Schlüsselwörter
Telemedizin - Videosprechstunde - Hand - Untersuchung - COVID-19
Einleitung
Im Rahmen der Covid-19-Pandemie und dem verordneten Lockdown wurden geplante Sprechstunden
aller Fachbereiche abgesagt und Patienten auf einen späteren Termin verschoben. Eine
Möglichkeit zur Betrachtung und Beratung von Patienten bietet dabei die Telemedizin.
Die Untersuchung von Händen liegt dabei nahe, da beide Extremitäten relativ problemlos
„in die Kamera gehalten“ werden können. In den vergangenen Jahren konnte bereits gezeigt
werden, dass die Telemedizin für die Einholung von Expertenmeinungen genutzt werden
kann [1]. Gerade in ländlichen oder dünn besiedelten Gebieten erlaubt dies eine anspruchsvolle
Medizin [2]; die Nutzung kann dort auch die Anzahl an Transfers von Patienten mit Handverletzungen
vermindern [3]. Ebenso können telemedizinische Visiten die postoperative Versorgung unterstützen
[4]. Bislang war die Telemedizin jedoch auf die Zusendung und
Auswertung von Befunden fokussiert. So erlauben elektronisch versandte Röntgenbilder
[5] sowie die Anfertigung und Zusendung von Smartphonebildern der Hand eine zuverlässige
Behandlung und Nachuntersuchung [6]. Der technische Fortschritt mit flächendeckender Versorgung mit Computern, Tablets
und schnellem Internet macht die Durchführung einer Videosprechstunde für die Hand
problemlos möglich [7]. Die Qualität der Bilder und Videos in Echtzeit eröffnet exzellente Möglichkeiten
der handchirurgischen Untersuchung und Behandlung über die Ära von COVID-19 hinaus.
Die Videosprechstunde erlaubt die direkte Interaktion zwischen Arzt und Patient auch
ohne körperlichen Kontakt. Dabei können ärztliche Fragen und Anweisungen während des
Gespräches und der Untersuchung direkt umgesetzt und betrachtetet werden. Trotz zunehmender
Nutzung telemedizinischer Verfahren gibt es bislang nach unserer Kenntnis keine wissenschaftlichen
Daten, die den vollständigen Untersuchungsablauf der Hand in der Videosprechstunde
mit dem klassischen Arzt-Patienten-Kontakt vergleichen.
Ziel dieser Studie ist, die handchirurgische Videosprechstunde mit der konventionellen
Handsprechstunde zu vergleichen.
Material und Methoden
Kollektiv und Datenerfassung
30 Untersuchungen an 60 Händen wurden 2-mal nacheinander durchgeführt; zuerst räumlich
getrennt über eine Videosprechstunde (VS) und anschließend mit direktem Kontakt (DK)
durch denselben Arzt. Ausgewählt und betrachtet wurden dabei 5 einseitige Pathologien
der Hand (Dupuytren D V Grad II, Digitus saltans D IV, subkapitale MHK-V-Fraktur (MHK:
Mittelhandknochen), eine Skaphoidpseudarthrose sowie eine Tendovaginitis de Quervain)
durch 6 Oberärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie einer deutschen Universitätsklinik.
Für die Videosprechstunde wurde der Aufbau genutzt, welcher bei der regelhaften Durchführung
der Videosprechstunde in der eigenen Klinik zum Einsatz kommt. Aufseiten des Probanden
bzw. Patienten wie auch des Arztes sind dies ein Computer mit 23-Zoll-Bildschirm,
HD-Webcam mit eingebautem Mikrofon und Audioausgabe (HP EliteDesk 800 G1, HP EliteDisplay
E232, CA, USA; Logitech C920 CA, USA). Die Übertragung von Video und Audio erfolgte
in Echtzeit, wobei beide Teilnehmer durch ein geteiltes Bild jederzeit sowohl sich
selbst wie auch den Gesprächspartner sehen konnten. Der Untersucher hatte zusätzlich
die Möglichkeit, Bildschirmfotos aufzunehmen (Snipping Tool, Microsoft, WA, USA) und
durch das Einzeichnen von Hilfslinien Winkelgrade zu messen.
Die Untersuchung erfolgte in einem Raum der eigenen Klinik ohne die Unterstützung
durch Angehörige oder medizinisches Personal. Für die Betrachtung der Machbarkeit
ohne Interferenz einer Untersucherabhängigkeit erfolgten jeweils beide Untersuchungen
durch denselben Arzt.
Sämtliche Untersuchungen wurden nach ausführlicher Aufklärung und Einwilligung durchgeführt.
Die Studie wurde von der zuständigen Ethikkommission unserer Klinik vorab genehmigt
(IRB #163/20).
Organisation der Untersuchung
Die Erstuntersuchung erfolgte zuerst per Videosprechstunde (VS), anschließend und
durch den gleichen Untersucher auf klassische Weise in direktem Kontakt (DK). Zur
Strukturierung von Untersuchung und Ergebniserfassung wurde ein systematischer Frage-
und Untersuchungsbogen ausgearbeitet und bei allen Untersuchungen verwendet (Anhang
1). Enthalten sind Auswahlfragen zur Anamnese, Skizzen zur Einzeichnung festgestellter
Befunde und Abfragen der Bewegungsumfänge der Gelenke. Des Weiteren wurden Auswahlfragen
für die Untersuchung der Kraft, für motorische Funktions- und Nerventests sowie für
Untersuchungsbefunde bei häufigen Krankheitsbildern gestellt. Für die zügige Dokumentation
von Normalbefunden bestand die Möglichkeit zur Auswahl vorbelegter Normalwerte.
Die Erhebung der handspezifischen Anamnese erfolgte direkt während der Videountersuchung.
Für die Inspektion, die Erhebung der Bewegungsumfänge und die nachfolgenden Untersuchungsabläufe
führte der Untersucher die geforderten Bewegungen und Manipulationen vor der Kamera
vor mit direkter Kontrolle und Anpassung an das Verhalten des zu Untersuchenden. Für
die Überprüfung der Kraft sowie der Bewegung unter Last in der Videosprechstunde wurde
eine dünnwandige 1,5-l-PET-Flasche mit ⅔-Füllung, für die Untersuchung der Griffarten
Spitz-, Schlüssel- und Grobgriff sowie der Fingerfunktion entsprechend dem Intrinsic-Test
ein Blatt Papier verwendet. Für die Überprüfung der Nerven wurden Bewegungsabfolgen
abgefragt, zum Ausschluss von Nervenkompressionssyndromen wurden Druckpunkte vorgeführt
und die korrekte Durchführung im Videobild kontrolliert. Häufige Krankheitsbilder
wurden separat abgefragt über typische Schmerzlokalisationen, Funktions- und Belastungstests.
Schließlich wurden
die Diagnose und das weitere Prozedere notiert.
Bei der folgenden klassischen Untersuchung (DK) wurde der Untersuchungsbogen in gleicher
Weise nochmals vollständig abgearbeitet. Für die Messung der Bewegungsumfänge stand
dem Untersucher zusätzlich ein Goniometer zur Verfügung.
Untersuchungsablauf (VS)
Die Untersuchung begann jeweils mit der Erhebung der Anamnese und der Schilderung
von Beschwerden. Aktiv nachgefragt wurden Auftreten und zeitlicher Verlauf der Beschwerden,
Unfälle oder vermehrte Handbelastungen, Intensität der Schmerzen (VAS) sowie andere
Beschwerden, z. B. von Ellenbogen und Halswirbelsäule. Die nach Aufforderung demonstrierten
beschwerdehaften Handareale wurden auf Handskizzen übertragen. Durch das Demonstrieren
beider Hände in die Kamera erfolgte eine Inspektion mit Notation von Schwellung, Rötung,
Hämatomen, Atrophie/Hypertrophie, Narben und Deformitäten. Befunde wurden durch aktives
Nachfragen komplettiert.
Die Palpation der Hände wurde durch den Probanden selbst durchgeführt nach Anweisung
und Vorführung des Untersuchers. Abgefragt wurden dabei Schmerzen, Überwärmung und
Sensibilität mit Abgrenzung von Dysästhesie und Anästhesie. Auch diese Befunde wurden
in die Skizzen der Hände übernommen.
Die weitere Untersuchung der Funktion erfolgte durch einen vom Untersucher vorgeführten
Bewegungsablauf. Beginnend mit der Vorführung der Pronation und Supination im Stand
mit angelegten Ellenbogen ([Abb. 1 a]), weiter im Sitzen mit der Dorsalextension und Palmarflexion sowie Ulnar-/Radialduktion
im Handgelenk wurden schließlich die Bewegungsausmaße der Daumen- und Fingergelenke
im Seitenvergleich aufgenommen und notiert.
Abb. 1 a Supination stehend mit am Körper angelegten Ellenbogen. b Dorsalextension der mit einer befüllten Flasche belasteten und pronierten Hand. c, d Halten und Spannen eines Blattes Papier im Spitzgriff zwischen Daumen und Zeigefinger.
Der Untersuchungsbogen bot neben den Abbildungen der Messpunkte sowohl Platz zur Dokumentation
der Bewegungsausmaße als auch vorgedruckte Normalwerte zum Ankreuzen.
Untersuchungen zur Kraft wurden unter Zuhilfenahme einer teilweise gefüllten Kunststoffflasche
durchgeführt. Vorzuführen waren jeweils mit der befüllten Flasche in der Hand und
bei gebeugtem Ellenbogen eine Dorsalextension mit proniertem Handgelenk ([Abb. 1 b]), eine Palmarflexion mit supiniertem Handgelenk, eine schnelle Pronation-Supination-Wechselbewegung
sowie ein kräftiges Zusammendrücken der Flasche. Unter voller Kraft sollte bei Letzterem
die dünnwandige Flasche eine Verformung aufweisen und/oder Verformungsgeräusche zu
hören sein. Unterteilt wurden die Kraftgrade in kräftig (3 – voll durchführbar), schwierig
(2 – Durchführung eingeschränkt), schwach (1 – Bewegungen nur ohne Flasche) und nicht
möglich (0).
Motorische Funktionstests wurden mit dem Daumen-Fingerkuppen-Kontakt und dem Spitz-,
Schlüssel-, Grob- und Hohlhandgriff überprüft. Ein seitengleich starker Spitz- und
Schlüsselgriff wurde durch das ruckartige Spannen eines Papierblattes zwischen Daumen
und Zeigefinger überprüft ([Abb. 1 c] und [d]). Der Grobgriff durch das Öffnen oder Schließen der Flasche, der Hohlhandgriff durch
Halten des Flaschendeckels in der hohlen Hand.
Globale Nerventests wurden in den Untersuchungsablauf integriert. Für den N. radialis
wurde die Streckung von Handgelenk und Finger bei gebeugtem Ellenbogen betrachtet,
für den R. profundus N. radialis die kraftvolle, schnelle Supination mit gefüllter
Flasche. Der N. medianus wurde beim Faustschluss, der Palmarflexion von Hand und Fingern
sowie bei der Opponierbarkeit von Daumen und Fingern IV und V geprüft, der N. ulnaris
beim Faustschluss beobachtet. Ergänzend wurden die Nn. medianus und ulnaris betrachtet
durch die mit der befüllten Flasche belastete Flexion der supinierten Hand und Überprüfung
mit dem Ochsner-Test (N. medianus) und Intrinsic-Test (N. ulnaris), der Letztere durch
Halten eines Blattes Papier zwischen dem IV. und V. Finger.
Die Palpation wurde symptomorientiert als punktueller Schmerzprovokationstest durchgeführt
mit Nachahmung der vom Untersucher vorgeführten Bewegungen und Druckpunkte. Pathologisch
gewertet wurden Schmerzauslösung oder pathologische Bewegungsmuster. Das Pronatorlogensyndrom
(a) wurde durch kraftvolle Pronation mit kräftiger Kompression des Unterarmes durch
die andere Hand überprüft, die Loge de Guyon (b) durch kräftigen Druck mit dem Daumen
einer Hand auf die Handgelenksbeugefalte der anderen Hand ulnarseitig. Der Karpaltunnel
(c) wurde durch einen (kurzen) Phalentest und das Hofmann-Tinel-Zeichen evaluiert,
der Sulcus ulnaris (d) durch Druck ebendort. Weitere Untersuchungen waren Schmerzen
beim kräftigen Faustschluss, beim belasteten Aufstützen mit der flachen Hand auf dem
Tisch oder Druckschmerz über dem Handgelenk palmar mittig und radial für die skapholunäre
Dissoziation (e) und skaphoidzentrierte Pathologien (f). Angeleitete Untersuchungen
waren ferner Druckschmerzen
über dem Sattelgelenk sowie bei Stauchen und Drehen des Daumens als angeleiteter
Grind-Test für die Rhizarthrose (g); Druckschmerz über dem 1. Strecksehnenfach und
ein positiver Finkelstein-Test unter Anleitung für die Tendovaginitis de Quervain
(h); ein Druckschmerz über dem Ringband mit provozierten Schmerzen bei fokussiertem
Druck und Extension des betroffenen Fingers bei Digitus saltans/Ringbandstenose (i),
eingeschränkte Extension trotz Unterstützung mit der gesunden Hand und Vernarbungen
der Handinnenfläche bei Morbus Dupuytren (j), Schmerzen, Schwellung und Aufklappbarkeit
im Daumengrundgelenk bei der ulnaren Seitenbandruptur/Skidaumen (k), Schmerzen und
Schwellung mit Verplumpung der Gelenkkonturen bei Arthrose (l), Synovialitis der MCP-Gelenke
mit Ulnardeviation der Finger, Streckdefizit und Schwanenhals- oder Knopflochdeformität
sowie Schmerzen und ggf. Fehlstellung bei Frakturen von Fingern (m), Metacarpale (n),
Carpale (o) oder des distalen Radius (p).
Auswertung
Die Auswertung der Untersuchung und Erstellung der Grafiken erfolgte mittels Graphpad
Prism (v 8.4.2, Graphpad Software LLC, CA, USA). Für die Bewegungsumfänge wurden für
die Messungen per Video (VS), direkt (DK) sowie für die Differenz eine deskriptive
Statistik durchgeführt mit Mittelwert, Median, Standardabweichung und -fehler sowie
Konfidenzlevel. Das Ausmaß der Übereinstimmung wurde mittels Spearman-Korrelation
bestimmt, das Signifikanzniveau mit p < 0,05 festgelegt. Für Skizzen, Kraft, Funktions-
und Provokationstests wurde eine deskriptive und qualitative Auswertung gewählt.
Ergebnisse
Bei 30 Untersuchungen an beiden Händen jeweils per Videosprechstunde und mit direktem
Kontakt wurden insgesamt 4560 Einzelwerte des Bewegungsumfanges erhoben.
Es zeigte sich eine signifikante (p < 0,0001) und hohe Korrelation (R = 0,995, Konfidenzintervall
0,9946 – 0,9954) zwischen den Untersuchungsmethoden ([Abb. 2]).
Abb. 2 Korrelation von mit VS und DK erfassten Bewegungsumfängen an der Hand.
Dabei zeigten bei der videobasierten Untersuchung 84,6% der Messwerte eine Abweichung
von weniger als 5° im Vergleich mit der Untersuchung im direkten Kontakt, 92,8% weniger
als 10° Abweichung ([Abb. 3]).
Abb. 3 Verteilung der Abweichung erfasster Bewegungsumfänge zwischen videobasierter und
persönlicher Messung.
Bei der Erfassung von Anamnese, Schmerzstärke und -lokalisation zeigten sich die in
der videobasierten Untersuchung erfassten Befunde deckungsgleich mit denen in der
persönlichen Untersuchung (30 von 30 Untersuchungen). Unterschiede bei der Inspektion
der Hände fanden sich bei der Erfassung von Narben. Während bei der persönlichen Untersuchung
bei 18 Handuntersuchungen Narben notiert wurden, konnten bei der videobasierten Untersuchung
Narben in 8 (44,5%) Handuntersuchungen erfasst werden, wobei nur 2 (11,1%) eine vollständige
Erfassung zeigten.
Störungen der Sensibilität und Veränderungen der Bemuskelung (Atrophie/Hypertrophie)
im Seitenvergleich waren bei den untersuchten Händen nicht vorhanden und wurden deckungsgleich
nicht erfasst.
Die vorgeführten motorischen Funktionstests wie auch die vom Untersuchungsbogen vorgegebenen
Provokationstests zeigten bei identischer Abfrage ebenfalls eine Übereinstimmung mit
deckungsgleicher Notierung. Darüber hinausgehende Untersuchungen, wie die Untersuchung
der Kraft mit Einteilung nach Janda oder auch stärker differenzierende Provokationstests,
waren in der Videoübertragung mit den zur Verfügung gestellten Hilfsmitteln nicht
möglich.
Die einseitigen Pathologien mit ihren krankheitsspezifischen Befunden, einer eingeschränkter
Fingerextension und narbigen Einziehung der Haut bei Morbus Dupuytren (j), eine springende
Extension des Ringfingers mit Druckschmerz über dem Ringband (i), Schmerzen, Schwellung
und Einschränkung des Bewegungsumfanges bei subkapitaler Metacarpalefraktur (n), Schmerzen
beim Aufstützen bei veralteter Skaphoidfraktur (f) sowie Druckschmerz über der Strecksehnenscheide
und ein positiver Finkelstein-Test bei Tendovaginitis de Quervain (h), wurden in allen
Fällen identifiziert und sowohl in der in der Videountersuchung als auch in der persönlichen
Untersuchung diagnostiziert.
Diskussion
Die Einführung einer Videosprechstunde in der Handchirurgie während des Lockdowns
in der COVID-19-Pandemie war eine Notwendigkeit zur kontaktlosen Patientenversorgung.
Für die Einholung einer Fach- oder Zweitmeinung über telemedizinische Konsile wurde
bereits der Nutzen bestätigt [8] und die Möglichkeit der Durchführung auch im Rahmen einer orthopädischen Sprechstunde
aufgezeigt [9]. Mit Fotografien von Smartphones können Fingerstellung und Fingerbeweglichkeit ähnlich
genau gemessen werden wie mit einem Goniometer durch den Untersucher [7]. Unklar war bislang, ob auch handchirurgische Patienten suffizient über die Videosprechstunde
erfasst, diagnostiziert und behandelt werden können. Für den 1. Teil dieser Anforderung,
der Erfassung, Untersuchung und klinischen Diagnosestellung dient diese Machbarkeitsstudie.
Es sollte geklärt werden, ob bei der Untersuchung in der Videosprechstunde die gleichen
Befunde wie in bei der Untersuchung durch den Arzt in direktem Kontakt erhoben werden
können. Diesbezüglich wurde ein Ansatz mit identischem Untersucher je Befundkonstellation
gewählt. Um eine Änderung des Befundes über die Zeit zu verhindern, erfolgte die Untersuchung
jeweils im direkten Anschluss. Dies hat die Fehlerquelle, dass Befunde aus der 1.
Untersuchung noch klar gegenwärtig sind. Unter der Annahme, dass die Videountersuchung
der Untersuchung mit direktem Kontakt unterlegen ist, wurde deshalb jeweils zuerst
die Videountersuchung und anschließend die direkte Untersuchung durchgeführt. Auch
der fehlende Wechsel der Untersucher zwischen videobasierter und direkter Untersuchung
stellt eine Fehlerquelle im Sinne der Interrater-Reliabilität dar, die nur gemindert
wurde durch 6 verschiedene Untersucher je Krankheitsbild. Somit schränken, nach Einschätzung
der Autoren, die aufgeführten
Begrenzungen die Aussagekraft dieser Studie nicht maßgeblich ein, bei der Möglichkeiten
und Problembereiche erkannt und eingeschätzt werden sollten.
Um beide Untersuchungsarten geordnet miteinander vergleichen zu können, wurde ein
strukturiertes Protokoll mit den Untersuchungen der Handchirurgie erstellt. Neben
der Anamnese waren dies insbesondere die Inspektion beider Hände, die Messung der
Bewegungsumfänge aller Gelenke an der Hand, die Einschätzung der motorischen und sensiblen
Funktion sowie die manuelle Untersuchung bzw. in der VS die angeleitete Untersuchung
durch den Patienten selbst.
Bei der Erhebung der Anamnese und der Beschreibung der Beschwerden zeigte sich durch
die technische Übermittlung keine Einschränkung. Festzuhalten ist jedoch, dass nur
Befunde an der Hand festgehalten wurden. Obwohl Patientenhabitus und -verhalten auch
am Bildschirm automatisch mit eingeschätzt werden, kann nicht ausgeschlossen werden,
dass wesentliche Befunde, bspw. der anderen Extremitäten, übersehen werden können.
Bei der Inspektion fanden sich hingegen deutliche Unterschiede zwischen der Untersuchung
per Videosprechstunde und der persönlichen Begutachtung. Methodenimmanent fehlt ohne
die Palpation eine suffiziente Einschätzung vieler Faktoren, wie Hautfeuchte, Turgor
oder auch der Wärmeverteilung. Aber auch bei den abgefragten und fassbaren Parametern
zeigte sich eine schlechte Sichtbarkeit von kleinen Hautveränderungen wie älteren
Narben. Während die Einziehungen beim Morbus Dupuytren sicher digital gesehen werden
können, werden ältere Narben und Hauteffloreszenzen nur unvollständig wahrgenommen.
Durch aktives Nachfragen kann eine höhere Genauigkeit erreicht werden. Möglicherweise
kann eine höhere Auflösung der Kamera (als die von uns verwendete HD-Auflösung) bessere
Ergebnisse erzielen. Auch sind eine gute Ausleuchtung sowie ein neutraler Hintergrund,
typischerweise die Oberbekleidung des Patienten, hilfreich.
Die unvollständig erfassten Narben hatten in den untersuchten Krankheitsbildern dieser
Studie keine Auswirkungen auf die Stellung der Diagnose. Trotzdem sollte diese Einschränkung
nicht unterschätzt werden, da vorbestehende Narben z. B. bei der Wahl der Schnittführung
und damit auch bei der Aufklärung für operative Maßnahmen berücksichtigt werden sollten.
Als Konsequenz dieser Studie sollten Narben und Hautveränderungen neben der reinen
Beobachtung zusätzlich erfragt werden.
Die für die Handchirurgie wichtige Bestimmung der Bewegungsumfänge an Hand und Fingern
zeigten weitgehende Übereinstimmung zwischen videobasierter und persönlicher Untersuchung.
Während Scott et al. (2019) [10] bei der visuellen Einschätzung der Bewegungsumfänge an der Hand valide, jedoch vom
Untersucher abhängige und damit fehleranfällige Ergebnisse fand, und auch Smeragliuolo
et al. (2016) [11] vor allem bei der Messung von Pronation und Supination auf Videobildern (auch computerunterstützt)
von Schwierigkeiten berichten, zeigten Zhao et al. (2019) [7], dass die Messung der Fingerstellung und -beweglichkeit mit dem Smartphone derjenigen
mit einem Goniometer ebenbürtig sein kann.
Unsere Ergebnisse zeigen eine hohe Korrelation der erfassten Bewegungsumfänge in den
Untersuchungen per Video und im direkten Kontakt. Insbesondere zeigte sich, dass durch
eine strukturierte Begutachtung beider Hände auch kleine Unterschiede zwischen den
Seiten augenfällig erscheinen. Bei der Untersuchung der Pronation und Supination fanden
sich die hier präsentierten gut vergleichbaren Werte erst nach Standardisierung des
Messverfahrens in den Voruntersuchungen. So müssen die Probanden zur Messung der Pro-
und Supination aufstehen, den Ellenbogen an die Körperseite legen und diesen 90° gebeugt
halten. Bei auf dem Computerbildschirm platzierter Kamera kommen hierdurch die Hände
gut in das Sichtfeld bei gleichzeitig kontrollierbarer Stellung des Ellenbogengelenkes.
Bei der Messung von Extension und Flexion im Handgelenk zeigten sich ebenfalls erst
nach Erfahrungen der Voruntersuchung valide Messergebnisse. Durch vorgeführte Bewegungen
zum Phalen- sowie zum umgekehrten
Phalen-Test wird der Patient animiert, beide Unterarme in der korrekten Stellung
ohne Rotation in der Sichtachse zu halten. So sind dann auch hier bereits kleine Seitendifferenzen
augenfällig. Grundsätzlich hat sich gezeigt, dass Patienten quasi „automatisch“ Korrekturen
der Handstellung vornehmen, wenn diese vom Untersucher vorgeführt werden. Dies erlaubt
die korrekte und zügige Untersuchung in einem flüssigen Ablauf und eine problemlose
„Korrektur“ der gezeigten Gelenkstellungen. Bezüglich einer schnellen Befunderhebung
hat sich besonders die Möglichkeit des schnellen Ankreuzens der Normalbefunde des
jeweiligen Gelenkes bewährt. Die erhebliche Zeitersparnis könnte jedoch das Risiko
einer Fehleinschätzung durch suggerierte Normwerte bergen. In dieser Untersuchung
fand sich keine offensichtliche Fehleinschätzung im Vergleich; da der Untersucher
den gleichen Bogen jedoch auch für die Untersuchung in direktem Kontakt verwendete,
kann ein „beidseitiger“ Fehler nicht
ausgeschlossen werden. Auch kann die hohe Korrelation dadurch beeinflusst werden,
dass die Gelenkbeweglichkeit in beiden Untersuchungsformen meist in 5°- und 10°-Schritten
abgestuft notiert wurde.
Die Erfassung der Motorik und Kraft zeigte ebenfalls eine gute Übereinstimmung in
den Untersuchungsbögen. Da beide mit den gleichen Hilfsmitteln durchgeführt wurden,
war ein wesentlicher Unterschied nicht zwingend zu erwarten. Geschmälert wird das
Ergebnis jedoch durch eine fehlende Einstufung der Kraft nach Janda. Während andere
Autoren [12] die Verwendung haushaltsüblicher Gegenstände, wie Milchpackungen und Weinflaschen
unterschiedlicher Größe propagieren, zeigten sich diese in unseren Untersuchungen
nicht praktikabel. Den Einsatz einer einzelnen PET-Flasche hingegen befürworten wir,
da diese tendenziell eine orientierende Einschätzung über das Vorhandensein kraftvoller
Bewegungen, von Einschränkungen und Paresen geben kann. Für eine suffiziente statistische
Einschätzung zeigte sich in der hier gewählten Untersuchung jedoch eine zu geringe
Fallzahl.
Auch bei der Durchführung der Funktions- und Provokationstests zeigte sich eine gute
Machbarkeit in der Videountersuchung. So wurden die für die jeweilig präsentierten
Krankheitsbilder typischen Befunde regelhaft und analog in beiden Untersuchungsformen
erkannt. Zugute kam, dass jeweils eine gesunde Extremität der Gegenseite zum Vergleich
vorgezeigt werden konnte. Auch hier bedarf es jedoch weiterer Untersuchungen zur statistischen
Absicherung der Ergebnisse.
Schlussfolgerung
In der Videountersuchung als Form der Telemedizin können Anamnese und Lokalisation
der Beschwerden, Bewegungsumfänge aller Gelenke der Hand mit einer hohen Korrelation
zur konventionellen Untersuchung vor Ort erfasst werden. Bei der Inspektion sind vor
allem kleine Hautveränderungen und Narben bislang nur unzureichend diagnostizierbar.
Die Untersuchung auf Kraft mittels einfacher Hilfsmittel wie auch Funktions- und Provokationstests
sind als orientierende Untersuchungen gut reproduzierbar. Die Handchirurgie in der
Videosprechstunde bedarf weiterer Betrachtungen. Sie wird die traditionelle Fachsprechstunde
nicht ersetzen, zeigt jedoch das Potenzial künftiger Anwendung auch über die Ära von
COVID-19 hinaus.
Anmerkung
Die Autoren K. Welle und S. Täger haben gleichermaßen zu diesem Projekt beigetragen
und sollten als Koerstautoren betrachtet werden. Die Autoren T. Jansen und K. Kabir
haben gleichermaßen zu diesem Projekt beigetragen und sollten als Koletztautoren betrachtet
werden. K. Welle und K. Kabir sind die korrespondierenden Autoren.