Rofo 2019; 191(12): 1136-1140
DOI: 10.1055/a-1028-1336
Radiologie und Recht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ausgleichszahlungsverpflichtung eines PVA bei Auflösung einer Mammographie-Screening-Gesellschaft

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Publication Date:
27 November 2019 (online)

 

Einleitung

Ärzte können sich, je nach gewünschtem Umfang der Kooperation, zu einer Berufsausübungsgemeinschaft (im Folgenden: BAG) oder zu einer Organisations- bzw. Praxisgemeinschaft zusammenschließen. In beiden Fällen liegt dem Zusammenschluss ein zivilrechtlicher Gesellschaftsvertrag zugrunde. Scheidet ein Gesellschafter aus der Gesellschaft aus, während die Gesellschaft von den verbliebenen Gesellschaftern fortgeführt wird, stellt sich in der Regel die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Ausscheidende eine Abfindungszahlung von der Gesellschaft verlangen kann. Häufig ist zu dieser Thematik im Gesellschaftsvertrag eine Regelung vorzufinden. Der Zweck einer solchen Zahlung besteht darin, den Ausscheidenden angemessen am Gesellschaftsvermögen teilhaben zu lassen. Unter den Begriff des „Vermögens“ ist neben dem materiellen Wert auch der sog. Goodwill zu fassen, d. h. der immaterielle oder ideelle Wert der von der Gesellschaft betriebenen Praxis. Auch diesbezüglich wird der Ausscheidende ggf. abgefunden, wenn er zum Goodwill der Praxis durch seine Mitarbeit etwas beigetragen hat. Jedoch wird ein der Abfindung vergleichbarer Zahlungsanspruch unter Umständen auch dann begründet, wenn die Gesellschaft insgesamt aufgelöst wird.


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Das Landgericht Bielefeld hatte im vergangenen Jahr zu entscheiden, wie sich die Verteilung des Goodwills darstellt, wenn eine von mehreren Radiologen als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (im Folgenden: GbR) betriebene Mammographie-Screening-Gesellschaft aufgelöst wird. In diesem Beitrag sollen zunächst die grundsätzlichen Voraussetzungen, unter denen ein Gesellschafter im Falle der Auflösung der Gesellschaft oder seines Ausscheidens eine Zahlung im Hinblick auf den Goodwill der Praxis verlangen kann, im Überblick dargestellt werden. Dabei werden auch die Unterschiede im Hinblick auf die verschiedenen ärztlichen Kooperationsformen aufgezeigt. Im Anschluss werden die wesentlichen Aussagen und Folgen der Entscheidung des Landgerichts Bielefeld dargelegt.

Zugrundeliegender Sachverhalt

In dem der Entscheidung des LG Bielefeld[1] vom 09.08.2018 zugrundeliegenden Sachverhalt betrieben mehrere Radiologen neben einer radiologischen BAG eine Gesellschaft zur Durchführung des Mammographie-Screenings, in welcher ausschließlich Leistungen der Brustkrebsfrüherkennung nach der Anlage 9.2 BMV-Ä erbracht wurden. In gesellschaftsrechtlicher Hinsicht hatten sich die Radiologen als GbR gemäß §§ 705 ff. BGB mit dem Zweck zusammengeschlossen, ärztliche Leistungen im Rahmen des Mammographie-Screenings zu erbringen. Die Arbeitsteilung unter den dort tätigen Ärzten erfolgte in der Weise, dass eine Ärztin die Genehmigung als sog. Programmverantwortliche Ärztin (im Folgenden: PVA) nach § 4 Anlage 9.2 BMV-Ä innehatte, während ein Teil der übrigen Gesellschafter die erstellten Screening-Aufnahmen befundete.


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Mammographie-Screening-Gesellschaft – BAG oder Praxisgemeinschaft?

Es wird für die nachfolgende Betrachtung unter Abwandlung des tatsächlichen Ausgangsfalls davon ausgegangen, dass die Facharztpraxis in vertragsarztrechtlicher Hinsicht als BAG geführt wurde.

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt ließ das Gericht die Frage offen, ob es sich um eine BAG oder eine Organisations- bzw. Praxisgemeinschaft handelte und vertrat die Auffassung, dass es auf die Differenzierung zwischen Praxisgemeinschaft und BAG für die Beurteilung des Ausgleichsanspruchs im zugrundeliegenden Fall nicht ankomme, da der Gesellschaftsvertrag jedenfalls davon ausgehe, dass es ein immaterielles Vermögen der Gesellschaft gebe. Um diesen Streitpunkt nicht zu vertiefen, wurde für die hiesige Betrachtung eine BAG als die gelebte Kooperationsform zugrunde gelegt, auch wenn im entschiedenen Sachverhalt gleichwohl manches für die Annahme einer Praxisgemeinschaft sprach. Der Fall zeigt schließlich einmal mehr, wie wichtig der Abschluss eines eindeutig formulierten Gesellschaftsvertrages ist.

In dem schriftlich abgeschlossenen Gesellschaftsvertrag dieser GbR hieß es unter anderem (Hervorhebungen durch die Verfasser):

„Am materiellen und ideellen Gesellschaftervermögen […] sind die Gesellschafter zu gleichen Teilen wie folgt beteiligt“.

Der Gesellschaftsvertrag beinhaltete in den darauffolgenden Bestimmungen auch Regelungen bezüglich des Ausscheidens und der Abfindung eines ausscheidenden Gesellschafters hinsichtlich des immateriellen Praxiswertes, des sog. Goodwill, je nach dessen Beteiligung am Gesellschaftsvermögen. Eine Differenzierung vor dem Hintergrund, dass die Tätigkeiten der PVA sowie der Befunder sich inhaltlich unterscheiden, nahm der Gesellschaftsvertrag in Bezug auf die Abfindungsregelung nicht vor, sodass alle drei Ärzte jedenfalls nach vertraglicher Konzeption im Falle ihres Ausscheidens hinsichtlich der Abfindungszahlung gleich zu behandeln waren. Keine Regelung enthielt der Gesellschaftsvertrag hingegen für den Fall der Auflösung und eine dann vorzunehmende Auseinandersetzung der Gesellschaft.

Aufgrund interner Differenzen kündigte die PVA den Gesellschaftsvertrag ordentlich in wirksamer Weise. Die übrigen Gesellschafter folgten dem und sprachen jeweils mit Wirkung zum selben Zeitpunkt wie die PVA eine außerordentliche Anschlusskündigung aus wichtigem Grund in ebenfalls wirksamer Weise aus. Sie begründeten diesen Schritt damit, dass eine Zweckerreichung der Gesellschaft, d. h. die Erbringung von Leistungen des Mammographie-Screenings, ohne das Vorhandensein einer oder eines PVA nicht mehr möglich sei. Die Befunder wie auch die PVA gingen infolgedessen übereinstimmend davon aus, dass die GbR aufgelöst worden war. Sie setzten sich also zunächst hinsichtlich des materiellen Wertes der Praxis auseinander. Die PVA führte ihre Tätigkeit anschließend in neuer Praxis fort und nutzte dabei das gesamte digitale Patientenarchiv der vormaligen GbR für ihre dortige Tätigkeit als PVA weiter.

Im Zuge der Auseinandersetzung eines (etwaigen) immateriellen bzw. ideellen Wertes der aufgelösten GbR nahmen die ehemaligen Mitgesellschafter die PVA in Anspruch und klagten auf eine Ausgleichszahlung.


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Entstehung von Ausgleichs- bzw. Abfindungszahlungsansprüchen

Ein Abfindungsanspruch eines Gesellschafters einer GbR kann immer dann entstehen, wenn dieser durch seine Mitarbeit zum ideellen Wert des von der Gesellschaft betriebenen Unternehmens tatsächlich etwas beigetragen hat und seine Gesellschafterstellung endet. Zur Beendigung der Gesellschafterstellung kann es auf verschiedenen Wegen kommen. Zum einen kann eine Gesellschaft vollständig aufgelöst werden, zum anderen kann ein Gesellschafter aus einer Gesellschaft ausscheiden, wenn diese von den übrigen Gesellschaftern fortgesetzt wird. Im letzteren Falle wird im Gesellschaftsvertrag eine Fortsetzungsklausel vereinbart sein, welche die Fortsetzung der Gesellschaft mit den übrigen Gesellschaftern vorsieht.

Ausgleich bei Auflösung der Gesellschaft

Ist im Gesellschaftsvertrag keine Fortsetzungsklausel vorgesehen, sodass mit der Kündigung eines Gesellschafters die Gesellschaft aufgelöst wird (vgl. §§ 723 Abs. 1 S. 1, 726 Abs. 1 BGB), so ist das Gesellschaftsvermögen unter den Gesellschaftern zu verteilen, wie es in § 730 Abs. 1 BGB heißt (Hervorhebungen durch die Verfasser):

„Nach der Auflösung der Gesellschaft findet in Ansehung des Gesellschaftsvermögens die Auseinandersetzung unter den Gesellschaftern statt, sofern nicht über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet ist.“

Unter den Begriff des Gesellschaftsvermögens fallen zum einen die Sachwerte (materielles Vermögen) als auch darüber hinaus ein der Gesellschaft ggf. zukommender immaterieller bzw. ideeller Vermögenswert (der sog. Goodwill). Grundsätzlich ist hinsichtlich beider Vermögensbestandteile demnach die Liquidation unter den Gesellschaftern vorzunehmen. Der Kern des Auflösungsverfahrens ist in § 734 BGB geregelt. Dieser sieht vor, dass nach Abzug der gemeinschaftlich bestehenden Schulden und Rückgewährung der von den Gesellschaftern geleisteten Einlagen ein ggf. verbleibender Überschuss in dem Verhältnis der Beteiligung am Gesellschaftsvermögen an die Gesellschafter anteilig auszuzahlen ist. Demnach folgt daraus ein Ausgleichsanspruch des einzelnen Gesellschafters gegen die Gesellschaft. Dieser erstreckt sich, wie aus der vorstehenden Differenzierung der möglichen Vermögensbestandteile ergibt, konsequenterweise auch auf das immaterielle Vermögen der Gesellschaft.

Das Verfahren der Liquidation richtet sich gemäß § 731 S. 1 BGB nach den Vorschriften der §§ 732 ff. BGB, soweit keine anderweitige vertragliche Regelung der Gesellschafter vorliegt. Zu beachten ist im Rahmen dessen, dass im Hinblick auf die verschiedenen Ansprüche gegeneinander eine Auseinandersetzungsbilanz zu erstellen ist, in die sowohl alle Ansprüche der Gesellschaft gegen die Gesellschafter als auch jene der Gesellschafter gegen die Gesellschaft sowie der Gesellschafter untereinander aus dem Gesellschaftsverhältnis aufzunehmen sind.[2] Der Anspruch ist in dem Moment zur Zahlung fällig und durchsetzbar, in dem die Abschlussbilanz festgestellt und das Auflösungsverfahren damit beendet ist.[3] Ein derartiger Ausgleichsanspruch entsteht grundsätzlich gegenüber der Gesellschaft, wobei davon Ausnahmen anerkannt sind. So können beispielsweise die Gesellschafter gemäß § 731 S. 1 BGB übereinstimmend eine gewisse Form der Auseinandersetzung vereinbaren, z. B. dass einer von ihnen das gesamte Gesellschaftsvermögen übernimmt, während die anderen von diesem abgefunden werden.[4]

Im Falle der Auflösung der Gesellschaft richtet sich der Ausgleichsanspruch nach alledem nach den Vorschriften der §§ 730, 733, 734 BGB.


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Abfindung bei Ausscheiden eines Gesellschafters unter Fortführung der Gesellschaft

Diese Regelungen gelten in dem Fall, dass die Gesellschaft nach dem Ausscheiden eines der Gesellschafter von den übrigen Gesellschaftern fortgesetzt wird, gemäß § 738 Abs. 1 S. 2 BGB entsprechend. Die Sätze 1 und 2 des § 738 BGB haben den Wortlaut (Hervorhebungen durch die Verfasser):

„Scheidet ein Gesellschafter aus der Gesellschaft aus, so wächst sein Anteil am Gesellschaftsvermögen den übrigen Gesellschaftern zu. Diese sind verpflichtet, dem Ausscheidenden die Gegenstände, die er der Gesellschaft zur Benutzung überlassen hat, nach Maßgabe des § 732 zurückzugeben, ihn von den gemeinschaftlichen Schulden zu befreien und ihm dasjenige zu zahlen, was er bei der Auseinandersetzung erhalten würde, wenn die Gesellschaft zur Zeit seines Ausscheidens aufgelöst worden wäre.

Der ausscheidende Gesellschafter hat gegen die fortgesetzte Gesellschaft demnach einen Abfindungsanspruch aus § 738 Abs. 1 S. 2 BGB.


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Durchsetzungssperre im Hinblick auf Einzelansprüche während Auseinandersetzung

Im Rahmen dieses Auseinandersetzungsverfahrens bzgl. des Gesellschaftsvermögens sind nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung Besonderheiten im Hinblick auf die Geltendmachung einzelner Ansprüche zu beachten. Damit ein absehbares Hin und Her wechselseitig geltend gemachter Ansprüche vermieden wird, ist für die Dauer des Liquidationsverfahrens grundsätzlich eine sog. Durchsetzungssperre vorgesehen. Das bedeutet, dass für die Dauer der Liquidation, d. h. beginnend mit der Auflösung der Gesellschaft bis zur Feststellung der Auseinandersetzungsbilanz, eine Geltendmachung einzelner Ansprüche, auch im Rahmen einer Leistungsklage, ausgeschlossen ist. Der Bundesgerichtshof (BGH) führt hierzu aus:

„Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats führt die Auflösung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts ebenso wie das Ausscheiden eines Gesellschafters grundsätzlich dazu, dass ein Gesellschafter die ihm gegen die Gesellschaft und die Mitgesellschafter zustehenden Ansprüche nicht mehr selbständig im Wege der Leistungsklage durchsetzen kann (Durchsetzungssperre). Diese sind vielmehr als unselbständige Rechnungsposten in die Schlussrechnung aufzunehmen, deren Saldo ergibt, wer von wem noch etwas zu fordern hat.“ [5]

Ausnahmen sind ist von diesem Grundsatz allerdings nach der Rechtsprechung beispielsweise dann zulässig, wenn die Vertragsbestimmungen zumindest im Wege der Auslegung nach Sinn und Zweck erkennen lassen, dass im Einzelnen bestimmte Ansprüche (mithin z. B. auch Ausgleichs- bzw. Abfindungsansprüche) selbst im Falle der Auflösung der Gesellschaft ihre Selbstständigkeit behalten sollen[6] oder wenn feststeht, dass der geltend gemachte Zahlungsanspruch dem Anspruchsteller in jedem Fall zusteht[7].


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Sonderfall: Ausgleichs- bzw. Abfindungszahlung bei Freiberuflerunternehmen

Besonderheiten im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung des immateriellen Wertes einer Gesellschaft ergeben sich insbesondere bei Freiberuflerunternehmen. In der Regel ist bei diesen eine Ausgleichs- bzw. Abfindungszahlung nämlich nicht vorgesehen. Die Auseinandersetzung einer GbR aus Freiberuflern erfolgt vorrangig zum einen durch sog. Realteilung, d. h. die Teilung der vorhandenen Sachwerte, also materiellen Werte. Zum anderen geht die Rechtsprechung davon aus, dass eine weitere Teilhabe des einzelnen Gesellschafters bzw. des Ausscheidenden am immateriellen Wert des Unternehmens dadurch gewährleistet ist, dass für ihn eine realistische Möglichkeit besteht, den aufgebauten Mandantenstamm weiter für sich zu nutzen (dazu sogleich).

Der BGH hat im Falle einer Rechtsanwaltskanzlei hierzu eindeutig entschieden:

„[N]ach der ständigen Rechtsprechung des Senats [sind] die Teilung der Sachwerte und die Einräumung der rechtlich nicht begrenzten Möglichkeit, um die bisherigen Mandanten zu werben, die sachlich nahe liegende und angemessene Art der Auseinandersetzung einer Freiberuflersozietät. Wird so verfahren, kann eine weitergehende Abfindung grundsätzlich nicht beansprucht werden.“ [8]

Dies gilt für das Ausscheiden eines Gesellschafters wie die Auflösung der Gesellschaft gleichermaßen.[9] Die Möglichkeit, um die Mandantenbeziehungen zu konkurrieren, kann (vor allem im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters) insbesondere dadurch eingeschränkt sein, dass eine nachvertragliche Wettbewerbsklausel im Gesellschaftsvertrag vorhanden ist, die eine solche Konkurrenztätigkeit des Ausscheidenden zum Schutz der Gesellschaft unterbindet.[10]

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist laut BGH

„nicht schon dann veranlasst, wenn das Werben eines Gesellschafters um die bisherigen Mandaten aus tatsächlichen Gründen weniger aussichtsreich erscheint und im Ergebnis weniger erfolgreich ist als das Werben der Mitgesellschafter“ [11],

sondern im Einzelfall allenfalls dann zu machen (Hervorhebungen durch die Verfasser),

„wenn schon infolge einer besonderen Gestaltung der Zusammenarbeit in der Sozietät ein gravierendes Chancenungleichgewicht besteht.“ [12]

Ein solches gravierendes Chancenungleichgewicht liegt nach der Definition des BGH dann vor,

„wenn die sozietätsinterne Aufgabenzuteilung einem der Gesellschafter den Zugriff auf den Mandantenstamm erheblich erschwert, obwohl er durch die Erfüllung der ihm zugewiesenen Aufgaben wesentlich zum Aufbau des Mandantenstamms beigetragen hat.“ [13]

Für die Beurteilung, ob im Einzelfall ein Abfindungsanspruch auch bei Freiberuflern besteht, ist also nach vorstehenden Grundsätzen die gesellschaftsvertragliche Ausgestaltung im Einzelfall zunächst unter der Fragestellung in den Blick zu nehmen, ob (im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters) eine Wettbewerbsklausel im Vertrag enthalten ist, die eine nachvertragliche konkurrierende Berufstätigkeit des Gesellschafters zum Schutze der fortgesetzten Gesellschaft einschränkt und somit den grundsätzlichen Anwendungsbereich eines Abfindungsanspruchs zur Wahrung der Interessen dieses Gesellschafters eröffnet. Selbst wenn dies nicht der Fall ist, kann ein Abfindungsanspruch zu gewähren sein, wenn der ausscheidende Gesellschafter auf andere Weise durch die gesellschaftsvertraglichen Bestimmungen daran gehindert ist, den durch ihn aufgebauten Mandantenstamm für sich zu nutzen.

Es ist daraus ersichtlich, dass das Bestehen eines Ausgleichs- bzw. Abfindungsanspruchs gegen ein Freiberuflerunternehmen demnach mit der Einschränkung der Chance des Gesellschafters korreliert, aus den durch die eigene Tätigkeit mit aufgebauten Mandantenbeziehungen für sich nach Auflösung der Gesellschaft bzw. nach dem Ausscheiden weiter Gewinne zu realisieren.


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Gegenstand des Goodwills und Abfindung im Falle von Arztpraxen

Wendet man die vorstehenden Grundsätze nun auf die Situation von Arztpraxen an, bestehen folgende Besonderheiten: Bei einer Arztpraxis ist als wesentlicher wertbildender Faktor des Goodwills grundsätzlich vor allen Dingen der von den Gesellschaftern gemeinsam aufgebaute Patientenstamm anzusehen. Entscheidend ist jedoch, dass dieser auch der Praxis als solcher, die zivilrechtlich entweder als GbR (§§ 705 ff. BGB) oder als Partnerschaftsgesellschaft (gemäß § 1 PartGG; im Folgenden: PartG) gegründet sein wird, zuzurechnen ist. Denn andernfalls kann von einem der Gesellschaft verbleibenden Anteil am immateriellen Gesellschaftsvermögen, den der Ausscheidende bzw. die Gesellschafter erarbeitet haben, nicht die Rede sein. Die höchstrichterliche Rechtsprechung differenziert in diesem Zusammenhang folgerichtig nach den Grundsätzen des Berufs- und Vertragsarztrechts zwischen einer BAG und einer Praxisgemeinschaft.[14]

Eine Kooperation im Rahmen einer Praxisgemeinschaft verfolgt lediglich das Ziel, die vorhandene Praxisinfrastruktur einschließlich des nichtärztlichen Personals gemeinsam zu nutzen (§ 33 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV), jedoch die vertragsärztliche Tätigkeit in jeder Hinsicht unabhängig von den anderen Ärzten zu erbringen. Die Praxisgemeinschaft tritt der Kassenärztlichen Vereinigung (nachfolgend: KV) – anders als im Falle einer vertragsarztrechtlich genehmigungsbedürftigen BAG (§§ 33 Abs. 2 S. 1 und 2, Abs. 3 S. 1 Ärzte-ZV) – gegenüber nicht als „ein“ bzw. „der“ Vertragsarzt auf, sondern jeder der in der Praxisgemeinschaft (lediglich organisatorisch) verbundenen Vertragsärzte weiterhin für sich. Die ärztlichen Leistungen werden folglich von jedem der vertragsärztlich zugelassenen Ärzte gegenüber der KV selbst abgerechnet, wohingegen in einer BAG auch die Abrechnung der erbrachten Leistungen unter einer gemeinsamen Rechtspersönlichkeit, nämlich jener der BAG, erfolgt.[15]

Demnach kann von einem gemeinsamen Patientenstamm im Grundsatz nur bei einer BAG gesprochen werden. Der Goodwill wird nur dort Vermögensbestandteil der Praxis als solcher, nämlich der BAG. Bei einer lediglich als einer Art Organisationsgemeinschaft gegründeten Praxisgemeinschaft verbleibt der jeweils von den Praxispartnern aufgebaute Goodwill bei den Gesellschaftern selbst. Das zeigt sich insbesondere – unter Ergänzung der obigen Abgrenzungskriterien der Vertragsarztkooperationsformen – daran, dass in der Praxisgemeinschaft gerade keine freie Arztwahl besteht, wie dies im Gegensatz hierzu bei einer BAG der Fall ist.[16] Die Patienten werden also in einer Praxisgemeinschaft ersichtlich nur von jeweils einem Arzt behandelt, sodass jeder Arzt seinen eigenen Patientenstamm hält. Hieraus folgt insbesondere, dass es einen gemeinsamen Patientenstamm in einer Praxisgemeinschaft nicht geben kann. Gibt es jedoch keinen gemeinsamen Patientenstamm, so ist auch ein immaterieller Wert im Sinne eines Patientenstamms der Praxisgemeinschaft als solcher nicht inhärent.[17]

Es folgt aus alledem, dass einer Praxisgemeinschaft schon kein ihr eigener Goodwill zukommen kann, welcher beim Ausscheiden eines Gesellschafters anteilig abgefunden werden müsste oder auch nur könnte.

Kommt einer BAG jedoch ein Goodwill zu, so kann die Mitnahme des vom Ausscheidenden aufgebauten Teils des Patientenstamms der BAG einen angemessenen Ausgleich des Goodwills der Praxis darstellen,

„wenn die Möglichkeit der Weiterbehandlung für den Ausscheidenden realistisch ist und die medizinische, wirtschaftliche und soziale Kompetenz der Partner annähernd vergleichbar ist.“ [18]

Auch hier zeigt sich wiederum, dass für einen Abfindungsanspruch insoweit kein Raum ist, wie die tatsächliche Möglichkeit für den einzelnen Gesellschafter weiterbesteht, vom Patientenstamm der BAG selbst zu profitieren. Die Mitnahme eines Teils der Patienten ist jedenfalls nach der Rechtsprechung bei der Bemessung des Abfindungsanspruchs zu berücksichtigen, um insoweit eine ggf. unangemessen hohe Abfindung zu vermeiden.[19]


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Entscheidung des LG Bielefeld: Zahlungspflicht der PVA

Das LG Bielefeld hat im Hinblick auf den anfangs geschilderten Sachverhalt entschieden, dass den klagenden Mitgesellschaftern ein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung aus § 730, 733, 734 BGB gegen die PVA in Ermangelung einer abweichenden gesellschaftsvertraglichen Regelung betreffend die Auflösung der Gesellschaft zustehe. Der Anspruch könne, so das Landgericht, ausnahmsweise auch außerhalb der Auseinandersetzungsbilanz einzeln geltend gemacht werden, da der geltend gemachte Anspruch in jedem Fall bestehe (vgl. obige Ausführungen hierzu).

Eine Teilung der Sachwerte der Praxis allein erachtete das Gericht als nicht ausreichend, da es den klagenden Mitgesellschaftern in der konkreten Situation verwehrt gewesen sei, um den bestehenden Patientenstamm der Praxis mit der beklagten PVA zu konkurrieren. Hierin erkannte das Gericht das oben genannte „gravierende Chancenungleichgewicht“ der Gesellschafter hinsichtlich der Nutzung des Patientenstamms aufgrund einer sozietätsinternen Aufgabenzuteilung. Das Gericht führt in den Entscheidungsgründen aus:

„Dabei ist es dem Kläger […] aufgrund der Besonderheiten der Übernahme des Versorgungsauftrags für das Versorgungsgebiet durch die Beklagte als programmverantwortliche Ärztin verwehrt, um den bestehenden Patientenstamm mit der Beklagten im Rahmen dieses Versorgungsauftrages zu konkurrieren. Auch ha[t] der Kläger […] die [ihm] zugewiesenen Aufgaben erfüllt und [seinen] Beitrag im Rahmen der gesellschaftsvertraglichen Aufgabenzuweisung geleistet.“

Es stellt demnach entscheidend darauf ab, dass die Beklagte allein den Versorgungsauftrag als PVA in dem Versorgungsgebiet der (später aufgelösten) Gesellschaft wahrgenommen hat. Daraus resultiert der Umstand, dass die PVA allein den Goodwill der Praxis nach deren Auflösung für sich hat weiternutzen können, was sich auch daran zeigt, dass diese schließlich sämtliches digitales Patientenmaterial zur Weiternutzung übernommen hat. Eine Nutzung des Patientenstammes der Praxis (auch) durch die Mitgesellschafter, die eben nicht den entsprechenden Versorgungsauftrag als PVA wahrnehmen, ist somit vor dem Hintergrund der Vorgaben der Anlage 9.2 des BMV-Ä ausgeschlossen.

Daran zeigt sich, dass sich eine Einschränkung, den Patientenstamm weiter zu nutzen, eben nicht lediglich aus vertraglicher Vereinbarung oder aus etwaigen fachlichen oder sozialen Kompetenzunterschieden der Ärzte (wie oben dargestellt), sondern auch aus vertragsarztrechtlichen Genehmigungspflichten ergeben kann.

Ob die Befunder, wie das erkennende Gericht angenommen hat, tatsächlich wesentlich zum Goodwill der Praxis etwas beitragen konnten, mag sicherlich – wie auch andere Streitpunkte[20] – diskussionswürdig sein. Denn so ließe sich durchaus vertreten, dass der ideelle Wert der Gesellschaft allein in der Person der PVA entstehen konnte, da nur sie zur Durchführung der für das Mammographie-Screening wesentlichen Leistungen berechtigt war. Daraus würde letztlich folgen, dass die Befunder, die schon rechtlich daran gehindert waren, die Tätigkeit des PVA auszuüben, auch nicht wesentlich zum Goodwill der Praxis etwas beitragen konnten. Eine Klärung dieser Rechtsfragen unterblieb aufgrund einer Erledigung des Rechtsstreits durch Abschluss eines Vergleiches in der Berufungsinstanz.


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Fazit

Der Ausgleichs- bzw. Abfindungsanspruch soll die Beteiligung der Gesellschafter nicht nur am materiellen, sondern auch am immateriellen Vermögen der Gesellschaft im Falle der Auflösung dieser oder aber des Ausscheidens einzelner Gesellschafter aus der fortgesetzten Gesellschaft sicherstellen. Von einem Gesellschaftsvermögen kann bei Arztpraxen grundsätzlich nur dann ausgegangen werden, wenn diese als BAG geführt werden. Haben die Gesellschafter in den vorgenannten Fällen der Beendigung der Gesellschafterstellung die unbeschränkte Möglichkeit, die bisherigen Patienten weiter zu behandeln, besteht für einen weitergehenden Ausgleich bzw. eine weitergehende Abfindung hinsichtlich des immateriellen Wertes des Gesellschaftsvermögens grundsätzlich keine Grundlage.

Ein Zahlungsanspruch kommt demgegenüber grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die Möglichkeit der Weiternutzung des Patientenstamms der Gesellschaft eingeschränkt ist. Vor allem besondere vertragliche Gestaltungen, wie etwa nachvertragliche Wettbewerbsklauseln, bedeuten eine solche Einschränkung der realen Patientenweiterbehandlungschance. Daneben kann diese Chance jedoch auch durch die fachlichen oder sozialen Kompetenzen der die Zahlung beanspruchenden Ärzte gemindert sein oder aber – wie die Entscheidung des LG Bielefeld gezeigt hat – dadurch, dass aufgrund der Wahrnehmung eines vertragsarztrechtlichen Versorgungsauftrages (etwa den als PVA) eine Weiterbehandlung der Patienten lediglich durch bestimmte Ärzte rechtlich zulässig ist, weshalb diese den Patientenstamm vollständig übernehmen. Derjenige Arzt, der im Falle einer Kündigung absehbar den gesamten Patientenstamm einer BAG übernehmen wird, muss sich dann ggf. auf Zahlungsansprüche der übrigen Gesellschafter hinsichtlich des Goodwills der Gesellschaft einstellen.

Prof. Dr. Peter Wigge
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht

Philip Steuwer
Rechtsanwalt

Rechtsanwälte Wigge
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1 LG Bielefeld, Urteil vom 09. August 2018, Az.: 6 O 387/17, nicht veröffentlicht.


2 Vgl. hierzu bspw. Sprau in: Palandt, BGB, 78. Auflage 2019, § 730 Rn. 6.


3 Mehr zur Abschlussbilanz im Abschnitt „Durchsetzungssperre im Hinblick auf Einzelansprüche während Auseinandersetzung“.


4 Vgl. Sprau, a. a. O. (Fn. 2), Rn. 5.


5 BGH, Urteil vom 17. Mai 2011, Az.: II ZR 285/09, NJW 2011, 2355 = juris Rn. 14 m. w. N.


6 BGH, Urteil vom 02. Oktober 1997, Az.: II ZR 249/96, NJW 1998, 376 = juris Rn. 11.


7 Ebd.; BGH, Urteil vom 27. März 1995, Az.: II ZR 3/94, NJW-RR 1995, 1182 = juris Rn. 11 m. w.N; Urteil vom 14. Januar 1980, Az.: II ZR 218/78, NJW 1980, 1628 = juris Rn. 17 m. w. N.


8 BGH, Beschluss vom 18. September 2012, Az.: II ZR 94/10, NL-BzAR 2012, 514 = juris; ebenso Beschluss vom 31. Mai 2010, Az.: II ZR 29/09, NJW 2010, 2660 = juris Rn. 2 m. w. N.


9 BGH, Beschluss vom 31. Mai 2010, a. a. O. (Fn. 8), juris Rn. 3.


10 Vgl. OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 29. Januar 2004, Az.: 5 U 46/97, MedR 2004, 215 = GesR 2004, 226 = juris Rn. 54 m. w. N.


11 BGH, Beschluss vom 18. September 2012, a. a. O. (Fn. 8); vgl. Beschluss vom 31. Mai 2010, a. a. O. (Fn. 8), juris Rn. 8.


12 BGH, Beschluss vom 18. September 2012, a. a. O. (Fn. 8).


13 Ebd.


14 Vgl. z. B. BSG, Urteil vom 22. März 2006, Az.: B 6 KA 76/04 R, BSGE 96,99 = juris Rn. 14 m. w. N.


15 Zur Abgrenzung vgl. ebd.; Kremer/Wittmann, Vertragsärztliche Zulassungsverfahren, 3. Auflage 2018, Rn. 1357 ff., jeweils m. w. N.


16 Vgl. BSG, a. a. O. (Fn. 14), juris Rn. 18.


17 BSG, a. a. O. (Fn. 14); vgl. BFH, Beschluss vom 24. Februar 1999, Az.: IV B 6/98, BFH/NV 1999, 1080 = juris Rn. 4.


18 OLG Schleswig-Holstein, a. a. O. (Fn. 10), Leitsatz 1, vgl. Rn. 54.


19 OLG Schleswig-Holstein, a. a. O. (Fn. 10) m. w. N.


20 Vgl. Abschnitt „Mammographie-Screening-Gesellschaft – BAG oder Praxisgemeinschaft?“