Einleitung
Die Umwelt stellt eine bedeutsame Determinante der Gesundheit in der Bevölkerung dar.
Die Lancet-Kommission für Umweltverschmutzung und Gesundheit geht davon aus, dass
Umweltverschmutzung weltweit eine führende Ursache für Krankheiten und vorzeitige
Todesfälle darstellt. Dabei war die Umweltverschmutzung in 2015 für etwa 16 % der
weltweiten Todesfälle verantwortlich, dies entspricht der 3-fachen Zahl von Todesfällen,
die durch AIDS, Tuberkulose und Malaria bedingt sind [1 ]. Umweltfaktoren wie Lärm und Luftverschmutzung und deren Auswirkungen auf die Gesundheit
geraten dabei immer mehr in den Fokus des öffentlichen Interesses. Ein Bericht der
Europäischen Kommission errechnete soziale Kosten von jährlich 1 Billion Euro für
die Kombination von Lärm und Luftverschmutzung [2 ]. Im Vergleich dazu sind die sozialen Kosten, die durch Alkoholkonsum bzw. Rauchen
entstehen, mit 50–120 Milliarden und 544 Milliarden relativ gering. Gemäß der Global
Burden of Disease Study stellt die Umgebungsluftverschmutzung den wichtigsten umweltbezogenen
Risikofaktor im Hinblick auf die Gesamtmortalität mit weltweit 4,2 Millionen Todesfällen
pro Jahr dar [3 ], wobei diese Zahlen durch die neuesten Berechnungen eher weiter nach oben korrigiert
werden müssen und aktuell bei knapp 9 Millionen Todesfällen pro Jahr liegen [4 ]
[5 ]. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass Umgebungslärm, vor allem
Verkehrslärm, jährlich in Westeuropa für mehr als 1 Million DALYs (gesunde Lebensjahre,
die durch gesundheitliche Einschränkungen oder vorzeitige Sterblichkeit verloren gehen
bzw. „Disability-Adjusted Life Years“) veranwortlich ist [6 ] ([Abb. 1 ]). Obwohl ein breiter Konsens darüber besteht, dass Vekehrslärm und Luftverschmutzung
mit einem erhöhten Risiko für kardio- sowie zerebrovaskuläre Erkrankungen assoziiert
sind, die als Hauptursachen vorzeitiger Todesfälle gelten, ist die Studienlage hinsichtlich
der mentalen bzw. psychischen Auswirkungen dieser Umweltrisikofaktoren eher limitiert
[7 ]
[8 ]. Dabei stellen psychische Erkrankungen wie Depressionen einen bedeutsamen Faktor
für die globale Krankheitslast dar. Allein in Deutschland hat sich in den letzten
2 Jahrzehnten die Anzahl der Versicherten, die innerhalb eines Jahres aufgrund einer
psychischen Erkrankung arbeitsunfähig waren, um rund 66 % gesteigert (von 3,3 auf
5,5 %), wobei psychisch Erkrankte deutlich längere Ausfallzeiten als körperlich Erkrankte
aufwiesen [9 ]. Das Ziel des vorliegenden Artikels besteht darin, einen kritischen Überblick über
den aktuellen Forschungsstand hinsichtlich der psychischen Auswirkung von Lärm und
Luftverschmutzung zu geben und dabei zugrunde liegende pathophysiologische Mechanismen
zu bestimmen.
Abb. 1 Lärminduzierte DALYs (Disability-Adjusted Life Years). Die WHO gibt an, dass Umgebungslärm
in westeuropäischen Staaten jährlich für mehr als 1 Million DALYs verantwortlich ist,
vor allem verursacht durch Schlafstörungen und Lärmbelästigung. Angaben stammen aus
Fritschi et al. [6 ].
Umweltverschmutzung stellt weltweit eine führende Ursache für Krankheiten und vorzeitige
Todesfälle dar. Umweltfaktoren wie Lärm und Luftverschmutzung geraten dabei immer
mehr in den Fokus.
Pathophysiologische Auswirkungen von Lärm und Luftverschmutzung
Lärm und Luftverschmutzung sind nicht nur Faktoren, die häufig im selben Kontext auftreten
– erhöhtes Verkehrsaufkommen, besonders in Städten, ist sowohl eine Quelle für Lärm
als auch für Luftschadstoffe –, sie teilen sich vor allem auch grundlegende pathophysiologische
Mechanismen und können dabei additiv oder gar synergistisch auf den Organismus wirken.
Folgende 4 Mechanismen, die sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern im Rahmen
der Pathogenese an unterschiedlicher Stelle aktiv sind, sind hierbei relevant: 1.
Störung des autonomen Nervensystems und/oder sympathoadrenale Aktivierung, 2. Freisetzung
proinflammatorischer Mediatoren, 3. durch oxidativen Stress begünstigte endotheliale
Dysfunktion und 4. Aktivierung prothrombotischer Prozesse [10 ]. Entsprechend dem Lärmwirkungsmodell von Babisch kann Lärm zu Beeinträchtigungen
von Schlaf, Kommunikation und alltäglichen Aktivitäten führen, die kognitive und emotionale
Stress- bzw. Lärmbelästigungsreaktionen auslösen und mit sympathischer und endokriner
Aktivierung einhergehen [11 ]. Bleibt die Lärmexposition über einen längeren Zeitraum bestehen, kann über eine
vermehrte Stresshormonausschüttung, einen gesteigerten Blutdruck, eine erhöhte Herzrate
und anhaltende Schlafstörungen als häufigste Lärmwirkung die Genese klassischer Risikofaktoren
wie Bluthochdruck, erhöhte Blutzucker- und Cholesterinspiegel sowie eine verstärkte
Blutviskosität und Blutgerinnung begünstigt werden. Persistieren diese Reaktionen
über Jahre ist die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung von kardio- und zerebrovaskulären
Erkrankungen wie Herzinfarkt, koronare Herzerkrankung, Herzinsuffizienz und Schlaganfall,
aber auch von psychischen Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen erhöht
[11 ]
[12 ]
[13 ]. In Übereinstimmung mit den pathophysiologischen Konsequenzen von Lärm sind die
Auswirkungen verschiedener Bestandteile von Luftverschmutzung wie Feinstaub (PM),
Ozon (O3 ), Stickstoffdioxid (NO2 ), Kohlenmonoxid (CO) und Schwefeldioxid (SO2 ) zu bewerten. Beispielsweise können besonders kleine Feinstaubpartikel (PM2.5 mit einem Durchmesser von 0,1–2,5 μm) tief in die Lungen (Alveolen) vordringen und
über einen Transitionsprozess in die Blutbahn gelangen. In der Gefäßwand stimuliert
der Feinstaub direkt die Bildung reaktiver Sauerstoffspezies, aber auch die Aktivierung
von Immunzellen, was zu prooxidativen sowie proinflammatorischen Mediatoren führt,
die unmittelbar das Auftreten einer endothelialen Dysfunktion und von prothrombotischen
Prozessen begünstigen und in Gesamtheit atherosklerotische Veränderungen initiieren
bzw. beschleunigen [8 ]. Auf zerebraler Ebene kann die chronische Aktivierung und Dysregulation der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse
die Entstehung von oxidativem Stress und neuroinflammatorischen Prozessen begünstigen,
allesamt Faktoren, die mit psychischen Erkrankungen assoziiert sind [14 ]. Auch ist hier von einer Wechselwirkung auszugehen – Depressionen fördern über stressinduzierte
chronische Inflammation das Auftreten von kardiovaskulären Erkrankungen, wobei proinflammatorische
Prozesse das Auftreten von Depressionen begünstigen [7 ].
Folgende 4 pathophysiologischen Mechanismen sind für die gesundheitlichen Auswirkungen
von Lärm und Luftverschmutzung relevant: 1. Störung des autonomen und endokrinen Systems,
2. Inflammation, 3. oxidativer Stress, 4. Thrombogenese/endotheliale Dysfunktion.
Evidenz zum Zusammenhang zwischen Lärm und Luftverschmutzung und psychischen Erkrankungen/Symptomen
Die kardio- bzw. zerebrovaskulären Auswirkungen von Lärm und Luftverschmutzung sind
sehr gut untersucht, sowohl auf Basis einer Vielzahl von epidemiologischen als auch
experimentellen Studien von hoher Qualität und mit entsprechender Kontrolle für Störvariablen.
Im Gegensatz dazu ist die Studienlage hinsichtlich der psychischen Auswirkungen dieser
Umweltfaktoren eher begrenzt, vor allem in Bezug auf systematische Metaanalysen und
Längsschnittstudien. Nichtsdestotrotz liefern diese Untersuchungen in ihrer Gesamtheit
substanzielle Anhaltspunkte dafür, dass Umweltrisikofaktoren wie Lärm und Luftverschmutzung
mit einem erhöhten Risiko für psychische Erkrankungen/Symptome assoziiert sind.
Die kardio- bzw. zerebrovaskulären Auswirkungen von Lärm und Luftverschmutzung sind
hinreichend untersucht, wobei die Studienlage hinsichtlich der psychischen Auswirkung
insgesamt eher limitiert ist.
Lärm und Lärmbelästigung
In einer aktuellen Metaanalyse wurde der Zusammenhang zwischen Straßenverkehrslärm
und dem Auftreten von Depressionen und Angststörungen analysiert [15 ]. Die Analyse von 10 Studien mit 15 Effektschätzern für eine Depression (n = 1201 168) bzw. mit 5 Effektschätzern für eine Angststörung (n = 372 079) ergab ein 4 % (Odds Ratio (OR) 1,04; 95 %-Konfidenzintervall (KI) 0,97–1,11)
höheres Risiko für eine Depression und ein um 12 % erhöhtes Risiko für eine Angststörung
(OR 1,12; 95 %-KI 0,96–1,30) pro Zunahme um 10 dB(A) Lden (siehe [Tab. 1 ] für die Definition der Lärmindizes). Einschränkend muss hier erwähnt werden, dass
die Analyse überwiegend Querschnittstudien von geringer Qualität und moderater Heterogenität
umfasste.
Tab. 1
Definition von Lärmindizes.
Lärmindex
Definition
Lden
Der Tag-Abend-Nacht-Lärmindex ist der mittlere A-bewertete äquivalente Schalldruckpegel
über eine Periode von 24 Stunden, wobei der Beurteilungszeitraum 1 Jahr beträgt. Hinzugefügt
wird ein Zuschlag von 5 Dezibel (dB) für den Abendzeitraum (19–23 bzw. 18–22 Uhr)
und von 10 dB für den Nachtzeitraum (23–7 bzw. 22–6 Uhr). Mit keinem Zuschlag wird
der Schalldruckpegel für den Tageszeitraum (7–19 bzw. 6–18 Uhr) versehen.
Ldn
Der Tag-Nacht-Lärmindex ist mit dem Tag-Abend-Nacht-Lärmindex zu vergleichen, jedoch
entfällt hier der Zuschlag von 5 dB für den Abendzeitraum.
Lday
Der Tag-Lärmindex ist der mittlere A-bewertete äquivalente Schalldruckpegel im Zeitraum
von 7–19 bzw. 6–18 Uhr.
Lnight
Der Nacht-Lärmindex ist der mittlere A-bewertete äquivalente Schalldruckpegel im Zeitraum
von 23–7 bzw. 22–6 Uhr.
LAeq,24 h
Der mittlere A-bewertete äquivalente Schalldruckpegel über eine Periode von 24 Stunden.
Lmax
Der am höchsten gemessene Schalldruckpegel über einen bestimmten Zeitraum.
Die Zuschläge von 5 bzw. 10 dB kommen aufgrund der erhöhten Sensitivität gegenüber
Lärm in den Abend- und Nachtstunden zustande. Die A-Bewertung erfolgt, um eine physikalische
Größe zu erhalten, die der auditiven Wahrnehmung des Menschen entspricht. Angaben
stammen aus Münzel et al. [38 ].
Eine aktuelle systematische Übersichtsarbeit von Clark und Paunovic mit Einschluss
von insgesamt 29 Studien zu den psychischen Auswirkungen von Lärm (darunter Flug-,
Straßen- und Schienenverkehrslärm) kommt zwar zu der Schlussfolgerung, dass Lärm mit
einem erhöhten Risiko für Depressionen, Angststörungen, Einnahme von Anxiolytika bzw.
Antidepressiva sowie emotionalen und Verhaltensstörungen bei Kindern assoziiert ist,
die Generalisierbarkeit jedoch aufgrund der mangelnden Qualität der Studien, der geringen
Anzahl von Längsschnittstudien, kleinen Populationsgrößen und mangelnden Vergleichbarkeit
von Endpunkten eingeschränkt ist [16 ].
Lärminduzierte mentale und Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen war ebenfalls
Gegenstand einer aktuellen Metaanalyse und eines systematischen Übersichtsartikels
[17 ]
[18 ]. Die Metaanalyse von 3 Querschnittstudien (n = 48 730) ergab eine OR von 1,11 (95 %-KI 1,04–1,19) für Hyperaktivität/Aufmerksamkeitsdefizit
bzw. eine OR von 1,09 (95 %-KI 1,02–1,16) für die Summe der Verhaltensstörungen (z. B.
emotionale Symptome, Hyperaktivität/Aufmerksamkeitsdefizit und Peerbeziehungsprobleme)
pro Zunahme um 10 dB(A) Lden durch Straßenverkehrslärm [17 ]. Allerdings konnte aufgrund der heterogenen Ergebnislage keine eindeutige Schlussfolgerung
hinsichtlich der psychischen Auswirkungen wie Depression und Angst getroffen werden
[18 ].
Basierend auf Daten der Gutenberg-Gesundheitsstudie (n = 15 010) konnten Beutel et al. demonstrieren, dass die Prävalenz von Depressionen
und Angststörungen unabhängig vom Geschlecht, Alter und sozioökonomischen Status dosisabhängig
mit dem Grad der subjektiv bewerteten Lärmbelästigung zunimmt [19 ]. Dabei war bei extremer Lärmbelästigung die Wahrscheinlichkeit einer bestehenden
Depression bzw. Angststörung etwa um das 2-Fache erhöht (Prävalenzrate von 1,97 (95 %-KI
1,62–2,39) für Depression und 2,14 (95 %-KI 1,71–2,67) für Angststörung beim Vergleich
mit keiner Lärmbelästigung). Eine nachfolgende prospektive Studie der Autoren zeigte,
dass Lärmbelästigung auch das Neuauftreten von depressiven Verstimmungen, Ängsten
und Schlafstörungen 5 Jahre später vorhersagte [20 ].
Zudem konnte gezeigt werden, dass Lärmbelästigung am Arbeitsplatz mit psychischen
Symptomen in Verbindung steht. Eine koreanische Studie (n = 10 020) ergab, dass Arbeitslärmbelästigung mit einer erhöhten Prävalenz von depressiven
Symptomen und Suizidgedanken bei Männern und Frauen einhergeht [21 ]. Beim Vergleich von keiner vs. starker Lärmbelästigung waren die OR für depressive
Symptome bei Männern 1,58 (95 %-KI 1,12–2,23) und bei Frauen 1,49 (95 %-KI 1,05–2,11).
Die entsprechenden OR für Suizidgedanken waren 1,76 (95 %-KI 1,29–2,40) bei Männern
und 1,41 (95 %-KI 1,01–1,97) bei Frauen. Ebenfalls konnte bei stärker lärmexponierten
Flughafenmitarbeitern eine erhöhte Prävalenz von Angstsymptomen (34 % vs. 18 % bei
Kontrollpersonen) festgestellt werden [22 ].
In der prospektiven Heinz-Nixdorf-Recall-Studie (n = 3300) wurde gezeigt, dass Straßenverkehrslärm das relative Risiko (RR) für starke
depressive Symptome um 29 % (95 %-KI 1,03–1,62 beim Vergleich von > 55 vs. ≤ 55 dB(A)
Lden ) erhöht, wobei dieser Effekt auch nach weiterer Kontrolle für Variablen wie Alter,
Geschlecht, Bildungsstand und sozioökonomischem Status bestehen blieb [23 ]. Darüber hinaus gibt es Studien, die über einen Zusammenhang zwischen der Einnahme
von Anxiolytika sowie Antidepressiva und Verkehrslärm berichten [24 ]
[25 ]
[26 ].
Eine groß angelegte Fall-Kontroll-Studie aus Deutschland (77 295 Fälle und 578 246
Kontrollen) untersuchte den Einfluss von Verkehrslärm auf das Depressionsrisiko [27 ]. Die kombinierte Exposition durch Flug-, Straßen- und Schienenverkehrslärm war dabei
mit der stärksten Risikoerhöhung assoziiert (OR 1,42; 95 %-KI 1,33–1,52 beim Vergleich
von ≥ 50 vs. < 50 dB(A) LAeq,24 h ), während die separate Analyse der Lärmquellen teilweise keine bis geringe Risikoerhöhungen
ergab.
In 3 aktuellen niederländischen Studien wurde der Zusammenhang zwischen Verkehrslärm
und dem Vorhandensein von Depressionen und Angststörungen untersucht [28 ]
[29 ]
[30 ]. Leijssen et al. zeigten, dass Straßenverkehrslärmexposition mit erhöhter Wahrscheinlichkeit
einer bestehenden depressiven Verstimmung einhergeht (n = 23 293; OR 1,65; 95 %-KI 1,10–2,48 beim Vergleich von ≥ 70 vs. 45–54 dB(A) Lden ), die unabhängig von ethnischen und sozioökonomischen Ungleichheiten zwischen den
Expositionsgruppen war [28 ]. In einer Studie (n = 2980) von Generaal et al. war Verkehrslärm mit einer OR von 1,26 (95 %-KI 1,08–1,47)
für das Vorhandensein einer Depression bzw. mit einer OR von 1,29 (95 %-KI 1,11–1,50)
für eine bestehende Angststörung pro Zunahme um 3,21 dB(A) Lden assoziiert [29 ]. Die gepoolte Analyse von 8 niederländischen Kohortenstudien (n = 32 487) ergab eine OR von 1,05 (95 %-KI 0,96–1,15) für den Zusammenhang zwischen
Verkehrslärm und einer prävalenten Depression, wobei hier kritisch angemerkt werden
muss, dass in der Hälfte der eingeschlossenen Studien die Bestimmung der Verkehrslärmpegel
1–2 Jahre später erfolgte als die Erfassung der Depression [30 ]. Zudem war in derselben Studie das Ausmaß der Luftverschmutzung mit dem Auftreten
von Depressionen assoziiert (OR 1,07; 95 %-KI 1,01–1,12).
Ergebnisse von Metaanalysen und Primärstudien zeigen, dass Verkehrslärm und resultierende
Lärmbelästigungsreaktionen das Risiko für Depressionen und Angststörungen erhöhen
können.
Luftverschmutzung
Die Annahme, dass verschiedene Bestandteile von Luftverschmutzung das Risiko für Depressionen,
Angststörungen, Psychosen und Suizid erhöhen können, erwächst aus einer zunehmenden
Anzahl von Primärstudien, Übersichtsarbeiten und Metaanalysen. Eine aktuelle Metaanalyse
mit Einschluss von insgesamt 9 epidemiologischen Studien ergab, dass die Luftverschmutzung
durch Feinstaub mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für Depressionen (OR 1,102;
95 %-KI 1,023–1,189 pro Zunahme um 10 μg/m3 PM2.5 ), Angststörungen (Bewertung auf Basis von 2 Primärstudien ohne Durchführung einer
Metaanalyse) und Suizid (RR 1,02; 95 %-KI 1,00–1,03 pro Zunahme um 10 μg/m3 PM10 ) assoziiert ist [31 ]. Kritisch muss hier angemerkt werden, dass fast ausschließlich Querschnittstudien
analysiert wurden, jedoch mit moderater Qualität und Homogenität zwischen den Studien.
Diese Ergebnisse konnten in einer weiteren Metaanalyse mit Einschluss von 14 Studien
(n = 684 859) für den Zusammenhang zwischen der Feinstaubbelastung und dem Depressionsrisiko
(OR 1,19; 95 %-KI 1,07–1,33 pro Zunahme um 10 μg/m3 PM2.5 ) und dem Suizidrisiko (OR 1,05; 95 %-KI 0,99–1,11) bestätigt werden, wobei das Risiko
mit zunehmender Expositionsdauer durch Feinstaub anstieg, wie eine Sensitivitätsanalyse
zeigte [32 ].
Zu der Annahme eines positiven Zusammenhangs zwischen verschiedenen Bestandteilen
von Luftverschmutzung wie PM2.5 , PM10 , NO2 , SO2 und CO und dem Depressionsrisiko kommt ebenfalls eine Metaanalyse von Beobachtungsstudien
[33 ], wohingegen die aktuellste Metaanalyse mit Einschluss von 22 Studien aus 10 Ländern
schwächere bis keine Zusammenhänge aufzeigen konnte (PM2.5 : OR 1,12; 95 %-KI 0,97–1,29; PM10 : OR 1,04; 95 %-KI 0,88–1,25; NO2 : OR 1,05; 95 %-KI 0,83–1,34; SO2 : OR 1,03; 95 %-KI 0,99–1,07 und O3: OR 1,01; 95 %-KI 0,99–1,03 pro Zunahme um 10 μg/m3 ) [34 ]. Erschwert wird die Interpretation der Ergebnisse aufgrund der hohen Heterogenität
zwischen den Studien und limitierten Verfügbarkeit von methodisch hochwertigen Längsschnittstudien.
Des Weiteren konnte ein Zusammenhang zwischen der Luftverschmutzung und dem Auftreten
von Psychosen festgestellt werden. So kommt ein Übersichtsartikel zu der Konklusion,
dass Feinstaub und andere Bestandteile von Luftverschmutzung eine relevante Rolle
in der Pathogenese von Psychosen spielen könnten [35 ]. In der Tat wurde in einer prospektiven populationsbasierten Studie (n = 2232) aus England nach umfassender Kontrolle für Störvariablen demonstriert, dass
die Wahrscheinlichkeit einer psychotischen Episode bei den Personen am höchsten war,
die am stärksten (oberstes Quartil) PM2.5 (OR 1,45; 95 %-KI 1,11–1,90) und NO2 (OR 1,71; 95 %-KI 1,28–2,28) ausgesetzt waren [36 ]. Die Autoren schlussfolgerten, dass sowohl biologische Faktoren wie Neuroinflammation
als auch psychosoziale Faktoren wie mentaler Stress plausible Mechanismen darstellen
für das erhöhte Risiko psychotischer Erlebnisse in Bezug auf Luftverschmutzung. Ebenfalls
konnte eine aktuelle chinesische Studie ein erhöhtes RR (1,10; 95 %-KI 1,01–1,18 pro
Zunahme Interquartilsabstand) für Hospitalisierungen aufgrund von Schizophrenie in
Abhängigkeit von den NO2 -Konzentrationen nachweisen [37 ].
Neben Depressionen und Angststörungen können verschiedene Bestandteile von Luftverschmutzung,
vor allem Feinstaub, das Risiko für Psychosen und Suizid erhöhen.
Zusammenfassung und Schlussfolgerung
Umweltverschmutzung hat einen bedeutsamen Einfluss auf die Gesundheit in der Bevölkerung.
Daten der Global Burden of Disease Study und der WHO legen nahe, dass Umgebungsluftverschmutzung
weltweit für mindestens 4,2 bzw. jetzt nach neuesten Berechnungen knapp 9 Millionen
vorzeitige Todesfälle pro Jahr verantwortlich ist, wobei Umgebungslärm allein in Westeuropa
jährlich für ca. 1,6 Millionen DALYs sorgt [3 ]
[6 ].
Neben den kardio- sowie zerebrovaskulären Konsequenzen, die hinreichend in Bezug auf
das vermehrte Auftreten von koronaren Herzerkrankungen, Herzinfarkt und Schlaganfall
untersucht wurden, können diese Umweltrisikofaktoren auch die psychische Gesundheit
beeinträchtigen. Dabei zeigen aktuelle Primärstudien, systematische Übersichtsarbeiten
und Metaanalysen, dass Lärm, Lärmbelästigung und Luftverschmutzung mit einem erhöhten
Risiko für psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen, Psychosen und
Suizid assoziiert sind und dieses Risiko sogar additiv/synergistisch durch das Vorhandensein
beider Risikofaktoren erhöht werden könnte. Dabei spielen Schlafstörungen als häufige
Lärmfolge eine wesentliche Rolle. Psychische Erkrankungen können wiederum das Auftreten
von kardiovaskulären Erkrankungen fördern. Dennoch ist die Aussagekraft dieser Analysen
mit Vorsicht zu betrachten, da vor allem Querschnittstudien mit teilweise heterogenen
Ergebnissen, nicht vergleichbarer Methodik, teilweise geringer Studienqualität und
unterschiedlicher Operationalisierung von Endpunkten dominieren. Einschränkend muss
auch erwähnt werden, dass allgemeine Schlussfolgerungen aufgrund der selektiven Literaturauswahl
nur eingeschränkt gültig sind. Deshalb sind weitere methodisch hochwertige Längsschnittstudien
erforderlich, um ein tieferes Verständnis für diese Zusammenhänge zu erlangen. Forschungsbedarf
besteht vor allem hinsichtlich der kombinierten Wirkung von Lärm und Luftverschmutzung
auf den Organismus sowie der Bestimmung vulnerabler Subgruppen (z. B. Menschen mit
Vorerkrankungen), bei denen ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung lärm- und luftverschmutzungsinduzierter
Erkrankungen besteht.
Umweltverschmutzung hat einen bedeutsamen Einfluss auf die somatische und psychische
Gesundheit der Bevölkerung. Weitere hochwertige Studien sind notwendig, um tiefere
Einblicke in diese Zusammenhänge zu erhalten.
Umweltverschmutzung ist ein wichtiger Faktor in Bezug auf die globale Krankheitslast
und vorzeitige Todesfälle.
Umweltrisikofaktoren wie Lärm und Luftverschmutzung sind nicht nur mit kardio- und
zerebrovaskulären Erkrankungen assoziiert, sondern üben auch Einfluss auf die psychische
Gesundheit aus.
Die dauerhafte Exposition durch Lärm und Luftverschmutzung kann physiologische Stressreaktionen
auslösen, die eine Dysregulation der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse
zur Folge hat und die Entstehung von zerebralem und vaskulärem oxidativem Stress und
inflammatorischen Prozessen begünstigt.
Zunehmende Evidenz aus aktuellen Primärstudien, systematischen Übersichtsarbeiten
und Metaanalysen lässt die Schlussfolgerung zu, dass Lärm und Luftverschmutzung mit
einem erhöhten Risiko für psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen,
Psychosen und suizidalem Verhalten assoziiert sind.
Präventive systemische Maßnahmen sind erforderlich, um die globale Krankheitslast
durch Umweltrisikofaktoren wie Lärm und Luftverschmutzung zu verringern.