2. Die Cochlea-Implantat-Versorgung im Qualitätsmodell
Das Qualitätsmodell von Donabedian besteht aus den Grunddimensionen Prozess-,
Struktur-, und Ergebnisqualität und soll im Folgenden auf die CI-Versorgung
angewendet werden [10]. Aus einer
Prozessbetrachtung umfasst der Behandlungsablauf einer CI-Versorgung regelhaft
einzelne Abschnitte, die vereinfachend in die 4 Abschnitte Diagnostik, Operation,
Hörrehabilitation und Nachsorge unterschieden werden können. Die
Zielsetzung dieser einzelnen Abschnitte unterscheidet sich erheblich und folgt zudem
auch einer chronologischen Ordnung. In einer gesamthaften Betrachtung kann die
CI-Versorgung damit auch als ein aus Einzelschritten bestehender Gesamtprozess
betrachtet werden ([Abb. 2]).
Abb. 2 Die 4 Prozessabschnitte der CI-Versorgung
Zu Beginn des Versorgungsprozesses ist die Indikationsstellung und Eignung eines
Patienten zu klären (Diagnostik). Nach Feststellung der Eignung
schließt sich die Implantation des Stimulators an (Operation). Nach der
operativen Versorgung folgt die Phase der Aktivierung des Audioprozessors zur
individuellen Anpassung des Höreindrucks und das Hörtraining zur
optimalen Nutzung des Hörsystems (Hörrehabilitation). Im Anschluss
an die Hörrehabilitation folgt die Phase der lebenslangen medizinischen,
audiologischen und technischen Nachbetreuung. Hier besteht das Ziel in der
Sicherstellung des spezifikationsgemäßen Betriebs des Implantats und
der dauerhaften Sicherung der erzielten Hörverbesserung (Nachsorge) ([Abb 2]).
Auf der Grundlage dieses allgemein akzeptierten Vorgehens sollen zunächst die
Qualitätsparameter erörtert werden, die zur
Prozessdurchführung der CI-Versorgung angewendet werden
(Prozessqualität). Diese richten sich wie beschrieben auf die
Versorgungsphasen der Diagnostik, der Operation, der Hörrehabilitation und
der Nachsorge. Anschließend werden die strukturrelevanten
Qualitätsparameter erörtert, die als Voraussetzung zur
Durchführung des Versorgungsprozesses zu betrachten sind
(Strukturqualität). Abschließend sollen die Parameter beschrieben
werden, anhand derer die erzielten Ergebnisse der CI-Versorgung beurteilt werden
können (Ergebnisqualität).
2.1 Prozessqualität in der Cochlea-Implantat-Versorgung
Die CI-Versorgung ist ein komplexer, lebenslanger Prozess mit einer Vielzahl von
Prozessschritten und Prozessbeteiligten, der sich in die beschrieben 4
Abschnitte Diagnostik, Operation, Hörrehabilitation und Nachsorge
unterteilt ([Abb. 3]). Zu Beginn des
Versorgungsprozesses muss zunächst die Eignung eines Patienten zur
CI-Versorgung festgestellt werden (Diagnostik). Hierzu durchläuft der
Patient eine Reihe von Untersuchungen, die zum Ziel haben, die Indikation zu
bestätigen und die Durchführbarkeit der CI-Versorgung zu
sichern. Ergänzt wird die Zielsetzung durch eine umfassende Beratung des
Patienten über den Versorgungsablauf.
Abb. 3 Prozess der CI-Versorgung mit 4 Prozessabschnitten und
Unterprozessen
2.1.1 Prozessabschnitt Diagnostik
Im Folgenden sollen die Inhalte des Abschnitts Diagnostik detailliert
hinsichtlich der hierzu notwendigen Prozessschritte dargestellt werden.
Dieser Prozessabschnitt besteht aus der sog. Voruntersuchung und der
nachfolgenden Indikationsstellung zur CI-Versorgung [2] und dient der:
-
Prüfung der audiologisch und neurootologischen
Voraussetzungen sowie Sicherstellung der Indikation.
-
Prüfung der technischen/anatomischen Voraussetzung
(u. a. flüssigkeitsgefüllte Cochlea zur
Implantation des Elektrodenträgers, Anlage des
Hörnervs).
-
Prüfung der Rehabilitationsfähigkeit.
-
Umfassende Beratung.
-
Koordination des gesamten Versorgungsprozesses.
Die diagnostischen Prozessschritte sollen daher in folgenden Abschnitten
([Abb. 3]) erörtert
werden:
-
Audiologische Diagnostik
-
Vestibuläre Diagnostik
-
Bildgebung
-
Beurteilung der Rehabilitationsfähigkeit
-
Medizinische und technische Beratung
-
Koordination des Versorgungsprozesses
2.1.1.1 Audiologische Diagnostik
Die Prüfung der audiologischen Voraussetzungen zur CI-Versorgung
erfordert die Anwendung subjektiver und objektiver
Hörtestverfahren. Neben psychoakustischen Testverfahren
(Reintonaudiometrie, Sprachaudiometrie, mit und ohne Störschall)
sind objektive Hörprüfungen durchzuführen
(Tympanometrie, Prüfung otoakustischer Emissionen (OAE),
akustisch evozierte Potenziale (AEP), ggf. Untersuchung der elektrischen
Stimulierbarkeit des Hörnervs, Promontoriumstest, ggf.
Elektrocochleografie). Die Überprüfung der
vorbestehenden Hörgeräteversorgung und ggf. ein Versuch
der Optimierung ist ebenfalls ein empfohlener Schritt im Prozess der
Diagnostik. Die Durchführung audiologischer Verfahren unterliegt
einer Reihe nationaler und europäischer Normen. Diese betreffen
sowohl die räumlichen Voraussetzungen (siehe hierzu Kapitel
2.2.2) als auch die praktische Durchführung der
Untersuchungen.
In den nun folgenden Abschnitten werden die o.g. relevanten
Untersuchungsmethoden hinsichtlich ihrer Bedeutung und Aussagekraft
erörtert.
-
Tonaudiometrie
Der geltende Standard zur Reintonaudiometrie ist in der DIN EN ISO
8253–1:2011–04 „Akustik –
Audiometrische Prüfverfahren – Teil 1: Grundlegende
Verfahren der Luft- und Knochenleitungs-Schwellenaudiometrie mit
reinen Tönen“ festgelegt [12]. Adunka et al. schlagen in Ihrer
Publikation „Minimum Reporting Standards for Adult Cochlear
Implantation“ vor, regelhaft folgende Frequenzen zu
messen und in wissenschaftlichen Publikationen zu
veröffentlichen [13]:
Luftleitung: 125–250–500 –
(750)*–
1000–1500–2000–4000–8000 Hz
Knochenleitung: 250–500 – (750)*-
1000–1500–2000–4000 Hz
Flynn et al. konnten zeigen, dass bei Patienten mit hochgradiger
/ an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit die
Übereinstimmung der Ergebnisse zwischen Ton- und
Sprachaudiometrie in Bezug auf die Abschätzung des
Hörverlusts teilweise große Differenzen aufweist.
Allerdings ist die Reintonaudiometrie dennoch zur Evaluation des
frequenzspezifischen Restgehörs insbesondere im Tieftonbereich
unerlässlich [14]. Eine
verlässliche Erfassung des Restgehör ist gerade im Falle
einer angestrebten elektrisch-akustischen Stimulation (EAS) von
außerordentlicher Bedeutung [15]
[16]
[17].
-
Sprachaudiometrie
Die Erfassung der Verständlichkeit von Sprache ist bei einer
Hörbeeinträchtigung zur Beurteilung der akustischen
Kommunikationsfähigkeit des Patienten notwendig. Um eine bessere
und alltagsrelevante Abschätzung der Beeinträchtigung
des Hörvermögens zu gewinnen, ist eine Prüfung
der Sprachverständlichkeit unter Störschallbedingungen
unabdingbar. Weiterhin sind Testverfahrung zur Prüfung der
Sprachdiskrimination zur Überprüfung der Ergebnisse
einer Hörgeräteversorgung erforderlich. Diese
Prüfungen finden unter sogenannten Freifeldbedingungen statt
(Schallübertragung über Lautsprecher). Für die
Durchführung von Sprachverständlichkeitstests kommt die
DIN EN ISO 8253–3:2012–08 „Akustik –
Audiometrische Prüfverfahren – Teil 3:
Sprachaudiometrie (ISO 8253–3:2012); Deutsche Fassung EN ISO
8253–3:2012“ zur Anwendung [18].
Es existiert eine Vielzahl von sprachaudiometrischen Testverfahren
(z. B. Freiburger Sprachtest, Göttinger Satztest,
Oldenburger Satztest oder HSM-Satztest), deren Gestaltung
unterschiedliche Ansätze zur Prüfung der
Sprachdiskrimination verfolgt. Die Beurteilung der Hörbarkeit
von Sprache muss immer unter Berücksichtigung des verwendeten
Sprachverständlichkeitstests vorgenommen werden. Die Diskussion,
welcher Test zur Indikationsstellung verwendet werden sollte, ist eng an
die Beurteilung des Hörerfolges nach einer CI-Versorgung
geknüpft (siehe auch Kapitel 2.3.2). Bisher konnte sich kein
Testverfahren als die alleinig anzuwendende Methode etablieren. Im
Folgenden sollen drei im deutschen Sprachraum häufig verwendete
Sprachverständlichkeitstests dargestellt werden [19]
[20].
-
Freiburger Sprachtest
Dieser Anfang der 1950er Jahre von Hahlbrock vorgestellte Test
ist zweiteilig aufgebaut [21].
Der erste Teil besteht aus 2- oder mehrsilbigen
Zahlwörtern und dient der Ermittlung des
Hörverlusts für Sprache und der
Sprachverständlichkeitsschwelle. Der zweite Teil
untersucht die Sprachdiskrimination im überschwelligen
Bereich mit einsilbigen Substantiven. Die aktuell
gültige Version des Tests ist in der Norm DIN
45621–1:1995–08 „Sprache für
Gehörprüfung – Teil 1: Ein- und
mehrsilbige Wörter“ hinterlegt [22]. Momentan wird eine
Diskussion über die Aussagekraft des Freiburger
Sprachtests geführt (siehe hierzu Kapitel 2.3.2) [23]
[24].
Der Göttinger Satztest wurde 1997 von Kollmeier und
Wesselkamp vorgestellt [25].
Der Test besteht aus 20 Testlisten mit jeweils 10
Sätzen. Diese Sätze besitzen eine hohe
Vergleichbarkeit hinsichtlich der Diskriminationsfunktion, der
Anzahl der Wörter pro Liste, der Anzahl der Phoneme pro
Liste und der Frequenzverteilung der Phoneme pro Liste, welche
zudem der deutschen Sprache ähnelt. Der Test kann mit
und ohne Störgeräusch durchgeführt
werden.
-
Oldenburger Satztest
Der Oldenburger Satztest wurde 1999 von Wagner et al. vorgestellt. Dieser
Test ermöglicht eine standardisierte Untersuchung der
Sprachverständlichkeit in Ruhe und im
Störgeräusch, wobei das Ergebnis nicht von der Auswahl
der Testliste abhängt. Der Test kann im geschlossenen Modus
durch den Patienten selbst durchgeführt werden und bietet eine
hohe Anzahl an Wortlisten [26]
[27]
[28]. Jeder Satz des Tests besteht aus
5 Wörtern, die zufällig aus 10 Alternativen
ausgewählt wurden (Matrix-Satztestverfahren).
-
Beurteilung der Sprachaudiometrischen Verfahren
Aktuell herrscht kein abschließend allgemeiner Konsens
darüber, ob ausschließlich ein bestimmter Sprachtest im
Rahmen der CI-Versorgung anzuwenden ist. Vor dem Hintergrund der
aktuellen Studienlage zum Freiburger Einsilbertest (Vergleiche Kapitel
2.3.2) erscheint jedoch eine Kombination mit einem anderen Sprachtest im
Störgeräusch sinnvoll [19].
Als Orientierungspunkt für das mit Hörgeräten zu
erreichende Sprachverstehen diente lange Zeit das sog. „maximale
Einsilberverstehen (MEV)“, das dem maximal erreichten
Verständlichkeits-Prozentwert im Freiburger Einsilbertest
entspricht. Dieser Wert sollte theoretisch bei einer
bestmöglichen Hörgeräteversorgung mithilfe der
Hörgeräte bei 65 dB erreicht werden. In der Praxis hat
sich gezeigt, dass dieser Wert allerdings regelhaft, trotz optimaler
Hörgeräteversorgung, nicht erreichbar ist. Der MEV-Wert
kann daher bestenfalls einen groben Anhaltspunkt für das maximal
erreichbare Sprachverstehen mit Hörgeräten liefern und
stellt damit keinesfalls ein notwendigerweise zu erreichendes Ziel dar
[40]. Auf der anderen Seite kann
der MEV-Wert durchaus eine Hilfestellung zur Indikation einer
CI-Versorgung bieten, da dieser Werte mit einer optimalen
Hörgeräte-Versorgung kaum erreicht werden kann, aber mit
dem CI regelmäßig überschritten wird [41].
-
Beurteilung der Hörgeräteüberprüfung
Die Überprüfung der Qualität der
Hörgeräteversorgung stellt in der Zusammenschau mit dem
MEV einen Schlüsselpunkt in der Indikationsstellung einer
CI-Versorgung dar. Auch wenn die erhobenen Werte nicht kritiklos
verwendet werden dürfen und der besonderen
fachärztlichen und audiologischen Interpretation
bedürfen, geben sie wichtige Hinweise für die
Indikation, der Erfolgsprognose und auch den späteren Erfolg
einer CI-Versorgung.
2.1.1.2 Vestibuläre Diagnostik
Vervollständigt wird die subjektive und objektive audiologische
Diagnostik durch die vestibuläre Diagnostik zur Beurteilung der
peripher vestibulären Funktion. Ein bekanntes, wenn auch
seltenes, Risiko der CI-Versorgung ist eine (in der Regel
temporäre) Beeinträchtigung der Gleichgewichtsfunktion
[42]
[43]
[44]
[45]. Die Erhebung der
Gleichgewichtsfunktion im Rahmen des Diagnostik-Prozesses ist damit
dringend zu empfehlen. Es gibt zahlreiche Publikationen zu den
gängigen vestibulären Testverfahren und den damit
diagnostizierten Pathologien [46]
[47]. Im Folgenden sollen wichtige
apparative Tests kurz dargestellt werden. Diese sollten durch klinische
Untersuchungen (Lageprüfung, Untersuchung mit der
Frenzel‘schen Leuchtbrille) ergänzt werden [1].
-
Kalorische Vestibularisprüfung
Die kalorische Vestibularisprüfung ist eine schon seit
dem 19. Jahrhundert verwendete Methode der Testung der
vestibulären Funktion. Mittels warmem und kaltem Wasser
oder Luft wird der äußere Gehörgang
kalorisch gereizt, um die Anzahl der resultierenden
Nystagmen/Zeit zu erheben. Der Test ist zur
Funktionsdiagnostik des horizontalen Bogengangs nutzbar [48].
-
Kopfimpulstest (KIT)
Der Kopfimpulstest prüft den vestibulookulären
Reflex über die Aufzeichnung des zeitlichen Verlaufs der
Augenbewegung nach schneller Kopfdrehbeschleunigung. Anhand von
Normalwerten ermöglichen die Systeme eine differenzierte
Aussage über die Funktion der 3 Bogengänge jeder
Seite [49].
-
Vestibulär evozierte Myogene Potenziale (VEMP)
Vestibulär evozierte myogene Potenziale können als
Reflexantworten auf akustische oder vibratorische Reize an cervicalen
Muskeln (cVEMPs) oder an okkulären Muskeln (oVEMPs) abgeleitet
werden. Hierbei sind die cVEMPs v. a. für die Diagnostik
der Saccus-Funktion und die oVemps für die Diagnostik der
Utriculus-Funktion bedeutsam [47].
Beurteilung der vestibulären Diagnostik
Die vestibuläre Diagnostik ist im Rahmen der Voruntersuchung
einer CI-Versorgung empfehlenswert, um eine Ausgangsinformation
über die periphere Gleichgewichtsfunktion zu erhalten. Zum Teil
erscheint auch eine prognostische Aussage über das mit einer
CI-Versorgung verbundene Risiko einer Gleichgewichtsschädigung
möglich (Maheu M. et al.) [50]. Durch die regelhaft durchgeführte
Gleichgewichtsdiagnostik kann gezielter bezüglich des mit der
CI-Versorgung verbundenen Risikos einer Gleichgewichtsschädigung
beraten werden [50]. Darüber
hinaus kann sich aus einem seitendifferent pathologischen
Gleichgewichtstest auch eine Entscheidungshilfe zur Festlegung der zu
versorgenden Seite ergeben [51].
2.1.1.3 Bildgebung
Die Feststellung einer Eignung eines Patienten für eine
CI-Versorgung erfolgt zunächst durch eine
HNO-fachärztliche Untersuchung und Anamnese. Hierbei sind
Besonderheiten, wie z. B. das zeitliche Auftreten der
Hörstörung, der zeitliche Verlauf, die
Sprachentwicklung, frühere Ohrentzündungen,
Fehlbildungen des äußeren Ohres,
Trommelfellperforationen oder Hinweise auf Mittelohrerkrankungen, wie
z. B. Cholesteatome, zu erheben. Darüber hinaus sind die
anatomischen Voraussetzungen durch die Anwendung einer radiologischen
Diagnostik zu klären: Hier werden mittels unterschiedlicher
schnittbildgebender Verfahren die Cochlea, der operative Zugangsweg, der
Hörnerv und anatomische Besonderheiten (z. B. Verlauf
des N. facialis) untersucht. Auch kann eine Beurteilung der Funktion der
Hörnerven und der zentralen Hörregionen im Einzelfall
notwendig sein. Als technischer Standard gilt bislang, dass vor einer
CI-Versorgung eine hochauflösende Computer-Tomografie (hrCT) des
Felsenbeins und eine Magnet-Resonanz-Tomografie (MRT) der Cochlea und
der Hörnerven durchgeführt werden sollten (Aschendorf et
al.) [52].
Die Computer-Tomografie ist hierbei die bevorzugte Modalität, um
die knöcherne Anatomie und damit knöcherne
Malformationen oder Variationen zu identifizieren [53]. Indirekt lassen sich durch
Beurteilung des inneren Gehörgangs auch
Rückschlüsse auf die Anatomie und eine mögliche
Anomalie des Hörnerven ziehen. Mögliche CT Verfahren,
die zur Verfügung stehen sind das hrCT, das Flat-Panel-CT und
das DVT [53]:
-
High resolution Computed Tomografie (hrCT)
Moderne Multidetektor-CTs können hrCT Aufnahmen des Felsenbeins
mit submillimetrischer, isotroper Auflösung im Bereich von 0,3
bis 0,6 mm liefern. Diese isotropen Aufnahmen können
3-dimensional rekonstruiert werden und so bei der Diagnose von
Fehlbildungen und der OP Planung helfen [53]
[54].
-
Flat Panel CT
Das Flat Panel CT ist eine Kombination aus Angiografie-C-Armen und
flachen Röntgendetektoren. Diese Kombination macht es
möglich durch Rotation um den Patienten mit dem C-Arm
CT-Rekonstruktionen zu errechnen [53]
[55]. Ein Vorteil des Flat Panel CT
gegenüber dem konventionellen CT ist die bessere
räumliche Auflösung, die bis in den µm-Bereich
reicht [55]. Ein Nachteil ist
allerdings die schlechtere Abbildung von Weichgewebe als bei der
konventionellen hrCT [56]. Zudem sind
Flat Panel CTs aktuell noch nicht sehr verbreitet.
-
Digitale Volumen Tomografie (DVT)
Das DVT macht sich den kegelförmigen Verlauf der Strahlung einer
Strahlenquelle zunutze und kombiniert diesen mit Flat Panel Detektoren
[57]. Daraus resultieren im
Vergleich zum CT relativ kleine und preiswerte Geräte.
Allerdings limitiert ihre, im Vergleich zum CT deutlich schlechtere,
Weichgewebedarstellung den Einsatz in der präoperativen
Diagnostik [52]
[53].
Das MRT hat gegenüber dem CT den Vorteil der besseren
Weichgewebsdarstellung und dem Fehlen ionisierender Strahlung [53]. Weiterentwicklungen der
MRT-Technik mit höheren Feldstärken, stärken
Feldgradienten und besseren Spulen haben dazu geführt, dass
vermehrt Sequenzen zur Beurteilung von Strukturen im Felsenbein
entwickelt wurden. Hier haben sich sog. „T2-gewichtete
Sequenzen“ als ideal zur Darstellung von Kontrasten zwischen den
neuronalen Strukturen (N. vestibulocochlearis und N. facialis) und
Liquor sowie zwischen den flüssigkeitsgefüllten
Innenohrstrukturen und ihrer Umgebung gezeigt [58]. Zusätzlich zur
Felsenbeindarstellung empfehlen einige Autoren die Ergänzung von
Sequenzen zur Beurteilung des Cerebrums, da dieses nach einer
CI-Versorgung nur noch bedingt aufgrund von
Auslöschungsartefakten mit dem MRT beurteilt werden kann [59].
Besonderheit bei Kindern:
Mehrere Studien zeigen, dass es bei Kindern mit
Innenohrschwerhörigkeit häufig assoziierte Fehlbildungen
des Innenohrs oder der Hörnerven gibt [60]
[61]. Diese präoperativ zu
identifizieren ist das Ziel der bildgebenden Diagnostik mittels hrCT und
MRT [52]
[62]. Aufgrund der Strahlenbelastung
besteht momentan bei Kindern eine Diskussion bezüglich der
regelhaften Anwendung von hrCT in der präoperativen Diagnostik
[63]. Allerdings konnten in der
jüngeren Vergangenheit auch Arbeitsgruppen (Siu et al.)
Algorithmen präsentieren, welche die Häufigkeit von
hrCTs bei Kindern reduzieren sollen, ohne dabei Nachteile
bezüglich der operativen Sicherheit durch das Nichterkennen von
Fehlbildungen zu verursachen [64].
Hierzu wird bei jedem Patienten zunächst ein MRT
durchgeführt. Ist die Anamnese positiv für ein
Ohrtrauma, eine abgelaufene Entzündung oder eine kraniofaziale
Fehlbildung, wird zudem ein hrCT empfohlen. Zeigt sich im MRT eine
Fehlbildung, wird ebenfalls ein hrCT ergänzt. Aktuell gibt es
noch keine Metaanalysen zur Bewertung dieser Vorgehensweise, sodass
gegenwärtig abzuwarten bleibt, ob hierdurch eine ausreichend
sichere präoperative Beurteilung der anatomischen
Ausgangssituation ermöglicht wird.
Bei speziellen Fragestellungen können im Einzelfall funktionelle
radiologische Untersuchungen zur Bestimmung der Aktivität des
auditorischen Kortex durchgeführt werden. Diese Untersuchungen,
die nicht Bestandteil der klinischen Routine sind, sind im Einzelnen
[1]:
-
Positronen Emission Computer Tomografie (PET-CT) [65]
-
Funktionelle Magnet Resonanz Tomografie (fMRT) [66]
-
Near Infraread Spectroscopy (NIRS) [67]
Beurteilung der Methoden der Bildgebung
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt werden verschiedene CT-Verfahren zur
Beurteilung der knöchernen Strukturen der Felsenbeine im
Hinblick auf anatomischer Variationen und Malformationen angewendet. Die
Anwendung der MRT-Untersuchung stellt den Standard in der Beurteilung
der Weichteilstrukturen der Felsenbeine, der
Flüssigkeitsfüllung der Cochlea und der Anlage der
nervalen Strukturen, dar.
2.1.1.4 Beurteilung der Rehabilitationsfähigkeit
Der Erfolg einer CI-Versorgung hängt, neben einer Reihe weiterer
Faktoren, wesentlich von der Rehabilitationsfähigkeit des
Patienten ab. Der Patient muss psychisch und physisch in der Lage sein,
das CI anzuwenden, um von der Versorgung zu profitieren. In diesem
Zusammenhang spielt ebenfalls die Bestimmung der Erwartungshaltung des
Betroffenen eine wichtige Rolle, die im Vorfeld der Versorgung bestimmt
werden muss. Unstrittig ist, dass es kaum einen allgemeinen Standard in
der Beurteilung der Rehabilitationsfähigkeit geben kann. Dies
gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Versorgung von Patienten mit
Mehrfachbehinderungen, psychisch erkrankter Patienten, Patienten mit
schweren frühkindlichen mentalen Retardierungen oder auch
dementer Patienten. Auch wenn diese oder ähnliche
Patientengruppen eine Reihe von Herausforderungen zu bewältigen
haben, sind sie doch in aller Regel nicht prinzipiell von einer
Versorgung auszuschließen. Häufig zeigen sich erhebliche
Erfolge nach der CI-Versorgung, die über die reine Betrachtung
des Sprachverstehens hinausgehen (z. B. verstärkte
Zuwendung und Verbesserung der emotionalen Kompetenz) [68].
Die präoperative Kontaktaufnahme zwischen Patienten und den die
Hörrehabilitation praktisch durchführenden Personen
(z. B. HNO-Arzt, CI-Audiologen und Pädagogen) stellt
hier ein mögliches Instrument dar, um eine erste
Einschätzung der Rehabilitationsfähigkeit des Patienten
zu ermöglichen. Außer Frage steht hierbei, dass eine
erhebliche persönliche Erfahrung die Grundlage dieser
Beurteilung darstellt. Zusammenfassend kommt der Beurteilung der
präoperativen Rehabilitationsfähigkeit des Patienten
eine wichtige Rolle zu, die ein obligater Teil der Diagnostik der
CI-Versorgung ist.
2.1.1.5 Medizinische und Technische Beratung
Die medizinische und technische Beratung des Patienten ist in der
präoperativen Phase der CI-Versorgung unerlässlich.
Während die medizinische Beratung die Information des Patienten
im Hinblick auf die medizinisch relevanten Aspekte der Versorgung
betonen sollte, umfasst sie doch mehr als nur die Beschreibung der
Operationsdetails und der Operationsrisiken. Die Erläuterung des
gesamten Versorgungsprozesses, einschließlich der zeitlich
gestaffelten Hörrehabilitation, der lebenslang notwendigen
Nachsorge und auch mit der CI-Versorgung einhergehenden Effekten
(z. B. Bewertung der MRT-Fähigkeit des CI) sowie
sozialmedizinischer Aspekte (z. B. Beratung bei Antrag auf
Rehabilitation oder Antrag auf Schwerbehinderung) gehören in das
Aufgabenfeld der medizinischen Beratung.
Darüber hinaus ist eine neutrale, d. h.
herstellerunabhängige, technische Beratung des Patienten
erforderlich. Allein aufgrund des erheblichen Zuwachses an technischen
Hilfsmitteln, die mit der CI-Versorgung kombiniert werden können
(z. B. Bluetooth connectivity oder kabellose externe
(DAÜ-) Mikrofone) besteht hier kontinuierlicher Wissensaufwuchs
und die Notwendigkeit zur fachkompetenten Beratung. Auch wenn diese
Beratung nicht an eine Berufsgruppe gebunden ist, liegt sie
häufig in der Hand von CI-Audiologen, da sie eine hohe
technische Expertise erforderlich macht. Dieses betrifft auch die
Information über die verfügbaren Implantate. Zum
gegenwärtigen Zeitpunkt sind in Deutschland Cochlea-Implantate
von vier Herstellern zur Verwendung zugelassen. Diese sind in
alphabetischer Reihenfolge:
-
Advanced Bionics LLC, CA USA
-
Cochlear Ltd., NSW Australien
-
MED EL GmbH, Innsbruck, Österreich
-
Oticon Medical LLC, Kopenhagen, Dänemark
Jeder dieser Hersteller besitzt nicht nur ein eigenes
Implantat-Portfolio, sondern bietet auch verschiedene Audioprozessoren
an. Der Patient sollte im Vorfeld der Versorgung ausführlich und
herstellerneutral über die Charakteristika der einzelnen
Implantate informiert werden. Ziel muss hierbei die
eigenständige Entscheidung des Patienten für ein
Gesamtsystem (Implantat+Audioprozessor) sein, sofern keine
medizinischen (z. B. Obliteration der Cochlea), technischen,
audiologischen oder sonstig relevanten Aspekte eine ärztliche
Empfehlung zu einem spezifischen Produkt notwendig machen.
Gesetzlich ist dies in der ärztlichen Aufklärungspflicht
geregelt, welche in §630 c des Bürgerlichen Gesetzbuchs
festgelegt ist: „…(2) Der Behandelnde ist
verpflichtet, dem Patienten in verständlicher Weise zu
Beginn der Behandlung und, soweit erforderlich, in deren Verlauf
sämtliche für die Behandlung wesentlichen
Umstände zu erläutern, insbesondere die Diagnose,
die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung, die Therapie und
die zu und nach der Therapie zu ergreifenden
Maßnahmen…:“
[69]
. Weiterhin sollte dieser Beratungsprozess und die
anschließende Entscheidung dokumentiert werden.
2.1.1.6 Koordination des Versorgungsprozesses
Um eine sichere, schnelle, erfolgreiche und schließlich auch
kosteneffektive CI-Versorgung sicherzustellen, ist die
frühzeitige Planung und Koordination des Versorgungsprozesses
notwendig (siehe hierzu auch Kapitel 2.1.3 zur
Hörrehabilitation). Hierzu sollten die individuellen
Voraussetzungen des Patienten in besonderer Weise
Berücksichtigung finden, da diese die Möglichkeiten und
Limitationen der Hörrehabilitation bestimmen. Neben der
Berücksichtigung des Alters, der individuellen
Lebensumstände, der eigenständigen
Lebensführung, des Wohnortes, der Begleiterkrankungen und damit
der Mobilität, spielen eine Vielzahl anderer Faktoren eine
Rolle, um das individuelle Versorgungskonzept festzulegen.
Unbestritten liegt die Verantwortung für die Organisation und
damit Sicherstellung des gesamten Versorgungsprozesses,
einschließlich der Hörrehabilitation und der Nachsorge,
bei der den Patienten mit dem CI versorgenden Einrichtung (CI-Klinik).
Auch wenn prinzipiell die Möglichkeit zur Delegation einzelner
Schritte im Prozess der CI-Versorgung besteht, verbleibt die
Verantwortung für die Durchführung und das Ergebnis der
Versorgungsschritte (z. B. der Hörrehabilitation und
Nachsorge) bei der CI-versorgenden Einrichtung. Dieses schließt
zweifelsohne auch Langzeitkomplikationen infolge fehlender
Nachsorgekonzepte ein. Nach der Medizinprodukte-Betreiberverordnung ist
die Klinik, im Besonderen der verantwortliche Arzt,
„Betreiber“ des Implantates und damit in der
Endverantwortung für den bestimmungsgemäßen
Betrieb des Gerätes [70].
Zusammenfassend sollte im Rahmen der präoperativen Diagnostik
einer CI-Versorgung mit dem Patienten das gesamte Versorgungskonzept,
einschließlich der organisatorischen Umsetzung der
Hörrehabilitation und der lebenslangen Nachsorge,
erläutert, koordiniert und dokumentiert werden.
2.1.2 Prozessabschnitt Operation
Die Prozessschritte der operativen Phase umfassen den Zeitraum ab der
Entscheidung zur Durchführung der CI-Versorgung, über die
Operationsvorbereitung, die eigentliche Durchführung der
Implantation bis zum Abschluss der Wundheilung ([Abb. 3]). Unter der Implantation wird
gemeinhin die CI-Operation in Bezug auf die technische Ausführung
der Versorgung verstanden, also das Einbringen des Elektrodenträgers
in die Cochlea und das Einlegen des Stimulators in das Os temporale. Die
Operation wird in aller Regel stationär ausgeführt. Ziel des
folgenden Kapitels ist, die Darstellung der die Operation begleitenden
prozessrelevanten Aspekte. Diese umfassen im Einzelnen die:
2.1.2.1 Operationsvorbereitung (Implantatauswahl,
Aufklärung)
Eine umfassende und alle Aspekte der CI-Versorgung betreffende
Information des Patienten sollte bereits als ein Teil des
Prozessschrittes Diagnostik betrachtet werden. Dieses betrifft auch die
Festlegung der realistischen Operationsziele, die Entscheidung
für ein spezifisches Implantat eines Herstellers und die
Koordination der gesamten CI-Versorgung einschließlich
Hörrehabilitation und lebenslanger Nachsorge (siehe Kapitel
2.1.3 und 2.1.4)
Im Hinblick auf die spezifische Aufklärung zur technischen
Durchführung des operativen Eingriffs stehen heute
standardisierte ärztliche Aufklärungsbögen zur
Verfügung, die die Implantation eines CI ausführlich
sowie medizinisch und juristisch aktuell beschreiben (z. B.
„Einsetzen eines Cochlea-Implantats“ (HNO 59) Diomed
Thieme Compliance Verlag). Die Anwendung dieser standardisierten
Aufklärungsbögen erscheint daher sinnvoll.
2.1.2.2 CI-Operation
Bei der Implantation des CI handelt es sich um die Anwendung eines
„aktiven elektronischen Neurostimulators“. Aus einer
chirurgischen Betrachtung handelt es sich um einen modifizierten
operativen Eingriff des Felsenbeins und des Mittelohres. Wesentlich
ergänzt wird der Eingriff allerdings durch die operative
Eröffnung des Innenohres und das Einführen eines
Elektrodenträgers in die flüssigkeitsgefüllten
Räume (Scala tympani) der Cochlea.
Die anästhesiologische Führung eines Patienten entspricht
im Wesentlichen den Grundsätzen, wie sie auch bei sonstigen
operativen Eingriffen im Bereich des Felsenbeins zur Anwendung kommen.
Da es allerdings im Rahmen der CI-Versorgung häufig zur
Behandlung von sehr jungen Patienten kommt, regelhaft im ersten
Lebensjahr oder auch den ersten Lebensmonaten, ist hier eine besondere
anästhesiologische Erfahrung erforderlich [71]. Dies betrifft auch die ggf.
notwendige Kinder-intensivmedizinische Betreuung multimorbider Kinder.
In gleicher Weise kommt es heute auch zur CI-Versorgung sehr betagter
Patienten, die auch im Alter jenseits der 90 eine erfolgreiche
Hörrehabilitation durch die CI-Versorgung erfahren. Gerade diese
Patientengruppe weist oft eine Vielzahl von internistischen
Begleiterkrankungen auf, die ebenfalls eine große Erfahrung
seitens der anästhesiologischen Betreuung erfordert.
-
Chirurgische Techniken
Die Anwendung der Cochlea-Implantate verschiedener Hersteller
unterscheidet sich z. T. erheblich, sodass die spezifischen
Besonderheiten eines Produktes und des jeweils verwendeten
Elektrodenträgers, dem jeweils aktuellen „Surgical
Manual“ des Herstellers zu entnehmen sind [72]
[73]
[74]
[75].
Als ein übergeordnetes Ziel in der praktischen
Durchführung der CI-Operation hat sich in den letzten Jahren der
Grundsatz der „atraumatischen Insertion“ etabliert.
Dieses wurde erstmals von Lehnhardt als sog. „Soft
Surgery“ beschrieben [76] und
sollte heute generell angewendet werden. Als wichtiges Kriterium
für eine atraumatische (schonende) Operationstechnik wird
vielfach der Grad des Resthörerhalts betrachtet. Santa-Maria et
al. haben 2014 eine Metaanalyse mit 24 eingeschlossenen Studien
präsentiert, in denen sie die folgenden relevanten Aspekte
hinsichtlich eines Resthörerhalts analysiert haben [77]
[78]:
-
Zugangsweg zur Cochlea
Als Zugang zur Cochlea existieren prinzipiell 2 Möglichkeiten,
zum einen die Cochleostomie (Eröffnung der Scala tympani in der
basalen Windung der Cochlea am Promontorium) und die Eröffnung
der Cochlea über die Rundfenstermembran. Kritiker der
Rundfenstermethode führen an, dass bei einer so
durchgeführten Elektrodeninsertion die Elektrode durch die
cochleäre „Hook-Region“ von der idealen
Traktionslinie abweicht und Verletzungen innerhalb der Cochlea entstehen
können. Dem gegenüber führen die Kritiker der
Cochleostomie aus, dass es zum einen durch den Bohrlärm zu
Haarzellschäden kommen kann und keine sichere anatomische
Landmarke zu Verfügung steht [77]. Beide Methoden werden auch heute angewendet, wobei mit
aktuellen Elektrodendesigns der Rundfensterzugang vielfach bevorzugt
wird. Dies deckt sich mit einer Arbeit von Schart-Moren et al. die in
einer Felsenbeinstudie die Überlegenheit der Rundfenstermethode
hinsichtlich eines Insertionstraumas festgestellt hat [79].
-
Geschwindigkeit der Elektrodeninsertion
Ein Vergleich der Insertionsgeschwindigkeit des Elektrodenträgers
in die Cochlea zeigte in derselben Studie einen signifikant
höheren Resthörerhalt bei langsamen
Insertionsgeschwindigkeiten über 30 Sekunden [77]. Eine langsame Elektrodeninsertion
kann damit empfohlen werden.
-
Cortison-Applikation
Glukokortikoide kommen bei der CI-Operation entweder lokal (appliziert in
der Rundfensternische oder die Cochleostomie) oder systemisch als
intravenöser Bolus zum Einsatz. Santa-Maria et al. haben die
Effekte wie folgt zusammengefasst: Lokale intraoperative Applikation von
Cortison hat eine signifikant positive Auswirkung auf den
Resthörerhalt bei 2 kHz [77]. Die systemische intraoperative Cortisongabe hat in der
oben genannten Untersuchung keinen signifikant positiven Effekt auf den
Resthörerhalt. Eine Applikation von Cortison im Rahmen der
CI-Operation kann daher erwogen werden.
-
Hyaluronsäure als Gleitmittel
Hyaloronsäure als Lubrikant („Gleitmittel“), das
die Elektrodeninsertion schonender gestalten soll, zeigte in dieser
Metanalyse keinen signifikanter Effekt beim Resthörerhalt [77].
-
Intraoperatives Facialismonitoring
Die Anwendung des intraoperativen Facialis-Monitoring (EMG) ist heute
vielfach geübte Praxis im Rahmen der CI-Operation. Auch wenn es
keine Vorgabe zur Verwendung dieser Methode gibt, hat sie dennoch
inzwischen eine sehr hohe Verbreitung gefunden, sodass sie
annähernd in jeder CI-Klinik zur Verfügung steht. Die
Durchführung der CI-Operation ist zweifelsohne auch unter
Verzicht des Facialis-Monitoring möglich. Allerdings ergeben
sich auch kaum sinnvolle Argumente gegen eine Nutzung des Systems [80].
-
Zusammenfassung chirurgische Techniken
Die CI-Operation ist inzwischen in vielen Punkten standardisiert, dennoch
bleiben eine Vielzahl von offenen Details, die weitere wissenschaftliche
Evidenz benötigen. So weisen Santa-Maria et al. darauf hin, dass
keine der analysierten Studien randomisiert war [77]. Zudem gibt es sehr große
Unterschiede in der Ergebnisdarstellung, die es den Autoren erschwert
hat, Vergleiche zwischen den Studien zu ziehen. Die Autoren fordern
daher einen möglichst einheitlichen Standard zur Angabe von
OP-Techniken und Ergebnissen, um zukünftige Auswertungen zu
erleichtern. Vor dem Hintergrund dieser Aussagen ist die Einrichtung
eines nationalen CI-Registers ein empfehlenswerter Schritt, um
Therapieergebnisse und Therapieempfehlungen auf der Basis
größerer Fallzahlen zu ermöglichen.
2.1.2.3 Intraoperative Messungen
Nach der Implantation des CI können bereits im Rahmen der
Operation Messungen mit dem Ziel der Überprüfung der
regelhaften Funktion des Implantats und der korrekten Lage des
Elektrodenträgers durchgeführt werden. Wesarg et al.
haben die Durchführung und Bewertung dieser Messungen 2014
ausführlich dargestellt [81].
Unterschieden werden hierbei „elektrische Messungen“ von
„audiologisch-elektrophysiologischen Messungen“. Als
Standard für die elektrischen Messungen, welche über
firmenspezifische, computergestützte
Cochlea-Implantat-Diagnostiksysteme durchgeführt werden, sind zu
betrachten [81]:
-
Kopplungsprüfung
Bei der Kopplungsprüfung wird festgestellt, ob sich das Implantat
mittels Spule ansteuern lässt [81].
-
Integritätsprüfung
Der Implantat-Integritätstest ist eine
Selbstprüfung des Implantats, der eine technisch
korrekte Funktion des Systems anzeigt
[81].
-
Impedanztelemetrie
Je nach Hersteller haben die Elektrodenträger
12–22 Kontakte. Bei der Impedanztelemetrie wird
für jede Elektrode der elektrische Widerstand
geprüft. Auffälligkeiten sind erklärbar
durch Stromflussunterbrechungen, den sog. „Open
Circuit“ (OC) und den Kurzschluss, den sog,
„Short Circuit“ (SC). OC-Messungen
können durch Luftblasen an der
Elektrodenoberfläche, Fremdkörper oder
Elektrodenkabelbrüche verursacht werden. Intraoperativ
initial beobachtete OCs können bei erneuter
Prüfung innerhalb weniger Minuten verschwinden.
SC-Messungen können z. B. durch
Kurzschlüsse innerhalb des Elektrodenträgers
verursacht werden. Hier sollte, je nach Anzahl der betroffenen
Kontakte, erwogen werden, noch intraoperativ einen
Implantat-Austausch vorzunehmen [81].
-
Feldtelemetrie
Bei der Feldtelemetrie werden nicht die Widerstände,
sondern die Spannungen der Elektroden bei Stimulation einer
Elektrode gemessen. Dies erlaubt z. B. die Diagnose
eines Umschlagens der Elektrodenspitze („Tip-Fold
Over“) [81]
[82].
Bei den audiologisch-elektrophysiologischen Messungen
gehören die folgenden Untersuchungen zum intraoperativen
Standard:
-
Auslösbarkeit / Schwelle elektrisch
evozierter Stapediusreflexe
Hierbei wird der akustikofaziale Reflex, der physiologisch bei
Lautstärken ab 70 dB zur Kontraktion des M.
stapedius führt, ausgenutzt, um eine Stimulation des
Hörnervs über das CI auszulösen. Der
Reflex wird semiobjektiv durch den Operateur mittels Beobachtung
durch das OP-Mikroskop beurteilt und es werden die
Stromstärken, bis zu welchen der Reflex
auslösbar ist, dokumentiert [81]. Um den Reflex sicher auslösen zu
können, wird empfohlen, volatile Anästhetika in
der Narkose zu vermeiden, da diese die Auslösung des
Reflexes unterdrücken können [83].
-
Messung der elektrisch evozierten Summenaktionspotenziale des
Hörnerven (ECAPs)
Die bei der Elektrocochleografie akustisch ausgelösten
Potenziale (siehe Kapitel 2.1.1.1) können z. T.
auch elektrisch ausgelöst werden.
Summenaktionspotenziale des Hörnervs werden elektrisch
über den Elektrodenträger ausgelöst und
über denselben registriert. Das Verfahren zur Messung
dieser Potenziale wird von den einzelnen
Cochlea-Implantat-Herstellern jeweils anders benannt:
-
Neural Response Imaging (NRI, Fa. Advanced Bionics)
-
Neural Response Telemetry (NRT, Fa. Cochlear)
-
Auditory Nerve Telemetry (ART, Fa. MED EL),
-
Electric compound action potenzials (ECAP, Fa. Oticon;
kein eigener Name)
-
Echtzeit-Elektrocochleografie (ECochG) während der
Elektrodeninsertion bei resthörerhaltenden
Operationen:
Verschiedene Autoren haben in der jüngeren Vergangenheit positive
Erfahrungen mit einer intraoperativen Echtzeitableitung einer ECochG
während der Elektrodeninsertion bei resthörerhaltenden
Operationen berichtet [84]
[85]. Der akustische Reiz stammt wie
bei der in Kapitel 2.1.1.1 beschriebenen, präoperativen ECochG
von einem Einsteck-Schallwandler im Gehörgang. Die erzeugten
Potenziale können direkt über den
CI-Elektrodenträger selbst abgeleitet werden. Aktuell wird
vermutet, dass sich diese Potenziale bei Kontakt der Elektrode mit der
Basilarmembran verändern. Das Ziel dieser Echtzeitableitung
während der Insertion ist, ein Feedback für den
Operateur zu erzeugen, um damit ein intracochleäres
Insertionstrauma zu vermeiden. Diese Methode steht allerdings noch nicht
für den Routineeinsatz zur Verfügung und es fehlen noch
Studien um den Nutzen an größeren Fallzahlen zu
bestätigen [84]
[85].
Zusammenfassung intraoperative Messungen
Page et al. führten 2018 eine Befragung von 39 CI Chirurgen
bezüglich der Anwendung der intraoperativen Messungen durch.
Laut den Autoren ist der Stellenwert der intraoperativen Testverfahren
nicht eindeutig geklärt [86].
Vor dem Hintergrund ihres geringen zeitlichen Aufwands erscheint eine
Anwendung angezeigt, zumindest um einen technischen Implantat-Defekt
auszuschießen.
2.1.2.4 Lagekontrolle der CI-Elektrode
Grundsätzlich stehen zur Lagekontrolle eines
Elektrodenträgers radiologische und nicht radiologische Methoden
zur Verfügung.
-
Radiologische Methoden
Aschendorff et al. beschreiben die Vorteile einer radiologischen
Lagekontrolle des Elektrodenträgers nach Implantation [87]. Diese kann entweder intraoperativ
oder postoperativ erfolgen. Intraoperativ wird häufig ein
C-Bogen oder ein mobiles DVT verwendet [88]. Postoperativ können die folgenden
Untersuchungen, die bereits im Abschnitt präoperativen
Diagnostik ausführlich beschrieben wurden (Kapitel 2.1.1.3)
angewendet werden [52]:
-
DVT
-
CT
-
Röntgen nach Stenvers
Der Trend geht momentan zur 3D-Schnittbildgebung, also DVT oder CT.
Aktuelle Studien bescheinigen beiden Verfahren eine gute
Möglichkeit zur Lagekontrolle. Allerdings scheint die
dafür benötigte Strahlendosis beim DVT geringer. Es
fehlen jedoch bis dato randomisierte Studien oder Metaanalysen, um eine
eindeutige Empfehlung für ein Verfahren abgeben zu
können [89]. Die Anwendung
auch der modifizierten konventionellen Röntgenaufnahme nach
Stenvers („Cochlear view“) ist weiter prinzipiell
möglich, bietet aber nicht alle Informationen zur Lagekontrolle
einer Elektrode [52].
-
Nicht-Radiologische Methoden
Gegenwärtig werden Verfahren entwickelt, die durch Anwendung
elektrophysiologischer Messmethoden eine Aussage über die
korrekte Positionierung des Elektrodenarrays ermöglichen sollen.
Der Einsatz des sog. SOE-(„Spread of
Excitation“)-Messverfahrens kann die Detektion eines Tip Fold
Overs ermöglichen, allerdings ist dieses Verfahren in vielen
Einrichtungen noch kein Teil der klinischen Routine [90].
Beurteilung Lagekontrolle der CI-Elektrode
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt stellen die radiologischen Methoden
noch den Standard in der Lagekontrolle des CI-Elektrodenträgers
nach der Implantation dar. Die Durchführung sollte als wichtiges
Kriterium der Qualitätskontrolle empfohlen werden.
2.1.2.5 Komplikationsmanagement
Ein wesentlicher Gegenstand einer stationären Behandlung ist ein
adäquates Komplikationsmanagement. Dieses beinhaltet die
Beurteilung der beginnenden Wundheilung und das Erkennen typischer
postoperativer Komplikationen, die besonders in der unmittelbar
perioperativen Phase auftreten können. Lenarz et al. und Cohen
et al. haben folgende häufige Komplikationen beschrieben [1]
[91]:
-
Nahtdehiszenz
-
Infektion
-
Emphysem
-
Hämatom
-
Serom
-
Gesichtsödem
-
Fazialisparese
-
Trommelfelldefekt
-
Fazialisstimulation
-
Schmerzen
-
Schwindel
-
Tinnitus
-
Geschmacksstörung
Offensichtlich ist, dass eine CI-versorgende Einrichtung in der Lage sein
muss, die möglichen Komplikationen fach- und zeitgerecht zu
managen. Da diese Komplikationen auch mit einer zeitlichen
Verzögerung auftreten können, erscheint es
selbstverständlich, dass die Betreuung eines CI-versorgten
Patienten auch nach der stationären Behandlung gesichert wird.
Dies muss auch außerhalb der Regelarbeitszeit ermöglicht
werden. Auch wenn es hierzu erwartungsgemäß keine
vergleichenden Studien gibt, erscheint dies offensichtlich und wird
ebenfalls von verschiedenen Autoren beschrieben [1]
[92].
2.1.3 Prozessabschnitt Hörrehabilitation
Unter dem Begriff der Hörrehabilitation werden 2 unterschiedliche,
zeitlich aufeinander folgende Prozessphasen der CI-Versorgung verstanden.
Der erste Abschnitt, der auch als „Basistherapie“ oder
„Erstanpassungsphase“ bezeichnet wird, dient der
individuellen Anpassung/Einstellung des Audioprozessors. Der sich
anschließende Abschnitt wird als „Folgetherapie“
oder auch „CI-Rehabilitation“ bezeichnet. Diese Phase dient
der Optimierung und dem Erreichen des bestmöglichen Sprachverstehens
mit dem CI. Hiervon abzugrenzen ist der sozialmedizinische Begriff der
„Rehabilitation“, der einem festgelegten Vorgang der
Sozialgesetzgebung entspricht [93]. Die
Hörrehabilitation beschreibt daher den gesamten Vorgang einer
(Wieder-)Erlangung der auf dem Hör- und Sprachverstehen basierenden
Kommunikationsfähigkeit infolge einer CI-Versorgung.
Sowohl die Erstanpassung (Basistherapie) als auch die CI-Rehabilitation
(Folgetherapie) können prinzipiell örtlich getrennt
durchgeführt werden. Allerdings steht außer Frage, dass auch
im Hinblick auf eine fachlich kompetente Indikationsstellung Erfahrungen und
Ergebnisse aus der Hörrehabilitation zwingend erforderlich sind.
Zumindest die Erstanpassung (Basistherapie) sollte daher an der
CI-versorgenden Einrichtung verortet sein.
Um den zeitlichen Bedarf, den die Erstanpassungsphase und die
CI-Rehabilitation (Folgetherapie) benötigen, zu verdeutlichen, soll
zunächst auf die bestehenden Herausforderungen eingegangen werden:
Für einen mit einem CI versorgten Patienten unterscheiden sich die
von einem Implantat generierten elektrischen Impulse ganz erheblich von den
Höreindrücken hörgesunder Menschen. Es wird
offensichtlich, dass zunächst eine Gewöhnungs- bzw.
Lernphase durchschritten werden muss, in der der Hörkortex und
assoziierte Hirnareale erst „lernen“ müssen, diese
neuen Reize in definierte Töne und schließlich Sprache zu
überführen. Der Anpassprozess ist daher ein kontinuierliches
Wechselspiel zwischen Veränderung der Einstellung, Gewöhnung
an die neuen Höreindrücke und schließlich erneutem
Anpassen der Einstellungen des Audioprozessors an den Höreindruck
des Patienten. Dieser Vorgang setzt eine hohe fachliche Kompetenz voraus,
die regelhaft in der Hand eines erfahrenen CI-Audiologen liegen sollte.
2.1.3.1 Erstanpassung (Basistherapie)
Das Ziel der Erstanpassungsphase (Basistherapie) besteht darin,
für jede Elektrode die individuell angepassten unteren und
oberen Grenzwerte der anzuwendenden Reizströme festzulegen. Die
unteren Werte werden dabei „Threshold-Werte“ (T-Werte)
genannt und stellen den Reizstrom dar, bei dem gerade noch ein
Höreindruck entsteht. Die oberen Werte sind die „Comfort
Werte“ (C- oder MCL-Werte), die den Reizstrom, der gerade als
noch nicht zu laut empfunden wird, darstellen [94]. Hoppe et al. haben diesen Prozess
umfassend in ihrer Veröffentlichung „Anpassen von
Cochlea-Implantatsystemen“ dargestellt, sodass diese
Beschreibung als gute Orientierung für das Vorgehen im Rahmen
der Basistherapie dienen kann [94].
Im Hinblick auf die Dauer und die Häufigkeit der Anpasssitzungen
existieren keine verbindlichen Richtlinien. Wohl aber existieren
Empfehlungen, die auf wissenschaftlichen Publikationen ausgewiesener
großer Zentren beruhen [95]
[96]. Dennoch unterscheidet sich die
Beschreibung der Anpassvorgänge einzelner Zentren und
reflektiert meist „gewachsene Strukturen“ und einen
erfolgreich „gelebten“ Standard. So existieren sowohl
Zentren, in denen die Erstanpassungsphase ambulant durchgeführt
wird, als auch Zentren, in denen diese stationär erfolgt.
Einzelne Einrichtungen verfügen über
Kooperationsverträge mit Rehabilitationskliniken, die die
Erstanpassung übernehmen. Ein national einheitlicher Standard
existiert gegenwärtig nicht. Dennoch kann festgestellt werden,
dass die überwiegende Mehrzahl der großen,
langjährig erfahrenen CI-versorgenden Einrichtungen mindestens
die Erstanpassungsphase in Eigenregie innerhalb der jeweiligen
Einrichtung durchführt.
Eine weltweit durchgeführte Umfrage von Vaerenberg et al. ergab,
dass die Mehrheit der Zentren die Erstanpassung 3–4 Wochen nach
der Implantation in 1–3 Sitzungen durchführt, wobei die
Sitzungen jeweils 60 bis 90 Min dauern [97]. Einige Gruppen berichten aber auch
über eine Anpassung bereits wenige Tage nach der Operation
(„early fitting“) [98]. Technisch gesehen ist die Anpassung laut Hoppe et al. ein
Zusammenspiel von Ergebnissen der psychophysischen-,
elektrophysiologischen- und audiometrischen Messungen, die im Folgenden
erläutert werden sollen [94].
-
Psychophysische Methode
Bei der psychophysischen Methode werden die Reizströme einzeln
erhöht bis die T- und C-Level jeder Elektrode festgelegt sind.
Hierbei ist ein langsames Vorgehen notwendig, um eine
Überlagerung des Höreindrucks zu vermeiden. Der Vorteil
dieser Methode liegt darin, dass ausreichend Zeit für einen
Gewöhnungseffekt an den neuen Höreindruck besteht und
damit eine Überstimulation sicher vermieden wird [94]. Ein Nachteil besteht darin, dass
diese Methode sehr zeitaufwändig ist und einen sehr kooperativen
Patienten benötigt. Aufgrund der langen Dauer dieses Vorgehens
wurde eine verkürzte Methode entwickelt, das sog.
„stream-line fitting“. Bei diesem Vorgehen wird nur
für jede zweite oder dritte Elektrode die elektrische
Hörschwelle erfasst und die C-Level im Anschluss nur wenig
darüber festgelegt. Danach werden die C-Level im Live-Modus
solange angehoben, bis der Patient die Sprache des Anpassenden als
angenehm empfindet. Diese verkürzte Methode wird in der Regel
gut akzeptiert und bringt in den meisten Fällen vergleichbare
Sprachverständnisergebnisse zu der herkömmlichen Methode
[99].
-
Anpassung anhand elektrophysiologischer Messungen
Elektrophysiologische Messungen, wie z. B. frühe- und
späte akustische Potenziale oder Stapediusreflexschwellen (bei
elektrischer Stimulation), können Anhaltspunkte für die
Anpassung des CI-Prozessors geben. So konnte auch ein Zusammenhang
zwischen den Stapediusreflexschwellenwerten und den C-Werten
festgestellt werden [100]
[101]. Der Nachteil dieser Methode
besteht darin, dass bei der Anpassung weitere Geräte für
die Registrierung der Potenziale oder der Stapediusreflexe notwendig
sind. Mit der Einführung vereinfachter Messungen der ECAPs
(siehe Kapite 2.1.2.3), konnte die Anpassung mittels objektiver
elektrophysiologischer Parameter stark vereinfacht werden [81]
[94].
-
Automatisierte ergebnisorientierte Anpassung
Aktuelle Bestrebungen gehen dahin, stärker die Ergebnisse der
Hörleistung und weniger die Behaglichkeitsschwellen der
Patienten als Basis der Anpassung zu verwenden. Die „Ear
Group“ aus Antwerpen hat einen auf künstlicher
Intelligenz (KI) beruhenden Algorithmus entwickelt, der unter
Zuhilfenahme des Einsilberverstehens, der Hörschwelle
für Wobbeltöne, der Lautheitsanstiegsfunktion und der
Diskrimination für bestimmte Phoneme einen automatisierten
Anpassvorschlag berechnet [102]. In
ersten Studien ist die automatisierte Anpassung gleichwertig zu
herkömmlichen Anpassung. Diese Ergebnisse sind damit sehr
vielversprechend für eine zukünftige KI-basierte
Anpassung eines Audioprozessors [102].
Besonderheit: Anpassung bei Kindern
Die Anpassung bei Kindern ist regelhaft erheblich zeitaufwändiger
als bei Erwachsenen und umfasst außerdem eine Vielzahl sozialer
und versorgungsmedizinischer Aspekte. Zudem spielen hier
elektrophysiologische Anpassmethoden eine besondere Rolle, v. a.
die intraoperative Stapediusreflexschwellenmessung und die
ECAP-Messungen [103]. Die Anpassung
des Audioprozessors bei Kindern ist eine höchst
verantwortungsvolle und nur mit großer Erfahrung
durchführbare Tätigkeit, da sie entscheidenden Einfluss
auf die gesamte Hör- und Sprachentwicklung eines Kindes hat.
Zusammenfassung Erstanpassungsphase (Basistherapie)
Es fehlen vergleichende Studien, die eindeutige Handlungsanweisung
zulassen würden. Dennoch existiert eine Vielzahl von
„Best-Practice“-Beispielen und wissenschaftlichen
Arbeiten mit einer großen, langjährigen Datenbasis
für erfolgreiche Versorgungskonzepte. Gesichert ist, dass die
Erstanpassungsphase ein komplexer zeitintensiver Prozess ist, der
momentan noch das Zusammenspiel von psychophysischen und
elektrophysiologischen Messungen voraussetzt. Ansätze, den
Anpassprozess anhand von KI-basierten Algorithmen zu automatisieren
scheinen, vor dem Hintergrund der zunehmenden Verwendung von
maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz
vielversprechend, finden aber noch keinen flächendeckenden
Einsatz [102].
2.1.3.2 CI-Rehabilitation (Folgetherapie)
Die CI-Rehabilitation ist ein bedeutender Aspekt in der CI-Versorgung.
Sie umfasst alle Maßnahmen, die der aktiven Verbesserung des
Sprachverstehens mit dem CI dienen [104]
[105]. Hiervon abzugrenzen ist, im
engeren Sinn des Wortes, der sozialmedizinische Begriff der
„Rehabilitation“. Dieser beschreibt, wie o.a., einen
festgelegten Vorgang der Sozialgesetzgebung [93].
Die CI-Rehabilitation (Folgetherapie) richtet sich auf unterschiedliche
Teilaspekte der Optimierung des Sprachverstehens mit dem CI und zielt
auf die medizinischen, audiologischen, hörtherapeutischen und
technischen Teilbereiche der Hörtherapie. Bei Kindern kommt
besonders auch der sprachtherapeutischen Komponente eine große
Bedeutung zu [106].
Prinzipiell kommen gegenwärtig unterschiedliche Konzepte der
CI-Rehabilitation zur Anwendung. Diese sehen sowohl stationäre,
als auch ambulante Behandlungskonzepte vor [104]
[107]. Zum gegenwärtigen
Zeitpunkt existieren keine randomisierten, vergleichenden Studien, die
den Vorteil eines Vorgehens zweifelsfrei belegen würden.
Angemerkt werden muss aber auch, dass sich viele Studienansätze
allein aus ethischen Gründen verbieten. So wäre es kaum
vertretbar, einen Vergleich für ein Therapiekonzept zu
untersuchen, das die Möglichkeit einer schlechteren
Sprachentwicklung erlauben würde, gerade vor dem Hintergrund der
zeitlich begrenzten Plastizität des Hörsystems.
Andererseits sollte ein Vergleich der derzeit in Anwendung befindlichen
Therapieansätze ethisch unbedenklich sein. Voraussetzung
hierfür ist allerdings eine standardisierte Erfassung der
Behandlung. Eine solche Standardisierung existiert zum
gegenwärtigen Zeitpunkt nicht und wird mit hoher
Wahrscheinlichkeit erst durch die Einführung eines nationalen
CI-Registers ermöglicht werden.
Dennoch gibt es bereits eine Reihe von wissenschaftlichen Arbeiten, die
den Effekt einzelner CI-Rehabilitationskonzepte untersuchen. Zeh et al.
haben in einer groß angelegten Studie den positiven Effekt einer
stationären Rehabilitation nachgewiesen [107]. Hingegen führt Diller
aus, dass es Erwachsenen häufig aus beruflichen oder privaten
Gründen nicht oder nur sehr schwer möglich ist,
3–5 Wochen in einer stationären Einrichtung zu
verbringen, sodass diese Lücke durch eine ambulante Reha
geschlossen werden könne [104]. Ein direkter Vergleich beider Konzepte ist allerdings kaum
möglich, da sie sich sowohl bezüglich des Inhalts und
der Frequenz als auch der Dauer deutlich unterscheiden.
Gemeinsam ist beiden Formen der Rehabilitation dennoch, dass sie einen
mehrdimensionalen und interdisziplinären Ansatz verfolgen und
eine Vielzahl von Einzeltherapiemaßnahmen umfassen [104]
[105]
[107]. So gibt es audiologische
Leistungen wie Anpassungskontrollen und Feineinstellungen der
Sprachprozessoren, audiometrische Kontrollen, Erläuterungen und
Empfehlungen zum Einsatz von CI-Zubehör und digitale
Übertragungsanlagen (DAÜ) und weitere Aspekte, die das
CI betreffen. Diese audiologischen Leistungen gehen mit
hörtherapeutischen Leistungen einher, die unter anderem
Übungen zur Geräuschwahrnehmung und -diskrimination,
Übungen zur rhythmisch-prosodischen Sprachstruktur,
Übungen zur Vokal- und Konsonantenunterscheidung sowie zum
Wortverstehen beinhalten [104]
[105]
[107]. Begleitet werden diese
Maßnahmen von unterstützender Therapie, wie
z. B. Physiotherapie. Die vorgenannten Maßnahmen
können in Einzel- oder Gruppentherapie durchgeführt
werden [104]
[105]
[107].
Von dem allgemeinen Begriff der CI-Rehabilitation (Folgetherapie) muss
der formale Begriff der Rehabilitation unterschieden werden. Nach
§8 (Rehabilitationsbedürftigkeit) der
Rehabilitationsrichtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses besteht
Rehabilitationsbedürftigkeit, wenn aufgrund einer
körperlichen, geistigen oder seelischen Schädigung
-
voraussichtlich nicht nur vorübergehende alltagsrelevante
Beeinträchtigungen der Aktivität vorliegen,
durch die in absehbarer Zeit eine Beeinträchtigung der
Teilhabe droht oder
-
Beeinträchtigungen der Teilhabe bereits bestehen und
-
über die kurative Versorgung hinaus der mehrdimensionale
und interdisziplinäre Ansatz der medizinischen
Rehabilitation erforderlich ist [93].
Mindestens 2 dieser Punkte sind regelhaft bei CI-Patienten
erfüllt, sodass auch eine „formale“
Rehabilitationsbedürftigkeit besteht.
Rein begrifflich sollte zwischen Patienten unterschieden werden, die
bereits früher gehört haben und bei denen diese
Fähigkeit wieder hergestellt werden soll (Rehabilitation im
eigentlichen Sinne) und Patienten, die noch nicht gehört haben
(z. B. gehörlos geborene Kinder). Bei letzteren sollte
im engeren Sinne eher der Begriff der „Habilitation“
verwendet werden, da es sich um eine neu zu erlernende Fähigkeit
handelt. Im Zusammenhang mit einer CI-Versorgung sind beide Aspekte in
dem Begriff „Rehabilitation“ vereint [104].
Besonderheiten der Rehabilitation bei Kindern
Gehörlos oder hochgradig schwerhörig geborene Kinder, die
mit einem CI versorgt werden, durchlaufen den Prozess der Rehabilitation
in einer sehr vulnerablen Phase des Hör- und Spracherwerbs [108]. Illig et al. haben 2017 Kinder,
die zwischen 1986 und 2000 mit einem Cochlea-Implantat versorgt wurden,
hinsichtlich ihres beruflichen und sozioökonomischen Status
untersucht. Hier konnte belegt werden, dass diese Kinder im Vergleich
zur normalhörenden Bevölkerung einen signifikant
schlechteren sozioökonomischen Status aufwiesen [109]. Es konnte auch gezeigt werden,
dass die Motivation der Eltern bei der Sprachentwicklung der Kinder von
besonderer Bedeutung war. Daraus folgt, dass die Ausweitung der
Rehabilitation auch auf die Eltern wichtig ist, um praktische Hilfen
für den „Höralltag“ zu vermitteln [106]. Die Autoren merken aber auch an,
dass diese Unterschiede in zukünftigen Generationen
wahrscheinlich geringer werden, da die CI-Versorgung heute in einem
erheblich früheren Lebensalter der Kinder durchgeführt
wird und die verwendeten Implantate auch eine technische
Weiterentwickelung erfahren haben [109]. Diese Studie weist am Beispiel CI-versorgter Kinder auf
die enorme Bedeutung der Hör- und Sprachförderung und
damit der Rehabilitation im Rahmen der CI-Versorgung hin.
2.1.4 Prozessabschnitt Nachsorge
An die Phase der Folgetherapie (CI-Rehabilitation) schließt sich die
Phase der Nachsorge an. Sie liegt verantwortlich bei der CI-versorgenden
Einrichtung als Betreiber des Implantats. Obwohl es keine exakten
gesetzlichen Vorgaben über Abstand und Inhalt der
Nachsorgeuntersuchungen gibt, ist offensichtlich, dass sich der
Nachsorgezeitraum auf die Dauer der Nutzung des Implantats beziehen muss.
Mit anderen Worten, solange der Patient das Implantat trägt, sollte
eine Nachsorge erfolgen. Die Nachsorge ist als eine
„Routine-Kontrolle“ zu verstehen, die die regelhafte
technische Funktion des Implantats und den erreichten Hörstatus des
Patienten evaluiert. Dieses sollte ausdrücklich sozialmedizinische
Aspekte der Hörbeeinträchtigung einschließen. Ein
wichtiges Ziel im Rahmen der Nachsorge ist die Feststellung der
Notwendigkeit weiterer therapeutischer Maßnahmen.
Es scheint weit verbreitet eine Nachsorge 1x jährlich
durchzuführen und diese inhaltlich auf folgende Aspekte zu richten
[1]:
2.1.4.1 Medizinische Nachsorge
Hierbei sollen über die Erhebung des HNO-medizinischen
Untersuchungsstatus Spätkomplikationen wie z. B.
Infektionen, Hautnekrosen oder Defekte am Gehörgang oder
Trommelfell ausgeschlossen werden
2.1.4.2 Audiologische Nachsorge
Zur Sicherung des Langzeiterfolgs und der regelhaften Funktion des
Implantats sollten regelmäßige
Hörprüfungen durchgeführt werden. Die Frage,
welche Hörprüfungen zur Anwendung kommen, ist eng
verknüpft mit der Indikationsstellung und dem erwarteten
Ergebnis einer CI-Versorgung (siehe Kapitel 2.1.1.1 und 2.3.2).
2.1.4.3 Hörtherapeutische Nachsorge
Zur Sicherung des Langzeiterfolgs der CI-Versorgung soll der Erfolg der
durchgeführten hörtherapeutischen
Rehabilitationsmaßnahmen sichergestellt werden. Hierzu ist eine
Evaluation durch die entsprechende Rehabilitationseinrichtung sinnvoll.
Im Bedarfsfall sollten erneute Rehabilitationsmaßnahmen
eingeleitet werden.
2.1.4.4 Sprachtherapeutische Nachsorge
Zur Sicherung des Langzeiterfolgs der CI-Versorgung soll der Erfolg der
durchgeführten sprachtherapeutischen
Rehabilitationsmaßnahmen sichergestellt werden. Hierzu ist eine
Evaluation durch die entsprechende Rehabilitationseinrichtung sinnvoll.
Im Bedarfsfall sollten erneute Rehabilitationsmaßnahmen
eingeleitet werden. Dieses betrifft vornehmlich prälingual
ertaubte Erwachsene und Kinder nach einer CI-Versorgung im Hinblick auf
den erfolgreichen Spracherwerb.
2.1.4.5 Technische Nachsorge
Neben der medizinischen sowie der hör- und sprachtherapeutischen
Nachsorge kommt der technischen Betreuung eine besondere Bedeutung zu.
Die regelmäßig durchzuführende Beratung sollte
die jeweils aktuelle Lebenssituation des Patienten
berücksichtigen, um damit auch die Notwendigkeit für
weitere technische Hilfen zum Nachteilsausgleich im Alltag (Beruf,
Schule, soziales Umfeld) zu beurteilen und ggf. zu verordnen
(z. B. DAÜ, Richtmikrofone usw.).
Die zweite Zielsetzung der technischen Nachsorge richtet sich auf die
Beurteilung der spezifikationsgerechten Funktion des CI bzw. die
Feststellung von Funktionsstörungen. Prinzipiell gilt
für jedes technische Gerät, dass es einen
Funktionsdefekt aufweisen kann. Bei Cochlea-Implantaten werden diese
Defekte in „Hard-Failure“, also objektivierbare
Fehlfunktionen, und „Soft-Failure“, Fehlfunktionen, die
sich nicht objektivieren lassen, unterteilt [110]. Zur Detektion dieser Fehlfunktionen werden sowohl
technische als auch audiometrische Messungen eingesetzt. Gerade die
Soft-Failures sind allerdings oft schwer einzugrenzen. Ulanovski et al.
haben in einer Studie gezeigt, dass 46% der Revisionsoperationen
bei Kindern aufgrund von Soft-Failures durchgeführt wurden [111]. Dieses demonstriert die
Wichtigkeit regelmäßiger Nachsorgeuntersuchungen.
Besonderheiten telemedizinische Nachsorge
Aktuell gibt es verschiedene Bestrebungen, zumindest Teile der Nachsorge
dezentral über sog. „Remote-Care-Verfahren“
(telemedizinische Methoden) durchzuführen. Cullington et al.
haben 2018 ihre Ergebnisse einer randomisierten kontrollierten Studie zu
Remote-Care in Großbritannien veröffentlicht, in der sie
zeigen konnten, dass Remote-Care eine gute Alternative zur
herkömmlichen Nachuntersuchung ist [112]. Allerdings merken die Autoren einschränkend an,
dass nur Freiwillige, also besonders motivierte Teilnehmer in die Studie
eingeschlossen wurden. Eine abschließende Beurteilung dieses
Ansatzes steht daher gegenwärtig aus.
Beurteilung Nachsorge
Die Nachsorge in der CI-Versorgung umfasst verschiedene Teilaspekte der
langfristigen Sicherstellung der Hörrehabilitation. Diese
umfasst die medizinische, audiologische, hörtherapeutische,
sprachtherapeutische und technische Nachsorge. Diese sollte lebenslang,
bzw. über die Dauer der Nutzung des CI erfolgen und liegt in der
organisatorischen Verantwortung der CI-Klinik.
2.2 Strukturqualität am Beispiel Cochlea-Implantat
Strukturqualität beschreibt alle strukturellen Anforderungen, die
erfüllt werden müssen, um die vorgesehene medizinische
Versorgung mit der zuvor definierten Prozessqualität erbringen zu
können. Prinzipiell können verschiedene Ebenen der
Strukturbetrachtung unterschieden werden. So ist die Strukturqualität
einer CI-Versorgung in einer epidemiologischen Betrachtung ausgerichtet auf die
Anzahl der zu Verfügung stehenden Zentren pro Einwohner, die Anzahl und
den Zugang zu Rehabilitationseinrichtungen, die Regelung der
Kostenübernahme oder die Anzahl der in diesem Land geplanten
Versorgungen (z. B. Bedarfsplanung). Die Strukturqualität muss
aber auch auf der Ebene einer einzelnen CI-versorgenden Einrichtung betrachtet
werden. In der folgenden Darstellung soll daher auf die lokalen Anforderungen an
die Strukturqualität eingegangen werden. Schwerpunkte sind hier die
relevanten Strukturmerkmale der personellen, räumlichen und technischen
Ausstattung ([Abb. 4]).
Abb. 4 Notwendige zusätzliche Strukturqualität
einer CI-versorgenden Klinik neben den zur Krankenversorgung
üblichen Strukturen.
In einer Qualitätsbetrachtung darf davon ausgegangen werden, dass die
„regulären Fähigkeiten“ einer Klinik die
üblichen medizinischen Standards eines Krankenhauses in Bezug auf die
Behandlung von Patienten erfüllen. Diese Aspekte sind i.d.R.
über separate Mechanismen, wie z. B. eine ISO-Zertifizierung
eines Krankenhauses, abgedeckt. Daher richtet sich die Zielsetzung der
Betrachtung einer Strukturqualität für die CI-Versorgung
primär auf die Fähigkeit einer Einrichtung die
zusätzlichen, d. h. spezifischen Leistungen des (gesamten)
CI-Versorgungsprozesses, zu erbringen.
Historisch hat sich die Struktur der meisten CI-Kliniken
„evolutionär“ entwickelt. Als die CI-Versorgung Mitte
der 1980er Jahre in Deutschland eingeführt wurde, befand sich die
Methode noch ganz am Anfang im Hinblick auf die erreichbaren Ziele einer
Hörverbesserung. Auch bestand nur individuelle Erfahrung einzelner an
dem Prozess beteiligter Ärzte, Audiologen oder Pädagogen in
Bezug auf die notwendigen begleitenden Therapiemaßnahmen. Diese
Erfahrung einzelner Einrichtungen hat dann im Verlauf der Jahrzehnte ihre
Verbreitung in viele Kliniken gefunden, ohne dass es einen einheitlichen,
verbindlichen Standard gegeben hätte. Aus den praktischen Erfahrungen
Einzelner haben sich dann die Strukturen der meisten CI-Zentren entwickelt.
Daher existieren kaum wissenschaftliche Arbeiten, die sich mit einer
Klinikstruktur oder dem Vergleich von Strukturen verschiedener Kliniken
für die Darstellung der CI-Versorgung befassen [113]. Einzelne Arbeiten (z. B. Sladen
et al.) belegen aber durchaus den sinnvollen Einsatz einer
qualitätsgerichteten Betrachtung, z. B. mithilfe der
„Kaizen-Methode“, um Strukturen, Prozesse und Ergebnisse einer
CI-Versorgung positiv zu steuern [114]. In den
nun folgenden Abschnitten soll die Strukturqualität für die
CI-Versorgung einer einzelnen Einrichtung betrachtet werden. Im Einzelnen sind
dies die:
-
Personelle Struktur
-
Räumliche Struktur
-
Apparative Struktur
2.2.1 Personelle Struktur
Mit der „personellen Struktur“ werden 2 Aspekte adressiert:
Zum einen die Anzahl und zum anderen die Qualifikation der Mitarbeiter. Zum
gegenwärtigen Zeitpunkt werden weder die Anzahl noch die
Qualifikation der Mitarbeiter für den Prozess der CI-Versorgung
gesetzlich vorgegeben.
Ebenso wenig gibt es für die CI-Versorgung wissenschaftliche Studien,
die sich der Qualität einer CI-Versorgung in Abhängigkeit
von der Tätigkeit bestimmter Berufsgruppen zuwenden. Dennoch
reflektiert die langjährige Erfahrung großer CI-versorgender
Einrichtungen einen „best-practice-standard“ bzw. eine
„Experten-Meinung“, die eine aus der Realität
abgeleitete Empfehlung der Personalressourcen mit sich bringt.
Prinzipielle Betrachtungen lassen sich zunächst auf die Frage einer
möglichen Definition der „Mindestausstattung“ einer
Einrichtung ausrichten. Auch wenn wiederum hierzu keine wissenschaftlichen
Analysen vorliegen, ist doch offensichtlich, dass die den
CI-Versorgungsprozess erbringenden Berufsgruppen mindestens in einer
Doppelbesetzung an einer Einrichtung vorhanden sein sollten. Dies ist schon
allein im Alltag notwendig, um eine durchgehende Versorgung der betreuten
CI-Patienten, auch im Urlaubs- oder Krankheitsfall der Leistungserbringer,
sicherstellen zu können (z. B. unmittelbare
Möglichkeit zum Implantat-Austausch bei technischem
Implantat-Defekt).
Im Hinblick auf die Zusammensetzung der Personalstruktur steht die Erbringung
einer komplexen, interdisziplinären Leistung im Vordergrund. Dies
macht, allgemein unstrittig, die Nutzung eines interdisziplinären
Teams mit sich ergänzenden Kernkompetenzen erforderlich. Die
Schlüsselbereiche dieses Teams umfassen mindestens die medizinische,
audiologische, technische und pädagogische Expertise der Handelnden.
Auch wenn im Einzelnen unterschiedliche Berufsbezeichnungen bzw. formale
Qualifikationen denkbar sind, sollte dennoch eine Mindestqualifikation
angestrebt werden. Zweifelsohne existiert hier Raum für eine
kritische Diskussion. Einen konstruktiven Ansatz hat die DGHNOKHC mit der
Erstellung des „Weißbuchs Cochlea-Implantat-Versorgung in
Deutschland“ (Version 2018) gewählt, in dem hier
Berufsbilder und Qualifikationen eines für den CI-Versorgungsprozess
zusammengestellten interdisziplinären „Teams“
konkretisiert wurden [4]. Diese
umfassen:
-
Facharzt Hals-Nasen-Ohrenheilkunde (spezialisiert auf implantierbare
Hörsysteme)
-
CI-spezialisierter Audiologe
-
Hörtechniker
-
Sprachtherapeuten
-
Facharzt Phoniatrie und Pädaudiologe
-
Audiologie-Assistent
-
Medizinischer Fachangestellter
2.2.1.1 Facharzt Hals-Nasen-Ohrenheilkunde (spezialisiert auf
implantierbare Hörsysteme)
Die CI-Operation ist ein mikrochirurgischer Eingriff, dessen
Schlüsselschritt die atraumatische Insertion des
Elektrodenträgers in die Cochlea ist [1]
[76]. Diese Operation scheint sich
zunächst nicht wesentlich von der Durchführung anderer
mittelohr- oder felsenbeinchirurgischer Eingriffe zu unterscheiden.
Dennoch stellt die Verwendung unterschiedlicher Implantat-Systeme
(Hersteller) mit einer Vielzahl von möglichen Elektrodensystemen
erheblicher Anforderungen an die chirurgische Expertise. Dies gilt
insbesondere auch vor dem Hintergrund der operativen Versorgung sehr
junger Kinder und der Versorgung von Patienten mit
Innenohr-Fehlbildungen.
In der Chirurgie allgemein, aber zweifelsohne auch in der CI-Chirurgie,
existiert eine Lernkurve, die jeder Chirurg durchläuft [115]
[116]. Diese bezieht sich sowohl auf
das Erlernen, das Bewahren, aber auch auf die Aktualisierung des
individuellen chirurgischen Könnens. Es ist wohl
bewährte Praxis, dass nur in ohr- und mikrochirurgischen
Eingriffen erfahrene Operateure eine CI-Operation durchführen,
auch wenn dies gesetzlich oder standesrechtlich nicht vorgegeben ist.
Eine spezifische Zusatzbezeichnung, z. B.
„Implantierbare Hörsysteme“, analog etwa zu der
Zusatzbezeichnung „plastische Operationen“ mit eigenem
Inhalt, Mindest-OP-Katalog und separater Prüfung existiert bis
dato nicht.
Untrennbar verbunden mit der Frage der Qualifikation und Spezialisierung
ist die Diskussion einer „Mindestmenge“ für
einen definierten Eingriff. Diese Mengenbeschreibung impliziert, dass
über die Frequenz der Durchführung eines Eingriffs
sowohl die Ausbildung, das Training als auch die Aktualisierung des
Wissens und des „Könnens“ erhöht werden.
Eine Mindestmenge existiert gegenwärtig für den Bereich
der CI-Versorgung weder für eine Einrichtung noch für
den individuellen Operateur. In anderen medizinischen
Versorgungsbereichen haben hier in der Vergangenheit durchaus
umstrittene Festlegungen stattgefunden. Bei der Einführung durch
den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) 2004 wurden insgesamt 7
medizinische Eingriffe mit einer Mindestmengenregelung belegt. Zu diesen
gehören:
-
Lebertransplantation (inkl. Teilleber-Lebendspende)
-
Nierentransplantation (inkl. Lebendspende)
-
Operationen von Speiseröhrenkrebs und andere komplexe
Eingriffe am Ösophagus
-
Operationen von Bauchspeicheldrüsenkrebs und andere
komplexe Eingriffe am Pankreas
-
Stammzelltransplantationen
-
Kniegelenk-Totalendoprothesen
-
Versorgung von Früh- und Neugeborenen mit einem
Geburtsgewicht von unter 1250 Gramm
Befürworter einer Mindestmengenregelung für die
CI-Versorgung führen an, dass es bei der Vielzahl an
verfügbaren Implantaten (aktuell vier Hersteller mit
über 12 Elektroden im Portfolio) einer „gewissen
Menge“ an Operationen pro Jahr erfordere, um ein
„ausreichendes Training“ zu haben. Nur so sei es
möglich alle Prozessbeteiligten auf dem aktuellen Stand der
Technik und Wissenschaft zu halten. Gegner führen an, dass keine
Belege für den Bereich der CI-Versorgung existieren, die eine
Notwendigkeit einer Mindestmenge rechtfertigen würden. Beide
Positionen sind prinzipiell nachvollziehbar, sodass die
abschließende Klärung dieser Frage gegenwärtig
aussteht.
In anderen Bereichen der medizinischen Versorgung wurden hierzu bereits
Untersuchungen durchgeführt. Nimpstch und Mansky (2017) haben
hierzu 25 verschiedene Eingriffe in Deutschland anhand der DRG-Daten von
2009 bis 2014 analysiert [117]. Die
Ergebnisse zeigen, dass bei 20 von 25 Eingriffen, die sich von
Notfalleingriffen wie Herzkatheteruntersuchungen bei einem akuten
Myokardinfarkt bis hin zu Elektiveingriffen wie
Leistenhernienoperationen erstrecken, ein Zusammenhang zwischen der
Anzahl der Operationen und der Mortalität feststellen
ließ. Dies galt v. a. für komplexere Eingriffe
[117]. Diese und weitere Studien
haben die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und
Viszeralchirurgie in der Folge veranlasst, für die von ihr
vergebenen Zertifizierungen deutlich höhere Mindestmengen zu
fordern [118].
Zusammenfassend erscheint es unumgänglich, die
qualitätsrelevante Diskussion zu objektivieren und eine
verbesserte Datenlage zu erstellen. Dieses könnte z. B.
über die Einführung des von der DGHNO-KHC geplanten
nationalen CI-Registers erfolgen, um hier wissenschaftliche Evidenz zu
schaffen, die dann möglicherweise eine klare Positionierung zu
Frage der Qualifikation und Mindestmenge einer Einrichtung und eines
CI-Chirurgen geben kann. Die Beantwortung dieser Frage sollte unter
fachlicher Führung der für den CI-Versorgungsprozess
federführenden Fachgesellschaft – der DGHNO-KHC
– erfolgen.
2.2.1.2 CI-spezialisierter Audiologe
Aktive Implantate wie Cochlea-Implantate, gehören nach der
europäischen Richtlinie 90/385EWG und
Medizinproduktegesetz zur höchsten Risikoklasse (III) von
Medizinprodukten [119]
[120]
[121]. Dies ist unter anderem darin
begründet, dass CI über den N. cochlearis Anteile des
zentralen Nervensystems stimulieren. Im Gegensatz dazu gehören
konventionelle Hörgeräte zu einer deutlich niedrigeren
Risikoklasse (IIa). Zudem unterscheidet sich der Anpassvorgang von CIs
aufgrund ihrer Funktionsweise grundlegend von der Anpassung von
Hörgeräten. Während Hörgeräte
eine an der Hörschwelle orientierte Verstärkung
akustischer Signale vermitteln, werden für die Anpassung von
CIs, als elektronische Neuroprothesen, hochspezialisierte Kenntnisse und
Erfahrungen vorausgesetzt. Diese gehen weit über die initiale
Einstellung des CI-Audioprozessors hinaus. Es müssen
z. B. Problemlösungsstrategien und Umprogrammierungen
erarbeitet werden können, um unerwünschte Nebenwirkungen
(z. B. Fazialisstimulation) zu beherrschen. Die sinnvolle
Kombination von Restgehör und Elektrostimulation, die
interdisziplinäre Betreuung des CI-Trägers, die
wissenschaftlich-basierte audiologische Begleitung und viele andere
komplexe Aspekte der audiologischen CI-Versorgung sind weiterhin
gefordert. Aus den genannten Gründen sollte daher zur
audiologischen Betreuung eine naturwissenschaftlich-technisch
ausgebildete Person mit grundlagenorientierten Kenntnissen als Teil des
interdisziplinären Teams zur Verfügung stehen.
Einen strukturell neuen Ansatz zur Beschreibung dieses
Tätigkeitsinhalts und eines Ausbildungscurriculums hat die
Deutsche Gesellschaft für Audiologie (DGA) kürzlich mit
der Veröffentlichung der Weiterbildung zum
„CI-Audiologen (DGA)“ geschaffen [122]. Ziel dieser Weiterbildung ist die
Vermittlung der notwendigen anatomischen, medizinischen und
technisch-physikalischen Kenntnisse, die zur audiologisch-technischen
Betreuung von Patienten mit einem CI erforderlich sind. Voraussetzung
für den Beginn der Weiterbildung ist eine audiologisch
orientierte Qualifikation, bspw. als Bachelor in einem audiologischen,
naturwissenschaftlichen, pädagogischen oder technischen Gebiet
oder Bachelor-Äquivalent im Sinne des „General
Audiologist“ (EFAS) [122].
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist diese von der DGA vorgeschlagene
Qualifikation sicher als wegweisend zu betrachten, auch wenn sich
hieraus noch keine zwingende Notwendigkeit einer Umsetzung ergibt. Die
inhaltliche Ausrichtung und Strukturierung wird aber sicher Einfluss auf
zukünftige qualitätssichernde Maßnahmen und
damit nicht zuletzt auch auf die Qualifikation von Mitarbeitern haben.
Aus einer inhaltlichen Betrachtung sollte die Qualifikation von
Audiologen in der CI-Betreuung zumindest deutlich „in
Anlehnung“ an das beschriebene Curriculum erfolgen. Dieser
Qualifikationsweg sollte damit auch Personen mit einem abgeschlossenen
Medizinstudium offenstehen. Es bleibt abzuwarten, ob andere
Fachgesellschaften ein vergleichbares Ausbildungs- und
Qualifikationscurriculum entwickeln werden.
2.2.1.3 Hörtechniker
Obwohl der Begriff des „Hörtechnikers“ bisher
nicht eindeutig in einer Berufsordnung oder einem Ausbildungscurriculum
niedergelegt ist, wird im Gegensatz zum „CI-spezialisierten
Audiologen“ die Qualifikations- und
Tätigkeitsbeschreibung dieser Person in der praktischen
Umsetzung der audiologischen Arbeit mit einem CI-Patienten gesehen. Auch
das Weißbuch der DGHNOKHC definiert den Hörtechniker als
„im Bereich technischer Hörhilfen ausgebildeten
Mitarbeiter mit technischem Berufsabschluss; z. B. FH-Absolvent
Audiologie und
Hörtechnik/Hörgerätetechnik mit
berufspraktischer Erfahrung oder Hörakustiker-Meister mit
Fortbildung im CI-Bereich“ [4].
2.2.1.4 Sprachtherapeuten
Eine wesentliche Grundlage auf dem Weg zu einem erfolgreichen
CI-Versorgungsprozess beruht auf der Umsetzung der notwendigen
hör- und sprachrehabilitativen Maßnahmen. Aus der
praktischen Erfahrung ist hierbei die Arbeit von z. B.
Sprachheillehrern, Logopäden, Sprachheilpädagogen,
Sprachtherapeuten und anderen in diesem Feld tätigen
Berufsgruppen unverzichtbar [104].
2.2.1.5 Facharzt für Phoniatrie und
Pädaudiologie
Die Diagnostik von kindlichen peripheren Hörstörungen und
die Beratung liegen in den Händen der Fachärzte
für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde und für Phoniatrie und
Pädaudiologie. Die weit über die Diagnostik und rein
technische Komponente der CI-Versorgung hinausreichende Betreuung und
Führung der Familien betroffener Kinder sollte die regelhafte
Beteiligung von Fachärzten für Phoniatrie und
Pädaudiologie in die Diagnostik und den weiteren
Versorgungsprozess einschließen. Dies gilt insbesondere
für die wiederkehrend notwendige Beurteilung der Sprachstands-
und psychosozialen Entwicklung CI-versorgter Kinder.
2.2.1.6 Audiologie Assistent
Zur praktischen Durchführung der notwendigen audiologischen
diagnostischen Maßnahmen
(Hörgeräte-Überprüfung, AEPs usw.), ist
die Beteiligung der spezifisch für diese Tätigkeiten
qualifizierten Berufe empfehlenswert. Diese als
„Audiologie-Assistenten“ oder „MTA-F
(Audiologie)“ bezeichneten Qualifikationen sichern aufgrund
ihrer fachspezifisch- audiologischen Ausbildung ein hohes Maß an
diagnostischer Qualität, die die fundamentale Grundlage der
Diagnosestellung und des späteren Therapieerfolgs der
CI-Versorgung darstellt [123]
[124].
2.2.1.7 Medizinischer Fachangestellter
Die kontinuierliche Sicherung und damit notwendige Organisation einer
lebenslangen Nachsorge nach der CI-Versorgung stellt besondere
Anforderungen an die Struktur einer CI-versorgenden Einrichtung.
Darüber hinaus liegt bei vielen CI-Patienten eine dauerhafte
Einschränkung der Kommunikationsfähigkeit vor, die meist
mit einer erheblichen zeitlichen Steigerung des Kommunikationsaufwands
einhergeht. Dieser Umstand erfordert eine separate
Organisationsstruktur, die die Beschäftigung eines Medizinischen
Fachangestellten notwendig erscheinen lässt.
Beurteilung Personelle Struktur
Auch wenn bisher keine verbindlichen Vorgaben zur personellen Struktur im
Hinblick auf die Quantität und Qualifikation der Mitarbeiter
existieren, stellen die Empfehlungen der DGHNO-KHC (Weißbuch CI)
und der DGA (CI-Audiologe) wichtige Orientierungspunkte für die
Umsetzung einer adäquaten Strukturqualität im Rahmen der
CI-Versorgung dar [4]
[122].
2.2.2 Räumliche Struktur einer CI-versorgenden
Einrichtung
Die räumliche Struktur ergibt sich aus der Umsetzung der einzelnen
Tätigkeiten, wie sie im Abschnitt Prozessqualität (Kapitel
2.1) beschrieben wurden. Hierzu gibt es erwartungsgemäß
keine wissenschaftlichen Studien, die eine Mindestzahl an Räumen
vorschreiben oder evaluieren würden, um den CI-Versorgungsprozess
abzubilden. Zum einen ergeben sich aber aus der Detailbetrachtung der
Einzelmaßnahmen klare Grundzüge einer räumlichen
Struktur, die als notwendig erscheinen. Die vollständige Umsetzung
der Prozessstruktur setzt damit definierte räumliche Bedingungen
voraus. Zum anderen existieren eine Reihe von baulichen Vorschriften, denen
v. a. im Bereich Hygiene, Arbeitssicherheit und Akustik
genüge getan werden müssen [125]. Beispielhaft sei für den Bereich der Audiologie auf
die DIN EN ISO Normen verwiesen, die auf bauliche Voraussetzungen eingehen.
Die sich aus der zuvor beschriebenen Prozessstruktur ableitende
räumliche Struktur einer CI-versorgenden Einrichtung betrifft daher
sowohl den Bereich der Diagnostik als auch der Therapie. Wiederum hat die
DGHNOKHC hier eine konkrete Ausformulierung einer Mindeststruktur erstellt,
die nach Anzahl der betreuten Patienten numerisch angepasst werden sollte.
Diese räumlichen Strukturen umfassen im Wesentlichen (in Anlehnung
an das Weißbuch der DGHNO) [4]:
2.2.2.1 Untersuchungs- und Behandlungsraum
Zur regulären HNO-ärztlichen Untersuchung und Behandlung.
Mit üblicher technischer Ausstattung (z. B.
HNO-Untersuchungseinheit).
2.2.2.2 Räume für audiometrische und
vestibuläre Untersuchungen
-
Hörkabine
Zur Durchführung der einfachen audiometrischen
Basis-Untersuchungen (z. B. Tonaudiometrie, Tympanometrie,
OAE-Messung usw.). Zahlreiche Vorschriften existieren in Bezug auf die
baulichen und technischen Besonderheiten, die zum Betrieb beachtet
werden müssen (z. B. DIN ISO 8253) [12].
-
Hörkabine für Freifeldaudiometrie
Ein ausreichend dimensionierter, schallisolierter Messraum sollte zur
Durchführung der komplexen audiometrischen Untersuchungen, wie
Hörgeräteüberprüfung im Freifeld (mit
und ohne Störschall) sowie Lautheitsskalierung vorhanden sein.
Zahlreiche Vorschriften existieren in Bezug auf die baulichen und
technischen Besonderheiten, die zum Betrieb beachtet werden
müssen (z. B. DIN ISO 8253–2) [126].
-
Freifeldkabine zur Prüfung des
Richtungshörens
Dieser Raum sollte vorhanden sein, um eine Überprüfung
und ein Training des Richtungshörens für CI-versorgte
Patienten zu ermöglichen.
-
Messkabine zur AEP-Messung
Für die Durchführung einer qualitativ hochwertigen
Messung der akustisch evozierten Potenziale wird eine hinreichende
elektromagnetische Abschirmung des Untersuchungsraums benötigt.
Diese erfordert meist spezifische bauliche Maßnahmen, wie
Schall- und Elektroisolierung für die Untersuchungen
(z. B. BERA, ASSR, CERA usw.). Die Untersuchung von Kindern
erfordert in der Regel auch die Möglichkeit zur
Narkose/Sedierung in diesen Räumlichkeiten mit
entsprechender baulicher und technischer Ausstattung [127].
-
Kinderaudiometrie
Die qualitätsgesicherte Diagnostik von Patienten im Kindesalter
benötigt in der Regel spezifische bauliche und technische
Ausstattungen. Hierzu zählt z. B. ein „Mainzer
Kindertisch“, der meist eine separate räumliche
Zuordnung erfordert.
-
Vestibuläre Diagnostik
Zur Durchführung der neurootologischen Diagnostik (z. B.
VEMP, KIT, kalorische Prüfung, Drehstuhl-Prüfung,
optokinetische Tests usw.).
2.2.2.3 Operationssaal
Ein Operationssaal für CI-Operationen muss zunächst
formal keine besonderen Voraussetzungen gegenüber anderen
OP-Sälen erfüllen. Dennoch muss beachtet werden, dass
ggf. die Notwendigkeit zur Durchführung von intraoperativen
Messungen, wie z. B. Elektrocochleografie oder einer E-BERA,
besteht. Daher sollte der verwendete OP-Saal im Hinblick auf die
elektromagnetische Verträglichkeit für die
entsprechenden Messverfahren untersucht werden, um bei entsprechender
Eignung diese Messungen zu ermöglichen. Auch ist die bauliche
und technische Möglichkeit zur Durchführung
intraoperativer Röntgenuntersuchungen zu beachten (zum
Ausschluss einer Fehllage des CI-Elektrodenträgers).
OP-Säle unterliegen darüber hinaus einer Vielzahl von
Vorgaben, die u. a. Hygienevorschriften und
Arbeitssicherheitsvorschriften betreffen [125]
[128]
[129].
2.2.2.4 Weitere Räume
-
Raum zur Anpassung und Überprüfung
technischer Hörhilfen
Zur Anpassung und Überprüfung von technischen
Hörsystemen (Hörgerät, CI, implantierbare
Hörgeräte, usw.) mit gesondert erforderlicher
technischer Ausstattung (Hörgeräte-Messbox,
Insitu-Audiometrie, Anpassplatz mit Hard- und Software für
konventionelle Hörgeräte und implantierbare Systeme
verschiedener Hersteller). Die Durchführung dieser
Untersuchungsabläufe erfordert in der Regel eine separate
räumliche Umsetzung.
2.2.3 Apparative Ausstattung der CI-Versorgenden Einrichtung
Analog zur räumlichen Ausstattung gilt, dass adäquate
Geräte für die einzelnen Berufsgruppen zur Untersuchung zur
Verfügung stehen müssen. Hier liegt das Augenmerk
v. a. auf den Möglichkeiten der audiologischen und
vestibulären Diagnostik. Medizinprodukte zur Bestimmung der
Hörfähigkeit (Ton- und Sprachaudiometer) unterliegen in
Deutschland vielfältigen Normen und Anforderungen (z. B.
jährliche Kalibrierung und sicherheitstechnische Kontrollen) [130].
Aus den zuvor beschriebenen Arbeitsprozessen lassen sich damit u. a.
folgende ausstattungskritische Geräte und Methoden ableiten:
2.2.3.1 Audiologische Ausstattung
-
Klinische Audiometer,
-
Freifeldaudiometrie
-
Impedanzaudiometer
-
Messsystem zur Erfassung der otoakustischen Emissionen
-
Sprachaudiometrie (Ruhe und Störschall)
-
Lautheitsskalierungs-Messplatz
-
Hörgeräte-Messbox
-
Insitu-Audiometrie
-
System zur Ableitung AEP (inklusive BERA, frequenzspezifische
ASSR und CERA)
-
Gerät zur Durchführung der
extra-cochleären elektrischen Stimulation
(Promontoriumstest)
-
Kinderaudiometrie-Einrichtung („Mainzer
Kindertisch“)
2.2.3.2 Vestibuläre Diagnostik
2.2.3.3 Spezielle Ausstattung Operationssaal
-
Neuromonitoring EMG für N. facialis
-
OP Mikroskop
-
Mikrochirurgisches Instrumentarium
-
Zugriff auf intraoperative radiologische Diagnostik
(z. B. konventionelles Röntgen oder DVT)
2.3 Ergebnisqualität am Beispiel Cochlea-Implantation
Um die Ergebnisqualität einer CI-Versorgung zu beurteilen, muss
zunächst eindeutig festgelegt sein, welche Zielparameter ein
„gutes Ergebnis“ definieren. Prinzipiell können diese in
mindestens 3 Bereiche unterschieden werden ([Abb.
5]):
Abb. 5 Dimensionen der Ergebnisqualität bei der
CI-Versorgung
-
die chirurgischen Ergebnisse,
-
die audiologischen Ergebnisse, und
-
die Veränderung der Lebensqualität.
Für die Beurteilung des chirurgischen Ergebnisses ergibt sich
zunächst die Abwesenheit von Komplikationen als ein unabdingbares Ziel.
Die alleinige Abwesenheit einer Komplikation stellt aber für die
Betrachtung der gesamten CI-Versorgung noch keine Verbesserung der
Ausgangssituation des betroffenen Patienten dar. Erst die Verbesserung des
Tongehörs und/oder der Sprachdiskrimination (audiologische
Ergebnisse) sowie schlussendlich die daraus resultierende Verbesserung der
Kommunikationskompetenz, der Teilhabe und der Lebensqualität stellen
für den Patienten ein tatsächlich relevantes Resultat der
CI-Versorgung dar.
Die Beurteilung und Wertung dieser Ergebnisse sind mit einer Reihe von
Herausforderungen verbunden, die nur teilweise gelöst sind.
Während für die rein chirurgische Betrachtung relativ einfach
eindeutige Ergebnisparameter bestimmt werden können (z. B. das
Auftreten einer postoperativen Facialisparese), ist dies für die
audiologische Ergebnisbeurteilung und auch für die Beurteilung der
resultierenden Kommunikations- und Lebensqualität deutlich komplexer.
Diese Komplexität resultiert zum einen aus der Diskussion, welches
Testverfahren die optimale Aussagekraft für die Beurteilung der
Sprachdiskrimination eines Patienten aufweist. Zum anderen stellt sich
zwangsläufig die Frage der audiologischen Grundlagen der
Indikationsstellung, des erreichten Zugewinns an Sprachverstehen und der
Definition eines Mindestzielwertes des Sprachverstehens. Aus dieser Betrachtung
kann, in Abhängigkeit vom Ausgangswert, eine relative Verbesserung
z. B. um 30% (im Freiburger Einsilbertest bei 65 dB) ein
„gutes“ oder auch ein „schlechtes“ Ergebnis
sein, je nach dem, auf welchem Niveau sich das Ausgangsgehör befunden
hat. Im Fall einer kompletten Taubheit stellt ein Zugewinn um 30% eine
andere Ergebnisqualität dar als eine Verbesserung um 30 von 50 auf
80% im Sprachverständnistest. Erschwerend kommt hinzu, dass
keineswegs immer die absolute Höhe des erreichten Prozentwertes mit der
Zufriedenheit oder gar der Lebensqualität korrelieren muss. Ein
gehörlos geborener erwachsener Patient beurteilt vermutlich ein Ergebnis
von 30% Einsilberverstehen im Freiburger Sprachtest bei 65 dB
deutlich positiver als ein mit einem CI versorgter, kurzzeitig einseitig
ertaubter Patient, der zuvor beidseitig normalhörend war.
Im Folgenden sollen daher die aktuell diskutierten Parameter zur Beurteilung der
Ergebnisqualität einer CI-Versorgung erörtert werden.
2.3.1 Chirurgische Ergebnisse
Die Ergebnisqualität der Operation richtet sich zunächst auf
die Frage, ob der CI-Stimulator erfolgreich implantiert werden konnte. Dies
schließt besonders auch die regelhafte Insertion des
Elektrodenträgers ein. Weiterhin ist die Abwesenheit von
eingriffsbedingten Komplikationen relevant. Die Definition einer
Komplikationen ist vielschichtig, da nicht jede Nebenwirkung als
Komplikation zu betrachten ist (z. B. kurzzeitiger Schwindel). Auch
können Komplikationen zu unterschiedlichen Zeitpunkten auftreten,
die auch z.T. deutlich nach der Entlassung aus der stationären
Behandlung liegen können (z. B. Wundinfektionen). In der
Literatur finden sich eine Vielzahl von Arbeiten, die den Versuch der
Auflistung relevanter Parameter einer Ergebnisqualität unternehmen.
Hieraus ergeben sich folgende Punkte, die im Rahmen einer CI-Versorgung
erhoben werden sollten:
2.3.1.1 Implantation und Frühkomplikationen
-
Nervenschäden (v. a. N. facialis und Chorda
tympani)
-
stärkere Blutung (z. B. aus dem Sinus
sigmoideus)
-
Liquorleck
-
Ossikelverletzungen
-
Stapessehneverletzungen
-
Trommelfellperforation
-
Verletzungen der Gehörgangswand
-
Probleme bei der Elektrodeninsertion
-
Anästhesieprobleme
-
Nahtdehiszenz
-
Infektion
-
Emphysem
-
Hämatom
-
Serom
-
Gesichtsödem
-
Fazialisparese
-
Trommelfelldefekt
-
Fazialisstimulation
-
Schmerzen
-
Schwindel
-
Tinnitus
-
Geschmacksstörung
2.3.1.2 Spätkomplikationen
Je nach Dauer des Untersuchungszeitraums kann es auch zu sog.
Spätkomplikationen kommen. Hier werden unter anderem folgende
Komplikationen genannt [131]
[132]:
-
Hautlappenprobleme
-
Keloid
-
Otapostasis
-
Cholesteatom
-
Gehörgangsarrosion
-
Elektrodendurchwanderung
-
Geräteausfall
2.3.1.3 Standardisierte Erhebung
Die systematische und einheitliche Erhebung von Komplikationen hat damit
ohne Zweifel eine zentrale Bedeutung für die Beurteilung der
chirurgischen Ergebnisqualität. Zum gegenwärtigen
Zeitpunkt existiert noch keine standardisierte Dokumentation der
CI-Versorgung. Vorschläge hierzu wurde bereits in der
Vergangenheit u. a. von Adunka et al. oder Santa-Maria et al.
präsentiert [13]
[77]. Diese umfassen z. B.
folgende Parameter:
-
Operationsseite (links/rechts)
-
Elektrodenträgertyp (gerade/vorgeformt)
-
Elektrodenträgerlänge
-
Insertionstiefe (mm, sowie Anzahl der Kontakte, die
außerhalb der Cochlea bleiben)
-
Zugangsweg in die Cochlea (Rundfenster/Cochleostomie)
-
Steroidgabe (systemisch/intratympanal)
-
Anatomische Auffälligkeiten
-
Komplikationen (siehe oben)
Zusammenfassung chirurgische Ergebnisse
Die Ergebnisqualität der chirurgischen Komponente der
CI-Versorgung ist einer der Schlüssel einer strukturierten
Qualitätssicherung. Die Entwicklung eines einheitlichen
(nationalen) Standards der zu erhebenden chirurgischen Zielparameter ist
ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Qualitätssicherung in
der CI-Versorgung.
2.3.2 Audiologische Ergebnisse
Die Indikation einer CI-Versorgung besteht in der beabsichtigten Verbesserung
des Hör- und Sprachverstehens. Entsprechend kommt den audiologischen
Verfahren bei der Bestimmung der Ergebnisqualität eine
Schlüsselrolle zu. Wie bereits zuvor beschrieben (Kapitel 2.1.1.1
„audiologische Diagnostik“), ist die Beurteilung der
audiologischen Ergebnisqualität untrennbar mit der
Indikationsstellung zur CI-Versorgung verknüpft. Dies ist der Fall,
da die angewendeten audiologischen Testverfahren sowohl für die
Indikationsstellung als auch für die Erhebung der Verbesserung nach
der CI-Versorgung eingesetzt werden. Es sollen daher nun die bereits unter
Kapitel 2.1.1.1 beschriebenen Testverfahren (Tonaudiometrie, Freiburger
Sprachtest, Göttinger Satztest, Oldenburger Satztest) hinsichtlich
ihrer Relevanz für die Ergebnisqualität erörtert
werden.
2.3.2.1 Tonaudiometrie
In der Bewertung der Ergebnisse der CI-Versorgung hat die Tonaudiometrie
ihren größten Stellenwert für die Beurteilung
des Resthörerhalts. Wie unter 2.1.1.1 beschrieben ist bei
Patienten mit Tiefton-Restgehör eine Erhaltung dieser
natürlichen Hörleistung von hoher funktioneller
Bedeutung. Daher ist die Tonaudiometrie als Methode zur Beurteilung des
Ergebnisparameters „Restgehör“
unerlässlich. Nach Literaturlage wird empfohlen, bei Patienten
mit Resthörigkeit regelhaft folgende Frequenzen zu erheben [13]
[19]:
Luftleitung:
125–250–500–750–1000–1500–2000–4000–8000 Hz.
Knochenleitung:
250–500–750–1000–1500–2000–4000 Hz
Als Definition eines Resthörerhalts wird häufig eine
4-teilige Klassifikation verwendet. So wird ein „Kompletter
Resthörerhalt“ definiert als ein durchschnittlicher
postoperativer Verlust von weniger als 10 dB, ein
„teilweiser Resthörerhalt“ als ein
Hörverlust von 10–30 dB und ein
„Minimaler Resthörerhalt“ bei einem Abfall der
Hörschwelle um mehr als 30 dB. Liegt die
Hörschwelle im Tieftonbereich oberhalb von 80 dB wird
dies als ein „Resthörverlust“ definiert [133]
[134].
Die Bestimmung des postoperativen Restgehörs bietet damit,
zumindest für das präoperative Ziel eines
Restgehörerhalts, eine einfache Option zur Erhebung der
Ergebnisqualität.
2.3.2.2 Sprachaudiometrie
Aktuell wird die Indikation zur CI-Versorgung hauptsächlich auf
der Basis der präoperativen Sprachtest-Ergebnisse gestellt.
Dieses schließt die Verwendung von Störschall und die
Überprüfung der Hörgeräteleistung
(„best aided condition“) ein. Aus diesem Grund kommt den
Methoden zur Erfassung des Sprachverstehens in der Betrachtung der
Ergebnisqualität einer CI-Versorgung eine besondere Bedeutung
zu. Die 3 vermutlich am weitesten verbreiteten Methoden, Freiburger
Sprachtest, Göttinger Satztest und Oldenburger Satztest, wurden
bereits im Kapitel 2.1.1.1 vorgestellt. Nachfolgend sollen die
jeweiligen Besonderheiten der Testverfahren in Bezug auf die Bewertung
der Ergebnisqualität dargestellt werden.
-
Freiburger Sprachtest
Obwohl der Freiburger Sprachtest ein lange etabliertes Testverfahren
darstellt, existieren dennoch eine Reihe von Kritikpunkten. Hoth hat
diese wie folgt zusammengefasst [135]:
-
Die Testlisten sind perzeptiv nicht äquivalent,
d. h. sie sind im Bezug auf Schwierigkeit und
Verständlichkeit unterschiedlich [136]
[137]
[138]
[139]
[140]
[141]
-
Einige der Testwörter sind (heute) ungebräuchlich
[142]
-
Die Testlisten sind phonemisch nicht äquivalent bzw.
ausgewogen
-
Es gibt keinen Ankündigungsreiz
-
Es erfolgt keine Auswertung der Phonemverwechslungen
-
Die Präsentationspegel sind nicht ausgewogen
-
Die Messgenauigkeit und damit die Empfindlichkeit sind nur
gering
-
Die Diskriminationsfunktion ist sehr flach
-
Es existiert kein standardisiertes
Störgeräusch
Es wird daher von Hoth geschlussfolgert, dass der Freiburger Sprachtest
zwar zahlreiche Schwächen aufweist, es aber das ideale
Testverfahren, das alle Anforderungen der oben zitierten DIN ISO
erfüllt, derzeit nicht gibt. Ein Hauptkritikpunkt ist die
Verwendung im Störgeräusch. Es ist daher für die
Beurteilung des Sprachverstehens eine Kombination aus dem Freiburger
Sprachtest mit anderen Hörtests, vorzugsweise im
Störgeräusch, anzustreben. Dennoch bleibt die Erhebung
des Freiburger Einsilberverstehens ein wichtiger Bestandteil der
individuellen CI-Beratung und damit auch der Erhebung der
Ergebnisqualität [41].
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Göttinger Satztest
Die im Göttinger Satztest verwendeten Alltagssätze
können, wie oben beschrieben, ohne Trainingslisten sowie mit und
ohne Störgeräusch durchgeführt werden. Das
Ergebnis des Göttinger Satztests im Störgeräusch
wird bei adaptiver Durchführung als
Sprachverständlichkeitsschwelle „L50 [dB SNR]“
angegeben. Der L50-Wert kennzeichnet den Schallpegelunterschied zwischen
Störgeräusch und Prüfsatz, bei dem die
Testperson 50% der dargebotenen Worte versteht. Zur Beurteilung
der Ergebnisse sollte berücksichtigt werden, ob das
Störgeräusch oder das Prüfsignal adaptiv
eingeregelt wurde. Thiele et al. haben festgestellt, dass es beim
Göttinger Satztest im Störgeräusch Unterschiede
hinsichtlich der Verständlichkeit bei verschiedenen Gruppen von
Schwerhörigen gibt. Es zeigte sich, dass die Hörleistung
im Störgeräusch von mittel- bis hochgradigen
Schwerhörigen nicht aus dem durchschnittlichen
Hörverlust vorhergesagt werden kann [143]. Ein weiteres Problem des Göttinger Satztests
ist die Prägnanz. Da es nur eine begrenzte Anzahl an Listen
gibt, haben viele Patienten bei regelmäßiger
Durchführung dieses Tests einen Erinnerungseffekt.
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Oldenburger Satztest
Der Oldenburger Satztest ist ein „Matrix-Testverfahren“,
das sowohl in Ruhe als auch im Störgeräusch
durchgeführt werden kann. Matrix-Testverfahren heißt,
dass zufällige Kombination aus Name, Verb, Zahlwort, Adjektiv
und Objekt mit jeweils 10 Alternativen pro Wort zu Verfügung
stehen. Zudem kann die Antworteingabe direkt durch den Patienten
erfolgen, da der Test geschlossen konstruiert ist. Das
Störgeräusch besteht aus allen Wörtern der
Listen, die übereinander gesprochen werden. Daraus ergibt sich
der Effekt eines sehr guten sprachverdeckenden Rauschens [26]
[27]
[28]. Durch diesen Effekt kann
simuliert werden, was viele Hörgeräte- und
Implantatträger berichten: Die Verständlichkeit von
Sprache, z. B. bei sozialen Ereignissen, ist deutlich
eingeschränkt. Insofern eignet sich der Test im besonderen
Maße, um diese anspruchsvollen Hörsituationen zu
simulieren.
Dem Oldenburger Satztest vergleichbare Tests stehen in 16 Sprachen zur
Verfügung und werden daher als multilinguale Matrix-Tests
bezeichnet. Dieses Testverfahren eignet sich daher nach Ansicht von
Kießling et al. besonders, um international gültige
Standards in der Sprachaudiometrie zu etablieren [39].
Zusammenfassung Hörtestverfahren zur Worterfassung
Ergebnisqualität
Neben der tonaudiometrisch ermittelten Erfassung des
Restgehör-Erhalts ermöglicht der Einsatz von Methoden
der Sprachaudiometrie die Erfassung der Verbesserung des
Hörstatus im postoperativen Verlauf. Auch wenn eine Vielzahl von
Testverfahren existiert, erscheint besonders die Verwendung des weit
verbreiteten Freiburger Sprachtests und eines Sprachtests im
Störgeräusch (Göttinger- oder Oldenburger
Satztest) sinnvoll [39].
2.3.3 Veränderung der Lebensqualität
Die Erfassung der subjektiven Lebensqualität vor und nach
CI-Versorgung ist neben der Verbesserung des Hör- und
Sprachverstehens der zweite in der Literatur häufig verwendete
Ergebnisparameter einer CI-Versorgung. In einer Reihe von Untersuchungen
konnte hierbei gezeigt werden, dass die subjektive Lebensqualität
nach der CI-Versorgung signifikant ansteigt [144]
[145]
[146]. In einer umfangreichen Metaanalyse
konnte überraschenderweise gezeigt werden, dass die Zunahme der
Lebensqualität aber nicht mit einer Zunahme des Sprachverstehens
nach der CI-Versorgung korreliert [146].
Dies bedeutet, dass die individuelle Veränderung der subjektiven
Lebensqualität, im Vergleich der Situation vor und nach der
CI-Versorgung eines Patienten, ein bedeutsamerer Ergebnisparameter sein
könnte. Mehrere Testinstrumente (Fragebögen) wurden
zwischenzeitlich zur Erfassung der Lebensqualität im Zusammenhang
mit der CI-Versorgung beschrieben. Diese sollen im Folgenden kurz
dargestellt werden:
-
Nijmegen Cochlear Implant Questionnaire (NCIQ)
Dieser Fragebogen wurde speziell für die Erfassung der Hör-
und Lebensqualität bei CI-versorgten Patienten entwickelt. Er
erfasst mit sechzig Fragen die physische, psychische und soziale Situation
der Patienten [147]. Dieser Fragebogen hat
sich aufgrund seiner speziellen Entwicklung für CI-Patienten und
seiner primären Abfassung in englischer Sprache zu einem der
wichtigsten Instrumente im Bereich der Erfassung der
Ergebnisqualität nach CI-Versorgung entwickelt. Eine deutsche
Übersetzung ist verfügbar [148].
-
Speech, Spatial and Qualities of Hearing (SSQ)
Gatehouse und Noble haben diesen Test 2004 eingeführt. Es werden
hierbei 14 Items zum Sprachverstehen, 17 Items zum räumlichen
Hören und 18 Items zur Hörqualität erfasst [149]. Dieser Test enthält keine
Aspekte zur allgemeinen Lebensqualität und wurde
hauptsächlich für Hörgeräteträger
entwickelt. Dennoch wird dieser Test auch in der Erfassung der
Ergebnisqualität in der CI-Versorgung einsetzt. Eine
Übersetzung ins Deutsche wurde von Kießling et al. 2011
erstellt [150].
-
Hearing Handicap Inventory for Adults (HHI-A-Inventar)
Der Test wurde von Newman et al. 1990 als Adaption des „Hearing
Handicap Inventory for the Elderly (HHIE)“ eingeführt. Er
umfasst 25 Items zur sozialen und emotionalen Situation [151]. Mit dem Test kann die subjektive
Symptomschwere der Hörminderung gut eingeschätzt werden
[39].
Zusammenfassung Ergebnisqualität CI-Versorgung
Die Frage „Welche Qualität macht den Unterschied?“ in der
CI-Versorgung spiegelt sich v. a. in der Diskussion über die
Ergebnisqualität wider. Dies ist insbesondere der Fall, da unweigerlich
festgestellt werden muss, dass es nicht einen einzigen universellen Parameter
gibt, sondern viele Einzelparameter die gesamthaft in die Beurteilung des
Ergebnisses einfließen müssen.
Ein Blick in andere Fachdisziplinen kann helfen, diese Herausforderung anzugehen.
Anfang der 1990er Jahre bestand die Aufgabe der Qualitätsverbesserung in
der Versorgung von polytraumatisierten Patienten. Als Lösung wurde
damals von der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie das sog.
„Trauma-Register“ geschaffen. Kliniken teilten dem Register
mittels standardisierter Erhebungsbögen prospektiv Daten aller Patienten
von Unfallart bis zur Entlassung mit. Über diese Daten konnten durch
viele einzelne Auswertungen hochsignifikante Verbesserungen in der
Traumaversorgung erreicht werden, die schließlich in der
Gründung des Traumanetzwerks Deutschland mündeten. Dieses
resultierte in einem Verbund aus 677 Kliniken, die einheitliche
Qualitätsstandards erarbeitet haben [152]. Übertragen auf die CI-Versorgung wäre ein
nationales Register die Basis einer Qualitätssicherung in der
CI-Versorgung.
2.4 Instrumente des Qualitätsmanagements (Prozess-, Struktur- und
Ergebnisqualität)
Für das Qualitätsmanagement existieren in der Medizin
verschiedene Instrumente, um Prozesse, Strukturen und Ergebnisse zu lenken und
zu erfassen. Diese Instrumente sind u. a. Register, Leitlinien bzw.
Empfehlungen der medizinischen Fachgesellschaften sowie Gesetze ([Abb. 6]).
Abb. 6 Instrumente des Qualitätsmanagements abgeleitet
aus den Dimensionen der Qualität
Über Register, deren Einrichtung, Betrieb und Zweck haben Schraven und
Mlynski 2019 eine umfassende Zusammenfassung erstellt, in denen sie deren
Bedeutung z. B. zur Darstellung von epidemiologischen
Zusammenhängen sowie zur Qualitätssicherung und -verbesserung
herausstellen [153].
Ein weiteres Instrument, um Prozesse, Strukturen und Ergebnisse zu steuern, sind
Leitlinien der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen
Fachgesellschaften) oder Empfehlungen der Fachgesellschaften, in Form eines
„Weißbuchs“ [154].
Leitlinien werden in der Regel im Konsensusverfahren aller beteiligten
Fachgesellschaften erstellt und basieren auf dem zu der Zeit verfügbaren
wissenschaftlichen Kenntnisstand. Die Empfehlung einer Fachgesellschaft
(z. B. Weißbuch) geht im Gegensatz hierzu meist von einer
einzelnen Fachgesellschaft aus.
Als drittes Instrument kann auch von staatlicher Seite über Gesetze
direkter Einfluss auf Prozesse, Strukturen und Ergebnisse einer medizinischen
Versorgung genommen werden. Beispiele hierfür sind personelle
Mindestanforderungen im Bereich der Pflege, gesetzliche Vorgaben bei der
Wartezeit auf Termine im sog. Facharztgesetz oder auch das geplante
Implantateregistergesetz.
Im nachfolgenden Kapitel soll der Status der internationalen und nationalen
Umsetzung der Maßnahmen zur Qualitätssicherung (CI-Register,
Leitlinie und gesetzliche Vorgaben) betrachtet werden.