Zeitschrift für Komplementärmedizin 2020; 12(04): 12-20
DOI: 10.1055/a-1201-8738
Praxis
Die eigene Mitte finden
© Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Pubertät – Die eigene Mitte finden in stürmischen Zeiten

Sabine Schierl
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Publication Date:
30 July 2020 (online)

 

Summary

Über ein so großes Thema wie die Pubertät werden ganze Bücher aus den verschiedensten Blickwinkeln geschrieben. In diesem Artikel möchte ich meinen konstitutionellen Blick mit über 30 Jahren Erfahrung in chinesischer und anthroposophischer Medizin und 12 Jahren Tätigkeit als Schulärztin beschreiben und Gedanken zum therapeutischen Ansatz in den Raum stellen.

In diesem Lebensabschnitt geht darum, das Feuer des Lebens und damit die Liebe und Freude an der eigenen Person, dem Gegenüber und zur Welt bzw. etwas Größerem zu entwickeln. Ein Weg vom ICH zum DU und schließlich zum WIR. Den ganz eigenen, individuellen Weg zu finden, das Potenzial und die Möglichkeiten, die jedem zur Verfügung stehen, zu entdecken. Hier gibt es keine Standardrezepturen und wir als Therapeuten können nur individuell begleiten. Es gilt, das eigene Herz zu öffnen für das Wunder Mensch, das hier weiterentwickelt werden möchte.


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Quelle: Sabine Schierl

Vom ICH zum DU und schließlich zum WIR – Die individuellen Herangehensweisen und therapeutischen Möglichkeiten der TCM und der Anthroposophischen Medizin eignen sich hervorragend, um Jugendliche in dieser Lebensphase zu unterstützen

Jugendliche müssen mit gravierenden Veränderungsprozessen ihres Körpers zurechtkommen und sich nach und nach in ihre Geschlechterrolle einfinden. Dazu gehören die Loslösung vom Elternhaus, sich einen eigenen Freundeskreis aufzubauen, eine Zukunftsperspektive und Weltanschauung zu entwickeln, deren Grenzen auszuloten und zu lernen, für sich und seine Umwelt Verantwortung zu übernehmen.

Auch das Gehirn macht in dieser Zeit große Entwicklungsschritte durch. Während wenig aktivierte neuronale Verbindungen abgebaut werden, kommt es im Gegenzug zur Optimierung häufig gebrauchter Nervenverbindungen. Es entsteht ein Ungleichgewicht zwischen den kognitiven Kontrollmechanismen und denjenigen Systemen, die mit Emotionen assoziiert sind. Wissenschaftler vermuten, dass das für die Emotionen zuständige limbische System und das Belohnungssystem die Oberhand gewinnen über die Areale im Gehirn, die wichtige Steuerungs- und Kontrollfunktionen haben. Dieses Ungleichgewicht wird für die Gemütsschwankungen in der Pubertätszeit mitverantwortlich gemacht – dem Wechselbad zwischen mangelndem Selbstwertgefühl und narzisstischer Selbstüberschätzung, zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt und die daraus resultierenden Konflikte im Umfeld [1].

Pubertät aus Sicht der Entwicklungsforschung

Jean Piaget (1896–1980) betrachtet den Menschen als ein offenes System. Darunter versteht er einen Organismus, der sich wandelt, auf Einflüsse der Umwelt reagiert, sich anpasst und die Umwelt selbst beeinflusst. Somit gliedert der Mensch seine Welt. Das System bleibt offen. Nach Piaget entsteht Identität durch das ständige Streben nach Gleichgewicht und die Auflösung des Ungleichgewichts [2].

Zusammenfassung

Über ein so großes Thema wie die Pubertät werden ganze Bücher aus den verschiedensten Blickwinkeln geschrieben. In diesem Artikel möchte ich meinen konstitutionellen Blick mit über 30 Jahren Erfahrung in chinesischer und anthroposophischer Medizin und 12 Jahren Tätigkeit als Schulärztin beschreiben und Gedanken zum therapeutischen Ansatz in den Raum stellen.

In diesem Lebensabschnitt geht es darum, das Feuer des Lebens und damit die Liebe und Freude an der eigenen Person, dem Gegenüber und zur Welt bzw. zu etwas Größerem zu entwickeln. Ein Weg vom ICH zum DU und schließlich zum WIR. Den ganz eigenen, individuellen Weg zu finden, das Potenzial und die Möglichkeiten, die jedem zur Verfügung stehen, zu entdecken. Hier gibt es keine Standardrezepturen und wir als Therapeuten können nur individuell begleiten. Es gilt, das eigene Herz zu öffnen für das Wunder Mensch, das hier weiterentwickelt werden möchte.

Gerald Hüther, Professor für Neurobiologie, zählt zu den führenden Hirn- und Lernforschern Deutschlands. Er versteht sich als „Brückenbauer“ zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und gesellschaftlicher Lebenspraxis. Über seine Vision eines besseren Bildungssystems und worauf es heute viel mehr als im letzten Jahrhundert ankommt, schreibt er in seinem neuen Buch Education for Future: „Brave Pflichterfüller und Auswendiglernen werden in unserer heutigen Zeit nicht mehr gebraucht.“ Entscheidende Fähigkeiten heute seien demnach Eigensinn, Kreativität, Querdenkertum und soziale Kompetenz [3].

Manfred Spitzer ist einer der bekanntesten deutschen Gehirnforscher und Lernexperten. Es ist ihm ein Anliegen, die Bildung an Kindergärten, Schulen und Weiterbildungseinrichtungen zu verbessern. Die Kinder sollen sich für den Stoff interessieren und sich für das Leben begeistern, denn das Gehirn lerne am besten bei guter Laune. Mithilfe des TransferZentrum für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL) in Ulm möchte er die Hirnforschung direkt anwendbar machen. Mehr als 50 Projekte an ca. 100 Schulen von der frühkindlichen Bildung bis zur Lernproblematik bei Älteren laufen zurzeit [4], [5].

Jesper Juul (1948–2019), bekannter Familientherapeut, Gründer der „Familylab-Familienwerkstatt“, versuchte, Eltern und Jugendliche auf der Suche nach neuen Wegen zu unterstützen. Eltern tun immer ihr Bestes ist seine Devise. In der Pubertät jedoch fangen sie oft mit einer Art Turboerziehung an, um in letzter Minute noch alles richtig zu machen. Das könne nicht funktionieren. Jetzt komme es auf Beziehung an [6].

Remo Largo, Professor für Kinderheilkunde, leitete fast drei Jahrzehnte die Abteilung „Wachstum und Entwicklung“ des Kinderspitals Zürich. Dort führte er u. a. eine Longitudinalstudie zur Erforschung der gesunden Entwicklung von der Geburt bis ins Erwachsenenalter durch.

Neben der Geburt und den ersten Lebensjahren ist die Pubertät entwicklungsbiologisch gesehen die wichtigste Phase im Leben eines jeden Menschen. Hier kommt zum Abschluss, was 15 Jahre für seine Entfaltung gebraucht hat. Jugendliche müssen im Wesentlichen drei wichtige Herausforderungen zur Entwicklung der eigenen Identität meistern:

  • Geborgenheit nach der Ablösung von den Eltern neu finden

  • soziale Anerkennung (Einfühlungsvermögen, soziales Lernen, Introspektion, nonverbale Kommunikation)

  • Entwicklung und Leistung (Nachahmung, Vorbilder hin zum selbständigen Lernen)

Ablösung ist das zentrale Thema der Pubertät. Ablösen kann sich jedoch nur, wer zuvor gebunden war [7].

Der Evolutionsbiologe Ralph Dawirs sagt, Pubertät sei der Bioreaktor für zukunftsweisende Innovationen. Er vertritt die These, dass ohne Pubertät keine gesellschaftliche Innovation, kein kultureller Fortschritt möglich wären, sondern lediglich überholte Vorstellungen weitergegeben würden. Für den wichtigen Beitrag, den Jugendliche durch ihre Kreativität und ihr innovatives Potenzial für die Gesellschaft leisten, sollten wir Erwachsene dankbar sein und die Schattenseiten der Pubertät wie Chaos und Risikoverhalten in Kauf nehmen [8].


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Pubertät aus Sicht der chinesischen Medizin

Um Ungleichgewichte und deren stetigen Ausgleich geht es auch in der chinesischen Medizin. Die führende Wandlungsphase in der Zeit vom ca. 12. bis 25. Lebensjahr wird dem Herzen zugeordnet, die zugehörige Emotion ist die Freude. Aus dem Gleichgewicht geraten, sehen wir die gesamte Bandbreite von leichten Verstimmungen, nicht mehr klar denken zu können, die Kommunikation und den Kontakt zu Mitmenschen meiden bis hin zur Depression. Auf der anderen Seite des Ungleichgewichts finden sich Pathologien wie Konzentrations- und Schlafstörungen, Unruhe bis hin zur Manie.

Die Pubertät wird bereits in den alten Klassikern als „Haupttor zum Leben“ beschrieben. Der nach oben gerichtete Wachstumsimpuls des Holzes (Leber/Gallenblase, Frühling, Geburt – 12. Lebensjahr) wird abgelöst vom expansiven, in alle Richtungen ausstrahlenden Impuls des Feuers (Herz/Dünndarm, Sommer, 12.–25. Lebensjahr, Verbindung zum Himmel, Geist-Shen), was zur Entfaltung des Menschen führt.

„Das Herz hat das Amt des Herrschers. Schöpferische Kraft Shen und klare Einsicht stammen von ihm“ (Su Wen Kap. 8) [15].

Das Herz beherbergt die Geisteskraft „Shen“ als Ausdruck der menschlichen Individualität. Das chinesische Denken kennt keinen strikten Gegensatz von Körper und Geist, sondern Geist und Intellekt werden in ein Konzept bewusster Leiblichkeit eingeordnet. Shen umfasst alle psychischen, intellektuellen und spirituellen Fähigkeiten und Aktivitäten, die die unverwechselbare Persönlichkeit eines Menschen ausmachen.

Somit ist Shen einerseits Sitz des „Bewusstseins“ und verantwortlich für ein gutes Gedächtnis, geistige Aktivitäten, intellektuelle Fähigkeiten. Andererseits strahlt Shen im Glanz der Augen, zeigt sich in der Persönlichkeit des Individuums, seinem Charisma, die höchste allumfassende Bewusstheit ohne Zeitfaktor.

Wasser (Niere/Blase, Winter, Schwangerschaft und alter Mensch bis zum Tod, Wurzelkraft Konstitution-Jing) und Feuer bilden gemeinsam eine spirituelle Achse zwischen Ererbtem, Erworbenem und Vollendetem. So ist es in dieser Lebensphase besonders wichtig, auch als Therapeut dem Heranwachsenden auf der Herzensebene in liebevoller Offenheit und authentisch zu begegnen, ohne Wertung hineinzuspüren bis an den Urgrund der Themen und unserer Potenziale als gesunde Basis für ein freudvolles, herzerfülltes, inspiriertes Leben.


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Anthroposophische Gesichtspunkte

Bernd Rosslenbroich vom Institut für Evolutionsbiologie der Universität Witten/Herdecke hat in einer Studie zur Entwicklung von Mensch und Tier mit naturwissenschaftlicher Methodik dargelegt, dass die gesamte Evolution der Arten vom Autonomieprinzip geprägt ist. Das heißt, jeder Schritt in der Höherentwicklung von Tier und Mensch stellt zugleich einen Zugewinn in der Befähigung zur Autonomie dar. Dies kulminiert in der menschlichen Weiterentwicklung zur selbstbestimmten „freien“ Persönlichkeit [9].

Wesensglieder in der Anthroposophischen Medizin

Als physischer Leib werden die strukturierenden Bestandteile des menschlichen Körpers bezeichnet. Er bildet als Formprinzip die Gestalt des Menschen im Raum.

Als Ätherleib werden die Lebensprozesse im Körper bezeichnet. Er ist für Wachstum und Regeneration im Verlauf der Zeit zuständig, seine Entwicklungsgeschichte, seine Biografie, sein Leben.

Als Astralleib wird die Gesamtheit der seelischen Aktivitäten bezeichnet, seine Gefühle und seelischen Ausdrucksmöglichkeiten.

Als Ich wird die geistige Kompetenz des Menschen bezeichnet. Das Ich steuert die Intensität und Richtung von Willensäußerungen und ermöglicht selbstbewusstes Handeln.

Die Wesensglieder werden erst im Verlauf der Kinder- und Jugendzeit nach und nach vollständig ergriffen. Bis zum 7. Lebensjahr dominieren der physische Leib und die Sinne, die Erziehung erfolgt in erster Linie durch Nachahmung. Mit dem Zahnwechsel um das 7. Lebensjahr tritt der Ätherleib als eigenständiges Wesensglied in den Vordergrund, der durch liebevolle Autorität geformt wird. Um das 14. Lebensjahr wird der Astralleib geboren. Ab dem 12. Lebensjahr beginnt die eigene Urteilsfähigkeit langsam zu erwachen, die die Jugendlichen dann bis zum 21. Lebensjahr voll ausbilden sollen. In dieser Zeit wird das eigenständige Ich geboren.

Das Bewusstsein der eigenen Menschwerdung erwacht immer in der Mitte der Jahrsiebte, d.h. im 3., 9. und 16. Lebensjahr.

Der Ich-Begriff, der erstmals um das 3. Lebensjahr aufleuchtet, ist der erste Begriff, den sich das Kind überhaupt bewusst bildet, nur kann er zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht wirklich erfasst werden. Doch ist damit der Punkt bezeichnet, bis zu dem man sich im späteren Leben zurückerinnern kann.

Etwa im 9. Lebensjahr gehen die Kinder durch eine Art Vorpubertät – das Rubikon. Dies ist ein weiterer Schritt der Selbsterfahrung, was es bedeutet, „Ich“ zu sein. Kinder dieses Alters haben häufig Adoptionsfantasien, fragen nach ihrer Herkunft, erleben, was es heißt, nicht verstanden zu sein – auch von den liebsten Menschen nicht. Das selbstverständliche familiäre Zusammengehörigkeitsgefühl bekommt einen Riss. Die damit verbundene Einsamkeit kann so schmerzlich sein, dass eine Jugenddepression von hier ihren Ausgang nehmen kann, so wie Alkohol- und Drogensucht bis zu diesem Alter zurückreichen. Kommen hier Verstärker hinzu wie Trennung der Eltern oder der Verlust eines Angehörigen, kann diese Zeit zur echten Krise werden.

Mit dem 16. Lebensjahr tritt dann ein drittes Identitätserlebnis hinzu. Nun beschäftigen Fragen wie: Was will ich eigentlich? Was kann ich verantworten? Was ist meine Lebensidee, mein innerer Kompass? Hier geht es um Identitäts- und Willensfragen.

Schon etwas früher, ab dem 12. Lebensjahr, beginnt die eigene Urteilsfähigkeit zu erwachen, die dann bis zum 21. Lebensjahr voll ausgebildet werden soll, bis schließlich das eigenständige Ich geboren wird.

Diese drei Schritte der Ich-Entwicklung und innerseelischen Autonomieerfahrung brauchen eine liebevolle Begleitung, um gesund stattfinden zu können. Wenn sie bewusst sind, können der Therapeut und die Familie bewusst diesen Zeiten begegnen und sie als Chancen der eigenen Entwicklung nutzen. Geschieht dies nicht, sind Krisen, Identitätsdefizite und Unsicherheiten die Folge. Wenn sie nicht geklärt werden, tauchen sie in leicht verwandeltem Gewand in einer späteren Phase wieder auf. Gelingt die gesunde Entwicklung, ist der junge Erwachsene innerlich stark genug und vorbereitet, die schwierigste Herausforderung der freiwilligen Selbstbestimmung zu meistern.

Ab dem 21. Lebensjahr, mit der Geburt des eigenständigen Ich, arbeitet der Mensch an seinen drei seelischen, ab dem 42. Lebensjahr an den drei höheren geistigen Wesensgliedern [10], [11].

Rudolf Steiner formuliert es in seiner Philosophie der Freiheit so: „Frei ist der Mensch, der in jedem Augenblicke seines Lebens sich selbst zu folgen in der Lage ist.“ [12].


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Die Lebensphase Pubertät unter die Lupe genommen

Wann fängt sie denn nun an? Wie verändern sich die Qualitäten dieser emotionalen Sturmphase? In der 1. Klasse unterscheiden sich Kinder bereits in ihrem Entwicklungsalter um bis zu 3 Jahre und mit 13 um mindestens 6 Jahre [7]. Nicht nur Remo Largo hat das festgestellt. Bereits im Yi Jing dem Buch der Wandlungen [13] spricht man von der ersten und zweiten Lebenshälfte, die je nach persönlicher Hexagrammausprägung in 6–9 Jahresschritten verläuft. So ergeben sich in dieser Sichtweise ähnlich den Planetenkonstellationen zur Geburt in der Astrologie ganz spezifische Lebensthemen zu bestimmten Lebensphasen. Die konstitutionellen Therapien, egal ob chinesische Medizin, anthroposophische Medizin oder Homöopathie, versuchen diese ureigenen Lebensthemen, das individuelle Potenzial und die damit verbundenen körperlichen und seelisch-geistigen Stolpersteine zu erkennen, um Entwicklung auf allen Ebenen anzuregen. Unabhängig davon durchlaufen wir alle die 5 Wandlungsphasen im Laufe unseres Lebens, im Verlauf einer Wandlungsphase (Phase-in-Phase-Modell) [14], in einem Jahr und in einem Tag ([ Abb. 1 ]). Auch im Ling Shu findet man im Kapitel 64 eine Beschreibung von 5 × 5 Persönlichkeitstypen. Das Ling Shu ist eines der ältesten Standardwerke der Chinesischen Medizin. Zusammen mit dem Sù Wèn bildet es mit seinen 81 Kapiteln einen Teil der 18 Bände des Huángdì Nèijïng – Innerer Klassiker des gelben Kaisers (481 v. Chr. – 220 n. Chr) [15].

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Abb. 1 Die 5 Wandlungsphasen in der TCM. Quelle: DÄGfA (Deutsche Ärztegesellschaft für Akupunktur)

Somit ist es schwierig, an konkreten Jahren spezifische Merkmale festzumachen. Spannend ist jedoch, dass sich die körperlichen und seelischen Entwicklungsthemen in einer gewissen festen Reihenfolge wiederfinden lassen. Das möchte ich mit der folgenden Reise durch die Jugendjahre versuchen darzustellen.


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Präadoleszenz (ca. 9–11 Jahre)

Wasser in Feuer

Die herrschende Phase Feuer bestimmt die Jahre zwischen Vorpubertät, Pubertät bis ins junge Erwachsenenalter hinein. Diese ersten Feuer-Jahre (ca. 9.–11. Lebensjahr) finden unter dem zusätzlichen Einfluss der Wandlungsphase Wasser statt. Gut verwurzelt, mit der Familie als Rückhalt können langsam Flügel wachsen, um hinaus in die Welt zu ziehen, in ein selbstbestimmtes Leben.

In der Anthroposophie wird um das 9. Lebensjahr die Rubikonphase beschrieben, in der die Kinder sich wie in einer Art vorpubertären Krise als eigenständige Person unter vielen wahrnehmen. Ein Gefühl von „ich allein auf dieser Welt“ entsteht und das Bewusstsein der Unterschiedlichkeit im Verhältnis zu anderen. Gelingt es hier gut hindurchzukommen, fühlen sich die Jugendlichen als Teil einer Gemeinschaft, können aber auch gut mit sich allein sein, strahlen mit neuem Interesse der Umwelt entgegen und es entstehen Empathie und Mitgefühl.


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Shen-Aspekt dieser Wasser-Phase – Willenskraft Zhi

Mut, Wille, gesundes Ego, dem natürlichen Instinkt und der Bestimmung folgen, Ziele verfolgen, Durchhaltevermögen, Ausdauer und Eigeninitiative. Unsere Intentionen, Pläne und Wünsche können dadurch im Rahmen unserer Möglichkeiten Wirklichkeit werden. Aus flüchtigen Gedanken oder Bewusstseinsimpulsen entsteht plötzlich die innere Bewegung, die sich gedanklich oder auf der Handlungsebene zielstrebig auf etwas zu bewegt, und etwas erreichen und umsetzen möchte. Es bekommt dann eine Dynamik, die von leicht interessiertem bis zu leidenschaftlichem Umsetzen des zu Wollenden reichen kann.

Potenzial: Kreativität neu entdecken, eigene Hobbys entdecken, Lust an Bewegung, Freunde treffen, Tieren, Reisen, Ausflüge in die Natur, Begeisterung an Sprachen …

Störungen durch: Nicht aufgearbeitete Probleme im 1. Jahrsiebt in der Wasser-in-Holz-Phase tauchen hier nun zum Teil wieder auf: Traumata oder Schockerlebnisse, die an die Niere/Wurzel gingen, existenzielle Ängste oder Belastungen in der Schwangerschaft, Schwierigkeiten bei der Geburt, chronische Krankheit oder Tod der Eltern oder enger Bezugspersonen, Trennung von der Mutter postpartal. Auch aktuelle Themen wie überängstliche Eltern, Trennung der Eltern, dauernde Existenzsorgen, Dauerstress, Leistungssport können Einfluss nehmen.

Folgen dieser Störungen: Mangelnde Willenskräfte, Zwänge, fehlender Sinn/Ziel, Dinge kommen nicht in Umsetzung/die Tat, fehlender Selbstwert, existenzielle Ängste: eigene oder im Elternhaus, fehlendes Standvermögen, kognitive Schwächen, Versuche, Fuß zu fassen, die nicht gelingen. Verlust der Bodenhaftung (Leere-Hitze, loderndes Herzfeuer), völliges Verausgaben, unberechenbare Spontanität ohne Rücksicht auf Verluste, kopflose Handlungen, instinktiv ohne Kontrolle, übersteigerter Selbstwert/Ego. Mobbing, Computersüchte, Essstörungen sind Themen, die hier gehäuft ihren Beginn nehmen.

Therapie / Stützung

  • Systemische Therapie (Wurzel klären), Hypnose-Arbeit: die Basis stabilisieren und in Bilderreisen betrachten

  • Akupunktur:

    – He 7, Bl 15 ist in allen Pubertätsphasen gut!

    – Antike Punkte: Wasserpunkt auf Herz-LB (He 3) und Feuerpunkt auf Nieren-LB (Ni 2),

    – Bl 23 (Shu-Punkt der Niere) + Bl 52, Ni 3 (Yuan-Punkt), KG 6 + LG 20

  • Ruhe, Stress reduzieren, feste Rituale, ausreichend Schlaf, Wärme

  • Fußreflexzonenmassage, „Kupfersalbe rot“® – Einreibungen der Nierengegend oder der Füße vor dem Schlafen

  • Schule: Durchhaltekräfte fordern, eigenständige Projekte, die Schönheit der Natur entdecken, Pflanzenkunde, Tierkunde, Fremdsprachen und alte Kulturen entdecken

  • Ernährung: Milz und Nieren stützend: warm, Suppen und Eintöpfe, regelmäßige Mahlzeiten; ein Übermaß an Eis, kalten Getränken und Rohkost meiden


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Frühe Adoleszenz (ca. 11–14 Jahre)

Holz in Feuer

Nach dem Rubikon sind das 11. und 12. Lebensjahr oft noch mal freudige, sonnige Jahre, in denen die Jugendlichen voller Tatendrang, mit Freude an neuen Erlebnissen und häufig auch am Lernen mit anpacken. Hier kann man sich in der Regel gut auf sie verlassen, bewegende Gespräche können stattfinden und man bekommt eine positive Ahnung davon, was nach den folgenden stürmischen Jahren dann wieder zum Vorschein kommen kann in neuem Gewand. Durch das doppelte Yang (Feuer/Holz) gibt es kräftige Energieschübe, Sport und neue Hobbys, die auch in den Folgejahren Stütze und Stabilität geben können.

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Abb. 2 Um das 9. Lebensjahr beginnen Kinder, sich als eigenständige Person unter vielen wahrzunehmen. Wille, gesundes Ego, eigene Ziele verfolgen kennzeichnen diese Phase der Präadoleszenz. Quelle: Kirsten Oborny / Thieme Group

Zu viel Yang kann jedoch auch außer Kontrolle geraten und somit zerstörerisch wirken oder Yin verbrauchen, was sich dann meist ab dem 13. Lebensjahr deutlicher zeigt: Dagegen sein, sich hin- und hergerissen fühlen, ungebremster Tatendrang, Impulsivität, Revolte gegen die Eltern und die Welt der Erwachsenen mit innerlich deutlichen Ambivalenzen. Äußerlich wird die Pubertät nun sichtbar, jedoch in unterschiedlichster Geschwindigkeit und die Interessen weichen für 2–3 Jahre geschlechterspezifisch oft deutlich auseinander: die Jungen nun eher introvertiert und antriebslos, während die Mädchen extrovertiert und dauerkommunizierend herumschwirren.


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Shen Aspekt dieser Holz-Phase – Wanderseele Hun

Entsprechend dem traditionellen chinesischen Gedankengut betritt sie kurz nach der Geburt den Körper. Hun ist nicht an den Körper gebunden, sie fließt nach dem Tod in den Himmel, in die Welt der feinen, immateriellen Energien zurück. Hun gibt uns die Fähigkeit, aus Erfahrungen die Zukunft zu planen und zu steuern. Es wird beschrieben als eine Art Speicherbewusstsein, in dem alle vorgeburtlichen und nachgeburtlichen Eindrücke gespeichert werden. Es ist der Aufbewahrungsort für unsere Ideen, Träume, Projekte, Hoffnungen, Ideale und zu den tief liegenden Seelenbildern – eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration. Genährt durch das Leber-Blut sorgt Hun für Toleranzentwicklung, Respekt, das Respektieren von Grenzen und die Körperkoordination. Bei Leber-Blut-Leere (z. B. durch vegane Ernährung) ist Hun nicht verankert, was sich in Rastlosigkeit, sprunghaftem Denken und Reden, Zerstreutheit und psychomotorischen Koordinationsstörungen zeigen kann. Auch persistierende frühkindliche Reflexe lassen sich hier häufig finden.

Potenzial: Lust auf Neues, Neugierde, Mut, Tatendrang, Bewegungsfreude, Interesse an neuen Hobbys und Flexibilität. Das kausale/logische Denken erwacht mit 11/12 Jahren und kann in den Hormonstürmen mit 13/14 Jahren oft nicht mehr abgerufen werden. Um das 13. Lebensjahr folgen dann auch die starken körperlichen und emotionalen Veränderungen.

Störungen durch: Gewalterfahrung, Alkohol, Drogen, fehlende oder zu starke Grenzen, unterdrückte Emotionen oder wenn die Eltern ein Thema mit Wut bzw. unterdrückten Aggressionen haben. Übermaß an Junk-Food, Umweltgiften oder Zusatzstoffen.

Folgen / Störungen: Auf der einen Seite des Ungleichgewichtes kann es u. a. zu Rastlosigkeit, Sprunghaftigkeit, Tics, ADHS, Jähzorn, sich nicht an Grenzen/Regeln halten können, Alpträumen oder erhöhter Risikofreudigkeit kommen. Auf der anderen Seite findet man Antriebslosigkeit, fehlenden Mut, Angepasstheit, fehlender Zugang zum intuitiven Wissen oder das Gefühl, die Welt sei ungerecht.

Therapie / Stützung

  • Akupunktur: Herz 7 geht immer! Bl 18 (Shu-Punkt der Leber) + Bl 47, Le 3, LG 20. Bei Leber-Blut-Leere Le 8 und Bl 17.

  • Naturerlebnisse und regelmäßiger Sport

  • Reize herunterfahren und Ruhepausen in den Tag einbauen

  • als Eltern oder Therapeut ehrlicher Spiegel sein, Bereitschaft der Eltern, eigene Themen anzuschauen, Grenzen in Liebe, aber mit Freiräumen, die der Jugendliche braucht

  • auf den Medienkonsum einen guten Blick haben und v. a. Gewaltspiele, Actionfilme meiden, insbesondere vor dem Schlafen. Science-Fiction-Bücher im Übermaß erhöhen ebenfalls die innere Spannung und sollten mit anderem inspirierenden Lesestoff gewechselt werden.

  • Schule: 7. und 8. Klasse Projekte der Tat, arbeiten auf dem Bauernhof, Theater spielen, Sportwettkämpfe, Musikprojekte. Die Jungen in die Tat und Kommunikation bringen, die Mädels zur Ruhe und in die Kreativität. Ernährung als Schulfach mit Kochprojekten. Drogenaufklärung, Beziehungskunde und Medienberatung.

  • Ernährung: Energy Drinks, Kaffeegetränke, Alkohol, zu scharfe Lebensmittel, Junk-Food, Zusatzstoffe, Fettes meiden und in Ruhe essen


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Mittlere Adoleszenz (ca. 14–16 Jahre)

Feuer im Feuer

Erste Annäherungen, vor allem bei den Mädchen, hin zum anderen Geschlecht. Erst wenn die Jugendlichen jedoch die Liebe zu sich, ihrem neuen Körper, den neuen Gedanken, Gefühlen und Interessen wiedergefunden haben, kann das Interesse für das Gegenüber wirklich voll erwachen. Der Körper wird wieder leistungsfähiger, die Zerrissenheit und gewisse Unsicherheit in diesem neuen Kleid bleiben jedoch noch. Für etwas „brennen“, Visionen teilen, Begeisterung, Kreativität, Inspiration und Leidenschaft bestimmen diese Phase auf der einen Seite. Andererseits ein Auf und Ab der Gefühle, der verschobene Schlaf-Wach-Rhythmus, das sich selbst immer wieder Infragestellen insbesondere mit der großen Frage im Hintergrund: „Wer bin ich und was kann ich in dieser Welt wirklich bewegen?“ Denn sie spüren die Entfaltung der schöpferischen Kräfte, möchten nun etwas ins Leben bringen und auch das politische und Weltinteresse kann in dieser Zeit erwachen. Andererseits erkennen sie die Vielfalt der Möglichkeiten, spüren evtl. sogar den größeren Sinn und suchen darin mal euphorisch, mal verzweifelt nach ihrem ganz individuellen Weg. Die meisten brauchen in diesem Alter aber dazu nicht mehr die große Revolte der Holz-Feuer-Zeit. Es ist eher ein selbstverständliches Nachaußenorientieren, raus aus der Familie, hinein in die Welt, und das oft ohne Rücksicht auf Verluste. Die Eltern registrieren, dass die Kindheit nun wirklich vorbei ist, sie nun aber noch als sicherer Hafen zur Verfügung stehen, in den die Jugendlichen jederzeit zurückkehren können.

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Abb. 3 Ein Auf und Ab der Gefühle, aber auch neue Fähigkeiten wie realistischere Selbstreflexion und Verantwortungsgefühl prägen die mittlere Adoleszenz. Quelle: Kirsten Oborny / Thieme Gruppe

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Shen-Aspekt dieser Feuer-Phase – Shen-Geist

Im Abschnitt Pubertät aus Sicht der chinesischen Medizin wurde Shen bereits beschrieben.

Potenzial: Begeisterung, Freundschaft, erste Liebe, Sehnsüchte, den höheren Sinn erkennen, die Liebe für sich und für das Gegenüber entdecken, Kreativität, Kommunikation, Humor.

Störungen durch: Mangel an Emotionen, Lebensfreude, Kreativität, Empathie und Authentizität. Dauernde Emotionsschwankungen im Umfeld, Unruhe, Hektik, fehlende Hülle, Eltern, die selbst im Außen verglühen.

Folgen / Störungen: Auf der einen Seite des Ungleichgewichts führt es zu fehlender Inspiration und Begeisterung, das Herz ist wie verschattet, Beziehungsstörungen, Ausgrenzung, fehlende Empathie, Egozentrik, Introvertiertheit bis hin zur Depression. Auf der anderen Seite Extrovertiertheit bis zur Manie, emotionale unüberlegte Aktionen, Helfersyndrom – sich selbst verlieren vor lauter Aktionen im Außen, Schlafstörungen, konkrete Ängste/Panik, Konzentrationsstörungen, Unruhe, fehlendes Sitzfleisch, fehlende Selbst- und Fremdreflexion, Abdriften zu Führerpersonen/Sekten.

Therapie / Stützung

  • Akupunktur: Herz 7, Bl 15 geht hier noch besser!

    – KG 17, Pe6 – und während die Nadeln liegen, sich Zeit nehmen und zuhören

    – LG 20, antiker Punkt Feuer auf He-LB (He 8)

    – Syndromtherapie bei Herz-Qi/Yang-Leere, Herz-Blut/Yin-Leere oder „Schleim vernebelt den Geist und die Sinne“

  • Kreativität fördern (Malen, Musik, Tanzen ...)

  • Gesprächstherapie oder im Umfeld eine Vertrauensperson finden zum Reden

  • Picknick im Freien, schöne Dekoration, Rituale/Miteinander in der Familie pflegen, Spiele spielen

  • Meditation, Yoga, Kampfsport, autogenes Training

  • Schule: Es besteht oft große Freude an kreativen Dingen, Musik, Tanz und Kommunikation. Podiumsdiskussionen, Praktika im Beruf und in sozialen Einrichtungen, späterer Schulbeginn, regelmäßige Orientierungsgespräche, Vertrauenslehrer, Politik/Ethik/Wirtschaft/Biologie.

  • Ernährung:

    – Grüner Tee – zerstreut Sommer-Hitze, entgiftet, beruhigt Shen

    – Durch Verzicht auf energetisch sehr heiße Nahrungsmittel wie Kaffee, Knoblauch, Ingwer, Alkohol, einige Fleischsorten kann Shen beruhigt werden.

    – Kühle, Feuchtigkeit spendende Nahrung (Yin-Nahrung), um Hitze zu zerstreuen. Hier entsteht der Hang zu Rohkost, Smoothies, Müsli und Milchprodukten. Ein Übermaß an kalten Nahrungsmitteln schwächt jedoch wieder den Darm (Mitte) und sollte durch gekochte Mahlzeiten ausgeglichen werden. Regelmäßig und in Ruhe essen.

    – Mit Freunden kochen. Gemüse selbst anbauen.

    – Bitterstoffe

Integrativer Therapieansatz in der Pubertät

Ein integrativer Therapieansatz in der Pubertät umfasst verschiedenste Bereiche, je nach individuellem Bedarf:

  • begegnen, zuhören, erkennen

  • Akuthilfe und schnelle erste Symptomverbesserung durch Akupunktur, Moxibustion, Osteopathie, ausleitende Verfahren und verbale Krisenintervention. Die sofortige Veränderung schafft Hoffnung und gibt neue Kraft. Durch die regelmäßigen Termine ist Zeit für Gespräch und Begegnung und weitere tiefere Betrachtungen.

  • Störfelder beheben in Form von Zahnherden, funktionellen Blockaden, Narben, Dysbiose, Parasiten etc.

  • längerfristige Unterstützung mit chinesischer Arzneitherapie, Anthroposophischer Medizin oder Homöopathie auf Basis einer konstitutionellen Betrachtung des gesamten Menschen

  • Gesprächstherapie, hypnotherapeutische Verfahren

  • systemische Familientherapie oder Meditationstechniken zur Klärung der Wurzel

Veränderung von Gewohnheiten im Bereich der Ernährung und Lebensführung unter Hilfe und Anleitung: Wenn hier keine Bereitschaft besteht, ist eine langfristige Besserung/Stabilisierung häufig gar nicht möglich, denn die Grundsubstanzen wie Qi, Blut und Yin gehören als gesunde materielle Basis langfristig gestärkt. Was ist es was mich wirklich nährt? oder Man ist was man isst!


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Mittlere Adoleszenz (ca. 16–20 Jahre)

Erde in Feuer

Neue Fähigkeiten einer realistischeren Selbstreflexion, Verantwortungsgefühl und Standfestigkeit stellen sich ein – ein Agieren aus einer stabileren, wiedergefundenen Mitte heraus. Das Interesse für die Welt und die eigene Zukunft wächst, der Jugendliche trifft Entscheidungen und versucht seine Identität zu finden. Nachvollziehbare Grenzen und authentische Führung auf Augenhöhe werden nun akzeptiert, gegen Ungerechtigkeiten und Macht wird jedoch mit klaren Anliegen demonstriert. Die Geburtsstunde des persönlichen Gewissens und die Suche nach Lebensidealen. Das kann insbesondere zwischen dem 16.–18. Lebensjahr tiefe Krisen hervorrufen mit Fragen wie: Kann ich das? Schaffe ich es, in dieser Welt zu bestehen? Der Mut fehlt nämlich oft noch, das Gefühl „da ist doch so viel zu tun“, „ich bin zu spät“ oder „ich kann es nicht“ bekommen die Oberhand. Erst etwas später, mit 18 Jahren, werden die Jugendlichen mutiger, Zuversicht und Selbstvertrauen wachsen und konkrete Pläne werden in die Tat umgesetzt.


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Shen-Aspekt dieser Erde-Phase – Yi-Denkseele

Yi regelt die gedankliche „Verstoffwechselung“. Unsere täglichen Eindrücke, unsere Gedanken und die Informationen und alles Kognitive, was wir durch unseren Verstand und unsere Sinneseindrücke erleben, wollen ebenfalls „verdaut“ und weiterverarbeitet werden. Was für uns verwertbar und brauchbar ist, wird uns zur „Ernährung“ dienen – das Unbrauchbare wird ausgeschieden oder oft auch ein Leben lang als Altlast mit sich herumgeschleppt. Studieren, Konzentration, Aufmerksamkeit werden durch den Seelenaspekt Yi erst möglich. Wenn unsere Milz-Leistung gut ist, so ist unser Denken klar, unsere Gedächtnisleistung ist gut ausgebildet, und wir können uns konzentrieren. Wir sprechen in der Metabolomforschung und Diätetik in diesem Zusammenhang von der Darm-Hirn-Achse.

Potenzial: Selbstreflexion, Zuverlässigkeit, Mut, Idealismus, Verantwortungsgefühl und Standfestigkeit, Interesse für die Welt und die eigene Zukunft, Lust am Studieren, Eintauchen in Themen.

Störungen in Kindheit oder Jugend durch: Viele Umzüge/Ortswechsel, dauerhaft falsche Ernährung, zu intellektuelle Ansprache, zu viel Computer, zu leistungsorientiert, zu wenig Bewegung.

Folgen / Störungen: Auf der einen Seite zu ernst, paukt und denkt dauernd, viel mit sich allein, sehr angepasst, wenig emotionale Schwingung oder praktische Veranlagung. Die andere Seite des Ungleichgewichts zeigt wenig Kraft, Antriebslosigkeit, Lernstörungen, vernebelte oder wirre Gedanken, die Dinge nicht auf den Punkt bringen, Versacken im eigenen Sumpf.

Therapie / Stützung

  • Akupunktur

    – Mi 6, Bl 20 und wieder He 7, Bl 15

    – Schleim lösen: Ma 40, Mi 3

  • gute geistige Nahrung und nicht zu viel (schöne Bücher, Museen ...), Geschichte ins echte Leben bringen, Spontanität fördern

  • Medien im gesunden Maß, diese Dinge müssen auch alle verdaut werden, daher Pausen vor dem Schlafen und medienfreie Zeiten

  • Antrieb steigern, leichte regelmäßige Bewegung, regelmäßige und gekochte Mahlzeiten, sich selbst wichtig nehmen

  • Schule: Jetzt kann studiert werden, Berufsberatung, Orientierungsgespräche, Literatur, Politik, Wirtschaft, Umwelt, kontroverse Diskussionen zu unterschiedlichsten Themen

  • Ernährung

    – Mitte stützen: gekochte Nahrung, thermisch warme bis neutrale Nahrungsmittel mit süßem Geschmack und aufsteigender Wirkung

    – bei Schleim zusätzlich: Nahrungsmittel mit scharfem und bitterem Geschmack, keine unreifen Früchte, keine Südfrüchte

    – Fabrikzucker erschöpft das Milz-Qi → besser: Datteln, Feigen, Rosinen etc.

    – wenig Milchprodukte

    – viele aromatische Kräuter und Gewürze


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Späte Adoleszenz (ca. 21–25 Jahre)

Metall in Feuer

Nun ist der Mensch seiner Kindheit „erwachsen“ und zu einer eigenständigen Persönlichkeit geworden. Die weitere Entfaltung des Selbstbewusstseins und der Selbstverantwortung steht an. Gespür und Sensibilität werden verfeinert, das Einlassen und Loslassen geübt und die Frage „was tut mir gut und was nicht?“ bewegt. Der finale Abschied aus der Kindheit und meist auch ein Umzug stehen an. Viele Jugendliche spüren hier instinktiv, dass sie zuerst in die Welt hinaus möchten, Freiheit spüren wollen, und reisen daher eine Weile oder gehen als Au Pair oder Hilfskraft arbeiten. Reflexion, Selbsterkenntnis, die Sinnfragen des Lebens werden bewegt, Zeit zum Durchatmen, die Meditation wird häufig entdeckt, eigene Rituale geschaffen, viel frische Luft geatmet. Mit 23 Jahren gibt es bei vielen Menschen nochmal eine Phase der Neuorientierung, die nun frei von Erwartungen der Eltern getroffen wird.


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Shen-Aspekt dieser Metall-Phase – Po-Körperseele

Po ist in der Lunge beheimatet und der leibliche Yin-Aspekt von Shen = Körperseele. In den Klassikern wird beschrieben, dass Po der erste Seelenanteil ist, der noch vor der Wanderseele-Hun im Embryo das Menschwerden stattfinden lässt. Hier wirkt Po mit dem Jing der Niere zusammen, um aus der winzigen Materie einen Menschen heranreifen zu lassen. Wenn die Zeit des Todes gekommen ist, lösen sich die Anteile Hun und Po voneinander. Der geistig-seelische Anteil des Hun steigt, kraft seiner Bestimmung, nach oben, und verlässt den Menschen über den Du Mai 20. Po nimmt genau entgegengesetzt den Weg über den Steiß.

Instinkte, Reflexe, Dinge tun ohne darüber nachzudenken sind die Eigenschaften von Po. Hautkontakt, die sinnliche Erfahrung, gestreichelt und liebkost zu werden, die Taktilität eines Individuums, jeder Schmerz oder Juckreiz auf der Haut ist das Erleben der Po-Seele.

Potenzial: Die leibliche Wahrnehmung entwickeln, den Körper pflegen und beschützen, die eigene Spiritualität entwickeln, Interesse an den Mitmenschen und der Welt.

Störungen aus der Kindheit durch: Trauer, Kummer, Verlust einer lieben Person, Trennung der Eltern/Todesfälle im Rubikon, Übertritte in höhere Schule, die nicht gut geglückt sind, Sinnesüberreizung bei erhöhter Sensitivität, Umweltgifte, pathogener Faktor der nicht ausgeleitet wurde, zu wenig Sinnesschulung oder Berührung in Kindheit.

Folgen / Störungen: Hypersensitivität, sich nicht abgrenzen können, zu durchlässig sein und dadurch das Leben zum Teil als schmerzhaft empfinden. Auf der anderen Seite steht die Abgestumpftheit, Oberflächlichkeit, das Ego, das nur um sich selbst kreist und die Poren für das Gegenüber und die Welt nicht öffnet. Auch die fehlende Loslösung vom Elternhaus kann hier zur Pathologie werden, nicht in eigene Fußstapfen treten, sondern immer noch die warmen, gewohnten Pantoffeln anbehalten.

Therapie

  • Akupunktur: Lu 7, Bl 13, KG 17. He 7 + Pe 6

  • rhythmische Massage

  • Singen, Meditation, Atemübungen, Qigong

  • Einreibungen mit Solum ulig. Öl®

  • Visionssuche, Coaching

  • Ernährung:

    – Lunge, Milz und Niere wärmen, leicht scharf (öffnend), süß

    – Meiden: kalt, kühl

    – besonders wirkungsvolle Lebensmittel: Suppe, Suppe, Suppe ...

Wer ja sagt zum eigenen Schicksal, kann sein Leben selbst gestalten und seine eigene Mitte, den Wesenskern finden.

Schicksal, Krisen und Krankheit sind zum Lernen da und wollen Heilung und Bewusstsein fördern – sie dienen der eigenen Menschwerdung.

Interessenkonflikt: Die Autorin erklärt, dass keine Interessenkonflikte bestehen.


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Sabine Schierl

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Sabine Schierl
Bad Endorf

schierl@daegfa.de


Sabine Schierl ist Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin und beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit dem gesamten Spektrum der TCM und der integrativen Behandlungsansätze im Verständnis von Körper, Seele, Geist in der individuellen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Langjährige Studienaufenthalte in China, Ausbildung zum Meister der Akupunktur DÄGfA; seit über 20 Jahren Dozentin der DÄGfA und Leitung der Fachkommission Diätetik und Pädiatrie; CAT-Ausbildung bei Volker Scheid, Systemische Familientherapeutin, Ausbildung Anthroposophische Medizin und FX Mair Medizin. Seit 12 Jahren ist sie neben ihrer Praxis- und Referententätigkeit als Schulärztin tätig.



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Quelle: Sabine Schierl
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Abb. 1 Die 5 Wandlungsphasen in der TCM. Quelle: DÄGfA (Deutsche Ärztegesellschaft für Akupunktur)
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Abb. 2 Um das 9. Lebensjahr beginnen Kinder, sich als eigenständige Person unter vielen wahrzunehmen. Wille, gesundes Ego, eigene Ziele verfolgen kennzeichnen diese Phase der Präadoleszenz. Quelle: Kirsten Oborny / Thieme Group
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Abb. 3 Ein Auf und Ab der Gefühle, aber auch neue Fähigkeiten wie realistischere Selbstreflexion und Verantwortungsgefühl prägen die mittlere Adoleszenz. Quelle: Kirsten Oborny / Thieme Gruppe