Anamnese
Ein aus Saudi-Arabien stammender 57-jähriger Patient stellte sich in Begleitung eines
Dolmetschers erstmals in unserer Diabetesambulanz zur Stoffwechseleinstellung eines
vor 13 Jahren diagnostizierten Diabetes mellitus Typ 2 vor. Eindeutige Hinweise auf
einen Typ-1-Diabetes lagen angesichts fehlender Ketoazidose bei Erstmanifestation
sowie der positiven Familienanamnese für Typ-2-Diabetes nicht vor. Diabetesbedingte
Komplikationen wie Nephropathie, Retinopathie oder Polyneuropathie waren nicht bekannt.
Sowohl Ketoazidosen als auch Hypoglykämien in der Vergangenheit wurden verneint. Unter
oraler glukosesenkender Medikation mit Sitaglipitin (100 mg 1 × täglich) und Glimepirid
(4 mg 1 × täglich) war die Blutglukoseeinstellung nicht zufriedenstellend (HbA1c: 85,79 mmol/mol oder 10 %).
Weitere Vorerkrankungen waren bei dem Patienten nicht bekannt. Drogenkonsum wurde
verneint. Der Patient gab einen gelegentlichen Alkoholkonsum im Allgemeinen und einen
regelmäßigen Alkoholkonsum auf Geschäftsreisen an, ohne genauere Angaben zur Trinkmenge
zu machen. In der Familienanamnese fand sich sowohl bei der Mutter als auch beim Vater
ein Diabetes mellitus Typ 2.
Die körperliche Untersuchung zeigte einen adipösen (Body Mass Index 31,1 kg/m²) Patienten
in einem guten Allgemeinzustand. Ansonsten wurden keine Pathologien erhoben, insbesondere
die Auskultation von Herz und Lunge war unauffällig.
Der Patient wünschte eine Therapie unter Vermeidung der Gabe von Insulin. Aus diesem
Grund wurde eine orale glukosesenkende Therapie mit dem SGLT2-Inhibitor Empagliflozin
(10 mg 1 × täglich) begonnen. Die Therapie wurde ergänzt durch das GLP-1-Analagon
Dulaglutid, das 1 × wöchentlich in einer Dosis von 0,75 mg subkutan nach vorheriger
Schulung des Patienten injiziert werden sollte. Im Rahmen der Schulung wurde der Patient
ausführlich über mögliche Nebenwirkungen der neuen Therapie aufgeklärt. In diesem
Zusammenhang wurde sonografisch eine Cholezystolithiasis ausgeschlossen und eine Pankreatitis
in der Vergangenheit durch den Patienten verneint. Auf eine leitliniengerechte Therapie
mit Metformin wurde angesichts einer anamnestisch berichteten Unverträglichkeit, für
die der Patient aber keine genaueren Angaben machen konnte, zunächst verzichtet. Außerdem
sollte die orale glukosesenkende Therapie mit Glimepirid nicht fortgeführt werden.
11 Tage später stellte sich der Patient in der zentralen Notaufnahme eines anderen
Krankenhauses mit Übelkeit, Erbrechen und diffusen Bauchschmerzen vor. Die Anamnese
war aufgrund der Sprachbarriere erschwert. Der Sohn des Patienten gab aber an, sein
Vater habe in den vergangenen Tagen vermehrt Alkohol konsumiert, ohne genauere Angaben
machen zu können. Fieber als möglicher Hinweis auf einen Infekt bestand nicht und
operative Eingriffe in den letzten Tagen wurden durch den Sohn verneint.
Körperliche Untersuchung
In der zentralen Notaufnahme fiel bei dem Patienten eine Tachypnoe mit einer Atemfrequenz
von 24/min auf. Der Patient befand sich in einem noch respiratorisch und hämodynamisch
stabilen Zustand. Der Blutdruck war mit 150/100 mmHg erhöht, auch bestand ein tachykarder
Sinusrhythmus von 130/min. Die körperliche Untersuchung zeigte einen deliranten und
zunehmend somnolenten Patienten ohne Hinweis auf ein fokales neurologisches Defizit,
aber mit druckschmerzhaftem Epigastrium.
Diagnostik
Die Laborbefunde zeigten eine metabolische Azidose ([Tab. 1]). Der Laktatspiegel war geringgradig erhöht. Sowohl ein akutes Nierenversagen als
auch eine akute Alkoholintoxikation wurden als Ursache ausgeschlossen. Bei einer Plasmaglukosekonzentration
von 269 mg/dl und dem Nachweis von Ketonen im Urin ([Tab. 2]) wurde schließlich die Diagnose einer diabetischen Ketoazidose gestellt.
Tab. 1
Venöse Blutgasuntersuchung.
Parameter
|
Wert
|
Normbereich
|
pH-Wert
|
7,184
|
7,35–7,45
|
pC02 [mmHg]
|
19,2
|
35–45
|
p02 [mmHg]
|
47,4
|
71–104
|
HC03 Standard [mmol/l]
|
10,3
|
22–27
|
HC03 aktuell [mmol/l]
|
7,0
|
22–27
|
BE [mmol/l]
|
–20,4
|
|
Sauerstoffsättigung [%]
|
80,9
|
94–99
|
Glukose [mg/dl]
|
269
|
70–105
|
Laktat [mg/dl]
|
16
|
4,5–14,4
|
BE: Base-Excess.
Tab. 2
Urinstatus.
Parameter
|
Wert
|
Normbereich
|
Spezifisches Gewicht
|
1,020
|
1,016–1,022
|
pH im Urin
|
6,0
|
4,8–7,4
|
Leukozyten
|
negativ
|
negativ
|
Nitrit
|
negativ
|
negativ
|
Protein
|
+++
|
negativ
|
Glukose
|
++++
|
negativ
|
Keton
|
+++++
|
negativ
|
Erythrozyten
|
++++
|
negativ
|
Das Labor ergab außerdem eine Erhöhung des Lipasespiegels im Sinne einer begleitenden
Pankreatitis. Eine biliäre Genese ergab sich bei einem unauffälligen Bilirubin nicht.
Außerdem zeigte eine Sonografie des Abdomens einen schmalen Ductus hepatocholedochus
ohne Hinweis auf Cholestase sowie eine unauffällige Pankreasmorphologie. Der CRP-Wert
war mit 3,5 mg/dl nur leicht erhöht ([Tab. 3]). Eine Röntgenthoraxuntersuchung ergab keinen Hinweis auf das Vorliegen von Infiltraten,
und die weitere sonografische Untersuchung des Abdomens zeigte keinen Infektfokus.
Eine Leukozyturie als möglicher Hinweis auf eine Harnwegsinfektion war nicht nachweisbar
([Tab. 2]).
Tab. 3
Weitere Laboruntersuchungen.
Parameter
|
Wert
|
Normbereich
|
Leukozyten [Tsd/µl]
|
11,83
|
4,0–11,0
|
C-reaktives Protein [mg/dl]
|
3,5
|
0–0,5
|
Kreatinin [mg/dl]
|
1,2
|
0,5–1,3
|
Bilirubin gesamt [mg/dl]
|
0,8
|
0,2–1,1
|
Lipase [U/l]
|
500
|
13–60
|
Ethanol Vol [%]
|
negativ
|
negativ
|
Therapie und Verlauf
Aufgrund der diabetischen Ketoazidose und des zunehmend somnolenten Zustands wurde
der Patient zunächst auf die Intensivstation verlegt. Neben einer einmaligen Hämodialyse
und bilanzierten Flüssigkeitstherapie erfolgte eine intravenöse Insulintherapie über
einen Perfusor entsprechend einem krankenhausinternen Therapiealgorithmus mit etwa
2 I. E. Humaninsulin pro Stunde und einem Blutglukosezielwert von 200–250 mg/dl. Auf
die Gabe eines Antibiotikums wurde angesichts fehlenden Fiebers und Infektfokus verzichtet.
Die Ketoazidose wurde als potenzielle Nebenwirkung des neu angesetzten SGLT2-Inhibitors
Empagliflozin bei gleichzeitigem, durch den Sohn des Patienten berichtetem vermehrten
Alkoholgenusses angesehen. Aus diesem Grund wurde die medikamentöse Therapie mit Empagliflozin
sofort beendet.
Die begleitende Pankreatitis wurde als mögliche Nebenwirkung der GLP-1-Analogon-Therapie
mit Dulaglutid in Verbindung mit dem vermehrten Alkoholgenuss gedeutet. Diese medikamentöse
Therapie wurde daher ebenfalls abgesetzt.
Bereits wenige Stunden nach Beginn der Akuttherapie war die metabolische Azidose wieder
ausgeglichen, sodass eine weitere Hämodialyse nicht mehr notwendig war. Am Folgetag
waren auch im Urin Ketone nicht mehr nachweisbar, sodass die Verlegung auf die Normalstation
ohne weitere Optimierung der glukosesenkenden Therapie erfolgte. Nach 3 Tagen wurde
der Patient schließlich auf seinen Wunsch hin entlassen und stellte sich 7 Tage nach
Entlassung aus dem Krankenhaus wieder in unserer Diabetesambulanz vor.
Angesichts der metabolischen Azidose und begleitenden Pankreatitis wurde die Medikation
mit Empagliflozin und Dulaglutid nicht wieder begonnen. Auf eine Wiederaufnahme der
Therapie mit einem DPP4-Hemmer wurde angesichts der kürzlich aufgetretenen Pankreatitis
ebenfalls bewusst verzichtet. Außerdem sprach sich der Patient erneut gegen eine Insulintherapie
aus. Daher leiteten wir auf Wunsch des Patienten und bei inzwischen normalisiertem
Laktatspiegel eine Therapie mit Metformin ein mit dem Hinweis, dass Metformin allein
nicht zu einer adäquaten Stoffwechseleinstellung führen wird. Bei jedoch nicht sicher
auszuschließender Unverträglichkeit begannen wir mit einem niedrigdosierten Titrationsschema
(initial 500 mg einmal täglich, Steigerung nach 3 Tagen bei guter Verträglichkeit
auf zweimal täglich).
Diskussion
Die SGLT2-Inhibitoren haben sich in der Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 seit
Jahren bewährt und etabliert, vor allem bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen
[1] und diabetischer Nephropathie [2]. In Deutschland sind Dapagliflozin und Empagliflozin zugelassen. Seit Anfang des
Jahres besteht auch für die Therapie des Diabetes mellitus Typ 1 die Zulassung für
Dapagliflozin in einer Dosis von 5 mg 1 × täglich.
Jedoch geht die Anwendung von SGLT2-Inhibitoren mit einer Reihe von Nebenwirkungen
einher [3]. So erhöhen sie etwa, wenn auch selten, das Risiko für eine diabetische Ketoazidose,
eine potenziell lebensbedrohliche akute Komplikation des Diabetes [4]. Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde Food and Drug Administration (FDA) warnte
2015 in einer Drug Safety Communication erstmals vor der Gefahr einer diabetischen
Ketoazidose unter der Einnahme von SGLT2-Inhibitoren [5]. In der Folge durchgeführte Metaanalysen kontrollierter klinischer Studien ergaben
Häufigkeiten von durch SGLT2-Inhibitor induzierten diabetischen Ketoazidosen von weniger
als 0,1 %, ohne dass jedoch ein erhöhtes Risiko gegenüber den Vergleichsgruppen nachzuweisen
war [6]
[7]. Hingegen war in einer Auswertung von Daten US-amerikanischer Krankenversicherten
das Risiko für mit SGLT2-Inhibitor assoziierte diabetische Ketoazidosen nahezu verdoppelt
im Vergleich zu einer Therapie mit DPP4-Inhibitoren [8]. Eine aktuelle Metaanalyse randomisierter kontrollierter Studien zeigte wiederum
kein erhöhtes Risiko für eine diabetische Ketoazidose unter der Einnahme von SGLT2-Inhibitoren
im Vergleich zu Plazebo [9]. Allerdings konnten aufgrund der weiten Konfidenzintervalle, als Ausdruck einer
eingeschränkten Genauigkeit, klinisch wichtige Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen
werden.
Wie können SGLT2-Inhibitoren das Auftreten einer Ketoazidose fördern? Es werden verschiedene
Mechanismen diskutiert. SGLT2-Hemmer führen zum einen zu einer verminderten Rückresorption
von Glukose aus dem Primärharn in den proximalen Nierentubuli und damit zur vermehrten
Glukoseausscheidung über den Harn und zur Senkung des Blutglukosespiegels. Gerade
dieser blutglukosesenkende Effekt hat den Abfall des Insulinspiegels zur Folge aufgrund
einer verminderten Insulinausschüttung aus den Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse.
Gegenregulatorisch wird die Freisetzung von Glukagon aus den Alpha-Zellen der Bauchspeicheldrüse
gesteigert. Sowohl der Anstieg von Glukagon im Blut als auch die vermehrte Lipolyse
und Fettsäureoxidation infolge der verminderten Insulinausschüttung führen schließlich
zur vermehrten Ketogenese in der Leber [10]
[11]. In der Folge kommt es zum Anstieg von Ketonkörpern im Blut und zum Auftreten einer
Ketoazidose ([Abb. 1]). Darüber hinaus wird vermutet, dass Alpha-Zellen im Pankreas SGLT2-Transporter
exprimieren, die als Glukosesensoren dienen [12]. Kommt es zu einer Blockade der Transporter durch SGLT2-Hemmer, wird eine Hypoglykämie
vorgetäuscht und es kommt ebenfalls zu einer vermehrten Ausschüttung von Glukagon.
Infolge der durch SGLT2-Hemmer vermittelten verminderten Natriumrückresorption aus
dem Primärharn in den proximalen Nierentubuli kommt es zum Anstieg des elektrochemischen
Gradienten und so zu einer gesteigerten Rückresorption von Ketonkörpern, insbesondere
Acetoacetat, in der Niere. Daraus resultiert schließlich ein weiterer Anstieg der
Ketonkörper im Blut [10]. Aus diesem Grund kann sich unter einer Therapie mit einem SGLT2-Hemmer eine Ketoazidose
entwickeln, ohne dass Ketonkörper im Urin nachzuweisen sind [13].
Abb. 1 Mechanismen der durch SGLT2-Inhibitor induzierten Ketoazidose.
Typische Diagnosekriterien sind eine hyperglykämische Dekompensation (Blutglukosewert
> 250 mg/dl bzw. > 14 mmol/l), Nachweis einer Ketonurie und eine metabolische Azidose
(pH-Wert < 7,3, Serumbikarbonat ≤ 15 mmol/l und Anionengap > 12 mmol/l [11]. Diese Laborkonstellation zeigte sich auch bei unserem Patienten. Darüber hinaus
gab es auch Fälle mit Ketoazidosen ohne klinisch relevante hyperglykämische Dekompensation.
In diesen Fällen liegt eine euglykämische Ketoazidose vor [13]
[14]. Eine durch SGLT2-Hemmer induzierte euglykämische diabetische Ketoazidose scheint
durch Dehydratation und Insulinmangel getriggert zu werden [15]. Durch das zusätzliche Fehlen von Ketonkörpern im Urin kann so die Diagnose einer
diabetischen Ketoazidose erschwert werden. Dies kann zu einer verzögerten Diagnosestellung
und schließlich zu lebensbedrohlichen Komplikationen wie etwa Volumenmangelschock
und Koma bis hin zum Tod des Patienten führen.
Aus diesem Grund ist es umso wichtiger, alle Patienten, die mit einem SGLT2-Inhibitor
behandelt werden, auf die Symptome einer diabetischen Ketoazidose hinzuweisen (Box
1), über die auch unser Patient zum Teil klagte. Beim Auftreten dieser Symptome sollte
unabhängig vom Blutglukosespiegel eine Ketoazidose in Betracht gezogen und die Behandlung
mit einem SGLT2-Inhibitor unverzüglich beendet werden.
Symptome der diabetischen Ketoazidose
-
Polyurie, Polydipsie
-
Übelkeit, Erbrechen
-
Diffuse Bauchscherzen
-
Müdigkeit/Erschöpfung
-
Verwirrtheit/Delir
-
Kussmaul-Atmung
-
Azetongeruch
Auch gibt es Faktoren, die das Auftreten einer Ketoazidose unter einer Therapie mit
einem SGLT2-Hemmer begünstigen (Box 2), über die der Patient aufgeklärt werden muss.
Vor Beginn einer Behandlung sind diese Faktoren in der Anamnese des Patienten zu eruieren.
Unter diesen Umständen sollte die Einleitung der Therapie mit einem SGLT2-Hemmer genau
abgewogen oder eine bereits bestehende Therapie pausiert werden. In unserem Fall hat
möglicherweise der vom Sohn berichtete vermehrte Alkoholgenuss das Auftreten der Ketoazidose
unter Empagliflozin begünstigt.
Begünstigende Faktoren einer diabetischen Ketoazidose
-
Akute Infektionen
-
Fasten/kohlenhydratarme Diät
-
Reduktion der Insulindosis
-
Alkohol- und Drogenkonsum
-
Operationen
-
Körperliche Betätigung
-
Dehydratation
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass SGLT2-Inhibitoren bei Patienten mit erhöhtem
Risiko für das Auftreten einer diabetischen Ketoazidose mit Vorsicht oder gar nicht
angewendet werden sollten. Dazu gehören Patienten mit Typ-1-Diabetes, Patienten mit
einem insulinbehandelten Typ-2-Diabetes oder Patienten mit Diabetes infolge einer
Erkrankung der exokrinen Pankreasfunktion.