CC BY-NC-ND 4.0 · Geburtshilfe Frauenheilkd 2020; 80(12): 1205-1211
DOI: 10.1055/a-1124-7139
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Adipositas in der gynäkologischen Onkologie

Article in several languages: English | deutsch
Heinz Kölbl
Klinische Abteilung für Allgemeine Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie, Universitätsklinik für Frauenheilkunde, Medizinische Universität Wien, Wien, Austria
,
Thomas Bartl
Klinische Abteilung für Allgemeine Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie, Universitätsklinik für Frauenheilkunde, Medizinische Universität Wien, Wien, Austria
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Zusammenfassung

Als Folge der weltweit seit Jahrzehnten ansteigenden Adipositasprävalenz stellen die zunehmende Anzahl an Neudiagnosen adipositasassoziierter Malignome und damit einhergehende diagnostische und therapeutische Implikationen gynäkoonkologische Behandlungsstrategien vor eine Herausforderung. Im Spiegel der aktuellen Studienlage besteht solide Evidenz für eine unabhängige, linear positive Korrelation zwischen einem pathologisch erhöhten Body-Mass-Index und der Erkrankungswahrscheinlichkeit für Endometrium- und postmenopausale Mammakarzinome. Die Pathogenese ist komplex und Gegenstand intensiver Forschung, pathologisch erhöhte Serumspiegel von Sexualsteroiden und Adiponektinen, eine adipositasinduzierte Insulinresistenz sowie systemische Inflammationsprozesse werden als ursächlich diskutiert. Für andere gynäkologische Malignome zeigt sich die wissenschaftliche Evidenz weniger solide, Adipositas erscheint als Risikofaktor für epitheliale Ovarial,- Zervix und Vulvakarzinome von vergleichsweise untergeordneter klinischer Relevanz. Ein negativer Einfluss auf die Prognose und das onkologische Outcome zeigt sich hingegen für alle Tumorentitäten nachvollziehbar, wobei eine abschließende Bewertung, ob dieser Effekt korrelativ oder kausal zu interpretieren ist, weiterhin aussteht.


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Einleitung

Die Rate von an Adipositas Erkrankten hat sich in den Jahren zwischen 1980 und 2008 weltweit verdoppelt, mit weiterhin steigender Tendenz. In der Europäischen Union gelten je nach Region 10 – 30%, in den USA bis zu 40% der Erwachsenen per Definition als pathologisch fettleibig, moderates Übergewicht nicht eingerechnet [1], [2]. Entsprechend WHO 2016 als ein Body-Mass-Index (BMI) von über 30 kg/m2 definiert, ist Adipositas mit schwerwiegenden gesundheitlichen Spätfolgen beinahe aller Organsysteme in Verbindung zu bringen. In den vergangenen Jahrzehnten gelangte auch die Wechselwirkung zwischen Adipositas und Onkogenese in den Fokus wissenschaftlicher Forschung. Gynäkologische Malignome nehmen hierbei eine Schlüsselstellung ein, zählen das postmenopausale Mammakarzinom und das Endometriumkarzinom – zusammen entsprechend etwa 33% aller Krebsneuerkrankungen der Frau in Österreich pro Jahr – doch zu den am häufigsten mit Adipositas assoziierten Malignomen überhaupt [3]. Es wird geschätzt, dass etwa die Hälfte aller Krebserkrankungen bereits nach heutigem Stand der Forschung verhinderbar wären; etwa ein Drittel aller Krebserkrankungen der westlichen Welt werden falscher Ernährung und mangelnder physischer Aktivität zugeschrieben. Die klinische Implikation möglicherweise verhinderbarer Krebsneuerkrankung stellt wie von der WHO bereits seit Anfang der 2000er-Jahre tituliert eine „nie dagewesene gesundheitspolitische Herausforderung“ dar [4].

Trotz der seit Jahrzehnten beschriebenen Assoziation zwischen Adipositas und dem Auftreten von Krebserkrankungen sowie der zunehmend profunderen Evidenz möglicherweise ursächlicher pathophysiologischer Zusammenhänge kann die Erforschung des Stellenwerts der Adipositas in der gynäkologischen Onkologie keinesfalls als abgeschlossen betrachtet werden. Nicht zuletzt zeigt sich die Datenlage abseits der Assoziation als epidemiologischen Risikofaktor für Endometrium- und postmenopausale Mammakarzinome dünn. Da es sich bei der derzeit verfügbaren Datenlage zumeist um retrospektive Kohortenstudien handelt, ist die Frage, ob der beschriebene Zusammenhang als kausal oder korrelativ zu interpretieren ist, nicht abschließend beantwortbar [5].

Neuere Forschungsergebnisse weisen zudem auch auf die Rolle eines pathologisch überhöhten BMI als negativen Prädiktor für das Auftreten von Rezidiven und das krankheitsspezifische Gesamtüberleben. Die Rolle möglicher Einflussgrößen wie erhöhte perioperative Komplikationsraten oder vorbeschriebene niedrigere Ansprechraten auf zytotoxische Chemotherapieregime stehen im Fokus aktueller Forschung. Rezente Erkenntnisse zeigen nicht zuletzt möglicherweise klinisch relevante Wechselwirkungen zwischen erhöhtem BMI und dem Ansprechen auf Immuntherapien auf.

Der lang bekannte Zusammenhang zwischen Adipositas und gynäkologischen Malignomen gewinnt somit hinsichtlich steigender Erkrankungszahlen im Spiegel neuer wissenschaftlicher Erkenntnis zunehmend an Bedeutung. Der vorliegende Artikel nimmt sich daher zum Ziel, im Folgenden die aktuelle Studienlage zu Pathophysiologie und Epidemiologie der Adipositas sowie ihre klinischen Implikationen für die Behandlung gynäkologischer Malignome zu beleuchten.


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Pathophysiologischer Hintergrund: Adipositas und Onkogenese

Adipös vermehrtes Fettgewebe wird mit zahlreichen molekularpathologischen Veränderungen assoziiert, die Karzinogeneseprozesse begünstigen und Krankheitsverläufe gynäkologischer Krebserkrankungen negativ beeinflussen können. Neben endokrinen Effekten einer pathologisch gesteigerten Hormonproduktion der Adipozyten werden insbesondere eine adipositasinduzierte Insulinresistenz sowie systemische Inflammationsprozesse als ursächlich diskutiert.

Adipöses Fettgewebe ist durch eine pathologische Infiltration immunkompetenter Zellen gekennzeichnet. Während Fettgewebsmakrophagen physiologisch überwiegend antiinflammatorischen M2-Subtyen zuzurechnen sind, nimmt der Anteil proinflammatorischer M1-Makrophagen in adipösem Fettgewebe relativ und absolut zu. Pathogenetisch ist dies möglicherweise als Immunantwort auf zelluläre Schäden der Adipozyten aufgrund einer veränderten Zellmembranpermeabilität durch die übersteigerte Aufnahme gesättigter Fettsäuren zu interpretieren [6]. Von proinflammatorischen M1-Makrophagen ausgeschüttete Zytokine (unter anderem Tumornekrosefaktor-α [TNF-α], Interleukin-6 [IL-6] und Interleukin-1 β [IL-1β]) können über die Aktivierung der NFκB- und JNK-Signalwege direkt onkogen fungieren, beziehungsweise im Rahmen von Entzündungsprozessen oxidative DNA-Schäden und in Folge eine Zunahme der zellulären Mutationslast bewirken. Protektiv antiinflammatorische regulatorische T-Zellen (Treg) gehen in adipösem Fettgewebe verloren, wodurch eine proinflammatorische Spirale zusätzlich begünstigt wird [7]. Entzündungsprozesse bleiben nicht auf das Fettgewebe beschränkt, sondern führen bei adipösen Patienten zu messbaren Serumerhöhungen von IL-6 und TNF-α, die sich in Folge auch durch erhöhte C-reaktives Protein-(CRP-)Spiegel als Marker systemischer Inflammation äußern können [8], [9].

Als ein zweiter karzinogener Pathomechanismus wird eine adipositasinduzierte Insulinresistenz diskutiert. Hohe Seruminsulinspiegel zeigen in vitro und in vivo wachstumsstimulierende und antiapoptotische Effekte [10]. Im Rahmen einer bei Adipositas chronisch übersteigerten Lipolyse supprimieren erhöhte Serumspiegel freier Fettsäuren Insulinsignalwege [11], [12]. Viszerales Fett besitzt physiologisch eine höhere lipolytische Aktivität als peripheres Fettgewebe, wodurch stammbetonte Adipositasformen die Entstehung einer Insulinresistenz weiter begünstigen [13]. Erhöhte IL-6- und TNF-α-Serumspiegel dürften im Rahmen adipositasassoziierter Entzündungsprozesse eine synergistische Zunahme der Lipolyseaktivität bewirken [14]. Unter anderem ist für Endometriumhyperplasie eine erhöhte Insulinsensitivität durch somatische Überexpression von Insulin- und Fibroblast-Growth-Factor-1-(FGF1-)Rezeptoren bekannt, wodurch die Zellen gegenüber proproliferativen Insulinwirkungen sensibilisiert werden [15].

Des Weiteren wird ein karzinogener Effekt der von Adipozyten sezernierten Peptidhormone Adiponektin und Leptin diskutiert. Adiponektin erhöht die zelluläre Insulinsensitivität und wirkt antiinflammatorisch, worin eine mögliche onkoprotektive Wirkung physiologischer Adiponektinspiegel resultiert. Eine endokrine Dysregulation könnte somit die Krebsentstehung begünstigen [16], [17]. Leptin nimmt einen zentralen Stellenwert in der physiologischen Sättigungsregulierung im Hypothalamus ein. Adipositas ist mit einer Leptinüberexpression assoziiert, welche über eine hypothalamische Leptinresistenz zusätzlich pathologisch erhöhte Serumspiegel bewirkt. Leptin stimuliert zudem Angiogeneseprozesse und dürfte über den SAT3-Signalweg auch eine direkte karzinogene Wirkung besitzen. Auch eine östrogensteigernde Wirkung des Leptins wird diskutiert [10], [18].

Durch eine vermehrte Aromataseexkretion der Adipozyten und eine folglich gesteigerte Aromatisierung von Androstendion und Testosteron begünstigt adipöses Fettgewebe pathologisch erhöhte Serumöstrogenspiegel. Östrogen bewirkt über die Bindung an Östrogenrezeptor α oder β die Transkription einer Vielzahl proproliferativer Gene und kann so von entsprechend rezeptorexprimierenden gynäkologischen Malignomen als Wachstumssignal genutzt werden. Zudem wird auch eine direkte mutagene Wirkung erhöhter Östrogenspiegel durch den Anfall oxidativer Östrogenstoffwechselprodukte beschrieben, die zu oxidativen DNA-Schäden und Depurinierungen führen können [19]. Neben einer gesteigerten Östrogensynthese ist Adipositas auch mit signifikant verminderten Serumspiegeln des Sexualhormon-bindenden-Globulins (SHBG) vergesellschaftet [20]. Der damit einhergehende relative Verlust des Bindungsvermögens von Sexualsteroiden führt wiederum zu erhöhten Serumspiegeln endokrin wirksamer Östrogene. Dies steht im Einklang mit einem epidemiologisch beschriebenen erhöhten Risiko für das Auftreten von postmenopausalen Mamma- und Endometriumkarzinomen bei Patientinnen mit erniedrigten SHBG-Serumspiegeln [21], [22].


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Aktuelle klinische Datenlage zu Adipositas und gynäkologischen Malignomen

Endometriumkarzinom

Für das Endometriumkarzinom besteht der am stärksten beschriebene epidemiologische Zusammenhang zwischen Adipositas und Erkrankungsrisiko aller Malignome. Breit validierte wissenschaftliche Evidenz unterstreicht eine stark positive, lineare Korrelation eines zunehmenden BMI mit der Erkrankungsinzidenz sowie eine stark negative, lineare Korrelation mit dem onkologischen Outcome. Derzeit sind mehr als die Hälfte aller neu diagnostizierten Endometriumkarzinome mit Adipositas zu assoziieren und somit potenziell verhinderbar. Die Assoziation zeigt sich bei postmenopausalen Patientinnen mit endometroiden Adenokarzinomen am stärksten; so beschreibt eine Kohortenstudie von 33 436 postmenopausalen Patientinnen für Adipositas ein mehr als 4-fach erhöhtes Erkrankungsrisiko endometroider Adenokarzinome im Vergleich zu normalgewichtigen Patientinnen, während seröse, klarzellige und andere High-Grade-Karzinome gruppiert eine mehr als 2-fache Risikoerhöhung aufweisen [23]. Dies entspricht einer 50%igen Risikoerhöhung pro 5 BMI-Einheiten bei Patientinnen mit postmenopausalem endometroidem Adenokarzinom [24]. Auch für Patientinnen mit prämenopausalem Endometriumkarzinom ist eine vergleichbare BMI-abhängige Risikokonstellation bei dünnerer Datenlage beschrieben [25]. Die krebsspezifische Mortalität ist bei Patientinnen mit einem BMI zwischen 30 und 34,9 um mehr als das Doppelte, bei Patientinnen mit einem BMI größer 40 um mehr als das 6-Fache erhöht [26].


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Mammakarzinom

Zur Assoziation zwischen Adipositas und Inzidenz sowie Prognose von Mammakarzinomen besteht ebenso solide Evidenz, wobei das jeweilige Risiko nach Hormonrezeptor- und Menopausenstatus stratifizierbar ist. Vorliegende Metaanalysen berichten von einer unabhängigen, positiv linearen Korrelation zwischen BMI und dem Auftreten von postmenopausalen, hormonrezeptorpositiven Mammakarzinomen mit einem um 82% erhöhten relativen Erkrankungsrisiko. Dies entspricht einem 10 – 32% erhöhtem relativen Risiko pro 5 kg/m2 BMI-Anstieg. In dieser Kohorte zeigte sich auch eine langsame, über Jahre kontinuierliche Gewichtszunahme signifikant mit der Inzidenz assoziiert [27]. Ein Zusammenhang zwischen BMI und postmenopausalen hormonrezeptornegativen Mammakarzinomen ist hingegen nicht belegbar [28], [29].

Prämenopausal ist ein erhöhter BMI mit einem verminderten relativen Risiko für das Auftreten hormorezeptorpositiver Mammakarzinome assoziiert, wobei jeder Anstieg um 5 kg/m2 BMI mit einer um 10% erniedrigten Inzidenz verbunden ist. Zugrunde liegende Pathomechanismen sind nicht abschließend geklärt [28]. Eine weitere Metaanalyse beobachtete ein um 43% erhöhtes Risiko für triple-negative Mammakarzinome in Kollektiven prämenopausaler Frauen, jedoch keine signifikante Assoziation zwischen Adipositas und triple-negativen Karzinomen bei postmenopausalen Frauen [30], [31].

Nach Adjustierung für Tumorsubtypen und Menopausenstatus erhöht Adipositas das krebsspezifische Mortalitäts- und das Rezidivrisiko um etwa 35 – 40% ebenso wie die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Fernmetastasen und Spätrezidiven. Ob dies durch eine spätere Diagnosestellung oder eine aggressivere Tumorbiologie bedingt ist, ist anhand verfügbarer Daten nicht abschließend zu beantworten [32].


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Epitheliale Ovarialkarzinome

Die Assoziation des BMI mit dem Erkrankungsrisiko zeigt sich nur für einzelne histologische Subtypen signifikant, nicht jedoch über alle epithelialen Ovarialkarzinome. Dies spiegelt den aktuellen Stand der Forschung wider, epitheliale Ovarialkarzinome als eine heterogene Gruppe von verschiedenen Erkrankungen zu betrachten. In einer Metaanalyse von 13 448 Patientinnen zeigte sich keine Assoziation zwischen BMI und der Inzidenz von high-grade serösen beziehungsweise high-grade endometroiden Adenokarzinomen. Low-grade seröse und low-grade endometroide Ovarialkarzinome zeigen jedoch eine relative Risikoerhöhung der Erkrankungswahrscheinlichkeit von 13% respektive 20% mit einem linear positiven Zusammenhang mit zunehmendem BMI. Muzinöse und klarzellige Ovarialkarzinome weisen ebenso eine schwache Assoziation mit einer relativen Risikoerhöhung um 17% respektive 19% auf. Den stärksten Zusammenhang zeigen seröse Borderlinetumoren mit einer relativen Risikoerhöhung von 20 – 25% per 5 kg/m2 BMI, während dieser Effekt bei muzinösen Borderlinetumoren mit 9 – 11% per 5 kg/m2 BMI schwächer ausgeprägt ist. Der pathogenetische Hintergrund ist bislang nicht geklärt. Der Einfluss des BMI auf das Erkrankungsrisiko zeigt sich im Vergleich mit BMI-Daten aus dem frühen Erwachsenenalter um das 18. – 20. Lebensjahr stabil, was auf Adipositas als unabhängigen Risikofaktor schließen lässt [33]. Eine retrospektive Multicenterstudie mit 370 Patientinnen konnte keinen Effekt des BMI auf Rezidivintervalle zeigen, wenngleich die Studie nicht gepowert war, um Unterschiede zwischen einzelnen Histotypen zu demonstrieren [34]. Hinsichtlich bekannter stärkerer Effekte bei hormonrezeptorpositiven Mamma- und Endometriumkarzinomen könnte eine Subgruppenanalyse von high-grade serösen Karzinomen nach Hormonrezeptorstatus klinisch relevante Schlussfolgerungen erlauben, jedoch stehen hierzu bislang keine belastbaren Daten zur Verfügung.


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Vulvakarzinom

Die Datenlage zu Adipositas für Patientinnen mit Vulvakarzinomen ist aufgrund der geringen Inzidenz der Erkrankung dünn. Die AGO-CaRE-1 als derzeit größte Studie mit 1618 Vulvakarzinompatientinnen zeigte in einer Analyse der BMI-Werte von 849 Patientinnen mit Plattenepithelkarzinomen eine Verdopplung der Rate an Lokalrezidiven bei Patientinnen mit einem BMI größer 30, bei unveränderten Fernrezidivraten. Analog ist in dieser Kohorte ein um 36% kürzeres krankheitsfreies Gesamtüberleben zu beobachten. Dieser Faktor zeigte sich auch in der multivariaten Analyse als unabhängig, während R0-Resektions-Raten und die Wahl der Therapie sowie Ansprechraten in beiden Gruppen keine Unterscheide zeigten [35]. Eine weitere Auswertung des selben Kollektivs bestätigte eine erhöhte Rate an Lokalrezidiven mit kürzerem PFS bei adipösen Patientinnen [36].


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Zervixkarzinom

Die derzeit verfügbare Datenlage zur Assoziation zwischen Adipositas, dem Erkrankungsrisiko und dem krankheitsspezifischen Gesamtüberleben des Zervixkarzinoms zeigt sich inkonsistent. Während eine Metaanalyse von 128 233 Patientinnen ein um 8 – 40% relativ erhöhtes Erkrankungsrisiko adipöser Patientinnen beschreibt, bleiben etwaige Pathomechanismen unklar [37]. Adipöse kaukasische US-amerikanische Frauen zeigen zudem eine erhöhte krankheitsspezifische Mortalität, während derselbe Effekt bei adipösen afroamerikanischen Patientinnen nicht nachweisbar ist. Als ursächlich wird eine vorbeschriebene mangelnde Screeningcompliance adipöser Patientinnen diskutiert, da schlechtere Screeningraten in Folge zu einer erhöhten krebsspezifischen Mortalität führen können [38]. Basierend auf kleinen Fallkontrollstudien könnte ein Teil des Effekts auf eine relative Risikoerhöhung für Adeno-, nicht aber Plattenepithelkarzinome zurückzuführen sein [39], [40]. Eine retrospektive Kohortenanalyse von 944 227 US-amerikanischen Screeningpatientinnen mit insgesamt 490 Zervixkarzinomfällen unterstreicht zwar ein erhöhtes Erkrankungsrisiko adipöser Patientinnen, während keine Unterschiede nach HPV-Status oder Histologie beschrieben werden konnten. Eine niedere Diagnoserate an Präkanzerosen der Zervix weist in dieser Population jedoch auf eine Einschränkung der Screeningqualität bei erhöhtem BMI [41].


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Komplikationsraten nach operativen Eingriffen und Adipositas

In der viszeralchirurgischen Onkologie ist für Adipositas eine verlängerte Operationszeit und ein erhöhter intraoperativer Blutverlust sowie eine erhöhte Rate an kurzzeitigen postoperativen Komplikationen, jedoch kein Einfluss auf das krebsspezifische Langzeitüberleben beschrieben [42]. So zeigt auch eine retrospektive Kohortenstudie von 514 Patientinnen mit Endometriumkarzinomen in Konkordanz mit einer retrospektiven systematischen Analyse von 8453 Fällen zwar eine erhöhte Rate milder postoperativer Komplikationen, insbesondere Infektionen und Wundkomplikationen nach Laparotomien, ein Zusammenhang mit intraoperativen Komplikationen oder postoperativer Langzeitmorbidität ist jedoch nicht nachvollziehbar [43]. Analog bestätigt sich dies ebenso für Ovarialkarzinompatientinnen nach zytoreduktiver Chirurgie [44] und Zervixkarzinomen nach abdominaler radikaler Hysterektomie mit pelviner Lymphadenektomie [45]. Adipöse Patientinnen nach operativer Therapie von Mammakarzinomen zeigten keine schlechtere onkologische Prognose, jedoch signifikant schlechtere kosmetische Outcomes und damit einhergehend eine Herabsetzung der Lebensqualität [46]. Anhand der Evidenz großer, retrospektiver Kohortenanalysen ist eine Kontraindikation für ein radikal operatives Vorgehen ausschließlich aufgrund eines erhöhten BMIs für gynäkoonkologische Patientinnen nicht ableitbar. Im Fall bereits existenter adipositasassoziierter Komorbiditäten ist diese Beobachtung freilich nicht übertragbar [47]. Eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung des perioperativen Risikos adipöser Patientinnen bleibt eingedenk der Tatsache, dass aktuell kein Hinweis auf eine unabhängige Korrelation zwischen BMI und schwerwiegenden operativen Komplikationen ableitbar ist, somit auch in Zukunft unabdingbar.


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Adjuvante Therapiestrategien

Ein nicht systematischer Review von 66 Studien belegt eine Assoziation zwischen Adipositas und schlechterem onkologischen Outcome nach zytotoxischer Chemotherapie bei Patientinnen mit Ovarial- und Endometriumkarzinom. Dieser Effekt dürfte in erster Linie fehlender Evidenz hinsichtlich der Pharmakokinetik zytotoxischer Therapien bei hohem BMI beziehungsweise errechneter Körperoberfläche zuschreiben sein. Hinsichtlich einer vorbeschriebenen Korrelation zwischen Dosisintensität und Ansprechraten, Toxizität und Überlebensraten ist hieraus die Empfehlung zur Beibehaltung der Dosisintensität unabhängig der Adipositas abzuleiten [48], [49], [50]. Guidelines der American Society of Clinical Oncology sprechen sich für eine volle gewichtsadaptierte Dosierung zytotoxischer Therapien und gegen Dosisreduktionen aus, wenngleich die Datenlage insbesondere für morbide Adipositas ausgesprochen dünn ist [51]. Trotz bekannter erhöhter Toxizitätsraten adipöser Patientinnen ist ein daraus resultierender negativer Einfluss auf das Überleben nicht ableitbar. So zeigte die Auswertung der prospektiven Phase-III-GAIN-Studie zu adjuvanten Dose-dense-Therapiestrategien von 3023 Mammakarzinompatientinnen signifikant höhere Toxizitäten bei gleichbleibenden Überlebensraten im Vergleich zu nicht adipösen Patientinnen, was die suboptimale Dosisfindung in diesem Patientinnenkollektiv unterstreicht [52]. Vergleichbare belastbare Daten zu Vulva- oder Zervixkarzinom sind derzeit ausständig.

Möglicherweise profitieren adipöse Ovarialkarzinompatientinnen auch weniger von adjuvanter Bevacizumabtherapie als normalgewichtige Patientinnen, die Datenlage hierzu ist jedoch dünn; ob dieser Effekt pharmakokinetische oder tumorbiologische Hintergründe hat, bleibt unklar [53]. Vergleichbare Beobachtungen sind auch für nicht gynäkologische Malignome vorbeschrieben [54].

Frühe klinische Daten zu nicht gynäkologischen Malignomen hinsichtlich des Therapieansprechens von Checkpointinhibitoren (CPI) im Rahmen experimenteller Immuntherapien könnten einen Kontrapunkt zu den Beobachtungen zu zytotoxischen Therapien bieten. So zeigt eine italienische retrospektive Multicenterstudie mit 976 Patientinnen, vorwiegend zu malignen Melanomen, Nierenzellkarzinomen und nicht kleinzelligem Lungenkarzinom, nach Adjustierung für mögliche Confounder signifikant bessere Ansprech- und Überlebensraten sowohl bei Patientinnen mit einem BMI ≥ 25 als auch in der Kohorte mit einem BMI ≥ 30. Die Rationale ist unklar; abseits eines möglichen Dosierungsbias könnten durch pathologisch vermehrt adipöses Gewebe promotete Tumoren möglicherweise besser auf CPI-Therapien ansprechen. Derselbe Effekt wurde auch in unabhängigen, kleineren Kollektiven insbesondere für maligne Melanome vorbeschrieben [55], [56]. Entsprechende Daten zu gynäkologischen Malignomen sind ausständig, klinische Implikationen sind aktuell hieraus noch keine abzuleiten [57].


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Ausblick und Zukunftsaspekte

Während der BMI aufgrund seiner einfachen und kostengünstigen klinischen Anwendbarkeit besticht, wurde die Aussagekraft betreffend Extremwerten und mangelnder diskriminatorischer Aussagekraft über Muskelanteil oder Fettverteilung wiederholt kritisiert. Als klinische Alternative könnte der Taillenumfang oder die Waist-to-Hip Ratio als prognostischer Faktor eine klinische Alternative bieten, da diese das onkogene Potenzial viszeralen Fettgewebes besser abbilden könnten. Die aktuelle Datenlage ist jedoch dünn, so konnte die Waist-to-Hip Ratio in einer Studie mit 4062 chinesischen Brustkrebspatientinnen zwar als unabhängiger Prognosefaktor etabliert werden, direkte Vergleiche zwischen dem Vorhersagewert von Waist-to-Hip Ratio und BMI stehen nicht zur Verfügung [58].

Hinsichtlich des negativen Einflusses der Adipositas auf Rezidivwahrscheinlichkeit und krebsspezifisches Gesamtüberleben wurde adipös vermehrtes Fettgewebe als onkologisches Therapieziel postuliert und in präklinischen Modellen vorbeschrieben [59]. Wenngleich im nicht onkologischen Setting breit validiert, sind klinische Daten zu verfügbaren antiadipösen medikamentösen Wirkstoffen in der onkologischen Therapie ausständig. Glucagon-like Peptide 1-(GLP-1-)Rezeptorantagonisten wie Liraglutid führen durch Förderung von Insulinsynthese und deren Freisetzung sowie durch eine Hemmung der Magenentleerung klinisch zu einem Gewichtsverlust von 5 – 10% des Körpergewichts binnen 20 Wochen mit stabilen Langzeiteffekten unter Erhaltungstherapie. Dieser Effekt ist mit anderen einschlägig zugelassenen Präparaten wie dem Lipasehemmer Orlistat oder dem Serotinantagonisten Lorcaserin vergleichbar und dürfte der bariatrischen Chirurgie nicht unterlegen sein [60], [61]. Eine retrospektive Kohortenanalyse beschreibt im 5-Jahres-Follow-up nach bariatrisch forciertem Gewichtsverlust eine Risikoreduktion der Neuerkrankung an Endometriumkarzinomen um bis zu 40%. Für ein Absinken von Serumspiegeln von Sexualsteroiden und Insulin besteht ebenso breite Evidenz [62], [63], [64]. Eine forcierte Reduktion adipösen Fettgewebes durch ein medikamentöses Add-on zeigt sich somit in Zukunft als vielversprechender therapeutischer Ansatz vorstellbar.


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Schlussfolgerung: Relevanz für den klinischen Alltag

Adipositas erhöht als unabhängiger Risikofaktor die Erkrankungswahrscheinlichkeit für Endometrium- und postmenopausales Mammakarzinom um ein Vielfaches verglichen mit normalgewichtigen Patientinnen. Für das Zervix-, Vulva-, epitheliale Ovarialkarzinom und das prämenopausale Mammakarzinom sind epidemiologische Assoziationen zwar teils nachvollziehbar, jedoch ist die Evidenzlage weniger solide und die beschriebenen Effekte sind weniger ausgeprägt, zumal die HPV-Prävention für Vulva- und Zervixkarzinome einen klinisch weit bedeutsameren Stellenwert einnimmt und hinsichtlich der häufigsten high-grade serösen Subtypen epithelialer Ovarialkarzinome kein Zusammenhang ableitbar ist ([Tab. 1]). Die Datenlage hinsichtlich klinischer Handlungsempfehlungen zeigt sich dünn. Für einen erhöhten BMI ohne assoziierte Komorbiditäten besteht auf Basis aktueller Evidenz weder ein erhöhtes Risiko für schwerwiegende Komplikationen im Rahmen operativer Primärtherapie noch eine erhöhte perioperative Mortalität, weswegen keine Kontraindikation für radikaloperative Strategien ableitbar ist. In Analogie sind bei Adipositas dosisreduzierte zytotoxische Chemotherapieschemata für Ovarial- und Endometriumkarzinomen mit einem schlechteren onkologischen Outcome assoziiert und daher trotz möglicher höherer Toxizität volle gewichtsadaptierte Dosierungen empfohlen. Eine Einbeziehung forcierter Reduktion adipösen Fettgewebes – sowohl durch bariatrische Chirurgie als auch durch medikamentöse Therapie – muss derzeit trotz der bekannten negativen Korrelation zwischen BMI, Rezidivwahrscheinlichkeit und onkologischem Outcome aufgrund ausstehender Evidenz auf klinische Studien beschränkt bleiben.

Tab. 1 Key Messages zur klinischen Relevanz und dem Management von Adipositas in Verbindung mit gynäkologischen Malignomen nach Lokalisation. Adipositas wird definiert als ein Body-Mass-Index (BMI) ≥ 30 kg/m2.

Karzinomlokalisation

Key Messages: Relevanz für den klinischen Alltag

1  Eine teilweise beschriebene relative Erhöhung des Erkrankungsrisikos des Zervixkarzinoms ist vermutlich mit einer Einschränkung der Screeningqualität zu assoziieren [41].

2  Für low-grade, muzinöse und klarzellige Karzinome sind eingeschränkte relative Erhöhungen des Erkrankungsrisikos beschrieben, die sich aufgrund der Seltenheit der Histologien und der geringen Effekte klinisch wenig relevant zeigen [33].

Endometrium

prä- und postmenopausal positive, lineare Korrelation mit Inzidenz und beeinträchtigtem onkologischen Outcome [23]

postmenopausales endometroides Adenokarzinom: 50% relative Risikoerhöhung pro 5 BMI-Einheiten [24]

Mamma (hormonrezeptorpositiv)

postmenopausal positive, lineare Korrelation mit Inzidenz und beeinträchtigtem onkologischen Outcome [32]

postmenopausales Karzinom: 10 – 32% relative Risikoerhöhung pro 5 BMI-Einheiten [27]

prämenopausales Karzinom: 10% relative Risikoreduktion pro 5 BMI-Einheiten [28]

Mamma (hormonrezeptornegativ)

postmenopausales Karzinom: für Erkrankungsrisiko und krebsspezifische Mortalität von klinisch untergeordneter Relevanz [31]

prämenopausales Karzinom: assoziiert mit dem Auftreten triple-negativer Karzinome [30]

Zervix

für Erkrankungsrisiko und krebsspezifischer Mortalität von klinisch untergeordneter Relevanz1,2

Ovar (epithelial)

Vulva

für das Erkrankungsrisiko von klinisch untergeordneter Relevanz [35], [36]

signifikant kürzeres progressionsfreies und krankheitsspezifisches Überleben [35], [36]

Therapiestrategien

operativ: ohne manifeste assoziierte Morbidität keine Kontraindikation für radikaloperative Therapiestrategien [43], [44], [45]

zytotoxische Chemotherapie: volle gewichtsadaptierte Dosierungen sind trotz höherer Toxizität mit besserem onkologischen Outcome assoziiert [48], [49], [50], [51]


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Conflict of Interest/Interessenkonflikt

The authors declare that they have no conflict of interest./Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Correspondence/Korrespondenzadresse

Dr. med. Thomas Bartl
Klinische Abteilung für Allgemeine Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie
Universitätsklinik für Frauenheilkunde
Medizinische Universität Wien
Währinger Gürtel 18 – 20
1090 Wien
Austria   

Publication History

Received: 15 June 2020

Accepted after revision: 25 July 2020

Article published online:
03 December 2020

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