Handchir Mikrochir Plast Chir 2020; 52(03): 242-243
DOI: 10.1055/a-1165-6799
Kommentar

Die COVID-19 Pandemie und ihre Folgen für Plastische Chirurgie und Handchirurgie: ein Kommentar aus Grazer Sicht

The COVID-19 Pandemic and its Consequences for Plastic Surgery and Hand Surgery: a comment from the Graz University Hospital
Lars-Peter Kamolz
Klinische Abteilung für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie, Universitätsklinik für Chirurgie, Medizinische Universität Graz
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Stephan Spendel
Klinische Abteilung für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie, Universitätsklinik für Chirurgie, Medizinische Universität Graz
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Mit großem Interesse haben wir den Artikel „Die COVID-19 Pandemie und ihre Folgen für Plastische Chirurgie und Handchirurgie“ [1] gelesen. Die vergangenen Wochen haben uns deutlich gezeigt, welchen großen Stellenwert die moderne Plastische Chirurgie an den Krankenhäusern und Universitätskliniken für die Akut-Versorgung der Bevölkerung besitzt.

In Österreich mussten wir genauso wie in Deutschland nicht nur massive räumliche Anpassungen inkl. der Schaffung von Triage-Bereichen, COVID-Verdachtsstationen und COVID-pos.-Stationen einrichten und betreiben, sondern auch von einem auf den anderen Tag unser OP-Programm auf Not-Operationen beschränken. Dies beinhaltete auch, sich mit den Abläufen in den unterschiedlichen Bereichen der Plastischen Chirurgie zu befassen. So erfolgte z. B. eine komplette Überarbeitung der Behandlungsabläufe im Bereich der Schwerbrandverletzten-Behandlung, wo ein intensiver Austausch mit den Kollegen in den anderen Ländern und ein Lernen von den Vorerfahrungen der anderen stattfand [2].

Diese getroffenen Maßnahmen waren zugleich wichtig, aber auch schmerzhaft, da vielen Patienten und Patientinnen von heute auf morgen abgesagt werden mussten; v. a. auch Patienten und Patientinnen, die bereits geraume Zeit auf ihren Operationstermin gewartet hatten.

Diese Reduktion auf den Notfall-Betrieb zeigte aber auch, dass z. B. an unserem Zentrum rund 50 % der Normal-OP-Kapazität allein notwendig sind, um den bestehenden Bedarf an „Plastischer Notfallchirurgie“ decken zu können. Vorrangig standen in dieser Zeit nicht nur Verbrennungen und ausgeprägte Weichteilinfekte im Programm, sondern insbesondere auch komplexe Hand- und Extremitäten-Verletzungen inklusive Replantationen. Zudem konnte in diesem Zeitraum ein deutlicher Anstieg an Suizidversuchen und Freizeitunfällen beobachtet werden. Diese „COVID-Phase“ zeigte aber auch auf, dass weitere 30–40 % der OP-Kapazität notwendig sind, um die sehr dringlichen Operationen zeitgerecht durchführen zu können und es sich lediglich bei den verbleibenden 10–20 % um mehr oder weniger wirklich elektive Operationen handelt. Natürlich ist dieser Prozentsatz nicht nur von Zentrum zu Zentrum verschieden, sondern unterscheidet sich auch in den Krankenhaus-Bereichen und in den rein niedergelassenen Bereichen.

Derzeit sind wir bereits in der Phase, in der eine vorsichtige „Rückkehr zur Normalität“ in den österreichischen Spitälern und in den Ordinationen begonnen wird [3]. Wir sind uns aber auch sicher, dass wir die „alte Normalität“ nicht allzu rasch wieder erreichen werden. Es handelt sich hierbei um ein Abwiegen der Vorteile gegenüber den Nachteilen bzw. eher des Nutzens gegenüber den Risiken. Es geht derzeit wieder vorrangig darum, dringliche Diagnosen, Behandlungen und Operationen durchzuführen, um sogenannte medizinische „Kollateralschäden“ zu vermeiden [4].

Wir müssen uns zunächst vorrangig darum bemühen, die Patienten herauszufiltern, die von einer raschen medizinischen Diagnostik und Behandlung profitieren, ohne sie einem massiv erhöhten Risiko auszusetzen. Unserer Meinung nach wäre es jetzt jedoch falsch, grundsätzlich noch länger zu warten und somit zu riskieren, dass aus diesen dringlichen Fällen Notfälle werden oder, dass Patienten aufgrund einer verzögerten Behandlung langfristige gesundheitliche Nachteile erleiden!

Genau darum kümmern sich derzeit die Plastisch Chirurgischen Abteilungen intensiv, nämlich bei jedem einzelnen Patienten abzuwiegen und zu entscheiden, was überwiegt: der Vorteil einer Behandlung jetzt gegenüber den potenziellen Risiken durch eine COVID-Infektion. Natürlich geht es auch darum, einen erneuten Anstieg an Neu-Infektionen zu vermeiden [5].

Dieses abwiegende Vorgehen ist für uns Plastische Chirurgen grundsätzlich nichts Neues, wo wir doch tagtäglich Nutzen und Risiken im Sinne einer personalisierten Medizin gegeneinander abwägen und ein für jeden Patienten individuell abgestimmtes Vorgehen wählen – nur, dass jetzt ein zusätzlicher Faktor zu berücksichtigen ist.

Zusätzlich muss bei der Planung der „Rückkehr zur Normalität“ auch regional sehr differenziert vorgegangen werden. Erstens sind die Bedürfnisse und Aufgaben der unterschiedlichen Krankenhäuser sehr unterschiedlich zu bewerten. Ein Universitätsklinikum hat natürlich andere Aufgaben und Bedürfnisse als ein Schwerpunkt-Krankenhaus oder ein Haus der Basisversorgung. Alle sind aber für die Versorgung der Bevölkerung wichtig. Zweitens darf man bei diesen Betrachtungen den niedergelassenen Bereich nicht vergessen und muss proaktiv die extramuralen Versorgungsstrukturen in die Planung miteinbeziehen.

Drittens sollten wir die Technologien, auf die wir uns in den letzten Wochen „gestützt“ und die wir zu schätzen gelernt haben, nicht wieder vergessen, sondern in die zukünftige Versorgung miteinbeziehen. Exemplarisch seien hier nur die Möglichkeiten der Telemedizin [6], [7] zu erwähnen. Diese Technologien haben uns in den letzten Wochen entscheidend geholfen, uns zu vernetzen und eine kompetente Betreuung unserer Patienten und Patientinnen zu gewährleisten. Hier zeigt sich wieder sehr stark, dass jede Krise auch eine Chance darstellt.

Wir sind sicher, dass wir für diesen ersten Schritt zurück in Richtung Normalität und „für ein Leben mit COVID“ gut gerüstet sind. Entscheidend ist derzeit vor allem auch, die Vorgaben in Hinblick auf „Maskentragen“ und „Abstand halten“ zu beachten und weiterhin verantwortungsvoll im Interesse unserer Patienten und Patientinnen zu handeln.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Univ. Prof. Dr. Lars-Peter Kamolz M.Sc.
Klinische Abteilung für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie
Universitätsklinik für Chirurgie
Medizinische Universität Graz
Auenbruggerplatz 29
A-8036 Graz
Phone: + 43 (316) 385–14685   

Publication History

Received: 22 April 2020

Accepted: 24 April 2020

Article published online:
14 May 2020

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