). Die Therapie mit Pembrolizumab wurde nach 15 Zyklen bei eingetretener kompletter
Remission (CR) beendet; seitdem und bis heute zeigen sich in Laborkontrollen normwertige
Hb-Werte. Da sich nach einigen Monaten erneut ein Progress ausbildete, wurde bei negativem
BRAF-Mutationsstatus eine Therapie mit Nivolumab (480 mg Fixdosis, q4w) begonnen,
hierunter kam es bislang nach 5 Zyklen dieser Therapie nicht zur erneuten Ausbildung
einer autoimmunhämolytischen Anämie.
Abb. 3 Verlauf der Hämoglobin- und LDH-Werte. Graue Pfeile kennzeichnen Pembrolizumab-Gaben,
orangene Sterne die Gabe von Erythrozytenkonzentraten, der rote Pfeil kennzeichnet
den Beginn der Prednisolontherapie.
Diskussion
Die AIHA ist ein seltenes Krankheitsbild, dem die Bildung von Autoantikörpern vom
Typ IgG oder IgM gegen Oberflächenantigene auf Erythrozyten zugrunde liegt [17]. 50 % aller AIHA sind idiopathisch, andere Auslöser können Krebserkrankungen, insbesondere
Lymphome, autoimmune Erkrankungen wie z. B. Lupus erythematodes, Infektionen durch
z. B. Mykoplasmen oder Epstein-Barr-Viren und Medikamente sein [17]. Man unterscheidet eine durch Wärmeantikörper verursachte Form (Hämolyse ab 37 °C)
von einer durch Kälteantikörper verursachten Form [17].
Bei der Medikamenten-induzierten Form unterscheidet man die sog. Medikamenten-unabhängige
AIHA, bei der es zur Produktion von Autoantikörpern gegen Rhesus-Antigene kommt, sowie
die Medikamenten-abhängige Form, bei der das Medikament selbst (z. B. Cephalosporine)
an die Erythrozyten-Membran bindet und dadurch eine Antikörperbildung gegenüber Bestandteilen
der Erythrozytenoberfläche hervorruft [17].
Es ist nicht gänzlich geklärt, über welchen Mechanismus die PD-1-induzierten AIHA
ablaufen. Es wird vermutet, dass neben den aktivierten T-Zellen auch B-Zellen autoimmun
aktiv werden, indem sie Auto-Antikörper bilden, welche an Oberflächenantigene der
Erythrozyten binden, was schließlich über die Aktivierung des Komplementsystems sowie
von Makrophagen und T-Zellen und daraus resultierender Zytokinfreisetzung in einer
Zellzerstörung mündet [16]. Auch eine verminderte Aktivität von regulatorischen T-Zellen unter immunonkologischer
Therapie scheint eine Rolle zu spielen [16].
Das Auftreten einer AIHA unter Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren ist sehr selten.
In einer kürzlich publizierten Datenbankauswertung der FDA wurde eine AIHA bei 0,055 %
der mit Ipilimumab behandelten Patienten gefunden sowie bei 0,211 % der Patienten
unter Therapie mit Nivolumab und bei 0,146 % der Patienten, die Pembrolizumab erhalten
hatten [16]. Die Patienten hatten diese Wirkstoffe wegen unterschiedlicher Tumorerkrankungen
erhalten (malignes Melanom, Bronchialkarzinom, Nierenzellkarzinom, Ovarialkarzinom
und andere). Möglicherweise ist der Prozentsatz der Patienten, die unter Therapie
mit Checkpoint-Inhibitoren eine AIHA entwickeln, aber etwas höher, da mit hoher Wahrscheinlichkeit
nicht hinter jeder Anämie, die bei einem Tumorpatienten unter Systemtherapie auftritt,
ein autoimmuner Pathomechanismus vermutet und nachgewiesen wird. Bei den bislang dokumentierten
Fällen zeigte sich keine Geschlechterbevorzugung, das mediane Alter der betroffenen
Patienten betrug zwischen 62 und 68 Jahren, was sich mit dem Alter der hier vorgestellten
Patientin deckt [16]. Eine durch Checkpoint-Inhibitoren ausgelöste AIHA entwickelt sich im Median nach
10 Wochen (range 2 – 78 Wochen), was bedeutet, dass regelmäßige Laborkontrollen unter
und auch nach Beendigung einer Therapie mit diesen Wirkstoffen notwendig sind, da
es möglich ist, dass sich autoimmunvermittelte Nebenwirkungen auch noch nach Beendigung
der Therapie ausbilden [16].
Tritt bei einem Melanompatienten unter Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren eine Anämie
auf, so muss immer primär eine akute oder chronische Blutungsquelle, z. B. im Gastrointestinaltrakt
ausgeschlossen werden. Liegt kein Blutungsgeschehen vor, müssen weitere Untersuchungen
angeschlossen werden. Zeigt sich in vitro eine Erythrozytenagglutination nach Mischung
einer Blutprobe mit Antikörpern gegen Immunglobuline und/oder gegen Komplementfaktoren,
so spricht man von einem positiven Coombs-Test, der in der Diagnostik wegweisend ist.
Hierbei muss jedoch bedacht werden, dass ein positiver Coombs-Test ohne klinische
Bedeutung auch alleinig durch die Gabe der monoklonalen Therapieantikörper auftreten
kann und daher in der Diagnostik einer Immuncheckpoint-Blockade-induzierten AIHA keine
absolute Aussagekraft besitzt. Diagnostisch wegweisend sind laborchemische Hämolysezeichen
([Tab. 1]). Uncharakteristischerweise zeigte unsere Patientin eine Retikulozytopenie, weshalb
anfangs eine Pure Red Cell Aplasia vermutet wurde. Zur Differenzierung zwischen einer
AIHA und einer Pure Red Cell Aplasia ist eine Knochenmarksbiopsie notwendig, wie sie
auch bei unserer Patientin durchgeführt wurde. Während man bei einer AIHA ein normales
bis hyperreaktives Zellbild erwartet, zeigt sich bei der Pure Red Cell Aplasia eine
Aplasie der Erythrozyten-bildenden Reihe.
Tab. 1
Unterschiede zwischen Autoimmunhämolytischer Anämie (AIHA) und Red Cell Aplasia.
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AIHA
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Red Cell Aplasia
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Formen/Genese
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Idiopathisch
Infektionen (z. B. EBV, Mykoplasmen)
Malignome/Lymphome
Medikamente
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Angeboren
Erworben:
Thymom-assoziiert
Parvovirus-B19-Infektion
Malignome
Medikamente
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Diagnostik
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Hämoglobin ↓
Haptoglobin ↓
LDH ↑
Indirektes Bilirubin ↑
Retikulozyten ↑
Positiver Coombs-Test
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Hämoglobin ↓
Retikulozyten ↓
Knochenmarksbiopsie: Aplasie, keine Fibrose oder Infiltration
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Therapie
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Erythrozytenkonzentrate
Steroide
Rituximab
Immunglobuline
Plasmapherese
Immunsuppressive
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Erythrozytenkonzentrate
Immunsuppressiva
Immunglobuline
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Weitere Ursachen einer Anämie bei Melanompatienten können ein Eisen- oder Vitaminmangel,
Ernährungsschwierigkeiten, Nieren- oder Leberinsuffizienz, die (Knochenmarks-)Toxizität
von aktuellen oder vorangegangenen Therapien oder eine Tumoranämie im eigentlichen
Sinne sein, der eine chronische Entzündung durch den Tumor selbst zugrunde liegt [18]. [Tab. 2] zeigt notwendige Laboruntersuchungen auf, die bei Anämie erforderlich sind und die
es erlauben, verschiedene Ursachen der Anämie zu differenzieren.
Tab. 2
Labordiagnostik bei Anämie.
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Wert/Parameter
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Bedeutung
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Kleines Blutbild
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Zur Bestimmung des Ausmaßes der Anämie
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MCH, MCV und MCHC
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Größe und Hb-Gehalt der Erythrozyten können Hinweise auf einen Eisen- oder Vitaminmangel
sein. Chemotherapien haben Einfluss auf diese Parameter.
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GOT, GPT, Kreatinin und Kreatinin-Clearance
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Erhöhte Werte zeigen eine möglicherweise beeinträchtige Leber- oder Nierenfunktion
an. Bei V. a. renale Anämie sollte zusätzlich der Serum-Erythropoetin-Spiegel bestimmt
werden.
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C-reaktives Protein (CRP)
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Erhöhte CRP-Werte sind nicht zwingend Ausdruck einer Infektion. Erhöhte Werte finden
sich bei Tumorpatienten häufig. Wenn der CRP-Wert erhöht ist, wird der Eisenstoffwechsel
beeinträchtigt.
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Ferritin
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Maß für die Menge an Speichereisen. Erhöhte Werte finden sich bei Entzündungen oder
Eisenüberladung. Erniedrigte Werte bei normalem CRP-Wert sprechen für einen absoluten
Eisenmangel.
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Transferrin-Sättigung
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Maß dafür, wieviel Eisen der Erythropoese zur Verfügung steht. Erniedrigte Werte finden
sich bei absolutem und relativem Eisenmangel.
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Löslicher Transferrin-Rezeptor (sTfR)
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Maß für den Eisenbedarf der Hämatopoese. Der Serumspiegel des sTfR korreliert mit
der Anzahl der erythropoetischen Vorläuferzellen im Knochenmark.
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sTfR/log-Ferritin-Index
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Je höher der sTfR und je niedriger der Ferritin-Wert, umso ausgeprägter ist ein relativer
Eisenmangel. Bei relativem Eisenmangel sind die Eisenspeicher (oft übervoll) gefüllt,
eine Eisensubstitution ist nicht angezeigt.
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Retikulozyten-Hb (CHr oder Ret-Y)
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Direktes Maß für die Eisenversorgung der Hämatopoese. Bei erniedrigten Werten liegt
ein Eisenmangel vor.
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Vitamin B12-Spiegel, Folsäurespiegel
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Direkte Messung der Vitamine im Serum
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Methylmalonsäure im Serum
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Bei V. a. Vitamin B12-Mangel kann eine Erhöhung der Methylmalonsäure bei (noch) normalen
Werten für Vitamin B12 auf einen beginnenden Vitamin B-12-Mangel hindeuten.
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Lactatdehydrogenase (LDH)
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Erhöhte Werte finden sich bei Hämolyse. Erhöhte Werte finden sich aber auch bei hoher
Tumorlast und Progress der Erkrankung.
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Haptoglobin
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Erniedrigte Werte sprechen für eine Hämolyse, erhöhte Werte finden sich bei (tumorbedingten)
Entzündungen.
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Die Therapie der AIHA besteht in der Regel aus der Gabe von hochdosierten Glukokortikoiden
und einem Absetzen der auslösenden Therapie. Es gibt auch positive Fallberichte über
die Gabe von Immunglobulinen und Rituximab [16]
[19]
[20]. Inwieweit eine Re-Challenge mit Checkpoint-Inhibitoren bei Patienten möglich ist,
die in der Vergangenheit eine AIHA entwickelten, kann aus den wenigen publizierten
Fällen, in denen dies erfolgreich gelang, nicht sicher abgeleitet werden [20]. Bei fehlenden therapeutischen Alternativen kann aber unter engmaschigem Monitoring
eine Re-Challenge erwogen werden.