Pädiatrie up2date 2020; 15(01): 5
DOI: 10.1055/a-1111-0602
Studienreferate
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Marfan-Syndrom: Irbesartan stabilisiert die Aortenwurzel

Mullen M. et al.
Irbesartan in Marfan syndrome (AIMS): a double-blind, placebo-controlled randomised trial.

Lancet 2020;
394: 2263 -2270
doi:10.1016/S0140-6736(19)32518-8
Weitere Informationen

Dr. med. Judith Lorenz, Künzell


Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
05. März 2020 (online)

 

Das Marfan-Syndrom begünstigt das Auftreten einer Aortenwurzeldilatation, die über eine Gefäßdissektion und -ruptur potenziell tödlich verlaufen kann. Betablocker stellen bislang die einzige wirksame medikamentöse Prophylaxemöglichkeit dar. Der Angiotensin-II-Typ-1-Rezeptor-Blocker (AT1-Blocker) Irbesartan schützt vermutlich ebenfalls vor dieser gefürchteten Komplikation, wie eine aktuelle Studie zeigt.


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Bei der Pathogenese des Marfan-Syndroms spielen offenbar biologische Signalwege eine wichtige Rolle, die Irbesartan blockiert, berichten Wissenschaftler aus Großbritannien. Ob der AT1-Hemmer in der Lage ist, den Prozess der Aortenwurzeldilatation bei Marfan-Patienten zu bremsen oder sogar zu stoppen, prüften sie im Rahmen einer randomisierten Doppelblindstudie. An der an 22 britischen Kliniken durchgeführten AIMS-Studie (Aortic Irbesartan Marfan Study) nahmen 192 Marfan-Patienten im Alter zwischen 6 und 40 Jahren teil. Vorangegangene oder geplante kardiochirurgische Eingriffe, ein Aortendurchmesser von 4,5 cm oder mehr, eine Herzinsuffizienz sowie eine hämodynamisch relevante Klappenerkrankung stellten Ausschlusskriterien dar. Gemäß Randomisierung nahmen 104 Kinder und junge Erwachsene über einen Zeitraum von bis zu 5 Jahren Irbesartan, die übrigen 88 ein Placebo ein. Während der Studienphase bestimmten die Wissenschaftler jährlich mittels Echokardiografie den Aortendurchmesser der Patienten und verglichen die bezüglich auf das Größenwachstum normierten Messwerte mit den vor Studienbeginn erhobenen Parametern. Als primären Studienendpunkt definierten sie die jährliche Gefäßdilatationsrate. Ferner erfassten sie klinische Komplikationen (Aortendissektion, operativer Aorteneingriff, Tod) sowie die Nebenwirkungen der Medikation. Auch die Auswirkungen von Irbesartan auf den Blutdruck waren Teil der Analyse.

Ergebnisse

Das mediane Alter der Studienpatienten betrug 18 Jahre, 52% waren weiblich und 56% standen zu Studienbeginn unter Betablockertherapie. Der Aortendurchmesser betrug in beiden Studiengruppen zu Beginn im Schnitt 34,4 mm. Die Auswertung der Echokardiografiebefunde ergab einen signifikanten Behandlungsvorteil von Irbesartan: Während sich in der Kontrollgruppe die Aortenwurzel pro Jahr um durchschnittlich 0,74 mm ausdehnte, beobachteten die Forscher unter dem AT1-Hemmer eine Zunahme des systolischen Durchmessers um lediglich 0,53 mm (p = 0,03). Eine begleitende Betablockermedikation beeinflusste die Irbesartan-Wirkung dabei nicht wesentlich. Auch im Hinblick auf den Blutdruck wirkte sich der AT1-Hemmer günstig aus: In der Placebogruppe stiegen die systolischen und diastolischen Messwerte an, in der Irbesartan-Gruppe sanken sie hingegen. Irbesartan wurde von den Studienteilnehmern gut vertragen. Schwere Nebenwirkungen traten in den beiden Studienarmen ähnlich häufig auf.

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Diese 3-D-Rekonstruktion in Volume-Rendering-Technik aus einer kontrastmittelgestützten MRA eines 7-jährigen Patienten zeigt eine Aortenwurzeldilatation bei Marfan-Syndrom. Die Autoren untersuchten in der Studie den potenziellen Schutz des Angiotensin-II-Typ-1-Rezeptor-Blockers (AT1-Blocker) Irbesartan vor dieser Komplikation. (Quelle: Latus H, Greil G. Marfan-Syndrom. In: Gutberlet M, Hrsg. Bildgebende Diagnostik angeborener Herzfehler. 1. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2016.)
Fazit

Den Studienergebnissen zufolge, so die Autoren, senkt Irbesartan nicht nur den Blutdruck, sondern bremst zudem den vaskulären Dilatationsprozess beim Marfan-Syndrom. Möglicherweise schützt der AT1-Hemmer Kinder und junge Erwachsene vor schweren Aortenkomplikationen. Zukünftige Studien müssen diese Ergebnisse bestätigen. Eine bereits initiierte Metaanalyse individueller Patientendaten soll ferner klären, ob es sich bei dem beobachteten Behandlungsvorteil um einen Klasseneffekt handelt.


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Dr. med. Judith Lorenz, Künzell



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Diese 3-D-Rekonstruktion in Volume-Rendering-Technik aus einer kontrastmittelgestützten MRA eines 7-jährigen Patienten zeigt eine Aortenwurzeldilatation bei Marfan-Syndrom. Die Autoren untersuchten in der Studie den potenziellen Schutz des Angiotensin-II-Typ-1-Rezeptor-Blockers (AT1-Blocker) Irbesartan vor dieser Komplikation. (Quelle: Latus H, Greil G. Marfan-Syndrom. In: Gutberlet M, Hrsg. Bildgebende Diagnostik angeborener Herzfehler. 1. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2016.)