Präpartale Betreuung
Eine schwere Entscheidung
Hebammenbetreuung beginnt im Idealfall im ersten Trimenon der Schwangerschaft und
ist kontinuierlich. Nachdem eine Vertrauensbasis geschaffen wurde, ist es sinnvoll,
bereits im Vorfeld über vorgeburtliche Untersuchungen und deren Durchführung zu sprechen
und sich mit möglichen Konsequenzen auseinanderzusetzen
[21]
[23]. Verschiedene Studien zeigen, dass sich die Eltern unter Zeitdruck fühlen, sobald
ein positiver Befund vorliegt. Schnell soll eine Entscheidung über das ganze Leben
getroffen werden, oft nach Tagen, manchmal sogar schon nach Stunden [3]
[18]. Auch der gesellschaftliche Handlungsdruck trägt zur Verzweiflung bei – wird doch
hier und da suggeriert, dass das Leben mit einem behinderten Kind heutzutage vermeidbar
gewesen wäre [22]
[21]
[18]. Die Angst vor Diskriminierung ist häufig ebenso präsent wie die Angst ein Leben mit
einem eingeschränkten Kind nicht bewältigen zu können
[3].
Durch die pränatale Diagnostik erhoffen sich die meisten Frauen die Bestätigung, dass
ihr Kind gesund ist [6]
[21]. Doch was, wenn dem nicht so ist? Je nach Schweregrad der festgestellten Beeinträchtigung
stellt sich die Frage, ob das Kind lebensfähig ist oder nicht. Und selbst unabhängig
davon gilt es zu entscheiden: Führt man die Schwangerschaft weiter oder lässt man
einen Abbruch vornehmen? Hier muss eine ausführliche, ergebnisoffene Beratung stattfinden, damit die Eltern eine informierte Entscheidung treffen können [23]
[20].
Wichtige Marker für eine ergebnisoffene Beratung
-
Einen geschützten Raum schaffen, um eine vertrauliche Gesprächssituation zu ermöglichen
[8]
-
Sinnvoll ist es, das Gespräch mit beiden Eltern zu führen, um mögliche Informationsverluste
oder Verfälschungen zu vermeiden [20]
[8]
-
Die emotionale Haltung, Empathie und Wertschätzung dem Kind gegenüber bleibt vorrangig
im Gedächtnis der Eltern [8]
-
Insbesondere Frauen, die das „Weiterführen der Schwangerschaft“ als selbstverständliche
Entscheidungsoption vermittelt bekommen, fühlen sich in der Betreuung gut aufgehoben
[17]
-
Aktiv zuhören, bestätigen, ermutigen, Anerkennung ausdrücken
-
Akzeptieren der eigenen Gefühle; Echtheit schafft Vertrauen und Sicherheit
-
Offene, zugewandte Körperhaltung
-
Aussagen des Paares nicht werten
-
Offene Fragen fördern den Dialog
-
Weitere Experten hinzuziehen [1]
Begleitung nach der Diagnoseeröffnung
Nach einer unerwünschten pränatalen Diagnose ist sehr schwierig zu erkennen, in welcher
Phase die Eltern in der Verarbeitung dieser meist als traumatisch empfundenen Tatsache
stehen. Sie kommen mit unterschiedlichen Lebenseinstellungen, Voraussetzungen und
Bewältigungsmechanismen in diese Situation [8]. Es begleiten sie Schock, Unwissenheit, Unsicherheit und Abwehr [20]. Nicht immer fällt es uns leicht, die Eltern dort abzuholen, wo sie gerade stehen.
Es ist wichtig, sich darüber im Klaren zu sein, dass die akute Belastungsreaktion
sich in ganz unterschiedlicher Weise äußern kann [5]. Dabei sind alle persönlichen Reaktionen zu respektieren. Gerade im Klinik-Setting
können wir dabei Zeitdruck, Angst vor dem Mit-Aushalten und Überforderung verspüren.
Ein Modell von Erika Schuchardt [Abb. 2] zeigt die einzelnen Krisenprozesse auf. Das Wissen über diese Spirale kann uns helfen,
den Verarbeitungs- und Trauerprozess zu verstehen, zu erkennen und liebevoll zu begleiten.
Abb. 2 Spiralphasenmodell nach Erika Schuchardt. (Illustration: Karin Weiß nach Schuchardt
2002 [19])
Die Spirale im Krisenverarbeitungsmodell nach Erika Schuchardt veranschaulicht, dass jede Reaktion der Eltern ihren Sinn hat und dass diese Zeit
und Anerkennung braucht. Unmittelbar nach dem Schock befinden sich die Eltern meist
in Phase 1 oder 2. Fragen wie „Was soll das schon bedeuten?“, „Hat das doch was zu
bedeuten?“ oder „Das muss doch ein Irrtum sein?“ begleiten sie. Das darauffolgende
Durchgangsstadium ist emotionaler. Es folgen Gefühlsausbrüche, Ablehnung, Verhandlungen
und Sinnfragen. Jeder hat dabei sein eigenes Tempo. Es ist also kein festes Modell,
welches eine Regel aufzeigt, wann man sich wo befinden muss. Die Qualität unserer
Begleitung als Fachfrauen dieser Paare hat einen hohen Einfluss auf den oben aufgeführten
Verarbeitungsprozess [19].
Leitsätze für die empathische Begleitung der Eltern
-
Akzeptanz der Emotionen:
-
Für uns als Hebammen bedeutet dies: dabeibleiben, die Situation und Gefühle wie Ratlosigkeit,
Enttäuschung, Abneigung und Wut mit aushalten, Gefühle stehenlassen und anerkennen.
-
Orientierungshilfe geben:
-
Offene und orientierungsgebende Gespräche führen und relevante Informationen geben.
Das kann zu einem Perspektivenwechsel und zur Weiterentwicklung der eigenen Stärken
führen [8].
-
Bindungsstärkung unterstützen:
-
Frauen im Gespräch immer wieder an die Bauchatmung erinnern. Dies schafft Wohlbefinden
und Sicherheit.
-
Entschleunigung schaffen:
-
Durch ein verlangsamtes Tempo kann sowohl die Wahrnehmung des Gegenübers als auch
die eigene Wahrnehmung gesteigert werden.
Interdisziplinäres Unterstützungsnetzwerk
Neben einer emphatischen und sensiblen Betreuung sollten wir gut informiert und vorbereitet sein [7]. Dazu zählt, Hilfsangebote und Beratungsstellen in der Region zu kennen, zu wissen,
wie die Eltern mit Selbsthilfegruppen in Kontakt treten können oder wo sie finanzielle
Hilfe oder Therapieangebote finden [16]
[22]. Ein interdisziplinäres Unterstützungsnetzwerk ist in jedem Fall genauso unerlässlich wie unser Mitgefühl und unser emotionaler
Beistand [2]. Gespräche aller Art, vor allem mit Frauen in der gleichen Situation, gelten als
sehr hilfreich [4].
Es gibt viele Informationen und Anlaufstellen, die Eltern auf das Leben mit einem
kranken oder behinderten Kind vorbereiten, z. B. :
Unterstützung und Akzeptanz der elterlichen Entscheidung
Egal, ob Eltern sich nun für die Weiterführung der Schwangerschaft oder für den Abbruch
entscheiden, in gewisser Hinsicht ist es immer ein Verlust. Auch die Entscheidung, ein behindertes Kind zu bekommen ist quasi der Verlust von
der Vorstellung des gesunden, des idealen Kindes. Sobald aber diese Entscheidung getroffen
ist, erhoffen sich Eltern Akzeptanz und Unterstützung in dieser Entscheidung. Ab diesem
Zeitpunkt ist Neutralität nunmehr unerwünscht [16]
[17]. Jede Entscheidung, die die Frau trifft, ist richtig. Dass das vom Umfeld nicht
immer so gesehen wird, ist bekannt. Wissen hat seinen Preis. Eltern müssen die Verantwortung
tragen über Leben oder Tod eines eigentlich erwünschten Kindes. Wenn sich Eltern gegen die Fortführung der Schwangerschaft entscheiden, kann das Umfeld teilweise nicht verstehen, dass das Paar trauert, obwohl es doch
selbst den Tod des Kindes beschlossen hat [13].
Auch bei der Fortsetzung der Schwangerschaft können Eltern ambivalente Gefühle verspüren [20]. Im Kopf und im Herzen muss Raum für ein besonderes Kind geschaffen werden. Das
ist eine große Herausforderung [4]. Die Vorsorge sollte normal weitergeführt werden, eine gleichwertige Behandlung
zu gesunden Schwangerschaften ist wichtig. Dennoch muss ein sensibler Umgang gepflegt
werden, z. B. gilt es, das Mithören von fetalen Herztönen bei anderen Schwangeren
möglichst zu vermeiden [17]. Auch Geburtsvorbereitung ist bedeutend und sinnvoll – meist wird eine Interaktion
mit gesunden Schwangeren aber als schmerzlich empfunden, Kontakt will vermieden werden.
Hier wäre das Angebot von Einzelgeburtsvorbereitung hilfreich [17]
[20]. Gleichzeitig bietet sich dabei die Gelegenheit, die Frau beim Zugang zu ihrem Kind
zu unterstützen.
Wir wissen heute, dass „Nichtpassung“ zu Kontaktabbruch führt. Vorgeburtliche Erfahrungen
werden tatsächlich im Körper des Ungeborenen gespeichert. Deshalb ist es auch wichtig,
so weit wie möglich ein Maß an Sicherheit zu vermitteln [11], sei es durch Meditationen, Fantasiereisen oder Entspannungsübungen. Auch ausgebildete
Körpertherapeuten oder bindungsfördernde Eltern-Kind-Gruppen als Unterstützung wären
hilfreich.
Peripartale Betreuung
Da es grundsätzlich ein breites Spektrum hinsichtlich der Art und Schwere der Fehlbildung
bzw. Behinderung gibt, sind auch in der Betreuung während der Geburt viele Individualitäten
möglich. Die Behandlungsmöglichkeiten hängen wesentlich von der erwarteten körperlichen
Beeinträchtigung des Kindes ab. Zunächst muss eine Entscheidung über den Geburtsort und den Geburtsmodus getroffen werden [20]. Kinder mit Fehlbildungen, die mit dem Leben vereinbar sind, sind am besten in einem
Perinatalzentrum aufgehoben, um dort intensivmedizinisch betreut zu werden. Wenn allerdings
eine Letalität vorliegt, ist es durchaus möglich, auch eine außerklinische Geburt
zu planen [5].
Behandlung bei infauster Prognose
Neben der Betreuung selbst liegt die Schwierigkeit im Spannungsfeld der Geburtsbegleitung,
z. B. der technischen Überwachung oder dem Eingreifen bei kindlich indizierten Notfällen
[17]. Für die Geburtsbegleitung bei infauster Prognose ist wichtig, zu wissen, was die Eltern sich wünschen. Möchten sie eine intensivmedizinische Versorgung oder lieber eine friedvolle Atmosphäre?
Die Entscheidung über Notfallinterventionen muss im Vorfeld mit den Eltern besprochen
werden. Die Empfindungen der Frauen gehen in dieser Hinsicht auseinander: Manche Frauen
möchten technische Überwachung vermeiden, andere fordern sie ein, als etwas, das diesem
Kind ebenso zusteht wie einem gesunden Kind [17]. Da es eine große Bandbreite möglicher Entscheidungsresultate gibt, sollten Vorstellungen,
Wünsche und Bedürfnisse bestenfalls vorher in Gesprächen geklärt, schriftlich in Form
eines Geburtsplans festgehalten werden und für alle Berufsgruppen einsehbar sein.
Auf das Sterben vorbereiten
Wenn sich die Eltern für eine Fortführung der Schwangerschaft bei einer letalen Anomalie entscheiden, haben sie in der Regel den Wunsch, ihr Kind lebend kennenzulernen. Es
ist elementar für sie, ein Mitspracherecht zu haben. Sie möchten äußern können, welche Art der Versorgung sie für sinnvoll halten
und wollen sich mit ihren Ängsten ernst genommen und handlungsmächtig fühlen [17]. Unabhängig davon, welchen Geburtsort und welchen Geburtsmodus die Frau wählt, ist
das Gefühl der Geborgenheit und des Vertrauens zentral. Die Reduktion von Stressoren wie grelles Licht, Lärm oder Unruhe sind so
bedeutend wie der ungestörte Körperkontakt – das Kind noch einmal lebend im Arm gehabt
zu haben, zu wissen, dass es auf seinem kurzen und schweren Lebensweg nicht allein
war, sondern seine Eltern bei sich hatte. Dem Kind beim Sterben nahe gewesen zu sein,
ist später von unschätzbarem Wert für die früh verwaisten Eltern. Deshalb sollte es
unbedingt in der Sterbephase bei ihnen sein [9].
Zur Erleichterung der Hausgeburtssituation ist es ratsam, ein Unterstützungsnetz zu organisieren: einen Arzt, der nach dem Tod des Kindes den Totenschein ausstellt,
einen Kinderarzt, der beim Überleben des Kindes bei Bedarf Schmerzmittel verabreichen
und es palliativ versorgen kann. [17]. So kann die Angst vor dem Leiden des Kindes gemildert werden.
Geburt
Während der Geburt ist das Schaffen einer höhlenartigen Atmosphäre unterstützend,
in die sich die Gebärende zurückziehen kann: gedämpftes Licht, gelassene Stimmung und die Möglichkeit, verschiedene Gebärpositionen
einzunehmen, z. B. durch einen Geburtshocker oder Partnersitz.
Die Geburt wird sehr unterschiedlich erlebt: Von Freude, das Kind endlich im Arm halten
zu können, über Unsicherheit bis hin zu einem Gefühl von Bedrohung sind alle Emotionen möglich
[17]. Teilweise haben die Paare keinen Geburtsvorbereitungskurs besucht, konnten keine
Atemtechniken oder auch nicht den Umgang mit den Wehen erlernen. Besonders Frauen,
deren Kind bereits präpartal verstorben ist, werden während der Geburt häufiger mit
Gefühlen wie Einsamkeit konfrontiert [15]. Eine verstärkte emotionale Unterstützung unsererseits, kann den körperlichen und
gefühlsbedingten Stress der Frau lindern und ihr Sicherheit gewährleisten.
Schmerzmanagement
Wie bei jeder anderen Geburt muss man auf die Bedürfnisse der Frau eingehen, diese
erfragen und darf die Frau vor allem zu nichts drängen. Zwar erscheint es uns manchmal,
als müssten wir gerade diese Frauen in ihrer Schmerzlinderung unterstützen, ihnen
das Fühlen der Geburtswehen ersparen können – jedoch kommt dies nicht allen Gebärenden
entgegen [13]. Offensichtlich wird der Geburtsschmerz als unzumutbarer wahrgenommen, als jener,
der zur Geburt eines gesunden lebenden Kindes führt [15]. Doch die Selbstbestimmung bei der Geburtsarbeit ist wie bei „normalen Gebärenden“ enorm wichtig. Es braucht immer ein Gefühl von
Verständnis, emotionaler Zuwendung und Einfühlsamkeit der Betreuungspersonen [17]. So sehen manche Frauen die Geburt immer noch als ein gemeinsam zu bewältigendes
Ereignis und empfinden es so, als würden sie ihr Kind mit der Inanspruchnahme von
Schmerzmedikation alleine lassen.
Falls allerdings eine Analgesie von der Frau gewünscht ist, sollte diese gut und ausreichend
sein, allerdings sollten möglichst keine sedierenden Medikamente wie z. B. Diazepam
oder Dolantin verabreicht werden, da diese das Einsetzen der Trauerarbeit behindern
[13]. Besser Spasmolytika oder PDA anbieten.
Das Abnabeln kann durch den Vater erfolgen, wenn es die Situation erlaubt und er dies
wünscht.
Bei früheren Schwangerschaftswochen ist zu beachten, dass der Verlauf, obwohl die
Zervix zuvor unreif war, plötzlich rasch sein kann und der Muttermund nicht vollständig
eröffnet sein muss. Bei Kindern, die bereits vor der Geburt verstorben sind, kommt
es häufiger zu Einstellungsanomalien durch ihre fehlende Körperspannung. Aufrechte
Geburtspositionen erscheinen hier günstig.
Das „normale Gebären“ sollte sich auch auf die Behandlung des Kindes beziehen, die
Fehlbildung steht im Hintergrund – auch als Wertschätzung der Frau gegenüber, denn
sie wird durch dieses Kind zur Mutter [17].
Abb. 3 Werdende Mutter trägt Kind mit diagnostizierter Fehlbildung im Bauch: Durch Malen
können sich Kinder ausdrücken. Ihre Zeichnungen geben uns oft Aufschluss über Unbewältigtes
[13]. (Quelle: privat)
Postpartale Betreuung
Das veränderte Bild
Nach der Diagnose stellen sich Eltern oft eine Kreatur vor, die mit einem Baby nicht
mehr viel gemeinsam hat, je nachdem wie es ihnen durch den Ultraschall beschrieben
wurde. Das schürt Angst, sich dieses Wesen anzuschauen, gibt es doch Horrorvorstellungen
in unterschiedlichem Ausmaß, die man sich aus den Informationen selbst zusammengesetzt
hat. Wie wird es mit seinen Fehlbildungen aussehen? Sieht es noch aus wie ein Baby?
Was ist mit seiner Hautbeschaffenheit, besonders, wenn es schon einige Tage zuvor
gestorben ist? Überforderung und Scheu lassen sich erkennen. Eine Entfremdung zum eigenen Kind hat stattgefunden [17].
Postpartal sind die Eltern dann mit den Fehlbildungen direkt konfrontiert und müssen
einen Umgang damit finden. Wir sollten versuchen, ihre Angst zu verstehen und ihnen
ein emotionaler Beistand sein. So können wir ihnen eine Hilfestellung anbieten, wenn sie sich zunächst nicht
trauen, ihr Kind zu sehen. Wir können es stellvertretend „mit ihren Augen“, für sie
betrachten. Eine Möglichkeit ist, das Kind in ein Tuch oder eine Decke eingewickelt
zu halten und den Eltern Stück für Stück jede Einzelheit liebevoll und anschaulich zu beschreiben
[13]. Dabei kann man hervorragend Vergleiche zum Aussehen der Eltern herstellen und zum
Beispiel die „kleine Stupsnase“ erwähnen, die es wohl von der Mutter hat, oder die
langen Finger wie beim Vater. Auch die Andersartigkeit im Sinne sichtbar fehlgebildeter Körperteile darf hier benannt
werden. Dennoch sollten wir sehr vorsichtig und behutsam sein, da es die Eltern zusätzlich
frustrieren kann, dass sie nicht mit der gleichen liebevollen Art und Selbstverständlichkeit
mit ihrem Kind umgehen können [8].
Anerkennung zeigen
Frauen nehmen den Umgang der Hebamme mit ihrem Kind nach der Geburt genau wahr [17]. Gesten der Anerkennung sind zum Beispiel:
-
Empathie zeigen
-
Emotionale Betroffenheit wahrnehmen lassen
-
Das Kind unbedingt behandeln, wie jedes andere „normale“ Baby; respektvoller Umgang
-
Namentliches Ansprechen
-
Liebevolles Handling
-
Streicheln oder Halten des Kindes
-
Sprechen mit dem Kind
-
Gemeinsames Baden und Anziehen
-
Lob und Anerkennung aussprechen
-
Bei einem lebenden Kind, Eltern zur Geburt ihres Kindes beglückwünschen
„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“
Antoine de Saint-Exupéry aus „Der kleine Prinz“
Umgang mit dem Kind
Bei unserem Umgang mit dem Kind sollten wir uns immer bewusstmachen, dass Eltern ihr
Kind nicht aus der klinischen Sicht des medizinischen Betreuungspersonals sehen, sondern
mit den Augen des Herzens. Sie nehmen andere Details wahr [13]. Auch Kinder mit (schweren) Fehlbildungen tragen für die Eltern eine eigene Schönheit
in sich [9].
Oft sind die Eltern darüber erleichtert, dass das Aussehen ihres Kindes nicht ihren
schlimmsten Erwartungen entspricht [17] und suchen dann meist doch den Kontakt. Ob die Fehlbildungen dabei zunächst oder
generell überdeckt werden sollen, spricht man mit den Eltern ab. Für dieses Stadium
gibt es verschiedene Bewältigungsstrategien. Das Abwägen der eigenen Belastbarkeit steht im Vordergrund: Entweder die Eltern möchten das Kind unversehrt in Erinnerung
behalten, oder andererseits sehen und verstehen, dass es eine Fehlbildung gibt, die
nicht mit dem Leben vereinbar ist [17].
Die Suche nach ursächlichen Faktoren für die Fehlbildung, nach Gründen des Nicht-Überleben-Könnens, muss unbedingt ernstgenommen werden. Sie
wird für die Mutter, die häufig mit Schuldgefühlen kämpft, als emotional vorteilhaft
empfunden [15]. Ein Gespräch mit Spezialisten erweist sich hier als nützlich, denn es ist schwer
zu akzeptieren, dass Fragen unbeantwortet bleiben [13].
Wenn die Eltern dennoch nicht bereit sind, ihr Kind zu sehen, ist auch das zu akzeptieren.
Man muss ihnen diese Möglichkeit jedoch später immer noch einmal aufzeigen, denn oft
haben sie nicht den Mut, aktiv danach zu fragen [13]. Die meisten Eltern, die ihr Kind nicht gesehen haben und so nicht Abschied von
seinem Körper nehmen konnten, bereuen dies im Nachhinein zutiefst. Daher ist es wichtig,
ihnen deutlich mitzuteilen, dass es nur diese kurze Zeitspanne gibt, um Erinnerungen
zu sammeln, die für ein ganzes Leben reichen müssen [9].
Namensgebung und religiöse Rituale
Es ist immer gut, eine persönliche Anrede für das Kind zu verwenden, denn es hilft, ihm einen Platz in der Familie zu geben und es zu integrieren.
Für manche Paare ist es wichtig, dass ihr Kind noch getauft wird [17]. Wenn das Leben eines Neugeborenen bedroht ist, kann eine Nottaufe erfolgen. Diese
kann von jedem Christen, also auch von einer nicht geistlichen Person, vorgenommen
werden. So können auch Hebamme oder Arzt dies übernehmen. Das verwendete Wasser muss
nicht geweiht sein, es kann einfach normales lauwarmes Leitungswasser als Taufwasser
fungieren. Bei der Durchführung kann man folgenden Satz sprechen: „(Name des Kindes),
ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.“
Dabei dreimal Wasser über die Stirn des Kindes laufen lassen. Danach kann ein Vaterunser
gebetet werden. Voraussetzung für eine Taufe ist zum einen der Wunsch der Eltern und
zum anderen, dass das Kind noch lebt. Wenn es bereits verstorben ist, kann nur noch
eine Segnung stattfinden. Dazu kann man seine Hand auflegen und sprechen: „(Name des
Kindes), es segne dich der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.“ [9].
Bei anderen konfessionellen Zugehörigkeiten oder religiösen Orientierungen gibt es
oft andere, sehr individuelle Vorstellungen. Hier kann es hilfreich sein, schon frühzeitig
eine entsprechende Seelsorge zu konsultieren, die sich mit den jeweiligen Ritualen
auskennt.
Der bevorstehende Abschied
Die verbleibende Zeit, die die Eltern mit ihrem Kind haben, ist sehr unterschiedlich.
Bei den Eltern besteht ein Wunsch nach Anerkennung des Kindes und Anerkennung seiner Existenz. Die Wertschätzung für dieses Kind als Person unabhängig von seiner Fehlbildung ist
enorm wichtig [17]. Man sollte ihnen Zeit lassen und auch das Alleinsein mit ihrem Kind anbieten.
Verschiedene Studien zeigen, dass es für Eltern essenziell ist, ihr Kind so lange
bei sich haben zu dürfen, wie sie wollen [15]
[12]. Ein zu kurzer Zeitraum kann als belastend erlebt werden [17]. Sie möchten es sehen und halten. So erlangen sie die Bestätigung, dass es existiert
und dass ihr Verlust greifbar und real ist [12]. Durch eine ausreichende Abschiedszeit kann der Tod begriffen werden. Die Eltern
sollten unbedingt den Zeitpunkt des Abgebens des Kindes selbst bestimmen können. Wenn
es gewünscht ist, sollte das Paar ihr Kind zu Hause verabschieden dürfen. Die Eltern
müssen wissen, dass es durch den Bestatter die Möglichkeit gibt, das Kind von der
Klinik nach Hause zu bringen [17]
[9]. Durch das Schaffen von Erinnerungen in den eigenen Wohnräumen kann die Existenz
des Kindes an Realität gewinnen. Besonders in dieser Umgebung ist es leicht, die Geschwisterkinder
miteinzubinden. Auch sie können vom Körper des Kindes Abschied nehmen.
Geschwister ins Abschiednehmen einbeziehen
Geschwisterkinder sollten nicht ausgeschlossen, sondern mit einbezogen werden. Sie
können ansonsten keine Hilfe bei der Verarbeitung ihrer Gedanken und Gefühle bekommen.
Ohnehin haben sie sehr feine Antennen und spüren an unseren Reaktionen, dass etwas
nicht stimmt. Das kann dazu führen, dass sie eigene Fantasien darüber entwickeln,
was wohl passiert sein mag [13]. Sie sind hochsensibel für die Emotionen ihrer Eltern – Sorgen, Ängste und Trauer
bleiben nicht unbemerkt. Die Einbindung einer zusätzlichen Vertrauensperson aus dem
Familien- oder Freundeskreis erweist sich hierbei als hilfreich, um die Eltern psychisch
zu entlasten. Auch Geschwister müssen die Möglichkeit bekommen, das neue Familienmitglied kennenzulernen
und zu verabschieden
[9]. Offene und ehrliche Kommunikation ist unabdingbar.
Worte bewusst wählen
Die Wortwahl sollte stets behutsam und für die Eltern verständlich sein. Fachtermini
sind fehl am Platz. Unsere Sprache muss stets wertschätzend sein. Nach der Geburt wird ein Baby begrüßt – das steht auch einem toten Kind oder einem
Kind mit Behinderung zu! Das Kennenlernen beinhaltet ein Stück Normalität [17].
Frieden finden in einem liebevollen Abschied
Wir können den Eltern die Trauer nicht abnehmen oder sie verringern, aber wir können
gemeinsam mit ihnen den Schmerz aushalten [10].
Für den Trauerprozess ist es sinnvoll, den Eltern anzubieten, ihr Kind nach dem Versterben
zu baden oder zu waschen. So wird ihnen die Übernahme einer elementaren elterlichen
Aufgabe, nämlich der Körperpflege, ermöglicht [9]. Auch sollte man sie fragen, welche Kleidung sie für ihr Kind bevorzugen. Vielleicht
möchten sie selbst etwas zum Anziehen oder eine Decke mitbringen, in die das Kind
eingewickelt wird.
Weitere Informationen zum liebevollen Abschied eines Kindes sind hier zu finden:
Abb. 4 Erinnerungsstücke wie diese helfen bei der Trauerverarbeitung: Von den beiden identischen
Stoffherzen verbleibt das eine beim Kind, das andere erhalten die Eltern. (Foto: Jelena
Rensinghoff)
Erinnerungen schaffen
Wir müssen versuchen, eine Grundlage für eine wohltuende Erinnerung zu erlangen [15]. Elementar wichtig für die Eltern sind Beweise, die die Existenz des Kindes bestätigen
[12]. Oft konnten durch seine kurze Anwesenheit auf der Welt nur wenige Personen das
Kind kennenlernen. Daraus resultiert, dass auch nur wenige Menschen wissen und verstehen,
um wen die Eltern trauern.
Fassbare Erinnerungen helfen, das Geschehene zu verarbeiten. So kann man zum Beispiel eine Erinnerungsbox gestalten und mit Gegenständen bestücken,
die man mit dem Kind verbindet. Andenken, die einen positiven Einfluss auf den Trauerprozess
haben, sind zum Beispiel Hand- und Fußabdrücke mit Stempelfarbe auf Pappe oder eine
Haarsträhne vom Kind, welche allerdings nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Eltern
entnommen und dann am besten in einem kleinen Plastiktütchen aufbewahrt werden sollte.
Fotos halten genau fest, wie das Kind ausgesehen hat. So müssen sich die verwaisten
Eltern später nicht ausschließlich auf ihre Erinnerung verlassen. Außerdem haben sie
so die Möglichkeit auch anderen Personen ihr Kind zu zeigen und können ins Gespräch
kommen, damit auch das Umfeld am Verlust Anteil nehmen kann [9].
Neben eigenen Bildern ist es empfehlenswert, den Eltern vorzuschlagen, einen entsprechend
sensibilisierten Fotografen oder eine Fotografin zu beauftragen. Die Beschäftigten
der Organisation „Dein Sternenkind“ sind z. B. ehrenamtlich tätig, den Eltern entstehen
keinerlei Kosten. Sie bieten liebevolle und professionelle Erinnerungsfotos als Geschenk
an. Die Eltern sollten möglichst frühzeitig über diese Möglichkeit informiert werden.
Schön ist es, wenn sogar die Möglichkeit besteht, präpartal Vorstellungen und Wünsche
zu besprechen. Aufnahmen des Neugeborenen mit seinen Geschwistern, auf dem Arm von
den Großeltern oder sonstige Motive können den Eltern ein Anliegen sein.
Einige Eltern haben erst später den Wunsch, sich Fotos anzuschauen. Für diesen Fall
ist wichtig, ihnen Fotos in einem verschlossenen Umschlag mitzugeben oder mit Hinweis
an die Eltern in der Akte aufzubewahren.
Fassbare Erinnerungen gestalten
-
Hand- und Fußabdrücke
-
Namensbändchen
-
Namenskarte mit Geburtsdaten (Name, Geburtstag und -stunde, Gewicht, Länge)
-
Haarlocke (nur mit elterlicher Genehmigung!)
-
Brief an das Kind
-
Zeitung / Wetterbericht vom Geburtstag
-
Kiste selbst gestalten
-
zwei identische Kuscheltiere o. ä. – eines für die Eltern, eines mit zum Kind geben
-
Decke oder Tuch, in die das Kind eingewickelt war
-
Nabelklemme (beim Kind durch ein Bändchen aus Stoff oder durch einen Wollfaden ersetzen)
-
Fotos
Auf das unerwartete Überleben des Kindes vorbereitet sein
Die Prognose bezüglich einer Überlebenswahrscheinlichkeit kann auch bei schweren Fehlbildungen
(z.B. Nierendysplasien) nicht präzise vorhergesagt werden. Dann kann es sein, dass
im Kreißsaal innerhalb kürzester Zeit von Palliativversorgung auf den maximalen Einsatz
lebenserhaltender Maßnahmen umgeschwenkt werden muss [9].
Eine unerwartete und besondere Herausforderung ist das Überleben des Kindes bei einer
pränatal infausten Prognose. In einer solchen Situation beginnt bei den Eltern unmittelbar das Gedanken- und Gefühlskarussell,
wie im Spiralenmodell [Abb. 2] beschrieben. Sowohl für das Paar als auch für die Begleiter fehlt vorerst die Orientierung.
Es folgen viele Entscheidungssituationen. Häufig werden Entscheidungen dann überstürzt
getroffen. Die gesamte Bandbreite an Emotionen kann in diesen Situationen auftreten,
unter anderem Überforderung, Informationsbedürfnis, Gefühl des Alleinseins, Freude
und Euphorie, aber auch Gefühllosigkeit und Schock. Eine Absprache mit den Eltern
und auch die interdisziplinäre Kommunikation gestaltet sich in diesem Fall als sehr
schwierig. Es stellt sich die Frage, wie die Hebamme hier adäquat reagieren kann und
welche Standards und Methoden sich anbieten, um den Eltern in dieser Situation bestmöglich
Orientierung und Sicherheit zu geben.
In der Schock-Phase wird der Dialog zu sich selbst abgebrochen. Der Mensch spürt sich
nicht mehr, kann nicht mehr beschreiben, was im eigenen Körper passiert [11]. Dies führt zu einer Art Versteinerung, wodurch die Eltern sich abgrenzen und aus
der Situation zurückziehen. Auf diese Weise kommt es häufig auch zu einer Ablehnung des Neugeborenen
[17]. Für die Fachfrauen ist es sehr wichtig, nicht über diese scheinbare Emotionslosigkeit
zu urteilen und kein bestimmtes Elternverhalten zu erwarten. Wichtig ist, das Dabeibleiben,
das Informieren und das Anerkennen dieser Emotionen.
Überlebt das Kind deutlich länger als prognostiziert, können sich die Emotionen der
Eltern im Lauf der Überlebenszeit des Kindes verändern. Bei manchen Paaren zeigt sich
eine Ambivalenz ihrer Gefühle. Der Wunsch nach dem Überleben des Kindes und die Angst
vor seinem Sterben stehen der Angst vor dem Überleben des Kindes gegenüber. Diese ambivalenten Gefühle lösen Schuldgefühle aus
[17]. Für die Fachpersonen ist es daher besonders wichtig, sich diese ambivalenten Gefühle
der Eltern bewusst zu machen und nicht zu bewerten. Den Eltern muss Raum für ihre
Gefühle gegeben werden, um die Voraussetzung für ein gutes Vertrauensverhältnis zu
schaffen. Dies kann durch gute Orientierung, Einbindung, Entlastung und Zeit unterstützt
werden. Wir müssen Standpunkte ernst nehmen, Gespräche auf Augenhöhe führen und, wenn
nötig, eine Entschuldigung einräumen [17].
„Das eine Kind ist so, das andre Kind ist so, doch jedes Kind ist irgendwann geboren
irgendwo.“
Rolf Zuckowski, Liedtext
Betreuung im Wochenbett
Wenn wir als Hebammen Familien begleiten, deren Geschichte auch uns viel Kraft kostet, ist es ratsam, diese Besuche ans Ende unserer Route für die Wochenbettbesuche zu
legen. Nur so können wir in der empathischen Betreuung echt sein und müssen uns bei den
Besuchen der nachfolgenden Familien nicht verstellen. Wir sollten unsere emotionalen Reaktionen nicht unterschätzen.
Selbstfürsorge
Auch für die Hebamme kann eine solche Begleitung emotional belastend sein. Deshalb ist es unerlässlich, auf eine gute Selbstpflege zu achten. Diese beinhaltet u. a. die Wahrnehmung der persönlichen Grenzen und eigener körperlicher Warnsignale. Es ist absolut in Ordnung und auch notwendig, sich Schwäche zuzugestehen.
Die Belastung ist stärker, je unvorbereiteter die Hebamme ist. Hilfreich ist das Lesen
von Büchern und die Auseinandersetzung mit dem Thema. Fortbildungen stärken die Sicherheit
im Umgang mit den Eltern und helfen, die richtigen Worte zu finden [10]
[14].
Eine gemeinsame Fallbesprechung mit allen teilnehmenden Akteuren ist neben einer Supervision
ideal. Hier können persönliche Grenzen, belastende Situationen und die eigene Überwältigung
mit passenden Hilfsstrategien oder -angeboten beleuchtet werden.
Gibt es nun den richtigen Weg? Durch die intensive Auseinandersetzung mit diesem Thema sind wir zu dem Schluss gekommen,
dass existenzielle Entscheidungen, die eine derartige Bedeutung haben, selten zu einem
Wohlbefinden führen. Somit gibt es in dem Prozess kein richtig und kein falsch. Unsere Aufgabe als Hebammen ist es, auf dem individuellen Weg der Eltern mit- und
nicht voranzugehen. Sie müssen darauf vertrauen können, alles sagen zu dürfen, was sie beschäftigt, und
dennoch von uns unterstützt, respektiert und wertgeschätzt zu werden. Denn ob eine
Person gestärkt oder geschwächt aus einer Lebenskrise hervorgeht und diese verarbeiten
kann, hängt auch wesentlich von unserer Betreuung und Begleitung ab.