Geburtshilfe Frauenheilkd 2019; 79(12): 1256-1258
DOI: 10.1055/a-1013-1766
DGGG
Mitteilungen aus der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. (DGGG)
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Berlin, 20.01.2019 – 257b Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. (DGGG) zu biomarkerbasierten Tests zur Entscheidung für oder gegen eine adjuvante systemische Chemotherapie beim primären Mammakarzinom

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Publication Date:
11 December 2019 (online)

Im Namen der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie e. V. (AGO) in der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. (DGGG) geben wir zum Beschlussentwurf (Stand 19.12.2018) des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) über eine Änderung der Richtlinie „Methoden vertragsärztlicher Versorgung: Biomarkerbasierte Tests zur Entscheidung für oder gegen eine adjuvante systemische Chemotherapie beim primären Mammakarzinom“ nach kritischer Diskussion folgende Stellungnahme ab: Es ist unstrittig, dass Patientinnen mit einem Mammakarzinom insgesamt von einer adjuvanten medikamentösen Tumortherapie profitieren [1]. Eine Chemotherapie kann über die akuten Toxizitäten (z. B. Nausea, Emesis, Alopezie) hinaus auch eine nicht unbeträchtliche Rate an unerwünschten Nebenwirkungen haben, die potenziell langfristig lebensqualitätseinschränkend (z. B. Amenorrhö, Fatigue, sensorische Polyneuropathie, „Chemobrain“) oder sogar lebensbedrohlich (z. B. Herzinsuffizienz, sekundäre Leukämien) sind [2], [3]. Daher kommt einer möglichst akkuraten Risikoeinschätzung eine entscheidende Rolle zu. Neben den klassischen klinisch-pathologischen Prognosefaktoren spielen Multigentests eine zunehmend wichtige Rolle [4]. Die Risikoeinschätzung ist von großer Bedeutung, da Patientinnen mit einem geringen absoluten Risiko nur einen geringen absoluten Nutzen von einer adjuvanten Chemotherapie haben [1]. Aus diesem Grund ist es entscheidend, dass Multigentests beim Mammakarzinom nach klaren und stringenten Kriterien der Evidenz beurteilt werden. Das höchste Level an Evidenz (LoE I) kann bei prognostischen und prädiktiven Biomarkern auf 2 Wegen erreicht werden: zum einen durch eine prospektive Studie, mit dem Biomarker als primäres Zielkriterium (LoE IA), zum anderen durch eine prospektiv-retrospektive Untersuchung des Biomarkers am Archivgewebe und Bestätigung der Ergebnisse prospektiv-retrospektiv bei einer 2. ähnlichen Studie (LoE IB) [5].

Es ist sehr begrüßenswert, dass sich der G-BA nach ausführlicher Beratung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und Diskussion mit den beteiligten Fachgesellschaften mit dem Thema „Biomarkerbasierte Tests zur Entscheidung für oder gegen eine adjuvante systemische Chemotherapie beim primären Mammakarzinom“ beschäftigt hat.

Zum vorliegenden Beschlussentwurf (Stand 19.12.2018) des Gemeinsamen Bundesausschusses geben wir nach kritischer Auseinandersetzung in [Tab. 1] aufgeführte Stellungnahmen ab.

Tab. 1 Begründete Stellungnahme zu biomarkerbasierten Tests zur Entscheidung für oder gegen eine adjuvante systemische Chemotherapie beim primären Mammakarzinom der Kommission Mamma der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO) e. V. in der DGGG.

Stellungnahme/Änderungsvorschlag

Begründung

Ad § 1

Aus den oben angegebenen Gründen ist es für die Patientinnen von großer Bedeutung, dass die Indikationsstellung zu einer adjuvanten Chemotherapie auf einer möglichst akkuraten Abschätzung des Rückfallrisikos beruht.

Kein Änderungsvorschlag.

Diese Risikoabschätzung lässt sich durch Genexpressionsanalysen verbessern, speziell wenn die Entscheidung für oder gegen eine adjuvante Chemotherapie durch klinisch-pathologische Kriterien alleine nicht eindeutig getroffen werden kann [6], [7].

Ad § 2

Wir sehen es als problematisch, dass der Beschlussentwurf, basierend auf dem vom IQWiG erstellten Addendum D18-01 [8], lediglich einen validierten Test (Oncotype DX®) gelten lässt.

Änderungsvorschlag:

Wir schlagen daher vor, dass analog zur aktuellen S3-Leitlinie methodisch standardisierte und klinisch validierte Multigentests zur Entscheidungsfindung herangezogen werden können, wenn bei ER/PR-positiven, HER2-negativen Mammakarzinomen die konventionellen Prognosefaktoren keine eindeutige Entscheidung für oder gegen eine adjuvante Chemotherapie erlauben.

Mittlerweile liegen umfangreiche Untersuchungen für zahlreiche Biomarker beim Mammakarzinom vor. Von der American Society of Clinical Oncology (ASCO) wurde eine Leitlinie für den Einsatz von Biomarkern für die adjuvante Therapieentscheidung bei Patientinnen mit frühem Mammakarzinom publiziert [9], [10]. Bei der Literatursuche wurden systematische Übersichtsarbeiten, Metaanalysen und randomisierte Studien herangezogen. Zusätzlich zu ER, PR und HER2 wurde eine ausreichende Evidenz für eine Clinical Utility der validierten Multigentests Oncotype DX®, EndoPredict®, MammaPrint® und Prosigna® bei nodal-negativen Patientinnen bestätigt.

Konträr war der Abschlussbericht des IQWiG, der den Beschlussentwürfen des G-BA zugrunde liegt [11]. In diesem Bericht wurden 3 randomisierte und 5 Prognosestudien betrachtet. Von diesen 8 Studien wurde allerdings für den Abschlussbericht keine der Prognosestudien berücksichtigt. Von den 3 randomisierten Studien wurden lediglich 2 berücksichtigt [12], [13]. Im Abschlussbericht wurde das Arbeitsergebnis folgendermaßen eingeordnet: „Im vorliegenden Bericht konnten lediglich Ergebnisse von 2 der 8 eingeschlossenen Studien für den vorliegenden Bericht herangezogen werden. Die Ergebnisse der verbleibenden 6 Studien wurden aufgrund des hohen Anteils nicht berücksichtigter Daten nicht für die Bewertung verwendet. Für die Beantwortung der Fragestellung war die Datenlage auf Basis der 8 eingeschlossenen Studien insgesamt nicht ausreichend.“

Im Gegensatz dazu wurden im Rahmen der aktuellen Empfehlungen der AGO zu Diagnostik und Therapie primärer und metastasierter Mammakarzinome die validierten Multigentests Oncotype DX®, EndoPredict®, MammaPrint® und Prosigna® positiv bewertet, wenn andere Kriterien keine Therapieentscheidung zulassen (AGO-Empfehlungsgrad +) [7].

Auch in der aktuellen interdisziplinären S3-Leitlinie für die Früherkennung, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms [6] interpretieren wir die vorliegende Evidenz zu validierten Multigentests anders als das IQWiG:

„Nur wenn bei Frauen mit einem ER/PR-positiven, HER2-negativen, nodal-negativen Mammakarzinom die konventionellen Prognosefaktoren einschließlich Ki-67 keine eindeutige Entscheidung für oder gegen eine adjuvante Chemotherapie erlauben, kann ein methodisch standardisierter und klinisch validierter Multigentest zur Entscheidungsfindung herangezogen werden.“

In der aktuellen Diagnostics Guidance [DG34] des National Institute for Health and Care Excellence (NICE) wurden die validierten Multigentests Oncotype DX®, EndoPredict® und Prosigna® unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls positiv bewertet [14].

Das IQWiG hat aktuell ([D18-01] Biomarkerbasierte Tests zur Entscheidung für oder gegen eine adjuvante systemische Chemotherapie beim primären Mammakarzinom – Addendum zum Auftrag D14-01) Oncotype DX® anhand der TAILORx-Studie bewertet und kommt zu dem Schluss, dass daraus ein „Anhaltspunkt für den Nutzen einer biomarkerbasierten Strategie zur Entscheidung für oder gegen eine adjuvante systemischen Chemotherapie abgeleitet werden kann“ [8].

Auch wenn in der TAILORx-Studie der Proliferationsmarker Ki-67, anders als in Deutschland üblich und explizit in der S3-Leitlinie empfohlen, nicht berücksichtigt wurde, und viele Patientinnen in der Studie randomisiert wurden, die ein niedriges klinisch-pathologisches Risikoprofil hatten, wird diese Schlussfolgerung des IQWiG von uns geteilt.

Letztlich bestätigt die prospektive TAILORx-Studie [15] das, was anhand der prospektiv-retrospektiven Ergebnisse aus der NSABP-B20-Studie zu Oncotype DX® [16] schon seit mehr als einer Dekade bekannt war und auch dezidiert von den Autoren in der aktuellen TAILORx-Publikation so formuliert wurde („The 9-year rate of distant recurrence in women with a recurrence score of 11 to 25 in our trial was approximately 5%, irrespective of chemotherapy use, a finding consistent with that predicted from the original report showing a significant treatment interaction between chemotherapy benefit and a recurrence score of 26 or higher.“). Patientinnen mit einem intermediären Recurrence Score haben keinen Nutzen von einer adjuvanten Chemotherapie.

Dennoch sehen wir den Beschlussentwurf des G-BA als problematisch, da hier dezidiert ausschließlich ein validierter Multigentest (Oncotype DX®) aufgeführt wird. Diese Verengung auf einen einzigen Test widerspricht, wie oben erwähnt, nationalen und internationalen Empfehlungen bzw. Leitlinien.

Ad § 3

Wir halten es für wichtig, Eckpunkte zur Qualitätssicherung bei der Anwendung biomarkerbasierter Tests zur Entscheidung für oder gegen eine adjuvante systemische Chemotherapie beim primären Mammakarzinom festzulegen. Diesbezüglich schließen wir uns dem Standpunkt der GKV-SV/PatV an.

Änderungsvorschlag: Bestätigung Standpunkt der GKV-SV/PatV

Die mehrdimensionale und komplexe Beratung über die Indikationsstellung zu einer adjuvanten Chemotherapie sollte Ärzten vorbehalten bleiben, die auf diesem Gebiet eine nachgewiesene und durch Weiterbildung dokumentierte Expertise haben. Des Weiteren sollte diese Aufklärung unter Einbeziehung des Patientinnenmerkblatts zu biomarkerbasierten Tests bei Brustkrebs durchgeführt werden.

Grundsätzlich begrüßen wir den Beschlussentwurf des G-BA (§ 1), da er die Notwendigkeit anerkennt, unter bestimmten Voraussetzungen auf biomarkerbasierte Tests zur Entscheidung für oder gegen eine adjuvante systemische Chemotherapie beim primären Mammakarzinom zurückzugreifen. Gleichzeitig sehen wir allerdings die Beschränkung auf einen einzigen validierten Multigentest als problematisch (§ 2) und wenig hilfreich. Hier sollten wie international üblich auch andere validierte und standardisierte Multigentests eingesetzt werden können.

Verfasser

Die Stellungnahme wurde von Herrn Prof. Dr. Marcus Schmidt, Leiter der Abteilung für Konservative und Molekulare Gynäkologische Onkologie, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, verfasst.

Herzliche kollegiale Grüße

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Prof. Dr. Anton J. Scharl

Präsident der DGGG e. V.

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Prof. Dr. Matthias W. Beckmann

Stellungnahmebeauftragter der DGGG e. V.