Daten sind das Gold des 21. Jahrhunderts – so zumindest hört und liest man es sehr
oft in ökonomischen Beiträgen zur Digitalisierung wirtschaftlicher Prozesse [1]. Je mehr Daten generiert werden und je wichtiger wir sie nehmen, erhalten auch politische
Entscheidungen zum Verhältnis von Nutzung bzw. Auswertung und damit auch von Monetarisierung
unserer Daten einerseits und deren Privatheit und Schutz andererseits eine immer größere
Bedeutung. Um hier richtig zu entscheiden, bräuchte man eigentlich Kosten-Nutzen-Analysen,
die es jedoch ganz einfach nicht gibt.
Was es auf jeden Fall gibt, ist jedoch – wahrscheinlich hierzulande weltweit am deutlichsten
– ein großes Unbehagen im Hinblick auf den Zugang von Unternehmen und staatlichen
Institutionen zu personenbezogenen bzw. persönlichen Daten. Weil Datenschutz und Datensicherheit
weltweit immer wichtiger werden, führte die Europäische Union (EU) am 25. Mai 2018
(Beginn der EU-weiten Gültigkeit) eine umfassende Reihe von Datenschutzbestimmungen
ein: die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO oder DS-GVO; französisch Règlement général
sur la protection des données RGPD, englisch General Data Protection Regulation GDPR).
Während die USA noch nicht so weit sind, gibt es in Kalifornien seit dem 1.1.2020
ein Gesetz, den California Consumer and Privacy Act (CCPA), das regelt, wie Unternehmen
auf der ganzen Welt mit den personenbezogenen Daten von in Kalifornien ansässigen
Personen umgehen dürfen und das der EU DSGVO sehr ähnlich ist.
In vielen Ländern der Welt ist die Situation noch nicht geklärt. Hinzu kommt, dass
es erstens nur sehr wenige Daten dazu gibt, wie viel der Datenschutz den Menschen
wirklich wert ist, dass diese zweitens oft nur qualitativer Natur und auf Meinungen
zum Datenschutz im Allgemeinen beschränkt sind, und dass drittens quantitative Daten
hierzu völlig fehlen. Es ist deshalb von großem Interesse, dass im Januar und März
2020 2 Studien erschienen sind, in denen jeweils gemessen wurde, wie viel verschiedene
Typen von Daten den Menschen aus verschiedenen Ländern ganz konkret wert sind.
Jeffrey Prince vom Department of Business Economics and Public Policy an der Indiana
University und Scott Wallsten vom Technology Policy Institute in Washington, DC, publizierten
im Januar 2020 eine Studie, im Rahmen derer gemessen wurde, wie viel US$1 verschiedene Typen von Daten (über Finanzen, Biometrie, Standort, Netzwerke, Kommunikation
und Web-Nutzung), die von verschiedenen Institutionen gesammelt werden, den Menschen
aus verschiedenen Ländern (USA, Mexiko, Brasilien, Kolumbien, Argentinien und Deutschland)
jeweils ganz konkret wert sind.
Man kann diese Frage auf 2 Arten stellen:
-
„Wie viel würden Sie verlangen, um Ihre Daten preiszugeben?“ und
-
„Wie viel würden Sie bezahlen, damit Ihre Daten nicht preisgegeben werden?“
Man spricht im ersten Fall von „willingness to accept (WTA)“ und im zweiten Fall von
„willingness to pay“ (WTP). Da es erstens bereits mehr Studien zum ersten Verfahren
(WTA) gibt und dieses Bezahlmodell auch tatsächlich eher praktische Anwendung in der
realen Wirtschaft findet2, stellte man die Fragen im WTA-Modus. Wie man weiß, sind die Bewertungen in diesem
Modus eher höher als im WTP-Modus, sodass die erhobenen Werte die tatsächlichen Werte
der Menschen eher über- als unterschätzten.
Die Autoren gingen auf recht komplexe Weise vor: Sie entwickelten 4 Fragebögen, die
sich auf 4 Plattformen beziehen, auf denen persönliche Informationen über den jeweiligen
Teilnehmer vorliegen: Den Mobilfunkanbieter, das Finanzinstitut (Bank), das Smartphone
und das Facebook-Konto des Befragten. Konkret wurde gefragt, für wieviel Geld monatlich
die Teilnehmer bereit wären, ihre persönlichen Daten zu Finanzen, Biometrie, Standort,
Netzwerke, Kommunikation und Web-Nutzung zur Verfügung zu stellen. Die Umfrage war
internetbasiert und wurde bei 15 600 Menschen durchgeführt. Die Teilnehmer konnten
dabei unter verschiedenen Angeboten der Plattformen auswählen, bei denen sie für die
Überlassung unterschiedlicher Typen von Daten, unterschiedlich große monatliche Zahlungen
erhielten. Zudem wurde bei der Hälfte aller Befragungen (randomisierte Zuordnung)
vorher auf die Vorteile der Nutzung solcher Daten durch Dritte hingewiesen, insbesondere
im Hinblick auf die Möglichkeiten von zielgenauer Werbung. Die Ergebnisse waren durchaus
bemerkenswert: Im Durchschnitt aller Länder und Plattformen legten die Menschen den
größten Wert auf die Geheimhaltung von Finanzdaten, biometrischen (Fingerabdruck-)
Informationen und von ihnen produzierten Texten (▶[
Abb. 1
]).
Abb. 1 Durchschnittlicher von den Teilnehmern (aus allen Ländern, über alle 4 Plattformen
hinweg und über die Bedingung „Vorherige Information zum Benefit von Data sharing
– ja/nein“ gemittelter) geforderter monatlicher Betrag für die Erlaubnis, auf bestimmte
Typen von Daten des Nutzers zuzugreifen und Dritten zur Verfügung zu stellen (nach
Daten aus [6]).
Um einer Plattform den Austausch dieser Informationen mit Dritten zu ermöglichen,
müsste die Plattform den Nutzern monatlich 8,44 US$ für Daten zum Bankguthaben, 7,56
US$ für den Fingerabdruck, 6,05 US$ für das Lesen der persönlichen Texte und 5,80
US$ für den Austausch von Informationen über Bargeldabhebungen zahlen. Nur monatlich
1,82 US$ wollten die Nutzer dagegen für die Weitergabe ihres Standortes und im Mittel
gar nichts für die Zusendung von Werbung per Kurznachricht bezahlt haben.
Zwischen den untersuchten 6 Ländern gab es signifikante Unterschiede (▶[
Abb. 2
]). Im Allgemeinen ließen sich die Menschen in Deutschland ihren Verzicht auf den
Datenschutz teurer bezahlen als die Menschen in den USA und in Lateinamerika. Deutsche
Befragte wollten für Daten zu Bankguthaben monatlich 15,43 US$ und für Daten zu Barabhebungen
monatlich 13,42 US$.
Abb. 2 Durchschnittswerte für das, was man in den 6 untersuchten Ländern für den Verzicht
auf Datenschutz monatlich verlangt in Abhängigkeit von der Art der Daten (Daten-Typ).
Die Abbildung bestätigt die Vermutung, dass die Deutschen dazu neigen, ihre Privatsphäre
mehr zu schätzen als andere (nach Daten aus [6]).
Dieses Ergebnis ist weitgehend auf die starke Abneigung der Deutschen zurückzuführen,
ihre finanziellen Daten anderen preiszugeben. Bei ihrem Fingerabdruck hingegen sind
die Deutschen nicht so pingelig: Wie aus ▶[
Abb. 1
] hervorgeht, wird der Fingerabdruck im Durchschnitt aller Länder von allen untersuchten
Datentypen am zweithöchsten bewertet – nicht aber von den Deutschen. Oder nochmal
anders: Während den Deutschen Daten über ihren Fingerabdruck nur halb soviel wert
sind wie Daten über ihr Bankkonto, ist es bei den Kolumbianern umgekehrt. Interessant
ist zudem das Ergebnis, dass es den Menschen relativ wenig wert ist, zielgerichtete
Werbung nicht zu bekommen; in Lateinamerika (Argentinien, Kolumbien und Mexiko) würden
die Menschen sogar etwa 2,50 US$ pro Monat bezahlen, um Werbung zu bekommen. Dieses
Ergebnis war übrigens – wie alle anderen auch – unabhängig davon, ob Vorinformationen
zu den positiven Auswirkungen von Datenüberlassung und damit von zielgerichteter Werbung
gegeben worden waren oder nicht. Der Schutz von Daten zum eigenen Standort war den
Menschen in jedem Land ebenfalls nur wenig wert (im Mittel weniger als 2 US$/Monat;
▶[
Abb. 1
]). Relativ viel wert war den Menschen überall dagegen, was sie an privaten Texten
schreiben (etwa 6 US$/Monat) und mit welchen Menschen sie Kontakte haben (etwa 5 US$/Monat).
Weiter wurde untersucht, ob sich die 4 Plattformen darin unterscheiden, wieviel sie
für die Nutzung der eigenen persönlichen Daten zahlen müssten. Im Prinzip sollte es
hier von Plattform zu Plattform keine wesentlichen Unterschiede geben, denn es geht
ja darum, dass jede Plattform für das Gleiche bezahlt, nämlich dafür, die persönlichen
Daten mit Dritten zu teilen – und das könnten jeweils genau dieselben sein. Es sei
angemerkt, dass der Parameter WTA („willingness to accept“) in seiner monetären Ausprägung
in diesem Zusammenhang als Index für Vertrauen operationalisiert wurde. In der Realität
vertrauen die Menschen den verschiedenen Plattformen in unterschiedlichem Maße. (Vielleicht
glauben die Nutzer auch, dass die Praktiken der Datenfreigabe bei den Plattformen
unterschiedlich sind.) Weil in den Umfragen nicht für jede Plattform nach den gleichen
Arten von Informationen gefragt wurde (das ergibt keinen Sinn), sind Vergleiche zwischen
den Plattformen (im Hinblick auf die gleichen Fragen) nur begrenzt möglich (▶[
Abb. 3
]).
Abb. 3 Menschen in allen 6 Ländern vertrauen ihrem Mobilfunkanbieter (blaue Säulen) weniger
als Facebook (rote Säulen), denn der müsste mehr als Facebook bezahlen, um Kontaktinformationen
zu erhalten (Mitte). Nur in Deutschland misstraut man Facebook nahezu ebenso stark
wie dem Mobilfunkanbieter. Auch der Smartphone-Firma (orange Säulen) misstrauen die
Deutschen mehr als die Menschen in den anderen Ländern, wenn es um Daten zum Standort
geht (rechts). Man sieht auch hier im Vergleich zum Mobilfunkanbieter (blaue Säulen),
dass diesem weniger vertraut wird (d. h. es wird mehr Geld verlangt). Auch beim Vergleich
der geforderten Kosten für das Zulassen von Werbung (links) von Bank, Smartphone-Firma
und Mobilfunkanbieter schneidet dieser am ungünstigsten ab. Negative Werte zeigen
hier an, welcher Plattform die Menschen in den Ländern für Werbung bezahlen würden
(nach Daten aus [6]).
Zwar sind die Menschen länderübergreifend eher bereit, Kontaktinformationen mit Facebook
zu teilen als mit ihrem Mobilfunkanbieter. Der Betrag, den Facebook den Nutzern für
das Recht, Kontaktdaten zu teilen, zahlen müsste, unterscheidet sich zwischen einzelnen
Ländern jedoch erheblich: In Deutschland ist er mit Abstand am höchsten.3 Zudem ist interessant: Von allen 4 Plattformen wird dem Mobilfunkanbieter das wenigste
Vertrauen entgegengebracht. Mit Ausnahme von Deutschland hat es Facebook aber offenbar
geschafft, ein größeres Vertrauen zu erzielen, wobei möglicherweise aber auch anzunehmen
ist, dass den Menschen oft gar nicht klar ist, was Facebook alles mit ihren Daten
anstellen kann (und ja tatsächlich auch anstellt [9]).
Im Hinblick auf demografische Variablen gibt es aus dieser Studie wenig Neues zu berichten:
Ältere vertrauen weniger (d. h. fordern mehr Geld für die Weitergabe ihrer Daten)
als jüngere, Frauen vertrauen weniger als Männer; das Einkommen hatte übrigens keinen
Einfluss auf das Vertrauen bzw. die finanziellen Forderungen. Ob Informationen vor
der Befragung zu den Vorteilen der Weitergabe von Daten gegeben wurden oder nicht,
hatte interessanterweise keinen Einfluss auf die Forderungen bzw. das Vertrauen. Dies
zeigt nach Meinung der Autoren an, dass die Bewertungen (bzw. Forderungen) der Menschen
bezüglich ihrer Privatheit relativ stabil und wenig beeinflussbar seien.
Abschließend sei zu dieser Studie noch bemerkt, dass es hier nicht um eine Kosten-Nutzen-Analyse
des Datenschutzes handelte, sondern nur um eine der Kosten. Nehmen wir ein Beispiel,
das auch die Autoren verwenden, um dies zu illustrieren: „Nehmen wir an, dass die
Geheimhaltung von Standortdaten bedeutet, dass ihr Smartphone im Straßenverkehr keine
oder weniger genaue Fahranweisungen gibt. Die Nettovorteile, die sich aus der Forderung
nach der Geheimhaltung von Standortdaten auf Smartphones ergeben würden, lägen daher
bei 1,20 Dollar (▶[
Abb. 3
], erster Balken von rechts) abzüglich der Tatsache, wie sehr die Menschen qualitativ
hochwertige Wegbeschreibungen auf ihrem Telefon schätzen. Dasselbe Argument gilt für
alle Arten von Daten“ [6]. Da die Teilnehmer nur danach gefragt wurden, was ihnen die Aufgabe von Privatheit
wert ist, und nicht danach, wieviel sie dafür bezahlen würden, weil sie einen Nutzen
davon haben, ist auch keine Differenzbildung zur Abwägung von Kosten und Nutzen möglich.
Eine zweite Studie zum Datenschutz stammt aus den USA und dreht sich um den Schutz
privater individueller, genetischer Informationen in Biobanken. Dies wurde in den
USA vor Jahren schon immer wichtiger, weil dort bereits Millionen von Menschen ihr
ganz privates Genom aus Interesse an ihrer Abstammung durch private Anbieter dieses
„Services“ haben untersuchen lassen. In einem Einwanderungsland, in dem die Herkunft
und diesbezügliche Traditionen grundsätzlich mehr beachtet und vor allem gepflegt
werden als in den (sich weiterentwickelnden) Herkunftsländern ist dies kein Wunder.
Auch gibt es eine zunehmende Zahl von Firmen, die aufgrund von genetischen Informationen
bestimmte Dienstleistungen, wie z. B. personalisierte Medizin, anbieten.
Biobanken spielen gerade in der Genforschung eine große Rolle, da die Auswertung und
Analyse einer großen Zahl von Datensätzen die notwendige Voraussetzung dafür ist,
diese Daten dann auch auf der Ebene des Einzelnen beispielsweise für eine personalisierte
medizinische Behandlung fruchtbar zu machen. Solche Biobank-Forschung bringt jedoch
neue ethische, soziale und politische Herausforderungen, die über den Datenschutz
im Rahmen der bisherigen biomedizinischen Grundlagenforschung hinausgehen. Man sprach
diesbezüglich auch schon von einer „neuen Bankenkrise“ [8] – und meinte damit nicht Geldinstitute, sondern Forschungsbiobanken. Frühere Umfragen
gaben jedoch Entwarnung, denn solche Daten wurden zunächst meist von akademischen
Institutionen erhoben. Dabei lag (mindestens implizit) die Betonung grundsätzlich
darauf, dass die teilnehmenden Personen ihre genetischen Daten freiwillig zur weiteren
Nutzung zur Verfügung stellten [4]. So gab es in einer der größten Umfragen zur Einstellung gegenüber einem Biobank-Forschungsprojekt
bei 13 000 Teilnehmern keine Hinweise darauf, dass die Zustimmung zur Teilnahme von
der Strenge der Datenschutzbestimmungen abhing [7]. Als Vorteil der Studie nannten 84 % (und damit die meisten) der Befragten: „Ich
hätte das Gefühl, dass ich künftigen Generationen helfen würde“ [7]. Allerdings, nach ihren Sorgen befragt, gaben mit noch 51 % die meisten Teilnehmer
an, sich über ihre Privatheit zu sorgen. Die von nur 36 % der Befragten am wenigsten
bejahte Sorge war: „Ich würde mir Sorgen machen, dass jemand mit meinen Gesundheitsinformationen
Geld verdienen könnte.“
In einer systematischen Übersicht von 53 Studien mit insgesamt 47 974 Teilnehmern
zu Fragen der Privatsphäre im Zusammenhang mit menschlichen genetischen Daten waren
die Befragten mehr besorgt über die Nutzung durch Arbeitgeber, Versicherer und die
Regierung als durch Forscher und kommerzielle Einrichtungen [3]. Es zeigte sich zudem, dass viele Teilnehmer die Privatsphäre, Vertraulichkeit,
Kontrolle und Sicherheit miteinander zu vermischen schienen.
Weil die genetische Forschung gerade sehr rasch fortschreitet, könnte es auch in den
Köpfen der Leute schnelle Änderungen geben, die wiederum die Forschung beeinträchtigen
könnten. So könnte das wachsende Bewusstsein für den kommerziellen Wert genetischer
Daten die Leute misstrauisch machen, wie beispielsweise die Kooperation der Firmen
GlaxoSmithKline (Pharma-Branche) und 23andme (Genom-Analyse). Berichte über Hacker-Angriffe
im Gesundheitswesen machen die Lage nicht besser und schüren weiteres Misstrauen.
Weil aber Gen-Datenbanken auf die Mitwirkung der Bevölkerung angewiesen sind, muss
man fragen dürfen, wie diese jüngsten Entwicklungen die Erwartungen der Öffentlichkeit
beeinflussen könnten.
Vor diesem Hintergrund wurde der kürzlich publizierte Genomic Data Governance Survey
(GDGS) im Befragungszeitraum vom 27. November bis 20. Dezember 2018 durchgeführt,
in dessen Rahmen 2020 Teilnehmer nach ihrer Bereitschaft gefragt wurden, ihre Daten
zur Verfügung zu stellen. Die andere Frage zielte auf die Bezahlung ab, die sie als
Gegenleistung erwarten würden. Hierzu wurde den Befragten zunächst mittels einer 3-minütigen
Präsentation öffentlich zugängliche Informationen dazu gegeben, wie genetische Datenbanken
verwendet werden, was mit diesen Daten geschieht und welche Vorteile sowie Risiken
für Personen daraus folgen können, die ihre Daten zur Verfügung stellen (▶[
Abb. 4
]).
Abb. 4 Informationen für die Teilnehmer vor Beginn der Befragung. Mit den Zahlenangaben
wurde den Teilnehmern eine ungefähre Vorstellung ihrer Antworten bewusst gegeben (nach
Daten aus [2]).
Dann wurden die Teilnehmer per Zufall in 5 Gruppen eingeteilt, wobei die Einteilung
entlang 5 Organisationsformen erfolgte, die als vermeintlicher Absender der Fragen
fungierten (jeweils charakterisiert mit einem kurzen Satz, der im Folgenden im Original
wiedergegeben wird [2]):
-
„Genetic Data Inc. is a U. S. for-profit technology corporation;
-
GreatCare Hospital is a U. S. non-profit hospital system;
-
Genomics & Health Research Lab is located at Middle State University;
-
BioPharmaCo is a global for-profit drug company;
-
The National Institutes of Health (NIH) is a U. S. federal research agency.“
Die Autoren weisen im Hinblick auf diese Namen und Beschreibungen darauf hin, dass
sie bewusst den Begriff „Krankenhaus“ (hospital) und nicht „Academic Medical Center“
verwendeten, weil frühere ähnliche Umfragen die Biobank in den Kontext von akademischen,
medizinischen Zentren oder einer Universitätsklinik eingebunden hatten. Danach gingen
die Autoren wie folgt vor: „Um die grundsätzliche Bereitschaft zur Bereitstellung
von Daten zu ihrem Genom zu messen, wurden die Befragten dann über eine Gelegenheit
von der Organisation, der sie zufällig zugewiesen wurden, informiert. Der hierzu verwendete
Vignettentext war bis auf die Namen und Beschreibungen der Organisationen identisch.
Der Vignettentext einer z. B. gewinnorientierten Institution lautete beispielsweise
wie folgt: ,Stellen Sie sich vor, dass Sie heute die Gelegenheit haben, Ihre DNA-Daten
der Firma Genetic Data Inc. für ein biomedizinisches Forschungsprogramm zur Verfügung
zu stellen. Sie erhalten Ihre DNA-Daten, wenn Sie der Firma eine kleine Speichelprobe
zur Verfügung stellen. Genetic Data Inc. ist ein US-amerikanisches gewinnorientiertes
Technologieunternehmen. Wie bereit wären Sie, Ihre genetischen Daten der Firma Genetic
Data Inc. zur Verfügung zu stellen, im Lichte dessen was Sie gerade über Biobanken
und die Firma erfahren haben. Wählen Sie bitte eine der folgenden 4 Optionen.‘
Die 4 Antwortmöglichkeiten waren (in jeweils zufälliger Reihenfolge):
-
,Zur Spende für wohltätige Zwecke bereit‘ (im Folgenden als ,Spender‘ bezeichnet);
-
,Zur Spende gegen einen bestimmte Geldbetrag bereit‘ (als , Verkäufer‘ bezeichnet);
-
,Unwillig zur Spende, zumindest im Moment‘;
-
,Generell unwillig zur Spende‘ (beide Optionen werden im Folgenden mit ,nicht willens‘
bezeichnet)“ [2].
Den „Verkäufern“ […] wurden dann die Folgefrage gestellt, wieviel Geld sie als Bezahlung
von Genetic Data Inc. (bzw. der jeweils benannten Institution) erwarteten. Sie hatten
dann die Möglichkeit, den Betrag in US$ einzugeben. Um zu erfassen, wie viel den Befragten
Informationen über ihr persönliches Genom wert war, wurden alle zudem wie folgt gefragt:
„Stellen Sie sich vor, Sie hätten die Möglichkeit, einen Bericht mit Informationen
über Ihre Abstammung und über Ihr persönliches Risiko für 20 verschiedene, genetisch
bedingte Krankheiten zu erhalten. Dafür benötigt die Institution eine Speichelprobe
mit Ihrer DNA. In diesem Fall werden Ihre DNA-Daten jedoch nicht gespeichert oder
für einen anderen Zweck verwendet. Wieviel wären Sie bereit, für diesen Bericht zu
zahlen?“ [2]. Danach konnten die Teilnehmer erneut einen Betrag in US$ eingeben.
Um den Einfluss der Regelungen zur Datenweitergabe und Datensicherheit auf die Bereitschaft
der Teilnehmer, ihre Daten zur Verfügung zu stellen, zu untersuchen, wurden die Teilnehmer
anschließend noch gebeten, 12 in randomisierter Reihenfolge vorgestellte Richtlinien
zu beurteilen (▶[
Abb. 5
]). Nach jeder Richtlinie wurden die Befragten gebeten, eine von 5 Antwortmöglichkeiten
auszuwählen:
Abb. 5 Einfluss der Regelungen zur Datenweitergabe und Datensicherheit auf die Bereitschaft
der Teilnehmer, ihre Daten zur Verfügung zu stellen. (Die Werte addieren sich nicht
zu 100 %, weil der Anteil derjenigen, die gegenüber der Regelung neutral waren, nicht
angegeben ist (nach Daten aus [2]).
-
„reduziert die Bereitschaft stark;
-
reduziert die Bereitschaft etwas;
-
kein Effekt;
-
erhöht die Bereitschaft etwas
-
erhöht die Bereitschaft stark“ [2].
Das vielleicht wichtigste Ergebnis der Studie besteht darin, dass im Vergleich zu
früheren ähnlichen Befragungen (bei denen für gewöhnlich mehr als 50 % zur Spende
bereit waren) die Bereitschaft zur Spende der Informationen deutlich geringer war:
Nur 11,7 % aller Teilnehmer (n = 234) waren „Spender“. Demgegenüber waren 37,8 % (n
= 764) keinesfalls bereit zur Überlassung ihrer Daten, und die Mehrheit (50,6 %; n
= 1022) wollte die Daten nur gegen Bezahlung hergeben („Verkäufer“). Der verlangte
Preis lag im Mittel bei 130 US$ (entsprach also dem in der Vorabinformation genannten
„üblichen Preis“). Gefragt danach, wieviel sie für einen Bericht über ihr privates
Genom bezahlen würden, antworteten Spender im Mittel mit 75 US$ und „Verkäufer“ mit
95 US$.
Im Hinblick auf die 5 unterschiedlichen Institutionen gab es keine großen Unterschiede:
Bei „Krankenhaus“ gab es mit 14,5 % vergleichsweise mehr „Spender“, bei Universität
(14,0 %) und „Regierung“ (12 %) absteigend weniger. Noch weniger „Spender“ gab es
bei „Technologie-“ (10,9 %) und Pharma-Firmen (6,2 %). Über den Einfluss der Richtlinien
zur Benutzung der Biodatenbank auf die Bereitschaft, seine Daten zu spenden, informiert
▶[
Abb. 5
], in der die Richtlinien gelistet sind, in Abhängigkeit davon, wie sehr sie die Bereitschaft
zur Spende steigern konnten.
Wenn die eigenen Daten auf Antrag gelöscht werden oder nicht verkauft, vermietet oder
mit anderen geteilt werden, erhöht das die Bereitschaft zur Spende am ehesten. Der
Verkauf an eine pharmazeutische Firma reduziert diese am meisten. „Spender“ und „Verkäufer“
unterschieden sich vor allem bei den Richtlinien 8, 10 und 11, die bei den „Spendern“
die Bereitschaft noch stärker senkten.
Im Hinblick auf die 5 Typen von Institutionen waren die 12 Richtlinien (bis auf Richtlinie
7) von kaum unterschiedlicher Wirkung. Die Einschätzung der Risiken und Vorteile der
eigenen genetischen Daten ist also weitgehend unabhängig davon, von wem sie verwaltet
werden. Die deutliche Präferenz für Einschränkungen über die gemeinsame Nutzung der
Daten oder deren Wiederverwendung (ohne ausdrückliche Genehmigung des Einzelnen) ist
ein Problem für die öffentlichen, aber insbesondere auch für die privaten Biodatenbanken.
Insgesamt zeigt die Studie, dass die Leute heute weniger bereit sind, ihre Daten freiwillig
zu spenden und – offenbar auch in den USA – auf Datenschutz einen zunehmenden Wert
legen. Die vielfach eingeforderte höhere Kontrolle über die eigenen Daten macht das
Leben der mit Biobanken arbeitenden Menschen nicht leichter. Unberücksichtigt blieben
von den Autoren (dem Design der Studie geschuldet) die lokalen oder gar persönlichen
Beziehungen zwischen den Managern und den Kunden der Biobanken. Wenn also das örtliche
Krankenhaus zur Datenspende auffordert, könnte es um die Spendenbereitschaft anders
(d. h. deutlich besser) bestellt sein.
Im Lichte der ersten, diskutierten Studie, ist die zweite Studie definitiv begrenzt,
da man wirklich gerne wüsste, wie es um die Sorgen der Deutschen um Informationen
über ihre Gene bestellt ist. Aber wir sind im Hinblick auf die kommerzielle Anwendung
den USA um Jahre hinterher (ich kenne persönlich hierzulande niemanden, der sein Genom
hat sequenzieren lassen, jedoch durchaus einige Amerikaner, die das spaßeshalber –
„kostet ja nur 100 Dollar“ – schon gemacht haben). Daher fehlen uns auch vielfache
persönliche Erfahrungen mit solchen Daten. Und deswegen sind wir entweder ahnungslos
oder ängstlich oder beides, denn was man nicht kennt, macht Angst.
Fassen wir zusammen: Man weiß letztlich nur wenig darüber, wie wichtig den Menschen
tatsächlich der Schutz der Privatsphäre im Hinblick auf personenbezogene Daten ist.
Die Antwort aus der ersten dargestellten länderübergreifenden Studie auf diese Frage
ist klar: Uns Deutschen ist der Datenschutz deutlich mehr wert als anderen Nationen.
Weiterhin kam heraus, dass der Datenschutz je nach Datentyp (Bankkonto, Texte, Fingerabdruck,
Standort etc.), Land (Argentinien, Brasilien, Deutschland, Kolumbien Mexiko und die
USA) und Institution (z. B. Telecom, Sparkasse, Facebook oder Apple) zwischen gar
nichts und etwa 15 US$ monatlich Wert ist. Eine zweite, nur in den USA durchgeführte
Studie ergab, dass man nur wenig bereit ist, Daten zum eigenen Genom freiwillig zu
spenden, sondern im Schnitt dafür 130 US$ haben möchte. Wenn auch die erste Studie
keinen Effekt des vorherigen Briefings auf die danach erfragten Bewertungen ergab,
so muss man für die zweite Studie durchaus zu bedenken geben, was man wohl erwarten,
wenn man Versuchspersonen vorher sagt, dass das eigene Genom 130 US$ wert ist, und
sie dann fragt, für wie viel Geld sie diese Information verkaufen würden? – 130 US$
(wer hätte das gedacht?). Interessant ist, dass man in der zweiten Studie (also in
den USA) gegenüber privaten und öffentlichen Institutionen kaum verschieden eingestellt
war, und dass die Ergebnisse (im Vergleich zu den Ergebnissen früherer ähnlicher Studien)
klar zeigen, dass man auch dort den Datenschutz für wichtiger zu nehmen beginnt.
Insgesamt empfand nicht nur ich als Rezipient der Studien, dass die Menschen erstaunlich
wenig Geld für Datenschutz einzutauschen bereit sind, haben doch 2 Berichte im New
Scientist diesbezüglich etwa den gleichen Tenor [5], [10].
Tritt man 2 Schritte zurück und nimmt nicht nur eine empirisch-naturwissenschaftliche,
sondern zugleich auch eine geisteswissenschaftliche Perspektive ein, so stellt sich
in Anbetracht beider Studien die Frage nach deren Relevanz für die Praxis. Das sehen
die Autoren der ersten Studie sehr pragmatisch, schreiben sie doch in der Einleitung:
„Wenn wir zum Beispiel feststellen sollten, dass die Europäer bestimmte Elemente ihrer
Privatsphäre mehr schätzen als die USA, dann könnte eine strenge Datenschutzregelung
wie die, die durch europäische Datenschutzgrundverordnung geschaffen wurde, in Europa,
aber nicht in Amerika, Nettovorteile bringen“4
[6].
Man muss ihnen entgegenhalten, dass es bei Verordnungen oder Gesetzen nie nur um das
geht, was Menschen tun, sondern auch um das, was sie tun sollen. Man hat keine Studie
gemacht, ob man in Kalifornien über den Datenschutz anders denkt als in den übrigen
US-Bundesstaaten, bevor man den dortigen strengen Datenschutz (CCPA; ähnlich streng
wie die DSGVO in der EU) eingeführt hat. Man hat sich vielmehr überlegt, was für die
Menschen und sogar die Wirtschaft gut ist, denn es sind kalifornische Firmen, die
ihre digitalen Produkte weltweit verkaufen und damit zu den reichsten Firmen der Welt
geworden sind. Das soll aus deren Sicht so bleiben, weswegen man sich besser dem weltgrößten
Binnenmarkt – der EU – anpasst. Und auch die EU hat gar keine Studie gemacht, bevor
sie die DSGVO eingeführt hat. – Warum? – Weil es bei Recht und Gesetz nicht allein
um physikalische Realität geht, sondern auch um deren Bewertung durch viele, in Gemeinschaft
lebende Menschen. Schon immer haben sich Menschen in Gemeinschaft Normen unterworfen,
die jeden einzelnen in seiner Freiheit beschneiden, aber dem Großen und Ganzen der
Gemeinschaft dienlich sind. Dieses betrifft weitaus mehr als sich in US$ ausdrücken
lässt. Grundwerte wie Kommunikationsgemeinschaft, Freiheit, Privatheit, Solidarität,
Vertrauen, Gerechtigkeit sowie Schutz des Lebens und der Lebensgrundlagen sollten
nicht täglich nach ökonomischen Prinzipien ausgehandelt werden dürfen, weil es eben
genau diese Prinzipien Werte sind, die solches Aushandeln überhaupt erst möglich machen.
Diese Position ist – das muss hier gesagt sein dürfen – nicht Empirie-feindlich. Im
Gegenteil: Sie schützt auch die Freiheit der empirischen Forschung, die uns immer
wieder Überraschendes über uns selbst vor Augen hält, einen Spiegel, der uns unser
wahres Gesicht zuweilen deutlicher zeigt als die unser – zuweilen rosa verzeichnendes
– geistiges Auge allein vermag.