physiopraxis 2020; 18(02): 56-58
DOI: 10.1055/a-1071-0222
Perspektiven
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Der richtige Mensch am falschen Platz – Fehlbesetzungen vermeiden

Barbara Freitag-Herse
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Publikationsdatum:
13. Februar 2020 (online)

 

Bei der Besetzung einer Schlüsselstelle ist Fingerspitzengefühl gefragt. Doch auch, wenn die Entscheidung für ein bestimmtes Teammitglied anfangs manchmal noch so gut und richtig erscheint, kann sie sich als Fehlbesetzung entpuppen. Dann sollten Sie handeln, und zwar schnell.


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Barbara Freitag-Herse

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Barbara Freitag-Herse ist selbstständige Ergotherapeutin, Coach, Dozentin und Kommunikationstrainerin. Seit vielen Jahren begleitet sie therapeutische und pädagogische Teams in Findungs- und Konfliktsituationen. Hier und auch in den Familiencoachings liegt ihr besonders der wertschätzende und gleichwürdige Umgang miteinander am Herzen. „Gemeinsam zu Begeisterung, Lachen und Entwicklung“ ist ihr Grundthema bei Workshops und Seminaren.

Man könnte vermuten, dass in diesen Zeiten von Fachkräftemangel eine falsche Personalauswahl mangels Auswahl häufiger vorkommt, da man „eben den einen nimmt, der halt kommt“. Weit gefehlt! Im Dezember 2013 veröffentlichte „Spiegel online“ eine Studie, in der 2.800 Personalchefs und Geschäftsführer zum Thema Fehlbesetzung befragt wurden. Dort berichtete – vermutlich nur, weil die Studie anonymisiert wurde – mehr als ein Drittel, in den letzten sechs Monaten eine Stelle falsch besetzt zu haben.

Nun sind wir Praxisinhaber oder fachliche Leitungen eher selten mit einer organisierten Personalabteilung, mit Headhuntern oder Recruitern ausgestattet und müssen auch nicht aus 200 Bewerbern den einen Richtigen herausfinden. In unseren Praxen und auch in kleineren Teams des Mittelstands hat diese Situation jedoch nicht weniger, unter Umständen sogar existenzielle Konsequenzen. Daher ist es doch recht pfiffig, sich dieses Thema mal in der freien Wirtschaft anzusehen und die Aspekte, die für uns sinnvoll sind, zu modellieren.

Zwei Fallbeispiele

In unseren therapeutischen Teams gibt es nicht so viele unterschiedliche Stellen, aber die Befugnisse, Fachbereiche und Zuständigkeiten können sehr unterschiedlich sein. Anfang dieses Jahres begleitete ich ein Team in Norddeutschland. In dieser recht großen Praxis arbeiteten zu diesem Zeitpunkt 24 Therapeuten zum Teil schon seit vielen Jahren zusammen. Die engagierte und ihrem Team sehr zugeneigte Chefin, ebenfalls Therapeutin, hatte vor rund acht Monaten ein Teammitglied, eine ebenfalls erfahrene und ihr seit Langem freundschaftlich verbundene Therapeutin, zu ihrer Vertreterin ernannt. Zunächst lief alles gut, dann häuften sich die Schwierigkeiten. Im Team „knirschte“ es, obwohl die Personalentscheidung transparent kommuniziert und durchgesetzt wurde. Immer öfter gab es Hindernisse im Abrechnungsflow, wichtige Dinge wurden nicht oder nur teilweise von der neuen Vizechefin erledigt. Es folgten unplanmäßige Überstunden, eine deutliche Verschlechterung der Organisation und der innerbetrieblichen Kommunikation. Dabei hatten sich alle bis dahin sehr gut mit der neuen Besetzung verstanden, man hatte prima im therapeutischen Team zusammengearbeitet und sie für ihr Fachwissen und die Hilfsbereitschaft geschätzt. Diesem wirklich wertvollen Teammitglied, das auch noch mit der Chefin befreundet ist, will natürlich niemand sagen: „Hey, ich glaube, du machst das da nicht richtig, du bist überfordert!“ Die Praxisinhaberin selbst bemerkte lange nichts von den Veränderungen, denn auch ihr wollte man nicht auf die Füße treten. Erst als ein langjähriges Teammitglied und geschätzter Therapeut in einem vertraulichen Gespräch der Chefin mitteilte, dass er darüber nachdenke, sich eine andere Stelle zu suchen, wurden die angesammelten Unstimmigkeiten und die Schieflage offenbar.

In einem anderen Team wurde eine noch recht neue Mitarbeiterin mit den Aufgaben betraut, die die therapeutischen Behandlungen in einem großen Pflegeheim mit sich bringen: Kontakt zu den verschiedenen Stationen, Behandlung der Patienten, Verordnungsmanagement usw. Aufgrund ihrer bisherigen beruflichen Erfahrungen hatte sie sich dies zugetraut, als sie vom fachlichen Leiter dahingehend befragt wurde. Nach ein paar Wochen wurde klar, dass dies nicht der Realität entsprach. Die Stationen beklagten sich, wenn auch sehr freundlich, über die schlechter gewordenen Absprachen, die Patienten – manchmal weniger freundlich – über die ständig gehetzte Therapeutin, die nicht bei der Sache sei.

Was tun, wenn’s im Team „knirscht“?
  1. Hören Sie zu

    Hören Sie sich die Argumente des Teams offen an und schließen Sie bitte nicht von vornherein aus, dass dieser Mitarbeiter nicht für den Posten geeignet ist, auf den Sie ihn gesetzt haben.

  2. Seien Sie ehrlich und fair

    In einem Personalgespräch fragen Sie den Mitarbeiter dann nach seiner persönlichen Einschätzung seiner Arbeitsleitung, seiner Arbeitszufriedenheit und eventuellen Problemen. Oft öffnen sich nun die Mitarbeiter und berichten, dass sie sich über- oder unterfordert fühlen, Arbeitsabläufe nicht ausreichend verstanden haben oder sich unverstanden fühlen. Jetzt können Sie aktiv und führend deutlich werden. Mit einer Aussage, dass sie „nun gemeinsam nach konstruktiven Lösungen und Veränderungen suchen, da die momentane Situation nicht tragbar ist“, signalisieren Sie die erforderliche Hilfsbereitschaft, machen aber auch deutlich, dass es ernst ist und sich der Betreffende nicht entspannt zurücklehnen kann, wenn er an der Zusammenarbeit interessiert ist.

    Ich habe bisher nur sehr selten erlebt oder davon gehört, dass ein Mitarbeiter „aus allen Wolken fällt“ und bis zu dem Gespräch glaubte, es sei alles wunderbar. Sollte dies so sein, empfehle ich Ihnen dringend, sich von diesem Mitarbeiter zu trennen. Denn wenn er/sie – vorausgesetzt, Sie haben die gegen ihn sprechenden Fakten überprüft – keinerlei Wahrnehmung für seine fehlerhaften Arbeitsleistungen hat, können Sie sich auch zukünftig nicht auf die Aussagen dieses Mitarbeiters verlassen. Dies hat auch der Rest Ihres Teams nicht verdient!

  3. Bringen Sie aktuelle Baustellen in Ordnung

    Bevor Sie an die weiteren Schritte denken, sind zunächst die Dinge zu bereinigen, die brach liegen, versäumt wurden oder schiefgelaufen sind. Nach der Devise „first things first“ priorisieren Sie die größeren und kleineren Dramen, auch nach der Wirtschaftlichkeit. Ich begleitete eine Praxis, in der eine Mitarbeiterin Verordnungen im Gesamtwert von knapp 15.000 Euro unabrechenbar machte, obwohl ihre Fehlbesetzung der Leitung bekannt war. Es wurden jedoch zuerst andere Baustellen wie Fahrzeitenabrechnung und Überstunden geklärt, sodass sich die fehlerhaften Verordnungen weiterhin ansammelten. Auch für Ihre anderen Mitarbeiter ist es vorrangig, dass Ihrem Unternehmen kein weiterer wirtschaftlicher Schaden entsteht.

  4. Ziehen Sie Bilanz

    Wie haben Sie diesen Mitarbeiter bisher wahrgenommen? War er/sie bisher zuverlässig und hat Kompetenzen, Fortbildungen, auf die Sie nicht verzichten wollen? Dann können Sie ihm entweder durch Fortbildungen das noch fehlende Wissen zukommen lassen und ihm einen anderen Kollegen zur Seite stellen. Oder Sie finden eine Aufgabe, die besser zu seinen Fähigkeiten passt. Nicht jeder gute Therapeut hat auch ein Händchen für Bürokratie und planerischen Weitblick, somit ist er für die Position der fachlichen Leitung ungeeignet. Andere Therapeuten sind mit einem abzuarbeitenden Terminplan langfristig unterfordert. Sie beginnen sich zu langweilen, werden unzufrieden und nachlässig. Auf Dauer sind sie nicht die Richtigen, um die Warteliste abzuarbeiten, jedoch vielleicht genau die Passenden, um kreativ über Projekte, neue Assessments oder eine Fortbildungsstruktur nachzudenken.

In beiden Fällen haben die Führungskräfte eine falsche Entscheidung getroffen beziehungsweise die falsche Person an diesen Platz gesetzt. Das ist ein kritischer Punkt, denn zuzugeben, dass wir eine falsche Entscheidung getroffen haben, ist nicht leicht. Einfacher wäre es, einen Schuldigen oder andere Gründe zu finden. Womöglich könnte das Heim zickig geworden sein, die Patienten zu fordernd, dem Mitarbeiter aus dem ersten Beispiel ist langweilig geworden oder es ist Vollmond … – ja, all das ist möglich. Aber eben auch, dass wir eine falsche Person ausgewählt haben und nun in der Führungsverantwortung stehen, damit umzugehen.

Verschieben Sie die Suche nach den Ursachen, bis die aktuelle Situation geklärt ist.


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Geben Sie Nachhilfe – oder trennen Sie sich

Fehlbesetzungen bedeuten nicht, dass der Mensch falsch ist. Das wäre genauso, als würden wir einem Kind, das in einer Mathearbeit eine Fünf nach Hause bringt, sagen, das Kind sei eine Fünf. Wenn sich herausstellt, dass Sie einem Mitarbeiter eine Aufgabe zugewiesen haben, die dieser mangelhaft erledigt, können Sie ihm Nachhilfeunterricht anbieten. Vorausgesetzt Sie können es sich leisten und es handelt sich um einen wertvollen Mitarbeiter. Wenn Sie festgestellt haben, dass es sich jedoch in vielen Bereichen um mangelhafte Arbeit handelt, es wenig Einsicht, Lernbereitschaft oder Motivation gibt, bleibt unter Umständen nur der Weg, sich von diesem Mitarbeiter zu trennen. Ich weiß, dass in unseren wirklich therapeutenarmen Zeiten, in denen wir froh sind über jeden, der in unserem Team mitarbeiten will, eine Kündigung das ist, was jeden Praxisinhaber in Panik versetzt. Nun halten Sie aber bitte Ihre Vernunft, Ihre Rechenfähigkeiten und auch die Verantwortung beisammen – für sich, das restliche Team und nicht zuletzt die Patienten. Da ich selbst Inhaberin einer Praxis bin, kenne ich die Unterversorgung, das Wartelistendrama und auch den Mangel an guten Therapeuten sehr gut. Gerade dann können wir uns eine Fehlbesetzung noch weniger leisten, denn auf Dauer kostet es unendlich viel Zeit, in der Sie kontrollieren und nacharbeiten müssen. Es kostet Kraft, ständig in Lauerstellung zu sein, ob wieder ein Drama geschieht. Nicht zuletzt kostet es Sie richtig viel Geld, was dann auch ihr restliches Team und die zurzeit noch gut versorgten Patienten in Ihrer Behandlung bedroht.

Mit Prävention kennen wir Therapeuten uns aus. Also: Wie beugt man effektiv und effizient einer Fehlbesetzung vor? Hier gilt die einfache Regel: Je mehr Zeit Sie vorher investieren, desto mehr Zeit (und Nerven …) sparen Sie später!


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So beugen Sie Fehlbesetzungen vor

Analysieren Sie die Aufgabe, die Stelle, die Sie vergeben wollen: Was genau ist dort zu tun? Bitte sagen Sie jetzt nicht mit rollenden Augen „als Therapeut weiß man das doch“. Weit gefehlt! Unpräzise Beschreibungen wie „die soll das Heim im Stadtteil XY machen“ sind die Hauptursache für Fehler und Fehlbesetzungen. Was genau ist dort zu tun? Welche Vorarbeiten sind nötig? Wegezeiten? Kümmert sich die Therapeutin um die Verordnungen? Wer hat den Kontakt zu den Stationen? Gibt es dort Teamsitzungen, an denen wir teilnehmen? Wer organisiert die Therapiezeiten dort? Räumlichkeiten, Gruppen? Kommen Sie dem sozialen Dienst mit seinen Angeboten in die Quere? Wer ist erster Ansprechpartner, wenn ein Patient ausfällt?

Es gibt keine falschen Mitarbeiter, nur den falschen Arbeitsplatz.

Ich kann Sie nur einladen, alle Fragen der Arbeitsplatzgestaltung genauestens unter die Lupe zu nehmen, denn nur dann wissen Sie, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten ihr potenzieller Mitarbeiter an dieser Position benötigt. Braucht es dort einen flexiblen, kommunikativen Menschen, der die Reihenfolge der Patienten und Stationen spontan umswitchen kann, oder eher jemanden, der beständig und ruhig ist? Braucht dieser Therapeut viel Organisationstalent und Liebe zur Bürokratie oder wird alles von Ihrer Rezeptionsheldin geplant? All diese Fragen, die wir jetzt beispielhaft für ein Pflegeheim betrachtet haben, können Sie nur beantworten, wenn Sie die bei Ihnen freie Position ganz genau analysiert und die Erfordernisse priorisiert haben.

Nun wissen Sie, nach wem Sie bei Bewerbungsgesprächen Ausschau halten müssen. Sie können ganz gezielt die Skills eruieren, die Sie benötigen. Allen Praxisinhabern und fachlichen Leitungen, die sich häufiger mit Bewerbungsgesprächen beschäftigen, sei von Herzen das Buch „Systematische Bewerberinterviews“ von Berndt und Wierzchowski empfohlen. Erschrecken Sie nicht – es wirkt sehr umfangreich und analytisch, ist jedoch hervorragend dafür geeignet, sich selbst zu schulen, um falsche Besetzungen zu minimieren. Vieles ist sehr leicht umzusetzen und entspricht in der Methodik dem ergotherapeutischen Denken (Verhalten – Situation – Ergebnis).


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Zum Abschluss: der Bauch

Zum Abschluss bleibt noch das Wichtigste: Befragen Sie Ihren Bauch! Dieses ominöse weise Gefühl, das sich mal lauter, mal leiser meldet, ist, wenn wir es gemeinsam mit dem Verstand zu Wort kommen lassen, eine sehr zielsichere Personalabteilung. Rückblickend können wir fast immer sagen, dass es da in einer kleinen hinteren Ecke einen Zweifel oder sogar ein Veto gab, wir haben aber nicht darauf gehört. Geben Sie dem Bauchgefühl Raum und Stimmrecht. Zusammen mit dem Verstand sind Sie dann sicherlich besser beraten als mit der Angst, die Sie womöglich zu Entscheidungen treibt, die Sie später eventuell teuer zu stehen kommen.

So wünsche ich Ihnen zum Anfang des Jahres 2020 viele wundervolle Gelegenheiten wahrzunehmen, wie glatt und fröhlich unser Laden laufen kann, wenn jeder Mitarbeiter an der Position sitzt, die für ihn und die anderen die richtige ist.


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