ergopraxis 2020; 13(07/08): 37-39
DOI: 10.1055/a-1174-3190
Ergotherapie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Verbindung aufbauen – Videotherapie

Sandra Matthes
,
Nadine Möller-Käppler
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Publication Date:
07 July 2020 (online)

 

Während des Corona-Ausnahmezustands nutzten viele Therapeuten die Möglichkeit der Videotherapie. Sandra Matthes und Nadine Möller-Käppler vergleichen verschiedene Plattformen, die dafür eingesetzt wurden. Außerdem stellen sie eine Checkliste zur Verfügung, damit bei der nächsten Intervention per Video nichts mehr schieflaufen kann.


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Sandra Matthes

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Sandra Matthes (links) ist Ergotherapeutin und entwickelt mit Mag. Nadine Möller-Käppler (rechts), Ergotherapeutin und Psychologin, Online-Therapiemethoden und Screeningverfahren per Videotherapie sowie ergotherapeutische Aufmerksamkeits- und Outdoor-Gruppen.

Nadine Möller-Käppler

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ABB. 1 Die Therapeutin ist per Smartphone beim ADL-Training dabei und berät die Klientin. Abb.: S. Matthes

„Sie müssen auf den Link klicken!“, „Können Sie mich sehen?“ Vielleicht werden wir diese Sätze von Therapeuten immer öfter hören, während sie sich gerade mit ihren Klienten in einem Videoanruf befinden. Die veränderten Kontakt- und Hygienestandards in Zeiten des Coronavirus führten zunehmend zum Einsatz alternativer Behandlungsmethoden, abseits der uns bekannten Pfade.

Klientenzentriert und ganzheitlich

Der Ergotherapie-Weltverband WFOT erkennt den Einsatz von Telemedizin als eine angemessene ergotherapeutische Leistung an. Für ihn ist ein Hybridmodell vorstellbar, das den Einsatz der Behandlungsmethode in der Praxis und parallel dazu die Videotherapie ermöglicht. Dies kann zeitliche Ressourcen aufbauen und zugleich erweitert sich der Aktionsradius der Therapeutin, indem ein virtueller Hausbesuch im Gegensatz zum Präsenztermin häufiger stattfinden kann [3].

Mit der Teletherapie kann man auch Menschen erreichen, die die Praxis nur bedingt oder gar nicht besuchen können: Einschränkungen in Konstitution, Wohlbefinden oder innerem Antrieb sind häufig ein Hindernis, ebenso wie unverhältnismäßig lange Anfahrtszeiten, etwa in ländlichen Gebieten. Ein überlastetes Zeitmanagement oder organisatorische Barrieren können Termine in einer Ergotherapiepraxis erschweren.

Videotherapie vereinfacht oder ermöglicht somit vielen Personen den Zugang zur Ergotherapie. Zudem ist eine intensivere Zusammenarbeit mit Angehörigen oder dem Betreuungspersonal möglich. Auch bei regionaler therapeutischer Unterversorgung oder besonderer Indikation besteht mittels Videotherapie die Möglichkeit, einen Behandler mit entsprechender Zusatzqualifikation hinzuzuziehen. Somit fördert Teletherapie den direkten Kontakt zum Klienten und erwirkt eine Vernetzung und Kooperation im Sinne einer klientenzentrierten, konstruktiven Zusammenarbeit. Gerade im Bereich der Beratung und des Coachings belegen Studien eine erfolgreiche Anwendung der Behandlungsform [3], [4].


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Checkliste – Vor der Videotherapie

Hardware

  • Computer/Tablet/Smartphone mit Internetzugang, Mikrofon, Kamera, Lautsprecher

  • ggf. Stativ oder externe Webcam

Software

  • für die therapeutischen Zwecke geeignete Plattform auswählen

  • dem Klienten Plattform-Namen und Anbieter kommunizieren

  • abklären: Wie erhält der Klient Zugriff? Muss vorher eine App/ein Programm installiert werden?

Räumlichkeiten

  • räumliche Gegebenheiten vorab besprechen: ruhiger, separater Raum, sowohl für Therapeutin als auch für Klient

  • Privatsphäre und Ungestörtheit auf beiden Seiten unbedingt beachten

  • für eine gute Ausleuchtung des Raumes sorgen

  • ggf. zusätzliche Lichtquelle einschalten, zum Beispiel adaptierbare LED-Panels für das Smartphone

Therapiematerialien

  • Materialien für die Therapie griffbereit halten

  • Welche Materialien stehen dem Klienten zur Verfügung? Was kann er für die Intervention adaptieren?

  • Bild- und Therapiematerial sollten gut erkennbar sein.


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Datenschutz beachten

Für die Videotherapie sollte man einen Anbieter auswählen, der entsprechend der gültigen EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) eine Videokommunikation ermöglicht. Dies trifft auf Nicht-EU-Anbieter (häufig) nicht zu. Sie sind kritisch zu betrachten, was den Schutz der personenbezogenen Daten angeht. Einige der US-amerikanischen Anbieter verfügen jedoch über eine sogenannte „Active Privacy Shield“-Mitgliedschaft und verpflichten sich somit zur Einhaltung der Datenschutzrichtlinien der EU und der USA. Man sollte stets darauf achten, dass der Anbieter vertrauenswürdig ist, dem Datenschutz einen hohen Stellenwert einräumt und dass eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung vorliegt. Diese ermöglicht eine sichere Verbindung beider Parteien. Während der Therapie dürfen keine Bild- oder Audioaufnahmen erfolgen.


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Voraussetzungen

Für die Teletherapie ist ein internetfähiges Gerät nötig, welches über eine Kamera, ein Mikrofon und einen Lautsprecher verfügt. Zusätzlich gibt es diverse Ansprüche an die Software. Das verwendete Gerät muss einen unterstützenden Browser (zum Beispiel Chrome, Firefox, Safari) installiert haben. Für mobile Geräte ist meist eine App für den Videoanruf nötig. Eine stabile Internetverbindung ist ebenfalls Voraussetzung.

Die Einwilligung des Klienten zur telemedizinischen Intervention muss vor dem Videoanruf vorliegen. Eine Bestätigung über die stattgefundene Online-Therapie seitens des Klienten erfolgt via E-Mail an die Therapeutin. Für die Videotherapie muss der Klient die notwendigen technischen Voraussetzungen erfüllen und anwenden können. Zudem ist es wichtig, dass er in der Lage ist, die verbalen Anweisungen der Therapeutin zu verstehen und umzusetzen. Direkte Ausschlusskriterien sind bestehende Sturz- und Verletzungsgefahr, psychisch-emotionale Instabilität und Schmerz.


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Plattformen: eine Übersicht

Bislang wurde das Potenzial der Videotherapie vorrangig von Ärzten genutzt. In Deutschland gibt es von der kassenärztlichen Bundesvereinigung zertifizierte Anbieter (zum Beispiel sprechstunde.online), die Ärzte abrechnen können [6]. Für Therapeuten gibt es derzeit noch keine genauen Vorgaben, die über die Datenschutzbestimmungen hinausgehen. Dadurch ist die Anwendung aller DSGVO-konformen Plattformen möglich.

Exemplarisch sind einige Anbieter und ihre Funktionen kurz vorgestellt ([TAB].). Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Bei allen Plattformen ist zunächst eine Anmeldung der Therapeutin sowie die Eingabe von personenbezogenen Daten notwendig. Einige der Benutzeroberflächen wie Alvetherapy verlangen zudem die Berufsurkunde des jeweiligen Behandlers, um ihn zu verifizieren. Sowohl der Name bzw. die Initialen und die E-Mail-Adresse des Klienten sind für einen Videoanruf Voraussetzung.

TAB. Die sieben Stränge der Occupational Transition nach Scalzo [9]

Plattform

Funktionen

Video-telefonie

Warteraum

Chat

Bildschirm teilen

Datei senden

Schreib-/Malpad

Video abspielen

Alvetherapy (www.alvetherapy.com)

Appointmed (www.appointmed.com)

Doxy.me (www.doxy.me)

Physitrack (www.physitrack.com/telehealth)

RedConnect (www.redmedical.de/red-connect-videosprechstunde)

Sprechstunde.online (www.sprechstunde.online)

TheraPsy Connect (www.therapsy.at/connect)

Bei (fast) allen Plattformen erhält der Klient einen Link zur Videotherapie per E-Mail, was einen komplikationsfreien Zugang ermöglicht. Teilweise betritt er zu Beginn ein virtuelles Wartezimmer. Je nach Anbieter können Funktionen wie Bildschirm teilen, chatten, Dateien hochladen und empfangen oder ein Malpad das Handlungsspektrum erweitern.


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Vorbereitungen treffen

Die Planung und Durchführung einer Videotherapie können für die Therapeutin herausfordernd sein. Seitens des Klienten können Vorbehalte aufgrund von mangelnder Erfahrung, Unsicherheiten in Bezug auf technische Fähigkeiten sowie Effizienz der Therapie bestehen. Eine Vorabinformation durch einen Leitfaden erweist sich daher als sinnvoll (CHECKLISTE).

Die Therapeutin sollte sich in einem ruhigen, separaten Raum befinden, der die Privatsphäre des Klienten schützt. Eine kurze Erläuterung zum eigenen räumlichen Umfeld schafft Sicherheit und Vertrauen auf Seiten des Klienten. Außerdem sollte schon vorab feststehen, welche Materialien benötigt werden und wie die Plattform funktioniert.


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Verschiedene Klientengruppen profitieren

Die Videotherapie ist zum Beispiel für die Elternberatung geeignet. Außerdem können feinmotorische Aktivitäten oder Bewegungseinheiten wie Balancieren, einen Parcours bauen oder Übungsprogramme Teil der Videotherapie sein ([ABB. 2], S. 37 UND [Abb. 3]). Die Eltern sollten dabei allerdings ihrer Aufsichtspflicht nachkommen, da ein aktives Eingreifen der Therapeutin nicht möglich ist.

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ABB. 2 Gemeinsam entworfene Parcours werden umgehend erprobt. Abb.: S. Matthes
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ABB. 3 Mithilfe des Malpads, welches die Plattform Alvetherapy anbietet, können Therapeutin und Klientin gemeinsam Aufgaben lösen. Abb.: S. Matthes

In der Arbeit mit psychisch erkrankten Personen lassen sich beispielsweise Entspannungsverfahren durchführen. Die Therapeutin kann Musik abspielen oder verbale Anleitungen geben. Zudem kann sie eine Tagesplanung mit dem Klienten erstellen. Seine Person und Anamnese sollten jedoch unbedingt seit längerem bekannt sein.

Allein schon der Kontakt zu anderen Menschen kann für geriatrische Klienten heilsam sein – auch über Video. Neben Gesprächen, dem Nutzen von Musik oder dem Aufzeichnen der Gedanken des Klienten können einfache Gedächtnistrainings Inhalt sein.

In der Wohnraumadaptation und der Hilfsmittelberatung bietet die Videotherapie (ergänzend zur bestehenden Intervention) die Chance einer besseren Compliance des Klienten und Unterstützung im häuslichen Umfeld. Über den virtuellen Hausbesuch können gemeinsam Veränderungen im Umfeld vorgenommen werden.

Die primäre Gesundheitsprävention, welche das Entstehen von Erkrankungen verhindert, kann man durch Teletherapie ermöglichen [7]. Lebensbedingungen und Verhalten, die den Gesundheitszustand wesentlich beeinflussen, lassen sich durch ergotherapeutische Tipps kreativ und klientenzentriert unterstützen [8], [9].


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Kontakt über räumliche Distanz hinweg

Die Videotherapie stellt in vielfacher Hinsicht eine Bereicherung für die Ergotherapie dar. Mehrmals wöchentlich können Therapeutin und Klient in Kontakt treten. Über die Videotherapie kann der Aktionsradius der Behandlerin deutlich erweitert werden, da Klienten und Angehörige erreichbar sind, die sonst nur begrenzt Zugang zu Therapie haben. Mit den telemedizinischen Interventionen lässt sich die Eigenverantwortung und das Selbstbewusstsein des Klienten erhöhen. Es ist dringend erforderlich, den holistischen Ansatz der Ergotherapie auch in der Telemedizin zu etablieren und die Verbindung zu den Klienten über die Räumlichkeiten der Praxis hinaus aufzubauen.


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ABB. 1 Die Therapeutin ist per Smartphone beim ADL-Training dabei und berät die Klientin. Abb.: S. Matthes
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ABB. 2 Gemeinsam entworfene Parcours werden umgehend erprobt. Abb.: S. Matthes
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ABB. 3 Mithilfe des Malpads, welches die Plattform Alvetherapy anbietet, können Therapeutin und Klientin gemeinsam Aufgaben lösen. Abb.: S. Matthes