IV Leitlinie
1 Einleitung
1.1 Zielsetzung, Adressaten Stand
Verbesserung und Vereinheitlichung von Prävention, Schwangerenvorsorge, Betreuung
unter und nach der Entbindung unter Berücksichtigung der besonderen Risiken von Schwangeren
mit Übergewicht oder Adipositas durch evidenzbasierte Empfehlungen für den ambulanten
und stationären Bereich. Adressaten der Leitlinie sind Fachärzte/innen für Gynäkologie
und Geburtshilfe, Innere Medizin, Allgemeinmedizin, Endokrinologie und Diabetologie,
Hebammen, Neonatologen/innen sowie zur Information für andere an der Versorgung beteiligte
Personengruppen wie z. B. Ernährungsberater/innen, Psychologen/innen und andere mit
der Gesundheit von Schwangeren involvierte Berufsgruppen. Eine auf Basis der Vollversion
erstellte Patientinnen-Empfehlung soll Schwangeren als Informationsquelle dienen.
1.2 Definition und Epidemiologie
Adipositas ist definiert als eine über das Normalmaß hinausgehende Vermehrung des
Körperfetts. Berechnungsgrundlage für die Gewichtsklassifikation ist der Körpermassenindex,
der sog. Body-Mass-Index (BMI). Der BMI ist der Quotient aus Gewicht und Körpergröße
zum Quadrat (kg/m2). Die folgenden Angaben zum BMI beziehen sich grundsätzlich auf den BMI vor der Schwangerschaft.
Die letzte Erhebung des Robert Koch-Institut (DEGS1) gibt die Rate von Adipositas
bei 18 – 29-jährigen Frauen mit 9,6%, bei 30 – 39 Jahren mit 17,9% und bei 40 – 49
Jahren mit 18,6% an. Die Daten der Perinatalerhebung von 2017 zeigen eine Adipositasrate
von 14,69% unter den Schwangeren in Deutschland ([Tab. 6]).
Table 6 Prävalenz von Übergewicht oder Adipositas bei deutschen Schwangeren, Pränatalerhebung
2017.
|
2017
|
2016
|
|
n
|
%
|
n
|
%
|
|
alle Schwangeren
|
n = 761 176
|
n = 758 614
|
|
BMI bei Erstuntersuchung
|
|
< 20
|
92 510
|
12,15
|
94 199
|
12,42
|
|
20 – < 25
|
339 435
|
44,59
|
342 377
|
45,13
|
|
25 – < 30
|
167 015
|
21,94
|
164 154
|
21,64
|
|
≥ 30
|
111 840
|
14,69
|
107 499
|
14,17
|
|
ohne verwertbare Angabe
|
50 376
|
6,62
|
50 385
|
6,64
|
2 Präkonzeptionelle Betreuung
2.1 Präkonzeptionelle Lebensstilintervention
Die vorliegenden Studien lassen den Rückschluss zu, dass ein Lebensstil mit vermehrter
Bewegung und adäquater Ernährung präkonzeptionell positive Auswirkungen sowohl auf
die Schwangerschaft als auch auf die Entbindung/Geburt und die Zeit danach haben kann.
Evidenzbasierte Empfehlung 2.E1
Evidenzgrad 1+
Empfehlungsgrad B
Konsensusstärke +++
Adipöse Frauen mit Kinderwunsch sollten zu einer präkonzeptionellen Lebensstilintervention
motiviert werden.
2.2 Folsäuresupplementierung
Frauen mit Adipositas haben ein erhöhtes Risiko für Neuralrohrdefekte beim Kind. Interventionsstudien,
welche die präventive Wirkung einer höheren Folsäuredosis für Frauen mit Adipositas
im Hinblick auf Neuralrohrdefekte beim Kind belegen, liegen nicht vor. Daher wird
die in der irischen und der englischen Leitlinie empfohlene Supplementierung von 5 mg
Folsäure/Tag für adipöse Frauen vor und in der Schwangerschaft nicht unterstützt.
Evidenzbasierte Empfehlung 2.E2
Evidenzgrad 1+
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke +++
Frauen mit Adipositas, die eine Schwangerschaft planen, sollen ebenso wie alle anderen
Frauen, die eine Schwangerschaft planen, zusätzlich zu einer folatreichen/ausgewogenen
Ernährung ein Supplement mit 400 µg Folsäure/Tag einnehmen.
Konsensbasierte Empfehlung 2.E3
Expertenkonsens
Empfehlungsgrad B
Konsensusstärke +
Nach bariatrischer OP sollten 800 µg Folsäure substituiert werden.
Evidenzbasierte Empfehlung 2.E4
Evidenzgrad 1+
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke +++
Die Supplementierung soll mindestens 4 Wochen vor der Konzeption beginnen und bis
zum Ende des 1. Schwangerschaftsdrittels fortgeführt werden.
Evidenzbasierte Empfehlung 2.E5
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke +
Frauen mit Adipositas sollen gezielt zur Folsäuresupplementierung bereits in der Phase
des Kinderwunsches und in der Frühschwangerschaft beraten werden.
2.3 Umstellung der Medikation
Adipositas geht häufig mit chronischen Erkrankungen einher, die vor der Schwangerschaft
abgeklärt werden sollen. Hierzu zählen z. B. das Vorhandensein eines Hypertonus, einer
Hyperlipidämie, eines Diabetes mellitus sowie eines PCO-Syndroms.
Konsensbasierte Empfehlung 2.E6
Expertenkonsens
Empfehlungsgrad B
Konsensusstärke +++
Eine bestehende Medikation sollte vor der Schwangerschaft interdisziplinär überprüft
und ggfs. umgestellt werden.
2.4 Beratung nach adipositas- und metabolisch-chirurgischen Eingriffen
Unmittelbar nach einem adipositaschirurgischen oder metabolischen Eingriff sollte
in der Phase des Gewichtsverlustes in den ersten 12 Monaten eine Schwangerschaft vermieden
werden, da in der Phase der Gewichtsreduktion potenziell die Gefahr der Minderversorgung
der Schwangeren und des Fetus besteht.
Insbesondere nach malabsorptiven Eingriffen ergibt sich die Frage der geeigneten Antikonzeption,
Studien zur Resorption oraler Antikonzeptiva fehlen. Daher ist nach den genannten
Eingriffen die orale Antikonzeption nicht zuverlässig, sodass den Patientinnen andere
Methoden empfohlen werden sollten. Eine Beratung zur (sicheren) Verhütung soll durch
den behandelnden Gynäkologen erfolgen.
Evidenzbasierte Empfehlung 2.E7
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad B
Konsensusstärke +++
Bei Patientinnen im gebärfähigen Alter sollte nach einem adipositaschirurgischen oder
metabolischen Eingriff eine sichere Empfängnisverhütung über die Phase der Gewichtsreduktion
durchgeführt werden.
2.5 Abklärung von Komorbiditäten
Übergewicht und Adipositas gehen häufig mit Komorbiditäten einher, die bei Kinderwunsch
präkonzeptionell erfasst und adäquat behandelt werden sollten. Das betrifft insbesondere
Diabetes. Die Zahl der erst in der Schwangerschaft im Rahmen des Screenings auf Gestationsdiabetes
entdeckten Fälle von Typ-2-Diabetes ist steigend. Das Vorgehen zur Diagnostik von
Diabetes ist beschrieben in der Praxis-Leitlinie der Deutschen Diabetes Gesellschaft.
Das polyzystische Ovarsyndrom (PCOS) mit der typischen Insulinresistenz tritt bei
übergewichtigen Frauen gehäuft auf, bei Kinderwunsch wird mit Metformin behandelt.
Zum Vorgehen bei Eintritt einer Schwangerschaft unter Metformin bei PCOS gibt es eine
ausführliche Stellungnahme der DGGG.
Als weitere adipositasassoziierte Komorbidität ist Hypertonus zu bedenken. Es sollte
präkonzeptionell eine Umstellung primär auf Alpha-Metyl-Dopa oder Betablocker oder
Nifidipin erfolgen.
Evidenzbasierte Empfehlung 2.E8
Evidenzgrad 2++
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke +++
Präkonzeptionell soll eine Abklärung und adäquate Behandlung von Komorbiditäten erfolgen.
3 Besondere Aspekte in der Schwangerenvorsorge
3.1 Adipositas und Präeklampsie
Die Adipositas stellt einen bedeutenden Risikofaktor für Präeklampsie dar, ein BMI
≥ 30 kg/m2 bedingt eine Risikoerhöhung um den Faktor 3 – 5.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E9
Evidenzgrad 2+
Empfehlungsgrad B
Konsensusstärke ++
Eine individuelle Risikokalkulation für Präeklampsie sollte übergewichtigen Schwangeren
mit einem BMI ab 25 kg/m2 11 + 0 und 13 + 6 SSW angeboten werden.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E10
Evidenzgrad 1+
Empfehlungsgrad B
Konsensusstärke ++
Bei einem individuell kalkulierten Präeklampsierisiko > 1 : 100 sollte eine Gabe von
Acetylsalicylsäure 150 mg/Tag zur Reduktion der Präeklampsierate vor 37 SSW erfolgen.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E11
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad B
Konsensusstärke ++
Bei einem BMI > 35 kg/m2 sollte eine Gabe von Acetylsalicylsäure 150 mg/Tag ab 11 + 0 SSW erfolgen.
3.2 Vitamin-D-Substitution
Die fetale Versorgung mit Vitamin D, Kalzium und Phosphat wird bestimmt durch den
maternalen Status und die plazentare Funktion. Bis zu 25% der Schwangeren sind inadäquat
mit Vitamin D versorgt. Die augenblicklich verfügbaren Empfehlungen für die Vitamin-D-Zufuhr
während der Schwangerschaft sind kontrovers, eine Unterteilung nach BMI erfolgt nicht.
Studien zum Einfluss der maternalem 25-OHD-Spiegel auf die Knochenmasse der Nachkommen
kommen zu uneinheitlichen Ergebnissen, es überwiegen jedoch Studien, die eine Assoziation
von Vitamin-D-Mangel mit niedriger Peak Bone Mass der Kinder bestätigt. Metaanalysen
und Reviews von Beobachtungsstudien weisen darauf hin, dass inadäquate Vitamin-D-Versorgung
(< 30 ng/dl) mit erhöhtem Risiko für PTB und SGA verbunden ist, abhängig von der Vitamin-D-Konzentration
und Schwangerschaftswoche. Es besteht keine Assoziation zur GDM-Prävalenz.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E12
Evidenzgrad 3
Empfehlungsgrad 0
Konsensusstärke +++
Bei Schwangeren kann im Einzelfall eine Vitamin-D-Supplementation bei fehlender bzw.
verminderter Eigensynthese indiziert sein. Die Empfehlungen schwanken zwischen 200
bis 600 UL/Tag. Eine Dosierungsempfehlung bei Adipositas liegt nicht vor.
3.3 Thromboseprophylaxe
Adipositas stellt einen Risikofaktor für venöse Thromboembolie in der Schwangerschaft
dar, und auch ohne weitere Risikofaktoren wie Z. n. Thrombose oder Thrombophilien
ist die Kategorie „mittleres Risiko“ anzuwenden. Das Risiko einer venösen Thromboembolie
ist bereits im 1. Trimenon erhöht und zeigt eine gleich hohe Rate in allen Trimena.
Das höchste Risiko besteht in der 1. postnatalen Woche aufgrund peripartal eintretender
Gefäßschäden.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E13
Evidenzgrad 2+
Empfehlungsgrad B
Konsensusstärke ++
Übergewichtige Schwangere mit zusätzlichen 2 oder mehr Risikofaktoren sollten zusätzlich
zur nichtmedikamentösen VTE-Prophylaxe eine medikamentöse VTE-Prophylaxe erhalten
für die Dauer des erhöhten Risikos und im Wochenbett (bis 6 Wochen postpartal).
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E14
Evidenzgrad 2+
Empfehlungsgrad B
Konsensusstärke +++
Übergewichtige Frauen, die keine antepartale medikamentöse Prophylaxe erhalten haben,
aber per Kaiserschnitt entbunden wurden und/oder eine positive Familienanamnese oder
einen zusätzlichen Risikofaktor haben, sollten neben der physikalischen auch eine
medikamentöse postpartale Prophylaxe erhalten.
3.4 GDM-Diagnostik
Schwangere mit Übergewicht haben ein erhöhtes Risiko, einen Gestationsdiabetes zu
entwickeln. Dabei steigt das Risiko, unabhängig von anderen Risikofaktoren wie Alter,
Gewichtszunahme in der Schwangerschaft, sozioökonomischer Status, Parität und präexistente
oder schwangerschaftsinduzierte Hypertonie, mit steigendem BMI an und ist am höchsten
in extrem übergewichtigen hispanischen Bevölkerungsgruppen (RR 3,4). Aufgrund des
hohen Risikos für Glukosestoffwechselstörungen und der zunehmenden Prävalenz von Typ-2-Diabetes
bei jungen Frauen ist eine Abklärung bereits im 1. Trimenon zu empfehlen. Zu Screening
und Diagnostik, auch in der Frühschwangerschaft bei Risikogruppen siehe AWMF 057/008.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E15
Evidenzgrad 2++
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke +++
Übergewichtige Frauen haben ein erhöhtes Risiko für Gestationsdiabetes und unerkannten
Typ-2-Diabetes und sollen bereits im 1. Trimenon eine Abklärung einer Glukosestoffwechselstörung
empfohlen bekommen.
3.5 Effizienz der pränatalen Diagnostik
Maternale Adipositas und deren Ausmaß ist ein entscheidender Einflussfaktor auf Qualität
der Ultraschalluntersuchung und der gesamten pränatalen Diagnostik und Überwachung.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E16
Evidenzgrad 2++
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke +++
Bei unvollständiger transabdominaler Ersttrimester-Ultraschalluntersuchung mit 12 – 14 SSW
soll versucht werden, diese durch eine transvaginale Untersuchung zu komplettieren.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E17
Evidenzgrad 2++
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke +++
Bei unvollständiger Ersttrimester-Ultraschalluntersuchung mit 12 – 14 SSW soll kurzfristig
(innerhalb 1 – 2 Wochen) eine erneute Untersuchung erfolgen, wobei in Abhängigkeit
von der jeweiligen Ausgangssituation ein mehr erfahrener Untersucher hinzugezogen
sowie ein qualitativ hochwertiges Ultraschallgerät genutzt werden sollen. Falls erforderlich,
soll auch diese Untersuchung transvaginal erfolgen.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E18
Evidenzgrad 2++
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke ++
Bei der Risikokalkulation mittels biochemischer Verfahren (PAPP-A, free β-HCG, AFP,
PlGF etc.) soll entsprechend dem maternalen Gewicht eine Korrektur vorgenommen werden.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E19
Evidenzgrad 2++
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke +++
Wenn bei wiederholter Blutentnahme die Fraktion der zellfreien fetalen DNA (cffDNA)
weiterhin für eine Auswertung zu gering sein sollte, soll der Schwangeren eine invasive
Diagnostik empfohlen werden, alternativ eine weiterführende sonografische Organdiagnostik
mit 12 – 14 SSW, da bei in dieser Gruppe das Risiko einer Trisomie 13, Trisomie 18
und Triploidie erhöht ist.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E20
Evidenzgrad 2+
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke +++
Die Schwangere soll über die eingeschränkte Aussagekraft der jeweiligen Ultraschalluntersuchung
aufgeklärt werden, ebenso über die längere Zeitdauer und erforderliche Wiederholungsuntersuchungen.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E21
Evidenzgrad 2+
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke +++
Bei unvollständiger Zweittrimester-Ultraschalluntersuchung mit 18 + 0 – 21 + 6 SSW
soll kurzfristig mit 22 + 0 – 23 + 6 SSW eine erneute Untersuchung erfolgen, wobei
in Abhängigkeit von der jeweiligen Ausgangssituation ein mehr erfahrener Untersucher
hinzugezogen sowie ein qualitativ hochwertiges Ultraschallgerät genutzt werden soll.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E22
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad B
Konsensusstärke ++
In Anbetracht des erhöhten Risikos adipöser Schwangerer, insbesondere bei Nulliparität,
bezüglich des Auftretens hypertensiver Schwangerschaftserkrankungen (Gestationshypertonie
sowie Präeklampsie) und fetaler Wachstumsrestriktion bei materno-utero-plazentarer
Dysfunktion sollte zur Risikoabwägung eine dopplersonografische Untersuchung der beiden
Aa. uterinae mit 20 – 24 SSW angeboten werden.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E23
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke ++
Bei einer inkomplett durchgeführten Untersuchung bzw. nicht ausreichender Darstellbarkeit
fetaler Strukturen und Organe soll dies dokumentiert und der Schwangeren kommuniziert
werden.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E24
Evidenzgrad 2−
Empfehlungsgrad C
Konsensusstärke ++
In Einzelfällen kann nach Ausschöpfen aller sonografischer Möglichkeiten eine fetale
Magnetresonanztomografie indiziert sein.
Erhöhte Frequenz fetaler Anomalien bei maternaler Adipositas
Chromosomale Aberrationen treten bei maternaler Adipositas nicht gehäuft auf. Für
die pränatale Diagnostik relevant ist aber das gehäufte Auftreten nicht chromosomal
bedingter Fehlbildungen des Feten bei adipösen, im geringeren Ausmaß bereits auch
bei übergewichtigen Schwangeren, es betrifft vor allen Herzfehlbildungen und Neuralrohrdefekt.
Die Häufigkeit ihres Auftretens korreliert mit dem Ausmaß der Adipositas bzw. dem
BMI. Der pathophysiologische Mechanismus, der für das zunehmend häufige Auftreten
nicht chromosomal bedingter Fehlbildungen bei steigendem BMI bei übergewichtigen und
adipösen Frauen verantwortlich ist, ist unklar. Diskutiert werden ein maternaler Hyperinsulinismus
sowie ein relativer Folsäuremangel.
Allerdings führt – im Gegensatz zu Schwangeren mit vorbestehendem Diabetes mellitus
– eine Erhöhung der Folatzufuhr bei adipösen Schwangeren, die täglich mindestens 400 µg
Folsäure zu sich nehmen, zu keiner oder nur zu einer marginalen Senkung der Häufigkeit
von Neuralrohrdefekten.
Physikalische Limitationen des Ultraschalls maternaler Adipositas
Der maternale BMI korreliert mit dem Fettgewebe des Bauches und somit der Einschränkung
der Bildqualität bzw. Sichtbedingungen beim transabdominalen Ultraschall. Die schlechtere
Bildqualität erschwert in allen Trimestern der Schwangerschaft die Ultraschalluntersuchung
sehr. Dies gilt im besonderen Maße für die fetale Echokardiografie, bei der nicht
nur die Qualität des 2-dimensionalen Bildes schlechter ist, sondern mehr noch die
der Farb-Doppler-Darstellung aufgrund der geringeren Signalintensität.
Im 1. Trimester dient die sonografische Messung der Scheitel-Steiß-Länge und/oder des biparietalen
Durchmessers der Überprüfung des rechnerisch ermittelten Gestationsalters. Aufgrund
der häufiger vorliegenden Menstruationsstörungen ist dieses bei adipösen Frauen besonders
wichtig. Die erfolgreiche Darstellung und vorschriftsmäßige Messung der Nackentransparenz
gelingt mit zunehmender Bauchdeckendicke immer seltener und erfordert mehr Zeit.
Auch im 2. Trimester (18 – 22 SSW) gelingt es mit zunehmendem BMI und Dicke des abdominalen Panniculus
immer weniger, die Organe komplett darzustellen. Die Entdeckungsraten fetaler Fehlbildungen
durch die Ultraschalluntersuchung im 2. Trimester sinken mit steigendem maternalem
BMI im 2. Trimester erheblich und sind in der Gesamtgruppe der adipösen Schwangeren
(BMI ≥ 30 kg/m2) bis zu 20% niedriger als bei normalgewichtigen Schwangeren. Bei der „genetischen
Sonografie“ ist die Darstellbarkeit der relevanten „soft marker“, wie Nackendicke
> 5 mm, echogener Papillarmuskel, echogener Darm, renale Pyelektasie, Nasenknochen,
pränasale Hautdicke, in Abhängigkeit vom Grad der Adipositas zwischen 20 bis 50% reduziert,
sodass bei schwerer Adipositas und hohem Ausgangsrisiko von einer „genetischen Sonografie“
abzuraten ist.
Ultraschalluntersuchungen im 3. Trimester dienen überwiegend der Überwachung des fetalen Wachstums und Zustandes. In einigen
Studien ist die Genauigkeit der Gewichtsschätzung bei maternaler Adipositas abhängig
von deren Ausmaß reduziert [93], in mehreren aktuellen jedoch nicht. Grundsätzlich
sollte bei adipösen Schwangeren die sonografische Gewichtsschätzung von erfahrenen
Untersuchern durchgeführt werden.
Auch die invasive pränatale Diagnostik (Chorionzottenbiopsie, Amniozentese und Fetalblutentnahme) und Eingriffe zur fetalen
Therapie gestaltet sich schwieriger und erfordert häufiger mehrere Versuche und Repunktion.
Biochemische Analysen
Die Konzentration biochemischer Marker, die im Rahmen von Screening-Programmen bezüglich
Aneuploidie, Neuralrohrdefekt und gestörter Plazentation (Präeklampsie, IUGR) genutzt
werden, wie PAPP-A, PlGF, β-hCG, AFP, uE3, Inhibin nimmt mit zunehmendem maternalen
Gewicht signifikant ab; gleiches gilt für Schwangere mit einem Diabetes mellitus.
Die diagnostische Sicherheit der zellfreien DNA-Analyse (cfDNA Screening, cfDNA Testing)
im maternalen Blut (nichtinvasives pränatales Testing [NIPT]) anhand der im maternalen
Blut zirkulierenden zellfreien fetalen DNA (cffDNA) ist bei ausgeprägter maternaler
Adipositas eingeschränkt. Mit steigendem maternalen Gewicht nimmt der Anteil der cffDNA
stetig ab, bei 60 kg maternalem Gewicht beträgt er im Mittel 11,7%, bei 160 kg 3,9%.
3.6 Maßnahmen zur Frühgeburtsvermeidung
Adipöse Schwangere haben laut Studienlage ein signifikant erhöhtes Risiko von spontanen
Aborten nach natürlicher Konzeption, ebenso steigt bei übermäßiger Gewichtszunahme
das Fehlgeburts- und Frühgeburtsrisiko. Ein Review zweier Kohortenstudien in Schweden
und den USA durch Gould et al. zeigte ein erhöhtes Risiko der extremen Frühgeburtlichkeit
zwischen der 22. und 27. SSW, insbesondere im Bereich der ausgeprägten Adipositas
mit einem BMI > 40 kg/m2. Es gibt wenig prospektive Studien zu seriellen Zervixlängenmessungen, Progesterongaben
oder weitere prophylaktische Maßnahmen bei adipösen Schwangeren im Vergleich zu normalgewichtigen
Schwangeren.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E25
Evidenzgrad 3
Empfehlungsgrad B
Konsensusstärke +++
Im Rahmen der Schwangerenvorsorge adipöser Schwangerer sollte besonders auf Risikofaktoren
der Frühgeburtlichkeit geachtet werden.
3.7 Antepartale Überwachung
Schwangeren mit Adipositas im letzten Schwangerschaftsdrittel bedürfen einer intensivierten,
an die besonderen Risiken der adipösen Schwangeren angepasste fetale Überwachung.
Das Risiko für Gestationsdiabetes ist 3-fach erhöht gegenüber normalgewichtigen Frauen,
das Risiko für eine Präeklampsie verdoppelt sich mit jedem Anstieg des BMI um 5 kg/m2 und eine Metaanalyse zeigte ein erhöhtes Risiko intrauteriner und neonataler Todesfälle
bei übergewichtigen und adipösen Schwangeren [108]. Bei adipösen Schwangeren besteht
je nach Studie ein bis zu 1,7 – 3,5-fach erhöhtes Risiko eines intrauterinen Fruchttodes
in Terminnähe (37 – 40 SSW) und eine OR von 4,6 (1,6 – 13,5) bei > 40 SSW [108, 111].
Es wird ein Zusammenhang postuliert für dieses erhöhte Risiko für Totgeburten mit
dem bei Adipositas erhöhten Risiko für eine (späte) intrauterine Wachstumsretardierung.
Für die Vermeidung der terminnahen Totgeburt wegen einer übersehenen späten IUGR,
aber auch die
Detektion einer Makrosomie mit Implikationen für die Geburtsplanung ist die Durchführung
einer weiteren Biometrie nach dem 3. Screening essenziell.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E26
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad B
Konsensusstärke +++
Wegen des erhöhten Risikos maternaler und fetaler Komplikationen sollten Schwangere
mit BMI > 40 kg/m2 ab 36 + 0 SSW wöchentlich klinisch kontrolliert werden.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E27
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke ++
Eine intensivierte antenatale CTG-Überwachung soll bei adipösen Schwangeren allein
aufgrund der bestehenden Adipositas nicht indiziert werden.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E28
Evidenzgrad 2+
Empfehlungsgrad B
Konsensusstärke ++
Neben dem Ultraschallscreening im 3. Trimenon (gemäß den MuRiLi mit 28 + 0 – 31 + 6 SSW)
sollte bei adipösen Schwangeren eine weitere Ultraschallbiometrie mit 34 – 36 SSW
erfolgen, um einerseits eine fetale Wachstumsrestriktion, andererseits ein LGA-Wachstum
in der Spätschwangerschaft zu erkennen.
3.8 Gewichtszunahme in der Schwangerschaft
Eine exzessive Gewichtszunahme über den Empfehlungen des Institute of Medicine (IOM)
wird bei 37 – 50% der Schwangeren mit BMI > 25 kg/m2 beobachtet.
Eine exzessive Gewichtszunahme oberhalb der IOM-Empfehlung ist mit einem höheren Geburtsgewicht und/oder Geburtsgewicht > 90. Perzentile
(LGA) und höherem prozentualen neonatalen Fettanteil assoziiert. Werden in Studien
separate Angaben für Schwangere mit BMI ≥ 30 kg/m2 gemacht, bestätigt sich ein signifikant höheres Geburtsgewicht, z-Score und LGA.
Die Daten für das Geburtsgewicht bei einer Gewichtszunahme unter IOM-Empfehlung sind uneinheitlich, befürchtet wird eine Beeinträchtigung des fetalen
Wachstums. Diese Befürchtung hat sich in den meisten Studien nicht bestätigt. Die
LGA-Rate ist jedoch signifikant niedriger. Daraus schlossen die Autoren, dass eine
Gewichtszunahme unter IOM für adipöse Schwangere zu einem besseren Outcome führt und
die IOM-Empfehlungen entsprechend modifiziert werden müssten.
Die Daten zur Beeinflussung von GDM- und Präeklampsieprävalenz sind uneinheitlich,
aber tendenziell scheint der Effekt der Reduzierung der Gewichtszunahme zu gering
zu sein, um sich auf das Outcome auszuwirken.
Die Studienlage hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen einer hohen Gewichtszunahme
und den kindlichen Langzeit-Outcomes ist kontrovers, denn lediglich in 3 der 7 herangezogenen
Studien wurde ein signifikanter Effekt beobachtet.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E29
Evidenzgrad 2+
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke +++
Die Empfehlungen zur Gewichtszunahme der IOM sollen nicht überschritten werden.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E30
Evidenzgrad 2+
Empfehlungsgrad B
Konsensusstärke ++
Bei BMI ≥ 30 kg/m2 sollte eine Gewichtszunahme unterhalb der IOM-Empfehlungen von 5 – 9 kg erwogen werden.
3.9 Schwangerschaft nach Adipositas- und metabolischer Operation
Verglichen mit adipösen Schwangeren ist die Schwangerschaft nach Adipositaschirurgie
und metabolischer Chirurgie mit einem geringem Risiko für einen Gestationsdiabetes
und fetale Makrosomie assoziiert, auf der anderen Seite besteht höheres Risiko für
eine intrauterine Wachstumsrestriktion. Das Risiko einer Totgeburt oder eines perinatalen
Todes differierte nicht signifikant, ist jedoch tendenziell höher (1,7 vs. 0,7%; OR
2,39; 95%-KI 0,98; 5,85; p = 0,06).
Zur Abklärung eines Gestationsdiabetes darf nach kombinierten und malabsorptiven Eingriffen
(z. B. Magenbypass, Omega-Loop-Bypass, Duodenal Switch und biliopankreatischer Diversion)
wegen des Dumping-Effektes kein oraler Glukose-Toleranz-Test eingesetzt werden.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E31
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad B
Konsensusstärke +++
Bei Patientinnen im gebärfähigen Alter sollte nach einem adipositas- oder metabolisch-chirurgischen
Eingriff eine sichere Empfängnisverhütung über die Phase der Gewichtsreduktion durchgeführt
werden.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E32
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad C
Konsensusstärke +++
Bei Patientinnen nach Gastric Banding kann das Band gelockert werden.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E33
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad C
Konsensusstärke +++
Bei Patientinnen nach adipositas- oder metabolisch-chirurgischer Operation kann, wenn
aus geburtshilflicher Sicht keine Kontraindikation vorliegt, eine Spontangeburt erfolgen.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E34
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke +++
Bei Patientinnen nach adipositas- und metabolisch-chirurgischer Operation soll die
Dosierung der Supplemente mindestens 1 × im Trimenon an die Laborkontrolle angepasst
werden.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E35
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke +++
Bei Patientinnen nach adipositas- und metabolisch-chirurgischer Operation soll kein
oGTT durchgeführt werden, sondern eine venöse Nüchternblutzuckerbestimmung und orientierende
Tagesprofile.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E36
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke +++
Bei Schwangerschaft nach adipositas- und metabolisch-chirurgischen Eingriffen soll
keine weitere Gewichtsreduktion erfolgen.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E37
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke +++
Bei Schwangerschaft nach adipositas- und metabolisch-chirurgischen Eingriffen soll
eine engmaschige adipositaschirurgische bzw. metabolische Nachsorge und gynäkologische
Kontrolle durchgeführt werden.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E38
Evidenzgrad 2+
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke +++
Da Schwangerschaften nach adipositas- und metabolisch-chirurgischen Eingriffen als
Risikoschwangerschaften anzusehen sind, sollen engmaschige Wachstumskontrollen des
Feten erfolgen.
Evidenzbasierte Empfehlung 3.E39
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke +++
Bei Schwangerschaft und im Wochenbett nach adipositas- und metabolisch-chirurgischen
Eingriffen muss bei abdominellen Beschwerden die Möglichkeit einer Hernie oder Volvulus
des Darmes mit bedacht werden.
4 Lebensstilintervention in der Schwangerschaft
Evidenzbasierte Empfehlung 4.E40
Evidenzgrad 1−
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke +++
Adipösen Schwangeren soll empfohlen werden, sich in der Schwangerschaft vermehrt und
regelmäßig zu bewegen und die Ernährung nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft
für Ernährung umzustellen.
Zur Gewichtszunahme und zu Risiken der Mutter und zum Outcome beim Kind durch eine
Lebensstiländerung gibt es inzwischen viele Studien, einige wurden ausschließlich
bei übergewichtigen/adipösen Schwangeren durchgeführt. Ziel war, die Empfehlungen
des IOM einzuhalten. Eine Metaanalyse mit 36 RCT-Studien weist aus, dass durch eine
Umstellung der Ernährung, vermehrte Bewegung oder eine Kombination von beidem die
Gewichtszunahme bei übergewichtigen bzw. adipösen Schwangeren um 0,75 kg und 0,73 kg
verringert wird.
Eine Metaanalyse mit 4 Studien zur Ernährung und 10 Studien zur körperlichen Aktivität
weist eine Reduktion des Gestationsdiabetes von 21 bzw. 34% aus.
Die Mehrheit der Untersuchungen zur Entwicklung einer Hypertonie berichten über einen
erheblichen protektiven Effekt durch körperliche Aktivität. Ob eine Lebensstiländerung
Einfluss auf die Schwangerschaftsdauer oder eine vorzeitige Geburt hat, lässt sich
zurzeit nicht beurteilen.
5 Geburtsplanung
5.1 Geburtseinleitung
In der Abwesenheit anderer geburtshilflicher oder medizinischer Indikationen stellt
Adipositas allein keine Indikation für eine Geburtseinleitung dar. Es gelten die jeweils
gültigen aktuellen Empfehlungen der Geburtshilfe. Adipöse Patientinnen haben ein erhöhtes
Risiko, eine Geburtseinleitung zu benötigen, bedingt durch vermehrte Schwangerschaftskomplikationen
[159]. Jedoch verlaufen die Geburtseinleitungen eher frustran. In der AWMF-Leitlinie
Vorgehen bei Terminüberschreitung wird unabhängig von einer Terminüberschreitung das
Risiko für einen IUFT bei einem BMI ≥ 30 kg/m2 mit um den Faktor 1,6 erhöht beschrieben und als Beratungsinhalt bei der Aufklärung
einer Schwangeren definiert betreffs einer Geburtseinleitung. Aus der existierenden
Literatur lässt sich nicht ableiten, ob und welche Methode der Geburtseinleitung bei
Adipositas die besten Erfolgschancen hat. Eine aktuelle Metaanalyse unter Einbeziehung
von 8 Studien kommt allgemein zu dem Ergebnis, dass
Adipositas assoziiert ist mit höheren Dosen von Prostaglandinen und Oxytocin. Zur
Wirksamkeit der Einleitung mit Ballon gibt es keine BMI-spezifischen Daten. Vorstellbar
wäre eine bessere Ansprechbarkeit als mit Prostaglandinen, da nicht das Problem der
adipositasangepassten Dosierung besteht.
Evidenzbasierte Empfehlung 5.E41
Evidenzgrad 1+
Empfehlungsgrad B
Konsensusstärke +++
Bei Schwangeren mit einem BMI ≥ 30 kg/m2 sollte eine Aufklärung erfolgen, dass bei Adipositas ein erhöhtes IUFT-Risiko bei
Terminüberschreitung besteht.
Evidenzbasierte Empfehlung 5.E42
Evidenzgrad 1+
Empfehlungsgrad B
Konsensusstärke ++
Bei zusätzlichen Risikofaktoren sollte bei adipösen Schwangeren eine Einleitung mit
39 + 0 SSW angeboten und sorgfältig abgewogen werden.
5.2 Wahl des Geburtsortes
Adipöse Schwangere werden der Risikoklientel zugeordnet, sodass die Wahl eines geeigneten
Geburtsortes erforderlich ist. In mehreren Metaanalysen wurde nachgewiesen, dass das
neonatale Mortalitätsrisiko ab einem BMI ≥ 30 signifikant erhöht ist bzw. proportional
mit dem BMI ansteigt.
Ursachen sind eine höhere Inzidenz für Frühgeburtlichkeit, Komorbiditäten der Mutter
sowie Komplikationen sub partu.
Evidenzbasierte Empfehlung 5.E43
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad B
Konsensusstärke +++
Medizinisches Personal sollte in der Betreuung und dem Umgang mit geburtshilflichen
Komplikationen von adipösen Frauen sowie in der Handhabung von speziellen technischen
Geräten und Einrichtungen geschult werden.
Evidenzbasierte Empfehlung 5.E44
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad B
Konsensusstärke +++
Adipöse Schwangere sollten bei geburtshilflichen vaginalen Operationen und Sectiones
von gynäkologischen und anästhesiologischen Fachärzten betreut werden.
Evidenzbasierte Empfehlung 5.E45
Evidenzgrad 2++
Empfehlungsgrad B
Konsensusstärke +++
Schwangere mit BMI > 35 kg/m2 sollten in Perinatalzentren entbinden.
Evidenzbasierte Empfehlung 5.E46
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad B
Konsensusstärke +++
Bei Schwangeren mit einem präkonzeptionellen BMI zwischen 30 – 35 kg/m2 sollte eine individuelle Risikoabwägung zur Geburtsortempfehlung stattfinden.
Evidenzbasierte Empfehlung 5.E47
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke +
Bei adipösen Schwangeren mit vorangegangener Sectio caesarea soll die Entbindung in
einem Perinatalzentrum erfolgen.
Evidenzbasierte Empfehlung 5.E48
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad B
Konsensusstärke +++
Einrichtungen, die adipöse Schwangere mit einem BMI ≥ 30 kg/m2 betreuen, sollten Folgendes vorhalten:
-
ausreichend Bewegungsräume;
-
belastbare Einrichtung (bis 250 kg): Transport- und Untersuchungsliegen, Entbindungsbetten,
Operationstische, Rollstühle etc.;
-
passendes medizinisches Instrumentarium, z. B. breite Blutdruckmanschetten, extra
lange Epidural- und Spinalnadeln, breite Spekula etc.;
-
angepassten Personalschlüssel zur intensiveren Überwachung;
-
entsprechende Operationskleidung.
Adipöse haben eine niedrigere Erfolgsrate für die Spontangeburt bei Z. n. Sectio.
Eine Indikation zur primären Re-Sectio ergibt sich daraus bei fehlender Evidenz jedoch
nicht.
Evidenzbasierte Empfehlung 5.E49
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad B
Konsensusstärke +++
Medizinisches Personal sollte in der Betreuung und dem Umgang mit geburtshilflichen
Komplikationen von adipösen Frauen, sowie in der Handhabung von speziellen technischen
Geräten und Einrichtungen regelmäßig geschult werden.
5.3 Anästhesievorstellung
Schwangere mit einem BMI > 40 kg/m2 sollen eine pränatale Konsultation durch einen Anästhesiologen mit geburtshilflicher
Expertise erhalten, um potenzielle anästhesiologische Problemkonstellationen zu identifizieren.
Im Idealfall wird in diesem Kontext ein anästhesiologischer Behandlungsplan erstellt,
der in die geburtshilfliche Weiterbehandlung einfließt. Dabei sollen auch die geburtshilflichen
Analgesieoptionen eruiert und besprochen werden.
Evidenzbasierte Empfehlung 5.E50
Evidenzgrad 3
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke +++
Bei Schwangeren mit einem BMI > 40 kg/m2 soll eine pränatale Konsultation durch einen Anästhesiologen mit geburtshilflicher
Expertise erfolgen, um spezielle anästhesiologische Problemkonstellationen zu identifizieren.
Ein anästhesiologischer Behandlungsplan soll dabei erarbeitet und im Rahmen der geburtshilflichen
Weiterbehandlung umgesetzt werden.
Evidenzbasierte Empfehlung 5.E51
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke +++
Adipöse schwangere Frauen mit Komorbiditäten wie insbesondere einer obstruktiven Schlafapnoe
sollen von einem Anästhesiologen konsultiert werden, weil sie ein erhöhtes Risiko
für Hypoxämie, Hyperkapnie und plötzlichen Tod haben.
Evidenzbasierte Empfehlung 5.E52
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke +++
Bei Frauen mit Adipositas soll bei Geburt frühzeitig ein venöser Zugang gelegt werden.
5.4 Festlegung des Geburtsmodus
Neue Literatur über Studien, die explizit diese Fragen untersucht haben, liegt nicht
vor. Es gibt weder Studien mit prospektivem Design, die die Frage nach dem Outcome
bei primärer Sectio oder den Versuch der Spontangeburt bei adipösen Patientinnen im
Z. n. Sectio vergleichen. Die vorliegenden internationalen Leitlinien empfehlen letztlich,
dass die Entscheidung für oder gegen eine vaginale Entbindung nach individuellen Kriterien
getroffen werden sollte.
Evidenzbasierte Empfehlung 5.E53
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad 0
Konsensusstärke +++
Bei adipösen Schwangeren können bei ausreichender fetaler Überwachung und auszuschließendem
fetalen Stress längere Geburtsdauern mit dem Ziel der vaginalen Geburt toleriert werden.
Evidenzbasierte Empfehlung 5.E54
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke +
Eine Indikation für eine primäre Sectio besteht allein aufgrund der Adipositas nicht
und soll wegen der erhöhten Komplikationsraten vermieden werden.
Adipöse haben eine niedrigere Erfolgsrate für die Spontangeburt bei Z. n. Sectio.
Durnwald und andere Autoren beschreiben nur noch eine Erfolgsrate von 13% für die
vaginale Geburt nach Sectio bei Frauen mit einem Gewicht > 136 kg.
In Abwesenheit von Kontraindikationen kann Schwangeren nach Kaiserschnitt der Versuch
der vaginalen Geburt angeboten werden. Dies trifft grundsätzlich auch für adipöse
Schwangere zu.
Evidenzbasierte Empfehlung 5.E55
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke +++
Bei Z. n. Sectio soll die adipöse Schwangere sowohl über die Erfolgschancen und Risiken
der vaginalen Geburt als auch über die Risiken der primären als auch der sekundären
Re-Sectio aufgeklärt werden und eine individuelle Entscheidung getroffen werden.
5.5 Intrapartale Überwachung
Es ergeben sich bei der Entbindung von adipösen Schwangeren möglicherweise technische
Probleme. Bei einem BMI > 40 kg/m2 wird empfohlen, frühzeitig im Geburtsverlauf einen Epiduralkatheter anzulegen in
Hinblick auf eine spätere Anästhesie zur Geburtsanalgesie oder für einen möglichen
sekundären Kaiserschnitt. Die Anästhesiologen sollten benachrichtigt werden, sobald
eine Schwangere mit BMI ≥ 40 kg/m2 in den Kreißsaal aufgenommen wird.
Evidenzbasierte Empfehlung 5.E56
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke ++
Bei unzureichender externer Ableitung soll die interne Ableitung durch eine Skalpelektrode
eingesetzt werden.
Evidenzbasierte Empfehlung 5.E57
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke ++
Es soll eine sichere Differenzierung zwischen fetaler und maternaler Herzfrequenz
erfolgen.
Evidenzbasierte Empfehlung 5.E58
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke +++
Für die Blutdruckmessung bei adipösen Patientinnen soll eine Manschette passender
Größe verwendet werden.
Evidenzbasierte Empfehlung 5.E59
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke +++
Bei Frauen mit moderater bis schwerer Adipositas soll frühzeitig während des Geburtsprozesses
ein intravenöser Zugang gelegt werden.
5.6 Vorgehen bei Sectio
Wenngleich das intraoperative Risiko einer Sectio bei adipösen Schwangeren im Vergleich
zu normgewichtigen Frauen nicht erhöht ist, so ergibt sich dennoch ein erhöhtes postoperatives
Risiko, insbesondere durch Wundheilungsstörungen.
Die abdominale Schnittführung hängt vom Habitus der Patientin ab (Fettverteilung etc.).
Es gibt keine Daten, ob quer oder longitudinal zu bevorzugen ist. Eine ausreichend
große Inzision ist besonders bei erwartetem großen Kind wichtig. Bei einem BMI von
≥ 35 kg/m2 sollte ein niedriger, flacher Querschnitt und das Vernähen der Subkutis, wenn diese
stärker als 2 cm ist, erfolgen. Eine Cochrane-Analyse von 7 Studien zeigte, dass die
Schließung der Subkutis das Risiko von Hämatomen, Seromen, Infektionen und Nahtdehiszenzen
reduzierte, eine Differenzierung bezüglich unterschiedlicher Dicken des subkutanen
Fettgewebes erfolgte nicht. Bei supraumbilikalem Zugang ergab sich ein erhöhtes Risiko
eines perioperativen maternalen Blutverlustes > 1000 ml, es zeigte sich kein signifikanter
Unterschied in der Rate an Wundheilungskomplikationen.
Evidenzbasierte Empfehlung 5.E60
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke +++
Das Personal im OP soll über jede Frau informiert werden, die über 120 kg wiegt und
bei der ein operativer Eingriff bevorsteht.
Evidenzbasierte Empfehlung 5.E61
Evidenzgrad 1++
Empfehlungsgrad B
Konsensusstärke +
Bei einem BMI von > 35 kg/m2 sollte ein niedriger, flacher Querschnitt und das Vernähen der Subkutis, wenn diese
stärker als 2 cm ist, erfolgen.
Evidenzbasierte Empfehlung 5.E62
Evidenzgrad 1++
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke ++
Es soll prophylaktisch 60 min vor Schnitt ein Cephalosporin (z. B. Cefazolin) gegeben werden: 2 g i. v. bei < 120 kg,
3 g i. v. bei > 120 kg. Bei Penicillinallergie alternativ: Clindamycin 900 mg i. v.
kombiniert mit Gentamicin 5 mg/kg i. v.
Evidenzbasierte Empfehlung 5.E63
Evidenzgrad 1
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke +++
Subkutane Drainagen sollen nicht routinemäßig angelegt werden.
Evidenzbasierte Empfehlung 5.E64
Evidenzgrad 2−
Empfehlungsgrad 0
Konsensusstärke +
Ein sub- bzw. supraumbilkaler Zugangsweg kann einen zügigen Zugang zum Uterus ermöglichen,
ist jedoch mit einer erhöhten perioperativen Morbidität verbunden.
6 Postpartale Aspekte
6.1 Stillförderung
Die vorliegende Evidenz zur Häufigkeit des Stillen bei adipösen Frauen ist begrenzt.
Präkonzeptionell adipöse Frauen beginnen im Vergleich zu normalgewichtigen Frauen
seltener mit dem Stillen und die Stilldauer ist kürzer.
Evidenzbasierte Empfehlung 6.E65
Evidenzgrad 4
Empfehlungsgrad B
Konsensusstärke +++
Adipöse Wöchnerinnen sollten beim Stillen besonders unterstützt werden.
6.2 Postpartale Aspekte Kind
Evidenzbasierte Empfehlung 6.E66
Evidenzgrad 2+
Empfehlungsgrad A
Konsensusstärke +++
Kinder von Müttern mit präkonzeptionellem BMI ≥ 25 kg/m2 sollen im Rahmen der kindlichen Vorsorgeuntersuchungen auf auffällige BMI-Entwicklungen
überwacht und die Sorgeberechtigten frühzeitig beraten werden.