ergopraxis 2020; 13(01): 20-23
DOI: 10.1055/a-1017-1384
Ergotherapie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Après-Ski in der Handtherapie – Skidaumen

Svenja Wittek
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Publication Date:
03 January 2020 (online)

 

Durch ein (teilweise) gerissenes Seitenband wird das Daumengrundgelenk instabil, was die Greiffunktion einschränkt. Diese Verletzung trifft häufig Skifahrer, die ihr ihren Namen gaben: Skidaumen. Handtherapie kann dem Gelenk wieder zu Stabilität und Mobilität verhelfen.


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Svenja Wittek

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Svenja Wittek ist Ergotherapeutin BSc, Bobath-Therapeutin, zertifizierte Handtherapeutin und Dozentin der Akademie für Handrehabilitation (AFH). Sie ist in einer Praxis mit den Schwerpunkten Neurologie und Orthopädie angestellt und befindet sich derzeit in Elternzeit.

Fällt der erste Schnee, können es viele kaum erwarten, auf die Skipiste zu kommen. Doch der beliebte Wintersport birgt nicht nur Spaß, sondern auch Verletzungsgefahr. Bei Stürzen kommt es besonders häufig zu einer (Teil-)Ruptur des ulnaren Seitenbandes des Daumengrundgelenks. In diesen Fällen wird der Daumen vom Skistock gewaltsam abgespreizt [1]. Der sogenannte Skidaumen kann aber auch beim Rugby, Fußball, Handball, Basketball, Volleyball und manchmal sogar nach einem alltäglichen Händedruck entstehen.

Befund durch Stresstest

Das Daumengrundgelenk ist ein bandgeführtes Gelenk. Das heißt, dass primär Bänder es stabilisieren. Durch wiederkehrende Entzündungen oder Verletzungen der Seitenbänder kann es an Stabilität verlieren. Dadurch können Seitabweichungen bzw. Fehlstellungen entstehen [3].

Beim Skidaumen wird das Lig. collaterale ulnare verletzt, wenn Hyperabduktions- und Hyperextensionskräfte auf das Daumengrundgelenk einwirken [2]. Dabei kann das Band proximal, interligamentär oder distal reißen [4]. Der Skidaumen unterteilt sich je nach Schwere der Verletzung in vier Stadien:

  • Distorsion (Teilruptur)

  • Bandruptur (kompletter Bandriss)

  • knöcherner Bandausriss

  • Luxation

Ein Stresstest ist für eine genaue Diagnose des Skidaumens unerlässlich. Diese funktionelle Untersuchung ergibt einen vollständigen Riss des Bandes, wenn sich die proximale Phalanx des Daumens ulnarseitig um 30° bis 35° passiv von der Therapeutin abduzieren lässt. Dabei sollte sich das Grundgelenk in der Nullstellung oder einer Beugung von 30° befinden ([ABB. 2]).

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ABB. 1 Skifahrer sind für Daumenverletzungen sehr anfällig, da sich dieser Finger beim Halten des Skistocks stark abspreizt.
Abb.: Baikal360/stock.adobe.com (Symbolbild)
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ABB. 2 Ein einfacher Stresstest zeigt, ob das ulnare Seitenband des Daumengrundgelenks gerissen ist. Dabei prüft man, ob sich die proximale Phalanx des Daumens passiv um 30° bis 35° ulnar abduzieren lässt. Ist dies der Fall, liegt ein Skidaumen vor.
Abb.: Hoffart H, Paetz B. Skidaumen. In: Paetz B, Hrsg. Chirurgie für Pflegeberufe. 23., überarbeitete Auflage. Stuttgart: Thieme; 2017. doi:10.1055/b-005-143670

Fehlt im Vergleich zum kontralateralen Daumengrundgelenk ein fester Endpunkt, weist das im Stresstest ebenfalls auf eine vollständige Ruptur des Lig. collaterale ulnare hin [5]. Außerdem ist die Form der metakarpalen Gelenkfläche bei jeder Person individuell, was zu unterschiedlichen Bewegungsumfängen des Daumengrundgelenkes führt [6]. Daher sollte die Therapeutin den Stresstest beim Befund stets an beiden Daumen durchführen, um ein aussagekräftiges Ergebnis zu erhalten.


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Kompletter Bandriss: chirurgische Behandlung

Ein vollständiger Riss des Lig. collaterale ulnare wird in der Regel operiert. In etwa einem Drittel der Fälle ist das Seitenband mit einem Knochenfragment aus der Grundphalanxbasis ausgerissen. Je nach Verletzung kommen verschiedene Operationstechniken zum Einsatz, um das Band einschließlich der Nahtverankerungen wieder am Knochen zu befestigen. Die Versorgung chronischer Verletzungen umfasst die Bandreparatur, die Bandrekonstruktion mit einem freien Sehnenimplantat und die Arthrodese des Daumengrundgelenks [5]. Im Anschluss stellt man das Daumengrundgelenk je nach Operationstechnik und Einschätzung des Chirurgen für vier bis sechs Wochen in einer Unterarmschiene mit Einschluss des Daumens ruhig [7].

Bei vollständigen Bandrupturen kann eine Stener-Läsion entstehen. Hierbei rutscht das abgerissene Band nach unten und wird von der Aponeurose der Adduktorenmuskeln eingeklemmt [8]. Diese Stener-Läsion ist durch Palpation nur begrenzt erkennbar und verhindert eine Spontanheilung. Aufgrund dessen empfiehlt sich bei einer vollständigen Ruptur des Seitenbands eine operative Versorgung der Verletzung [6].


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Teilruptur: konservatives Vorgehen

Ist das Seitenband nur teilweise gerissen, lässt es sich nicht chirurgisch behandeln. Daher greift man zur konservativen Versorgung, bei der das Grundgelenk in einer Daumenorthese zunächst sechs Wochen lang ruhiggestellt wird [9]. Im Optimalfall begleitet die Handtherapeutin den Klienten bereits ab der Schienenanpassung, mobilisiert die umliegenden Gelenke und beginnt mit lymphaktivierenden Maßnahmen. Nach Abnahme der Schiene ist es wichtig, das Grundgelenk mithilfe der umliegenden Muskeln zu unterstützen und zu stabilisieren. Dazu erhält der Klient in jeder Therapiestunde ein bis zwei Aufgaben, die er mit der Handtherapeutin bespricht, mit nach Hause. So entsteht nach und nach ein Heimübungsprogramm.

Nicht selten bilden sich nach der sechswöchigen Ruhigstellung Narben in der Kapsel sowie verklebte Sehnen. Daraus resultieren Bewegungseinschränkungen, die eine spezifische Gelenkmobilisation unabdingbar machen [7]. Hierbei geht die Therapeutin im Sinne der Manuellen Therapie vor: zunächst ein Warm-up des Gelenks zum Beispiel durch „Push and Pull“, anschließend translatorisches Gleiten zur Bewegungserweiterung sowie passive bzw. assistive Mobilisation. Damit sollte man jedoch erst nach Freigabe des Arztes und mit einem ausreichend stabilen Gelenk beginnen, etwa nach sechs bis acht Wochen.


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Schienenversorgung

Für eine Daumenorthese stehen unterschiedliche Modelle zur Wahl. Um Folgeschäden aufgrund von übermäßiger Immobilisation zu vermeiden, sollte die Therapeutin den Grundsatz „So viel Ruhigstellung wie nötig und so wenig wie möglich“ berücksichtigen. Die statische Daumenkappe umschließt den Daumenballen und die Daumenbasis ([ABB. 3], S. 21). Das Handgelenk und das Interphalangealgelenk sind frei beweglich [10].

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ABB. 3 Die statische Daumenkappe lässt Bewegung im Handgelenk und im Interphalangealgelenk des Daumens zu, gewährt aber gleichzeitig genügend Stabilität für das Gelenk.
Abb.: R. Groth

Eine weitere geeignete Schiene, die den Daumen stabilisiert, ist die dynamische Grundgelenksschiene (ERGOPRAXIS 9/19, S. 24). Sie umfasst wie auch die Daumenkappe den Daumenballen und die Daumenbasis. In die Schiene ist ein bewegliches Gelenk eingearbeitet, welches eine achsengerechte Flexion des Daumens zulässt und gleichzeitig eine Hyperextension verhindert. Auch hier sind Handgelenk und Interphalangealgelenk frei beweglich. Die Schiene unterstützt das betroffene Daumengrundgelenk des Klienten beim kraftvollen Greifen im Alltag [12].


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Muskeltraining für mehr Stabilität

Der Kapsel-Band-Apparat stabilisiert das Daumengrundgelenk statisch. Besonders das ulnare Seitenband verhindert das „Wegkippen“ des Daumens bei Gegendruck zur lateralen Seite, zum Beispiel beim Schreiben oder beim Greifen einer Tasse [13]. Für das dynamische Stützen des Gelenks sind drei intrinsische und drei extrinsische Muskeln zuständig [14]:

Intrinsische Muskeln:

  • M. adductor pollicis verstärkt das ulnare Seitenband und ist der wichtigste intrinsische Muskel für das Daumengrundgelenk.

  • M. abductor pollicis brevis übernimmt eine ähnliche Funktion wie der M. adductor pollicis auf der radialen Seite.

  • M. flexor pollicis brevis fängt vor allem Scherkräfte ab und verhindert, dass die proximale Phalanx translatiert.

Extrinsische Muskeln:

  • M. flexor pollicis longus unterstützt den M. flexor pollicis brevis und ist an der Gelenkbeugung und -stabilisierung beteiligt.

  • Mm. extensores pollicis longus und brevis verstärken die dorsale Gelenkkapsel.

Zur Gelenkstabilisierung sollte man diese Muskeln zunächst aktiv gegen die Schwerkraft trainieren, dann isometrisch beüben und schließlich die Kraft gegen Widerstand aufbauen ([ABB. 4]–[6]). Ein weiterer Muskel zur Stabilisierung des Grundgelenks ist der M. interosseus dorsalis I. Seine Funktionen sind unter anderem die Ab- und Adduktion des Zeigefingers, die Flexion des Grundgelenks des Zeigefingers und die Abduktion des Daumens [14]. Diese Funktionen ermöglichen das frühzeitige Mobilisieren bei Ruhigstellung des Daumengrundgelenks. Zudem kann der M. interosseus dorsalis I auch bei der antagonistischen Hemmung des M. adductor pollicis hilfreich ein. Dabei greift das Prinzip, dass durch die Aktivierung bzw. Anspannung des Agonisten die Spannung des Antagonisten nachlassen muss und gedehnt wird.

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ABB. 4 Mithilfe eines Therabands kann der Klient den M. abductor pollicis brevis kräftigen, der das Grundgelenk des Daumens stabilisiert.
Abb.: S. Wittek
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ABB. 5 Um den M. flexor pollicis brevis zu trainieren, dient ein fester Gummiball, auf den der Klient Druck ausübt.
Abb.: S. Wittek
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ABB. 6 Mit einem dünnen Gummiband beübt man den M. interosseus dorsalis I, der unter anderem für die Abduktion des Daumens zuständig ist.
Abb.: S. Wittek

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Tape unterstützt das Gelenk

Viele Klienten geben nach der Ruhigstellung des Daumengrundgelenks Belastungsschmerzen an oder haben Angst, den Daumen im Alltag einzusetzen. Dann kann ihnen eine Orthese Sicherheit bieten. Alternativ dazu kann man auch Tape mit der Ligamenttechnik einsetzen ([ABB. 7]). Es lässt Bewegung zu und unterstützt gleichzeitig das betroffene Gelenk. Ziele dieser Tapingmethode sind es, das Lig. collaterale ulnare zu entlasten, Schmerzen zu reduzieren und dadurch die Rehabilitationszeit zu reduzieren. Die Ligamenttechnik wird stets mit maximalem Zug appliziert und entweder im Y- oder I-Zügel geklebt. Das Grundgelenk ist dabei so eingestellt, dass sich die Bänder in leichter Vorspannung befinden. Dadurch spannen sich das Ligament und das Tape während der Gelenkbewegung zu gleichem Maß an. Demzufolge unterstützt das Tape das Band in der Bewegung. Zudem kommt es dabei zur Verschiebung der Haut, wodurch ein rezeptorischer Reiz entsteht und sich das Schmerzempfinden reduziert [15].

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ABB. 7 Das Tape, angelegt mithilfe der Ligamenttechnik, bietet dem Klienten Bewegungsfreiheit und stabilisiert zugleich das Daumengrundgelenk.
Abb.: S. Wittek

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Frühzeitige Mobilisation entscheidend

Während der Ruhigstellungsphase des Daumengrundgelenks sollten die umliegenden, freien Gelenke sofort mobilisiert werden. Nicht selten kommt es ansonsten zu Bewegungsstörungen – nicht nur im Daumensattel- und Grundgelenk, sondern auch im Endgelenk. Diese entstehen durch Vernarbungen der Kapsel sowie Verklebungen der Sehnen. Im Nachhinein führt dies zu erheblicheren Einschränkungen im Alltag als die Läsion des Seitenbands [7]. Wird diese nicht angemessen behandelt, kann es zu einer Gelenkinstabilität mit zunehmend eingeschränkter Greiffunktion kommen sowie eine sekundäre Arthrose entstehen [6]. Daher sollte die therapeutische Vorgehensweise stets in enger Absprache mit dem Arzt erfolgen.

Bei der konservativen Therapie kann man Tape oder eine thermoplastische Schiene mit eingebautem Gelenk zur Stabilisierung des Gelenks in Betracht ziehen. Auch die spezifische Gelenkmobilisation sowie das Stabilisationstraining sind grundlegende Bestandteile der handtherapeutischen Behandlung eines Skidaumens – damit der Klient schnell wieder auf die Piste kann.


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ABB. 1 Skifahrer sind für Daumenverletzungen sehr anfällig, da sich dieser Finger beim Halten des Skistocks stark abspreizt.
Abb.: Baikal360/stock.adobe.com (Symbolbild)
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ABB. 2 Ein einfacher Stresstest zeigt, ob das ulnare Seitenband des Daumengrundgelenks gerissen ist. Dabei prüft man, ob sich die proximale Phalanx des Daumens passiv um 30° bis 35° ulnar abduzieren lässt. Ist dies der Fall, liegt ein Skidaumen vor.
Abb.: Hoffart H, Paetz B. Skidaumen. In: Paetz B, Hrsg. Chirurgie für Pflegeberufe. 23., überarbeitete Auflage. Stuttgart: Thieme; 2017. doi:10.1055/b-005-143670
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ABB. 3 Die statische Daumenkappe lässt Bewegung im Handgelenk und im Interphalangealgelenk des Daumens zu, gewährt aber gleichzeitig genügend Stabilität für das Gelenk.
Abb.: R. Groth
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ABB. 4 Mithilfe eines Therabands kann der Klient den M. abductor pollicis brevis kräftigen, der das Grundgelenk des Daumens stabilisiert.
Abb.: S. Wittek
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ABB. 5 Um den M. flexor pollicis brevis zu trainieren, dient ein fester Gummiball, auf den der Klient Druck ausübt.
Abb.: S. Wittek
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ABB. 6 Mit einem dünnen Gummiband beübt man den M. interosseus dorsalis I, der unter anderem für die Abduktion des Daumens zuständig ist.
Abb.: S. Wittek
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ABB. 7 Das Tape, angelegt mithilfe der Ligamenttechnik, bietet dem Klienten Bewegungsfreiheit und stabilisiert zugleich das Daumengrundgelenk.
Abb.: S. Wittek