Die epidemiologischen Daten zeigen weltweit, dass von schweren Verläufen und Todesfällen
mehrheitlich alte Patienten betroffen sind und die Case Fatality Rate ab einem Alter
von 65 Jahren deutlich ansteigt [1]. Die Sterblichkeit bei Patienten über 80 Jahre liegt bei über 15 % [2]. Dies macht COVID-19 zu einer gerontopneumologischen Erkrankung. Die AG pneumologische
Altersmedizin gibt im Folgenden daher eine Stellungnahme zur Therapie geriatrischer
Patienten mit COVID-19. Diese ist als Ergänzung zu Empfehlungen anderer Arbeitsgruppen
zu verstehen.
Klinisches Bild von COVID-19 in der Geriatrie
Klinisches Bild von COVID-19 in der Geriatrie
Der Schweregrad der Symptomatik reicht auch bei älteren COVID-19 Patienten von milden
bis zu sehr schweren Verläufen. Die Latenzzeit bis zum Beginn der klinischen Symptome
liegt bei 3 – 7 Tagen. Trockener Husten und (hohes) Fieber sind die häufigsten Symptome
[2]. Milde Diarrhoen und Geschmacksstörungen können auftreten. Diagnostisch auffällig
ist eine zuweilen schwere Hypoxämie, die diskordant zu gering ausgeprägten Infiltraten
im Röntgenbild oder im CT-Thorax sein kann [3]
[4]
[5]. Diese tritt oft mit einer Latenz von 7 – 10 Tagen nach dem Zeitpunkt der Infektion
auf. Pleuraergüsse sind selten durch COVID-19 bedingt. Das klinische Bild kann durch
Komorbiditäten der geriatrischen Patienten unscharf werden. So kann Dyspnoe bspw.
zusätzlich auch durch Herzinsuffizienz oder durch eine chronische Atemwegserkrankung
verursacht sein. Daher gilt insbesondere bei geriatrischen Patienten, dass stets überprüft
werden muss, ob eine chronische Erkrankung oder die SARS-CoV-2-Infektion ursächlich
für die Symptome ist. Bei geriatrischen Patienten ist die Schilderung der Symptomatik
häufig verschleiert durch kognitive Einschränkungen und durch Sprachschwierigkeiten
(z. B. M. Parkinson, Z. n. Apoplex). Immobile Patienten berichteten erst mit erheblicher
Latenz von Dyspnoe, da sich Dyspnoe durch das Fehlen körperlicher Belastung erst spät
bemerkbar macht [6].
Wegen der Komorbiditäten muss ganz besonders bei geriatrischen Patienten differenziert
werden, ob die Symptome durch SARS-CoV-2 oder eine andere Erkrankung bedingt sind.
Medizinisch-ärztliche Versorgung von COVID-19-Patienten
Medizinisch-ärztliche Versorgung von COVID-19-Patienten
Die ideale Betreuung geriatrischer COVID-19-Patienten erfolgt primär durch den Pneumologen
und erst sekundär durch die Geriatrie. Leider werden nur in wenigen Kliniken beide
Disziplinen vorgehalten. In Kliniken, die diese fachliche Ausstattung nicht besetzen,
sollte eine einzelne Fachabteilung federführend sein. Die Patienten sollten auch dazu
kohortiert werden. Aktuelle Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts müssen beachtet
werden.
Wegen der Dynamik der Erkrankung sollten Patienten mit COVID-19 primär durch einen
Pneumologen behandelt werden. Die Weiterverlegung in die Geriatrie und Behandlung
durch einen Geriater oder andere Fachabteilungen erfolgt erst sekundär.
Patientenwille und Triage
Patientenwille und Triage
Die Berücksichtigung des Patientenwilles und eine Triage von Patienten hinsichtlich
invasiver Maßnahmen geschieht in der Geriatrie bereits unabhängig von COVID-19-Routine.
Der Patientenwille bezüglich Reanimation und Intubationsbeatmung wird in den meisten
geriatrischen Abteilungen bei der stationären Aufnahme regelhaft erfasst und für alle
Mitarbeiter sichtbar und schnell erkennbar in der Dokumentation festgehalten. Triage
ist auch in der Pneumologie weit verbreitet, wo chronisch Lungenkranke mit „end stage“
Lungenerkrankungen bezüglich Intensivmedizin und Intubation triagiert werden. Sind
2 medizinische Disziplinen in der Patientenversorgung beauftragt, sollte getrennt
triagiert werden, um Unterschiede zu erkennen und einen Erfahrungsaustausch zu ermöglichen.
Wir empfehlen den Schweregrad der Akuterkrankung nach ASA [7], Karnofsky [8] oder CRB-65-Index zu dokumentieren und bei Patientenaufnahme den chronischen Zustand
nach der Frailty Scale [9] zu bewerten. Die Triage bezüglich möglicher therapeutischer Intervention sollte
differenziert wie unten aufgeführt erfolgen. Bezüglich etwaiger Patientenverfügungen
ist zu prüfen, ob deren dort festgehaltenen Beschlüsse in der aktuellen Situation
noch Gültigkeit haben.
Die Triage sollte getrennt erfassen, ob folgende Maßnahmen durchgeführten werden sollen:
Intensivtherapie, Intubation/Reanimation, Sauerstoffgabe, High Flow/NIV. Diese therapeutischen
Möglichkeiten müssen mit dem Patientenwillen abgeglichen werden. Eventuell auftretende
Diskrepanzen sollen umgehend geklärt werden.
Überwachung der Patienten
Überwachung der Patienten
Die Patienten der Normalstation brauchen regelmäßig ärztliche und pflegerische Visiten,
gerade wenn es sich um Isolierbereiche handelt. Unter Umständen kann auch eine 2-mal
tägliche ärztliche Visite notwendig sein, da sich der klinische Status von SARS-CoV-2-Patienten
auch rasch verschlechtern kann. Regelmäßige Kontrollen der Sauerstoff-Sättigung per
Pulsoxymeter ist sinnvoll (z. B. alle 4 h). Gegebenenfalls können kontinuierlich messende
Systeme aus der Schlafmedizin verwendet werden.
Medikamentöse Therapie und Polypharmazie
Medikamentöse Therapie und Polypharmazie
Kennzeichnend für geriatrische Patienten ist die Polypharmazie. Es ist notwendig,
die medikamentöse Therapie hinsichtlich Arzneimittelinteraktion und Nebenwirkungspotenzial
zu prüfen. Das gilt umso mehr, wenn überlegt wird, eine medikamentöse Therapie zu
beginnen, die keine offizielle Zulassung zur Therapie von SARS-CoV-2 besitzt. Hydroxychloroquin
bspw. begünstigt EKG-Veränderungen (long-QT), welche durch Azithromycin aggraviert
werden. Das Absetzen von etablierten Medikamenten muss ohne vorliegende Evidenz genauso
kritisch gesehen werden (z. B. Absetzen von ACE-Hemmern bei Herzinsuffizienz) [10]
[11].
Wenn Patienten nur mit einem Vernebler antiobstruktive Medikamente inhalieren können,
muss die antiobstruktive Therapie mit Vernebler fortgesetzt werden. Es gibt Untersuchungen,
dass die Inhalation von Kochsalz die Viruslast reduziert. Gegebenenfalls kann ein
Vernebler verwendet werden, bei dem im Exspirationsschenkel ein Filter aufgesetzt
wird. Alternativen sind die Kombination aus Spacer und Dosieraerosol oder der Respimat.
Pulver sind bezüglich Umgebungskontamination wahrscheinlich unkritisch.
Inhalationen mit Vernebler können auch bei Patienten mit COVID-19-Erkrankung eingesetzt
werden, wenn dies begleitende Lungenerkrankungen wie COPD erfordern.
Intensivmedizin und respiratorische Therapie
Intensivmedizin und respiratorische Therapie
Die Intensivmedizin hat in den letzten Jahren hinsichtlich der Therapie der ventilatorischen
und respiratorischen Insuffizienz einige Fortschritte gemacht. Dazu gehören am weniger
invasiven Ende des Spektrums therapeutischer Möglichkeiten die Einführung von High-Flow-Systemen
(Applikation von warmer, befeuchteter Luft mit hohem Fluss bei zusätzlicher Gabe von
Sauerstoff über eine Nasenkanüle), die nicht-invasive Beatmung NIV und die Bauchlagerung
von Patienten sowohl nach Intubation als auch unter NIV oder High Flow. Am anderen
Ende des Spektrums steht der teure und invasive Einsatz der extrakorporalen Membranoxygenierung
ECMO. Für die NIV konnte insbesondere bei aktiven Mund-Nasen-Masken mit zusätzlicher
Sauerstoffzufuhr bis 15 l/min gezeigt werden, dass mit vergleichsweise geringen Kosten
die Sterblichkeit unter Vermeidung von intensivmedizinischen Therapiekomplikationen
vermindert werden kann. Die NIV hat daher auch einen etablierten Stellenwert gerade
in der Geriatrie und der Palliativmedizin [12].
Bei Patienten mit COVID-19 fällt auf, dass das Ausmaß der Hypoxämie oft größer ist,
als das radiologische Bild erwarten lassen würde, und die Luftnot geringer ist, als
es die Hypoxämie erwarten lassen würde. Es gibt neben der anatomischen (alveoläre
Füllung, Mikroembolien [13]) eine funktionelle Komponente. Diskutiert wird, ob die hypoxisch-pulmonale Vasokonstriktion
durch die Virusinfektion aufgehoben wird, sodass es zu einer gravierenden Verteilungsstörung
kommt [14]. Dies würde erklären, warum so viele geriatrische Patienten so schwer erkranken,
da der Ventilations-Perfusions-Mismatch im Alter zunimmt. Überdrucktherapien (CPAP,
NIV) hätten hier ihren therapeutischen Ansatz.
Die Empfehlung der DIVI hinsichtlich der respiratorischen Therapie lautet, dass bei
fortschreitendem Lungenversagen die Indikation zur HFNC und NIV eher zurückhaltend
gestellt wird. Schwere Hypoxämie wird dabei definiert durch einen PaO2 /FiO2-Quotienten von ≤ 200 mmHg. Empfohlen wird, die Intubation als sog. Crush Induction
durchzuführen. Eine fiberoptische Intubation wird ausdrücklich abgelehnt [15].
Die FiO2 (fraktionierte inspiratorische Sauerstoffkonzentration) ist aber nicht ohne invasive
Beatmung zu ermitteln, da die Sauerstoffgabe über Wandanschluss (zentrale Gasleitung),
Sauerstoffflaschen oder Konzentrator nur als Fluss (L/min) angegeben werden kann und
eine Umrechnung in eine definierte Sauerstofffraktion nicht zuverlässig gelingt. Der
Wert lässt auch außer Acht, mit wie viel Ventilation der Sauerstoffpartialdruck erzielt
wird. Das kann anhand des PCO2 bestimmt werden: Besteht eine normale Ventilation, liegt der Wert bei 35 – 45 mmHg.
Bei Werten unter 35 mmHg wird eine Mehrventilation erbracht, um den Sauerstoffwert
ausreichend hoch zu halten. Somit ist auch das PCO2 ein Indikator für die Schwere der Hypoxämie und sollte daher klinisch berücksichtigt
werden.
Therapeutische Empfehlungen sollten nicht alleine anhand von Sättigungswerten getroffen
werden, sondern müssen auch die Klinik des Patienten berücksichtigen. So sind insbesondere
das Auftreten von (schwerer) Luftnot und Hechelatmung („Rapid shallow breathing“)
wichtige Kriterien für therapeutische Entscheidungen [16]. Wahrscheinlich werden die geriatrischen Patienten durch eine konventionelle Intensivtherapie
häufiger gefährdet (Sedierung: Delir; Katecholamine: Organischämien) als dass ein
Nutzen erbracht wird.
Bei schwerem Atemversagen sind die Atemfrequenz und die Atemtiefe massiv erhöht. Dies
übersetzt sich in einen stark negativen Druck (bis –100 mmHg). In dieser Situation
stützt die Atempumpe den Kreislauf. Das ist klinisch gut daran erkennbar, dass bei
Rapid Sequence Intubation [16] in solch einer Situation der Blutdruck sofort massiv abfällt. Nicht selten ist im
Anschluss an die Intubation eine Reanimation erforderlich. Regelmäßig werden daran
anschließend hohe Dosen Katecholamine notwendig, um den Kreislauf zu stützen [17]
[18]. Allesamt eine Situation, die für geriatrische Patienten im Hinblick auf den weiteren
Verlauf nachteilig ist. Es ist daher zu diskutieren, ob diese Art der laryngoskopischen
Intubation den Patienten nicht schadet im Vergleich bspw. zu einer bronchoskopischen
Intubation.
Wir sehen durchaus die Möglichkeit einer Therapie mit NIV und High Flow. NIV sollte
bevorzugt mit non-vented Nasen-Mund-Masken (aktive Masken) durchgeführt werden, um
Aerosolbildung zu minimieren. Reine Nasenmasken und passive Mund-Nasen-Masken mit
offenen Ausatemventilen sind wegen erhöhter Viruskontamination durch den offenen Mund
möglichst zu vermeiden. Diese Empfehlung deckt sich mit den -Empfehlungen der europäischen
und amerikanischen Fachgesellschaften, die diese Therapieformen in Therapiealgorithmen
berücksichtigt haben [19].
Geriatrische COVID-19-Patienten mit hypoxämischer Insuffizienz können mit High Flow
oder CPAP-behandelt werden. Patienten mit SARS-CoV-2, die hyperkapnisch sind, können
mit NIV behandelt werden. Die Kombination aus NIV-/CPAP-Therapie mit Bauchlagerung/überdrehter
Seitenlagerung ist eine zusätzliche Option bei schwerer Erkrankung [20]. Intubationskriterien müssen klinische Kriterien sein und dürfen nicht nur über
die Hämoglobin-Sauerstoffsättigung definiert werden. Wenn Triage und Wunsch des Patienten
es erlauben, kann eine Intubation erfolgen. Die bronchoskopische Intubation kann erwogen
werden, wenn ein Kreislaufstillstand durch eine Crush-Intubation zu befürchten ist.
Palliativmedizinische Behandlungskonzepte
Palliativmedizinische Behandlungskonzepte
Es ist ärztliche Aufgabe die Indikation zur intensivmedizinischen Behandlung, aber
auch für eine Indikation zur Therapiebegrenzung zu stellen. Dies sollte mit fachärztlicher
Expertise möglichst im 4-Augen-Prinzip erfolgen. Danach sind die Einwilligungsfähigkeit
und der geäußerte Patientenwille zu ermitteln (ggf. mit Unterstützung von Betreuungsbefugten/Vorsorgebevollmächtigten).
Im Falle einer klinischen Verschlechterung trotz Erschöpfung der indizierten und gewünschten
medizinischen Maßnahmen haben wir die Pflicht, eine bestmögliche Symptomlinderung
und ggf. Sterbebegleitung zu gewährleisten. Die symptomorientierte Therapie sollte
u. a. Dyspnoe, Angst, Fieber und trockenen Husten im Fokus haben. Auf die gemeinsame
Handlungsempfehlung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin und der Deutschen
Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin sei verwiesen [21]. Dort wird die symptomatische Therapie von Atemnot, Husten, Rasselatmung, Angst,
Unruhe, Agitation und Delir detailliert beschrieben.
Bei palliativmedizinischem Ansatz muss eine symptomorientierte Behandlung der Faktoren
Dyspnoe, Angst, Fieber und Husten erfolgen.
Versorgung weglaufgefährdeter Patienten
Versorgung weglaufgefährdeter Patienten
Ein Problem stellt die Unterbringung COVID-positiver und COVID-verdächtiger weglaufgefährdeter
Patienten mit Demenz oder deliranten Symptomen auf den COVID-Isolierstationen in den
Akuthäusern oder COVID-Hilfskrankenhäusern dar. Die Situation ist für diese aus ihrer
gewohnten Umgebung des stationären Pflegeheims oder des Zuhauses mit ambulanter Pflege
herausgerissenen Patienten besonders schwierig, weil die Patienten sich auch ansatzweise
nicht mehr orientieren können. Um diese Patienten nicht zu psychiatrisieren oder medikamentös
ruhig zu stellen, müssen in Abwägung brandschutzrechtlicher Anforderungen selbstbestimmungsgerechte
Maßnahmen getroffen werden, um sie an einer Infektionsübertragung außerhalb der Isolierstationen
zu hindern. Auf eine Fixierung am Bett sollte dabei unter allen Umständen verzichtet
werden.
Weglaufgefährdete geriatrische COVID-19-Patienten sollen auf Isolierstationen nicht
fixiert oder medikamentös ruhiggestellt werden. Nach Möglichkeit sind geeignete Maßnahmen
zu schaffen, z. B. durch personelle Besetzung an den Notausgangsbereichen bzw. durch
Abstimmung mit den Brandschutzbeauftragten, welche Notausgänge unbedingt durchgehend
offengehalten werden müssen, um die Patienten am Weglaufen aus dem Isolierbereich
in würdiger Form zu hindern.