Schlüsselwörter
CRPS Typ 1 - CRPS Typ 2 - multimodale Schmerztherapie - Budapest-Kriterien
Key words
CRPS type 1 - CRPS type 2 - multimodal pain therapy - Budapest criteria
Einleitung
Der Name komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS), früher bekannt als M. Sudeck,
Algodystrophie, Kausalgie oder sympathische Reflexdystrophie, basiert auf der klinischen
Symptomatologie der Erkrankung und wurde 1995 eingeführt [1]. „Komplex“ bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die vielfältigen klinischen Symptome,
die zusätzlich zu den Schmerzen gefunden werden, d. h. sensorische, motorische und
autonome Symptome [2]. „Regional“ bezieht sich auf die regionale Verteilung der Symptome jenseits des
Innervationsterritoriums eines bestimmten Nervs, die sich gewöhnlich distal in der
betroffenen Extremität ausbreiten, und „Schmerz“ ist das Kardinalsymptom für diese
Krankheit. Es können 2 Arten beim CRPS unterschieden werden: CRPS Typ 1 ohne und Typ
2 mit einer Nervenläsion (elektrophysiologisch gesichert oder bei eindeutigem Hinweis
auf eine größere Nervenverletzung). Klinisch spielt diese Unterscheidung praktisch
keine Rolle, da die Symptome und Therapie der CRPS-Typen 1 und 2 nahezu identisch
sind.
Epidemiologie
Die Daten zur Epidemiologie des CRPS sind inkonsistent trotz großer epidemiologischer
prospektiver und retrospektiver Analysen, was sowohl durch uneinheitliche diagnostische
Kriterien bzw. Änderung der Kriterien im Laufe der Zeit [3] als auch durch die Dynamik der klinischen Veränderungen des CRPS im Laufe der Erkrankung
und die Subjektivität der Diagnosestellung bedingt sein kann, da das CRPS eine klinische
Diagnose ist und zusätzliche technische diagnostische Hilfsmittel zur Unterstützung
nur in geringem Umfang vorhanden sind. Daher liegen die Inzidenzraten zwischen 5,5
[4] und 26,2 [5] Fällen/100 000. Die Erkrankung tritt am häufigsten bei Menschen mittleren Alters
auf, Frauen sind häufiger betroffen als Männer [4], [5] und die obere Extremität ist häufiger betroffen als die untere Extremität [5], wobei vor allem distale Teile der Gliedmaßen, d. h. Hände und Füße, betroffen sind.
Ätiologie und Pathophysiologie
Ätiologie und Pathophysiologie
Ein CRPS kann sich nach kleineren oder größeren Gewebeverletzungen oder Traumata der
Gliedmaßen wie Frakturen, Weichteilverletzungen oder -erkrankungen entwickeln, wobei
die Schwere des Traumas keinen Einfluss auf die Entwicklung eines CRPS hat. Der Grund,
warum einige Patienten ein CRPS entwickeln und andere nicht, ist noch immer unklar.
Eine genetische Prädisposition [6]–[14] oder eine Störung im Heilungsprozess, die sich durch verschiedene Biomarker äußert
(z. B. Bradykinin, löslicher IL-2-Rezeptor, Osteoprotegerin, IgG and IgM, microRNAs
[15]–[17]), die längere Ruhigstellung der verletzten Extremität [18], psychologische Faktoren [19], [20], ein autoantikörpervermittelter Autoimmunprozess [21]–[31] und epidemiologische Befunde wie eine Assoziation mit Migräne, Asthma oder Rheuma
[32], [33], wurden zwar diskutiert, treffen häufig jedoch nur auf einen Teil der Patienten
zu. Zudem spielen multiple und nicht nur ein einzelner Mechanismus in der Entstehung
und Aufrechterhaltung des CRPS eine Rolle, was die pathophysiologischen Zusammenhänge
weiter erschwert ([
Abb. 1
]). Obwohl das CRPS Typ 1 per Definition ohne größere Nervenläsion auftritt und somit
nicht die Kriterien für neuropathische Schmerzen erfüllt [34], sind die klinischen Symptome beim CRPS Typ 1 und 2 nahezu identisch, was auf ähnliche
pathophysiologische Mechanismen hindeutet. Da beide Typen mit typischen, für neuropathische
Schmerzen charakteristischen Symptomen auftreten, d. h. brennende Spontanschmerzen,
evozierte Schmerzen und Schmerzen, die in einem Gebiet mit sensorischen Veränderungen
auftreten, werden zur pathophysiologischen Erklärung Mechanismen verwendet, die von
anderen neuropathischen Schmerzzuständen bekannt sind. Hierbei wird nicht zwischen
CRPS Typ 1 und 2 unterschieden. Die pathophysiologischen Mechanismen des CRPS könnten
bei verschiedenen Patienten unterschiedliche Anteile haben und damit die verschiedenen
klinischen Phänotypen erklären [35].
Abb. 1 Symptome des CRPS und deren zugrunde liegende pathophysiologische Mechanismen. Dargestellt
ist exemplarisch ein Nozizeptor im peripheren Nervensystem (PNS) sowie das zentrale
Nervensystem (ZNS, grau hinterlegt). Pathophysiologische Mechanismen sind in blauen,
typische klinische Symptome in roten Kästen dargestellt. Ein Trauma (orange) führt
zur Freisetzung von Entzündungsmediatoren mit Auftreten typischer Entzündungszeichen
(Calor, Rubor, Tumor, Dolor, Functio laesa), zu einer vermehrten Aktivierung von Osteoklasten
und mikrovaskulären Störungen. Die Zytokine reizen ihrerseits die peripheren Nozizeptoren
mit resultierender peripherer Sensibilisierung und Ausschüttung von CGRP und Substanz
P, was die Entzündungssymptomatik verstärkt (neurogene Entzündung). Über eine sympathoafferente
Kopplung können sympathisch-unterhaltene Schmerzen (sympathetically-maintained pain,
SMP) resultieren. Durch die periphere Sensibilisierung kommt es auch zu einer zentralen
Sensibilisierung des nozizeptiven Systems mit Auftreten von Allodynie und mechanischer
Hyperalgesie sowie zentralen Störungen der autonomen Regulation/Temperaturadaptation.
Eine maladaptive Neuroplastizität ist vermutlich verantwortlich für die häufig beobachteten
Körperschemastörungen (Neglect-like-Symptome) und zentrale motorische Symptome (Tremor,
Dystonie), u. a. durch eine Störung der sensomotorischen Kopplung.
Obwohl einige Studien bei der Entwicklung eines CRPS bestimmte psychopathologische
Konstellationen wie u. a. eine ängstliche Persönlichkeit [36], [37] als Risikofaktoren beobachteten, gibt es keinen Hinweis für spezifische Persönlichkeits-
oder Psychopathologieprädiktoren für die Entwicklung eines CRPS [38]. Ein CRPS ist jedoch eindeutig mit negativen Emotionen assoziiert, z. B. mit vermehrten
Depressionen und Ängsten als Folge der Schmerzen und Behinderung [38]. Zudem kann eine systemische Katecholaminfreisetzung aufgrund von (chronischem)
Stress über die bekannte sympathoafferente Kopplung wiederum Schmerzen hervorrufen
[39] und damit zu einer Interaktion von Psyche und somatischer Symptomatik führen.
Klinische Symptomatik
Das CRPS ist durch eine Kombination sensorischer, autonomer und motorischer Symptome
gekennzeichnet [40]–[43], die sich auch in den aktuellen diagnostischen Kriterien widerspiegeln (Kasten,
[44]). Entscheidend hierbei ist, dass die Symptome eine distale Generalisierung aufweisen,
d. h. nicht auf das Innervationsterritorium eines oder mehrerer Nerven bezogen sind
und sich nach distal, d. h. handschuh- und strumpfförmig in der betroffenen Extremität
ausdehnen, d. h. meist einschließlich aller Finger (bei CRPS an der oberen Extremität)
und Zehen (bei CRPS an der unteren Extremität). Obwohl Patienten mit CRPS oft ein
ähnliches klinisches Bild zeigen, weil einige Symptome häufiger auftreten als andere,
weist jeder Patient individuell unterschiedliche Symptome in Bezug auf Vorkommen oder
Ausprägungsgrad auf.
Schmerz
Der Schmerz ist anfangs oft ein spontaner Dauerschmerz, der häufig als brennend oder
stechend und diffus oder tief in der Extremität beschrieben wird. Zusätzlich treten
häufig Schmerzen bei Bewegungen und mitunter auch Schmerzen unter orthostatischen
Bedingungen auf, d. h. wenn die Extremität herabhängt und nicht hochgelagert wird.
Sensorische Symptome
Interessanterweise wurden nur positive sensorische Symptome (mechanische und/oder
thermische Hyperalgesie/Allodynie) in den Budapest-Kriterien abgefragt, obwohl CRPS-Patienten
auch eine hohe Häufigkeit an negativen sensorischen Symptomen wie Taubheit oder ein
reduziertes Temperaturempfinden aufweisen. Allerdings sind die negativen sensorische
Symptome seltener als die positiven und die meisten Patienten zeigen eine Kombination
von positiven und negativen sensorischen Symptomen (57 % und 68 % beim CRPS Typ 1
bzw. 2, [11]). Häufig beobachtete sensorische Symptome sind eine Kälte- oder Hitzehyperalgesie,
d. h. ein vermehrtes Schmerzempfinden auf Kälte- und Hitzereize und eine mechanische
Hyperalgesie und Allodynie, die sich als vermehrtes Schmerzempfinden auf spitze Reize,
Druckreize und leichte Berührung äußert. Die Druckschmerzhyperalgesie ist hierbei
das häufigste Symptom und kann bei 66 % (CRPS Typ 1) bzw. 73 % (CRPS Typ 2) der CRPS-Patienten
beobachtet werden [45]. Nach unseren klinischen Beobachtungen können Schmerzen durch leichten Druck auf
die kleinen Fingergelenke, d. h. die proximalen und distalen Interphalangealgelenke,
die einen Bedside-Test zur Untersuchung der Druckschmerzhyperalgesie darstellen ([
Abb. 2
]), bei fast allen Patienten mit CRPS beobachtet werden. Hierbei besteht eine Korrelation
mit einem erhöhten Knochenmetabolismus der Fingergelenke in der Mineralisationsphase
der 3-Phasen-Skelettszintigrafie, der spezifisch für ein CRPS ist [46].
Abb. 2 Untersuchung der Druckschmerzhyperalgesie beim CRPS (Quelle: ©Prof. Baron, Kiel)
Vasomotorische Symptome
Hierzu zählen Unterschiede der Hauttemperatur (Überwärmung, kühlere Extremität) und
-farbe (Rötung, Bässe, bläulich-livides Hautkolorit, [
Abb. 3a
]) zwischen der betroffenen und der nicht betroffenen Extremität. Zu Beginn dominiert
häufig eine rötlich-überwärmte Extremität, während nach längerem Verlauf Hauttemperatur
und -perfusion häufig abnehmen und die betroffene Extremität eher blass-zyanotisch
und kühl imponiert. Allerdings gibt es auch Fälle, bei denen bereits zu Beginn ein
„kaltes CRPS“ vorliegt und andersherum Fälle, bei denen noch nach mehreren Jahren
eine überwärmte Extremität beobachtet wird [47]. Darüber hinaus sind vasomotorische Symptome meist nicht statisch, sondern verändern
sich in Abhängigkeit von Bewegung oder schmerzhaften Reizen [47], der Umgebungstemperatur [48] oder spontaner sympathischer Aktivität [49]. Deshalb kann in der Untersuchung zu einem einzigen Zeitpunkt oft nur eine geringe
Hauttemperaturasymmetrie zwischen betroffener und nicht betroffener Extremität beobachtet
werden. Meist wird der Unterschied erst in der Langzeittemperaturmessung sichtbar
[50].
Abb. 3 Typische Befunde bei einem CRPS. a: Unterschiede des Hautkolorits zwischen gesunder
Extremität und CRPS der linken Hand mit bläulich-lividem Hautkolorit der betroffenen
linken Hand. b: Die betroffene linke Hand weist ein strumpfförmiges Ödem und eine
Glanzhautbildung auf. c: Trophische Störungen bei einem CRPS der rechten Hand mit
reduziertem Nagelwachstum und trophischen Störungen der Haut (Quelle: ©Prof. J. Gierthmühlen,
Kiel)
Sudomotorische Symptome, Ödem
Eine Hypo- oder Hyperhidrose im Vergleich zur kontralateralen Extremität besteht bei
etwa der Hälfte der CRPS-Patienten [47], [51]–[53], wobei keine Korrelation zwischen Hauttemperatur und einer gestörten Sudomotorik
besteht [53]. Ein Ödem wird bei 55 % bis 89 % der Patienten beobachtet [45], [47], [51], [54], [55] und weist ebenfalls eine typische distale Generalisierung (Einschluss von Fingern
und Zehen mit Verstreichen der Gelenkfurchen) auf ([
Abb. 3b
]). Ähnlich wie bei anderen autonomen Symptomen kann das Vorhandensein eines Ödems
durch äußere Stimuli beeinflusst werden, d. h. durch Schmerzen oder orthostatische
Bedingungen sowie durch die Regulation des Gefäßtonus [42], [56]–[58]. Das Ödem klingt normalerweise mit der Dauer der Erkrankung ab [59], obwohl 90 % der Patienten selbst nach 15 Jahren CRPS-Dauer noch über eine Prädisposition
für ein Ödem berichteten [52].
Motorische und trophische Symptome
Motorische und trophische Symptome
75 % bis 88 % der Patienten leiden an motorischen Symptomen [43], [54], [51], [55], [58], [60], wobei 80 % eine verminderte Beweglichkeit und 75 % eine Schwäche der betroffenen
Extremität aufweisen [51]. Insbesondere die Feinmotorik oder komplexe Bewegungen wie der Faustschluss oder
die Opposition des ersten bis fünften Fingers sind betroffen[57], [61]. Seltener werden Bradykinesie, Dystonie, Myoklonus und Tremor beschrieben [43], [47], [55], [62]–[65]. Motorische Symptome sind nicht notwendigerweise das Ergebnis eines langfristigen
CRPS. Stattdessen können sie anderen Symptomen des CRPS vorausgehen [62] und bereits sehr früh (weniger als 1 Woche) im Krankheitsverlauf auftreten [66], [67]. Die Beteiligung des zentralen Nervensystems an der Pathophysiologie des CRPS ist
vermutlich eine Mitursache, warum das Ausmaß der mit dem CRPS verbundenen Beschwerden
und Funktionsstörungen häufig in einem ausgeprägten Missverhältnis zum Schweregrad
des zugrunde liegenden Traumas liegt: So beschreiben Patienten häufig, dass Bewegungen
nur unter visueller Kontrolle möglich sind oder sie sich sehr auf Bewegungen der betroffenen
Extremität konzentrieren müssten.
Trophische Veränderungen wie ein verändertes Haar- oder Nagelwachstum (vermehrt oder
vermindert) sowie Gewebedystrophie und -atrophie von Haut (dünn und glänzend), subkutanem
Gewebe, Muskeln und Knochen (fleckige Osteoporose, fokale Osteopenie) sind ebenfalls
charakteristische Befunde eines CRPS [68] ([
Abb. 3c
]). 20 % bis 71 % zeigen Störungen des Haut-, Nagel- oder Haarwuchses [44], [47]. Muskel- oder Knochenatrophie wurden je nach Krankheitsdauer in 40 % bis 67 % bzw.
7 % bis 52 % beobachtet [47]. Ein verstärktes Haar- und Nagelwachstum ist häufig bei akutem CRPS vorhanden und
wandelt sich mit der Zeit in ein reduziertes Haar- oder Nagelwachstum [58].
Weitere häufige Symptome
Neben den Hauptsymptomen, die in den diagnostischen Kriterien erfasst sind, können
häufig weitere typische Symptome beobachtet werden. Dazu gehören die neglectähnlichen
Symptome, Fehlhaltungen und ggf. Kontrakturen der betroffenen Extremität und sympathisch-unterhaltene
Schmerzen (sympathetically-maintained pain, SMP). Letztere kennzeichnen das Auftreten
von Schmerzen bei Aktivierung des sympathischen Nervensystems [69] und kommen vermutlich durch eine sympatho-afferente Kopplung zustande ([
Abb. 1
]). Es kann sich hierbei sowohl um spontane als auch evozierte Schmerzen handeln.
Die neglectähnlichen Symptome sind dadurch gekennzeichnet, dass – entgegen dem klassischen
Neglect z. B. nach Schlaganfall – dem Patienten das „Vernachlässigen“ oder die „Nichtbeachtung“
der Extremität bewusst ist. Häufig beschreiben die Patienten hierbei ein Fremdkörpergefühl,
als ob die betroffene Extremität nicht zu ihnen gehöre. Typische „Fehlhaltungen“ sind
an der oberen Extremität eine leicht gebeugtes Handgelenk, gestreckte Fingergrundgelenke,
gebeugte proximale Interphalangealgelenke und ein adduzierter Daumen. An den unteren
Extremitäten zeigt sich häufig eine Spitzfußstellung. Sympathisch unterhaltene Schmerzen
sind Schmerzen infolge einer Aktivierung des sympathischen Nervensystems, z. B. durch
Stress.
Eine weitere häufige Beobachtung, die die Entwicklung eines CRPS kennzeichnet, ist
aus unserer klinischen Erfahrung die Veränderung des Schmerzcharakters, sobald sich
ein CRPS entwickelt: Viele Patienten beschreiben einen plötzlichen Wechsel vom anfänglich
charakteristischen nozizeptiven Schmerz nach z. B. einer Fraktur oder Operation etc.
hin zu einem typischen neuropathischen Schmerz mit „brennendem“ oder „messerstichartigem“
Charakter.
Diagnose
Die aktuellen diagnostischen Kriterien, sogenannte „Budapest-Kriterien“ (Kasten) ,haben
eine hohe Sensitivität und eine mehr oder weniger hohe Spezifität für die Diagnose
eines CRPS [44]. Insgesamt ist das CRPS eine klinische Diagnose und basiert auf den klinischen Symptomen
und der Anamnese. Um somatosensorische Anomalien zu quantifizieren und so die zugrunde
liegenden Mechanismen herauszufinden, kann zusätzlich die Quantitativ-Sensorische
Testung (QST) eingesetzt werden[69]. Messungen von Nervenleitgeschwindigkeit können helfen, zwischen CRPS Typ 1 oder
2 zu unterscheiden oder unterstützende Faktoren wie z. B. ein Karpaltunnelsyndrom
auszuschließen. Da die Elektrophysiologie von den Patienten oft als sehr unangenehm
und schmerzhaft empfunden wird, sollte die Indikation jedoch sorgfältig geprüft werden.
Röntgen, CT und MRT sind bei der Diagnose eines CRPS nicht hilfreich, werden jedoch
eingesetzt, um Differenzialdiagnosen auszuschließen. Das einzige bildgebende Verfahren,
das die Diagnose eines CRPS unterstützen kann, ist die 3-Phasen-Skelettszintigrafie
(three phase bone scintigraphy, TPBS [70]), die in der Mineralisationsphase (Spätphase) eine erhöhte Traceraufnahme der Metatarso-,
proximalen und distalen Interphalangealgelenke in bandähnlicher Weise zeigt ([
Abb. 4
]). Negative Szintigrafiebefunde schließen ein CRPS jedoch nicht aus. Zudem nimmt
die Sensitivität der Untersuchung im Verlauf ab und ist vor allem in den ersten 6
bis 12 Monaten zu empfehlen [70].
Abb. 4 Typischer Befund in der Mineralisationsphase der 3-Phasen-Skelettszintigrafie bei
einem CRPS: Die betroffene rechte Hand weist eine bandenförmige Mehranreicherung der
kleinen Fingergelenke auf. Dieser Befund ist spezifisch für ein CRPS (Quelle: ©Prof.
J. Gierthmühlen, Kiel)
Therapie
Die Therapie des CRPS sollte bereits bei Verdacht auf diese Diagnose erfolgen. Obwohl
verschiedene Ansätze zum Verständnis und zur Erklärung der Pathophysiologie des CRPS
verschiedene Behandlungsmöglichkeiten im Rahmen einer mechanismenbasierten Therapie
[2] bieten, sind Studien speziell beim CRPS rar.
Die Therapie des CRPS orientiert sich am klinischen Bild und sollte interdisziplinär
multimodal sein [71] ([
Abb. 5
]). Da die Schmerzstärke ein Risikofaktor für eine Chronifizierung ist [72]–[74], besteht das Therapieziel bei starkem Ruheschmerz zunächst in einer Linderung der
Schmerzen. Hierzu kommt eine Kombination aus medikamentösen und nicht medikamentösen
Therapien infrage ([
Abb. 5
]). Die Datenlage zur pharmakotherapeutischen Schmerztherapie beim CRPS ist insgesamt
dürftig, sodass aufgrund der klinischen Phänomenologie des CRPS auf die Therapie neuropathischer
Schmerzen zurückgegriffen wird [75] (siehe auch Kapitel zur Therapie neuropathischer Schmerzen in diesem Heft). Hierbei
sollten vorrangig kalziumkanalmodulierende Antikonvulsiva (Pregabalin, Gabapentin)
und/oder tri- und tetrazyklische Antidepressiva (z.B. Amitriptylin) in Kombination
mit topischen Therapeutika und erst bei Versagen dieser Therapie nieder- oder hochpotente
Opioide eingesetzt werden. Gabapentin und Ketamin sind die einzigen randomisiert-kontrolliert
untersuchten Substanzen beim CRPS. Der Effekt von Gabapentin war gering positiv, allerdings
mehr in Bezug auf Sensibilitätsstörungen als auf Schmerzen [76]. Obwohl für Ketamin in Bezug auf eine Schmerzreduktion beide Studien positiv waren,
ist die Anwendung der Substanz aufgrund seiner Applikation (untersucht wurde nur die
i. v. Applikation) und der Nebenwirkungen (insbesondere der psychomimetischen Nebenwirkungen
und der Lebertoxizität) limitiert. Es sollte daher nur als Eskalationstherapie stationär
bei Versagen der üblichen Therapie angewendet werden (individuell nach Wirksamkeit
titrierte Dauerinfusion mit 22,2 mg/h/70 kg Ketamin über 4 Tage oder fix 0,35 mg/kg/h
(max. 100 mg) über 4 Stunden für 10 Tage hintereinander [77]). Als ergänzende topische Schmerztherapie kann eine Anwendung von Dimethylsulfoxid
(DMSO)-Salbe oder Ambroxol-Salbe erfolgen. DMSO gehört zur Standardtherapie des CRPS
in den Niederlanden, in Deutschland gehört es aufgrund einer unzureichenden Datenlage
und einer potenziellen Karzinogenität nicht zur Standardtherapie, kann jedoch als
Heilversuch eingesetzt werden. DMSO ist ein Radikalfänger und kann somit Entzündungsaktivität
dämpfen. Wir haben einige positive Erfahrungen mit der Anwendung von Ambroxol-Salbe
beim CRPS gemacht, die neben DMSO auch Ambroxol, das stärker als Lidocain am Natriumkanal
anästhetisch wirkt, enthält. Zur Anwendung liegen aber nur Fallberichte vor [78]. Aufgrund der häufig starken Schmerzen beim CRPS sind frühzeitig auch Kombinationen
von Koanalgetika und/oder Topika einzusetzen.
Abb. 5 Therapie des CRPS nach den Leitlinien der DGN [77] und eigenen Erfahrungswerten, SMP: sympathetically-maintained pain (sympathisch-unterhaltene
Schmerzen)
Ergänzt werden sollte die medikamentöse Therapie durch Lymphdrainage (bei ausgeprägtem
Ödem), Physiotherapie und Ergotherapie (meist initial mit dem Fokus auf eine Desensibilisierung
[79], und ggf. eine begleitende Psychotherapie [80]. Anfangs ist bei starken Schmerzen eine Physiotherapie an der betroffenen Extremität
meist nicht möglich, hier sollte der Fokus auf zunächst kontralaterale physiotherapeutische
Maßnahmen bzw. Physiotherapie im Bereich proximaler Gelenke zur Verhinderung sekundärer
Kontrakturen liegen. Nach Besserung des Spontanschmerzes und der Symptomatik kann
mit aktiver Physiotherapie und sensomotorischem Training der betroffenen Extremität
begonnen werden, die jedoch nicht zu massiven Schmerzen führen sollte. Ein „Durchbewegen“
der betroffenen Extremität unter Anästhesie oder eine forcierte Mobilisation sollte
unterbleiben. Im Rahmen der Physiotherapie sollten spezielle Verfahren wie ein Lateralisationstraining,
Imaginationstechniken, Spiegeltherapie, taktiles Performance-Training sowie motorische
Übungen zur Anwendung kommen [81], [82], die einer pharmakologischen Therapie durchaus vergleichbar sein können [82] und die die beste, wenn auch geringe, Evidenz zeigt [83]. Die „Standardphysiotherapie“ setzt hierbei vor dem Hintergrund, dass der Spontanschmerz
ein Risikofaktor für eine Chronifizierung ist, darauf, dass die Therapie selber nicht
schmerzhaft sein sollte. In den Niederlanden werden zum Teile andere physiotherapeutische
Ansätze wie die „Pain Exposure Physical Therapy“ (PEPT) und das „Graded Exposure“
(GEXP), die auf dem „fear-avoidance“-Modell (Vermeidung von schmerzhaften Bewegungen
führt zu einem erlernten Minder-/Nichtgebrauch) basieren und ein Ignorieren des Schmerzes
fordern, eingesetzt [84], [85]. Beide Ansätze haben sicherlich ihre Berechtigung [86], allerdings ist die Exposure-Therapie nicht für jeden Patienten geeignet. Insgesamt
sollten passive Maßnahmen, wenn sie zu einer Schmerzverstärkung führen, sowie Maßnahmen
gegen den Willen oder ohne Kontrolle durch den Patienten nicht angewendet werden,
da hierdurch die weitere Mitarbeit des Patienten behindert wird und das CRPS aggraviert
werden kann [77]. Als weiteres ergänzendes nicht medikamentöses Therapieverfahren kann TENS versucht
werden [87]. Bei Vorliegen von Entzündungszeichen (Rötung, Überwärmung, Schwellung, Schmerz,
Funktionseinschränkung) kann eine zusätzliche Therapie mit Kortison erwogen werden
[88], [89], wobei bzgl. Dauer und Dosis keine sicheren Empfehlungen ausgesprochen werden können.
In keinem Fall sollte eine Kortisontherapie aber als Dauertherapie durchgeführt werden.
Wir haben gute Erfahrungen mit der Gabe von 100 mg Prednisolon gemacht, das über einen
Zeitraum von 2,5 Wochen in absteigendem Schema ausgeschlichen wird.
Klinische Diagnosekriterien („Budapest-Kriterien“)
Es müssen ALLE folgenden 4 Kriterien für die Diagnose eines CRPS zutreffen. Die Symptome
werden bei unilateralem CRPS im Vergleich zum korrespondierenden Areal an der kontralateralen
Extremität erhoben, bei bilateralem CRPS im Vergleich zu einer nicht betroffenen Extremität.
-
Anhaltender Schmerz, der durch das Anfangstrauma nicht mehr erklärt wird.
-
Die Patienten müssen über jeweils mindestens 1 Symptom aus 3 der 4 folgenden Kategorien
in der Anamnese berichten (bezogen auf die letzten 6 Monate):
-
Sensorische Symptome: Hyperalgesie (Überempfindlichkeit für Schmerzreize); Allodynie
(Schmerzen bei leichter Berührung) im Schmerzareal
-
Vasomotorische Symptome: Asymmetrie der Hauttemperatur, Veränderung der Hautfarbe
-
Sudomotorische Symptome, Ödem: Asymmetrie des lokalen Schwitzens, Ödem
-
Motorische und trophische Symptome: Reduzierte Beweglichkeit, Dystonie, Tremor, „Paresen“
(im Sinne von Schwäche); Veränderungen von Haut-, Haar- oder Nagelwachstum
-
Zum Zeitpunkt der Untersuchung muss der Arzt mindestens 1 Symptom aus 2 der 4 folgenden
Kategorien bei dem Patienten nachweisen:
-
Sensorische Symptome: Hyperalgesie auf spitze Reize (z. B. Zahnstocher) oder Kälte/Wärme,
Allodynie, Schmerz bei Druck auf Gelenke/Knochen/Muskeln
-
Vasomotorische Symptome: Asymmetrie der Hauttemperatur, Veränderung der Hautfarbe
-
Sudomotorische Symptome, Ödem: Asymmetrie des lokalen Schwitzens, Ödem
-
Motorische und trophische Symptome: Reduzierte Beweglichkeit, Dystonie, Tremor, „Paresen“
(im Sinne von Schwäche); Veränderungen von Haut-, Haar- oder Nagelwachstum
-
Eine andere Erkrankung erklärt die Symptomatik nicht hinreichend (andere in Frage
kommende Erkrankungen sind ausgeschlossen!)
Bisphosphonate zur Hemmung der Osteoklastenaktivität und Entzündungshemmung können
alternativ zu Steroiden eingesetzt werden und sind mit 5 randomisiert-kontrollierten
Studien relativ gut untersuchte Substanzen bei Patienten mit einem CRPS und meist
nachgewiesenen Osteonekrosen. Alle Studien haben positive Effekte auf Schmerz und
Funktion gezeigt, die Anwendung erfolgte i. v. [90]–[93] oder oral [94]. Allerdings limitieren deren Nebenwirkungen die Anwendung. Als ergänzende interventionelle
Verfahren kommen Sympathikusblockaden oder GLOA (Ganglionäre lokale Opioidanalgesie)
in Frage. Andere interventionelle Verfahren, die zu einer Deafferenzierung der Extremität
führen wie beispielsweise Plexusblockaden oder eine Periduralanästhesie, sollten unterbleiben,
da durch komplette Ausschaltung afferenter Nervenfasern die Warnfunktion des Schmerzes
entfällt. Zudem erhöht sich vermutlich die Gefahr eines chronischen Neglect-Syndroms.
In fortgeschrittenen bzw. therapieresistenten Fällen besteht die Möglichkeit der Infusion
von Ketamin, der Implantation einer Rückenmarksstimulationssonde [95]–[97] oder – bei ausgeprägten Dystonien – eine intrathekale Baclofen-Applikation [98], [99]. Diese Indikationen sollte jedoch von einem spezialisierten Arzt oder Zentrum gestellt
werden. Bei frühzeitiger, konsequenter und erfolgreicher Therapie kann die Symptomatik
reversibel sein und die Prognose günstig. Allerdings verbleiben häufig auch nach Jahren
sensomotorische Funktionsstörungen [100].