Für eine Veröffentlichung rund um Trans[*]-Geschlechtlichkeit ist es unumgänglich, sich mit Sprache auseinanderzusetzen. Um
Trans[*] in den ergotherapeutischen Kontext zu bringen, ist Terminologie aus den medizinischen
und psychologischen Bezugswissenschaften notwendig. Dabei stoßen Leser[*]innen auf umstrittene Bezeichnungen, die zwar nach derzeitiger deutscher Rechtsprechung
relevant sind, Trans[*]-Personen aber pathologisieren können. Es soll deutlich werden, dass Trans[*]-Sein nicht pathologisch ist und die LGBTQIA+-Community vielfältiger ist als das
noch immer vorherrschende binäre Genderverständnis.
Um in der Ergotherapie mit Trans[*]-Menschen arbeiten zu können, bedarf es leider noch immer einer medizinischen Diagnosestellung.
Ohne diese ist der Zugang zum Gesundheitssystem und somit zu therapeutischen Leistungen
nicht gewährleistet. Auch wenn Ergotherapie aufgrund ihrer Betätigungszentrierung
Trans[*]-Menschen eine konkrete Unterstützung in ihren Betätigungen bietet, ist festzuhalten,
dass nicht jede Trans[*]-Person Ergotherapie benötigt [1].
Gefühltes und zugewiesenes Geschlecht
Gefühltes und zugewiesenes Geschlecht
Nach der ICD-10 lautet die Diagnose für erwachsene transidente Menschen in der Regel
F64.0 Transsexualismus im Erwachsenenalter und beinhaltet den „(...) Wunsch, als Angehöriger
des anderen Geschlechts zu leben und anerkannt zu werden. Dieser geht meist mit dem
Unbehagen oder dem Gefühl der Nichtzugehörigkeit zum eigenen anatomischen Geschlecht
einher. Es besteht der Wunsch nach einer chirurgischen und hormonellen Behandlung,
um den eigenen Körper dem bevorzugten Geschlecht so weit wie möglich anzugleichen”
[2].
Die Pathologisierung entsteht vor allem durch ihre Verortung im Kapitel „Persönlichkeits-
und Verhaltensstörung“. Zeitgenössische Theorien betrachten Geschlechtsinkongruenz
als eine Normvariante im Spektrum geschlechtlicher Vielfalt und erkennen geschlechtliche
Fluidität an [3]. Erst die 2022 in Kraft tretende ICD-11 entpathologisiert vermehrt den medizinischen
Kontext, was bereits seit Langem zum Beispiel vom Bundesverband Trans[*] gefordert wird [4]. Genderinkongruenz und Genderdysphorie lösen die umstrittene Diagnose F64.0 ab und
sind in einem neu entwickelten Kapitel zu „Conditions related to sexual health“ angesiedelt
[2], [3]. Damit erkennt die Medizin den psychischen Druck an, der aus der Inkongruenz zwischen
dem gefühlten und dem zugewiesenen Geschlecht entstehen kann.
Gesetzlicher Kontext
Neben medizinischer Verortung spielt für die Zusammenarbeit mit Trans[*]-Menschen in Deutschland das stark veraltete und dadurch vielfach kritisierte Transsexuellengesetz
(TSG) eine wichtige Rolle. Das TSG regelt Aspekte wie die Personenstands- sowie Namensänderung.
Am 19. Juni 2020 debattierten Politiker[*]innen im Deutschen Bundestag darüber, das bestehende TSG zeitgemäß zu überarbeiten.
Grüne, Linke und FDP streben eine „Stärkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung“
an [5].
Die Sprache rund um Trans[*]-Themen bietet eine Vielzahl an Fachbegriffen, die nicht immer geläufig sind. Hier
sind einige Ausdrücke erklärt, die im Artikel vorkommen.
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Begriff
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mögliche Bedeutung
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Binding
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Methode, die weibliche Brüste flach(er) aussehen lässt, um ein männlicheres oder androgynes
Erscheinen zu erwirken. Falsche Techniken können negative gesundheitliche Auswirkungen
haben!
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Cis-Gender, cis
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Pendant zu „Transgender“. Bezeichnet Menschen, deren Geschlechtsidentität mit ihrem
körperlichen Geschlecht übereinstimmt
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cisnormativ
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die Annahme, dass es nur zwei Geschlechter gibt (männlich und weiblich) und dass sich
das Geschlecht einer Person anhand ihrer Genitalien bestimmen lässt
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Cross Dressing
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Betätigung, bei der man spezifische Kleidung des anderen Geschlechts trägt
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Epithese
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ästhetischer Körperteilersatz
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Gaff
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eine Unterhose, die zum Tucking verwendet wird
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geschlechtsangleichend (ga)
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Als ga-Maßnahmen können sowohl Hormonbehandlungen, Nadelepilationen als auch operative
Eingriffe gelten. Sie dienen dazu, sich dem Erscheinungsbild des gewünschten Geschlechts
anzunähern.
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geschlechtsmodifizierend (gm)
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wird teilweise synonym zu ga verwendet, beinhaltet den prozesshaften Vorgang der Veränderung
und betrachtet vermehrt die Interaktion zwischen medizinisch Handelnden und behandelter
Person
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LGBTQIA+
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LGBTQIA+ steht für lesbisch, schwul, bisexuell, transident, queer, intersexuell, asexuell
und alle weiteren Personen, deren Geschlechtsidentität und/oder sexuelle Orientierung
nicht explizit genannt werden.
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Transgender, trans (lat. für jenseits, darüber hinaus), gender (lat. für soziales
Geschlecht)
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Der Begriff wird häufig im englischsprachigen Raum verwendet. Politischer Begriff
für Identitäten und Lebensweisen, die das Zwei-Geschlechter-Modell infrage stellen.
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Transition
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Übergangsprozess, hier von einem Geschlecht in ein anderes
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Transidentität
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beschreibt die Tatsache, dass das erlebte Geschlecht einer Person nicht mit dem bei
der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt
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Transsexualität
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Personen sind transsexuell, wenn sie sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren,
mit dem sie geboren wurden, sondern mit dem „Gegengeschlecht“.
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Tucking
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Methode, die äußerlichen männlichen Genitalien so zu verstauen, dass man diese über
der Kleidung nicht mehr wahrnimmt. Falsche Techniken können negative gesundheitliche
Auswirkungen haben!
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Gesetz und Gesundheitsversorgung sind miteinander verwoben. Derzeit entscheidet der
Medizinische Dienst der Krankenkassen auf Basis von Begutachtungsrichtlinien von 2009,
die größtenteils auf den „Standards of Care“ von 1979 bis 2001 aufbauen, wie Trans[*]-Menschen gesundheitlich versorgt werden [6]. In diesen früheren Versionen wurde ein linearer Interventionsverlauf festgelegt,
in dem Trans[*]-Personen sich unter anderem einer Diagnostik, Psychotherapie, einem Alltagstest
oder Vornamensänderungen unterziehen müssen, bevor weitere geschlechtsangleichende
(ga) bzw. geschlechtsmodifizierende (gm) Maßnahmen eingeleitet werden können [6]. Dazu kann man Hormonbehandlungen, Operationen, Nadelepilation und Epithesenversorgung
zählen.
Neue Empfehlungen richten sich nach individuellen Bedürfnissen von Trans[*]-Menschen, was bedeutet, dass jede[*]r selbst entscheidet, welche Schritte der Transition er/sie durchführen will. Die
bisherigen Begutachtungsrichtlinien, denen sich Trans[*]-Menschen während ihrer Transition stellen müssen, wurden ohne Berücksichtigung aktueller
Trans[*]-spezifischer Gesundheitsbedarfe und menschenrechtskonformer Grundbedingungen erstellt
[3].
Ergotherapeutische Studienlage
Ergotherapeutische Studienlage
Beschäftigt man sich im Rahmen der Ergotherapie mit der S3-Leitlinie zu „Geschlechtsinkongruenz,
Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit: Diagnostik, Beratung, Behandlung“, fällt
auf, dass Ergotherapie nicht unter die empfohlenen Berufsgruppen fällt, jedoch zwei
Studien der herangezogenen Evidenz aus ergotherapeutischer Feder stammen [7]–[9].
Eine Forschungsarbeit zeigt, wie sich Betätigungen im Laufe des Transitionsprozesses
verändern [8]. Zu Beginn des Übergangsprozesses sind vor allem Betätigungen rund um gesundheitliche
Versorgung relevant. Später stehen unter anderem Themen um Selbstversorgung, Beziehung
und Arbeitsplatz im Vordergrund. Weitere Untersuchungen gehen vertiefend auf die Arbeitsplatzsituation
ein [9].
Nach 2016 haben internationale ergotherapeutische Veröffentlichungen zugenommen. 2019
zeigte der Ergotherapeut Jamie Kimelstein auf, dass das Ausleben der Geschlechterrolle
über Betätigungen wie Anziehen, Körperpflege und Kommunizieren stattfindet [10]. Des Weiteren untersuchte eine australische Forschergruppe, welche Betätigungserfahrungen
Trans[*]-Menschen machen [11]. Dabei fanden sie heraus, dass sich rollenangemessen kleiden zu können ein zentraler
Aspekt für die sich festigende Identität ist.
Sie erhoben ebenfalls, dass Umwelt eher hemmend als fördernd erlebt wird. Wo es in
den sozialen Medien als einfach erlebt wird, Freiraum für das Trans[*]-Sein zu finden, stellt sich offline die cisnormative Kultur dem häufig entgegen
– genauso wie beim Daten mit potenziellen Partner[*]innen oder in der Gestaltung von öffentlichen Gebäuden wie Sportstätten.
Die Autorinnen stellen ihre praktische Arbeit mit Trans[*]-Menschen anschließend ausschnittweise vor. Häufig dauern die Interventionsprozesse
(mit Unterbrechung) mehrere Jahre.
Outfit gestalten im geschützten Raum
Outfit gestalten im geschützten Raum
Frau C.[*] ist Ende 40 und eine Mann-zu-Frau(MzF)-Klientin. Nach ihrem Outing im Reha-Aufenthalt
nach einem Suizidversuch gab der Psychiater ihr den Rat, ergotherapeutische Unterstützung
für Alltagsherausforderungen zu suchen. Die Klientin kam mit den Zielen, einen weiblichen
Gang auf hochhackigen Schuhen zu entwickeln und sich so zu kleiden, zu schminken und
zu frisieren, dass sie als Frau akzeptiert wird.
Mithilfe der Enablement Skills „Anpassen“ und „Coachen“ begannen wir mit ihrem weiblichen
Outfit [12]. Sie brachte zunächst Fotos ihrer Kleidung mit, da sie im Cross Dressing zu Hause
erfahren war [13]. Gemeinsam überlegten wir, welcher Stil sie in ihrer Weiblichkeit unterstützt, und
gingen betätigungsfokussiert vor [1]. Die ausgewählte Kleidung probierte sie in verschiedenen Kombinationen während der
Ergotherapie aus. Dabei wechselten wir in ein betätigungsbasiertes Vorgehen [1]. Spiegel, Fotos, kurze Videos und Reflexion halfen ihr, ein authentisches Bild als
Frau zu erwerben.
In weiteren Terminen brachte sie ihren Schminkkoffer mit. Im geschützten Rahmen fand
sie immer mehr heraus, was ihr an sich gefiel. Dadurch gewann die Klientin stetig
ein sichereres Auftreten. Beim Hochstecken der Haare griff sie auf mich als langhaariges
Vorbild zurück, schaute sich Haarutensilien an und probierte sich weiter mithilfe
von YouTube-Tutorials aus. Nach Einweben ihres Haarteils ca. ein Jahr später outete
sie sich mit Hochsteckfrisur und Rock am Arbeitsplatz. Am Telefon erlebte sie weiterhin,
dass sie mit ihrer tiefen Stimme als Herr C. angesprochen wurde. Daher vermittelte
ich ihr eine Kollegin, die als Atem-, Stimm- und Sprechtherapeutin mit ihr arbeitete.
Zu Beginn der Intervention dachten wir beide, dass es darum ginge, „alles auf weiblich
umzustellen“. In unserer Reflexion stellten wir jedoch fest, dass vor allem im Fokus
stand, als Person authentisch zu wirken. Dadurch erledigte sich ihr Wunsch, auf hochhackigen
Schuhen zu gehen, und sie trägt auch heute noch gerne flache Schuhe.
Eine Penis-Hoden-Epithese als Hilfsmittel
Eine Penis-Hoden-Epithese als Hilfsmittel
Mein erster Frau-zu-Mann(FzM)-Klient Herr G.[*] kam ca. fünf Monate nach seinem Outing zu mir. Der Anfang 50-Jährige überzeugte
bereits in seinem Erscheinungsbild als Mann. Seine Ziele waren, seine Personenstands-
und Namensänderung sowie seine Penis-Hoden-Epithese (PHE) zu beantragen.
Da ich mich bisher nicht mit PHE auskannte, suchte ich im Netz nach passenden Informationen.
Ich kontaktierte eine Epithetikerin, um Herrn G. zielgerichtet unterstützen zu können.
Dabei erfuhr ich, dass Transmänner auch ohne ga-Operation einen Penis tragen können.
Für Herrn G. war dies eine wichtige Information, da er hinsichtlich der OP im Genitalbereich
noch unschlüssig war. Für sein Gefühl als Mann war es jedoch unerlässlich, einen anatomisch
korrekten und funktionsfähigen Penis zu erhalten. Ihm war es wichtig, ohne Angst vor
Entdeckung in einer öffentlichen Toilette urinieren zu können oder am Baggersee schwimmen
zu gehen.
Transmännern steht sowohl eine PHE zum Urinieren als auch eine für den Geschlechtsverkehr
zu. Sie werden in der S3-Leitlinie beispielsweise als Übergang vor ga-Operationen
empfohlen [4]. Die Krankenkassen übernehmen deren Finanzierung, wenn die PHEs durch Ärzt[*]innen verordnet und spezifische Unterlagen vorgelegt werden. Diese Dokumente zu beschaffen
ist komplex, da verschiedene Voraussetzungen erfüllt werden müssen.
Herr G. fühlte sich mit der alleinigen Koordination von Terminen und der Sammlung
von Dokumenten überfordert. Neben der gesicherten Diagnose F64.0, dem Nachweis über
mindestens 18 Monate Psychotherapie, einer Stellungnahme über das Vorliegen eines
krankheitswertigen Leidensdrucks ist der Ausschluss von Komorbiditäten zwingend notwendig.
Zusätzlich musste der Klient nachweisen, dass er bereits seit mindestens sechs Monaten
das Hormon Testosteron erhielt.
Für den langwierigen Prozess bedurfte es in der Ergotherapie vor allem der Enablement
Skills „Fürsprechen“, „Zusammenarbeiten“ mit den verschiedenen Stakeholdern sowie
„Koordinieren“. Die Intervention fand hauptsächlich betätigungsfokussiert statt. Ich
unterstützte Herrn G. zum Beispiel bei seinen Telefonaten mit der Krankenkasse oder
formulierte mit ihm gemeinsam Schreiben an Ärzt[*]innen und das Gericht. Als Checkliste nutzten wir unter anderem das vielfältige Material
des Bundesverbands Trans[*] e. V. [14].
Sich im Modegeschäft beraten lassen
Sich im Modegeschäft beraten lassen
Frau K.[*] ist 55 Jahre alt und kam als MzF-Klientin auf Anraten ihrer Psychiaterin in die
Ergotherapie. Sie hatte sich in ihrem sozialen und beruflichen Umfeld geoutet und
den Transitionsprozess begonnen. In der Evaluationsphase kristallisierten sich zwei
Ziele heraus: Sie wollte für den 90. Geburtstag ihres Onkels ein dem Anlass angemessenes
Outfit kaufen und sich hierfür in einem Geschäft vor Ort beraten lassen.
Die Klientin nutzte schon seit Jahren das Internet, um ihre Garderobe zusammenzustellen.
Die Erfahrung, für eine Beratung in ein Damenmodegeschäft zu gehen, hatte sie nach
ihrem Outing noch nicht gemacht. Außerdem war ihr eine passende Frisur zur neuen Kleidung
wichtig. Daher wünschte sie sich einen Besuch bei einem lokalen In-Friseur. Wir wählten
einen betätigungsfokussierten und -basierten Ansatz für die ergotherapeutische Intervention
aus und nutzten die Enablement Skills „Coachen“, „Zusammenarbeiten“ und „Beteiligen“.
Frau K. erarbeitete mehrere Kommunikationsstrategien, um im Geschäft den Wunsch nach
Beratung zu einem passenden Outfit angemessen äußern zu können. Zur weiteren Unterstützung
stellte ich den Kontakt zu einer Theaterlehrerin her, die der Klientin zusätzliche
Möglichkeiten in ihrem verbalen und nonverbalen Ausdruck aufzeigte. Gemeinsam identifizierten
wir zwei passende Geschäfte im Ort: ein großes, in welchem Frau K. stöbern und eher
anonym agieren konnte, und ein kleineres, in dem der Kontakt und eine Beratung durch
das Verkaufspersonal unumgänglich waren.
Letztendlich besuchte Frau K. – mit mir als Unterstützung im Hintergrund – nur das
kleine Modegeschäft. Ihre vorbereiteten Kommunikationsstrategien, die dabei helfen
sollten, das Gespräch mit der Verkäuferin zu beginnen und strukturiert zu führen,
funktionierten, und sie genoss das Beratungsgespräch der Verkäuferin sichtlich. Den
geplanten Friseurtermin nahm die 55-Jährige allein wahr und berichtete später davon.
In der Reflexion der stattgefundenen Therapieeinheiten stellten wir fest, dass die
Kombination aus Ergotherapie und Theaterunterricht ausreichend Sicherheit für die
Umsetzung im Alltag ergeben hatte.
Integration in das alte Umfeld
Integration in das alte Umfeld
Frau M.[*] ist studierte Landwirtin, 29 Jahre alt und lebt in einem Dorf. Sie wird den elterlichen
Betrieb dort übernehmen und ihn bewirtschaften. Vor circa drei Jahren kam sie als
MzF-Klientin in die Ergotherapie. Kurz zuvor war sie aus der Großstadt, in der sie
mehrere Jahre gelebt hatte, zurückgekehrt.
In der Ergotherapie hierarchisierte zunächst sie ihre Ziele. Ihr primärer Wunsch:
die Entscheidung treffen, ob sie den Hof ihrer Eltern übernehmen würde oder nicht.
Für die ergotherapeutischen Ziele von Frau M. bedeutete dies: Kann ich wieder in dem
Dorf leben, in dem ich bis zu meiner Rückkehr nicht sichtbar als Frau bekannt war?
Wie mache ich klar, dass ich ich bin? Wie (re-)integriere ich mich?
Für unsere Zusammenarbeit bedeutete dies den Einbezug von Mikro- und Mesoebene. Die
Intervention fand in einer begleitend-beratenden Form statt. In einigen Einheiten
erarbeitete Frau M. für sich, dass sie zunächst nicht wieder in alten Vereinen aktiv
werden wollte. Sie befürchtete zu sehr, mit dem Bild, das die Vereinsmitglieder von
ihr von früher hatten, konkurrieren zu müssen. Ihr war jedoch bewusst, dass für sie
der soziale Kontext wichtig war.
Als Strategie hatte sie sich zurechtgelegt, zunächst mit ihrem 80-jährigen Großvater,
der neben den Eltern wohnt, zu sprechen und ihn zu bitten, sie zur Ergotherapie zu
begleiten. Er eignete sich gut, um die Rolle eines Fürsprechers zu übernehmen. Zu
dritt erarbeiteten wir einen Plan, wie er sie unterstützen konnte, sich im Dorf wieder
heimisch zu fühlen.
Ein scheinbar leicht umzusetzender Teil war die konsequente Verwendung ihres weiblichen
Vornamens. Dies erlebte der Großvater als große Herausforderung. Daher merkte er an,
dass dies anderen Dorfbewohnern ebenfalls so ergehen könne und er als Fürsprecher
die anderen Gesprächspartner[*]innen entsprechend korrigieren würde. Mittlerweile wird Frau M. kontinuierlich mit
ihrem richtigen weiblichen Namen angesprochen.
Die ergotherapeutische Arbeit ist noch nicht abgeschlossen: Das letzte Ziel der Klientin,
im Dorf einen Vortrag zum Thema Trans[*] zu halten, konnte aufgrund der Coronavirus-Pandemie noch nicht umgesetzt werden.
Was Ergotherapeut[*]innen können und was sie noch benötigen
Was Ergotherapeut[*]innen können und was sie noch benötigen
Damit die Arbeit mit dieser Klient[*]innengruppe transparent, erfolgreich und auf Augenhöhe stattfinden kann, benötigen
wir Ergotherapeut[*]innen weitere Kenntnisse auf Mikro-, Meso- und Makroebene. Hierzu gehört, dass wir
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ein Verständnis für Trans[*]-Menschen, ihre Bedürfnisse, Betätigungen und Sprache bilden,
-
uns Wissen über Transitionsprozesse, medizinische Abläufe und den Versorgungsbedarf
aneignen [15],
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über Kenntnisse über die Ausübung von ADL wie Cross Dressing, Tucking, Binding, Tragen
von Gaffs oder BHs als Cross Dresser verfügen [15],
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uns Wissen über Beantragung von Hilfsmitteln oder über geschlechtsmodifizierende Maßnahmen
aneignen,
-
uns zu Vorbereitung und Durchführung geschlechtsmodifizierender OPs informieren und
Infomaterial sammeln [16],
-
uns mit gesetzlichen Regelungen, zum Beispiel zur Personenstandsänderung, auseinandersetzen
und
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Wissen über unterstützende Ressourcen wie Selbsthilfegruppen, Beratungsangebote und
Treffs aneignen und verbreiten.
Wie die Fallbeispiele zeigen, ist die ergotherapeutische Zusammenarbeit mit Trans[*]-Menschen ein facettenreiches Tätigkeitsfeld. Viele der ergotherapeutischen Fähigkeiten
und Kompetenzen finden Eingang in die Interventionen. Das Schlüsselkonzept Betätigung
mit dem Wissen über Betätigungsidentität, -kompetenz und -adaption befähigt uns, gemeinsam
mit Klient[*]innen in deren persönlichem Alltag und Umfeld zu arbeiten sowie mit ihnen kreative
Lösungen zu entwickeln und umzusetzen [17], [18]. Durch unser betätigungsfokussiertes und -basiertes Arbeiten bieten wir Ergotherapeut[*]innen ihnen einen Weg zu mehr Teilhabe [19].
WWW – Stimmen aus der Trans[
*]-Community
Dieser Artikel bietet nur einen Ausschnitt zu einem sehr komplexen Thema, das Bücher
füllt. Daher empfehlen die Autorinnen einige Links, um die Trans[*]-Community selbst zu Wort kommen zu lassen:
-
Elnas Weg – Die Geschichte einer Transfrau:
bit.ly/Geschichte_einer_Transfrau
-
Linus Giese – „Transmenschen müssen ihre Geschichten selbst erzählen!“:
bit.ly/Transmenschen_Geschichten_erzählen
-
„Ich bin Anastasia“ – Als Transfrau bei der Bundeswehr:
bit.ly/Transfrau_Bundeswehr
-
eine europäische Perspektive (englischsprachiger Text):
bit.ly/Impacts_of_gender_transition