Zhou W.
et al.
A neural circuit for comorbid depressive symptoms in chronic pain.
Nat Neurosci. 2019 Oct;
22 (10) : 1649-1658.
DOI:
10.1038/s41593-019-0468-2
Depressive Symptome erschweren Therapien bei Patienten mit chronischen Schmerzen.
Sie können den Schmerz verstärken und somit zu einem Teufelskreis aus Schmerz und
Depression führen. In dieser Studie beschreiben die Forscher einen neuronalen Signalweg,
der bei depressiven Symptomen unter chronischen Schmerzen eine Rolle spielt. Zur Entschlüsselung
des Signalwegs nutzten sie virale Tracing-Methoden, Elektrophysiologie, Optogenetik
und Chemogenetik in chronischen Schmerzmodellen der Maus. Um einen entzündlichen chronischen
Schmerz zu simulieren, erhielten anästhesierte Mäuse Injektionen von „komplettem Freund-Adjuvans“
(KFA) in die Hinterpfote. KFA ist eine Wasser-in-Öl-Emulsion mit abgetöteten Mikroorganismen.
Die Gabe von KFA resultierte in einer schmerzhaften Immunantwort. Zur Simulation neuropathischen
Schmerzes verletzten sie im Rahmen eines operativen Eingriffs den Ischiasnerv der
Tiere. Depressive Symptome evaluierten sie anhand von Verhaltenstests wie z. B. dem
„Open-Field-Test“ oder dem „Elevated-Plus-Maze-Test“. Depressive Mäuse zeigen ein
reduziertes Erkundungsverhalten und verbringen deutlich weniger Zeit in offenen Bereichen
der Versuchsanordnungen. Zusätzlich verifizierten sie die Relevanz ihrer Ergebnisse
im Menschen. Hierfür untersuchten sie Patienten mit chronischen Schmerzen, mit und
ohne Depressionen, mithilfe von funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT).
Ergebnisse
Die Forscher untersuchten Hirnregionen, die bei der Verarbeitung von Depressionen
und Schmerz beteiligt sind. Sie identifizierten einen Signalweg über die 5-Hydroxytryptamin-Projektionen
von den Dorsalen Raphe-Kernen (5-HTDRN) zu Somatostatin-exprimierenden Interneuronen im zentralen Nukleus der Amygdala (SOMzeA). Die SOMzeA wiederum projizierten vermehrt zu glutamatergen Neuronen in der lateralen Habenula
(GLUlHb). Die Forscher fanden im Einzelnen heraus:
-
Die Aktivierung der 5-HTDRN verringerte die Aktivität der SOMzeA via Aktivierung von 5-HT1ARezeptoren.
-
Im Vergleich zu Kontrollmäusen wiesen Mäuse mit chronischen Schmerzen depressive Verhaltensmuster
auf. Zudem zeigten sie eine geringere Aktivität der 5-HTDRN und eine niedrigere Konzentration von 5-HT in der zeA. Die wegfallende Hemmung durch
die 5-HTDRN wiederum erhöhte die Aktivität der SOMzeA.
-
Eine Aktivierung der 5-HTDRN, sowie eine selektive Hemmung der SOMzeA reduzierte das depressive Verhalten der Tiere.
-
Im Schmerzmodell der Maus zeigten die GLUlHb eine erhöhte Aktivität.
-
Zudem belegten fMRT-Daten im Menschen eine funktionale Verknüpfung zwischen der zeA
und DRN. Depressive Personen mit chronischen Schmerzen hatten im Vergleich zu gesunden
Kontrollen eine reduzierte Aktivität in diesen Bereichen, nicht jedoch Patienten mit
chronischen Schmerzen ohne depressive Symptome.
Zusammengefasst zeigten die Forscher in verschiedenen experimentellen Ansätzen, dass
der neuronale 5-HTDRN→SOMzeA→GLUlHb-Signalweg eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Depressionen bei chronischen
Schmerzen spielt.
Klassische therapeutische Ansätze bei depressiven Begleiterscheinungen zeigen zumeist
nur begrenzte Wirksamkeit. Laut der Autoren eröffnen ihre Ergebnisse neue Behandlungsmöglichkeiten.
Medikamente oder auch tiefe Hirnstimulation und transkranielle Magnetstimulation könnten
den von ihnen entdeckten Signalweg spezifisch beeinflussen und einen vielversprechenden
Ansatz zur Behandlung von chronischem Schmerzen mit Depressionen darstellen.
Dr. Karin Dorota Riester, Tübingen