Im Januar 2020 erschien eine Studie amerikanischer Ergotherapeuten, welche die Mobilität
und Selbstständigkeit von Klienten nach Hüftfrakturen untersucht. Außerdem betrachtet
sie die Belastung für Familien und Pflegepersonal nach dem Akutereignis [1]. Die Forschenden fanden heraus, dass die Genesungsrate und Dauer des Aufenthalts
in Rehabilitationskliniken signifikant damit in Verbindung stehen, wie selbstständig
die Klienten am Ende des Aufenthalts in der Mobilität und der Durchführung von Alltagsaktivitäten
waren. Die Genesungsrate setzt den Fortschritt der Genesung einer Person in Beziehung
mit der Zeit, die dafür aufgewendet wurde. Laut der Studie heißt das zum Beispiel,
dass für Klienten, die eine mittlere Genesungsrate aufweisen, mehr als 21 Tage Behandlung
notwendig sind, um wieder selbstständig Treppen zu steigen und den Toilettengang durchzuführen.
Ansonsten bestanden diese Probleme oft weiter.
Mobilität als Ziel der Ergotherapie
Mobilität als Ziel der Ergotherapie
Auch in Deutschland sind Hüftfrakturen einer der größten Faktoren für starke Einbußen
in der Lebensqualität für ältere Menschen [2]. Stürzen vorzubeugen und Betroffenen wieder Sicherheit beim Aufstehen, beim Gehen
in der Wohnung und beim Einkaufen zu geben, ist oft Ziel der Ergotherapie. Die geriatrische
Forschung empfiehlt dabei den Einsatz des New Mobility Scores (NMS), der auch als
Parker and Palmer Mobility Score (PPMS) bekannt ist [3].
Von mehreren Professionen anzuwenden
Von mehreren Professionen anzuwenden
Der NMS ist ein Instrument zur Prognoseabschätzung der Mortalität und Mobilität von
Klienten nach Hüftfrakturen [4]. Er wurde 1993 von Martyn J. Parker und Christopher R. Palmer in Großbritannien
entwickelt und von Sonja Krupp 2017 ins Deutsche übersetzt [5]. Der NMS kann von Ärzten, Ergo- und Physiotherapeuten sowie Pflegekräften durchgeführt
werden und findet bei leicht bis schwer betroffenen Klienten Einsatz. Der Zeitaufwand
beträgt für den Klienten ca. 1 Minute und für den Untersuchenden ca. 2 Minuten.
AWMF – Medizinische Leitlinien
AWMF – Medizinische Leitlinien
AWMF steht für „Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften“.
Dabei handelt es sich um einen gemeinnützigen Verein, der seit 1962 medizinische Leitlinien
erstellt. Diese beinhalten Empfehlungen, wie Diagnostik und Therapie zu bestimmten
Erkrankungen erfolgen sollten. Sie richten sich an Ärzte, Heilmittelerbringer und
Pflegekräfte.
Auf der Webseite der AWMF finden sich Kurz- und Langversionen der Leitlinien, sowohl
für Klienten als auch für medizinische Berufe:
www.awmf.de
.
Der Test wurde in die AWMF-Leitlinie für geriatrische Assessments der Stufe 2 aufgenommen
(AWMF). Sie beinhaltet Basistests für die geriatrische Behandlung, die zum Beispiel
in der Frührehabilitation oder im ambulanten Rahmen angewandt werden. Der NMS entspricht
somit den Anforderungen der akutgeriatrischen, frührehabilitativen Komplexbehandlung
[3].
Psychometrisch zeigt der NMS eine sehr hohe Interrater-Reliabilität und eine sehr
hohe Validität zwischen Mobilität und Selbstständigkeit [1], [6]–[8]. Interrater-Reliabilität bedeutet, dass zwei verschiedene Personen den NMS anwenden
können und das gleiche Ergebnis erhalten.
Einfaches Bewerten
Im NMS fragt der Untersuchende die Fähigkeiten des Klienten in drei Mobilitätssettings
ab ([TAB].): sich in der Wohnung und außerhalb des Hauses fortbewegen und einkaufen gehen.
Für jedes Setting werden Punkte vergeben. Drei Punkte bedeuten, dass die Person selbstständig
laufen kann, zwei, dass ein Hilfsmittel benötigt wird. Einen Punkt gibt es, wenn eine
Hilfsperson notwendig ist, und null, wenn die Aktivität nicht durchgeführt wird. Die
Fragen zum Mobilitätsstatus können die Klienten selbst oder das erweiterte Umfeld
(Familie, Pflegepersonal) beantworten. Wichtig ist, dass sich die Fragen auf den Status
vor der Hüftfraktur beziehen: Konnte die Person schon zuvor beispielsweise nicht ohne
Hilfe in der Wohnung gehen, ist es wahrscheinlich, dass sie es nach der Hüftfraktur
auch nur eingeschränkt tun kann.
TAB. Im New Mobility Score (NMS) fragt der Untersuchende den Klienten und/oder das erweiterte
Umfeld, wie das Gehen in der Wohnung, außerhalb des Hauses und beim Einkaufen vor
dem Akutereignis gelang. Je höher der Score, desto wahrscheinlicher ist es, dass die
Person in den genannten Mobilitätsfähigkeiten wieder selbstständig wird.
Mobilität
|
ohne Schwierigkeit
|
mit Hilfsmittel
|
mit personeller Hilfe
|
gar nicht
|
in der Wohnung gehen
|
3
|
2
|
1
|
0
|
nach draußen gehen
|
3
|
2
|
1
|
0
|
einkaufen gehen
|
3
|
2
|
1
|
0
|
Mobilität
Für ältere Personen bedeutet ein hohes Maß an Mobilität, sich im Alltag selbstständig
versorgen zu können.
Erreicht die Person eine Summe von 0–5, ist dies als ein niedriger funktioneller Score
einzuschätzen, von 6–9 handelt es sich um einen hohen funktionellen Score [7], [8]. Ein niedriger Score macht es 18-mal wahrscheinlicher, dass Klienten keine Selbständigkeit
in den Basismobilitätsfähigkeiten erreichen. Sie werden (wenn überhaupt) im Durchschnitt
erst drei Tage später selbstständig als diejenigen, die einen hohen Score erreichen.
Außerdem ist es für sie 13-mal wahrscheinlicher, nicht ins eigene Zuhause entlassen
zu werden [7], [8].
Abb.: W. Nicklas
Schneller Hinweis auf Prognose
Schneller Hinweis auf Prognose
Der NMS ist ein einfaches, schnelles, interdisziplinäres, prognostisches Assessment.
Da es eine Vielzahl an Faktoren gibt, die die Genesung einer Person beeinflussen,
erscheint es empfehlenswert, zusätzlich die Aufenthaltsdauer in Rehabilitationskliniken,
die benutzten Hilfsmittel, die Unterstützung des sozialen Umfelds und chronische Vorerkrankungen
zu berücksichtigen, um eine umfassende Prognose über die zu erwartende Mobilität treffen
zu können.