Narratives Storytelling fördert positive Beziehungen – Erworbene Hirnschädigung
Narratives Storytelling fördert positive Beziehungen – Erworbene Hirnschädigung
Narratives Storytelling hilft Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen, positive zwischenmenschliche
Beziehungen aufzubauen. Dies fand Ergotherapeutin Dr. Kate D'Cruz mit ihrem Team an
der La Trobe University in Melbourne, Australien, zusammen mit der dort ansässigen
Selbsthilfeorganisation „Summerfoundation“ heraus.
Beim narrativen Storytelling erzählt eine Person (Klient) einem Zuhörer (Therapeut)
von ihrem Leben, um daraus Kraft zu tanken und eventuell Antworten auf aktuelle Lebensfragen
zu erhalten. Um die Erfahrungen von Erzählern und Zuhörern erheben und miteinander
vergleichen zu können, rekrutierten die Forscher insgesamt 14 Teilnehmer für ihre
qualitative Studie. Darunter waren 8 Erzähler mit schweren Hirnschädigungen (5 Männer,
3 Frauen, 30–60 Jahre alt) und 6 im Storytelling geschulte und erfahrene Moderatoren
(1 Mann, 5 Frauen, 20–60 Jahre). Im Rahmen von halbstrukturierten Interviews wurden
die Teilnehmer zu ihren Erfahrungen mit dem Storytelling befragt.
Dabei erwiesen sich folgende Aspekte als zentral für das Storytelling:
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Den Erzählern war die vertrauensvolle Beziehung zum Moderator wichtig. Dieser sollte echtes Interesse
an der Geschichte haben, motiviert zuhören und sich genug Zeit nehmen, um sie gänzlich
zu erfassen.
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Die Moderatoren schätzten die ihnen übertragene Verantwortung sowie die Möglichkeit, den Erzählern
authentisch das Gefühl vermitteln zu können, dass sie respektiert werden und dass
ihnen zugehört wird. Die Erzähler lobten diesen personenbezogenen Ansatz. Sie fühlten
sich als Menschen und nicht nur als beeinträchtigt oder behindert wahrgenommen. Auch
die Neugier und das Mitgefühl der Zuhörer waren wichtig für den Beziehungsaufbau.
Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen erleben häufig soziale Isolation. Mit der
Erkrankung gehen Kontakte verloren, insbesondere außerhalb des unmittelbaren familiären
Umfelds. Für die Bewohner von Pflegeheimen ist das Aufrechterhalten sozialer Beziehungen
noch schwieriger. Die neurologische Rehabilitation sollte daher unter anderem zum
Ziel haben, die Betroffenen in die Gemeinschaft zu reintegrieren, zum Beispiel mithilfe
des narrativen Storytellings, das positive Beziehungserfahrungen ermöglichen kann.
Die Studie unterstreicht die Bedeutung einer positiven Beziehung zu Klienten. Daher
empfehlen die Forscher, auch im klinischen Alltag Zeit zu investieren und authentisch
Interesse an den Geschichten von Klienten zu zeigen.
kj
Br J Occup Ther 2020; 83: 576–584
Summer-foundation
Die Selbsthilfeorganisation „Summerfoundation“ möchte verhindern, dass junge Menschen
mit Behinderungen in Pflegeheimen wohnen müssen. Sie wurde von einer Ergotherapeutin
gegründet, die Lebensräume für Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen schaffen und
ihnen selbstbestimmtes Wohnen ermöglichen möchte. Dazu arbeitet sie mit anderen Organisationen,
der Regierung, Betroffenen und deren Angehörigen zusammen.
Summerfoundation bietet unter anderem Kurse zum Thema Storytelling an, um Betroffene
dazu zu befähigen, ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Im Laufe der Zeit sind Videos
und Geschichten entstanden, die über das Leben mit erworbenen Hirnschädigungen aufklären:
www.summerfoundation.org.au.
Br J Occup Ther 2020; 83: 576–584
Narratives Storytelling
Beim narrativen Storytelling erzählt eine Person aus ihrem Leben. Das kann dabei helfen,
vergangene Erfahrungen mit neuen zu verbinden. Auf diese Weise erhält der Erzähler
die Möglichkeit, Kohärenz zu schaffen:
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die Fähigkeit, die Zusammenhänge des Lebens zu verstehen
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die Überzeugung, das eigene Leben gestalten zu können
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der Glaube an den Sinn des Lebens
Im Gesundheitswesen kann das narrative Storytelling dabei helfen, ein Trauma zu verarbeiten
und neue Möglichkeiten zu sehen. Für die Ergotherapie kann Storytelling nützlich sein,
da der Klient von seinen Betätigungen berichtet und während des Erzählens erkennt,
dass bedeutungsvolle Betätigungen seinem Leben Sinn verleihen können.
Br J Occup Ther 2020; 83: 576–584
Stigmatisierte Personen stärker berücksichtigen – Occupational Justice und Social
Inclusion
Stigmatisierte Personen stärker berücksichtigen – Occupational Justice und Social
Inclusion
Ein besseres Verständnis der Konzepte Occupational Justice und Social Inclusion in
Bezug auf eine stigmatisierte Klientel könnte hilfreich für Maßnahmen in Politik,
Forschung und Praxis sein. Zu diesem Ergebnis kam ein Forschungsteam um Ergotherapeut
Clement Nhunzvi von der Abteilung für Ergotherapie an der Universität Kapstadt, Südafrika.
Sie untersuchten,
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wie die Konzepte Occupational Justice und Social Inclusion definiert und operationalisiert
werden und
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wie sie mit der Stigmatisierung von Menschen zusammenhängen, die sowohl psychisch
erkrankt als auch HIV-positiv sind.
Um sich einen Überblick über den Stand der Forschung zu verschaffen, führten sie ein
Scoping Review durch. Dazu recherchierten sie in Datenbanken wie PubMed und analysierten
insgesamt 27 Studien. Diese wurden in den Jahren 2009 bis 2018 veröffentlicht und
stammen aus einkommensstarken Ländern in Europa.
Den Ergebnissen zufolge werden Occupational Justice und Social Inclusion entweder
bei psychisch erkrankten oder bei HIV-positiven Menschen untersucht, aber nie bei
einer Komorbidität. Die Konzepte werden unterschiedlich definiert und beispielsweise
als Prozesse oder persönliche Erfahrungen dargestellt. Sie verfügen jedoch über gemeinsame
Hauptmerkmale wie die Beteiligung an der Gemeinschaft, die Achtung der Menschenrechte
und den Aufbau bzw. die Aufrechterhaltung gesunder Beziehungen. Damit weisen sie inhaltliche
Überschneidungen auf, die auf sozialer Gerechtigkeit beruhen, insbesondere dem Recht
auf Teilhabe an der Gemeinschaft.
Die Forscher schlagen vor, die Untersuchung auf Menschen mit mittlerem oder niedrigem
Einkommen und stark stigmatisierte Bevölkerungsgruppen auszudehnen. Zum Beispiel Menschen
mit komorbiden psychischen Störungen wie Substanzstörungen und HIV.
ms
BMJ Open 2020; 10: e036916
Occupational Justice (= Betätigungsgerechtigkeit) ist eine erweiterte Form von sozialer Gerechtigkeit.
Sie befasst sich mit Gerechtigkeit und Fairness für Einzelpersonen, Gruppen und Gemeinschaften.
Ziel ist es, Zugang zu Ressourcen und Möglichkeiten zu schaffen, um die Ausübung bedeutungsvoller
Betätigungen zu unterstützen.
Social Inclusion (= Soziale Inklusion) beinhaltet komplexe Prozesse, in denen die vorherrschenden
(Kontext-)Bedingungen eine vollständige und aktive Teilnahme an allen Aspekten des
Alltags ermöglicht. Dies können bürgerliche, soziale, wirtschaftliche und politische
Aktivitäten sein oder die Teilnahme an Entscheidungsprozessen.
Mit internet- und mobilbasierten Interventionen motorisch-funktionelle Fähigkeiten
verbessern – Chronisch neurologisch erkrankte Menschen
Mit internet- und mobilbasierten Interventionen motorisch-funktionelle Fähigkeiten
verbessern – Chronisch neurologisch erkrankte Menschen
Der Einsatz von internet- und mobilbasierten Interventionen (IMI) mit und ohne Gamification
bei chronisch neurologisch erkrankten Personen führt zu einer Verbesserung der motorisch-funktionellen
Fähigkeiten. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forscherteam um Peter Lohse von der Hochschule
für Technik und Wirtschaft in Dresden.
Anhand einer vierarmigen Interventionsstudie mit 60 weiblichen und männlichen Senioren
führten die Forscher ein standardisiertes sensomotorisches Training über einen Zeitraum
von sechs Wochen durch:
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tägliches Heimtraining mit Gamification
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tägliches Heimtraining ohne Gamification
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zweimal pro Woche Training am Campus mit Gamification
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zweimal pro Woche Training am Campus ohne Gamification
Die Teilnehmer waren seit mehr als 24 Monaten an einer degenerativen zerebralen Mikroangiopathie
erkrankt. Aufgrund der funktionellen Verschlechterung ihrer sensomotorischen Kompetenz
wurden sie zur Diagnostik und Therapieoptimierung hospitalisiert. Während des einwöchigen
stationären Aufenthaltes bekamen sie eine Einführung in die computergestützte Trainingstherapie,
welche sie nach Entlassung über einen Zeitraum von 6 Wochen entweder täglich zu Hause
oder zweimal pro Woche am Campus unter therapeutischer Kontrolle durchführten.
Die Trainings mit Gamification bildeten die Interventionsgruppen und enthielten spielerische
Elemente, um Motivation, Einstellungen und Verhalten der Teilnehmer zu beeinflussen.
Die Trainings ohne Gamification bildeten die Kontrollgruppen.
Die Wissenschaftler erhoben im Prä-Post-Design motorisch-funktionelle Fähigkeiten
mit dem 10-Meter-Gehtest und dem Timed-up-and-go-Test. Im Anschluss an die sechswöchige
Trainingsphase führten sie leitfadengestützte Interviews mit den Teilnehmern durch.
Darin berichteten diese von ihren Erfahrungen mit den Interventionen.
Die Forscher kommen zu dem Ergebnis, dass es durch den Einsatz in Form einer standardisierten
Trainingstherapie bei sensomotorisch beeinträchtigten Patienten mit zerebraler Mikroangiopathie
bei allen vier Gruppen nach sechs Wochen zu einer Verbesserung der motorisch-funktionellen
Fertigkeiten kommt. Das heißt, alle vier Gruppen erzielten Verbesserungen in Ganganalyse,
Monopedalstand, Berg Balance Score, Dynamic Gait Index, Functional Reach Test, dynamische
Posturographie. Der Therapieerfolg mit und ohne Gamification ist vergleichbar. Demnach
führt der Anreiz durch die Gamification zu keinem signifikanten Unterschied bei den
motorisch-funktionellen Ergebnissen. Darüber hinaus ergab die Analyse, dass das Umfeld
den Therapieerfolg beeinflusst: Teilnehmer, die im häuslichen Umfeld trainierten,
zeigen vergleichbare oder sogar signifikant bessere Ergebnisse bei den motorisch-funktionellen
Tests. In den Leitfadeninterviews gaben sie an, dass Gamification eine Verschmelzung
von Education und Entertainment ermöglicht. Die Integration von Spielen in eine Trainings-
und Lernumgebung ermöglicht es demnach, eine Langzeitbehandlung interessanter und
interaktiver zu gestalten. Hierdurch werden Neugier und Motivation der Patienten gefördert.
Gamification
hat das Potenzial, Langzeitbehandlungen interessanter und interaktiver zu gestalten.
Die Untersuchung zeigt, dass die häuslichen Ergebnisse unter einer erhöhten Trainingsfrequenz
und unter Nutzen von Persuasion und Gamification besser waren. Dafür war nur ein punktueller
Kontakt zum Therapeuten notwendig.
ms
Fortschr Neurol Psychiatr 2020; 88: 500–513
Persuasion
gezielte Beeinflussung von Verhaltensmustern, um ein gewünschtes Verhalten zu erreichen
Gamification
spielerische Elemente in einen spielfremden Kontext überführen, zum Beispiel in eine
Lernumgebung, um gezielt Motivation, Einstellungen und Verhalten zu beeinflussen;
Damit ist Gamification eine persuasive Strategie und gestaltet das Lernen interessanter.
Fortschr Neurol Psychiatr 2020; 88: 500–513
Zerebrale Mikroangiopathien
Die zerebralen Mikroangiopathien sind eine heterogene Krankheitsgruppe, bei der sich
als gemeinsames Charakteristikum pathologische Veränderungen der kleinen Hirngefäße
finden. Sie sind für 20 – 30 % aller ischämischen Schlaganfälle verantwortlich. In
über 90 % der Fälle liegt eine erworbene Mikroangiopathie vor: degenerative Mikroangiopathie
oder sporadische zerebrale Amyloidangiopathie. Neben diesen häufigen Formen gibt es
eine Vielzahl seltener, genetisch bedingter Mikroangiopathien.
Radiologie up2date 2011; 11: 67–84